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Arabien Rhapsodie das Schicksal - Bilder-Erlebnis

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S. R e m i n d a<br />

<strong>das</strong> <strong>Schicksal</strong><br />

veröffentlicht durch <strong>Bilder</strong>-<strong>Erlebnis</strong>.de


© S. Remida Remida<br />

<strong>Arabien</strong> <strong>Arabien</strong> R<strong>Rhapsodie</strong><br />

R apsodie<br />

manchmal schlägt <strong>das</strong> <strong>Schicksal</strong> so unvermittelt zu,<br />

als wolle es damit denjenigen herausfordern.<br />

Doch bietet man Paroli, wer kann schon ahnen,<br />

was dann geschieht ....<br />

S. Remida<br />

Seite 1


© S. Remida Remida<br />

Kapitel I<br />

Sinia ließ den Hörer auf die Gabel sinken. Heiß stieg die Angst in ihr hoch. Die Angst um ihren Mann,<br />

dessen Foto vor ihr auf dem Telefontisch unter ihren hochsteigenden Tränen verschwamm. Früh<br />

morgens hatte sie noch mit Chris telefoniert. Er hatte sich nach den vier Wochen Aufenthalt in diesem<br />

fremden Land so auf <strong>das</strong> Wiedersehen mit ihr und den drei Kindern gefreut. Bis spätestens<br />

23.00 Uhr meinte er, daheim zu sein, und jetzt dieser Anruf...<br />

Eine Sekretärin der ICT - International Chemie Technologie Cie - hatte ihr soeben geschäftig mitgeteilt,<br />

<strong>das</strong>s nach ersten unbestätigten Informationen eine Technikergruppe der ICT, der auch ihr Mann<br />

angehöre, wahrscheinlich von Rebellen entführt worden sei. Sie brauche sich jedoch keine Sorgen zu<br />

machen, da man bereits alles Erdenkliche zur Befreiung der Männer unternähme. In der nächsten<br />

halben Stunde würde ein leitender Mitarbeiter bei ihr vorbeikommen, um nähere Auskunft zu geben.<br />

Nun erinnerte sich Sinia auch wieder an die kurze Meldung vorhin in den 14.00 Uhr-Nachrichten im<br />

Radio, in der von einem Überfall auf eine Gruppe ausländischer Mitarbeiter eines Unternehmens<br />

durch Anhänger der somalischen Befreiungsorganisation die Rede gewesen war. Noch nie war der<br />

Fünfunddreißigjährigen der Gedanke gekommen, <strong>das</strong>s sich mit einer Nachrichtenmeldung ihr<br />

<strong>Schicksal</strong> verbinden könnte. Blutige <strong>Bilder</strong> stiegen vor ihrem geistigen Auge hoch und ließen sie frösteln.<br />

Nein, es wird schon alles gut gehen, versuchte sie sich zu beruhigen, die ICT war immerhin ein<br />

weltweit renommiertes Unternehmen mit großem Einfluß.<br />

Sinia wischte sich die Augen und strich sich durch ihr strähniges, schulterlanges dunkelblondes Haar,<br />

<strong>das</strong> nur noch teilweise von einem Gummiband zusammengehalten wurde. Die muß ich mir auch noch<br />

waschen, fiel ihr dabei wieder ein. Dann sah sie von dem offenen Esszimmer in <strong>das</strong> geräumige<br />

Wohnzimmer. Wie es hier aussah! Und gleich wollte jemand von der Firma herkommen und dabei<br />

war noch nichts aufgeräumt, noch nicht durchgesaugt und, oh je, der Kuchen mußte aus dem Backofen.<br />

Von ihrem praktischen Sinn getrieben, eilte sie in die Küche, holte den Kuchen heraus, rief ihre<br />

Tochter Anja, die ihre Spielsachen aus dem Wohnzimmer räumen sollte und während die Sechsjährige<br />

nur widerwillig und unter jeder Menge Ausreden der Aufforderung ihrer Mutter zögerlich nachkam,<br />

saugte diese durch und räumte dabei auch noch einiges, was sonst noch herumlag, eilig an seinen<br />

Platz. In Gedanken hakte sie die schon erledigten Arbeiten ab. Morgens hatte sie schon eingekauft,<br />

die Betten frisch bezogen, gleich die Wäsche gewaschen und schon mit dem Bügeln begonnen, als<br />

dieser Anruf kam.<br />

„Warum muss ich denn jetzt aufräumen, Papa kommt doch erst heute Nacht!", meckerte Anja, als<br />

ihre Mutter auf der Treppe an ihr vorbeirannte.<br />

„Weil gleich jemand kommt und es etwas ordentlich aussehen soll, klar? Hier, trag <strong>das</strong> noch hoch in<br />

dein Zimmer."<br />

„Nadine braucht nie zu helfen!", schimpfte Anja.<br />

„Die ist noch klein und du übernimmst dich schon nicht, wenn du auch ein paar Spielsachen von ihr<br />

hochträgst. Magst du nicht draußen mit Nadine spielen, solange nachher der Mann da ist?"<br />

„Ich gehe lieber zu Petra rüber, kann ich?", fragte Anja.<br />

Sinia gab schnell nach. „Ja, geh nur."<br />

Durch die Terrassentür kam mit sandigen Schuhen Nadine.<br />

„Oh nein, Kind zieh deine Schuhe aus, ich habe gerade durchgesaugt!", rief Sinia.<br />

„Ich will dir nur meinen Kuchen zeigen, den ich gemacht habe. Und jetzt brauch ich noch Wasser",<br />

erklärte ihre vierjährige Tochter eifrig, und hielt ihr einen sandigen Eimer entgegen.<br />

„Bleib da stehen, ich hol dir Wasser!"<br />

Dann vertröstete sie die Kleine, <strong>das</strong>s sie später den Kuchen bewundern würde, jetzt aber erst ihr<br />

Brüderchen aus seinem Bettchen holen und ihm etwas zu essen geben müsse. Von dem Obergeschoß<br />

drang schon lautes Schreien herunter und Sinia eilte hinauf, ihr aufgewachtes Kind aus den<br />

'Fängen der Einsamkeit' zu befreien.<br />

Seite 2


Es war viertel vor drei, als sie eine Autotür klappen hörte und ging, ihren Sohn beruhigend wiegend,<br />

zum Fenster. Ein schwarzer Mercedes stand in der Einfahrt des Reihenhauses und ein älterer dicker<br />

Mann ging gemächlich zur Haustür, während er bemüht war, seinen Hosenbund in einer nicht mehr<br />

vorhandenen Taille zu plazieren und den Sitz des Schlipses sowie des Jacketts zu ordnen. Noch nie<br />

hatte Sinia diese Marotte, die viele Männer an sich haben, störender und lächerlicher empfunden als<br />

jetzt. Sie fühlte eine panische Angst zurückkommen und mit weichen Knien stieg sie die Treppe hinab.<br />

„Liebes, jetzt musst du noch etwas auf dein Essen und ein trockenes Höschen warten", flüsterte sie<br />

Andy ins Ohr. Dann öffnete sie die Haustür. Ihren grünen Augen war die Sorge abzulesen.<br />

Während der Mann sich mit der linken Hand sein Jackett zuknöpfte, streckte er ihr die rechte entgegen<br />

und musterte ihren alles andere als eleganten Aufzug. Was die verwaschenen Jeans zu eng<br />

waren, war <strong>das</strong> ausgeleierte Sweatshirt zu weit. „Guten Tag, Frau Martin. Mein Name ist Gerber. Ich<br />

bin Personaldirektor bei der ICT. Sie wissen schon Bescheid?"<br />

Dann folgte er ihr ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen, während Sinia entschuldigend<br />

etwas von noch nicht ganz fertig aufgeräumt stammelte.<br />

„Na junger Mann, wie alt sind wir denn?", wandte er sich an Andy, der sich vorsichtig aus den Armen<br />

seiner Mutter befreite. Sinia erklärte, <strong>das</strong>s er achtzehn Monate alt sei und beantwortete auch brav die<br />

Fragen zu ihren beiden anderen Kindern. Ihre Nerven flatterten. Endlich steuerte Herr Gerber auf den<br />

eigentlichen Grund seines Besuches hin. Er erzählte von dem für jene Region so wichtigem pharmazeutischen<br />

Projekt, an dem auch ihr Mann seinen unschätzbaren Beitrag leiste, von der politischen<br />

Instabilität dieser Staaten, aber auch den besonderen Sicherheitsgarantien, die stets mit den jeweiligen<br />

Regierungen ausgehandelt würden und nun zum Tragen kämen. Er ließ sich über die unberechenbaren<br />

anarchistischen Wirrköpfe aus und verwies flüchtig auf die Verhandlungsstrategie des<br />

Unternehmens in enger Absprache mit der deutschen, amerikanischen, und somalischen Regierung.<br />

Dann schloss er: „Je weniger Publicity diese Leute haben, desto eher geben sie nach. Wir haben<br />

diesbezüglich auch die Zusicherung der Medien, Zurückhaltung in dieser Sache zu üben. Ich gehe<br />

davon aus, <strong>das</strong>s auch Sie gegenüber anderen Stillschweigen in dieser Angelegenheit wahren. Jede<br />

Veröffentlichung in dieser Erpressungssache kann unsere Position schwächen und unsere Bemühungen<br />

gefährden. Sie haben mich verstanden?" Herr Gerber stand auf und verabschiedete sich mit<br />

den aufmunternden Worten: „Kopf hoch, es wird schon alles gut gehen, verlassen Sie sich auf uns!"<br />

Nachdem er gegangen war, fiel Sinia auf, <strong>das</strong>s er nichts über die Motive der Entführer, deren Forderungen<br />

und ob darauf eingegangen werde, gesagt hatte. Ja, nicht einmal, wie somalische Terroristen<br />

an die in Äthiopien eingesetzte Ausländergruppe geraten konnten. Im Grunde wußte sie genauso viel<br />

wie zuvor, nämlich nichts.<br />

Während sie ihrem Kind die Windeln wechselte und dann sein gewärmtes Essen gab, grübelte sie,<br />

was sie von diesem Gerber und seinen Ausführungen halten sollte.<br />

Nadine kam wieder herein gerannt, eine zweite Spur aus nassem Sand folgte ihr. „Mama, wo bleibst<br />

du denn, wie lang muß ich noch warten?"<br />

„Siehst du, jetzt macht sie alles wieder dreckig", schrie Anja, die hinter ihrer kleinen Schwester hergelaufen<br />

kam. „War <strong>das</strong> der Mann, Mama? Was hat er gewollt?"<br />

Sinia sah auf ihren zufrieden in seinem Essen herumschmierenden Jungen, auf ihre Töchter, von<br />

denen die jüngere voller Sand war, dann wanderte ihr Blick zu den sandigen Tapsen auf dem Parkett.<br />

Langsam füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie schluckte. Sie wollte sie vor den Kindern unterdrücken,<br />

aber es klang wie ein Schluchzer. Sinia konnte sich nicht mehr beherrschen. Laut weinend verbarg<br />

sie ihr Gesicht in ihren Händen. Bestürzt liefen die Mädchen zu ihr. „Mama, was ist los?" „Warum<br />

weinst du? Ist es wegen dem Sand von Nadine?“<br />

„Ich mach ihn auch wieder weg!"<br />

Ihre Mutter rang nach Luft. „Papa kommt heute nicht!"<br />

„Dieser Dicke ist dran schuld, nicht?", entfuhr es Anja wütend.<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 3


Auch Andy schaute nun gespannt zu den dreien, um nach kurzem Überlegen in ein wehklagendes<br />

Schreien auszubrechen. Sinia hob ihn aus seinem Hochstuhl und nahm ihn in den Arm. „Nein, dieser<br />

Mann hat mir <strong>das</strong> nur gesagt." Tränen strömten über ihr Gesicht. Sie ging hinüber ins Wohnzimmer<br />

und setzte sich auf die Couch, ihre beiden Mädchen setzten sich rechts und links neben sie.<br />

„Warum kommt Papa nicht?", fragte Nadine mit weinerlicher Stimme.<br />

„Man lässt ihn noch nicht heim!"<br />

„Und ich hab so einen schönen Kuchen gemacht", jammerte Nadine enttäuscht.<br />

„Wer lässt ihn nicht heim?", erkundigte sich Anja sachlich.<br />

Sinia dachte an die Warnung von diesem Gerber, stillzuschweigen und schüttelte nur den Kopf.<br />

„Dann holen wir Papa doch einfach!", glaubte Anja die rettende Idee zu haben.<br />

„Wenn es nur möglich wäre", schluchzte Sinia resigniert.<br />

Nadine streckte ihr ihr sandiges Händchen hin und öffnete es geheimnisvoll. Lauter kleine sorgfältig<br />

ausgesuchte weiße Steinchen lagen darin. „Die wollte ich auf den Kuchen machen. Hier, ich schenk<br />

sie dir", versuchte die Kleine ihre Mutter zu trösten. Unter Tränen lächelnd übernahm sie <strong>das</strong> wertvolle<br />

Geschenk. Eng umschlungen blieben sie sitzen und weinten weiter um den Ehemann und Vater,<br />

der nicht zu ihnen kommen durfte.<br />

© S. Remida Remida<br />

*******<br />

Fünf Tage waren inzwischen vergangen. Jeden Tag hatte Sinia in der Firma angerufen, um sich über<br />

den neuesten Stand der Verhandlungen zu informieren. Aber schon seit dem dritten Tag, wurde sie<br />

<strong>das</strong> Gefühl nicht los, <strong>das</strong>s ihre besorgten Anfragen den Leuten lästig zu werden schienen und man<br />

sie nur hinhielt. Es war an der Zeit, Klarheit zu bekommen. Sie hatte ihre Kinder zu ihrer Mutter gebracht<br />

und saß nun endlich Herrn Gerber in einem nüchtern eleganten Besprechungsraum im ICT -<br />

Verwaltungsgebäude gegenüber. Er hatte ihre Hartnäckigkeit unterschätzt und sie nach stundenlangem<br />

Hinhalten und Ausflüchten seiner Sekretärin schließlich doch empfangen. Sinia spürte trotz seines<br />

jovialen Auftretens seine ablehnende Haltung ihr gegenüber.<br />

„Tja, meine liebe Frau Martin, anscheinend glauben Sie mit Ihren ständigen Anrufen die Lösung der<br />

recht komplexen und schwierigen Angelegenheit beschleunigen zu können. Ich muß Ihnen leider sagen,<br />

<strong>das</strong>s Sie uns damit gewiß nicht helfen, ganz im Gegenteil... Weshalb leben Sie nicht wie bisher<br />

weiter, kümmern sich um Ihre Kinder und bereiten schon mal alles für die Rückkehr Ihres Mannes<br />

vor, na? Und uns überlassen Sie <strong>das</strong>, wovon wir mit Sicherheit mehr verstehen. Sie dürfen mir glauben,<br />

<strong>das</strong>s wir wirklich alles unternehmen was möglich und nötig ist und Sie über jede neue Entwicklung<br />

informiert werden! Oder - vertrauen Sie uns etwa nicht?"<br />

„Doch, doch! - - Tut mir leid, <strong>das</strong>s ich Sie und die Damen dauernd belästige. - - Aber was kann ich<br />

sonst tun, ich mache mir doch Sorgen, verstehen Sie <strong>das</strong> nicht?", versuchte sich Sinia zu rechtfertigen.<br />

„Natürlich verstehe ich <strong>das</strong>!"<br />

„Und außerdem bin ich ja wohl nicht die einzige, die um ihren Mann Angst hat!", fügte sie noch rasch<br />

hinzu. Ihr Gegenüber wiegte den Kopf. „Im Grunde - doch. Sehen Sie, normalerweise suchen wir für<br />

unsere Auslandsaufträge unabhängige Leute, denen es nichts ausmacht, wenn nötig, auch länger<br />

dort zu bleiben. Da es sich hier nur um einen relativ kurzen Zeitraum handelte und Ihr Mann sich für<br />

einen ausgefallenen Kollegen selbst anbot und wir leider sonst niemanden verfügbar hatten, hat die<br />

Geschäftsleitung schließlich zugestimmt. Niemand konnte ahnen, <strong>das</strong>s so etwas passiert! Wenn Sie<br />

so wollen, sind Sie zum Glück unser einziges - Problem!"<br />

„Oh Gott!", hauchte Sinia. „Es ist dieses Warten! Ich habe allen erzählt, <strong>das</strong>s im letzten Moment noch<br />

etwas dazwischenkam und Chris auf unbestimmte Zeit noch dort bleiben müsse und <strong>das</strong>s er sich<br />

regelmäßig meldet..." Ihre Stimme erstickte in den Tränen. Sie schluckte, aber es half nichts, weinend<br />

sank sie in dem sesselartigen Stuhl zusammen.<br />

„Na, na, <strong>das</strong> haben Sie doch ganz richtig gemacht. Ich bin stolz auf Sie. Jetzt beruhigen Sie sich wieder,<br />

es wird schon werden!"<br />

„Niemand sagt mir, wie die Verhandlungen laufen, ob ich irgend etwas tun könnte, wie lange es noch<br />

dauert!", heulte sie aufgelöst.<br />

Seite 4


„Glauben Sie mir, es sieht gut aus. Unsere Regierung ist in ständigem Kontakt und wenn Sie unbedingt<br />

etwas tun wollen, dann beten Sie doch einfach!"<br />

Sinia sah Herrn Gerber ungläubig an. Nein, er konnte sich doch nicht über sie lustig machen? Verunsichert<br />

stand sie auf. „Wissen Sie, ich werde verrückt, wenn ich einfach nur warte! Erlauben Sie mir<br />

hier anzurufen, wenn ich nichts von Ihnen höre, bitte!", bettelte Sinia wie ein kleines Kind.<br />

Väterlich strich Herr Gerber über ihren Kopf. „Aber natürlich! Noch ein guter Rat, versuchen Sie einfach<br />

an <strong>das</strong>, was Sie den Leuten erzählt haben, zu glauben. Es wird Ihnen helfen, darüber hinweg zu<br />

kommen, ja?"<br />

Eingeschüchtert und voller Zweifel verließ Sinia <strong>das</strong> eindrucksvoll verglaste Verwaltungshochhaus<br />

der ICT. Benahm sie sich tatsächlich so verrückt, oder wollte man es ihr nur einreden?<br />

© S. Remida Remida<br />

*******<br />

Auch zwei Tage später hatte die ICT noch nichts von sich hören lassen, so <strong>das</strong>s Sinia sich wieder<br />

meldete mit dem schon bekannten Ergebnis. Nach durchwachter Nacht war sie schließlich zu dem<br />

Schluß gekommen, sich direkt an einen kompetenten Politiker zu wenden. So fuhr sie schon in aller<br />

Frühe nach Bonn, nachdem sie ihre Kinder mit der Ausrede, Besorgungen machen zu müssen, erneut<br />

bei ihrer Mutter untergebracht hatte.<br />

Zum zweiten Mal nach drei Stunden Odyssee durch unzählige Vorzimmer und Abteilungen, x-mal<br />

sich ausgewiesen und ihr Anliegen geschildert, fand sie sich erneut vor der ältlichen Sekretärin wieder,<br />

die ihr den Rücken zugewandt eifrig tippte. Schließlich drehte die sich um. „Waren Sie nicht<br />

schon einmal hier?"<br />

„Ja, nachdem ich durch <strong>das</strong> gesamte Haus geschickt wurde bis wieder hier her", erklärte Sinia flapsig.<br />

„Der Herr Minister ist, wie ich Ihnen schon sagte, nicht zu sprechen. Ich bitte Sie also, <strong>das</strong> Zimmer zu<br />

verlassen. Sie können Ihr Anliegen ja schriftlich einreichen."<br />

„Ich warte!"<br />

„Der Herr Minister ist aber nicht im Hause. Möchten Sie Ihr Schreiben hier verfassen, dann gebe<br />

ich..."<br />

„Ich sagte, ich warte! Schließlich habe ich seine Partei gewählt! Wird sich doch jemand finden, mit<br />

dem ich reden kann", unterbrach Sinia und hoffte, <strong>das</strong>s ihre nicht nachprüfbare Begründung seine<br />

Wirkung nicht verfehlte.<br />

Die Sekretärin drehte sich genervt um. Nach einer Weile telefonierte sie im Flüsterton. Sinia überlegte,<br />

ob gleich ein Wachposten sie hinauswerfen würde. Doch dann erschien ein junger Mann, der sich<br />

als ein Mitarbeiter mit Namen Volker Maier vorstellte und sie in sein Zimmer führte. Nachdem er grinsend<br />

ihre Hartnäckigkeit erwähnt hatte, erkundigte er sich nach ihrem Anliegen und ließ sich ihre Geschichte<br />

geduldig erzählen. Bedächtig antwortete er, sie möge ihm ein paar Tage Zeit lassen, damit<br />

er sich kundig machen könne. Er werde sich dann melden, versprach er und Sinia fühlte auf der langen<br />

Heimfahrt so etwas wie Hoffnung aufkeimen. Es war schon dunkel, als sie bei ihrer Mutter ankam<br />

und aufgekratzt deren unterschwelligen Vorwurf ob des langen Ausbleibens, mit ungenauen<br />

Ausflüchten entgegnete.<br />

*******<br />

Schon drei Tage später saß Sinia zur Mittagszeit in einem gemütlichen Restaurant außerhalb Bonns<br />

erneut Volker Maier gegenüber. Er hatte sie am Abend zuvor angerufen und seine Auskünfte waren<br />

so verworren, <strong>das</strong>s Sinia kurzerhand auf diesem Treffen bestand.<br />

„Bestellen Sie, was Sie möchten, ich lade Sie ein!", erklärte Sinia, während ihr Gegenüber in der<br />

Speisekarte blätterte.<br />

„Das ist nicht nötig, Frau Martin. Ich wäre nicht hier, wenn Sie mir nicht irgendwie leid täten und na ja,<br />

ich Sie nicht sympathisch fände. Ich will Ihnen gerne helfen, soweit es mir durch meine Verbindungen<br />

möglich ist." Er blickte von der Karte hoch. „Die ganze Sache ist recht, mh, ungewöhnlich."<br />

Seite 5


Der Kellner nahm ihre Bestellungen entgegen und dann sah Sinia den jungen Mann gespannt an.<br />

„Erzählen Sie mir bitte alles noch einmal, am Telefon hatte ich bald den Durchblick verloren."<br />

Er grinste kurz. Mit ernster Miene wiederholte er nochmals, was er in Erfahrung gebracht hatte: Es<br />

gehe wohl um eine Industrieanlage in Somalia, nicht Äthiopien. Da es sich um ein Projekt unter amerikanischer<br />

Leitung handle, trete der Vertreter der deutschen Regierung nur für seine entführten<br />

Landsleute in Erscheinung, wobei <strong>das</strong> Unternehmen allein über - er wisse nicht welche - Bedingungen<br />

und ein Lösegeld verhandle.<br />

Er machte eine Pause, solange der Kellner <strong>das</strong> Essen servierte. Nach dem ersten Bissen erzählte er<br />

weiter, <strong>das</strong>s die Entführer jedoch beides immer wieder zu ändern scheinen, so <strong>das</strong>s die ICT nun<br />

drohe, nur noch über die somalische Regierung Kontakt halten zu wollen, was aber ein Affront für die<br />

Terroristen wäre, da sie ihre Regierung ja bekämpften.<br />

So sei <strong>das</strong> leider in der Politik, schloss er und schob sich einen neuen Bissen in den Mund. Sinia<br />

hatte ihren Salatteller nicht angerührt. Ihr war schlecht.<br />

„Und es soll wirklich niemanden geben, der helfen könnte?", fragte sie sorgenvoll.<br />

„Sagte ich doch schon", er trank einen Schluck. „Wir müssen schließlich auch unsere Interessen<br />

wahren!" Das wollte Sinia genauer wissen und Volker Maier begann herumzudrucksen, <strong>das</strong>s die Befreiungsorganisation<br />

aus irgendwelchen Gründen von Zeit zu Zeit von einem Vertrauten des irakischen<br />

Präsidenten unterstützt würde und jener daher wohl der einzige sei, der mit ihnen sprechen<br />

und wohl auch etwas erreichen könne. Man mag ihn da aber nicht hineinziehen, weil er damit nichts<br />

zu tun habe und seine Regierung keinen Verhandlungsvorteil bei künftigen Projektierungen von deutschen<br />

Anlagen in seinem Land erhalten solle, wenn die Sanktionen denn mal aufgehoben werden<br />

würden. Außerdem würden die Amerikaner den Deutschen <strong>das</strong> sehr verübeln, sie kenne ja deren<br />

Verhältnis zum Irak. Es stünden eben enorme wirtschaftliche, finanzielle und politische Erwägungen<br />

zur Disposition. „Zu dumm, <strong>das</strong>s es sich hier ausgerechnet um dieses Land handelt!“<br />

„Heißt <strong>das</strong>, <strong>das</strong>s aus kommerziellen Gründen oder politischen Rücksichten, die morgen schon hinfällig<br />

sein können, Menschenleben einfach verschachert werden?", fragte Sinia sarkastisch. Ihr Gegenüber<br />

wand sich und versuchte abzuwiegeln.<br />

„Und wenn ich mich an diesen Typ wenden würde?", fragte sie in einem Anflug von Trotz.<br />

„Wie, ihn anrufen oder schreiben? Können sie arabisch? Nein, nein, er ist für Sie als Frau sowieso<br />

tabu!" amüsierte er sich.<br />

„Vielleicht finde ich einen Weg", beharrte sie nun störrisch, als könne sie schon allein durch dies unmögliche<br />

Ansinnen ein Beschleunigen der Verhandlungen erzwingen.<br />

Volker Maier starrte sie an, ob es ihr ernst war? „Sie haben ja keine Ahnung von diesen Menschen,<br />

man würde Sie geringstenfalls auslachen und wenn Sie Glück haben wieder nach Hause schicken.<br />

Überlassen Sie <strong>das</strong> Profis!"<br />

„Ja, nur welchen! Wie hieß dieser Vertraute doch gleich?"<br />

„Glauben Sie, <strong>das</strong> hilft Ihnen weiter?"<br />

„Ja!", sagte sie mehr zu sich. „Es würde ein Stück dieser unerträglichen Anonymität nehmen. Ich<br />

weiß weder wie meine Gegner aussehen oder heißen, noch wem ich vertrauen kann, außer Ihnen!<br />

Das macht mich wahnsinnig, können Sie <strong>das</strong> nicht verstehen?"<br />

„Ich hätte Ihnen <strong>das</strong> alles besser nicht sagen sollen, außerdem sind <strong>das</strong> absolut vertrauliche Informationen!"<br />

Der Behördenmitarbeiter sah Sinia nachdenklich an.<br />

„Doch, es ist gut zu wissen, was da vorgeht. Dieses Gespräch hat nie stattgefunden, okay. Machen<br />

Sie sich also keine Gedanken. Ich werde immer in Ihrer Schuld stehen." Sinia senkte ihren Blick,<br />

schluckte und sah ihn verzweifelt wieder an. „Nur noch seinen Namen, einfach nur für mich, bitte!"<br />

„Wenn Sie dann besser schlafen können. - Er heißt Rashid Safar!" gab ihr Gegenüber nach.<br />

Es wurde Zeit, zu gehen. Sinia bezahlte und bat Volker Maier inständig, ihr jede neue Entwicklung<br />

mitzuteilen, was er schließlich versprach, bevor sie sich trennten.<br />

© S. Remida Remida<br />

*******<br />

Zwei Wochen war Chris nun schon in den Händen der Terroristen und es gab keinerlei neue Informationen.<br />

