Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
162<br />
3. Kapitel<br />
Bei stammesgeschichtlich früher entwickelten inneren Zuständen wie<br />
etwa Gefühlen gelingt die Einbindung ins <strong>Selbstmodell</strong> noch leichter. Ein<br />
Schreck fährt uns in die Glieder, die Ankündigung einer Gehaltserhöhung<br />
läßt unser Herz höher schlagen <strong>und</strong> bei dem Gedanken an unsere politische<br />
FührungbekommenwireinflauesGefühlim Magen. DaßEmotionen<br />
meineEmotionen sind, ist schon deshalb klar, weil sie eine diffuse leibliche<br />
Lokalisierung aufweisen. Gefühle gehen mit lokalen somatischen Erre<br />
gungszuständen einher (zum Beispiel Adrenalinausschüttungen im Bereich<br />
des Solar Plexus) <strong>und</strong> diese somatischen Rand bzw. Entstehungsbedingun<br />
gen werden mental noch einmal mitrepräsentiert. Aus der Perspektive des<br />
Erlebnissubjekts haben Gefühle neben ihrer Räumlichkeit noch ein weite<br />
res Merkmal mit dem Körperselbst gemein: Sie sind nicht besonders pla<br />
stisch.<br />
Was heißt das? Das emotionale <strong>Selbstmodell</strong> 17 die Gesamtheit aller die<br />
Interessenlage des Systems modellierenden inneren Zustände eines be<br />
stimmten Typs ist in seinem Gehalt durch „höhere“, absichtlich eingelei<br />
tete kognitive Operationen nur schwer zu beeinflussen. Gefühle kommen<br />
<strong>und</strong> gehen, sie sind dem Zugriff des psychologischen <strong>Subjekt</strong>s weitgehend<br />
entzogen. Emotionale Simulationen sind schwer durchzuführen, genauso<br />
schwer wie das intendierte Erzeugen von Körpergefühlen. Emotionen kon<br />
frontieren das phänomenale Ich immer wieder mit seiner Biologizität. 18<br />
Denn Emotionen sind nicht beliebig durch externe Stimuli auslösbar, sie<br />
benötigen zu ihrer Aktivierung die interne Repräsentation eines Zielzu<br />
standes. Biologische Systeme können, wenn sie ihre eigenen Zustände in<br />
ihrer Relation zu intern definierten Zielzuständen mental modellieren, mit<br />
weitgehend starren <strong>und</strong> schwer kontrollierbaren mentalen Modellen wie<br />
Panik, Eifersucht oder Verliebtsein konfrontiert werden. Das Auftreten<br />
dieser Modelle demonstriert ihnen, daß sie durch bestimmte „biologische<br />
Imperative“ wie Selbsterhaltung oder Vermehrung geb<strong>und</strong>en das soll<br />
heißen: in ihrer funktionalen Architektur determiniert sind. Die Funk<br />
tion von Gefühlen für einen Organismus ist es, ihm durch Einbettung in<br />
sein <strong>Selbstmodell</strong> ein schnelles <strong>und</strong> möglichst zuverlässiges Repräsentat<br />
seiner gegenwärtigen Interessenlage zu liefern. Das System ist sich damit<br />
erstmals intern als ein Wesen gegeben, das in bezug auf seine physischen<br />
Interessen in einem bestimmten Ausmaß festgelegt ist. DasgeringeAusmaß<br />
17 Die Beziehung zwischen Emotionen <strong>und</strong> dem Selbst untersucht Rosenthal 1983.<br />
18 Einer der populärsten Einwände gegen die Möglichkeit von Maschinenbewußtsein ist<br />
immer der folgende gewesen: „Aber ein künstliches System wird niemals Gefühle haben!“ Die<br />
diesem Einwand zugr<strong>und</strong>eliegende Intuition beruht auf der Beobachtung, daß nicht biologi<br />
sche Systeme sich (bisher) nicht in einer genuinen Wettbewerbssituation befinden. Eine solche<br />
Wettbewerbssituation würde einige ihrer f<strong>und</strong>amentalen Interessen (Selbsterhaltung, Vermeh<br />
rung) automatisch festlegen. Deswegen haben künstliche Systeme gegenwärtig höchstens vom<br />
Programmierer eingesetzte „Zielvariablen“, aber nicht das subjektive Erlebnis der Determi<br />
niertheit <strong>und</strong> Rigidität gewisser innerer Zustände, die ihre jeweilige aktuelle Interessenlage<br />
<strong>und</strong> letztlich ihre Gattungsgeschichte widerspiegeln.