Zwischen Autonomie und Ausgrenzung? - IG LektorInnen

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05.09.2013 Aufrufe

1.3.1. Verortung feministischer Wissenschaften im Wissenschaftsbetrieb Im Zuge der Demokratisierung und Öffnung der österreichischen Universitäten in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gelangten zum ersten Mal in der Geschichte der modernen Universitäten in einem quantitativ beachtlichen Ausmaß Frauen an diese gesellschaftlich maßgeblichen Orte der Wissensproduktion und Wissensvermittlung. Im Laufe der 80er Jahre kam es in einigen Disziplinen sogar zu einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis, was die Anzahl der Erstinskription betrifft. 65 Aufgrund der quantitativen Relevanz von Studentinnen an den Universitäten einerseits und der qualitativen Relevanz einer neu erwachten Frauenbewegung andererseits wurde die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer feministischen Kritik und Transformation der Wissenschaften offensichtlich. Dabei war das Ziel trotz aller Kontroversen von Anfang an weniger eine frauenspezifische Wissenschaft zu begründen als vielmehr die wissenschaftliche Fundierung patriarchaler Herrschaftsverhältnisse aufzudecken und zu überwinden. Das heißt, viel mehr als ein Selbstzweck ist “Feminismus als transformative Politik (...) darauf gerichtet, gesellschaftliche Institutionen zu verändern, jede Form von Unterdrückung zu überwinden, und nicht darauf, bestimmten Gruppen von Frauen innerhalb bestehender Strukturen mehr Raum zu verschaffen”. 66 Inzwischen gibt es eine breite Spanne von Untersuchungen über die Stellung feministischer Wissenschaften in den einzelnen universitären Disziplinen. Bei aller Vielfalt der theoretischen Perspektiven lassen sich verbindende Grundlagen feststellen. So hat feministische Theorie von Anfang an zweigleisig auf die Reduktion von Frauen auf die Entität Geschlecht in wissenschaftlichen Theorien und auf die Subordination von Frauen aufgrund ihres Geschlechts reagiert. Einerseits wird an der diskursiven Relativierung der Geschlechtlichkeit von Frauen gearbeitet, das heißt daran, Persönlichkeitsaspekte für Frauen geltend zu machen, die über das Geschlecht hinausgehen. Andererseits werden Aspekte des Geschlechts von Feministinnen selbst relevant gemacht, insofern es Grundlage epistemischer und sozialer Hierarchisierung ist. Das heißt, es gilt Geschlechtlichkeit in androzentrischen Theorien aufzudecken und deren epistemische Relevanz für wissenschaftliche Aussagen über die Wirklichkeit zu demonstrieren. 67 65 SCHANDL, Susanne; Seiser, Gertraud: Quantitative Materialien zur Präsenz von Frauen an Österreichs Hochschulen. In: 100 Jahre Frauenstudium. Zur Situation der Frauen an Österreichs Hochschulen, Wien 1997, S. 55 66 LIST, Elisabeth: Denkverhältnisse. Feminismus als Kritik. In: List, Elisabeth; Studer, Herlinde: Denkverhältnisse. Feminismus und Kritik, Frankfurt am Main 1989, S. 10 67 Vgl. HARDING, Sandra: Das Geschlecht des Wissens - Frauen denken die Wissenschaft neu, Frankfurt a. M. u. a. 1994. INTERDISZIPLINÄRE FORSCHUNGSGRUPPE FRAUENFORSCHUNG (IFF): Zweierlei Welten? Feministische Wissenschaftlerinnen im Dialog mit der männlichen Wissenschaft, Frankfurt a. M. 1992. KLINGER, Cornelia: Bis hierher und wie weiter? Überlegungen zur feministischen Wissenschafts- und Rationalitätskritik. In: Krüll, Marianne (Hg.): Wege aus der männlichen Wissenschaft, Pfaffenweiler 1990, S. 21–56. 45