Seite 6


Indes, Sinia wurde den Namen Rashid Safar nicht mehr los. Tag und Nacht spukte er durch ihre Gedanken<br />

und mit wachsender Verzweiflung nahm eine Idee allmählich konkrete Formen an. Sie wollte<br />

diesen ominösen Rashid Safar kennen lernen und persönlich um Hilfe bitten! Wie er wohl aussehen<br />

mochte? Es war Zeit, mit den Vorbereitungen zu beginnen. Bald hatte sie in einer Buchhandlung ein<br />

paar aktuelle Fotografien von dem fast fünfzigjährigen Iraker in verschiedenen Sachbüchern entdeckt.<br />

Wenn er auf den ersten Blick auf sie auch wenig vertrauenerweckend wirkte, so wollte sie sich<br />

doch sein Aussehen genau einprägen, sein rundliches Gesicht mit dem schwarzen Oberlippenbart<br />

und den kurzgeschnittenen schwarzen Haaren, seine dunkeln Augen mit dem mal listigen, mal eher<br />

spöttischen Blick und dem schmalen Mund. Sein Teint erinnerte Sinia eher an einen sonnengebräunten<br />

Europäer als an einen Orientalen. Zudem schien er recht groß und von stattlicher Gestalt.<br />

Nun brauchte sie nur noch einige der wichtigsten arabischen Wörter und ein paar Handgriffe zu beherrschen,<br />

um sich etwas verständigen aber auch wehren zu können. Ansonsten mußten ihre dürftigen<br />

Englischkenntnisse und eine riesige Portion Glück reichen!<br />

Da sie in der Nähe von Heidelberg wohnte, bot es sich direkt an, unter der Studentenschaft nach jemand<br />

Ausschau zu halten, der des Arabischen mächtig war. Nachdem Sinia einige Male mit ihren<br />

Kindern in der Nähe der Uni Erkundungsgänge unternommen hatte, entschied sie sich für eine kleine<br />

gemütliche Kneipe mit Straßencafé, an der die meisten Studenten vorbeigehen mussten und die<br />

deshalb auch stets von jungen Leuten gut besucht war.<br />

Ihre Kinder hatte sie erneut bei einer Freundin untergebracht. Den zweiten Mittag saß sie nun schon<br />

hier im Freien vor einer Tasse Kaffee, genoß die erste warme Maisonne und beobachtete die jungen<br />

Leute, die in Gruppen, einzeln oder zu zweit an ihr vorbeikamen. Sie erkannte Neger, Asiaten, Dunkelhäutige<br />

mit teils pechschwarzen Haaren, doch wer kam aus dem arabischen Raum? Mit ihrem<br />

Pferdeschwanz, kurzem Blazer, Jeans und Turnschuhen sah sie selbst noch fast wie eine Studentin<br />

aus.<br />

Ein junger blondmähniger Kerl stellte sich ihr breit in die Sonne. „Ist hier noch frei?"<br />

Sinia nickte und sah wieder zur Straße. Er wollte gleich wissen, ob sie auch hier studiere, ob sie auf<br />

jemanden bestimmten warte, er ihr dabei helfen, oder gar gleich als Ersatz einspringen könne. Unverbindlich<br />

antwortete sie und flunkerte etwas von einer Studie vor über den 'Status des Studenten<br />

als Schüler und Erwachsener in seinem sozialen Umfeld unter besonderer Berücksichtigung seiner<br />

diversen Abhängigkeiten im Verhältnis zu gleichaltrigen Arbeitnehmern', was den Blondschopf zu<br />

provozierenden Äußerungen veranlaßte. Cool unterbrach Sinia ihn, ihr fehlten nur noch die Ansichten<br />

der aus dem Nahen Osten stammenden Studentengruppe, ob er denn keinen reichen Saudi kenne.<br />

Seine Enttäuschung war unübersehbar. Ein paar Jungs und Mädchen kamen an ihren Tisch. Eine rief<br />

gleich: „Hey, Werwolf, hast du ein neues Opfer gefunden?"<br />

„Ihr glaubt es nicht, aber die Puppe steht auf Ölscheichs!", erklärte der Typ lautstark. Die Gruppe<br />

organisierte noch ein paar Stühle und setzte sich an den Tisch. Gleich überboten sie sich in starken<br />

Sprüchen über Sinias vermeintliche Vorliebe und versuchten die ihnen unbekannte junge Frau zu<br />

reizen.<br />

„Wenn ich euch früher kennengelernt hätte, hätte ich mich sicher für eine Abhandlung über Ursachen<br />

und Auswirkungen des infantilen Gruppenverhaltens in pseudo-elitären Möchte-gern-<br />

Akademikerkreisen entschieden. Aber für meine Studien seid ihr bedauerlicherweise nicht zu gebrauchen!"<br />

Sinia stand verärgert auf, entwand sich ein paar Händen, die sie halten wollten und hörte gerade<br />

noch, wie eine auf den entdeckten Ehering mit einer hämischen Bemerkung reagierte.<br />

Jeglicher Motivation beraubt und an ihrem einzigen und wie sie mal glaubte guten Plan zutiefst zweifelnd,<br />

trottete sie durch die engen Gassen.<br />

„He, du suchen ausländische Student?", hörte Sinia hinter sich eine leise hart klingende Männerstimme.<br />

Sie drehte sich um und sah in ein junges bleiches Gesicht aus dem sie zwei graue Augen<br />

aufmerksam musterten.<br />

„Ich bin aus Iran - geflohen!"<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 7


Sinia schüttelte lächelnd den Kopf und überlegte, ob er wohl Zeuge ihres Disputs mit den Studenten<br />

war. „Ich suche jemanden, der arabisch beherrscht."<br />

Der Fremde versuchte ihr einzureden, <strong>das</strong>s er der Richtige für egal was sei, merkte aber dann, <strong>das</strong>s<br />

sie nichts von ihm wissen wollte. Er griff ihren Arm. „Wenn du glauben, Araber besser, ich zeige, wo<br />

du finden? Du haben Auto?"<br />

Unsicher nickte Sinia. Sollte sie es riskieren, sich dem undurchsichtigen Fremden anzuvertrauen? Er<br />

grinste. „Angst? Ich dir nix tun. Wo steht Auto?"<br />

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen führte sie den Iraner zu ihrem Wagen und ließ sich von ihm<br />

aus der Stadt hinaus und durch ein waldiges Gelände dirigieren. Er schien Spaß an ihrer Furcht zu<br />

haben und behauptete nur, man käme so schneller und von den Anwohnern unbemerkt an <strong>das</strong> nur<br />

von Ausländern bewohnte Haus. Sinia begann möglichst ungezwungen von ihren Kindern zu erzählen<br />

und <strong>das</strong>s ihr Mann oft ins Ausland reisen müsse. Mitfühlend erkundigte sie sich nach den Umständen<br />

seiner Flucht und <strong>das</strong>s es ihr schon fünfzig Mark wert sei, wenn sie zum Arabischlernen jemand Ehrliches<br />

durch ihn fände. Die Atmosphäre entspannte sich und bald hatte sie <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s der Iraner<br />

von dem, was immer er auch vorzuhaben schien, abgelassen hatte.<br />

Über eine unbefestigte Straße lotste er sie wieder Richtung Heidelberg und durch ein verfallenes<br />

Fabrikgelände bis zu einem Hinterhof eines abbruchreifen vierstöckigen Wohnhauses. Neugierig sahen<br />

einige der umherstehenden dunklen Gestalten auf den staubigen fremden weißen VW-Caravan.<br />

„Komm mit!", sagte der Iraner. Beim Hineingehen legte er seine Hand auf ihre Schulter und führte sie<br />

durch den engen und von laut diskutierenden Gruppen verstellten Flur. Von Raunen und anerkennenden<br />

Pfiffen begleitet, gelangten die beiden schließlich in ein schäbiges Zimmer, in dem sich drei<br />

lange, klapperdürre Schwarze aufhielten. Zwei tanzten zu lauten Trommelrhythmen, der dritte saß auf<br />

einem Bett und klopfte ekstatisch auf seine Oberschenkel. Sinia verstand kein Wort, <strong>das</strong> ihr Begleiter<br />

mit den, keinen Moment ihre Woodoo - Beschwörung unterbrechenden Typen wechselte, sie spürte<br />

aber, <strong>das</strong> der Iraner ganz schön mit ihr anzugeben schien und diese schwarzen Kerle sie aus den<br />

Augenwinkeln aufmerksam musterten. Umständlich sah sie auf ihre Armbanduhr. „Ich muß leider<br />

gehen, sonst wird es mir zu...."<br />

„Nix gehen! Jetzt ich dir zeige guten Lehrer und bekomme 50 Mark?"<br />

Zwei Stockwerke höher, fast am Ende eines schier endlosen Ganges blieb er mit ihr vor einer Tür<br />

stehen und klopfte an. Sinia hatte in ihrer Handtasche längst ein Deospray umkrallt und war fest entschlossen,<br />

wenn nötig, es einzusetzen, obgleich sie weder eine Ahnung von seiner Wirkungskraft<br />

noch von einem sicheren Fluchtweg aus den Gemäuern hatte.<br />

„Hier ist dein <strong>Schicksal</strong>!", tönte ihr Begleiter, sichtlich stolz auf seine treffende Wortwahl. Vorsichtig<br />

öffnete sich die Tür. „Salam Aleykum, Ali, ich bring junge Frau. Will lernen arabisch!"<br />

Hinter der Tür erschien ein junger Araber, ungefähr so wie Sinia sich einen vorstellte, mit entfernter<br />

Ähnlichkeit eines Omar Sharif. Sein schmaler gedrungener Körper war in eine dicke Wolldecke gewickelt.<br />

Hüstelnd sagte er „Guten Tag", und ließ die beiden in sein Zimmer. „Er ist gute Mann und beste<br />

Lehrer. Du werden sehen! Jetzt er ist erkaltet, äh krank, aber nix schlimm!", erklärte der Iraner eifrig.<br />

„Hör auf! Mit deinem Deutsch beleidigst du ja unseren Gast!", fiel ihm der Kranke in bestem Deutsch<br />

heiser ins Wort. Er bot Sinia einen Sessel an. Während sie sich in dem mit bunten Decken und Tüchern<br />

behängten Raum mit seiner spärlichen Möblierung, die hinter und unter Bücherstapeln und<br />

allerlei Krimskrams aus seiner Heimat zu versinken drohte, irritiert umsah, bescheinigte sie nebenbei<br />

ihrem Begleiter ganz passable Deutschkenntnisse und <strong>das</strong>s es ihr schon reichen würde, halb so gut<br />

arabisch sprechen zu können. Die beiden Männer wechselten noch ein paar Worte, dann verabschiedete<br />

sich der Iraner, nachdem er den versprochenen Lohn von Sinia kassiert hatte. Der Araber<br />

stellte sich als Kahlil Mohammed vor und erklärte, <strong>das</strong>s sie ihn aber wie alle mit seinem Spitzname<br />

Ali anreden möge. Ali nach dem berühmten Boxer.<br />

Sein spitzbübisches Lächeln wich einem nachdenklichen Gesichtsausdruck. „Ich werde bestrebt sein,<br />

Ihren Ansprüchen genügen zu können. Sie müssen mir sagen, was Sie erwarten und wenn Sie mit<br />

mir nicht zufrieden sind!"<br />

© S. Remida Remida<br />

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„Ich bin nicht anspruchsvoll. Können Sie mir in möglichst kurzer Zeit den nötigsten Wortschatz beibringen?"<br />

„Sie wollen in ein arabisches Land?" Ali betrachtete sie aufmerksam und noch während Sinia eine<br />

Antwort überlegte, schüttelte er abwehrend den Kopf. „Sie brauchen mir nichts zu erklären, ja? Ich<br />

spüre, <strong>das</strong>s Sie ein ehrlicher Mensch sind und meine Hilfe verdienen. Können Sie Englisch?"<br />

„Nein, ein bißchen aus der Schule."<br />

„Wir sollten es zur Sicherheit auffrischen, weil es auch bei uns von manchen beherrscht wird im Gegensatz<br />

zu Ihrer Muttersprache!"<br />

Sinia wurde unsicher. „Ich bin kein Sprachgenie. Wenn es nicht funktioniert, dann hören..."<br />

„Na, na, lassen Sie uns doch erst mal anfangen. Wann dachten Sie?"<br />

Die beiden verabredeten sich auf den nächsten Nachmittag. Dann wurde es Zeit für Sinia.<br />

„Ich bringe Sie hinunter. Übrigens brauchen Sie meine Mitbewohner nicht zu fürchten, auch wenn<br />

mancher etwas verwegen aussieht."<br />

Sinia fühlte sich ertappt und beschämt. Mutig erklärte sie darum: „Ich finde allein hinaus. Bleiben Sie<br />

mit Ihrer Erkältung hier oben. Gute Besserung!"<br />

„Na gut! Ahm, wie darf ich Sie eigentlich nennen?"<br />

„Oh, Entschuldigung! Ich bin Sinia, Sinia Martin!"<br />

„Gut! Sinia - ich darf Sie doch so nennen -, Sie werden feststellen, <strong>das</strong>s Sie mir wirklich vertrauen<br />

können."<br />

„Ich glaube, <strong>das</strong> tu ich schon! Tschau!"<br />

Die Begegnung mit Ali hatte ihr gutgetan. Mit einem spöttischen Grinsen quittierte sie die erneuten<br />

Pfiffe und Bemerkungen der jungen Männer und, wie sie erst jetzt bemerkte, auch einiger Mädchen,<br />

an denen ihr Weg vorbei hinausführte.<br />

Flott fuhr sie vom Hof auf direkten Weg in die Stadt zu einer renommierten Kampfsportschule, die sie<br />

sich vor ein paar Tagen ausgeguckt hatte. Hoffentlich hatte sie hier genauso viel Glück!<br />

Sinia fragte eine junge Frau, die hinter eine Bürotheke stand, nach Intensiv-Einzelunterricht. Diese<br />

schüttelte erstaunt den Kopf. Nein, auch ausnahmsweise gäbe es so etwas nicht. Sinia gab nicht auf,<br />

so <strong>das</strong>s die Frau sie an den Leiter der Einrichtung verwies, den sie auch gleich herbeirief. Ein etwas<br />

zu braungebrannter, <strong>das</strong> blonde Haar eine Spur zu glänzend, mit seinem durchtrainierten Körper betont<br />

lässig daher schlendernder arrogant blickender Mittvierziger, kurz ein richtiges Brechmittel, kam<br />

auf Sinia zu.<br />

„Ich bin Dan Thomson! Sie haben einen Sonderwunsch?"<br />

Sinia dachte, der heißt, wie er aussieht. Lächelnd erklärte sie, <strong>das</strong>s sie innerhalb kürzester Zeit über<br />

ein paar wirkungsvolle Selbstverteidigungsgriffe verfügen müsse. Dan lachte, <strong>das</strong>s seine weißen<br />

Zähne blitzten, und musterte sie amüsiert. „Sie haben keine Ahnung vom Kampfsport, habe ich<br />

recht?"<br />

„Sonst wäre ich nicht hier!"<br />

„Also Fräuleinchen, um so was erfolgreich einsetzen zu können, sollte man etwas durchtrainiert sein,<br />

die Techniken im Schlaf beherrschen und über die nötige geistige Einstellung verfügen. Das dauert<br />

bei regelmäßigen Training und entsprechendem Talent schon einige Monate! Haben Sie überhaupt<br />

Talent?"<br />

Was für ein Kotzbrocken, dachte Sinia. Herausfordernd entgegnete sie, <strong>das</strong>s sie bisher ihre diesbezüglichen<br />

Fähigkeiten noch nicht getestet habe.<br />

„Lassen Sie es auch dabei", riet Thomson. "Wenn Sie sich bedroht fühlen, sollten Sie sich besser an<br />

die Polizei wenden. Ich mache Sie gerne mit ein paar Jungs bekannt, die hier gerade trainieren."<br />

„Da, wo ich <strong>das</strong> brauche, werden die nicht sein!"<br />

Thomson schien sehr amüsiert. "Sie werden doch nicht 007 Konkurrenz machen wollen?"<br />

© S. Remida Remida<br />

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„Warum geben Sie nicht einfach zu, <strong>das</strong>s Ihr Laden nur Mittelklasse ist und keiner über den Standart<br />

gehenden Herausforderung gewachsen ist. Aber es gibt ja noch andere Schulen. Ich werde schon<br />

einen geeigneten Lehrer finden, einen besseren!" Die Antwort saß! Wütend drehte sie sich um zum<br />

Gehen.<br />

„Wie Sie meinen! Und jetzt raus! Ich brauche mich doch nicht von so einer wie Ihnen beleidigen zu<br />

lassen!"<br />

Sinia drehte sich noch einmal um. „He, ich habe Grund mich beleidigt zu fühlen! Preisen sich als erste<br />

Adresse an“, sie zeigte auf ein Schild mit Eigenwerbung, „aber verlässt man sich darauf und<br />

kommt mit einer Bitte, die von Ihrem Schema F abweicht, kneifen Sie und lassen sich die dümmsten<br />

Ausreden einfallen, statt sich der Herausforderung zu stellen! Wirklich ein Superschuppen!"<br />

„Wissen Sie was, Sie haben keine Ahnung, wovon Sie reden!"<br />

„Und Sie nicht, wie lebenswichtig mir es ist! Aber <strong>das</strong> ist mein Problem! Vergessen Sie's!", sagte sie<br />

resigniert und wandte sich zur Tür.<br />

„Noch einen Moment! Sagen Sie mir, wofür Sie <strong>das</strong> eigentlich brauchen?"<br />

Sinia hielt inne und schüttelte langsam den Kopf. „Nehmen Sie einfach an, ich muß dahin, wo es<br />

besser ist, sich auf sich selbst zu verlassen als eine Notrufsäule zu erwarten!"<br />

„Kommen Sie noch mal zurück. Oben habe ich gerade eine Gruppe, Sie können eine Probestunde<br />

mitmachen. Dann unterhalten wir uns noch einmal. Lassen Sie sich von Doris einen Anzug geben!"<br />

Minuten später stand Sinia auf der Matte und machte <strong>das</strong> Aufwärmtraining mit, wobei rennen, hüpfen,<br />

Rolle rückwärts und vorwärts, seitwärts fallen und Rücken an Rücken stehend seinen an den Armen<br />

eingehakten Partner im Wechsel auf den Rücken laden, noch zu den einfachsten Übungen gehörte.<br />

Als Dan Thomson schließlich ein paar neue Würfe vorstellte, war Sinia schon am Ende ihrer Kräfte.<br />

Als Partner wurde ihr ein junger Mann in ihrer Größe und Gewichtsklasse zugeteilt. So sehr sie sich<br />

auch bemühte, ihr Körper war müde und ausgelaugt. Ihre letzten regelmäßigen Turnstunden waren<br />

schon zu lange her. Und immer wieder wurde sie und nur sie von Dan gemaßregelt! Sinia schämte<br />

sich zutiefst.<br />

Endlich war Schluß und Sinia zog sich schnell um. Im Aufenthaltsraum tummelten sich unglaublich<br />

viele Leute. Sinia entdeckte Dan. Es kostete sie viel Überwindung ihn herzurufen, ob er noch einen<br />

Moment Zeit für sie habe.<br />

„Sie können gleich noch mal mittrainieren!" kam er feixend näher.<br />

„Später, - falls es möglich ist?"<br />

„Sie haben noch nicht genug? Sie wollen weitermachen?" griente er.<br />

„Wer redet von wollen, ich muß es versuchen! Geht es täglich?"<br />

„Mh, solange wir geöffnet haben. Füllen Sie noch die Anmeldung aus. Darin steht wie hoch der Mitgliedsbeitrag<br />

ist und was Sie brauchen. Sie können alles über uns beziehen."<br />

„Ja, Sir", seufzte Sinia.<br />

„Dan, ich heiße Dan!", erklärte ihr Gegenüber, drehte sich um und schlenderte lässig zu ein paar<br />

hübschen, laut kichernden Mädchen hinüber. Depp, dachte Sinia, Depp!<br />

© S. Remida Remida<br />

*******<br />

Eine gute Woche Sprach- und Selbstverteidigungsunterricht lagen nun schon hinter ihr, trotzdem fühlte<br />

sich Sinia nicht klüger als am ersten Tag. Inzwischen hatte sie ihre Schwägerin Marion unter dem<br />

Siegel der Verschwiegenheit in die Entführungsgeschichte ihres Mannes und ihr Vorhaben eingeweiht.<br />

Für diese war nun die Betreuung von Sinias Kindern Ehrensache und ihr Beitrag zu Chris Rettung,<br />

wenngleich sie dem Plan sehr skeptisch gegenüberstand.<br />

Marion war wirklich absolut verschwiegen, wenn man von ihrem Erkundungsanruf von vor zwei Tagen<br />

bei der ICT einmal absah. Dort hatte sie sich nämlich als Journalistin ausgegeben, die sich an die<br />

erbetene Zurückhaltung zwar halten, dennoch sich über den augenblicklichen Stand der Dinge mal<br />

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wieder informieren wollte. Schon, wie man auf ihre Frage reagiert hatte, bestätigten ihr Sinias Befürchtung,<br />

<strong>das</strong>s die Sache vertuscht werden solle, und wenn Marion auch nichts in Erfahrung bringen<br />

konnte, so ließ sich doch nichts Gutes ahnen. Noch bevor man sie an den obersten Boss weiter verbunden<br />

hatte, hatte Marion den Hörer eiligst aufgelegt. Als sie dann den Anruf Sinia beichtete, war<br />

diese zwar nicht gerade begeistert, aber von der Reaktion der ICT auch nicht überrascht gewesen.<br />

Sie wußte aus ihrer Bonner Quelle, <strong>das</strong>s die Verhandlungen stagnierten, was aber für die Verschleppten<br />

keine unmittelbare Lebensgefahr zu bedeuten schien.<br />

© S. Remida Remida<br />

******<br />

Es war ein sonniger Samstagmorgen und Sinia saß mit ihren Kindern beim gemütlichen Frühstück,<br />

als <strong>das</strong> Telefon läutete. Es war Gerber, der sich mit zuckersüßer Stimme nach ihrem Befinden und<br />

<strong>das</strong> ihrer Kinder erkundigte und feststellte, <strong>das</strong>s sie sich schon lange nicht mehr gemeldet habe und<br />

wo sie denn dauernd sei, da sie seit Tagen nicht zu erreichen wäre. Sinia antwortete vorsichtig, <strong>das</strong>s<br />

sie versuche, sich an seinen Rat zu halten und mit ihren Kindern viel unternähme. Ob es denn etwas<br />

Neues gäbe?<br />

„Freut mich, <strong>das</strong>s Sie meinen Ratschlag befolgen. Ich wollte mich auch nur mal wieder melden, damit<br />

Sie sehen, <strong>das</strong>s wir stets für Sie da sind! Wir haben übrigens aus sicherer Quelle Informationen, <strong>das</strong>s<br />

es unseren Leuten gut geht und ihre Freilassung nur noch eine Frage der Zeit ist. - Äh, reden Sie<br />

noch mit anderen über Ihren Mann?"<br />

Sinia spürte, wie ihr <strong>das</strong> Blut in den Kopf schoß. Diese nichtssagende Auskunft war also nur ein Vorwand.<br />

Ahnte er etwas? Sie riß sich zusammen. „Endlich mal eine gute Nachricht, danke! Ich verstehe<br />

nur Ihre Frage nicht, Sie wissen doch, wie ich Chris Fortbleiben erkläre!"<br />

„Ach ja! Das will ich auch hoffen! Wissen Sie, bei uns hatte sich eine Reporterin, die es gar nicht gibt,<br />

nach dieser Sache erkundigt. So etwas kann - wie Sie wissen - alles gefährden!" Gerbers Stimme<br />

hatte einen messerscharfen Unterton bekommen.<br />

Sinia tat verwundert, während ihr Herz im Hals schlug. Mit der Warnung auch künftig nichts Unüberlegtes<br />

zu tun, verabschiedete sich der Anrufer.<br />

Die Kinder saßen noch immer vergnügt am Tisch, die Sonne durchflutete noch immer mit ihren warmen<br />

Strahlen die Wohnung und <strong>das</strong> fröhliche Vogelgezwitscher drang noch immer durch <strong>das</strong> schräggestellte<br />

Fenster, nur Sinia war nicht mehr die ruhige Mutter von vorhin. Sie war am Boden zerstört.<br />

Zitternd setzte sie sich an den Tisch und fühlte die Angst in ihr nagen.<br />

Wie verabredet, stand Sinia um fünfzehn Uhr vor Alis Tür. Er öffnete und sah sie entsetzt an. „Was<br />

ist passiert?"<br />

Sinia kämpfte mit den Tränen. „Ich, ich wollte dir nur sagen, <strong>das</strong>s ich nicht mehr komme. Und hier,<br />

<strong>das</strong> ist für deine Mühe!"<br />

Ali sah sie fassungslos an und wollte wissen, was geschehen war.<br />

„Es hat doch keinen Sinn! - Es war eine blöde Idee von mir... Ich habe ja viel zu viel Angst... Ich kann<br />

mich nicht mit denen anlegen, - und ich werde nie diese idiotische Sprache lernen! Wofür auch?"<br />

Sinia holte tief Luft und lehnte sich an den Türrahmen. „Tut mir leid, entschuldige! Du bist wirklich ein<br />

feiner Junge. --- Leb wohl."<br />

Ali griff nach ihrem Arm. „Erst wenn ich weiß, was <strong>das</strong> alles soll! Los, raus mit der Sprache!" Er sah<br />

sie scharf an.<br />

„Meine Kinder, sie warten unten im Auto. Laß mich los!" Sinia versuchte, sich seinem Griff zu entwinden.<br />

„Ich muß wieder runter! Du tust mir weh! Versteh doch, ich brauche dich nicht mehr!", schrie sie<br />

hysterisch.<br />

Ali ließ sie abrupt los. „Das, <strong>das</strong> glaube ich dir nicht“, sagte er atemlos. „Ich mach dir einen Vorschlag."<br />

Er rüttelte sie, als könne er damit ihre Panik abschütteln. „Bleib stehn! Hör zu! Wir fahren<br />

irgendwo hinaus, da können deine Kinder herumrennen und du überlegst dir, ob du mir wirklich nichts<br />

erzählen willst!" Er sah sie aufmunternd an. „Okay? Ich bin immer noch dein Freund und wenn du<br />

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willst, werde ich dir helfen, so gut ich kann. Egal um was es geht. Versprochen! Und steck dein Geld<br />

wieder ein!"<br />

Sinia schüttelte ungläubig den Kopf. „Du mußt verrückt sein! Ich war so gemein..." Tränen der Hilflosigkeit<br />

rannen über ihre Wangen.<br />

„Schon gut, es wird alles gut! Komm, gehn wir!" Ali reichte ihr ein Taschentuch, dann legte er seinen<br />

Arm um ihre bebenden Schultern und führte sie hinaus.<br />

Sinia ließ ihn fahren, während sie sich um ihr seelisches Gleichgewicht bemühte. An einem am Waldrand<br />

gelegenen Spielplatz hielt er an. Und während die Kinder über <strong>das</strong> Gelände tobten, saß er mit<br />

Sinia auf einem gefällten Holzstamm und hielt ihre eiskalten Hände fest in seinen warmen. Nach und<br />

nach erfuhr er alles und konnte <strong>das</strong> Verhalten des Unternehmens kaum glauben. Schließlich stellte er<br />

fest, <strong>das</strong>s sie nicht alles hinwerfen dürfe. „Auch wenn du es nicht brauchen wirst, dieses Ju Jutsu und<br />

