Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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Mentale Repräsentation <strong>und</strong> phänomenale Zustände 143<br />
tätsmodelle, die wir im Laufe unseres Lebens kennengelernt haben. Man<br />
kann in einem metaphorischen Sinn mentale Realitätsmodelle als nicht<br />
öffentliche Theorien über das Wesen der Wirklichkeit betrachten, die von<br />
Gehirnen intern mittels nicht digitaler Repräsentationscodes erzeugt wer<br />
den. Es ist deshalb wichtig, nicht stillschweigend Annahmen unserer Ge<br />
hirne mit in unsere wissenschaftlichen Theorien über uns selbst <strong>und</strong> die<br />
Welt zu übernehmen. In der Philosophie des Geistes sind aus diesem<br />
Gr<strong>und</strong> Gedankenexperimente besonders gefährlich <strong>und</strong> darum bedürfen<br />
ihre impliziten, häufig durch Introspektion gewonnenen Prämissen einer<br />
sehr kritischen Untersuchung. 247<br />
Das bizarre Spiegelbild von Blindsicht heißt Antons Syndrom. 248 Patien<br />
ten, die durch eine Läsion des visuellen Cortex von plötzlicher Blindheit<br />
überfallen werden, bestehen in manchen Fällen hartnäckig darauf, daß sie<br />
noch sehen. Sie stoßen sich gleichzeitig an Möbelstücken <strong>und</strong> zeigen alle<br />
Anzeichen funktionalen Blindseins. Trotzdem verhalten sie sich so, als ob<br />
ihnen das subjektive Verschwinden der visuellen Welt nicht subjektiv be<br />
wußt ist; so produzieren sie zum Beispiel auf Fragen nach ihrer Umgebung<br />
falsche, aber konsistente Konfabulationen. Sie erzählen Geschichten über<br />
nicht existente phänomenale Welten, die sie selber zu glauben scheinen,<br />
<strong>und</strong> streiten jeden funktionalen Defizit in bezug auf ihre Sehfähigkeit<br />
ab.<br />
Ich möchte an dieser Stelle nicht die Frage der erkenntnistheoretischen<br />
Autorität des <strong>Subjekt</strong>s über seine eigenen mentalen Zustände diskutie<br />
ren 249 , sondern die Aufmerksamkeit meiner Leser auf den interessanten<br />
Punkt lenken, daß wir es hier mit einer Art „rekursiven Neglekts“ oder<br />
einer „Meta Agnosie“ 250 zu tun haben: Das mentale Modell der Welt besitzt<br />
in diesen tragischen Fällen nämlich zwei „phänomenale Löcher“. Das erste<br />
erstreckt sich über die gesamte visuelle Modalität, das zweite ist ein phäno<br />
menales Loch in bezug auf ein phänomenales Loch. Esgibtalsosogar<br />
phänomenale Defizite zweiter Ordnung, <strong>und</strong> die durch sie entstehenden<br />
Bewußtseinszustände falsifizieren endgültig <strong>und</strong> eindeutig die klassische<br />
cartesianische Annahme von der Selbsttransparenz des Bewußtseins. Un<br />
ser Begriff phänomenalen Bewußtseins muß uns um nicht mit empiri<br />
schen Erkenntnissen zu kollidieren eine Erklärung für Fälle geben, in<br />
denen phänomenale Ausfälle selbst nicht mehr phänomenal repräsentiert<br />
werden können. Meine eigene provisorische Hypothese für Fälle wie An<br />
tons Syndrom lautet: Der Verlust des visuellen Modells der Welt führt bei<br />
247 Vgl. Wilkes 1988, Kapitel 1.<br />
248 Vgl. Anton 1899, Benson⁄ Greenberg 1969.<br />
249 Vgl. hierzu Rorty 1981a, 1981b; weitere Literaturangaben zur These der Inkorrigibilität<br />
mentalistischer Selbstzuschreibungen finden sich in Bieri 1981: 344f.<br />
250 Der korrekte Fachausdruck für Störungen, bei denen die bewußte Einsicht in eine<br />
Erkrankung fehlt, lautet „Anosognosie“. Sie entstehen durch nicht dominante, parietale Lä<br />
sionen. Damasio weist darauf hin, daß es sich bei ihnen nicht um Agnosien in einem engeren<br />
Sinne handelt. Vgl. Damasio 1987.