Zwischen Autonomie und Ausgrenzung? - IG LektorInnen

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05.09.2013 Aufrufe

“Der Praxisbegriff, so, wie er in den verschiedenen rhetorischen Felder verwendet wird, ist im Grunde genommen ein leerer Begriff auf den sich alle einigen können, daß das jetzt wichtig ist., wo aber jeder was anderes darunter versteht. Was auch immer Praxis bedeutet. Wenn ich jetzt wieder die zwei Lektorengruppen als Beispiel hernehmen kann, wobei das wieder so schwarz/weiß ist. Praxis als jemand, der schon in einem Arbeitsfeld steht und dort seinen Erwerb bezieht, oder ob ich als Praxis jemanden bezeichne, der jetzt Forschungsprojekte an Land holt, so unterscheidet sich die Praxiserkenntnis dieses Lektors nicht von einem Hochschullehrer, der vielleicht auch Projekte an Land zieht und der vielleicht auch alle diese Erfahrungen sammelt. Wenn der anrennt an Türen, die man aufmachen muß, mit wem man kooperieren muß, damit es zu etwas kommt und so weiter und so weiter. Ich denke, es ist eher eine fiktive Diskussion, in dem man sagt: Die Leute kommen am Arbeitsmarkt nicht unter weil sie keine Praxiserfahrung haben, weil sie das an der Universität nicht gelernt haben. Ich glaube, daß der Begriff eine Projektionsfläche für fiktive und vage Vorstellungen darüber ist, was jemand kann oder nicht kann wenn er die Universität verläßt. Ich habe mich damit auseinandergesetzt. Jemand von den Volkshochschulen hat über Sokrates so ein Projekt ‘General and Cultural Education’. Da geht es um die Frage, wenn man Erwachsenenbildung anschaut, was müßte man da mitgeben um sie – unter Anführungszeichen –fit für den veränderten Kontext zu machen. Sie haben mich dann gebeten mitzuarbeiten insbesondere um einen theoretischen Rahmen zu fixieren, um den Begriff der Bildung in Zusammenhang mit Produktionsbedingungen in den Griff zu bekommen. Die Idee dahinter ist, daß zusammen Projekte in verschiedenen Ländern gemacht werden. Das Projekt, das ich vorgeschlagen habe, und das wir auch versuchen werden durchzuziehen, ist einfach aus den Sozialwissenschaften, aus den Geisteswissenschaften Absolventen zu nehmen und die ein Jahr zusammenzuholen in Projektarbeit und als Projektarbeit diese Leute in Firmen zu schicken, um herauszufinden, wo begegnen sie diesem Widerstand oder inwieweit ist das nur Fiktion. Das Ganze wird einerseits als großes kooperatives Forschungsprojekt aufgezogen, um ihnen dadurch bestimmte Fähigkeiten und skills mitzugeben und andererseits um für uns zu lernen, worin besteht diese Fiktion Praxisnähe. Ich glaube, daß es ist ein ganz weites Stück nur Fiktion ist. Wenn die Leute sagen, wir brauchen kommunikationsfähigere Absolventen. Und wenn ich dann sage, was verstehen sie darunter und er dann sagt, naja, er sollte Sprachen können. Dann weiß ich als Universität, daß ich nicht dazu da bin, ihnen Französisch, Englisch, Spanisch oder noch eine Ostsprache beizubringen. Ich sehe mich nicht in dieser Aufgabe und ich kann diese Aufgabe auch gar nicht aus meiner Sicht und soll es auch gar nicht übernehmen. Das heißt, man müßte nachdenken, welche Begleitformen der Ausbildung dann notwendig sind. Der österreichische Bildungssektor ist da völlig unterentwickelt. Ich glaube, daß wir unsere Lehre verbessern können, ich glaube, daß wir mehr auf die Sprechfähigkeit der Leute achten sollten, sie aufmerksam machen sollten – viel früher – wie sie schreiben, wie sie Dinge strukturieren, wie sie lesen lernen. Bei den mündlichen Prüfungen sieht man das sehr schön, wo sie Papiere gelesen haben müssen, wo man draufkommt, die Leute können nicht einmal ein Papier zusammenfassen in vier Minuten. Wenn ich frage, was ist eigentlich die zentrale Aussage dieses Papiers? Schweigen! Sie können es nacherzählen. Das sind Fähigkeiten, die wir sehr wohl beibringen können. Ich sehe mich aber außerstande den Leuten den Französisch-, den Spanisch-, und den Ungarischunterricht mitzugeben und das ist auch nicht unsere Aufgabe. Dazu sollte es einen anderen Sektor geben. Ich glaube, daß dieser Praxisbegriff der Diskussionskristallisationspunkt ist und der könnte auch anders lauten aus meiner Sicht. Es ist so, daß das Gefühl entstanden ist, daß die Universität sich ein Stück weit zu selbständig gemacht hat, das ist meine Einschätzung, und daß man versucht, über diesen Praxisbegriff die Universität wieder zurückzuholen in irgendeine Form von– Kontrolle ist zu viel gesagt –, in irgendeine Form von Überschaubarkeit. Dieser Praxisbegriff ermöglicht und erlaubt dann Partizipation. Im Grunde geht es um die Frage der Partizipation, wer darf wo mitreden. Das wird generell neu gemischt, habe ich das Gefühl. Das kann man an sehr vielen Bereichen beobachten, wo man darüber nachdenken muß, kommen wir mit den klassischen Denkformen der Partizipation aus. Habe ich ein ethisches Problem setze ich eine Ethikkommission ein – ist das noch was, was funktioniert? Oder ist das nicht was, was noch in den 60er Jahren funktioniert hat, aber was heute keine Glaubwürdigkeit mehr hat, was auch nicht wirklich greift. Daher kann ich diese Diskussion verstehen, vor diesem Hintergrund. Das man halt den Begriff der Praxis so in den Vordergrund gerückt hat, weil das die Form der Legitimation ist, die die Universität braucht um noch 215