<strong>das</strong> Auseinandersetzen mit meiner Kultur und Sprache lenken dich ab und außerdem will ich nicht,<br />

<strong>das</strong>s du wegen so ein paar Banditen <strong>das</strong> arabische Volk für Barbaren hältst!" Aufmunternd lächelte er<br />

ihr zu. „Und was diese ‚idiotische‘ Sprache betrifft, so schwierig ist sie nun auch wieder nicht. Hm,<br />

hm, mir wird schon noch was einfallen, wie du sie leichter lernen kannst!"<br />

Sinia lächelte unsicher. „Du bist wirklich ein echter Freund. Glaub mir, ich wollte dich nie beleidigen,<br />

ich wollte dich nur nicht da hineinziehen. Und jetzt“, - sie holte tief Luft – „Oh, Gott..!"<br />

Ali zog sie vom Baumstamm hoch und hinter sich her. „Komm! Vergiss <strong>das</strong> jetzt! Laß uns noch etwas<br />

mit den Kindern spielen!“ Den dreien rief er zu: „He, wer will mit mir <strong>das</strong> Gerüst hochklettern!"<br />

Die Sonne war bereits am Untergehen, als sie zu Alis Wohnhaus zurückkehrten. Sinia stieg mit ihm<br />

aus, um auf dem Fahrersitz Platz zu nehmen. Als sie sich draußen trafen, hielt er sie fest.<br />

„Ich habe darüber nachgedacht. So dumm ist deine Idee gar nicht. Es muß nur alles gut durchdacht<br />

sein, ich meine, wie es am wirkungsvollsten ist! Na ja, aber jetzt fahr erst mal heim, wir reden ein<br />

andermal darüber. Danke für den Nachmittag, gute Nacht und - Kopf hoch!" Er zwinkerte ihr zu und<br />

winkte den Kindern, bevor er auf die Haustür zuschritt.<br />

"Der war aber nett!", bemerkte Nadine auf der Heimfahrt und Anja wollte wissen, wann sie den netten<br />

Ali mal wieder zum Spielen abholen würden. Andy war schon eingeschlafen und nach seinem Gesichtsausdruck<br />

in einen glücklichen Traum versunken.<br />

© S. Remida Remida<br />

********<br />

Unter der Woche verbrachte Sinia den größten Teil des Vormittages in der Budoschule, wo sich immer<br />

ein Fortgeschrittener fand, dem es schmeichelte, ihr einen speziellen Trick oder Griff beibringen<br />

zu können. Der unerträgliche Muskelkater der ersten Woche war fast verschwunden und Sinia war<br />

überrascht, wie bald sich ihr Körper an die ungewohnte Belastung gewöhnt hatte und Geschmeidigkeit<br />

und Reaktion zunahmen.<br />

Die Nachmittage gehörten dem Erlernen des Arabischen. Inzwischen traf sie sich mit Ali bei einem<br />

älteren persischen Teppichhändler, der nach ihrer Überzeugung, magische Fähigkeiten besitzen<br />

mußte. In einem über und über mit Teppichen ausgelegten und behängten Nebenraum versetzte er<br />

Sinia bei gedämpften Licht und leichten Räucherdüften in eine angenehme und hellwache Bewußtseinsebene,<br />

die es ihr erlaubte, sich ganz auf Alis Unterweisungen zu konzentrieren. Nicht nur wichtige<br />

Wörter und einfachste Sätze, sondern auch die islamische Religion, Kultur und die Eigenheiten<br />

des arabischen und insbesondere des irakischen Volkes lernte sie nach und nach in groben Zügen<br />

kennen. Vieles versuchte er ihr in Englisch zu erklären und hielt sie an, auch in dieser Sprache sich<br />

mit ihm zu unterhalten.<br />

Selbst die Wochenenden verbrachte Sinia gemeinsam mit ihren Kindern zum größten Teil mit Ali. Sie<br />

holte ihn morgens ab, um bei gemeinsamen Unternehmungen sich in den beiden Fremdsprachen zu<br />

üben. Dazwischen arbeiteten sie immer wieder neue Schlachtpläne aus, diskutierten und verwarfen,<br />

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was nicht realisierbar erschien. Währenddessen achtete Sinia genau darauf, sich, wenn auch in immer<br />

größer werdenden Abständen, bei der ICT zu melden. Verlangte sie am Anfang noch nach Gerber,<br />

so begnügte sie sich inzwischen mit den Auskünften der Telefonistin, was dort wohl mit gewisser<br />

Zufriedenheit zur Kenntnis genommen wurde.<br />

Volker Maier aber blieb weiter ihre einzige und zuverlässigste Quelle.<br />

Ali und vor allem der Teppichhändler ließen ihre Beziehungen spielen und schließlich hatten sie jemanden,<br />

der in Syrien als Kontaktperson für Sinia zur Verfügung stehen würde.<br />

Wenige Tage später erwartete ein fremder älterer Herr beim Teppichhändler Sinias Eintreffen. Im<br />

schweizer Dialekt bot er seine Hilfe an. Von einem in Ungnade gefallenen ehemaligen Mitarbeiter der<br />

irakischen Regierung wisse er um deren mit Staatsgeldern finanzierte immens hohen heimlichen Beteiligungen<br />

an ausländischen Unternehmen. Mit der Androhung einer Veröffentlichung dieser Liste<br />

oder mit Sabotageaktionen auf jene Unternehmen könne man diesen Safar mitsamt der Regierung<br />

unter Druck setzen, in dem Entführungsfall erfolgreich zu intervenieren. Sowohl die Größenordnung<br />

des eingesetzten Geldes, als auch die exklusive Liste der anscheinend ahnungslosen Firmen überzeugten<br />

Sinia, <strong>das</strong> Angebot des, sich als Herr Carli vorgestellten, Schweizers zum Bestandteil ihres<br />

Planes zu machen.<br />

Um Einzelheiten über Rashid Safar und seine nächste Umgebung zu erfahren, drängte Sinia auf ein<br />

Treffen mit dem geheimnisvollen Ex-Mitarbeiter, bis schließlich der Schweizer eine Zusammenkunft<br />

organisierte. Nur von Ali begleitet, brachte Herr Carli Sinia in seiner BMW – Nobelkarosse nach Genf.<br />

Dort mußten sie in eine amerikanische schwarze Limousine mit verdunkelten Scheiben umsteigen.<br />

Weder Sinia noch Ali durfte erfahren, wohin die Fahrt ging. Sie spürten nur, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Auto irgendwann<br />

eine steile Serpentine hinauf gesteuert wurde. Sinia hatte ein mulmiges Gefühl und war nur<br />

froh, <strong>das</strong>s Ali bei ihr war.<br />

Schließlich durften sie den Wagen verlassen und standen in einer Garage. Von da ging es durch einen<br />

prunkvollen Gang in einen riesigen Salon. Sinia fühlte sich wie in einem orientalischen Märchenschloß<br />

aus ‚Tausend und einer Nacht‘. Schwere, golddurchwirkte Brokatvorhänge spannten sich wie<br />

Wolken über die gesamte Raumdecke oder hingen teils gerafft bis zum Boden und unterteilten so die<br />

mit glänzenden Kostbarkeiten überladene unübersichtliche Halle.<br />

Aus dem Hintergrund löste sich eine in grau gekleidete unscheinbare Gestalt, die sich beim Näherkommen<br />

als ein alter, hagerer Mann mit einem zerfurchten Gesicht entpuppte. Mit seinen schwarzen,<br />

Furcht einflößenden Augen musterte er Sinia eindringlich, während er Herrn Carli in einem hart klingenden<br />

Französisch begrüßte.<br />

Dann wandte er sich an Ali und umarmte ihn in der für Orientale überschwenglichen Art mit dem obligaten<br />

Kuß. In einem melodischen Arabisch unterhielt er sich leise mit Ali. Dann richtete er sich an<br />

Sinia, die kein Wort der Unterhaltung verstanden hatte, und bat sie auf Englisch ihm zu folgen. In<br />

einer entfernten Ecke forderte er sie auf, auf dem mit weichen edlen Seidenkissen ausgelegten Boden<br />

Platz zu nehmen. Nun durfte sie ihre Fragen über Rashid, seine Lebensgewohnheiten und Umgebung<br />

stellen. Seine Antworten waren präzise und seine Ausführungen von beeindruckender Genauigkeit.<br />

Mit detaillierten Skizzen, insbesondere von Rashids Residenz und seinen sonstigen Aufenthaltsorten,<br />

vervollständigte er seine Angaben und war stets darauf bedacht, <strong>das</strong>s Sinia auch alles<br />

verstand.<br />

Nach gut zweieinhalb Stunden meinte er, ihr alles wesentliche gesagt zu haben und zündete sich<br />

genüßlich eine Pfeife an. Aus schmalen Augen musterte er sie. „Sie werden es aber nicht wagen!",<br />

stellte er schließlich fest.<br />

„Wenn es nötig sein wird! - Deshalb bin ich ja hier!"<br />

„Sie sind hier, weil ich die Person, die auf eine so verrückte Idee kommt, kennenlernen wollte. Ich<br />

gebe Ihnen einen guten Rat, halten Sie sich an die Firma, drohen Sie den Leuten mit dem Publizieren,<br />

insbesondere ihrer verächtlichen Verhandlungstaktik und scheuen Sie sich nicht, wenn nötig, es<br />

© S. Remida Remida<br />

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auch zu tun. So haben Sie eine echte Chance! Aber gehen Sie zu Safar, werden Sie nicht mehr dieselbe<br />

sein wie heute. Alles ist möglich! - Auch <strong>das</strong>s er Ihr Spiel mitspielt! Aber Sie, Sie werden in<br />

jedem Fall verlieren!" Er stand auf.<br />

Sinia sah ihren Gegenüber mit runzelnder Stirn an. „Wie verlieren? Was?"<br />

„Ich habe Sie gewarnt!", sagte er kalt, drehte sich um und ging zu Herrn Carli, sprach kurz mit ihm<br />

und verschwand dann mit einem knappen Nicken zu seinen Gästen hinter einem schweren Vorhang.<br />

Bald darauf waren sie wieder auf dem Weg nach Hause. Sinia hatte immer noch eine Gänsehaut, die<br />

die beängstigend orakelnde Stimme des Arabers bei ihr hinterlassen hatte.<br />

© S. Remida Remida<br />

********<br />

Fast drei Monate war die Entführung schon her, als Sinia nachts um zwanzig vor drei von hartnäckigem<br />

Telefongeklingel geweckt wurde. Es war Volker Maier, der soeben neue Informationen erhalten<br />

hatte und sehr aufgeregt klang. „Seit heute nacht halb zwölf haben wir von der somalischen Regierung<br />

Mitteilung, <strong>das</strong>s die Entführer nicht weiter verhandeln wollen und nach Ablauf eines letzten Ultimatums<br />

die Erschießung der ersten Geisel unmittelbar bevorstehen soll!"<br />

Sinia bekam keine Luft. „Was? Nein! Was tut ihr jetzt?"<br />

„Bleiben Sie ruhig! Hören Sie zu! Unsere Leute haben über zweieinhalb Stunden mit den Amerikanern<br />

und dem ICT- Konzern beraten. Vielleicht bluffen die nur, scheinen aber zu wissen, <strong>das</strong>s einer<br />

unter den Gefangenen ein CIA-Agent ist, nur nicht wer! Er soll zuerst dran glauben. Aber die Amis<br />

brauchen ihn noch - lebend. Man will jetzt über einen Waffenhändler einen Tausch versuchen und so<br />

<strong>das</strong> Ultimatum doch unterlaufen. Sie verstehen?"<br />

Sinias Stimme klang rauh. „Ja! Das heißt Folter und Tod für die Geiseln! Oh, Gott, Chris!" Sie atmete<br />

gehetzt. „Wahnsinn, Waffen für die! Und wenn es nicht klappt?"<br />

„Ruhig, Frau Martin, ganz ruhig, wir gewinnen erst mal ein paar Tage. Das ist schon was. Ich dachte<br />

nur, sie sollten <strong>das</strong> schon mal wissen, ehe sie irgendwas von anderer Seite hören!“<br />

„Ja, <strong>das</strong> ist richtig, danke, Herr Maier! Wenn ich nur irgendwie helfen könnte!“<br />

„Glauben Sie mir, wir werden nichts unversucht lassen! Aber vielleicht klappt ja <strong>das</strong>, was die Amis<br />

vorhaben. Ich muss Schluss machen! Ich melde mich wieder! Noch ist nichts verloren!"<br />

Sinia war hellwach. Sie fühlte, <strong>das</strong>s sie jetzt handeln mußte! Ihr Blick wanderte zu Rashids Bild, <strong>das</strong><br />

aus einem Buch herausgeschnitten auf den Nachttisch lag. Inzwischen war es ihr so vertraut wie ihr<br />

Spiegelbild. Und jetzt schien er aus der Fotografie sie sogar gespannt anzugrinsen, als wolle er sagen:<br />

Na, traust du dich her?<br />

Ja, verdammt, ich versuch' s!<br />

******<br />

Der Tag neigte sich dem Ende und Sinia bog zum letzten Mal in die Straße zum Bodoclub ein. Gleich<br />

morgens hatte sie Dan Thomson telefonisch erklärte, <strong>das</strong>s sie ab sofort nicht mehr komme und ihre<br />

Mitgliedschaft kündigen wolle. Ob sie denn aufgebe, oder gar schon meine, alles Wesentliche zu beherrschen,<br />

war seine höhnische Reaktion. Ihre Antwort, leider fehlte ihr bisher eine Gelegenheit letzteres<br />

festzustellen, aber <strong>das</strong> sei jetzt ihr Risiko, hatte ihm denn doch fast die Sprache verschlagen.<br />

Schließlich hatte er sie gebeten, wegen der Formalitäten heute abend noch einmal vorbeizukommen.<br />

Zwischen den abgestellten Autos suchte sie nach einer Parklücke. Sie fühlte sich abgespannt. Hinter<br />

ihr lag ein aufreibender Tag. Mit Ali und dem Teppichhändler hatte sie die letzten Feinheiten ihres<br />

Planes durchgesprochen, den Flug ab Frankfurt auf schon morgen früh gebucht und ihre Tasche gepackt.<br />

Schließlich fand sie in einiger Entfernung zum Budoclub eine Parklücke. Mit den Gedanken bei<br />

ihren Kindern und dem bevorstehenden Flug, ging sie die Straße entlang, nahm die Abkürzung über<br />

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einen Firmenvorhof und bemerkte viel zu spät die paar Typen, die in einer dunklen Ecke herumlungerten.<br />

Schon kamen die vier auf sie zu.<br />

„He Kleine, ganz allein? Weißt du nicht, wie gefährlich <strong>das</strong> ist?", machte sich einer mit Irokesenschnitt<br />

beim Näherkommen lustig und ein anderer mit kahl rasiertem Schädel weiter: „Vielleicht sollten<br />

wir sie begleiten!"<br />

Schon hatten sie Sinia eingekreist. Sie wirkten furchteinflößend in ihrer schwarzen Lederkluft, derben<br />

Stiefeln und mit ihren behängten blitzenden Eisenketten, die bei jeder Bewegung gefährlich rasselten.<br />

Sinia kannte so was nur von Filmen. Schockiert stand sie nun der Wirklichkeit gegenüber. „Laßt mich<br />

in Ruhe!"<br />

„Eh, was sagt man denn dazu, die will unseren Schutz nicht!", stellte der dritte, ein langmähniges<br />

Urvieh, fest.<br />

"Sicher überlegt sie sich's, wenn sie weiß, was wir für diesen Service verlangen!"<br />

"Ja, ein echter Sonderpreis..."<br />

"Jeder darf mal...", mischte sich nun der vierte, ein Riese mit Raspelschnitt, ein.<br />

„Verpißt euch endlich!", fauchte Sinia dazwischen und schubste den Irokesen vor sich auf die Seite.<br />

Der langmähniger Schmuddeltyp neben ihr griff brutal ihren Oberarm und zischte: „Bildest dir ein, dir<br />

kann nichts passieren?"<br />

„Du weißt, wohl nicht, mit wem du es zu tun hast!", kam der 'Irokese' ganz nah an sie heran.<br />

„Ihr genauso wenig! Laß mich los!", schrie sie zornig. Angst und Wut hielten sich die Waage.<br />

Der vor ihr lachte boshaft. "Baby, du brauchst wohl eine Kostprobe!"<br />

„Das denk' ich auch!", antwortete Sinia und trat mit aller Kraft ihrem Gegenüber in den Unterleib,<br />

<strong>das</strong>s er ihr schon fast leid tat.<br />

Während der Irokese sich auf dem Asphalt wand, hatte sie mit einer schnellen Drehung den Langhaarigen<br />

über ihre Schulter geworfen und in die Seite getreten. Die beiden übrig gebliebenen stürzten<br />

sich auf sie. Sinia griff den Kahlkopf, warf sich rückwärts auf den Boden und ließ ihn mit einem gekonnten<br />

Tomenage über sich fliegen. Schon hatte sie sich über ihn gedreht und würgte ihn, <strong>das</strong>s er<br />

nach Luft schnappte. Von hinten riß der Riese sie hoch. Sinia sah, wie sich die ersten beiden wieder<br />

hochrappelten und auf sie zuwankten. Ein schneller Dreher und ihr Ellenbogen traf hart hinter ihr die<br />

Magengrube des vierten Angreifers.<br />

Der Langhaarige kam jetzt mit einem geöffneten Klappmesser näher. Wie sie es gelernt hatte, versuchte<br />

sie ihn abzuwehren. Bei einem kurzen Handgemenge landete schließlich ihre Faust auf seiner<br />

Nase, <strong>das</strong>s ihr die Hand schmerzte. Erneut zerrten zwei der Angreifer an ihren Armen und versuchten<br />

sie zu überwältigen. Sie trat um sich, kratzte und biß und schaffte es irgendwie, freizukommen. Mit<br />

schnellem Griff entriß sie einem seine Eisenkette und wirbelte sie vor sich herum. „Noch nicht genug?<br />

Haut endlich ab!", keuchte sie atemlos und wich Schritt für Schritt zurück Richtung Clubhaus.<br />

„Schon gut!", hob beschwichtigend der mit dem Irokesenschnitt seine Hände. „Wir erwischen dich ein<br />

anderes Mal, aber dann richtig! Zicke!!"<br />

Der Abstand war jetzt groß genug. Sinia drehte sich um und sprintete zum Clubeingang. Unterwegs<br />

ließ sie die Kette fallen. Die Halbstarken blieben mit Drohrufen zurück.<br />

Mit letzter Kraft riß sie die Eingangstür auf und suchte schwer atmend Halt an der Wand, während<br />

die Pforte von dem Schwung laut in <strong>das</strong> Schloß zurückfiel und die Aufmerksamkeit der umstehenden<br />

Clubmitglieder erregte.<br />

"Was ist denn mit dir passiert?", kamen gleich ein paar junge Leute zu ihr.<br />

"Ich hatte gerade meine erste Schlägerei!"<br />

Was? Wo? Wann? Mit wem? Sogleich stürmten von allen Seiten Fragen auf sie ein. Jemand rief sogar,<br />

man müsse die Polizei holen. Dan Thomson schob sich durch die aufgebrachte Menge. "Was<br />

soll der Aufstand! Sieh da, die Martin!" Er taxierte sie aufmerksam. "Gab's Probleme?"<br />

Als einige für sie antworten wollten, gebot er ihnen mit einer Handbewegung zu schweigen. "Ich habe<br />

Sie gefragt! Also?"<br />

© S. Remida Remida<br />

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Wie zuwider er ihr war! Sie warf ihre Haare zurück und blitzte ihn an. "Nur ein paar Ledergrufties. Ich<br />

hab sie etwas aufgemischt!"<br />

"Naja, war wohl nicht so wild, bißchen außer Atem vielleicht!", stellte Dan lapidar fest. "Also regt euch<br />

wieder ab, Leute!", wandte er sich an die Umstehenden um.<br />

Sinia riß ihn am Arm. "He, da draußen lungerten vier Typen rum! Die haben mich angegriffen! Einer<br />

hatte sogar ein Messer! Das war kein Spaß! Hör also endlich auf, dich über mich lustig zu machen!"<br />

Sie suchte in seinem Gesicht nach zumindest einem Anflug einer mitfühlenden Regung.<br />

"Du bist über den Firmenhof gekommen? Da treibt sich wie ihr alle wißt ab und an Gesindel rum und<br />

wie oft habe ich vor dieser Abkürzung schon gewarnt? Na, Martin?"<br />

Sinia wußte nicht mehr weiter. Er hatte ja recht! Resigniert versuchte sie zu erklären: "Hier war doch<br />

kein Parkplatz mehr frei..." Zitternd wischte sie sich mit ihrem Ärmel über <strong>das</strong> Gesicht und bemerkte<br />

erst jetzt, <strong>das</strong>s ihre Kleidung verschmutzt und ihr Blazer sogar einen Riß hatte. Sie war den Tränen<br />

nahe.<br />

"Jetzt beruhige dich erst mal. Komm mit in mein Büro!", forderte Dan sie kühl auf.<br />

Sinia folgte ihm in sein Zimmer und blieb wie angewurzelt stehen. Gegenüber in der Sitzecke hatten<br />

es sich drei junge Männer mit je einer Bierflasche bequem gemacht. Einer war mit einem Jeansanzug,<br />

die beiden anderen mit T-Shirts, Turnschuhen und - schwarzglänzenden Lederhosen bekleidet.<br />

Sahen sie auch recht manierlich aus, zwei mit ihren glatt gekämmten feuchten Haaren und ein<br />

freundlich grinsender Glatzkopf, erkannte Sinia zu ihrem großen Schreck in dem einen doch den 'Irokesen'<br />

und auch die anderen zwei als ihre Angreifer wieder.<br />

„Das, <strong>das</strong> sind sie!", stammelte sie.<br />

"Hi, Danni!", begrüßten sie den Budoleiter wie einen alten Bekannten. "Hallo, Kleine! Alles okay?",<br />

winkten sie fröhlich Sinia zu und richteten sich wieder an Dan. "Hattest uns gar nicht gesagt, <strong>das</strong>s die<br />

Kleine was von Judo versteht, oder was <strong>das</strong> war! Franz ist übrigens heim, um seine blutige Nase zu<br />

pflegen. Gehört Umsichschlagen, Kratzen und Beißen eigentlich auch zu deinem Trainingsprogramm?"<br />

Dabei zeigten sie umständlich ihre diversen Blessuren. Sinia kam langsam näher. Dan<br />

grinste sie an und antwortete den dreien: "Wenn es seinen Zweck erfüllt, ist alles erlaubt!"<br />

"Soll <strong>das</strong> heißen, <strong>das</strong>s du...?", fragte Sinia ungläubig.<br />

"War <strong>das</strong> nicht <strong>das</strong>, was du wolltest? Deine Fähigkeiten mal unter realen Bedingungen testen? Jetzt<br />

hattest du die Gelegenheit ohne selbst gefährdet gewesen zu sein. Vielleicht solltest du dich mal bei<br />

den Jungs bedanken, <strong>das</strong>s sie sich kurzfristig bereit erklärt haben, <strong>das</strong> mitzumachen!" Und mit einem<br />

Seitenblick fügte er hinzu: "Ohne zu ahnen, was ihnen blühen würde! – Und? Wie sind ihre Überlebenschancen<br />

in den Bronks?" richtete er sich witzelnd an die vermeintlichen Schläger.<br />

"Will sie etwa da hin?", fragte einer entgeistert zurück.<br />

Der Riese hob seine Schultern. "Na ja, wenn sie nicht sagt, <strong>das</strong>s sie bißchen Judo kann, könnte sie<br />

schon ein paar Überraschungsminuten gewinnen - um bei der ersten Gelegenheit möglichst schnell<br />

versuchen abzuhauen!"<br />

"Danke, dann weiß ich ja Bescheid! Übrigens, tut mir leid, <strong>das</strong>s ihr dran glauben mußtet. Ich schick<br />

euch ein paar Mullbinden!", erklärte Sinia.<br />

"He, was sagt man dazu, erst müssen wir uns von ihr zusammenschlagen und jetzt noch auf den<br />

Arm nehmen lassen!"<br />

Sinia hatte keine Lust auf ein Gespräch mit den dreien. Sie wollte ihre Kündigung mit Dan abklären<br />

und dann endlich heim. Thomson winkte ab. "Vergiß es! Du willst mir nicht sagen, warum du jetzt<br />

aufhörst?"<br />

Sinia schüttelte den Kopf.<br />

Dan zuckte die Schultern. "Tja, hoffentlich hat es dir was gebracht!"<br />

"Man wird sehn! Also dann Tschau und danke - auch euch!", sagte Sinia und fingerte aus ihrer engen<br />

Hosentasche zwei grüne Scheine. "Hier! Wird reichen für 'nen Kasten Bier als Entschädigung für<br />

euch und euren Kumpel!" Sie rieb sich ihre rechte Hand. "Ich muß ihn doch ganz nett erwischt haben!"<br />

"Nicht nötig, hast ja dabei auch gelitten!", erklärte einer und sah sie von oben bis unten an.<br />

© S. Remida Remida<br />

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"Schon okay", winkte Sinia ab. "Solange mir nie mehr passiert!"<br />

"Kommst du mal wieder vorbei!", erkundigte sich Dan.<br />

"Vielleicht, - zum Schnellkurs für Fortgeschrittene!", lächelte Sinia.<br />

"Paß auf dich auf, ja?", sagte Dan freundlich.<br />

Sinia nickte und schloß mit einem "So long!" hinter sich die Tür. Das war die erste nette Bemerkung<br />

von Dan!<br />

Am Hinterausgang begegnete sie Dan's Frau. Nur selten ließ sich die Thailänderin hier blicken. Sinia<br />

war immer wieder von ihrer asiatischen Schönheit beeindruckt. "Dan sagte mir, Sie hören auf?",<br />

sprach sie Sinia zum ersten Mal an.<br />

"Äh, ja!", antwortete Sinia überrascht und dachte bei sich, wie kommt nur so ein aufgeblasener Kerl<br />

an diese zauberhafte Frau.<br />

Als hätte sie ihre Gedanken erraten, lächelte sie sanft: "Dan tut nur so, aber er ist alles andere als ein<br />

Macho! – Aber er wird auch nicht der Grund sein?“<br />

„Nein, Sie haben recht, er hat damit nichts zu tun.“<br />

Geheimnisvoll lächelnd sagte sie: „Sie werden sich nicht unterkriegen lassen! Ich wünsche ihnen alles<br />

Glück!" Die zierliche Frau verneigte sich nach ihrer Sitte vor Sinia und reichte ihr zum Abschied<br />

die Hand. Über die letzten Worte der Thailänderin grübelnd, verließ Sinia <strong>das</strong> Gebäude und fuhr zu<br />

Marion und deren Mann, wo ihre Kinder ab jetzt blieben, bis sie wieder zurückkommen würde.<br />

In dieser letzten Nacht lag sie von unzähligen Ängsten gequält wach neben ihren beiden Töchtern auf<br />

einer breiten Liege. Nadine hatte sich eng an sie gekuschelt und schlief zufrieden im Arm ihrer Mutter.<br />

Wann würde sie ihren Kindern wieder so nah sein können? Würde sie es überhaupt noch einmal?<br />

Sie zog ihre Tochter an sich und streckte ihre Hand nach Anja aus, um sie zu berühren. Doch es gab<br />

keine Magie, die die Zeit anhalten oder ihr <strong>das</strong> Bevorstehende ersparen konnte.<br />

