Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints

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23.10.2012 Aufrufe

104 2. Kapitel spaltet oder heterogen wird. 154 Von theoretischem Interesse scheint außer dem die Frage zu sein, ob (wie etwa Flohr denkt) ein kritisches Maß an funktionaler Komplexität automatisch zu Metarepräsentation und interner Selbstdarstellung führt 155 , oder ob es noch weitere spezifische Hintergrund bedingungen und Mechanismen der Eigenschaftsbindung für Bewußtsein beim Menschen (und physikalischen Repräsentationssystemen im allge meinen) gibt. Lassen Sie uns jedoch vorerst untersuchen, welches Bild der für subjektives, phänomenales Bewußtsein verantwortlichen mentalen Re präsentate sich aus den bisher angestellten Überlegungen ergibt. 2.2 Mentale Modelle: Die abstrakten Werkzeuge biologischer Systeme Wir haben in den vorangegangenen Abschnitten verschiedene Aspekte von mentalem Gehalt betrachtet, die für eine Theorie der Subjektivität von Interesse sind. Ich habe diese Aspekte als Eigenschaften analysiert, die 154 Edoardo Bisiach unterscheidet drei fundamentale Bewußtseinsbegriffe: C1 (das strikt private, erlebte Bewußtsein aus der Innenperspektive des psychologischen Subjekts), C2 (der Zugang von Teilen oder Prozessen eines Systems zu anderen seiner Teile oder Prozesse; also der klassische funktionalistische Ansatz von Bewußtsein als dem monitoring of internal repre sentations [1988: 104]) und C3 (die Hypostasierung von C1 zu nicht physikalischen Entitä ten). Das Problem besteht in einer Abbildung der Zustände von C2 (dem legitimen Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen) auf C1. Bisiach hat an Beispielen gezeigt, welche theoreti schen Konfusionen allein durch den äquivoken Gebrauch von C1, C2 und C3 entstehen und anhand von Beispielen die Fraktionierung von C2 in pathologischen Situationen (aber auch bezüglich der zeitlichen Struktur von Bewußtsein) demonstriert, also die Möglichkeit des Zerfalls und der funktionalen Dissoziierbarkeit von Metarepräsentationsfunktionen im menschlichen Gehirn. Solche empirischen Befunde (wie zum Beispiel Anosognosien, also die Unbewußtheit von Bewußtheitsdefiziten) sind für die uns hier beschäftigenden theoretischen Fragen deswegen von Interesse, weil sie einerseits die Modularität des computationalen Be wußtseins in Kontrast zu der subjektiv erlebten Einheitlichkeit auch pathologischer Zustände setzen. Andererseits aber zeigen sie, wie stark phänomenales C1 Bewußtsein „von unten“ determiniert wird. „Thus a patient may be selectively unaware of his blindness, or deafness, or hemiplegia if the different brain lesions which are responsible for one or the other of these disorders impair that level. At the same time, the patient may be fully aware of a concurrent disorder (e.g. of dysphasia) if this is due to the description of more peripheral processing stages. This fractionation of anosognosia into function specific forms shows that monitoring of inner activity is not accomplished in the nervous system by a unitary, superordinate entity watching the workings of its slave mechanisms and able to detect faults in their operations as soon as they occur. Monitoring of inner activity is rather to be viewed as a function distributed across the different analysers to which it refers (. . .) . Indeed, from a neuropsychological perspective, C2 is more properly viewed as a collective name for a bundle of dissociable processes, conforming to Gazzaniga’s ,sociological‘ concept of consciousness (. . .) .“ Vgl. Bisiach 1988: 108f. 155 Das ist eine wichtige Frage in Zusammenhang mit der Flohrschen Hypothese: Organi sieren sich metarepräsentationale Strukturen automatisch selbst, wenn das System ein gewis ses Komplexitätsniveau erreicht hat, oder müssen weitere repräsentationale Bedingungen erfüllt sein, bevor phänomenales Bewußtsein entstehen kann? Vgl. Flohr 1991, 1992a,b; zur Selbstorganisation kognitiver Strukturen vgl. Singer 1989, 1990.

