Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Mentale Repräsentation <strong>und</strong> phänomenale Zustände 145<br />
den Schizophrenen eine aufgezwungene <strong>und</strong> unkontrollierbare Erweite<br />
rung seiner phänomenalen Welt dar, gegen die er sich als phänomenales<br />
<strong>Subjekt</strong> nicht wehren kann. Das ist deshalb so, weil das die phänomenale<br />
Welt erzeugende Gehirn partiell die Fähigkeit verloren hat, zwischen men<br />
taler Simulation <strong>und</strong> ihrem eingeschränkten Sonderfall, mentaler Reprä<br />
sentation, zu unterscheiden.<br />
Auch wenn dem System diese Unterscheidung gelingt, kann es sich in<br />
einer Situation wiederfinden, in der Teile der für mentale Simulation ver<br />
antwortlichen Hirnfunktionen außer Kontrollegeraten <strong>und</strong> temporär auto<br />
nomgewordensind.InsolchenFällenkanndassubjektiverlebteWeltmo<br />
dell durch eine Flut mehr oder weniger stabiler phänomenaler Artefakte<br />
angereichert werden. Sie können zwar vom System auch auf der Ebene<br />
phänomenaler Modellierung als afunktionale Simulate, man kann sagen:<br />
als überflüssige mentale Strukturen ohne funktionale Rolle in der psychi<br />
schen Ökonomie des Systems, erkannt werden. Trotzdem sind auch Pseu<br />
do Halluzinationen (die vom psychologischen <strong>Subjekt</strong> als solche erkannt<br />
werden) in ihrem phänomenalen Gehalt unhintergehbar.<br />
Werden Halluzinationen durch pharmakologische Stimuli ausgelöst<br />
(etwa durch die Einnahme von LSD, Meskalin oder DMT), dann kommt es<br />
in unterschiedlichen Hirnbereichen zu einer weitgehend unspezifischen<br />
Enthemmung der neuronalen Aktivität. 251 Dies führt unter anderem dazu,<br />
daß der pure Signalaspekt der Verarbeitung unter Umständen extrem ver<br />
stärkt wird was auf der phänomenalen Ebene zur Intensivierung vieler<br />
Formen von qualitativem Gehalt führt. Gleichzeitig erhöht sich die Ge<br />
schwindigkeit höherer mentaler Operationen bis hin zu Gedankenflucht<br />
<strong>und</strong> Desorientiertheit. Nimmt die Zahl <strong>und</strong> die Aktivierungsgeschwindig<br />
keit der das System überschwemmenden mentalen Simulate so stark zu,<br />
daß es sie nicht mehr zu einem einzigen Modell der Welt <strong>und</strong> des Selbst<br />
integrieren kann (indem es die verschiedenen Halluzinationen zu einer<br />
„Geschichte“ zusammenfaßt), dann kann es zu phänomenalen Spaltungs<br />
zuständen kommen, welche wir üblicherweise als „psychotisch“ zu bezeich<br />
nen pflegen. In solchen Fällen könnte man sagen, daß das mentale Reali<br />
tätsmodell mit soviel phänomenalem Gehalt überfrachtet worden ist, daß<br />
es sich aufzulösen oder zu spalten beginnt.<br />
Ein wichtiger Punkt scheint in diesem Zusammenhang zu sein, daß phä<br />
nomenale Hypertrophie nicht gleichbedeutend ist mit epistemischer Ex<br />
pansion. Wenn die in ein Realitätsmodell eindringenden zusätzlichen men<br />
talen Simulate, die wir „Halluzinationen“ nennen, tatsächlich afunktionale<br />
Artefakte sind 252 , dann wird das System als Ganzes zwar um phänomenalen<br />
251 Vgl. Aghajanian et al. 1968, 1970, 1975; Jacobs⁄ Trulson 1979; Siegel 1975.<br />
252 Diese Frage muß von Einzelfall zu Einzelfall sorgfältig <strong>und</strong> differenziert entschieden<br />
werden. Die moderne halluzinogen unterstützte Psychotherapie zum Beispiel hat gute katam<br />
nestische Resultate vorzuweisen, was als ein Indiz dafür gelten kann, daß es sich hier nicht nur<br />
um die Auslösung epistemisch leerer Prozesse handelt. Vgl. Leuner 1981.