Und die Nacht regnete einem trüben Morgen entgegen....<br />

© S. Remida Remida<br />

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© S. Remida Remida<br />

Kapitel II<br />

Mit einer langgezogenen Kurve, die einen herrlichen Blick auf Damaskus freigab, begann <strong>das</strong> Flugzeug<br />

mit seinem Sinkflug auf den Airport der syrischen Hauptstadt. Die typischen Kuppelbauten und<br />

Minarette mit ihren schlanken Türmen, die gleißend weiß getünchten Häuser und modernen Hochbauten<br />

der City zogen Sinia in ihren Bann und augenblicklich waren alle Zweifel und bedrückenden<br />

Gedanken verschwunden, die sie auf dem langen Flug nicht loslassen wollten und besonders den<br />

deprimierenden Abschied ihr immer wieder vor Augen geführt hatten: All die noch aufgekommenen<br />

Bedenken und Befürchtungen der Schwägerin und <strong>das</strong> unverhohlene Unverständnis im letzten Blick<br />

des Schwagers, die sorgenvollen Fragen ihrer beiden Mädchen, ob sie wiederkäme und wann und<br />

warum sie nicht einfach mitkönnten. Selbst Andy schien gespürt zu haben, <strong>das</strong>s dies kein Abschied<br />

war, wie er ihn bisher kannte. Heulend hatte er sich an Sinia geklammert, seine kleinen Ärmchen fest<br />

um ihren Hals geschlungen und sich schreiend gewunden und gewehrt, als ihn seine Tante schließlich<br />

übernahm...<br />

Als Sinia wenig später aus dem klimatisierten Passagierraum auf die Gangway hinaustrat, fühlte sie<br />

sich von der Hitze, die ihr entgegenschlug, wie betäubt. Die riesige Empfangshalle war von dem geschäftigen<br />

Treiben unzähliger Menschen erfüllt. Zwischen den in ihren langen Gewändern gekleideten<br />

Einheimischen mischten sich europäisch gekleidete Leute und dazwischen überall Kinder jeden<br />

Alters, die meisten dunkelhäutig mit pechschwarzem Haar. Geduldig ließ Sinia die Zollformalitäten<br />

über sich ergehen, ehe sich <strong>das</strong> fremdartige Land für sie öffnete.<br />

Fasziniert betrachtete sie minutenlang <strong>das</strong> exotische Bild, <strong>das</strong> sich ihr nun bot, bevor sie schließlich<br />

mit ihrer Reisetasche die Information aufsuchte, dem vereinbarten Treffpunkt mit dem arabischen<br />

Kontaktmann. Sie sah sich suchend um.<br />

„Mrs. Martin?", hörte sie hinter sich eine dunkle Stimme und drehte sich um. Vor ihr stand ein schlanker<br />

braunhäutiger Herr mit schwarzem Kraußhaar, kaum einen halben Kopf größer als sie und wohl<br />

etwas älter, was aber schlecht zu schätzen war. Sein eleganter grauer Anzug unterstrich sein kühl<br />

distanziertes Auftreten, <strong>das</strong> mehr mit einem nüchtern berechnenden Geschäftsmann als dem erwarteten<br />

vertrauensvollen Partner gemein hatte. Die Urlaubsstimmung, die der erste Eindruck dieser<br />

fremden Welt in ihr geweckt hatte, wich wieder der Furcht vor dem Ungewissen.<br />

"Ich bin Abdul El Basan. Bitte kommen Sie!", sagte der Fremde steif in perfektem Deutsch.<br />

Wortlos steuerte El Basan seine schwere Limousine durch den dichten Mittagsverkehr in den meist<br />

viel zu schmalen Straßen. Er wirkte so unnahbar, <strong>das</strong>s Sinia nicht wagte, ihn anzusprechen. Zutiefst<br />

enttäuscht über die Wahl ihres Partners, von dem sie nicht mehr als den Namen gekannt hatte, erwartete<br />

sie keine große Hilfe von ihm und leise nagte die Unsicherheit in ihr weiter.<br />

Schließlich bog er in eine Tiefgarage ein, über der sich ein verglastes Hochhaus erhob, in dem sich<br />

die ebenbürtige elegante Architektur der Nachbargebäude widerspiegelte. Ein klimatisierter Lift führte<br />

in ein Appartement der oberen Stockwerke, <strong>das</strong> in edlem dunklen Holz sparsam eingerichtet war, was<br />

ihm eine funktionale Atmosphäre verlieh.<br />

Seite 18


„Dort können sie sich frisch machen", sagte El Basan und wies auf eine der schweren dunklen Holztüren.<br />

„Oh ja, danke! Dann kann ich mir auch gleich die Haare färben!"<br />

„Wie Sie wollen!"<br />

Sinia ging mit ihrer Tasche in <strong>das</strong> geräumige Badezimmer. Hier gab es kein Fenster, dafür aber jede<br />

Menge Lichter und eine Wandseite war zur Hälfte zimmerhoch verspiegelt. Wie sie es zuhause geübt<br />

hatte, färbte sie ihr blondes Haar behände in einen warmen Braunton um und schminkte sich neu,<br />

dann kühlte sie ihre verschwitzte Haut mit kaltem Wasser und tauschte T-Shirt und Jeans gegen eine<br />

weiße Bluse und einen braunen wadenlangen Rock. Als sie zwanzig Minuten später vor El Basan<br />

stand, konnte sie an seinem überraschten Gesicht ablesen, <strong>das</strong>s ihre Verwandlung gelungen war.<br />

„Ja, so kenne ich Sie als Katrin Steiger von den Passfotos, die ich erhalten habe!" Das war aber auch<br />

schon sein ganzer Kommentar. Dann ging er vor in den angrenzenden, nur mit einer kunstvollen<br />

Holzbalkenkonstruktion abgetrennten Raum, in dem Sinia nun einen üppig gedeckten Tisch ausmachen<br />

konnte.<br />

„Sie werden Hunger haben. Ich habe ein paar Kleinigkeiten vorbereiten lassen, bitte!", sagte er knapp<br />

und wies Sinia näher zu kommen.<br />

Sie folgte zögernd und setzte sich auf den von El Basan bereitgehaltenen Stuhl. Er setzte sich ihr<br />

gegenüber und schnippte mit den Fingern, worauf ein Neger in weißem Livree erschien und die silbernen<br />

Hauben von den Platten nahm. Während der Schwarze nun geschickt begann, die Teller mit<br />

stets anderen Kostproben eines kulinarischen Querschnittes der arabischen Küche zu belegen, stellte<br />

El Basan ihr die Namen und Zusammensetzung der einzelnen Gerichte vor. Dazu gab er Empfehlungen,<br />

welche Speisen eher zu meiden und welche ihren Ernährungsgewohnheiten ähnlich und daher<br />

zu bevorzugen seien. Schließlich hatte Sinia auch diverse Süßspeisen und Früchte gekostet und erleichtert<br />

abgewunken, als er feststellte: "Das war's! Sie dürfen aber gerne nachnehmen!"<br />

El Basan machte es sich auf einer schwarzen Ledercouch bequem und rauchte genüsslich eine Pfeife.<br />

Der Diener räumte flink den Tisch ab und verschwand unauffällig hinter einer Tür. Auch Sinia war<br />

aufgestanden und ging zu der zimmerhohen Fensterfront, die von einer bodenlangen edlen Gardine<br />

mit gleichmäßig geschwungenen Falten etwas kaschiert wurde. Durch die getönten Scheiben blickte<br />

sie hinunter auf die belebte Straße und versuchte ihre Gefühle zu ordnen.<br />

„Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen die Stadt", bot El Basan an.<br />

Zwar hätte Sinia lieber etwas über den Plan ihrer Weiterreise erfahren, aber <strong>das</strong> Angebot war auch<br />

verlockend, zumal sie sicher nie wieder hierher kommen würde. „Ja, gerne!"<br />

El Basan war ein guter Fremdenführer und stolz auf seine Stadt. Sicher lenkte er seinen Wagen<br />

durch überfüllte Gassen und breite Boulevards, vorbei an wohl allen bedeutenden Bauten der alten<br />

und neuen Zeit, um deren Geschichte er bestens Bescheid wusste und führte sie zügig durch <strong>das</strong>,<br />

was er für sehenswert erachtete. Nach einer Erfrischungspause durchstreiften sie einen Basar, wo er<br />

geschickt eine Kette erhandelte. Ihr Anhänger bestand aus einem goldenen Dreieck, in <strong>das</strong> schräg<br />

versetzt ein trapezförmig geschliffener, in allen regenbogenfarben schimmernder Opal eingesetzt<br />

war. Beiläufig reichte er <strong>das</strong> Schmuckstück Sinia weiter.<br />

„Ein Souvenir, es soll Ihnen Glück bringen", bemerkte er dazu. Sinia bedankte sich erstaunt und betrachte<br />

<strong>das</strong> modisch schlichte Schmuckstück genauer. Der Edelstein schien auf einer Seite und unten<br />

messerscharf zugeschliffen und in die Goldfassung wie in einen Schaft hineingeschoben worden zu<br />

sein. An der gegenüberliegenden Seite fixierten zwei winzige goldene Greifer den irisierenden Stein<br />

in seiner leichten Schräglage. Sinia legte sich die Kette um und wollte noch einmal danken, aber El<br />

Basan ließ sie mit einer abwehrenden Handbewegung verstummen. Beim Auto angekommen erklärte<br />

er kurz, <strong>das</strong>s sie nun zum Helikopter fahren müssten.<br />

Abseits von den Halteplätzen der großen Passagiermaschinen standen auf dem Flughafenareal einige<br />

Sportflugzeuge und Hubschrauber. Zu einem davon führte El Basan, in einer Hand Sinias Reisetasche,<br />

seinen ausländischen Gast. Der einheimische Pilot saß bereits auf seinem Platz und warf<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 19


einen neugierigen Blick auf Sinia. Nachdem sie sich angeschnallt hatten, bedeutete El Basan dem<br />

Piloten mit einem kurzen Wink, zu starten.<br />

Sinia war noch nie in einem Hubschrauber geflogen, und entsprechend ängstlich und unwohl fühlte<br />

sie sich. Kaum einen Blick wagte sie hinab auf <strong>das</strong> wechselnde Aussehen der Landschaft zu werfen,<br />

obwohl sich ihr eine ungewöhnliche Aussicht bot auf <strong>das</strong> sich nordöstlich von Damaskus entlang ziehenden<br />

Gebirge und die schier unendliche öde Wüstenlandschaft, nur selten von grün auftauchenden<br />

Oasen unterbrochen, bis schließlich die fruchtbaren breiten Ufer des Euphrat erschienen, der wie<br />

eine silberglänzende Schlange gemächlich dahinfloss.<br />

Nach nicht ganz vierhundertvierzig Kilometern senkte sich der Helikopter mit dem Heck leicht nach<br />

unten gedrückt auf eine staubige Landefläche nahe von Abu Kamal, einem größeren Ort unweit der<br />

Grenze zum Irak. Sogleich zerrte El Basan Sinia hinaus zu einem abseits abgestellten klapprigen<br />

Jeep, während hinter ihnen der Motor des Hubschraubers knatternd verstummte. Kein Mensch war<br />

auf den Straßen, die sie durchfuhren, zu sehen, dafür war die Luft von der melodisch quäkenden<br />

Stimme eines Muezzins erfüllt. El Basan bog in einen von Lastwagen voll geparkten Hof ein und hielt<br />

hinter einem baufälligen Lagerhaus an.<br />

„Wir haben noch etwas Zeit!", sagte er, stieg aus und schlenderte zu einer nahen Palmengruppe.<br />

Auch Sinia kletterte aus dem unbequemen Gefährt, streckte sich und wankte zu ihm hinüber. Ihr war<br />

schlecht von dem langen Flug und wie ein schwerer Mantel lasteten nun auch die Anstrengungen des<br />

langen Tages mit all dem Erlebten auf ihrem Körper und ihren zerrissenen Gefühlen. Müde und zerschlagen<br />

lehnte sie sich gegen einen Stamm. Die untergehende Sonne tauchte <strong>das</strong> Land in ein goldenes<br />

Licht und eine große Ruhe lag über ihm. Sinia wähnte sich in einem Traum, es war alles so<br />

unwirklich, friedlich...<br />

„Ich liebe diese Augenblicke des Sonnenunterganges. Sie lassen einen alles Unschöne vergessen<br />

und zeigen uns unsere Grenzen", sinnierte El Basan. -- „Sie können immer noch zurück. Das wäre<br />

nur vernünftig!“, kam er nach einer Pause auf den eigentlichen Grund ihrer Reise zu sprechen.<br />

„Nein", antwortete Sinia zögernd. „Ich kann nicht."<br />

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie bleiben noch ein paar Tage hier und kehren dann wieder<br />

heim und überlassen die Verhandlungen den Behörden. Man wird sicher alles für die Rettung<br />

der Männer tun!"<br />

„Da bin ich mir nicht so sicher!" Sinia sah ihn zweifelnd an, er wollte ihr also wirklich nicht helfen! Hatte<br />

sie ihr erster Eindruck von ihm doch nicht getäuscht? Wer hatte ihr diesen Typ nur als Vertrauensperson<br />

ausgesucht? Plötzlich fühlte sie sich von all den Leuten, denen sie vertraut hatte, betrogen<br />

und allein gelassen.<br />

El Basan beobachtete sie scharf. „Sie werden nicht viel ausrichten können, aber selbst in größte Gefahren<br />

kommen!"<br />

„Das ganze Leben ist ein Risiko! Ich werde diesen Safar schon irgendwie dazu kriegen, mich anzuhören.<br />

Schließlich steht <strong>das</strong> Leben meines Mannes auf dem Spiel!" antwortete sie störrisch.<br />

„Ich weiß, Sie wollen ihn erpressen, doch <strong>das</strong> ist sicher kein Grund ihm zu trauen. Sie kennen ihn<br />

nicht! Er sagt so und tut <strong>das</strong> Gegenteil", versuchte er zu überzeugen.<br />

Sinia sah ihn flehentlich an. „Bitte sagen sie mir endlich, wie ich in <strong>das</strong> Land hinein und wieder hinauskomme,<br />

sonst werde ich es alleine versuchen! Ich dachte, Sie hätten sich bereit erklärt, mir zu<br />

helfen!"<br />

„Ja, aber da kannte ich Sie noch nicht", antwortete El Basan vielsagend und zum ersten Mal lächelte<br />

er sie an, dann griff er ihren Oberarm und schüttelte sie leicht. Besorgt sprach er: „Ich mache mir<br />

doch nur Sorgen um Sie! Ich hoffte mit meiner abweisenden Art, sie zu entmutigen und <strong>das</strong>s die unwirtliche<br />

Gegend, all die Fremdheit sie überzeugen würde, aufzugeben! Sie müssen doch Angst haben?"<br />

Sinia starrte ihn ungläubig an, schüttelte den Kopf und nickte dann schwach.<br />

„Ich habe mir schon überlegt, sie zu begleiten. Wir werden Rashid Safar die Wahrheit sagen und im<br />

Namen Allahs um Hilfe bitten!"<br />

© S. Remida Remida<br />

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„Um Ungläubige aus für ihn feindlichen Ländern grade mal so aus den Händen seiner 'Brüder' zu<br />

retten?", fügte Sinia bittersüß an. „Nein, mein Plan verspricht da mehr Erfolg! Ich gehe allein, außerdem<br />

will ich keinen der mir geholfen hat in Gefahr bringen! He, ich schaff' s schon, ich bin nicht lebensmüde!"<br />

El Basan rang nach Luft. „Ich kann mich gar nicht erinnern, sind bei euch alle so verrückt? Ich war<br />

schon lange nicht mehr in Deutschland! Ich werde keine ruhige Minute mehr haben und mir die größten<br />

Vorwürfe machen!"<br />

„Wie komme ich nach Bagdad?"<br />

Nur zögernd rückte El Basan mit seinen Vorbereitungen heraus: Dem Lastwagen, der sie über die<br />

Grenze schmuggeln und dem Mietwagen in Bagdad, mit dem sie wieder zurückkommen sollte. Er<br />

gab ihr den Autoschlüssel sowie einen australischen Paß auf den Namen Katrin Steiger mit ihrem<br />

aktuellen Foto, einen gleichlautenden Presseausweis und für einen eventuellen Notfall einen schweizer<br />

Paß auf den Namen Marie Russell mit einer weiteren Variante ihres Aussehens als schwarzgelockte<br />

Brillenträgerin, alles ausgezeichnete Fälschungen. Die nötigen Utensilien, um sich den Fotos<br />

anpassen zu können, hatte Sinia von daheim mitgebracht, wo sie sie bereits ausgiebig ausprobiert<br />

hatte. Nun erklärte er ihr, wie er sich einen erfolgversprechenden Ablauf vorgestellt hatte. Sinia war<br />

von der Präzision seiner Ausführungen begeistert.<br />

„Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, ich habe sie wirklich völlig falsch eingeschätzt. Jetzt weiß<br />

ich, <strong>das</strong>s ich mir keinen zuverlässigeren Partner hatte wünschen können", erklärte Sinia tief beeindruckt.<br />

El Basan winkte ab. „Ich dürfte sie nicht gehen lassen, <strong>das</strong> wäre richtig!" Dann kramte er in der Tasche<br />

seines Jacketts und holte einen kleinen Zettel heraus. "Das ist eine Telefonnummer unter der<br />

ich jederzeit erreichbar bin, prägen Sie sich die ein! Wenn ich sechsunddreißig Stunden nichts von<br />

Ihnen höre, auch nicht über meine Kontaktquellen, dann wende ich mich direkt an Safar und werde<br />

ohne Rücksicht alle Karten auf den Tisch legen, um Sie da raus zu holen. Ist <strong>das</strong> klar?"<br />

„Das dürfen Sie nicht tun!"<br />

„Tut mir leid, <strong>das</strong> ist meine Bedingung! --- Ich will nur, <strong>das</strong>s Sie wieder zurückkommen!"<br />

„Und wenn ich keine Zeit zu langen Gesprächen habe?", gab Sinia zu bedenken.<br />

„Machen wir eben ein Codewort aus!"<br />

„So wie Gänseblümchen", witzelte Sinia. „Oder Kismet für <strong>Schicksal</strong>?", überlegte sie weiter. „Ich<br />

hab's! Alpha, wenn alles okay ist und Omega, wenn ich in Schwierigkeiten bin!"<br />

„Einverstanden! Und Sie denken da dran?"<br />

„Ich werd' s mir grade noch merken können!", grinste sie frech, doch dann wurde sie wieder ernst.<br />

„Ich versuche, mich regelmäßig zu melden, seien Sie bitte nicht zu schnell!"<br />

Ihr Gegenüber nickte zufrieden.<br />

Inzwischen waren die letzten Sonnenstrahlen hinter dem Horizont abgetaucht. El Basan brachte Sinia<br />

zu einem Lastwagen und half ihr, sich mit ihrer Reisetasche zwischen den Kisten und Säcken zu verstecken.<br />

„Der Fahrer weiß nichts von Ihnen. Wegen der Ladung wird er die Zöllner bestechen und<br />

freie Fahrt haben. Das ist hier aber üblich", grinste er. Er gab ihr noch ein paar Verhaltensregeln,<br />

dann näherten sich palavernde Stimmen. Schnell verabschiedete er sich, doch ehe er die Ladefläche<br />

verließ, drehte er sich noch einmal um: „Also, hier in zwei Tagen treffen wir uns wieder, Sinia! Darf<br />

ich Sie so nennen?"<br />

„Ja, und 'Du'", ergänzte sie flüsternd.<br />

„Abgemacht, ich heiße Abdul!" Er lächelte.<br />

Sinia nickte. „Ich weiß! Auf Wiedersehen, Abdul!"<br />

"Allah beschütze dich!" Dann verschwand er lautlos.<br />

© S. Remida Remida<br />

********<br />

Sinia musste noch eine Weile warten, ehe sich der Lastwagen in Bewegung setzte. Vor ihr lagen etwa<br />

dreihundertneunzig Kilometer. Sie holte ihr kleines Kassettenradio heraus, setzte den Kopfhörer<br />

Seite 21


auf und stellte die Musikkassette an. Dann lehnte sie sich bequem zurück und ließ den Tag Revue<br />

passieren, bald schweiften ihre Gedanken ab und sie döste vor sich hin. Mit halben Ohr bekam sie<br />

den kurzen Grenzstopp mit, ehe <strong>das</strong> gleichförmige Schaukeln sie in einen leichten Schlaf versetzte.<br />

Selbst die Gewissheit, <strong>das</strong>s es nun wirklich kein zurück mehr gab, konnte sie nicht mehr stören.<br />

Sinia wachte sofort auf, als ihr Kopf durch <strong>das</strong> Abbremsen und Abbiegen des Lastwagens leicht<br />

vornüber kippte. Tastend kletterte sie über die Säcke und zwängte sich zwischen den Holzkisten<br />

nach hinten, um an der Seite der Rückplane hinaussehen zu können. Sie durchfuhren einen Vorort<br />

von Bagdad, genau wie es Abdul El Basan gesagt hatte. Nun wurde es Zeit ihr Zeug zusammenzuraffen,<br />

sich <strong>das</strong> schwarze Gewand, Abaya genannt, überzuziehen, um unauffällig den notwendigen<br />

Fußweg zum Hotel zurücklegen zu können. Dann passte sie die von Abdul beschriebene Kreuzung in<br />

der Stadt ab und sprang als der Laster kurz anhielt flink ab. Nun huschte sie durch schmale Gassen,<br />

durchquerte eine menschenleere nur schwach beleuchtete Anlage und eilte, an die dunklen Häuserwände<br />

gedrückt, einen mäßig belebten breiten Boulevard entlang. Kurz vor dem hellerleuchteten Hotel<br />

streifte sie in einer Gasse schnell <strong>das</strong> Gewand ab, verstaute es in ihrer Tasche, kramte die Fototasche<br />

heraus, hängte sie über ihre Schulter und ging mit der Reisetasche in der Hand selbstbewusst<br />

weiter.<br />

Geblendet von den verschwenderischen Lichtern in der verglasten Eingangshalle suchte sie die Rezeption,<br />

um sich dort dem korrekt gekleideten Herrn als Katrin Steiger vom Australien Enquirer vorzustellen,<br />

für die ein Zimmer reserviert sein müsse.<br />

„Richtig", bestätigte dieser in hartem Englisch nach einem musternden Blick auf Sinia und einem<br />

flüchtigen Blick in sein offenes Gästebuch. „Zimmer 110, für zwei Übernachtungen? Sie kommen<br />

ziemlich spät! Sie reisen alleine?" Er wirkte überheblich und war von berufsmäßiger Neugier.<br />

Sinia überhäufte ihn mit einem arabisch-englisch gemixten Wortschwall, in dem sie von ihrem Auftrag<br />

einer Reisereportage über die interessantesten Länder der Welt, den Schönheiten dieses seines<br />

Landes, all dem Sehenswerten und dem deshalb durcheinandergeratenen Zeitplan redete. Dabei<br />

lächelte sie so liebenswürdig wie sie nur konnte und registrierte, wie er die Schmeicheleien aufsog<br />

und sein anfänglicher Argwohn dahinschmolz. Sie füllte <strong>das</strong> Anmeldeformular aus und nach einem<br />

belanglosen Wortgeplänkel winkte er einem Zimmerboy, der sichtlich enttäuscht über <strong>das</strong> wenige<br />

Gepäck sie zu ihrer Unterkunft begleitete. Nach einem Trinkgeld, <strong>das</strong> ihm ein Grinsen entlockte,<br />

konnte sich Sinia endlich frisch machen und fiel dann in ein weiches Bett und schlief herrlich.<br />

© S. Remida Remida<br />

*******<br />

Am Frühstücksbüfett traf Sinia auf eine große Zahl ausländischer Gäste. Schon bald gesellte sich ein<br />

junger blonder Mann an ihren Tisch und stelle sich als Sven Gustavson vor. Er hatte nicht nur einige<br />

Jahre ausgerechnet in Australien verbracht, sondern kannte auch ein paar Leute vom Australien<br />

Enquirer. Soviel Glück sollte ich mal im Lotto haben, dachte Sinia bei sich und phantasierte etwas<br />

vom neuen Arbeitsplatz, ihrer ersten großen Aufgabe und konnte dank Abduls Gründlichkeit wenigstens<br />

ein paar Namen von der Geschäftsleitung einfließen lassen. Sie entschuldigte ihr nicht akzentfreies<br />

Englisch damit, <strong>das</strong>s sie die meiste Zeit in Österreich gelebt hatte und lenkte dann <strong>das</strong> Gespräch<br />

auf ihn. Inzwischen hatte auch ein älteres Ehepaar an ihrem Tisch Platz genommen, <strong>das</strong> bereitwillig<br />

von sich erzählte. Schließlich entschuldigte sich Sinia und stand auf, um hinauf in ihr Zimmer<br />

zu gehen. Auf dem Korridor wurde sie von dem jungen Schweden eingeholt. Sinia reagierte schnell:<br />

„Oh, können Sie mir sagen, ob es hier ein Hotelsafe gibt, wegen meiner Fotos! Hm, ich habe zwar<br />

eine abschließbare Kassette, aber sicher ist sicher! Oder was meinen Sie?"<br />

Der junge Mann fühlte sich geschmeichelt. „Ich habe einen Safe gemietet, wenn Sie möchten, schließe<br />

ich ihre Kassette mit ein! Es ist genug Platz darin!"<br />

Das war es, was Sinia wollte. „Ach, <strong>das</strong> wäre wahnsinnig lieb. Warten Sie, ich gebe sie Ihnen gleich<br />

mit!"<br />

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Und schon Minuten später wusste sie ihren schweizer Pass und die verräterischen Kosmetika in sicherer<br />

Verwahrung. Man konnte ja nie wissen und Vorsicht hatte Abdul ihr ans Herz gelegt. Bei dem<br />

Schweden würde niemand suchen und los war sie ihn vorerst auch!<br />

Wenig später brachte ein Taxi sie mit viel Gehupe und in kurvenreicher Fahrweise bis vor den bewachten<br />

Eingang des Informationsministeriums. Mit übertriebener Gestik öffnete der Fahrer ihr die<br />

Autotür, steckte nebenbei <strong>das</strong> Fahrtgeld ein und fuhr reifenquietschend davon. So ein Showman,<br />

dachte Sinia und ging mit Kamera und Fototasche bewaffnet zu dem Wachmann. Sie zeigte ihm<br />

umständlich ihren Presseausweis und bat um einen Besuch beim Informationsminister. Nein, angemeldet<br />

sei sie nicht, aber sie wolle ja auch nur kurz ein paar Auskünfte zu seinem Land einholen und<br />

sein Fitnessprogramm könne er ja auch mal zehn Minuten später beginnen.<br />

So genaue Kenntnis von den nur wenigen Leuten bekannten Gepflogenheiten des Ministers schienen<br />

den Soldaten ziemlich irritiert zu haben, <strong>das</strong>s er an ein Standtelefon ging und gestenreich telefonierte.<br />

Danach winkte er Sinia herein. Von einem herbeigerufenen Soldaten wurde sie durch <strong>das</strong> Gebäude<br />

bis zum Zimmer des Ministers geführt. Und schon saß sie einem stattlichen Mann mittleren Alters<br />

in einem wallend weißen Gewand gegenüber. Insgeheim schickte sie ein Dankeschön an den in die<br />