Mentale Repräsentation und phänomenale Zustände 105 mentale Repräsentate mindestens besitzen müssen, um den philosophisch interessanten psychischen Phänomenen zugrunde liegen zu können. Die Eigenschaften dieses theoretischen Prototyps eines phänomenalen Reprä sentats waren: wechselseitige Einbettbarkeit (Formatintegration ⁄ Multimodali tät) Analogizität (Darstellung von Intensitäten und Kontinua) Dynamizität und Simulationsfähigkeit (Inputunabhängigkeit) Präsentation (Signalfunktion ohne automatische Output Erzeu gung) potentielle Meta Repräsentierbarkeit („Bewußtheit“, „semanti sche Transparenz“) Dazu habe ich begrifflich zwischen Präsentaten, Repräsentaten, Simulaten und Meta Repräsentaten unterschieden. Aber natürlich ist unser phänome nales Bewußtsein wesentlich homogener, als diese theoretischen Unter scheidungen vielleicht suggerieren: Das Buch, das Sie momentan in Hän den halten, ist Ihnen mit dem qualitativen Gehalt seiner Farbigkeit, seines Gewichts, seiner taktil erlebbaren Oberflächentextur, mit seinem wirkli chen und möglichen Inhalt gegeben und zwar bewußt. Der Präsentations aspekt und die phänomenale Tatsache, daß Sie sich des Buches bewußt sind, stellen aber keine deutlich unterscheidbaren Elemente ihres Bucher lebnisses dar. Wenn wir die bruchlose Natur der phänomenalen Ebene verstehen wollen, müssen wir also nach einer Entität suchen, die alle in den vorangegangenen Abschnitten besprochenen Aspekte mentaler Repräsen tate potentiell in sich vereint. In Anlehnung an Arbeiten von Colin McGinn 156 und Philip Johnson Laird 157 werde ich jetzt den bereits in groben Umrissen entwickelten Begriff des „mentalen Modells“ einsetzen, um diejenigen Eigenschaften näher zu beleuchten, die mentale Repräsentate besitzen müssen, wenn sie die Instan tiierung subjektiven, phänomenalen Bewußtseins unterstützen sollen. Das GehirnisteinhochkomplexesOrganundmankanndavonausgehen,daß es eine Vielzahl von Repräsentattypen intern einsetzt. Unterschiedliche theoretische Fragestellungen werden dabei die Aufmerksamkeit auf ver schiedene mögliche „repräsentationale Kandidaten“ und innere Strukturen lenken. Wenn man an der Frage interessiert ist, wie subjektives Bewußtsein aus mentaler Repräsentation resultieren kann, muß man Antworten auf Fragen der folgenden Art zu geben versuchen: Wie könnten die internen Strukturen beschaffen sein, die den fraglichen, die Subjektivität phänomena len Bewußtseins konstituierenden psychischen Phänomenen zugrundelie gen? Welche Eigenschaften müssen mentale Repräsentate besitzen, um die 156 Vgl. McGinn 1989: 172ff. 157 Vgl. Johnson Laird 1983, 1989.

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spaltet oder heterogen wird. 154 Von theoretischem Interesse scheint außer<br />

dem die Frage zu sein, ob (wie etwa Flohr denkt) ein kritisches Maß an<br />

funktionaler Komplexität automatisch zu Metarepräsentation <strong>und</strong> interner<br />