ein Stück weit offen gehalten werden kann. Ich glaube, das würde wegfallen, wenn die Universität offen wäre. Und abgesehen davon glaube ich, daß wir schon ein Stück weit was verändern und verbessern können. Ich möchte nur nicht in das Nächste hinüberkippen, daß ich dann nur mehr Rhetorik-Skills meinen Studenten beibringe und der Inhalt ist dann egal. Da muss man sehr aufpassen, daß dann nicht die Form über den Inhalt gewinnt und die Auseinandersetzung mit der Form nicht die Auseinandersetzung mit dem Inhalt in den Hintergrund bringt, was schon eine Gefahr ist. Kommunikative Kompetenz beizubringen würde heißen, daß die Lehre kommunikativer gestaltet werden muß als bisher. Wenn es das bedeuten würde, würde ich das durchaus begrüßen. Ich brauche kein eigenes Rhetorikseminar, aber ich sollte meine Studenten aufmerksam machen, daß etwa Präsentationen rhetorisch eine mittlere Katastrophe waren. Ich konnte zwar nachvollziehen, daß sie das brav durchgearbeitet und auch verstanden haben, aber so kann man das nicht präsentieren. Und das ist momentan ein bißchen schwierig. Im Grunde genommen spielt es sich so ab, daß das Studium an sich in den Hintergrund getreten ist. Was die Leute wollen ist ein abgeschlossenes Studium. Sie nehmen sie nicht weil sie in einem Fach soviel wissen, etwa in Soziologie, in Politikwissenschaft oder sonst irgendeinem Fach, sondern weil sie bewiesen haben, daß sie unter bestimmten Bedingungen etwas hingebracht haben und daß sie einen gewissen Entwicklungsstandard erreicht haben. Das meiste wird ja dann neu im Beruf gelernt. Ich habe einen Diplomanden, der ist in die Schweiz gegangen – nach St. Gallen zu einer Managmentberatungsfirma als Unternehmensberater. Er hat bei mir sicher nicht Unternehmensberatung gelernt. Denen hat gefallen, daß er sehr viel Unterschiedliches gemacht hat, bei sehr viel Organisationssachen mitgewirkt hat, daß er vorher eine HTL gemacht hat und dann Sozialwissenschaften studiert hat, denen war völlig egal ob er Soziologie abgeschlossen hat. Die haben den genommen aus ganz anderen Gründen. Aber sie wollten einen Abschluß, das war eine Voraussetzung, also ohne Abschluß ist nichts. Die Diskussion um die Zusatzqualifikation hat schon einen Hintergrund. Die idealtypische Vorstellung, daß eine Lebenskarriere irgendwo bei A beginnt und bei B aufhört und daß ich ungefähr einschätzen kann – ab einem bestimmten Anstiegswinkel – wie die dann laufen wird und wie die dann ungefähr ausschauen wird, das ist passŽ. Ich glaube, das hat sich geändert. Es ist viel chaotischer geworden. Es hat das vorher auch schon gegeben, aber weniger häufig. Früher war es einfach möglich zu sagen, ich werde das und das und daher studiere ich das. Und das war geplant und die Ausnahmen waren halt die, die dann was ganz anderes gemacht haben. Und jetzt ist es so, daß ich sagen würde die Ausnahmen sind die, die das machen, was sie sich vorstellen und die Regel ist die, daß was ganz anderes passiert.” (Gesprächszitat: Felt) “Das, was vernünftigerweise dahintersteht, ist, daß das, was auf der Universität geschieht nicht abgehoben sein sollte von dem, was danach von den Absolventinnen und Absolventen gefordert wird. Praxisbezug bedeutet zunächst nicht, daß die Leute während des Studiums Praxis machen müssen, das kann in vielen Fällen nützlich sein, man wird es in diesen Fällen vielleicht sogar vorschreiben, obwohl das auch Probleme mit sich bringt, aber das Schlagwort hat ein anderes Ziel gehabt. Das Schlagwort hat –ich hoffe, ich tue jetzt niemandem weh – hat zum Beispiel bedeutet, weniger Rechtsgeschichte für Juristen und mehr Prozessrecht, Bundesabgabenordnung, also Dinge mit denen der Jurist später tatsächlich konfrontiert wird. Die Schwierigkeit, die sich dabei auftut, ist Berufsausbildung und wissenschaftliche Ausbildung. Für einen Rechtswissenschaftler würde ich voraussetzten, die Geschichte der Rechstentwicklung mitbekommen zu haben, für die Anwendung des Rechts in der Praxis, für die Beurteilung von rechtsrelevanten Sachverhalten ist es vermutlich wurscht, ob irgendwann im 3. Jahrhundert ein römischer Rechtgelehrter einen ähnlichen Fall diskutiert hat. Das ist, was mit Praxisorientiertheit eigentlich gemeint war. Das Praxissemester, das Hinausgehen in die Wirtschaft und dort einmal als Wirtschaftswissenschafter in einem Betrieb gesessen zu sein, das ist auch Praxis. Die Idee, Berufspraxis mitzudenken ist sicher brauchbar. Die Trennung zwischen Diplom- und Lehramtsstudium, in den Naturwissenschaften sind diese beide 216