Schweiz geflüchteten Iraker, der ihr damals so genaue Informationen und auch Marotten von einzelnen<br />

wichtigen Personen in Safars Umfeld verraten hatte.<br />

Während der Minister ihren Pass und den Presseausweis in seinen Händen hin- und herdrehte, fragte<br />

er mürrisch, nach ihrer Herkunft, ihrer Arbeit und ihrer hiesigen Unterkunft und dann unvermittelt<br />

woher sie über seinen Tagesablauf so genau Bescheid wisse. Liebenswürdig erklärte Sinia, <strong>das</strong>s<br />

gewissenhafte Recherchen einen erfolgreichen Reporter schließlich ausmachen würden und eine<br />

Portion Intuition, sie hätte einfach gut geraten. Dann fügte sie an, <strong>das</strong>s sie leider wegen ihrer unzureichenden<br />

Arabischkenntnisse es für angebracht halte, ihr Interview auf Englisch zu führen. Sie wisse<br />

auch, <strong>das</strong>s er diese Sprache nicht beherrsche, weshalb sie ihn bitten wolle, ein Treffen mit Minister<br />

Safar zu arrangieren, der ein ausgezeichnetes Englisch spreche, was leider wenig bekannt sei!<br />

Obgleich neugierig geworden, schüttelte der behäbige Beamte sein breites Haupt und erinnerte Sinia<br />

an einen Elefanten. Nein, <strong>das</strong>s sei unmöglich und sie müsse ihre Fragen schon ihm stellen. Aber<br />

Sinia beharrte auf ihrem Wunsch, sinnentstellende Übersetzungsfehler vermeiden zu wollen.<br />

„Dann reichen Sie ihre Fragen am besten bei uns schriftlich ein und sie erhalten von uns eine englische<br />

Übersetzung der Antworten!", glaubte der Dicke die rettende Idee zu haben.<br />

„Schade", entgegnete Sinia, „aber leider kann ich nicht so lange bleiben. Da bleibt mir wohl nichts<br />

anderes übrig, als mich an <strong>das</strong> zu halten, was ich so erfahren habe, ungeprüft seiner Richtigkeit!"<br />

Sinia stand betrübt auf, bedankte sich enttäuscht und schon zum Gehen gewandt hielt sie nochmals<br />

inne. „Wollen Sie den Minister nicht wenigstens fragen, ob er mir nicht doch Auskunft geben möchte<br />

zu Themen wie Minderheitenproblematik, Industrieausbau, insbesondere im chemischen Bereich<br />

Interesse an westlichen Entwicklungen, geheime finanzielle Beteiligungen mit Staatseinnahmen an<br />

ausländischen Unternehmen und die Umwandlung der zurückfließenden Gelder ins eigene Privatvermögen,<br />

sowie eine Stellungnahme zur heimlichen Unterstützung von Freiheitskämpfern in anderen<br />

Staaten!" Sie war froh, diese eingeübte Aufzählung teils erfundener Behauptungen losgeworden<br />

zu sein, ohne sich zu verhaspeln. Gespannt beobachtete sie ihren Gegenüber, der sichtlich bemüht<br />

war, seine Fassung zu bewahren.<br />

„Lügen! Wer hat Ihnen.... Ich verbiete Ihnen, solche Lügen zu verbreiten!", platzte er heraus.<br />

„Sehen Sie und genau deshalb möchte ich mit Minister Safar diese Fragen durchsprechen und richtig<br />

stellen!", fiel sie ihm zustimmend ins Wort.<br />

„Woher habe Sie <strong>das</strong> eigentlich?", fragte er neugierig Vertrauen heischend.<br />

Sinia lächelte geheimnisvoll, sah auf die Uhr und beeilte sich zu sagen: „Oh, tut mir leid, jetzt nicht!<br />

Sie sprechen mit Rashid Safar? Ich bin im Hotel zu erreichen. Ach, übrigens, ich hätte gern heute<br />

noch einen Termin, aber er pflegt seine Gäste ja ohnehin am liebsten abends zu empfangen!" Sie<br />

deutete eine Verbeugung an und verließ <strong>das</strong> Zimmer, noch ehe der Minister reagieren konnte.<br />

© S. Remida Remida<br />

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Schnell verließ sie <strong>das</strong> Gebäude und eilte die Straße entlang, bis sie in der Menge verschwand. Sie<br />

fühlte, <strong>das</strong>s es im Hotel, bei den ausländischen Gästen, am sichersten war und sie schnellstens dorthin<br />

zurück sollte. Die Händler in der vollen Geschäftsstraße boten verlockende Waren auf überfüllten<br />

Ständen vor ihren Geschäften an und mancher schien nach möglichen Kunden Ausschau zu halten,<br />

die dann mit einer wahren Wortflut zum Verweilen gezwungen werden sollten. Auch Sinia wurde von<br />

dem einen und anderen angehalten und konnte sich nur durch entschlossenes Kopfschütteln deren<br />

Überredenskünsten entwinden. Laut hupende Autos und kleine Laster kurvten im Schritttempo um<br />

die Menschen, die sich daran nicht zu stören schienen. Vom Flair des Morgenlandes in seinen Bann<br />

gezogen, schlenderte Sinia alsbald durch manchen Laden und bewunderte die kunstvollen Handarbeiten,<br />

Geschirre, Schmuckstücke und Gegenstände des täglichen Bedarfs, und suchte nach Motiven,<br />

die sie fotografierten konnte.<br />

.<br />

Plötzlich hielt quietschend neben ihr ein Jeep. Zwei Uniformierte sprangen heraus, packten sie und<br />

zerrten sie zwischen sich auf den Rücksitz. Sekunden später raste <strong>das</strong> bis auf eine Frontscheibe und<br />

Dach sonst offene Gefährt im wilden Zickzack und mit drohendem Hupen durch die von der<br />

auseinanderstobenden Menge freigegebene Gasse, die sich dahinter sofort wieder schloss. Niemanden<br />

schien die Entführung zu stören. Mit einem wütenden Blick auf die Männer rechts und links neben<br />

sich gab Sinia schließlich ihre Gegenwehr auf. Zu schmerzhaft hielten die Entführer ihre Arme<br />

umklammert. Nun versuchte sie sich markante Punkte, an denen sie vorbeifuhren einzuprägen. Dann<br />

glaubte sie zu wissen, wohin die Fahrt ging: Zu einem abgeschirmten Militärstützpunkt außerhalb der<br />

Stadt.<br />

Und tatsächlich bog der Jeep von der Verkehrsstraße ab, die sie aus der Stadt hinaus geführt hatte<br />

und jagte auf eine entfernte bewachte Einfahrt eines hoch mit Maschendraht umzäunten Territoriums<br />

zu. Erst wenige Meter vor dem Fahrzeug wurde der Schlagbaum auf einer Seite eiligst hochgezogen.<br />

Mit unverminderter Geschwindigkeit steuerte der Fahrer den Wagen zu einem langgezogenen Bau<br />

und stoppte in einer riesigen Staubwolke direkt vor dem bewachten Eingang. Sogleich stiegen die<br />

beiden Männer mit Sinia zwischen sich aus und von weiteren Soldaten, die im Eingang gewartet hatten,<br />

eskortiert, ging es durch verwinkelte dunkle Gänge und Treppen zu einem kleinen Raum mit einem<br />

vergitterten Fenster. Grinsend schubsten die Entführer Sinia in den nur mit einem Tisch und<br />

Stuhl möblierten Raum. Ohne Protest hatte sie sich hierher bringen und ihre Ausweise abnehmen<br />

lassen, doch jetzt, als sei sie aus der Lethargie erwacht, schrie sie die Soldaten an: „Was soll <strong>das</strong>?<br />

Ich will mit meiner Botschaft sprechen! Bringen Sie mich zu Ihrem Kommandeur!"<br />

Als Antwort fiel die Tür krachend ins Schloss und wurde von außen verriegelt. Sinia war alleine. Nur<br />

nicht die Nerven verlieren, befahl sie sich und atmete tief durch. Die Stille des Zimmers wirkte sich<br />

beru-<br />

higend auf sie aus. Sie setzte sich in die breite Fensternische und sah durch <strong>das</strong> vergitterte Fenster.<br />

Die Sonne musste noch vor kurzer Zeit durch die Öffnung geschienen haben, denn die dicke Steinmauer<br />

war hier angenehm erwärmt. Ihr Blick wanderte über ein paar kasernenartige Gebäude, die<br />

auch schon bessere Zeiten gesehen hatten. Die asphaltierten breiten Verbindungswege waren<br />

schmutzig verstaubt und selbst die einzige Palme, die sie entdecken konnte, schien hoffnungslos vor<br />

sich hin zu dörren. Selten wurde die verschlafen wirkende Ruhe da draußen von vorbeigehenden<br />

Soldaten oder von einem entfernt startenden oder landenden Jagdflugzeug unterbrochen.<br />

Sinia überlegte. Sie hatte doch Aufmerksamkeit geweckt! Sie musste höflich und vor allem kaltblütig<br />

bleiben. Ihr Vorteil bestand darin, <strong>das</strong>s sie sehr gut selbst über Kleinigkeiten Bescheid wusste, aber<br />

hier keiner ahnte, wer sie war und was sie wollte! Sicher glaubte man, sie mit dem langen Warten zu<br />

zermürben. Doch sie wollte die Zeit nutzen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Sie schloss ihre Augen<br />

und konzentrierte sich auf die Überlegenheit, die ihr ihre geheimnisumwitterte Position eröffnete.<br />

Kurz vor zwei Uhr nachmittags, näherten sich mehrere Schritte und die schwere Tür wurde entriegelt.<br />

Sechs Soldaten betraten mit schweren Schritten und regungslosen Mienen den Raum. Zwei von ihnen<br />

kamen auf Sinia zu und führten sie mit festem Griff hinaus. Mit der Bemerkung: „Ich kann schon<br />

alleine gehen!", entwand sie sich einem ihrer Begleiter, während der andere dafür um so stärker zu-<br />

© S. Remida Remida<br />

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packte. Wieder ging der gespenstisch wirkende Zug durch dunkle Korridore und über abgewetzte<br />

Steinstufen zurück bis in die Nähe des Einganges. Vor einer Doppeltür blieben sie stehen und warteten,<br />

bis ihnen von drinnen geöffnet wurde.<br />

Sinia sah in ein unerwartet protzig ausgestattetes großes Bürozimmer. Ihr Begleiter gab ihr einen so<br />

heftigen Stoß, <strong>das</strong>s sie gegen den überdimensionalen Schreibtisch in der Mitte des Raumes prallte,<br />

obwohl sie den Schwung mit den Händen an der Tischkante abzufangen versuchte. Ihr erster Blick<br />

fiel auf ihre dort liegende Kamera und Fototasche, was sie erfreut zu Kenntnis nahm. Ihr zweiter Blick<br />

erfasste zwei listige Augen hinter einer runden kleinen Brille, deren Bügel von einem grobschlächtigen,<br />

überfressenen Gesicht mit igelkurzen Haaren weit auseinander gebogen wurden und die sie<br />

argwöhnisch anstarrten.<br />

Um die richtigen Worte bemüht, sprach Sinia stets langsam in Arabisch. In leisem Verschwörerton<br />

und einer Kopfbewegung nach hinten zu dem Soldaten, der sie nach vorn gestoßen hatte, sagte sie:<br />

„Er ist doch hoffentlich in Behandlung!"<br />

Nach einer kurzen Denkpause schien bei dem 'Gorilla' der Groschen gefallen zu sein, es war an seinen<br />

zusammenkneifenden Augen zu erkennen.<br />

Sinia richtete sich auf und hob beschwichtigend die Hände. „Ich dachte ja nur, aber es geht mich natürlich<br />

nichts an! Die Hauptsache ist, <strong>das</strong> Sie Ihren Irrtum bemerkt haben und mich gehen lassen!"<br />

„Sie sind hier zum Verhör! Sie werden mir eine ganze Reihe Fragen beantworten, wenn nötig, helfen<br />

wir auch nach!", erklärte er drohend langsam und deutlich in seiner Sprache, so <strong>das</strong>s Sinia ihn gut<br />

verstehen konnte.<br />

Sie lächelte ihn kopfschüttelnd an. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden? Also doch eine Verwechslung!"<br />

„Sie waren bei unserem Informationsminister und haben ihm mit der Veröffentlichung schlimmster<br />

Lügen gedroht! Sie erklären mir jetzt, woher sie diese Lügen haben und was Sie damit wollen!", polterte<br />

der Dicke unbeirrt weiter.<br />

„Ach!" Sinia tat verwundert und setzte sich auf einen einfachen Besucherstuhl, der vor dem Schreibtisch<br />

stand, dann erhellte sich ihr Gesicht. „Ach, <strong>das</strong>! Oh, da hat der Minister schlecht zugehört. Ich<br />

verstehe nicht, wie er meine Bitte, mit Minister Safar ein Interview zu führen, so missverstehen konnte!<br />

An meinem Arabisch kann es nicht liegen, ich habe mich sehr bemüht! Ob er vielleicht...? Aber es<br />

ist doch seine Muttersprache, oder?", überlegte Sinia provokant gut hörbar vor sich hin.<br />

„Es vergeht Ihnen noch, sich über uns lustig zu machen!"<br />

Sinia fixierte ihren Gesprächspartner. Ernst, mit lauerndem Unterton entgegnete sie: „Fragt sich, wer<br />

sich über wen lustig macht! Hören Sie, wenn sich jemand bedroht fühlen sollte, nur weil ich mit Rashid<br />

Safar kurz sprechen wollte, dann verzichte ich! Wissen Sie was? Ich verzichte sogar auf eine Beschreibung<br />

Ihres Landes. Es gibt genügend Staaten hier, die es freut, wenn sie in ihrem Sinn positiv<br />

dargestellt werden und damit auch die Einnahmen aus dem Tourismus sehr verbessert werden können!"<br />

„Ach ja? Dann müssten Sie ja wissen, <strong>das</strong>s hier niemand irgendwelche Fremden will, die unsere Kultur<br />

kaum achten! Zum letzten Mal, warum sind Sie hier? Die Wahrheit!"<br />

„...ist, <strong>das</strong>s Sie mich von einem Bericht über den Orient abhalten wollen! Aber bitte, dann lasse ich Ihr<br />

Land eben raus! - Ich erwarte, <strong>das</strong>s ich jetzt gehen kann! Meine Ausweise will ich noch zurück", erklärte<br />

sie unbeirrt, stand auf und griff nach ihrer Fotoausrüstung.<br />

„Moment, <strong>das</strong> bleibt hier und Sie auch!"<br />

Sinia stöhnte genervt. „Wenn sie wollen, können Sie <strong>das</strong> behalten aber mich nicht! Als dann, good<br />

by!"<br />

„Nicht so schnell! Es gibt da noch ein paar Dinge. Wie kamen Sie an diese bestimmten Fragen?"<br />

„Das hat sich erledigt! Ich sagte doch, ich streiche Ihr Land aus meiner Reportage!" Sinia wandte sich<br />

zur Tür, die von den sechs Soldaten verstellt war.<br />

„Sie kommen hier nicht heraus! Setzen Sie sich wieder!", erklärte der Dicke gleichmütig und winkte<br />

einen der Wachposten zu sich. Leise besprach er etwas mit ihm, worauf der <strong>das</strong> Zimmer verließ.<br />

Sinia hatte sich wieder hingesetzt. Nach einer Weile fragte sie: „Geht es noch lange? Ich bekomme<br />

Hunger!"<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 25


„Geduld!", empfahl ihr Gegenüber.<br />

Der Soldat von vorhin kam wieder zurück und flüsterte erneut mit seinem Vorgesetzten, der sichtlich<br />

zufrieden aufstand und sich zum Gehen umständlich in seine reich dekorierte Uniformjacke zwängte.<br />

Grinsend sagte er zu Sinia: „Sie warten hier!"<br />

Irgendwie fand sie ihn hinterhältig. Während sie wartete, sah sie sich etwas genauer in dem Zimmer<br />

um. Die wuchtigen Aktenschränke, der Tisch, der Louis XIV - Stuhl dahinter und <strong>das</strong> übrige Mobiliar<br />

passten so wenig zusammen wie der Fettsack hierher. „Gibt es hier eine Kantine?", wandte sich Sinia<br />

an die Soldaten hinter sich. Richtigerweise erwartete sie aber keine Reaktion. „Müder Laden! Arme<br />

Jungs!" Sie holte sich ihren Fotoapparat und spielte gelangweilt daran herum. Du schaffst es, dachte<br />

sie dabei immer wieder.<br />

Nach einer dreiviertel Stunde trat ein weiterer Uniformierter ein. Die Soldaten stellten sich stramm<br />

und grüßten mit einer zackigen Handbewegung an ihre Käppis. Er forderte Sinia auf, ihm zu folgen.<br />

In Begleitung der Truppe führte der Fremde sie ein paar Türen weiter in einen großen Konferenzraum.<br />

Am oberen Ende der langen Tischreihe stand der Dicke bei ein paar Männern und winkte ihr<br />

zu, näher zu kommen.<br />

„Minister Safar hat sich ausnahmsweise bereiterklärt, Sie zu empfangen! Ich bitte Sie um Ehrlichkeit<br />

und Respekt ihm gegenüber!", erklärte er schon beinah feierlich. Er bedeutete einem Soldaten, die<br />

angrenzende Tür zu öffnen.<br />

Nach Spannung steigernden zwei Minuten schritt eine stattliche Erscheinung in einem sandfarbenen<br />

Maßanzug herein. Ehrfurcht erfüllte den Raum. Aufmerksam betrachtete Sinia den Mann. Er sah tatsächlich<br />

aus, wie Safar. Wenige Schritte vor ihr blieb er stehen. Sinia deutete einen Knicks an. Irgend<br />

etwas machte sie stutzig, dann war sie sich sicher!<br />

„Mir wurde gesagt, <strong>das</strong>s Sie mich zu sprechen wünschen?", richtete Safar in englisch streng <strong>das</strong><br />

Wort an sie.<br />

Sinia nickte unterwürfig. „Es war mein Wunsch, einmal Minister Safar kennen zu lernen!" Sie lächelte<br />

milde. „Ich weiß natürlich, <strong>das</strong>s ein Minister sehr beschäftigt ist und deshalb auch einen Vertreter hat,<br />

den er schicken kann, wenn er selbst mal keine Zeit hat, nicht weil er sich fürchtet! - - Äh, es ist für<br />

mich eine große Ehre!" Sie machte lieb einen Knicks.<br />

Der Minister verstand nicht ganz, betrachtete es aber als ein Kompliment, wenn auch etwas unglücklich<br />

formuliert. „Nun, dann lassen Sie uns gleich beginnen! Setzen wir uns, Miss oder Mrs...?"<br />

„Steiger! Katrin Steiger!" beeilte Sinia sich vorzustellen, ohne seine Anspielung zu beantworten. Während<br />

sie mit ihm zum Tisch ging, fuhr sie zögernd fort: „Ich darf doch davon ausgehen, daß" - sie<br />

blickte kurz zu dem Dicken hinüber - "ich jetzt nicht länger von dem hier festgehalten werde? Ich will<br />

heute noch ausreisen!"<br />

Safar zeigte freundlich auf einen Stuhl für Sinia und setzte sich schon, während Sinia sich ihren umständlich<br />

zurecht schob. Nachdrücklich sagte er: „Nicht so schnell! Hier, bitte! Wollen Sie mir nicht<br />

erst einmal erklären, was..."<br />

„Oh! -- Oh, Entschuldigung!", fiel sie ihm mit einem bezaubernden Augenaufschlag ins Wort. „Sie<br />

sind so freundlich zu mir! Ich sollte dabei..., es ist wegen .... mein Fotoapparat da drüben, Sie verstehen?"<br />

Mit den Händen tat sie, als würde sie knipsen.<br />

„Ich lasse ihn holen, ja? Können wir dann?"<br />

„Aber natürlich! Moment, ich geh schnell selber!" Dabei strahlte sie überglücklich in die Runde und<br />

registrierte einhellige Zufriedenheit in den Gesichtern. Eifrig ging sie zur Tür.<br />

Den Soldaten dort sagte sie in gedämpftem Arabisch, sie könnten ruhig hier warten und wandte sich<br />

mit lieblicher Stimme in englisch an den ahnungslosen Minister: „Sehr mutig scheint er wirklich nicht<br />

zu sein!" Sie sah kurz auf den Dicken. „Trotzdem, grüßen Sie mir Ihr Original!" Und war auch schon<br />

durch die Tür verschwunden.<br />

Darauf bedacht, <strong>das</strong>s ihre Schuhe auf dem Steinboden nicht zu verräterisch klapperten, rannte sie<br />

auf den Ausgang zu.<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 26


Safars Doppelgänger hatte sofort verstanden, <strong>das</strong>s sie ihn entlarvt hatte, die anderen mussten erst<br />

begreifen!<br />

Draußen saßen zwei Soldaten gelangweilt auf Hockern und rauchten. Sinia grüßte beschwingt und<br />

eilte zu dem Jeep hinüber, während sie überlegte, wie man wohl ein Auto kurzschließt. Bingo! Mit<br />

einem Blick hatte sie den im Anlasser steckenden Schlüssel erfasst, sprang auf den Sitz und startete<br />

den Motor. „Ich leih ihn mir nur kurz aus, okay!", schrie sie den beiden irritierten Männern zu und verschwand<br />

mit durchdrehenden Reifen hinter einer mächtigen Staubwolke, gerade noch rechtzeitig,<br />

ehe ein riesiger Tumult hinter ihr losbrach. Hupend fuhr sie auf den heruntergelassenen Schlagbaum<br />

zu. In letzter Sekunde wurde er hochgerissen, streifte aber polternd noch <strong>das</strong> Dach.<br />

Geschafft, dachte Sinia und raste wie eine Irre in Richtung Stadt. Sie lobte ihre im letzten Moment<br />

eingefallene rettende Taktik, wie sie mit dem Double gesprochen hatte. Wahrscheinlich hatte sonst<br />

niemand ein Wort Englisch verstanden außer 'Foto' und geglaubt, sie wolle für ein paar Aufnahmen<br />

nur die Kamera holen! Man hatte sie so gemein hereinlegen wollen! Jetzt sind wir quitt, triumphierte<br />

sie. Hoffentlich ließ man sie ungeschoren davonkommen, aber immerhin hatte sie versprochen, <strong>das</strong><br />

Land zu verlassen!<br />

Dann forderte der Stadtverkehr ihre ganze Aufmerksamkeit. Den Rückspiegel ließ sie jedoch nicht<br />

aus den Augen. Seltsam, sie wurde gar nicht verfolgt! Ob sie sie abgehängt hatte? Sie bog in eine<br />

Seitenstraße zum Hotel ein und ließ den Jeep ordentlich abgeschlossen stehen. Schnell huschte sie<br />

durch eine Hintertür in <strong>das</strong> Haus. Sie begegnete einem Angestellten, den sie fragte, ob er ihr eine<br />

Kleinigkeit zum Essen auf <strong>das</strong> Zimmer bringen könne. An der Rezeption ließ sie sich ihren Schlüssel<br />

geben und bat den verwunderten Angestellten mit Hilfe eines Geldscheines, doch gleich in der Kaserne<br />

vor der Stadt anzurufen, um ihren Dank für <strong>das</strong> großzügige Ausleihen des Jeeps auszurichten<br />

und daß man hier Schlüssel und den passenden Wagen dazu eine Straße weiter wieder abholen<br />

könne! Die sollen wissen, daß sie ehrlich war! Und wo man sie finden konnte, war ja ohnehin bekannt!<br />

In ihrem Zimmer machte sie sich sogleich ans Packen. Ihre wenigen Sachen lagen zwar geordnet,<br />

aber manche anders als sie sie hingelegt hatte. Man hatte also in der Zwischenzeit <strong>das</strong> Zimmer und<br />

ihre Habe durchsucht. Der Autoschlüssel von El Basan, fuhr es ihr durch den Kopf. Er klemmte immer<br />

noch in der Ritze an der Unterseite des Schrankes. Sinia beruhigte sich mit der Überlegung,<br />

<strong>das</strong>s die mit ihm sowieso nichts hätten anfangen können, wo hier so viele Autos herumstanden und<br />

nicht einmal die Automarke bekannt war! Sie ging ins Badezimmer. Es klopfte zögernd.<br />

„Ja?"<br />

„Ihre Bestellung!"<br />

Sinia atmete erleichtert auf. „Kommen Sie herein. Die Tür ist auf!"<br />

Schüchtern trat ein Mädchen mit einem Tablett ein und hinter ihr zwei Männer in beigefarbener Uniform<br />

und ein weiterer in einem langen weißen Gewand, der sogenannten Thoub und der Gutra, einem<br />

weißen Tuch auf dem Kopf, von einem schwarzen Doppelring gehalten. Während er hinter dem<br />

Mädchen, <strong>das</strong> schnell wieder hinausgehuscht war, die Tür schloss und auf Sinia zuging, blieben die<br />

beiden anderen rechts und links in kurzer Entfernung von ihr stehen und bewachten sie mit Argusaugen.<br />

Sinia sah die Fremden erschrocken an, obgleich sie damit ja schon gerechnet hatte.<br />

„Sie sind Katrin Steiger? Zumindest geben Sie sich für sie aus! Ich habe hier für Sie...", umständlich<br />

reichte der Mann in dem Gewand ihr einen Umschlag. Sinia sah sich schon halbtot in einem dunklen<br />

Verließ. Zitternd nahm sie ihn entgegen.<br />

„Bitte." Der Mann erwartete, <strong>das</strong>s sie ihn öffnete. Sie zog ein gefaltetes Papier heraus. Mit seiner<br />

unterschiedlich groß gedruckten kunstvoll geschwungener arabischer Schrift sah es wie ein Dokument<br />

aus. Sie sah ihn bangend an.<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 27


Der Mann blickte auf ihren Koffer. „Sie werden also noch hier bleiben müssen! Ich hoffe Sie nutzen<br />

die Gelegenheit ein paar Dinge zu klären. Und bitte, verhalten sie sich kooperativ, in Ihrem eigenen<br />

Interesse!", holte der Fremde aus, ehe er auf den Punkt kam. „Unser hochgeschätzter Minister Safar<br />

will Sie sehen. Ein Wagen wird sie gegen sechs Uhr heute Abend abholen!"<br />

„Ich habe kein Interesse mehr!", entfuhr es ihr. „Entschuldigung, aber ich halte es für besser, wenn<br />

ich Ihr Land verlasse, um nicht noch weitere Missverständnisse zu verursachen!", beeilte sie sich<br />

höflich zu erklären.<br />

„Sie werden es nicht wagen, die Einladung auszuschlagen!", empörte er sich.<br />

„Bitte, verstehen Sie, ich kann nicht glauben, was sie sagen. Wieso sollte mich Minister Safar nach all<br />

dem...!"<br />

„Sie zweifeln an meinen Worten?" Seine Augen blitzen verärgert. „Glauben Sie, wir hätten es nötig zu<br />

lügen, so wie Sie? Sie halten seine Einladung in der Hand. Sie glauben doch sonst alles zu wissen,<br />

soll <strong>das</strong> heißen, <strong>das</strong>s Sie unsere Schrift nicht lesen können?"<br />

Sinia zuckte die Achseln. „Ich bin eben auch nicht vollkommen!"<br />

„Sie nehmen die Einladung also an?"<br />

„Gut, ich glaube Ihnen. Er wird es schon selbst sein, da er ja nur einen Doppelgänger hat!"<br />

„Ich erwarte, <strong>das</strong>s sie sich dieser Ehre würdig zeigen!", überging er ihre Anspielung.<br />