Außerdem scheint es für feministische Theorien notwendig, neue Verhältnisse zur Entität Geschlecht zu entwerfen. Einer widerlegten androzentrischen Behauptung von Geschlechtsneutralität folgt also keine Forderung nach Geschlechtsneutralität in wissenschaftlichen Theorien, sondern die Forderung nach Offenlegung und Reflexion geschlechtlicher und anderer soziopolitischer Positionierungen. Bemühungen um eine Transzendenz dieser Positionierungen des Erkenntnissubjekts werden dabei auf unterschiedlichen Wegen verfolgt. Eines der zentralen Ergebnisse feministischer Wissenschaften ist die Erkenntnis, daß die epistemische Subjektposition eine soziale und institutionelle Position ist, die einzunehmen nicht nur die Frage eines epistemischen Emanzipationsprozesses ist, sondern immer auch eine soziopolitische Ebene des Aushandelns oder Erkämpfens mit sich trägt. 68 Feministische Forschung produziert Innovationen also nicht unbedingt in Form technischer oder technologischer Produkte, sondern in Form von neuartigen epistemischen und sozialen Verhältnissen. Hierfür spielt die persönliche Vermittlung im Lehrbetrieb wiederum eine ausschlaggebende Rolle, da innovatives Wissen oft als “stummes Wissen” – in der Wissenschaft genauso wie in technologischen Innovationen nur durch persönliche Präsenz vermittelt werden kann. 69 Es ist genau diese persönliche Präsenz von Lehrenden, die mit einer feministischen Perspektive forschen, die seit Ende der 70er Jahre massiv von Studentinnen eingefordert wurde. Die vereinzelten Feministinnen innerhalb des Universitätsbetriebs konnten diesen Bedarf in keiner Weise abdecken. In den Studien- und Lehrauftragskommissionen der Fakultäten und Institute wurde der Bedarf kaum gesehen. Dies war 1982 der Anlaß für die damalige Wissenschaftsministerin Herta Firnberg, ein Sonderkontingent zur Förderung der Frauenforschung, den sogenannten Frauentopf, einzurichten. Da Frauen die Hauptträgerinnen feministischer Lehre und Forschung waren und sind, hatte dies zur Folge, daß Mitte der 80er Jahre die Zahl der weiblichen Lehrbeauftragten und der Frauen, die sich für einen Erwerb in der Wissenschaft entschieden, deutlich zunahm. 70 Darüber hinaus ist seither jedoch keine statistisch signifikante Steigerung zu vermerken. Verschiedene Untersuchungen weisen ebenso wie ein Blick in die kommentierten Vorlesungsverzeichnisse darauf hin, daß seither weder nicht- weibliche externe LektorInnen, noch WissenschaftlerInnen innerhalb des Universitätsbetriebs zu einem wesentlich größeren Anteil diesen Bereich der Lehre übernommen haben. Daher stellt sich die Frage, unter welchen sozioökonomischen und psychosozialen Bedingungen feministisch Lehrende und Forschende seither arbeiten. 68 Vgl. LIST, Elisabeth: Theorieproduktion und Geschlechterpolitik. Prolegomena zu einer feministischen Theorie der Wissenschaften. In: Nagl-Docekal, Herta (Hg.): Feministische Philosophie, Wien 1990, S. 158–183.; ERNST, Waltraud: Diskurspiratinnen. Wie feministische Erkenntnisprozesse die Wirklichkeit verändern, Wien 1999. 69 Vgl. FAULKNER, Wendy: Conceptualizing Knowledge Used in Innovation: A Second Look at the Science- Technology Distinction and Industrial Innovation. In: Science, Technology & Human Values, Vol. 19 No. 4, autumn 1994, S. 425–458. 70 Vgl. Kapitel 8.2.2. Frage 1 und 8 46

Außerdem scheint es für feministische Theorien notwendig, neue Verhältnisse zur Entität Geschlecht<br />

zu entwerfen. Einer widerlegten androzentrischen Behauptung von Geschlechtsneutralität folgt also<br />

keine Forderung nach Geschlechtsneutralität in wissenschaftlichen Theorien, sondern die Forderung<br />

nach Offenlegung <strong>und</strong> Reflexion geschlechtlicher <strong>und</strong> anderer soziopolitischer Positionierungen.<br />

