Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints

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23.10.2012 Aufrufe

154 3. Kapitel Erst Wissen und Intentionalität erzeugen als externe, digitale Repräsentate, nämlich Wissen durch Ähnlichkeit. Für die Frage nach der Selbsterkennt nis (dem Selbst Wissen) natürlicher Modellgeneratoren bedeutet das: Selbstmodellierende Systeme erzeugen interne Strukturen, die dem System als Ganzem wegen dem Bestehen bestimmter Isomorphismen ähnlich sind. Damit aber ist das System als Ganzes dadurch, daß es subjektives Be wußtsein instantiiert zu einer selbstähnlichen Struktur geworden. Anders ausgedrückt: Da die mereologische Selbstrepräsentation des Systems (in unserem Fall) durch mentale Modellierung also durch Analogrepräsenta tion erreicht wird, stehen das Ganze und der es intern abbildende Teil in einer Ähnlichkeitsrelation. Diese von einem informationsverarbeitenden System erzeugte Selbstähnlichkeit ist fundamental für ein Verständnis des psychischen Phänomens „Selbstbewußtsein“. Viertens haben von physischen Systemen generierte Selbstrepräsentate eine Eigenschaft, die den Elementen des internen Weltmodells fehlt: Sie können niemals vollkommen leer sein. Wenn es überhaupt ein inneres Modell des Selbst gibt, dann muß es nach den Grundannahmen einer naturalistischen Theorie des Geistes auch ein physisches System geben, das es erzeugt hat. Dies ist die naturalistische Variante des cartesianischen Cogito: Es kann pathologische oder epistemisch völlig leere Selbstrepräsen tate 5 geben aber die ihnen zugrundeliegende „Existenzannahme“ wird niemals falsch sein, weil es irgendein konstruierendes System geben muß. Selbst wenn ich ein Gehirn im Tank, ein Gedanke im Geiste Gottes oder der Traum eines Marsmenschen bin aus teleofunktionalistischer Perspek tive sind Repräsentate immer nur solche im Kontext eines sie erzeugenden Systems. Mentale Modelle von Teilen der Welt dagegen könnten immer auch pure Simulate oder das Ergebnis von Fehlrepräsentationen sein, denn grund sätzlich gibt es für das System keine Garantie dafür, daß es nicht bestimm ten seiner inneren Zustände intentionalen Gehalt fälschlicherweise zu schreibt. Selbstmodellierung auf der anderen Seite besitzt einen prinzipiell höheren Gewißheitsgrad und dies ist die moderne, naturalistische Formu lierung der cartesianischen Selbstgewißheit des Subjekts. Wenn Descartes im achten Paragraphen der Zweiten Meditation noch das Denken als vom Ego untrennbar entdecken konnte, so wird aus heutiger Perspektive das Ego zum Gedachten, das untrennbar mit dem es denkenden physischen System verknüpft ist. Dieses System, zum Beispiel das Gehirn eines biologi schen Organismus, ist in Wirklichkeit das denkende Ding. Es erzeugt cogi tationes in Form mentaler Modelle. Da es aber diese Modelle intern nicht als Modelle darstellt, erkennt es sein phänomenales Ich das mentale Modell einer res cogitans nicht als Produkt innerer Repräsentationstätig keit, sondern verwechselt es mit sich selbst. Diese Tatsache deutet auf eine grundlegende selbstreferentielle Opazität innerhalb phänomenaler Subjek 5 Vgl. Abschnitt 3.2.2.

Die Selbstmodell Theorie der Subjektivität 155 tivität, auf ein naiv realistisches Selbstmißverständnis produziert durch ein selbstmodellierendes physisches System. Ist das Selbstrepräsentat ei nes Systems nämlich so zuverlässig und schnell aktivierbar, daß es nicht mehr als Konstrukt erlebt werden kann, dann entsteht auch hier wieder dievanGulicksche„semantischeTransparenz“.UmdieseMetapherauf die Spitze zu treiben, könnte man sagen: Als selbstbewußte, phänomenale Subjekte schauen wir durch uns selbst hindurch und erkennen uns nicht als komplexe Makro Repräsentate. Bevor wir tiefer in diese Problematik ein dringen, sollten wir wieder einen Blick auf die logische Struktur der ver schiedenen Varianten von mentaler Selbstrepräsentation werfen. Wir können uns dabei jedoch kurz fassen, weil wir den wesentlichen Punkten bereits begegnet sind. 3.1.2 Mentale Selbstsimulation: Interne Selbstähnlichkeit und Entwürfe des Selbst Mentale Selbstrepräsentate sind von Gehirnen erzeugte und benutzte Werkzeuge. Biosysteme setzen diese ein, um schnell und effektiv möglichst viel überlebensrelevante Information über sich selbst zu verarbeiten. Na türlich können auch mentale Selbstrepräsentate unabhängig vom Strom des aktuellen Inputs aktiviert und in mögliche phänomenale Welten einge bettet werden. Gehirne können kontrafaktische phänomenale Selbsteerzeu gen, und diese können als Werkzeuge in absichtlich eingeleiteten kogniti ven Operationen eingesetzt werden. Sie können dem System bei der Zukunftsplanung, sowohl in Hinblick auf die Auswertung von Zielzustän den als auch auf die Erzeugung der adäquaten Handlungsmuster behilflich sein. Selbstsimulate treten aber auch als Agenten in inneren Monologen, Phantasien oder Tagträumen auf. In all diesen Fällen sind Selbstsimulate jedoch nur imaginiert, d. h. sie sind Bestandteile einer komplexen mentalen Simulation einer möglichen Welt. Parallel zu diesem mentalen Weltsimulat existiert immer noch ein internes Selbstrepräsentat des Systems als eben jene mentalen Operationen gerade absichtlich durchführendem. Insolchen Situationen wissen wir als phänomenale Wesen, daß wir phantasieren, daß wir tagträumen, daß wir innerlich mit uns selbst sprechen, daß wir an einem inneren Lebensentwurf arbeiten, daß wir uns bemühen, ein Nagelsches objective self in uns entstehen zu lassen und so weiter. Das muß nicht so sein es gibt Zustände, in denen das Selbst ein reines Simulat ist und folglich gibt es in diesen inneren Situationen auch keine Klarheit über den gegenwärtigen Zustand. Das ist zum Beispiel bei Träumen und manchen Geisteskrankheiten der Fall.