„Ich werde mich bemühen. Sie haben von mir nichts zu befürchten, und <strong>das</strong> meine ich so ehrlich wie<br />

Sie!", bekräftigte sie freundlich.<br />

„Zu Ihrer Information, die beiden Männer werden vor der Tür Wache halten!"<br />

„Wäre nicht nötig. Ich kann auf mich schon alleine aufpassen!", konterte sie. Der Mann sah sie abschätzend<br />

an.<br />

„Danke für die Einladung. Ich weiß die großzügige Geste zu schätzen, glauben sie mir!", sagte sie<br />

ehrlich.<br />

Der Fremde machte eine knappe Verbeugung und verließ mit seinen beiden Begleitern <strong>das</strong> Zimmer.<br />

Sina setzte sich auf <strong>das</strong> Bett. Sie war völlig verwirrt. Sollte sie es am Ende doch noch schaffen? Was<br />

gab es alles zu bedenken? Sie musste sich gut auf <strong>das</strong> alles entscheidende Treffen vorbereiten. Und<br />

auch der Hunger meldete sich wieder zurück.<br />

© S. Remida Remida<br />

********<br />

Man hatte Sinia pünktlich mit einem gepanzerten Mercedes abgeholt und in die festungsähnliche Residenz<br />

von Safar gebracht. Es war alles sehr schnell und unauffällig vonstatten gegangen. Nun stand<br />

sie alleine in einem mäßig großen Raum.<br />

Über einem cremefarbenen Rock mit passender Bluse und einem breiten dunkelbraunen Ledergürtel<br />

um die Taille, trug sie einen 'Shador', einen schwarzen Umhang, dessen Kapuze sie tief ins Gesicht<br />

gezogen hatte.<br />

Mit einem Blick überflog sie <strong>das</strong> Zimmer. Gegenüber verdeckte ein mächtiges Regal die gesamte Wand. Es war<br />

mit ordentlich einsortierten Büchern und dazwischen, hinter eingelassenen Glasfenstern und indirekt beleuchtet,<br />

mit kostbaren Schnitzereien und funkelnde Edelsteinen vollgestellt. Links neben ihr standen um einen kleinen<br />

runden Tisch mit einem zarten Gesteck in der Mitte vier gedrechselte, grüngepolsterte Stühle. Daneben entdeckte<br />

sie eine unauffällig in die Wand eingelassene Tür. Sie glaubte sogar die Linse einer Überwachungskamera<br />

oben in einer Ecke ausgemacht zu haben. Durch ein Fenster rechts vor ihr ergoss die Abendsonne ihre goldenen<br />

Strahlen in <strong>das</strong> kostbar eingerichtete Zimmer. Rechts neben ihr stand majestätisch ein übergroßer Porzellanfalke<br />

auf einem Sockel. Langsam schritt sie über die edlen Teppiche zum Fenster. Sie sah auf einen ausladenden<br />

üppig blühenden Garten, den eine unüberwindliche Steinmauer von einer öffentlichen Parkanlage<br />

trennte.<br />

Sinia schob die Kapuze zurück und öffnete den shador. Er glitt von ihren Schultern und sie legte ihn<br />

achtlos neben sich auf die breite Marmorfensterbank. Wie lange würde Safar wohl auf sich warten<br />

lassen, wenn er überhaupt kam?<br />

Plötzlich hatte sie <strong>das</strong> Gefühl nicht mehr alleine im Zimmer zu sein. Sie drehte sich langsam um. Da stand er,<br />

gegenüber vor der Geheimtür. Breitbeinig, anderthalb Kopf größer als sie, in einem weißen Anzug, <strong>das</strong><br />

Seite 28


ordendekorierte Jackett über dem schiefergrauen Hemd lässig geöffnet, eine Hand locker an die Hüfte gestemmt,<br />

beobachtete er sie aufmerksam. Er sah wirklich so gut aus, wie auf ihrem Bild zuhause. Sinia triumphierte<br />

in Gedanken aber befahl sich, ruhig zu bleiben.<br />

„Masal khair", begrüßte er sie freundlich. Sinia nickte zurückhaltend ihm zu.<br />

„Sie wollten mich sprechen? Vorausgesetzt, ich bin der Richtige!", fragte Safar in Englisch mit einem spitzbübischen<br />

Lächeln, <strong>das</strong> sie an Clark Gable erinnerte.<br />

„In der Tat, hatte ich es nur auf Sie abgesehen!"<br />

„Na, dann haben Sie hoffentlich so viel Zeit, <strong>das</strong>s wir uns setzen und in Ruhe unterhalten können!"<br />

Dabei winkte er mit der Hand näher zu kommen und wies auf die Sitzgruppe neben sich. Sinia griff<br />

nach ihrem Umhang und ging hinüber, um sich ihm gegenüber an den runden Tisch zu setzen.<br />

„Sie sind also Katrin...", - Safar griff suchend in die Innentasche seines Jacketts und zog ihren Reisepass<br />

und Presseausweis heraus –, „...Steiger?"<br />

Sinia wich seinem prüfenden Blick aus und sah auf die beiden Dokumente in seiner Hand. „Wie Sie<br />

sehen!", antwortete sie leichthin.<br />

„Eine Überprüfung hat übrigens ergeben, <strong>das</strong>s die hier echt sind!", sagte er, ohne Sinia aus den Augen<br />

zu lassen.<br />

Erleichtert lächelte Sinia ihn an. „Aber natürlich, was hatten Sie erwartet?"<br />

„Nur", fuhr Safar gedehnt fort. „Der ‚Australien Enquirer‘ scheint nichts von einer Reportage über die<br />

arabischen Länder zu wissen. Verstehen Sie <strong>das</strong>?"<br />

„Nein! Aber ich werde mich darum kümmern!", antwortete sie betont gelassen.<br />

„Abgesehen davon, hätte man so einen Auftrag Ihnen nicht einmal anvertraut!"<br />

„Ich verstehe nicht ...", sagte Sinia irritiert.<br />

„Na, Sie leiden unter schweren Depressionen", erklärte er im Plauderton, während er sie mit<br />

seinen schwarzen Augen durchbohrend ansah. „Ja, man bringt Ihr Verschwinden von vor zwei<br />

Monaten sogar mit Selbstmord in Verbindung. Immerhin haben Sie <strong>das</strong> oft genug angekündigt!"<br />

Davon hatte Sinia nichts gewusst, nicht einmal <strong>das</strong>s es eine Katrin Steiger wohl tatsächlich gab. Ob<br />

er nur bluffte? Sie wich seinem Blick aus und überlegte fieberhaft.<br />

Safar ließ ihr geduldig Zeit, ohne sie auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen.<br />

Zögernd sagte sie: „Muss man nicht lebensmüde sein, um hierher zu kommen?"<br />

Ein breites Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht. „Möglich! Trotzdem sind sie weder diese Steiger<br />

noch Australierin! Wer also sind sie wirklich?"<br />

Sinia schüttelte nachdenklich ihren Kopf. „Tut mir leid. Ich kann Ihnen keine Alternative anbieten. Wir<br />

sollten bei Katrin Steiger bleiben!"<br />

„Na schön, wir kriegen <strong>das</strong> schon noch heraus. Jedenfalls haben Sie sich verdammt gut vorbereitet.<br />

Darf ich wenigstens dafür den Grund erfahren?"<br />

„Deshalb bin ich hier. Ich brauche Ihre Hilfe!", sagte Sinia ohne Umschweife und sah den Minister<br />

gespannt an. Er wirkte beruhigend gelassen und zog nur seine Schultern fragend hoch. „Wobei?"<br />

„Bitte überreden Sie die somalischen Rebellen, ihre sechs unschuldigen Geiseln freizulassen. Sie<br />

sind der einzige, auf den sie hören!"<br />

Safar war verblüfft. Das wollte sie also von ihm. Er wusste, <strong>das</strong>s es unnötig war, sich ahnungslos zu<br />

stellen. „Weshalb sollte ich mich da einmischen? Bisher hat sich noch niemand offiziell an unsere<br />

Regierung gewandt!"<br />

„Das will man auch wohl kaum! Tun sie es von sich aus, sagen wir aus Menschlichkeit, im Namen<br />

Allahs! Es würde auch <strong>das</strong> Image Ihrer Regierung heben!"<br />

„Lassen Sie unsere Religion da raus! Ebenso unsere Regierung, die hat damit nichts zu tun!"<br />

„Ich hätte noch Erpressung anzubieten", konterte Sinia ohne Umschweife und blickte ihren Gegenüber<br />

abwartend an.<br />

Safar lächelte überlegen. „So? Welcher Art?"<br />

„Zum Beispiel Veröffentlichung einer Liste von ausländischen Unternehmen, an denen sich ein paar<br />

Regierungsmitglieder mit Staatsgeldern beteiligen - zum privaten Nutzen. Sie verstehen? Es könnte<br />

© S. Remida Remida<br />

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auch in den Firmen, in die besonders investiert wurde, Sabotageakte geben, was sich dann ungünstig<br />

auf die Entwicklung der Aktien beziehungsweise Einlagen auswirken könnte... Und so schnell lassen<br />

sich die Gelder ja nicht abziehen. Letztlich dürfte der materielle Schaden dem des politischen entsprechen!"<br />

Sinia zog elegant ein Papier aus ihrem Gürtel, entfaltete es und reichte es Safar hinüber.<br />

„Hier die aktuelle List!"<br />

Aufmerksam überflog er <strong>das</strong> Blatt. „Das würden Sie wagen?“<br />

Sinia zuckte mit den Achseln.<br />

„Sie spielen mit ihrem Leben!"<br />

„Das hatten wir schon festgestellt!", antwortete sie und blickte ihn offen an.<br />

„Wir könnten Sie als Sicherheit hier behalten, um Ihre Freunde von diesen Dummheiten abzuhalten,<br />

schließlich schaden Sie damit vor allem auch der Wirtschaft jener Länder!" konterte Safar und erkundigte<br />

sich: „Was ist <strong>das</strong> eigentlich für eine Gruppe?"<br />

„Keine Ahnung! Jedenfalls werden die sich von Ihrem Arrestvorschlag kaum beeindrucken lassen.<br />

Übrigens kannte ich mein Risiko vorher! Es stehen sechs Menschenleben auf dem Spiel!"<br />

„Gegen Ihres?" fragte Safar grinsend. „Sie wissen, wer uns schaden will, wird die Macht unseres<br />

Zorns zu spüren bekommen!"<br />

„Sicher, aber <strong>das</strong> ist ja nicht <strong>das</strong> Ziel. - Bitte befreien sie diese Männer, ehe es zu spät ist. Es würde<br />

sich für Sie auch auszahlen", sagte Sinia eindringlich.<br />

„Besteht ein persönliches Interesse an den Männern, an einem Mann?"<br />

„Sie sind ihre einzige Chance, nicht Opfer von Prestige und Sturheit zu werden. Ist <strong>das</strong> nicht Grund<br />

genug? Es muss ja nicht immer die Falschen treffen! Bitte tun Sie was!"<br />

„Wissen Sie um den Anlass der Entführung?"<br />

Sinia sah ihn zweifelnd an. Bevor sie etwas sagen konnte, wischte Safar mit einer Handbewegung die<br />

Bemerkung als unwichtig weg.<br />

„Lassen wir <strong>das</strong>. Also gut, ich werd' s mir überlegen, wenn Sie mir vorher sagen, wer Sie sind, Ihre<br />

Auftraggeber und Informanten", zählte er auf.<br />

Sinia bewegte langsam ihren Kopf hin und her. „Das ist unwichtig, es gibt da nichts, es gibt nur Ihr<br />

Eingreifen und Ihren Triumph, den Sie nach Belieben umsetzen können. Reicht <strong>das</strong> nicht?"<br />

Safar merkte sehr wohl, <strong>das</strong>s diese fremde Frau ihm jetzt nichts verraten würde. Da sie ihm aber<br />

auch nicht gefährlich schien, verwarf er den Gedanken, mit Gewalt etwas herauskriegen zu lassen,<br />

gleich wieder. Ihn reizte <strong>das</strong> Spiel und er war sich seines Sieges sicher. Außerdem war ihm zumindest<br />

der Stand der Verhandlungen bekannt. „Mich würde nur noch interessieren, an was Sie meinen<br />

Doppelgänger entlarvt haben. Verraten Sie mir wenigstens noch <strong>das</strong>?", fragte er schmeichelnd.<br />

„Oh, es lag nicht an ihm. Er war perfekt. Es ist nur..., ich kenne Ihr Gesicht wohl etwas zu genau",<br />

versuchte Sinia zu erklären.<br />

„So?"<br />

„Ich hatte ein recht gutes Foto von Ihnen. - Es stand eine ganze Weile an meinem Bett", sagte sie mit<br />

entwaffnendem Lächeln.<br />

Er grinste geschmeichelt zurück. „Das erklärt natürlich alles!"<br />

„Es wird Zeit. Sie erlauben, <strong>das</strong>s ich gehe?"<br />

„Wollen sie hier nicht abwarten, ob die Entführten freikommen?"<br />

„Ich habe erreicht, weshalb ich gekommen bin. Mehr kann ich nicht tun, außer hoffen. Alles weitere<br />

ist Ihre Entscheidung!" Sinia stand auf und zuckte mit den Achseln. „In sha’ allah!" Sie nahm ihren<br />

Umhang und ging zu der Schiebetür, durch die sie gekommen war. Aber die Automatik öffnete sie<br />

nicht.<br />

„Sieht so aus, als müssten sie doch hier bleiben!" stellte Safar grinsend fest.<br />

Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, griff Sinia an der linken Seite der Tür hinter den Vorhang,<br />

der diese zu beiden Seiten umrahmte. „Wenn sie mal nicht funktioniert, kann man sie mit dieser Kurbel<br />

auch manuell öffnen", bemerkte sie, während sie eine kleine Klappe öffnete und an der Kurbel<br />

drehte. Sie hatte doch einen perfekten Lehrer gehabt!<br />

„Ich wusste nicht, <strong>das</strong>s sie sich auch in meinem Haus so gut auskennen!", sagte er anerkennend. „Ich<br />

werde sie gehen lassen, aber nicht ausreisen. Noch nicht. Sie verstehen?"<br />

© S. Remida Remida<br />

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„Ich werd' s mir überlegen. Sie haben ja noch meine Papiere!"<br />

„Mein Wagen steht Ihnen unten zur Verfügung. Er bringt Sie zum Hotel zurück!"<br />

Sinia zog ihre Stirn in Falten und blickte Safar, der nun in seiner ganzen Größe vor ihr stand, nachdenklich<br />

an. „Sie sind ein ungewöhnlicher Mann. Alleine Sie kennen gelernt zu haben, hat den langen<br />

Weg gelohnt. Ich vertraue auf Sie!"<br />

„Wenn Sie mir vertrauen, werden Sie bei unserem nächsten Gespräch doch etwas mehr über sich<br />

verraten. Im Augenblick weiß ich nur, <strong>das</strong>s Sie offenbar recht mutig sind!"<br />

„Und hoffentlich nicht zu leichtsinnig!" erwiderte Sinia. "Möge Allah Sie beschützen!"<br />

„Auf Wiedersehen!" betonte er und winkte einen Soldaten her, der sie hinausbegleitete.<br />

Ungesehen, wie sie gegangen war, huschte Sinia nun wieder in ihr Zimmer. Schnell zog sie sich um.<br />

Es war besser gelaufen, als sie gedacht hatte. Selbst die Wachposten auf dem Hotelkorridor waren<br />

verschwunden und auch draußen schien niemand abgestellt worden zu sein, wie sie von ihrem Fenster<br />

feststellen konnte. Sie musste nun ihr Verschwinden vorbereiten. Safar würde seine Entscheidung<br />

unabhängig von ihr treffen und sich alleine von einer Abwägung aller möglichen Vorteile und wie er<br />

sie sich sichern könnte leiten lassen.<br />

Sinia klopfte an der Zimmertür von Sven Gustavson. Sein Ja, ließ Sie aufatmen. „Hi, darf ich einen<br />

Moment hereinkommen?"<br />

Der junge Mann war erfreut. Sie unterhielten sich über Belanglosigkeiten, wobei Sinia hauptsächlich<br />

ihn reden ließ. Wegen der Kassette sei sie eigentlich gekommen, tat Sinia, als sei es ihr eben wieder<br />

eingefallen und Sven Gustavson erklärte sich sofort bereit, sie zu holen. Minuten später kam er wieder<br />

ins Zimmer. Sinia hatte sich von einem Teller mit Obst Weintrauben geholt und sich auf <strong>das</strong> Bett<br />

gesetzt. „Ich darf doch?", fragte sie, deutete auf die Früchte und schob sich eine Traube in den Mund.<br />

Selbstverständlich, erwiderte er wortreich.<br />

„Ach herrje, ich sollte doch noch meinen Führer für morgen anrufen", kam Sinia plötzlich ein. Der<br />

Schwede bot sein Telefon an. "Von hier können Sie überall hintelefonieren!"<br />

Sinia holte <strong>das</strong> Telefon vom Nachttischchen und stellte es aufs Bett, legte den Hörer daneben und<br />

wählte mit dem kleinen Finger behände die Nummer, die El Basan ihr angegeben hatte. „Oh, ich<br />

muss mir erst die Hände waschen. Können sie so lange den Hörer nehmen? Fragen Sie nur nach Al<br />

Fa!" sagte Sinia schnell und steckte sich die letzte Traube in den Mund.<br />

„Al Fa? oder Al Fach?" fragte Gustavson nach und hielt den Hörer ans Ohr.<br />

Sinia zuckte mit den Achseln, ging ins Badezimmer und wiederholte kauend und entsprechend undeutlich<br />

den Namen. Der junge Mann bemühte sich einen Al Fach oder Fa ans Telefon zu kriegen.<br />

„Ist <strong>das</strong> auch die richtige Nummer? Da scheint kein Al Fach zu sein!"<br />

„Wirklich? Dann legen Sie auf. Ich probier es morgen noch mal. Ist sowieso schon reichlich spät.<br />

Aber danke!" Sinia kam zurück und sah auf ihre Uhr. „Ich sollte schlafen gehen, morgen wartet ein<br />

langer Tag auf mich, dieser Führer will mir eine ganze Reihe von Sehenswürdigkeiten zeigen!"<br />

„Nur noch ein Drink!", versuchte Gustavson sie zu halten und kam ganz nah an sie heran.<br />

Sinia lächelte lieb. „Nicht bös sein, aber ich bin wirklich müde. Können wir <strong>das</strong> nicht auf morgen<br />

Abend verschieben? Sieben Uhr? Ich hätte dann die ganze Nacht Zeit!", sagte sie vielversprechend.<br />

Der Mann schien leicht enttäuscht, aber die Aussicht auf den nächsten Abend stimmte ihn versöhnlich.<br />

„Morgen um sieben, und du vergisst es nicht, bestimmt?", hakte er nach und gab ihr einen<br />

flüchtigen Kuss auf die Wange. Sinia nickte, holte ihre Kassette und hauchte von der Tür ihm<br />

einen Handkuss zu. „Bis morgen! Träum süß!" Und eilig verschwand sie in ihr Zimmer. Geschafft!<br />

© S. Remida Remida<br />

**********<br />

Gegen halb vier Uhr morgens schlich eine vermummte Frau aus dem Hotel und wenig später fuhr die<br />

gleiche Frau mit einem alten amerikanischen Auto durch die fast menschenleere Stadt in Richtung<br />

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Westen. Es war Sinia, die als Marie Russell mit zierlicher Brille, schwarz gefärbten Lockenhaar und<br />

sonnengebräunter Haut die Dunkelheit der frühen Stunde für ihr unauffälliges Verschwinden nutzte.<br />

Fast alles, was sie als Katrin Steiger mitgebracht hatte, hatte sie wie von El Basan geraten im Hotel<br />

zurückgelassen. Dafür war im Kofferraum eine Tasche mit anderer Kleidung bereits deponiert. Nachdem<br />

alles so reibungslos gelaufen war, hielt Sinia diese detaillierten Maßnahmen im Grunde für überflüssig.<br />

Nun, denn! El Basan hatte sogar <strong>das</strong> vereinbarte Codewort erhalten und würde beruhigt auf<br />

sie warten.<br />

Nur selten begegnete sie einem Menschen. Die Autostraße zum westlichen Nachbarland verlangte<br />

wenig Konzentration, so <strong>das</strong>s sie ihren Gedanken nachhängen konnte. Der Kassettenrecorder spielte<br />

flotte Popmusik. Sie dachte an ihre Kinder und <strong>das</strong>s sie wegen der gründlichen Vorbereitungen ihnen<br />

viel zu wenig Zeit gewidmet hatte. Dabei hatte sie <strong>das</strong> Wenigste davon tatsächlich gebraucht. Selbst<br />

die kurzfristig abgeschlossene Reiserisikoversicherung, all die Impfungen und gar die "Dreimonatsspritze"<br />

erschienen ihr nun als reichlich übertriebe Vorsichtsmaßnahmen. Sie lächelte belustigt. Nach<br />

und nach löste sich die Anspannung der letzten Wochen. Sie fühlte sich befreit und erleichtert und<br />

bald ließ sie ihren Gedanken freien Lauf. Sie hatte alles getan, was in ihrer Macht stand.<br />

Es dämmerte schon der Morgen, als Sinia im Rückspiegel zwei sich rasch nähernde Lichter bemerkte.<br />

Wohl irgend so ein Möchte-gern-Rennfahrer! Aber dann identifizierte sie <strong>das</strong> Auto als einen Militärjeep.<br />

Sie beschleunigte ihre Fahrt, doch der Wagen hatte sie rasch eingeholt und nach einem rasanten<br />

Überholmanöver zu einer Vollbremsung gezwungen.<br />

Sinias Nerven waren aufs Äußerste gespannt. Langsam ließ sie ihren Wagen zurückrollen. Der Jeep<br />

wendete und fuhr auf sie zu. Sinia passte den richtigen Moment ab und mit durchdrehenden Reifen<br />

und voll aufgeblendeten Scheinwerfern peilte sie den Geländewagen an, der in letzter Sekunde in<br />

den weichen Straßenrand auswich, während Sinia knapp an ihm vorbeisteuerte und mit Höchstgeschwindigkeit<br />

davonfuhr. Es sah so aus, als hätte sie ihn abgehängt, als ein Düsenjäger in geringer<br />

Höhe von hinten über sie hinwegdonnerte, weit vor ihr eine Schleife zog und im Tiefflug zurückkam.<br />

Dann war er verschwunden. Sinia fuhr mit durchgedrückten Gaspedal.<br />

Vor ihr kündigte ein fernes Grollen <strong>das</strong> Jagdflugzeug erneut an. Diesmal eröffnete es sogar <strong>das</strong> Feuer.<br />

Maschinengewehrsalven schlugen bis dicht vor ihrem Fahrzeug in die Straße ein. Und schon<br />

drehte es im weiten Bogen und kam wieder auf sie zu. Sinia trat auf die Bremse, <strong>das</strong>s ihr Auto leicht<br />

schleuderte. Im Rückwärtsgang fuhr sie so schnell wie möglich die gerade Straße zurück. Da tauchte<br />

auch der Jeep wieder hinter ihr auf. Von vorne näherte sich der Jäger, seine Reifen berührten fast die<br />

Straße. Unter seinem Dauerbeschuss spritzten vor ihm tanzende Stein-Staubfontänen hoch.<br />

Wenige Meter vor dem Jeep kuppelte Sinia aus, bremste abrupt, <strong>das</strong>s eine große Staubwolke entstand<br />

und umfuhr mit Vollgas den Düsenjäger, der im letzten Moment vor dem Jeep hochstieg. Offenbar<br />

hatte der Fahrer des Jeeps vor Schreck den Motor abgewürgt, so <strong>das</strong>s Sinia schnell an Vorsprung<br />

gewann. Auch <strong>das</strong> Flugzeug blieb weg.<br />

Sinia atmete auf. Aber die Staatsgrenze war noch weit! Die Straße führte über einen kleinen Hügel<br />

und dahinter glaubte Sinia ihren Augen nicht zu trauen. Der Düsenjäger war mitten auf der Fahrbahn<br />

abgestellt und vor ihm stand mit einer Maschinenpistole im Anschlag der Pilot. Es war unmöglich, <strong>das</strong><br />

gefährliche Hindernis zu umsteuern. Sinia ließ <strong>das</strong> Auto ausrollen und hielt direkt vor dem Mann. Mit<br />

einem Druck stellte sie die Musik ab.<br />

„Wohl keinen Sprit mehr? Soll ich Sie bis zum nächsten Ort mitnehmen oder Hilfe schicken?", rief sie<br />

auf arabisch.<br />

„Aussteigen!"<br />

„Dazu habe ich leider keine Zeit! Termine, Sie verstehen? Wenn ich sonst nichts für Sie tun kann,<br />

wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich durchlassen würden!"<br />

Der Pilot kam zu ihrer Tür und öffnete sie. „Aussteigen!", befahl er nun auf englisch.<br />

„Langsam, langsam, gehört <strong>das</strong> auch noch zu ihren Angriffsübungen? Ich werde mich beschweren,<br />

ich bin Zivilist! Können Sie Ihre Kriegsspiele nicht auf den Bodentrupp beschränken, der da hinten<br />

irgendwo unterwegs ist?"<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 32


„Wir haben Auftrag Sie zurückzubringen!"<br />

Im Rückspiegel tauchte der Jeep wieder auf und hielt quietschend hinter Sinias Wagen. Auf der Beifahrerseite<br />

wuchtete sich zu ihrem Schreck der Dicke aus dem Militärstützpunkt heraus. Wütend rieb<br />

er sich mit einem Tuch sein verschwitztes Gesicht ab und stapfte herbei.<br />

„Was fällt Ihnen ein? Sie hätten uns fast umgebracht! Sie sind festgenommen! Los, Sie kommen mit!<br />

Geben Sie mir Ihre Papiere!", wandte er sich nach Luft ringend an Sinia.<br />

„Das Gefühl hatte ich auch. Aber er war's! Man sollte ihm den Pilotenschein nehmen!", zeigte sie auf<br />

den jungen Mann. Der Dicke zerrte Sinia am Arm aus dem Wagen.<br />

„Lassen Sie mich los! Was wollen Sie von mir? Wer sind Sie eigentlich?", schrie sie ihn an und entwand<br />

sich seinem Griff. Schutzsuchend stellte sie sich neben den Piloten, der ihr immer noch sympathischer<br />

erschien.<br />

„Ich bringe Sie zurück, dann werden wir erst mal feststellen, wer Sie sind", erklärte der Dicke.<br />

„Als Entführungsopfer bin ich kein lohnendes Objekt. Suchen Sie sich jemanden anderes! Oder sind<br />

sie an internationalen politischen Verwicklungen interessiert?"<br />

Der Dicke winkte die anderen beiden Insassen des Jeeps zu sich. „Nehmt sie fest!"<br />

Sinia wandte sich angstvoll an den Piloten und sagte auf englisch. „Sie wollten mich doch auch mitnehmen.<br />

Mit denen gehe ich auf keinen Fall! Da müssen die mich schon umbringen!" Eine kurze Diskussion<br />

zwischen den Männern folgte, dann sagte der Militärpilot zu Sinia: „Sind Sie schon mal in so<br />

einer Maschine geflogen?"<br />

Sinia schüttelte den Kopf.<br />

„Sie kommen mit mir, aber keine Dummheiten, sonst zeige ich Ihnen ein paar Tricks, die Ihnen wenig<br />

bekommen dürften!"<br />

Erleichtert schlüpfte Sinia aus dem schwarzen Gewand, drückte es dem verdutzten uniformierten<br />

