Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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Mentale Repräsentation <strong>und</strong> phänomenale Zustände 107<br />
Der theoretisch entscheidende Punkt liegt in der Tatsache, daß wir bald<br />
über befriedigende naturalistische Erklärungen darüber verfügen werden,<br />
wie die Multimodalität gewisser komplexer, von biologischen Gehirnen<br />
erzeugter Datenstrukturen das Resultat von neuronaler Informationsverar<br />
beitung sein kann. In Abwesenheit solcher Erklärungen war es nur zu ver<br />
ständlich, daß Philosophen des Geistes phänomenale Individuen 160 <strong>und</strong><br />
intentionale Objekte postuliert haben: Wie sonst sollte die bruchlose Inte<br />
gration von unterschiedlichen Sinneseindrücken, Erinnerungen usw. zu<br />
einheitlichen Erlebnissen zu erklären sein? Wir sind aber heute in der<br />
glücklichen Lage, an dieser Stelle keine nicht physischen Entitäten mehr<br />
postulieren zu müssen, die uns die multimodale Bindung von Eigenschaf<br />
ten zu verstehen helfen. Das konnektionistische Erklärungsmodell bietet<br />
Hoffnung auf eine zukünftige neuroinformatische Erklärung dafür, wie in<br />
verschiedenen Formaten vorliegende, durch Aktivierungsvektoren be<br />
schreibbare interne Repräsentate miteinander verknüpft werden können,<br />
obwohl sie in unterschiedlichen Subsystemen des Gehirns erzeugt wurden.<br />
Deswegen sind wir nicht mehr gezwungen, von einer Integration oder Ei<br />
genschaftsbindung „von oben“ auszugehen. Wenn man so will, sind men<br />
tale Modelle naturalisierte intentionale Objekte wobei der sie erzeugende<br />
Prozess des Informationsflusses in die entgegengesetzte Richtung zeigt wie<br />
der Pfeil der Intentionalität.<br />
In pathologischen Fällen ist es möglich, daß diese Verknüpfungsleistun<br />
gen nicht mehr erbracht werden können. Bei manchen Arten von Hirnver<br />
letzungenkanneszufunktionalenDissoziationen 161 kommen, welche dann<br />
phänomenale Entkoppelungen zu Folge haben. Ray Jackendoff zitiert ei<br />
nen Bericht von Anthony Marcel 162 über einen Patienten, der, wenn ange<br />
sprochen, die gesehenen Lippenbewegungen seines Gegenübers <strong>und</strong> sein<br />
auditorisches Hörerlebnis nicht mehr integrieren konnte. Dieser Patient<br />
beschrieb seinen phänomenalen Zustand als von zwei vollkommen unter<br />
schiedlichen Ereignisketten geprägt <strong>und</strong> verglich ihn mit einem alten Ton<br />
immer grösser werdende „Zeitfenster“ ineinander einbetten kann. Da sich bei verändertem<br />
Input dieselben Zellen zu immer neuen Verbänden zusammenschliessen können, ist diese<br />
Hypothese nicht nur sparsam in strukturellen Annahmen, sondern erklärt auch die Flexibilität<br />
<strong>und</strong> die Plastizität der so entstehenden repräsentationalen Zustände. Vgl. Barinaga 1990,<br />
Crick⁄ Koch 1990a, b, Engel et al. 1991a, b, c, 1992a, b, c, Gray et al. 1989, Kreiter ⁄ Singer<br />
1992, Singer 1989, 1990, 1993, 1995, von der Malsburg 1981, 1986.<br />
160 Vgl. Lycan 1987, Kapitel 8.<br />
161 Das Studium solcher Dissoziationen ist eine der wichtigsten Quellen von Einsichten<br />
bezüglich der funktionalen Architektur, die phänomenalen Zuständen zugr<strong>und</strong>eliegt, <strong>und</strong> hat<br />
bereits viele der klassischen a priori Annahmen über das Wesen des Bewußtseins falsifiziert.<br />
„. . ., the most important findings in neuropsychology concern what dissociations are possible,<br />
regardless of how often they occur. Even a single demonstration of a highly specific loss, in the<br />
absence of other deficits, provides a rich source of inferences about the organization of processing<br />
in the nervous system; and instances of ,double dissociation‘ of two different kinds of capacities<br />
allow relatively direct inferences to be drawn about potentially independent processes (Weis<br />
krantz 1968).“ Vgl. Weiskrantz 1988: 188.<br />
162 Vgl. Marcel 1983: 292f.