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3. Kapitel<br />

Erst Wissen <strong>und</strong> Intentionalität erzeugen als externe, digitale Repräsentate,<br />

nämlich Wissen durch Ähnlichkeit. Für die Frage nach der Selbsterkennt<br />

nis (dem Selbst Wissen) natürlicher Modellgeneratoren bedeutet das:<br />

<strong>Selbstmodell</strong>ierende Systeme erzeugen interne Strukturen, die dem System<br />

als Ganzem wegen dem Bestehen bestimmter Isomorphismen ähnlich sind.<br />

Damit aber ist das System als Ganzes dadurch, daß es subjektives Be<br />

wußtsein instantiiert zu einer selbstähnlichen Struktur geworden. Anders<br />

ausgedrückt: Da die mereologische Selbstrepräsentation des Systems (in<br />

unserem Fall) durch mentale Modellierung also durch Analogrepräsenta<br />

tion erreicht wird, stehen das Ganze <strong>und</strong> der es intern abbildende Teil in<br />

einer Ähnlichkeitsrelation. Diese von einem informationsverarbeitenden<br />

System erzeugte Selbstähnlichkeit ist f<strong>und</strong>amental für ein Verständnis des<br />

psychischen Phänomens „Selbstbewußtsein“.<br />

Viertens haben von physischen Systemen generierte Selbstrepräsentate<br />

eine Eigenschaft, die den Elementen des internen Weltmodells fehlt: Sie<br />

können niemals vollkommen leer sein. Wenn es überhaupt ein inneres<br />

Modell des Selbst gibt, dann muß es nach den Gr<strong>und</strong>annahmen einer<br />

naturalistischen Theorie des Geistes auch ein physisches System geben, das<br />

es erzeugt hat. Dies ist die naturalistische Variante des cartesianischen<br />

Cogito: Es kann pathologische oder epistemisch völlig leere Selbstrepräsen<br />

tate 5 geben aber die ihnen zugr<strong>und</strong>eliegende „Existenzannahme“ wird<br />

niemals falsch sein, weil es irgendein konstruierendes System geben muß.<br />

Selbst wenn ich ein Gehirn im Tank, ein Gedanke im Geiste Gottes oder<br />

der Traum eines Marsmenschen bin aus teleofunktionalistischer Perspek<br />

tive sind Repräsentate immer nur solche im Kontext eines sie erzeugenden<br />

Systems.<br />

Mentale Modelle von Teilen der Welt dagegen könnten immer auch pure<br />

Simulate oder das Ergebnis von Fehlrepräsentationen sein, denn gr<strong>und</strong><br />

sätzlich gibt es für das System keine Garantie dafür, daß es nicht bestimm<br />

ten seiner inneren Zustände intentionalen Gehalt fälschlicherweise zu<br />

schreibt. <strong>Selbstmodell</strong>ierung auf der anderen Seite besitzt einen prinzipiell<br />

höheren Gewißheitsgrad <strong>und</strong> dies ist die moderne, naturalistische Formu<br />

lierung der cartesianischen Selbstgewißheit des <strong>Subjekt</strong>s. Wenn Descartes<br />

im achten Paragraphen der Zweiten Meditation noch das Denken als vom<br />

Ego untrennbar entdecken konnte, so wird aus heutiger Perspektive das<br />

Ego zum Gedachten, das untrennbar mit dem es denkenden physischen<br />

System verknüpft ist. Dieses System, zum Beispiel das Gehirn eines biologi<br />

schen Organismus, ist in Wirklichkeit das denkende Ding. Es erzeugt cogi<br />

tationes in Form mentaler Modelle. Da es aber diese Modelle intern nicht<br />

als Modelle darstellt, erkennt es sein phänomenales Ich das mentale<br />

Modell einer res cogitans nicht als Produkt innerer Repräsentationstätig<br />

keit, sondern verwechselt es mit sich selbst. Diese Tatsache deutet auf eine<br />

gr<strong>und</strong>legende selbstreferentielle Opazität innerhalb phänomenaler Subjek<br />

5 Vgl. Abschnitt 3.2.2.

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