Dicken in die Hand und eilte nun in heller Hose mit einem weiten schwarzen Hemd darüber dem Piloten<br />

hinterher.<br />

Sinia saß im engen Cockpit hinter dem Flugzeugführer und war über den Helm mit eingebautem Mikrophon<br />

mit ihm verbunden. Minuten später jagte die Düsenmaschine schnell an Höhe gewinnend<br />

davon. Der Pilot meldete sich bei ihr. "Alles okay? Ich heiße übrigens Jaffar. Sie kommen aus einem<br />

westlichen Land, stimmt' s?"<br />

„Ich bin Marie Russel aus der Schweiz!"<br />

„Dann sprechen Sie deutsch? Ich habe in Deutschland studiert!", sagte Jaffar in hartem Deutsch.<br />

„Wirklich?", entfuhr es Sinia und hielt erschrocken inne, weil <strong>das</strong> deutsch und nicht schweizerisch<br />

geklungen hatte.<br />

„Keine Angst, ich verrate nichts. Ich habe Sie eh nicht für eine Schweizerin gehalten. Wenn Sie sich<br />

mal in ihrer Sprache unterhalten möchten, lassen Sie 's mich wissen, ich bin da!", bemerkte er, als<br />

habe er ihre Gedanken gelesen.<br />

„Was will man eigentlich von mir?"<br />

„Das müssten Sie besser wissen als ich!"<br />

Sinia schwieg.<br />

„He junge Frau, Sie können mir wirklich vertrauen, aber <strong>das</strong> merken Sie noch selbst!" Dabei ließ er<br />

es bewenden. Er konzentrierte sich auf <strong>das</strong> Funkgespräch mit einer Bodenstation. Zwischendurch<br />

erklärte er ihr Besonderheiten, die sie überflogen. Noch hielten bei Sinia Angst und Neugier sich die<br />

Waage. Ob sie ihm trauen konnte? Sie würde einen Freund jetzt schon gut brauchen können...<br />

© S. Remida Remida<br />

******<br />

Längst hatte der Muezzin zum Mittagsgebet gerufen. Sinia lag nun schon seit Stunden auf einer<br />

couchähnlichen Liege, eingeschlossen in dem nur mäßig hellen Raum mit seinen kalten weiß getünchten<br />

Wänden und grauen Decke.<br />

Nach der Landung auf einem ihr unbekannten Militärflugplatz, hatte man sie mit verbundenen Augen<br />

sogleich hierher gefahren. Nun wartete sie in diesem kleinen Zimmer auf der Liege auf, sie wusste<br />

Seite 33


nicht was! Das einzige Fenster oder besser die Fensteröffnung war unerreichbar hoch und obgleich<br />

kein Glas eingelassen war, drang kein Sonnenstrahl und kein Geräusch zu ihr hinein. Sie war todmüde<br />

und hatte keine Kraft mehr, ihre Ängste zu bekämpfen. Furchtbare Visionen schreckten sie immer<br />

wieder aus ihrem Halbschlaf auf. Sie fröstelte und Angstschweiß perlte auf ihrer Haut.<br />

Mehrere schwere, schlurfende Schritte näherten sich und schreckten sie auf. Ihr Herz raste als die<br />

Tür aufgeschlossen wurde und fünf Soldaten eintraten. Ohne Umschweife wurde sie gepackt und<br />

mitgenommen und über lange Gänge und Treppen in einem riesigen, schwach beleuchteten Saal<br />

gebracht. Hier stand schon eine unüberschaubare Anzahl von teils uniformierten Männern in Gruppen<br />

verstreut und schien zu warten. Oben auf der Empore öffnete sich eine Doppeltür und aus der grellen<br />

Helligkeit traten mehre Leute ein und kamen die Treppe hinab. Sofort erkannte Sinia unter ihnen<br />

Rashid Safar, der eine dunkle Brille trug. Die Gruppe kam auf Sinia zu, die immer noch von zwei Soldaten<br />

festgehalten wurde. Safar trat vor und kam ganz dicht an Sinia heran. Er schnippte mit den<br />

Fingern und gleißendes Licht ließ die Halle in ihrer ganzen Pracht erstrahlen. Er bedeutete dem einen<br />

Soldaten, ihr die Brille abzunehmen. Sinia blinzelte, wie sie es oft bei Brillenträgern beobachtet hatte.<br />

Langsam nahm Safar nun seine Sonnenbrille herunter, musterte die junge Frau eindringlich und<br />

schob seine Brille mit einem Anflug eines Lächelns wieder hoch. Dann drehte er sich wieder um zum<br />

Gehen und rief dabei zu seinen Männern: „Wascht erst mal die Farbe von der Lady ab!"<br />

Die Meute reagierte mit begeistertem Gegröle.<br />

„Nein! Nein! Das können Sie nicht zulassen!", schrie Sinia entsetzt und befreite sich mit einem Tritt<br />

ins Knie von dem einem und mit einem kräftigen Stoß ihres Ellebogen in die Rippen des anderen<br />

Soldaten.<br />

Safar drehte sich zu ihr um und augenblicklich verstummte <strong>das</strong> Gejohle. „Also gut, dann sage deinen<br />

Namen und den deiner Auftraggeber, Helfer und Informanten!", befahl er scharf.<br />

„Ich bin Marie Russell. Ich weiß nicht, wovon Sie reden!", schrie sie mit verzweifelter Stimme zurück.<br />

Obwohl ihr längst klar war, <strong>das</strong>s Safar sie erkannt hatte. Der Minister zuckte gleichgültig mit seinen<br />

Achseln, wandte sich zum Gehen und signalisierte mit einem kurzen Wink seinen Schergen weiterzumachen.<br />

Augenblicklich stürzten sie sich auf Sinia und drängten sie zurück. Hinter ihr hatten die Männer eine<br />

schmale Gasse freigelassen, die zu einem riesigen Brunnen mit einem üppig bepflanzten hochaufragenden<br />

Felsen in seiner Mitte führte. Mit begeistertem Geschrei wurde Sinia nun dorthin getrieben.<br />

Mit einem riesigen Satz flüchtete Sinia auf den steinernen Brunnenrand und sprang beherzt hinein.<br />

Das kalte hüfttiefe Wasser stockte ihr den Atem, dennoch watete sie voller Panik zu dem wohl vier<br />

Meter hohen Felsstein in der Mitte. Sie stolperte über Wasserpflanzen und rutschte auf glatten Steinen<br />

aus, ging unter und rappelte sich wieder hoch, wischte sich die nassen Haare aus dem Gesicht<br />

und stellte dabei erschrocken fest, <strong>das</strong>s die schwarze Farbe sich aus ihrem Haar löste, ebenso wie<br />

der braune Teint von ihrer Haut. Sie hatte extra leicht auswaschbare Färbemittel genommen um sich<br />

problemlos in Sinia Martin zurückverwandeln zu können, als die sie nach Deutschland ja zurückfliegen<br />

musste.<br />

Einige Männer waren ihr hinterhergesprungen, <strong>das</strong> trieb sie weiter zum Fels, von dem auf verspielten<br />

Wegen Wasser herunterfloss. Sie kletterte an dem nassen und stellenweise auch glitschigem Gestein<br />

hinauf, vorbei an Schlingpflanzen, jungen Palmen und exotischen Blütensträuchern. Auch ihre<br />

Verfolger begannen den Steinbrocken zu besteigen und griffen johlend nach ihren Füßen. Oben angekommen<br />

klammerte sie sich an den Stein und trat mit den Füßen wild nach unten. Sie sah sich<br />

hilfesuchend um. Etwa acht Meter gegenüber von ihr entfernt zog sich ein Bogengang an der Wand<br />

entlang und in dieser Wand stand eine Tür achtlos offen.<br />

Flink krabbelte sie auf die andere Seite des Felsens, rutschte ein Stück hinunter und sprang in den<br />

Brunnen. Kletterte über den Rand und rannte auf die Tür zu, dicht gefolgt von den Männern. Als sie<br />

an einer der Säulen vorbeikam, riss eine Hand sie brutal zurück und drehte ihr den rechten Arm<br />

schmerzhaft auf den Rücken. Ohne sie loszulassen, schleuderte der kräftig gebaute, in arabische<br />

Tracht gekleidete Kerl sie gegen die Wand, <strong>das</strong>s sein Gewand wild umherwirbelte und <strong>das</strong> lange<br />

© S. Remida Remida<br />

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Tuch um seinen Kopf ihr ins Gesicht peitschte. Sinia sah in zwei pechschwarze Augen, die aus einem<br />

verwegenen Gesicht mit schwarzen Bartstoppeln vor siegreichem Jagdfieber leuchteten. Noch ehe<br />

sie sich wehren konnte, hatte er mit seiner linken Hand ihren freien Arm am Handgelenk gepackt und<br />

drückte nun seinen Unterarm gegen ihren Hals. „Du kommst hier nicht mehr raus!", zischte er. „Red<br />

endlich, wer bist du?"<br />

Sinia versuchte zu sprechen, aber es kam kein Ton heraus. Er lockerte den Druck auf ihren Hals,<br />

drückte dafür mit einem kurzen Ruck ihren Arm hinter ihrem Rücken nach oben.<br />

„Au!", schrie sie vor Schmerzen auf. „Du bringst mich ja schon vorher um!" Sinia schloss die Augen<br />

und atmete schwer. Da fiel ihr wieder der Pilot ein. Sie hatte ihn hier nirgends gesehen. Verzweifelt<br />

ob ihrer aussichtslosen Lage, manifestierte sich plötzlich die irrwitzige Hoffnung auf eine Rettung<br />

durch diesen Mann. Sie holte tief Luft, sah ihren Peiniger an und schrie aus voller Kraft auf Deutsch:<br />

„Jaaffaaar! Hilf mir!"<br />

Im Gesicht ihres Gegners glaubte sie so etwas wie Triumph zu erkennen. Er ließ sie los und unvermittelt<br />

holte er zu einem Schlag aus, der, noch ehe er ihr Gesicht traf, von Jaffar blitzschnell abgeblockt<br />

wurde.<br />

„Tu’ s nicht!", raunzte er beschwichtigend seinem Landsmann zu. Der versuchte ihn abzuschütteln,<br />

besann sich aber dann und ließ mit einem unverschämten Grinsen von Sinia ab. „Das nächste Mal<br />

wirst du vergeblich auf deinen Retter warten!"<br />

„Bringen Sie mich weg, von diesem Wahnsinnigen", flüsterte Sinia tonlos in deutsch.<br />

„Sie wissen wohl nicht, wer er ist? - Er ist Karim, Safars Sohn!" klärte Jaffar sie auf.<br />

Sinia wurde schwindelig. Sie lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. „Oh, Gott!" Darauf war<br />

sie nicht gefasst gewesen! Warum hatte sie sich auch nie für seine Familie interessiert? Wenn sie<br />

nur irgendwie weg von hier könnte oder wenigstens ohnmächtig würde! Ja, <strong>das</strong> war' s! Hoffentlich<br />

wirkte es echt, dachte sie und sackte kraftlos in sich zusammen und fiel hart auf den Steinboden,<br />

noch ehe Jaffar sie auffangen konnte. Er hob sie hoch und rief nach einer Decke, die auch schon um<br />

ihren nassen, kalten Körper gelegt wurde.<br />

„Na bitte, jetzt hast du sie doch umgehauen!", wandte sich Jaffar an Karim.<br />

Sinia tat, als käme sie wieder zu sich und Jaffar ließ sie vorsichtig wieder hinunter, hielt sie aber am<br />

Arm fest. „Geht es wieder?", erkundigte er sich besorgt. Sinia nickte dankbar und raffte die Decke<br />

fester um ihren zitternden Körper, an dem ihre nassen Kleider eiskalt klatschten.<br />

„Bringt sie zurück!", befahl Karim ein paar Männern, dann wandte er sich an Sinia. „Wir sprechen uns<br />

noch!" Das war eine Drohung!<br />

© S. Remida Remida<br />

**********<br />

Zurück in ihrem kahlen Gefängnisraum, fand sie ihre Tasche aus dem Hotel, wie auch den Koffer aus<br />

dem Auto vor. Eilig zog sie sich um. In trockenen Jeans, einem Hemd, darüber dem einzigen, wenn<br />

auch leichten Pulli und einer Jacke fühlte sie sich schon wohler.<br />

Sie legte sich wieder auf die Couch, doch eine innere Unruhe ließ sie nur leicht vor sich hindämmern.<br />

Es war schon Nacht, als sie leise Schritte hörte. Ihre innere Stimme zwang sie aufzustehen, die Reisetasche<br />

an ihrer statt dort hinzulegen und zuzudecken. Dann stellte sie sich hinter die Tür und wartete<br />

gespannt. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss und der Schein einer Taschenlampe fiel auf die<br />

Couch. Ein Mann huschte herein und schloss hinter sich lautlos die Tür. Er schlich zur Liege, zog die<br />

Decke weg um sich auf die vermeintlich Schlafende zu stürzen und hielt erschrocken inne. Sinia hatte<br />

die Gestalt längst erkannt. „Suchst du mich, Karim?", fragte sie mit fester ruhiger Stimme.<br />

„Ja, und jetzt hab ich dich!", sagte er mit einem Unterton, der keinen Zweifel daran ließ, was er mit ihr vorhatte,<br />

dabei hielt er den Lichtkegel genau auf sie, während er langsam näher kam. Sinia fixierte ihn und wartete bis er<br />

nah genug war. Wie eine Katze sprang sie ihn an, <strong>das</strong>s er nach hinten stürzte. Schon saß sie auf seiner Brust<br />

und hatte mit überkreuzten Händen seinen Kragen gepackt und zog nun beide Seiten gegeneinander, wobei sie<br />

ihre Fingerknöchel auf seine Halsschlagader drückte. Karims Gegenwehr erschlaffte sofort. Sinia lockerte ihren<br />

Griff. „Du hast die Wahl! Entweder du verschwindest und niemand erfährt hiervon oder ich schreie so laut, bis<br />

sich genug Leute von deiner mißlichen Lage überzeugen konnten, wenn du verstehst, was ich meine!"<br />

„Schon gut! Es tut mir leid! Ich weiß, <strong>das</strong> war dumm", reagierte er unerwartet einsichtig.<br />

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Sinia lächelte, so schnell wird ein brutaler Macho lammfromm. „Ich will's mal glauben!", gab auch sie<br />

nach. Langsam ließ sie ihn los, reichte ihm die Hand zum Aufstehen und gab ihm seine Taschenlampe<br />

zurück. In seinem Schein trafen sich ihre Blicke, lauernd, unsicher. Sinia suchte nach irgend etwas<br />

sympathischen in seinem Gesicht, aber <strong>das</strong> schwache Licht ließ den unrasierten sechsundzwanzigjährigen<br />

Ministersohn mit den schwarzen ungebändigten Locken und den stechend dunklen Augen,<br />

nur noch dämonenhafter erscheinen.<br />

„Bitte geh!", sagte Sinia eisig.<br />

„Glaub nur nicht, <strong>das</strong>s du jetzt gewonnen hast! Du wirst noch viel Zeit haben, um zu bedauern, <strong>das</strong>s<br />

du hergekommen bist!" Selbstbewusst schritt Karim zur Tür. Theatralisch wandte er sich nochmals<br />

um. „Du wirst mich noch fürchten lernen, wenn du nicht aufgibst!" Dann war sie wieder alleine.<br />

© S. Remida Remida<br />

*******<br />

Am nächsten Morgen fand Sinia eine goldene Kette mit einem goldenen Amulett auf dem Boden. Sie<br />

hatte es Karim bei dem nächtlichen Kampf wohl abgerissen. Sie steckte es ein. Mit dem um halb<br />

acht gebrachten Frühstück wurde ihr mitgeteilt, <strong>das</strong>s Rashid Safar sie nachher erwarteten würde. Das<br />

hieß für sie, ihr Outfit entsprechend anzupassen. Sie wählte den braunen halblangen Rock, mit dem<br />

sie in dies Land gekommen war und eine schneeweiße schlichte Bluse. So hoffte sie auf Safar einen<br />

mädchenhaft harmlosen und schutzbedürftigen Eindruck zu machen.<br />

Rashid Safar saß mit seinem Sohn und zwei weiteren Männern, alle hemdsärmelig in westlicher Kleidung,<br />

in einem sonnendurchfluteten luxuriös ausgestatteten Salon und genoss ein gemeinsames<br />

üppiges Frühstück. Die Umgebung erinnerte Sinia sofort an den in die Schweiz abgetauchten alten<br />

Iraker. Die vier Männer schienen sich an ihrer Gegenwart nicht zu stören. Nach einem kurzen Gruß<br />

wandte Sinia ihr Interesse den Kostbarkeiten des Raumes zu.<br />

Schließlich erhob sich Rashid und winkte Sinia zu sich. „Ich will Ihnen etwas zeigen, Lady!", sagte er<br />

in englisch.<br />

Sinia folgte ihm in einen abgetrennten Raum. Als sie an Karim vorbeikam, zischte sie leise „Hier!"<br />

und warf ihm seine verlorene Kette zu. Reflexartig fing er sie auf und ließ sie überrascht in seiner<br />

Hosentasche verschwinden. Safar drehte sich fragend um, sagte aber nichts. Dann zeigte er mit einer<br />

Fernbedienung auf einen überdimensionalen Bildschirm. Sinia sah gespannt auf die schwarze<br />

Scheibe. Weiße Streifen flackerten auf und unvermittelt erschien <strong>das</strong> Bild. Sinia trat ungläubig einen<br />

Schritt nach vorne.<br />

Vorbei an gleißendem Scheinwerferlicht gingen sechs fröhlich in die Kamera winkende Männer in die<br />

Nacht zu einer hell angestrahlten französischen Militärmaschine. Und einer davon war Chris, ihr<br />

Mann! Sauber gekleidet und frisch rasiert machte er einen glücklichen Eindruck, vielleicht etwas abgemagert,<br />

aber offenbar gesund! Die sechs stiegen die Gangway hoch, wurden an der Bordtür mit<br />

Blumen begrüßt und verschwanden im Innern. Wenig später hob <strong>das</strong> Flugzeug ab und verschwand in<br />

der Dunkelheit.<br />

Safar klickte <strong>das</strong> Gerät aus. „Das war gestern Abend in Adis Abeba. Nach einem Zwischenstopp in<br />

Kairo, sind sie inzwischen auf der Air Base in Frankfurt gelandet. Leider unter Ausschluss der Presse.<br />

Deshalb habe ich nur diese Videoaufzeichnung."<br />

„Sie sind wirklich frei? So schnell? Sie haben es wirklich getan?" Sinia konnte es noch gar nicht fassen.<br />

Es war vorbei! Ihr Mann war frei!<br />

„Glauben Sie mir nicht?", fragte Safar freundlich.<br />

„Doch", sagte sie bewegt, „Sie haben keinen Grund so etwas zu inszenieren. Es ist nur... Nach all<br />

dem, habe ich kaum noch dran geglaubt. - Au, Mann, Sie sind super!" Sie ging ein paar Schritte auf<br />

ihn zu. In ihrer riesigen Freude wäre sie ihm am liebsten um den Hals gefallen, sie hielt abrupt inne.<br />

„Oh, Entschuldigung!"<br />

Safar lächelte über ihren Gefühlsausbruch.<br />

Seite 36


„Sie haben ihnen <strong>das</strong> Leben gerettet!", erklärte sie im beherrschten Ton. „Ich danke Ihnen. Ich werde<br />

immer in Ihrer Schuld stehen!"<br />

„Aber, aber! Es ist doch Gebot jedes Moslems, denen zu helfen, die seiner Hilfe bedürfen!", wiegelte<br />

Safar salbungsvoll ab und fuhr nach einer Pause fort, „Außerdem, ich habe nur meinen Teil der Abmachung<br />

erfüllt! - Nun sind Sie dran! Und Sie können unser Land jederzeit verlassen!"<br />

Sinias Miene verfinsterte sich, was für eine Wendung!<br />

„Nur die Namen! Alle!", wurde Safar deutlich.<br />

„Weshalb? Es ist doch vorbei! Außerdem war <strong>das</strong> nie vereinbart", versuchte Sinia klarzustellen. „Und<br />

es ist doch auch nichts passiert?"<br />

Safar nahm in einem bequemen Sessel Platz, während er beiläufig sagte: „Sehen Sie, diese Jungs<br />

hatten teils sogar gefälschte Papiere. Ich habe sie dennoch befreit, auch ohne ihre wahre Identität zu<br />

verlangen."<br />

„Aber wieso? Ich verstehe nicht?" Wenn <strong>das</strong> stimmte, war es zumindest ein beruhigender Gedanke,<br />

<strong>das</strong>s man ihrem Namen somit auch noch nicht auf der Spur war.<br />

„Firmenpolitische Gründe? Vorsichtsmaßnahme? Egal! Ich glaube auch nicht, <strong>das</strong>s uns die richtigen<br />

Namen viel weiterhelfen würden. - Sie könnten uns wirklich viel Zeit und sich Unannehmlichkeiten<br />

sparen, wenn Sie reden würden!"<br />

Sinia schüttelte den Kopf. Ihre Gedanken wirbelten. „Es war alles meine Idee! Ich musste irgendwie<br />

bis zu Ihnen kommen und Sie dazu bringen, die Männer zu retten. Sie haben es Gott sei Dank getan.<br />

Wenn Sie aber trotzdem jemanden standrechtlich erschießen wollen, dann mich!", merkte sie lapidar<br />

an.<br />

„Lady, Sie wissen, für welche Namen ich mich interessiere!", sagte Safar gelassen. „Nun, überdenken<br />

Sie es in Ruhe. Mein Sohn wird sich freuen, Sie so lange als Gast hier zu haben!"<br />

Ach so!, dachte Sinia, und hatte sich augenblicklich wieder in Gewalt. Cool bleiben! Sie lächelte abfällig.<br />

„Wollen Sie ihm <strong>das</strong> wirklich antun?"<br />

„Warum?" fragte Safar verwundert.<br />

„Na, vielleicht bin ich gefährlich! Aber auf jeden Fall doch viel zu alt für ihn!"<br />

„So? Keine siebenundzwanzig beziehungsweise neunundzwanzig, wie in den Pässen ausgewiesen?",<br />

erkundigte er sich spöttisch.<br />

„Diese Angaben sind tatsächlich sehr schmeichelhaft! Nur im Verhältnis zu Ihnen bin ich noch relativ<br />

jung!"<br />

„Ja, wenn <strong>das</strong> so ist!", Safars Stimme wurde scharf. „Möchten Sie nicht doch etwas mehr verraten?<br />

Wollen Sie denn nicht älter werden!"<br />

„Vergessen Sie's!" Sinia blieb freundlich, aber sie begann zu pokern.<br />

„Ganz schön stur, Lady! Wie Sie wollen! Im Gefängnis werden sie schon zur Besinnung kommen!"<br />

„Bedauerlicherweise habe ich nicht vor, länger hier zu bleiben!"<br />

„Sie können ja versuchen zu fliehen!", grinste Safar.<br />

„Eben! Werde ich auch!"<br />

Safar betrachtete sie abschätzend. „Sie wissen schon wie?“, fragte er belustigt<br />

„Klar, es gibt immer eine Möglichkeit! Lassen Sie sich überraschen!" Sinia klang sehr überzeugt. Ihr<br />

war ein verrückter Gedanke gekommen. Sie musste ihn nur neugierig genug machen.<br />

Safar taxierte sie aufmerksam, dann drückte er auf einen Klingelknopf an der Wand. Sofort eilten drei<br />

Soldaten herbei. Hinter ihnen erschien auch Karim.<br />

„Bringt Sie in den Keller und passt auf, <strong>das</strong>s Sie euch nicht entkommt!"<br />

Karim grinste böse. Er ließ sich von einem der Uniformierten Handschellen geben und fesselte Sinias<br />

Hände auf den Rücken.<br />

„Warum bringen Sie mich nicht selbst dahin? Dann könnten Sie beruhigt sein - oder auch nicht!",<br />

reizte Sinia den Minister.<br />

„Lady, <strong>das</strong> ist kein Spaß mehr!", erklärte er warnend.<br />

„Ich meine es auch ernst - todernst!" betonte sie.<br />

„Raus mit ihr!", befahl Rashid wütend mit gedämpfter Stimme.<br />

© S. Remida Remida<br />

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„Moment noch Leute", wandte sich Sinia ganz ruhig an die bewaffneten Soldaten, zerrte ihren Arm<br />

aus Karims Griff und ging, wohlwissend, <strong>das</strong>s alle MPs auf sie gerichtet waren, mit gefesselten Händen<br />

zu Safar. Sie schaute in sein verfinstertes Gesicht, doch im Geiste stellte sie sich sein Foto von<br />

zuhause vor, <strong>das</strong> Gesicht, <strong>das</strong> ihr vertraut geworden war, ja, sie gar liebgewonnen hatte! Mit dieser<br />

Erinnerung kehrte sie in die Gegenwart zurück. Sanft sah sie in seine Augen. „Nur <strong>das</strong> Erreichte zählt<br />

für mich, alles andere ist dagegen unwichtig! Das sollten sie wissen. -- Allah beschütze Sie!" Sie trat<br />

einen Schritt zurück und deutete eine Verbeugung zum Abschied an. „Leben Sie wohl!"<br />

Dann ging sie zu den Soldaten. „Keine Angst, ich pass schon auf euch auf!", beruhigte sie zynisch mit<br />

einem Blick auf deren im Anschlag gehaltene Waffen. Karim zerrte sie brutal fort.<br />

© S. Remida Remida<br />

****<br />

Die Gefängniszelle war dunkel, modrig und kalt. Die Wände aus grob gehauenen Steinen glänzten<br />

feucht im schwachen Schein der Kerze, die man ihr gelassen hatte. Auf einer einfachen Eisenpritsche<br />

lag zusammengeknüllt eine schäbig alte Decke. Sinia lief vor Ekel ein Schauer über den Rücken.<br />

Kein Fenster, keine Öffnung, durch die etwas Licht oder wenigstens frische Luft dringen konnte,<br />

dafür aber, wie sie plötzlich in dem Halbdunkel über der eisernen Kerkertür oben an der hohen Decke<br />

zu erkennen glaubte, eine Überwachungskamera.<br />

Das gibt's doch nicht, dachte sie verwundert. Ob die noch funktionierte? Jedenfalls musste sie <strong>das</strong><br />

Ding sicherheitshalber außer Gefecht setzen, ehe sie mit ihrem Vorhaben, der Flucht, begann.<br />

Sie setzte sich auf die Liegefläche, die aus alten, grob gehobelten Holzbrettern bestand, und dachte<br />

nach. Es gab viel zu denken und sich geistig auf <strong>das</strong>, was sie tun wollte, einzustellen. Denn es gab<br />

jetzt kein zurück mehr! Sie konnte auf kein Rumpelstilzchen hoffen, <strong>das</strong> um den Preis ihrer Freiheit<br />

mit sich dealen ließ, kein Zauberspruch sprengte die Wände und Tarnkappen oder durch die Mauer<br />

gehen, <strong>das</strong> gab es nur in Märchen. Sie war mit ihrem Körper hier gefangen. Allein ihr Geist konnte<br />

entfliehen! Und <strong>das</strong> wollte sie!<br />

Nervös spielte Sinia mit ihrer Kette und sah sich suchend um. Doch weder ein geeignetes Stück Stein<br />

noch ein scharfes Eisenteil mochte sie entdecken, wobei eine Infizierung durch den Schmutz der hier<br />

alles überzog, zusätzlich abschreckte. Der Stein in ihrer Kette, fiel ihr plötzlich ein, der konnte für ihre<br />