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Gr<strong>und</strong>e genommen ein leerer Begriff auf den sich alle einigen können, daß das jetzt wichtig ist., wo<br />

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die zwei Lektorengruppen als Beispiel hernehmen kann, wobei das wieder so schwarz/weiß ist.<br />

Praxis als jemand, der schon in einem Arbeitsfeld steht <strong>und</strong> dort seinen Erwerb bezieht, oder ob ich<br />

als Praxis jemanden bezeichne, der jetzt Forschungsprojekte an Land holt, so unterscheidet sich die<br />

Praxiserkenntnis dieses Lektors nicht von einem Hochschullehrer, der vielleicht auch Projekte an<br />

Land zieht <strong>und</strong> der vielleicht auch alle diese Erfahrungen sammelt. Wenn der anrennt an Türen, die<br />

man aufmachen muß, mit wem man kooperieren muß, damit es zu etwas kommt <strong>und</strong> so weiter <strong>und</strong><br />

so weiter. Ich denke, es ist eher eine fiktive Diskussion, in dem man sagt: Die Leute kommen am<br />

Arbeitsmarkt nicht unter weil sie keine Praxiserfahrung haben, weil sie das an der Universität nicht<br />

gelernt haben. Ich glaube, daß der Begriff eine Projektionsfläche für fiktive <strong>und</strong> vage Vorstellungen<br />

darüber ist, was jemand kann oder nicht kann wenn er die Universität verläßt. Ich habe mich damit<br />

auseinandergesetzt. Jemand von den Volkshochschulen hat über Sokrates so ein Projekt ‘General<br />

and Cultural Education’. Da geht es um die Frage, wenn man Erwachsenenbildung anschaut, was<br />

müßte man da mitgeben um sie – unter Anführungszeichen –fit für den veränderten Kontext zu<br />

machen. Sie haben mich dann gebeten mitzuarbeiten insbesondere um einen theoretischen<br />

Rahmen zu fixieren, um den Begriff der Bildung in Zusammenhang mit Produktionsbedingungen in<br />

den Griff zu bekommen. Die Idee dahinter ist, daß zusammen Projekte in verschiedenen Ländern<br />

gemacht werden. Das Projekt, das ich vorgeschlagen habe, <strong>und</strong> das wir auch versuchen werden<br />

durchzuziehen, ist einfach aus den Sozialwissenschaften, aus den Geisteswissenschaften<br />