Bemühungen um eine Transzendenz dieser Positionierungen des Erkenntnissubjekts werden dabei<br />

auf unterschiedlichen Wegen verfolgt. Eines der zentralen Ergebnisse feministischer Wissenschaften<br />

ist die Erkenntnis, daß die epistemische Subjektposition eine soziale <strong>und</strong> institutionelle Position ist, die<br />

einzunehmen nicht nur die Frage eines epistemischen Emanzipationsprozesses ist, sondern immer<br />

auch eine soziopolitische Ebene des Aushandelns oder Erkämpfens mit sich trägt. 68<br />

Feministische Forschung produziert Innovationen also nicht unbedingt in Form technischer oder<br />

technologischer Produkte, sondern in Form von neuartigen epistemischen <strong>und</strong> sozialen Verhältnissen.<br />

Hierfür spielt die persönliche Vermittlung im Lehrbetrieb wiederum eine ausschlaggebende Rolle, da<br />

innovatives Wissen oft als “stummes Wissen” – in der Wissenschaft genauso wie in technologischen<br />

Innovationen nur durch persönliche Präsenz vermittelt werden kann. 69 Es ist genau diese persönliche<br />

Präsenz von Lehrenden, die mit einer feministischen Perspektive forschen, die seit Ende der 70er<br />

Jahre massiv von Studentinnen eingefordert wurde. Die vereinzelten Feministinnen innerhalb des<br />

Universitätsbetriebs konnten diesen Bedarf in keiner Weise abdecken. In den Studien- <strong>und</strong><br />

Lehrauftragskommissionen der Fakultäten <strong>und</strong> Institute wurde der Bedarf kaum gesehen. Dies war<br />

1982 der Anlaß für die damalige Wissenschaftsministerin Herta Firnberg, ein Sonderkontingent zur<br />

Förderung der Frauenforschung, den sogenannten Frauentopf, einzurichten.<br />

Da Frauen die Hauptträgerinnen feministischer Lehre <strong>und</strong> Forschung waren <strong>und</strong> sind, hatte dies zur<br />

Folge, daß Mitte der 80er Jahre die Zahl der weiblichen Lehrbeauftragten <strong>und</strong> der Frauen, die sich für<br />

einen Erwerb in der Wissenschaft entschieden, deutlich zunahm. 70 Darüber hinaus ist seither jedoch<br />

keine statistisch signifikante Steigerung zu vermerken. Verschiedene Untersuchungen weisen ebenso<br />

wie ein Blick in die kommentierten Vorlesungsverzeichnisse darauf hin, daß seither weder nicht-<br />

weibliche externe <strong>LektorInnen</strong>, noch WissenschaftlerInnen innerhalb des Universitätsbetriebs zu einem<br />

wesentlich größeren Anteil diesen Bereich der Lehre übernommen haben. Daher stellt sich die Frage,<br />

unter welchen sozioökonomischen <strong>und</strong> psychosozialen Bedingungen feministisch Lehrende <strong>und</strong><br />

Forschende seither arbeiten.<br />

68 Vgl. LIST, Elisabeth: Theorieproduktion <strong>und</strong> Geschlechterpolitik. Prolegomena zu einer feministischen Theorie<br />

der Wissenschaften. In: Nagl-Docekal, Herta (Hg.): Feministische Philosophie, Wien 1990, S. 158–183.; ERNST,<br />

Waltraud: Diskurspiratinnen. Wie feministische Erkenntnisprozesse die Wirklichkeit verändern, Wien 1999.<br />

69 Vgl. FAULKNER, Wendy: Conceptualizing Knowledge Used in Innovation: A Second Look at the Science-<br />

Technology Distinction and Industrial Innovation. In: Science, Technology & Human Values, Vol. 19 No. 4, autumn<br />

1994, S. 425–458.<br />

70 Vgl. Kapitel 8.2.2. Frage 1 <strong>und</strong> 8<br />

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