Selbstdarstellung führt 155 , oder ob es noch weitere spezifische Hintergr<strong>und</strong><br />

bedingungen <strong>und</strong> Mechanismen der Eigenschaftsbindung für Bewußtsein<br />

beim Menschen (<strong>und</strong> physikalischen Repräsentationssystemen im allge<br />

meinen) gibt. Lassen Sie uns jedoch vorerst untersuchen, welches Bild der<br />

für subjektives, phänomenales Bewußtsein verantwortlichen mentalen Re<br />

präsentate sich aus den bisher angestellten Überlegungen ergibt.<br />

2.2 Mentale Modelle: Die abstrakten Werkzeuge biologischer<br />

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Wir haben in den vorangegangenen Abschnitten verschiedene Aspekte von<br />

mentalem Gehalt betrachtet, die für eine Theorie der <strong>Subjekt</strong>ivität von<br />

Interesse sind. Ich habe diese Aspekte als Eigenschaften analysiert, die<br />

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private, erlebte Bewußtsein aus der Innenperspektive des psychologischen <strong>Subjekt</strong>s), C2 (der<br />

Zugang von Teilen oder Prozessen eines Systems zu anderen seiner Teile oder Prozesse; also<br />

der klassische funktionalistische Ansatz von Bewußtsein als dem monitoring of internal repre<br />

sentations [1988: 104]) <strong>und</strong> C3 (die Hypostasierung von C1 zu nicht physikalischen Entitä<br />

ten). Das Problem besteht in einer Abbildung der Zustände von C2 (dem legitimen Objekt<br />

wissenschaftlicher Untersuchungen) auf C1. Bisiach hat an Beispielen gezeigt, welche theoreti<br />

schen Konfusionen allein durch den äquivoken Gebrauch von C1, C2 <strong>und</strong> C3 entstehen <strong>und</strong><br />

anhand von Beispielen die Fraktionierung von C2 in pathologischen Situationen (aber auch<br />

bezüglich der zeitlichen Struktur von Bewußtsein) demonstriert, also die Möglichkeit des<br />

Zerfalls <strong>und</strong> der funktionalen Dissoziierbarkeit von Metarepräsentationsfunktionen im<br />

menschlichen Gehirn. Solche empirischen Bef<strong>und</strong>e (wie zum Beispiel Anosognosien, also die<br />

Unbewußtheit von Bewußtheitsdefiziten) sind für die uns hier beschäftigenden theoretischen<br />

Fragen deswegen von Interesse, weil sie einerseits die Modularität des computationalen Be<br />

wußtseins in Kontrast zu der subjektiv erlebten Einheitlichkeit auch pathologischer Zustände<br />

setzen. Andererseits aber zeigen sie, wie stark phänomenales C1 Bewußtsein „von unten“<br />

determiniert wird. „Thus a patient may be selectively unaware of his blindness, or deafness, or<br />

hemiplegia if the different brain lesions which are responsible for one or the other of these<br />

disorders impair that level. At the same time, the patient may be fully aware of a concurrent<br />

disorder (e.g. of dysphasia) if this is due to the description of more peripheral processing stages.<br />

This fractionation of anosognosia into function specific forms shows that monitoring of inner<br />

activity is not accomplished in the nervous system by a unitary, superordinate entity watching<br />

the workings of its slave mechanisms and able to detect faults in their operations as soon as they<br />

occur. Monitoring of inner activity is rather to be viewed as a function distributed across the<br />

different analysers to which it refers (. . .) . Indeed, from a neuropsychological perspective, C2 is<br />

more properly viewed as a collective name for a b<strong>und</strong>le of dissociable processes, conforming to<br />

Gazzaniga’s ,sociological‘ concept of consciousness (. . .) .“ Vgl. Bisiach 1988: 108f.<br />

155 Das ist eine wichtige Frage in Zusammenhang mit der Flohrschen Hypothese: Organi<br />

sieren sich metarepräsentationale Strukturen automatisch selbst, wenn das System ein gewis<br />

ses Komplexitätsniveau erreicht hat, oder müssen weitere repräsentationale Bedingungen<br />

erfüllt sein, bevor phänomenales Bewußtsein entstehen kann? Vgl. Flohr 1991, 1992a,b; zur<br />

Selbstorganisation kognitiver Strukturen vgl. Singer 1989, 1990.

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