Absolventen zu nehmen <strong>und</strong> die ein Jahr zusammenzuholen in Projektarbeit <strong>und</strong> als Projektarbeit<br />

diese Leute in Firmen zu schicken, um herauszufinden, wo begegnen sie diesem Widerstand oder<br />

inwieweit ist das nur Fiktion. Das Ganze wird einerseits als großes kooperatives Forschungsprojekt<br />

aufgezogen, um ihnen dadurch bestimmte Fähigkeiten <strong>und</strong> skills mitzugeben <strong>und</strong> andererseits um<br />

für uns zu lernen, worin besteht diese Fiktion Praxisnähe. Ich glaube, daß es ist ein ganz weites<br />

Stück nur Fiktion ist. Wenn die Leute sagen, wir brauchen kommunikationsfähigere Absolventen.<br />

Und wenn ich dann sage, was verstehen sie darunter <strong>und</strong> er dann sagt, naja, er sollte Sprachen<br />

können. Dann weiß ich als Universität, daß ich nicht dazu da bin, ihnen Französisch, Englisch,<br />

Spanisch oder noch eine Ostsprache beizubringen. Ich sehe mich nicht in dieser Aufgabe <strong>und</strong> ich<br />

kann diese Aufgabe auch gar nicht aus meiner Sicht <strong>und</strong> soll es auch gar nicht übernehmen. Das<br />

heißt, man müßte nachdenken, welche Begleitformen der Ausbildung dann notwendig sind. Der<br />

österreichische Bildungssektor ist da völlig unterentwickelt. Ich glaube, daß wir unsere Lehre<br />

verbessern können, ich glaube, daß wir mehr auf die Sprechfähigkeit der Leute achten sollten, sie<br />

aufmerksam machen sollten – viel früher – wie sie schreiben, wie sie Dinge strukturieren, wie sie<br />

lesen lernen. Bei den mündlichen Prüfungen sieht man das sehr schön, wo sie Papiere gelesen<br />

haben müssen, wo man draufkommt, die Leute können nicht einmal ein Papier zusammenfassen in<br />

vier Minuten. Wenn ich frage, was ist eigentlich die zentrale Aussage dieses Papiers? Schweigen!<br />

Sie können es nacherzählen. Das sind Fähigkeiten, die wir sehr wohl beibringen können. Ich sehe<br />

mich aber außerstande den Leuten den Französisch-, den Spanisch-, <strong>und</strong> den Ungarischunterricht<br />

mitzugeben <strong>und</strong> das ist auch nicht unsere Aufgabe. Dazu sollte es einen anderen Sektor geben. Ich<br />

glaube, daß dieser Praxisbegriff der Diskussionskristallisationspunkt ist <strong>und</strong> der könnte auch anders<br />

lauten aus meiner Sicht. Es ist so, daß das Gefühl entstanden ist, daß die Universität sich ein Stück<br />

weit zu selbständig gemacht hat, das ist meine Einschätzung, <strong>und</strong> daß man versucht, über diesen<br />

Praxisbegriff die Universität wieder zurückzuholen in irgendeine Form von– Kontrolle ist zu viel<br />

gesagt –, in irgendeine Form von Überschaubarkeit. Dieser Praxisbegriff ermöglicht <strong>und</strong> erlaubt<br />

dann Partizipation. Im Gr<strong>und</strong>e geht es um die Frage der Partizipation, wer darf wo mitreden. Das<br />

wird generell neu gemischt, habe ich das Gefühl. Das kann man an sehr vielen Bereichen<br />

beobachten, wo man darüber nachdenken muß, kommen wir mit den klassischen Denkformen der<br />

Partizipation aus. Habe ich ein ethisches Problem setze ich eine Ethikkommission ein – ist das noch<br />

was, was funktioniert? Oder ist das nicht was, was noch in den 60er Jahren funktioniert hat, aber<br />

was heute keine Glaubwürdigkeit mehr hat, was auch nicht wirklich greift. Daher kann ich diese<br />

Diskussion verstehen, vor diesem Hintergr<strong>und</strong>. Das man halt den Begriff der Praxis so in den<br />

Vordergr<strong>und</strong> gerückt hat, weil das die Form der Legitimation ist, die die Universität braucht um noch<br />

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