Zwecke scharfkantig genug zugeschliffen sein!<br />

Die Kamera war <strong>das</strong> andere Problem. Sie musste versuchen, die filzige Decke hoch genug und darüber<br />

zu werfen. „Ich muss es schaffen! Ich schaffe es! Ich schaffe es!", suggerierte sie sich leise.<br />

Aus ihrer Erinnerung erschienen lachend ihre zwei Mädchen und Chris mit Andy auf dem Arm. Viele<br />

schöne Momente zogen an ihr vorüber, als wollten sie Abschied von ihr nehmen. Es schnürte ihr die<br />

Kehle zu. „Vielleicht sehen wir uns doch wieder", hörte sie eine innere Stimme. Und wenn ich sterbe,<br />

wer wird davon erfahren? dachte sie verzweifelt. El Basan wird sich schon darum kümmern. Und die<br />

Auszahlung der Versicherungssumme würde etwas den Schmerz ihrer Lieben lindern!, hörte sie die<br />

tröstliche Antwort aus ihrem Inneren. Sinia wischte ihre Tränen weg.<br />

So würde sie es nie schaffen! Sie konzentrierte sich auf ihre Situation und analysierte, wie sich alles<br />

so unglücklich entwickeln konnte. Allmählich gewann sie kühlen Abstand zu ihrer Person. Es war nur<br />

noch wichtig, Wort zu halten! Und es gab ja eine geringe Chance! Nun war sie entschlossen!<br />

Sie brachte die kurze dicke Kerze hinter der Liege in Sicherheit. Dann nahm sie mit der ausgebreiteten<br />

Decke in den Händen Schwung und sprang mit kurzem Anlauf hoch. Das schmuddelige Ding fiel<br />

aber in hohem Bogen hinter seinem Dreck und Staub auf den mit groben Steinen gepflasterten Boden<br />

zurück. Entschlossen startete Sinia einen zweiten Versuch. Tatsächlich blieb diesmal <strong>das</strong> ausgefranste<br />

Filztuch über dem Objektiv hängen. Sofort machte sie sich daran, mit Hilfe ihrer Zähne den<br />

Edelstein aus seiner Fassung zu befreien. Endlich hielt sie ihn in der Hand. Sie setzte die geschliffene<br />

Kante an ihr Handgelenk an und zögerte. Den entscheidenden Schnitt auszuführen, war doch<br />

schwerer als sie dachte. Wie sehr sie noch an ihrem aussichtslosen Leben hing! Wieder und wieder<br />

spielte sie die Entwicklung bis zu diesem Augenblick durch. Es blieb ihr wirklich keine andere Wahl!<br />

Dann war sie so weit! Mit zusammengekniffenen Augen drückte sie fest auf die dünne Haut und zog<br />

Seite 38


schnell durch. Sofort spürte sie ein Brennen. Schnell wechselte sie den Stein in die andere Hand,<br />

atmete tief durch, „jetzt", befahl sie sich und fühlte auch an diesem Handgelenk den brennenden<br />

Schmerz. Zitternd klemmte sie den blutverschmierten Stein in seine Fassung zurück, lutschte den<br />

Anhänger kurz ab und erschrak über den metallisch-blutigen Geschmack.<br />

Sie holte die Kerze und sah in ihrem schwachen Schein, wie <strong>das</strong> Blut im pulsierenden Rhythmus aus<br />

den aufgeschnittenen Schlagadern drang. Ihr wurde schlecht. Panik kam hoch! Schnell hielt sie die<br />

Flamme an die Filzdecke, die hell auflodernd nach der neuen Nahrung griff. Sie ließ die Kerze fallen,<br />

wich zurück und kauerte sich auf die Pritsche. Gebannt starrte sie in <strong>das</strong> hell flackernde Licht, <strong>das</strong><br />

eifrig emporkletterte und unter sich verglimmende Fetzen hinabwarf. Im Feuer flammte <strong>das</strong> Gerät für<br />

einen Moment zischend auf, dann wurde der Schein schwächer und erlosch. Es war stockfinster.<br />

Sinia spürte <strong>das</strong> klebrig warme Blut auf ihren Oberschenkeln, <strong>das</strong> durch ihren Rock sickerte. Sie war ganz ruhig<br />

und suchte Zuflucht in Erinnerungen aus ferner Vergangenheit. An was alles sie sich plötzlich erinnerte. Längst<br />

verloren geglaubte Momente durchlebte sie erneut. Was für ein wunderbares Gefühl, endlich Zeit dafür zu haben.<br />

Nichts drängte sie mehr weiter, weil es nichts mehr gab. Störend mischten sich Begebenheiten ein, in denen<br />

sie sich ungerecht oder falsch verhalten hatte. Drohenden Schatten gleich, umschlichen sie ihre Gedanken.<br />

Sinias Herz schlug schneller, die Angst kam übermächtig zurück und machte ihr endgültig klar, <strong>das</strong>s<br />

es noch nicht Zeit gewesen wäre. Jetzt war es zu spät. Wenn nur jemand nach ihr sehen würde, ehe<br />

es wirklich zu spät war! Beschwörend begann sie zu beten. Kein Gedanke ließ sich mehr halten.<br />

„Mama? Mama!" Ganz deutlich hörte sie eine vertraute fröhliche Kinderstimme. „Andy! Andy, wo bist<br />

du?", rief Sinia aufgeregt, doch es blieb still und mit ersterbender Stimme flüsterte sie: „Rashid, wo<br />

bleibst du,... komm...., bitte...“<br />

Bewusstlos sackte sie zusammen und Totenstille breitete sich in der tiefschwarzen Dunkelheit aus...<br />

© S. Remida Remida<br />

******<br />

Kapitel III<br />

Gleichmäßiges Piepsen holte Sinia langsam aus tiefer Bewußtlosigkeit. Bevor sie die Augen öffnete<br />

dämmerte ihr wieder, <strong>das</strong>s sie in einem fremden Land war und zuletzt gar in einer scheußlichen Gefängniszelle.<br />

Sofort war sie hellwach. Der Piepston änderte seinen Rhythmus. Er kam von einem<br />

Überwachungsgerät, mit dem sie verbunden war. Mit halb geschlossenen Augen erkundete Sinia ihre<br />

Umgebung. Sie lag alleine in einem Krankenzimmer, an einer Infusionsflasche und diesem Apparat<br />

angeschlossen.<br />

‚Gerettet!‘, durchfuhr es sie glücklich und sie schickte ein inniges Dankeschön nach oben!<br />

Die Tür wurde aufgeschlossen. Sinia stellte sich schlafend. Zwei Schwestern sahen nach der Patientin<br />

und den medizinischen Geräten. Tuschelnd gingen sie wieder hinaus und verschlossen die Tür.<br />

Vorsichtig stellte sich Sinia im Bett auf. Sie fühlte sich schwach und ihr war schwindlig. Aus dem<br />

Fenster konnte sie auf eine mit Blumenrabatten und Büschen angelegte Rasenfläche sehen, an der<br />

eine belebte Straße vorbeiführte. Die Häuserreihe dahinter verrieten Sinia sofort, <strong>das</strong>s sie in einem<br />

öffentlichen Krankenhaus sein mußte. Genau genommen im zweiten Stock! Schon fiel ihr Augenmerk<br />

auf <strong>das</strong> Kabelwirrwarr unter der Überwachungsapparatur. Schnell zog sie sich die Infusionsnadel aus<br />

der Vene am Arm, nahm ein Mulltuch, <strong>das</strong> neben ihr auf einem Hochtisch lag, band es über die Einstichstelle<br />

und zog es mit Hilfe der Zähne fest zu. Dann befreite sie sich von den Drähten.<br />

Seite 39


Die Vorstellung, ihre greifbar nahe Freiheit könnte an Sekunden hängen, verlieh ihr wieselflinke<br />

Schnelligkeit. Mit wackligen Beinen rannte sie zur Tür und verstopfte <strong>das</strong> Schlüsselloch mit einem<br />

Stückchen Mull. Dann holte sie die Kabel hervor, öffnete eilig <strong>das</strong> Fenster, riß die Stecker aus den<br />

Dosen an der Wand und ließ erst eine Verlängerungsschnur hinab, verknotete ihr Ende mit dem Kabel<br />

der Nachttischlampe und verband dieses mit dem langen Anschlußkabel des Überwachungsgerätes,<br />

<strong>das</strong> sie zum Fenster schob. Nur mit einem weißen Krankenhemd bekleidet kletterte sie auf den<br />

Außensims und schloß den einen Fensterflügel, so <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Kabel eingeklemmt wurde. Dies alles<br />

hatte keine zwei Minuten gedauert, doch schon vernahm sie aufgeregte Stimmen an der Zimmertür.<br />

Ohne Nachdenken seilte sie sich flink die wohl acht Meter hinab. Über ihr krachte es bedenklich. Die<br />

restlichen zwei fehlenden Meter sprang sie auf den Rasen und kam hart auf. Ihre Handgelenke und<br />

Beine schmerzten.<br />

Schrill klingelte eine Alarmglocke.<br />

Sinia hetzte zwischen den Büschen über die Grünfläche, rannte zwischen quietschenden Reifen über<br />

die breite Fahrbahn und verschwand in einer engen Gasse, wohl wissend, <strong>das</strong>s man sie längst gesehen<br />

hatte und hinter ihr her war. Sie schlüpfte durch ein angelehntes Tor und stand in einem Hof, von<br />

dem eine steile Treppe auf eine Terrasse führte und dort hingen - Sinia konnte den glücklichen Zufall<br />

kaum glauben - zwei Leinen voll Wäsche! Schon stand sie davor, griff eine der schwarzen Abayas<br />

und schlüpfte in <strong>das</strong> noch feuchte und zu große Frauengewand. Behende kletterte sie über die Brüstung<br />

in einen angrenzenden Garten und gelangte von dort auf eine andere Straße.<br />

Polizeisirenen und lauter Tumult überzogen <strong>das</strong> Viertel. Mit weit über den Kopf gezogener Kapuze<br />

und verhülltem Gesicht schlich sie unscheinbar an den achtlos dahin laufenden Menschen vorbei,<br />

weg vom Krankenhaus.<br />

Aus einer Hofeinfahrt kam ein Lastwagen mit hinten hochgeklappter Plane heraus. Als er kurz anhielt,<br />

um sich in den Straßenverkehr einzuordnen, war Sinia schon zwischen den prall gefüllten Jutesäcken<br />

untergetaucht und schnaufte schwer vor Aufregung und Anstrengung.<br />

Die verbundenen Gelenke färbten sich langsam rot. Verdammt, die Wunden waren wieder aufgegangen.<br />

Aber sie hatten von heute vormittag bis jetzt, es war wohl früher Abend, ja auch noch nicht zuheilen<br />

können, wurde ihr bewußt. Sie stützte ihre Arme senkrecht auf die angewinkelten Knie, drehte<br />

die weiten Ärmelenden so kräftig sie konnte zu und hielt sie mit jeweils der anderen Hand fest. Hoffentlich<br />

ließ sich so die Blutzufuhr drosseln und die Blutung stoppen.<br />

Sie erinnerte sich an Ali, ihren arabischen Lehrer aus Deutschland, der sie immer wieder zu Entspannungsübungen<br />

angehalten, und von der motivierenden Kraft überzeugt hatte, die diese stetig zu<br />

wiederholenden positiven Leitsätze ausüben konnten. Und bisher hatte <strong>das</strong> Aktivieren dieser in jedem<br />

Menschen inne-wohnenden Kräfte ihr ja ganz gut geholfen. Sinia konzentrierte sich auf ihre Handgelenke<br />

und beschwor sie flüsternd mit: „Heilt zu! Heilt zu!"<br />

Längst hatte der Lastwagen Bagdad in südöstlicher Richtung hinter sich gelassen und war<br />

durch mehrere Ortschaften geschaukelt. Dennoch schreckte Sinia, versunken in ihre Beschwörung,<br />

panisch auf, als <strong>das</strong> Fahrzeug vor einem Geschäft in einer verkehrsreichen Straße<br />

hielt.<br />

Einige Säcke wurden entladen, dann ging die Fahrt weiter. Doch beim nächsten Halt entdeckte<br />

der alte Fahrer seine blinde Passagierin, ehe sich diese zum Verschwinden aufrappeln<br />

konnte. Wütend schimpfte er auf Sinia ein. Sie konnte nur ahnen, was er ihr alles an den Kopf<br />

warf. Doch dann bemerkte er die braunrot durchgefärbten Verbände an ihren Handgelenken.<br />

Er schob die Plane an der Seite zurück, so <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Abendlicht in Sinias Gesicht fiel. Verblüfft<br />

erkannte er, <strong>das</strong>s es sich um eine hellhäutige ausländische Frau handelte. Beruhigend<br />

schwatzte er auf sie ein und verließ hektisch die Ladefläche. Dann setzte er sein Gefährt wieder<br />

in Bewegung und fuhr zügig weiter. Sinia fühlte sich verraten, ihr war nun alles egal!<br />

© S. Remida Remida<br />

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Einige Zeit später bog der Fahrer durch eine schmale Hofeinfahrt auf ein mit Gerümpel vollgestopftes<br />

Gelände, hielt vor einem baufälligen Haus und rief aufgeregt in die offene Haustür.<br />

Gleich erschienen zwei tief verschleierte Frauen, umringt von vier neugierigen kleinen Kindern.<br />

Sinia krabbelte über die restlichen Säcke an den Rand der Ladefläche und ließ sich von<br />

den Frauen hinunter helfen. Gestützt führten sie Sinia hinein und legten sie in einem kleinen<br />

Zimmer auf einen weichen Diwan. Himmlisch, dachte Sinia. „Shukran! alhamdu lillah!<br />

shukran, shukran!" - Danke! Gelobt sei Gott! Danke, danke! - sagte Sinia mit schwacher<br />

Stimme, dann wurde ihr schwarz vor Augen.<br />

© S. Remida Remida<br />

*********<br />

Der Mond schien freundlich durch <strong>das</strong> kleine Fenster. Neben Sinias Ruhestätte saß eine alte Frau,<br />

die lächelnd beobachtete, wie sie wieder zu sich kam. Sie fragte Sinia langsam auf Arabisch, wie sie<br />

sich fühle. Sinia nickte ihr dankbar zu. Strahlend verließ diese daraufhin <strong>das</strong> Zimmer und kam mit<br />

einer dampfenden Schale zurück. Sinia schlürfte vorsichtig die heiße scharf schmeckende Flüssigkeit.<br />

„Das war gut!", seufzte sie. Mitfühlend erkundigte sich die Alte, woher sie komme und diese furchtbaren<br />

Wunden wären und ob sie diejenige sei, die man in Bagdad suche. Als sie Sinias ängstlichen<br />

Blick bemerkte, beruhigte sie sie. „Haben Sie keine Angst, hier sind Sie sicher. Keiner will Sie verraten!"<br />

Soviel Entgegenkommen hatte Sinia von diesen fremden Menschen nie erwartet, obwohl Ali immer<br />

wieder die große Gastfreundschaft der Araber hervorgehoben hatte. Ali, Deutschland, Chris, die Kinder,<br />

Zuhause - welch wunderbare Vorstellung! All <strong>das</strong> war jetzt wieder greifbar nahe! Bedächtig wählte<br />

Sinia die Worte. „Wissen Sie warum man mich sucht und wer?"<br />

„Die Polizei! Wegen Sachbeschädigung wird gesagt!"<br />

Sinia schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich kam aus Europa, weil mir nur hier jemand helfen konnte.<br />

Doch dann verlangte er einen höheren Preis, als vorher vereinbart. Weil ich ihn nicht bezahlen konnte,<br />

ließ er mich einsperren. Es war so furchtbar, <strong>das</strong>s ich sterben wollte. Aber ich wurde gerettet und<br />

bin geflohen. Ich habe aber nichts Unrechtes getan!"<br />

Die Frau hatte aufmerksam zugehört. Nun nickte sie, als habe sie verstanden. „Ich weiß. Sie können<br />

hierbleiben und sich ausruhen und gesund werden."<br />

„Sie sind sehr gütig. Ich will Sie nicht in Gefahr bringen!"<br />

Die Alte winkte dies als Unfug ab. Gefahr, mit diesem Stichwort erinnerte sich Sinia wieder an El<br />

Basan. Ihr abgesprochener Anruf musste seit etwa zwölf Stunden überfällig sein. Hoffentlich hatte er<br />

noch nichts unternommen. Die Frau merkte Sinias Unruhe. „Was ist?", erkundigte sie sich.<br />

„Ich muß dringend anrufen. Können Sie mir sagen, wo ich ein Telefon finde?"<br />

„Wir haben eins!", überraschte die Frau Sinia. „Kommen Sie!"<br />

Sie half ihr auf und brachte sie zu einem wohl noch aus den Anfängen der Fernsprechkunst stammenden<br />

Apparat, der an der Wand befestigt war und tatsächlich noch funktionierte. „Alpha! Ist Abdul<br />

da?", sagte Sinia, als sich eine Frauenstimme meldete. Es knackte in der Leitung. „Sinia? Gepriesen<br />

sei Allah! Wo bist du? Weißt du, <strong>das</strong>s alle frei sind?"<br />

„Ja, ja! Es ist alles okay! Ich bin in Sicherheit. Tut mir leid, es ging nicht früher. Du hast doch noch<br />

nichts unternommen?"<br />

Nach einer kurzen Pause sagte er: „Keine Sorge. Wann kommst du?"<br />

„Bald. Ich melde mich wieder, gib mir mehr Zeit! - Und, danke!"<br />

„Verstehe, ich warte. - Viel Glück!"<br />

Sie hing den Hörer auf. Das Vertrauen ihrer Gastgeberin, veranlaßte sie plötzlich, sich mit ihrem richtigen<br />

Namen vorzustellen. „Übrigens, ich heiße Sinia Martin!"<br />

„Sinia? Willkommen bei uns, Sinia!", freute sich die Frau über ihre Aufrichtigkeit. „Ich bin Lulwa und<br />

meine Familie stelle ich dir morgen vor!"<br />

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Den freundlichen Klang von Lulwas und El Basans Stimme in den Ohren, schlief Sinia wenig später<br />

beruhigt und tief ein.<br />

© S. Remida Remida<br />

***********<br />

Über Nacht bekam sie Fieber. Die Flucht hatte ihren Körper überanstrengt, so <strong>das</strong>s er nun, sich in<br />

Geborgenheit wissend, keine Kraft mehr aufzubringen vermochte, um schnell von selbst zu gesunden.<br />

Unermüdlich kümmerten sich die beiden Frauen um die Kranke und was auch immer <strong>das</strong> Geheimnis<br />

ihrer Medizin war, sie wirkte jedenfalls überraschend schnell! Schon zwei Tage später konnte Sinia<br />

ihre Liegestätte verlassen und obwohl noch schwach auf den Beinen, fühlte sie sich wieder völlig<br />

hergestellt. Sie erfuhr auch, <strong>das</strong>s sie immer noch gesucht wurde und dem Krankenhauspersonal sogar<br />

Konsequenzen drohten. Das alte Ehepaar und die Familie ihres Sohnes aber überredeten sie,<br />

dennoch ein paar Tage zu bleiben. So meldete sich Sinia kurz bei El Basan und ließ sich von ihm<br />

eine Verbindungsnummer zu Rashid Safars Palast geben. Aus Sorge um die Sicherheit ihrer Gastgeber,<br />

bat sie Yusef, den jungen Familienvater sie zu einer anderen Telefoneinrichtung zu bringen.<br />

Und so rief sie schon wenig später aus einer leerstehenden Lagerhalle einen Ort weiter bei Safar zu<br />

Hause an.<br />

„Ich bin die gesuchte Patientin. Können Sie Rashid Safar etwas ausrichten?", meldete sich Sinia in<br />

Arabisch und hörte, wie der Mann am anderen Ende der Leitung jemanden eiligst herbeirief.<br />

„Hier Jaffar, ja bitte?"<br />

„Oh, schön Sie zu hören!", begrüßte ihn Sinia auf Deutsch. „Werden Sie Safar in meinem Namen<br />

bitten, <strong>das</strong>s er seinen Frust über mein Verschwinden nicht an der unschuldigen Krankenhausbelegschaft<br />

auslassen darf? Er wußte doch selbst am besten, <strong>das</strong>s ich jede Chance nutzen würde!"<br />

„Marie Russell? Wo sind Sie? Sie brauchen dringend ärztliche Hilfe!", rief Jaffar aufgeregt.<br />

„Aber möglichst weit weg von euch! - Eh, wem habe ich eigentlich meine Rettung zu verdanken?"<br />

„Dem Minister! Safar! Also, wo stecken Sie?"<br />

„Oh! - Aber er erwartet doch nicht, <strong>das</strong>s ich mich bei ihm höchstpersönlich bedanke! - Sie könnten<br />

ihm aber sagen, <strong>das</strong>s ich ganz froh bin, <strong>das</strong>s es ihn gibt!"<br />

„Soll ich ihm <strong>das</strong> so sagen?"<br />

„Ja", antwortete Sinia zögernd, dann bestimmt, "Ja, tun Sie <strong>das</strong>!", und legte den Hörer auf. Auf dem<br />

Rückweg fiel ihr auf, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Haus ihrer Gastgeber zum Glück etwas abseits lag. So genoß sie unbeschwert<br />

die herzliche Gastfreundschaft dieser Großfamilie.<br />

Ständig war Sinia von den Kindern umringt, die aufmerksam den fremden Märchen, die sie oft verzweifelt<br />

nach den richtigen Worten suchend erzählte und ihren lustigen Kinderliedern lauschten, oder<br />

einfach mit ihr irgend etwas spielten. 'Sinia' war wohl der meist gerufene Name im Haus und auf dem<br />

Hof. „Hast du auch Kinder?", war deshalb eine verständliche Frage von Radifa, der Mutter der vier<br />

Kinder. Sinia nickte. „Drei auch so kleine!"<br />

Radifa lachte ob dieser Gemeinsamkeit. Sie hatten nun ein Thema mehr, über <strong>das</strong> sie reden konnten.<br />

Sinia rechnete nach. Dies war nun schon der neunte Tag seit ihrer Ankunft in Damaskus. Eine große<br />

Sehnsucht nach ihrer Familie hatte sie ergriffen. Zu sehr erinnerten die vier Kleinen hier an die eigenen<br />

Kinder im fernen Deutschland. Es war an der Zeit zu gehen! Mit diesen Überlegungen überraschte<br />

sie nach dem Mittagessen die alte Frau. Hielt Lulwa Sinia auch noch für zu schwach und ihren<br />

Aufbruch für zu früh, so hatte sie andererseits doch auch Verständnis für die starken Gefühle, die<br />

diese junge Mutter nun weitertrieben.<br />

Da die Schnittwunden gut zuheilten und jeder Tag länger hier, <strong>das</strong> Risiko für Sinia und die hilfsbereite<br />

Familie nur erhöhte, stimmte man schließlich ihrem Wunsch zu. Yusef riet ihr, sich als Mann zu verkleiden<br />

und sich möglichst in östlicher Richtung zu halten, da es der ungefährlichste Weg zu der un-<br />

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gefähr einhundertachtzig Kilometer entfernten iranischen Grenze sei. Sicher würde <strong>das</strong> westliche<br />

Grenzgebiet, aus dem sie eingereist war, besonders scharf überwacht. Aber auch Kuwait im Süden<br />

zu erreichen war fast unmöglich, weil sie weiter südlich in ein Sumpfland geraten würde, <strong>das</strong> stellenweise<br />

die Flußufer des Tigris säumte. Ausdrücklich warnte er vor dem Schwemmland im Süden mit<br />

seinen weiten, morastigen Sümpfen entlang dem Schat-el-Arab, einem ungefähr einhundertneunzig<br />

Kilometer langen Mündungsstrom, in dem die Flüsse Euphrat und Tigris vereint dem Persischen Golf<br />

entgegen fließen. Schließlich fand Yusef nach langen Suchen noch eine uralte Landkarte, auf der er,<br />

von seinem Vater immer wieder unterbrochen oder verbessert, den besten Weg ins rettende Nachbarland<br />

aufzeigte. Endlich hatte Sinia die besorgte Familie überzeugt, <strong>das</strong>s sie alle Ratschläge befolgen<br />

und es keine Probleme geben werde. El Basan wußte inzwischen ebenfalls von dem neuen<br />

Fluchtplan und hatte sofort zugesichert, sie auch von dort herauszuholen. Er hatte bereits einen Verbindungsmann<br />

in der Grenzregion, einen angesehenen Geistlichen, informiert und Sinia brauchte auf<br />

iranischer Seite nur nach ihm zu fragen.<br />

© S. Remida Remida<br />

**************<br />

Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang nahm Sinia von den liebgewordenen Menschen Abschied.<br />

Selbst die Kinder hatten es sich nicht nehmen lassen, zu so früher Stunde ihrem Gast 'Lebe Wohl' zu<br />

sagen und kleine Andenken mitzugeben. In einem weißen hemdähnlichen Gewand und einem tief ins<br />

Gesicht gezogenen Turban, die Augenbrauen mit schwarzer Kohle nachgezeichnet, dunklen Schatten<br />

über Kinn und Wangen verteilt, stieg Sinia auf den Beifahrersitz zu Jusef in den Laster, der sie wenigstens<br />

bis zum Tigris fahren wollte.<br />

Unter großem Hallo und Tränen ließen die beiden <strong>das</strong> kleine Paradies hinter sich zurück. Sinia verstaute<br />

einen stabilen Wanderstock, den ihr der alte Mann gestenreich um sich wirbelnd überreicht<br />

hatte, und einen mitgegebenen Beutel, der einfach aus einem zusammengebundenen Tuch bestand,<br />

<strong>das</strong> mit Essen und zwei Trinkflaschen gefüllt war. Dann betrachtete sie die Erinnerungsstücke der<br />

Kinder: ein wunderschön grün schimmernder Stein, ein gezeichnetes Bild mit einem etwas schräg<br />

geratenem lachenden schwarz gelockten Kindergesicht, eine aus Stroh kunstvoll geflochtene Blume<br />

und eine einfache Flöte aus Schilfrohr, der sich immerhin zwei verschiedene Töne entlocken ließen.<br />

Sorgsam verstaute Sinia diese Kostbarkeiten in den Vorratsbeutel, derweil schaukelte der Laster<br />

über schlechte Straßen der höher steigenden Morgensonne entgegen.<br />

Nach langer ermüdender Fahrt hatten sie den Tigris erreicht. Silbrig glänzend zog sich der mächtige<br />

Strom dahin, der auf seinem langen Weg einige Male von Stauwehren gebremst wurde. Nun hieß es,<br />

auch von Yusef Abschied zu nehmen. Wie selbstverständlich steckte er ihr noch eine Handvoll Dinar<br />

zu, wünschte ihr Allahs Schutz und schon schaukelte er mit seinem staubigen Lastwagen wieder zurück.<br />

Dann war Sinia auf sich allein gestellt. Sie zog den Stock unter dem Knoten des gebundenen Tuches<br />

durch, schulterte ihn mit der daran hängenden Last und ging guten Mutes zu einer flußabwärts gelegenen<br />

Anlegestelle einer wenig vertrauenerweckenden Fähre. Unbeschadet, wenn auch naßgeschwitzt<br />

erreichte sie damit <strong>das</strong> andere Ufer. Immer nach Osten! Sie sah zur Sonne hoch, die unbeirrt<br />

auf ihrer Bahn nach Süden zog. Wo war jetzt wohl Osten, fragte sich Sinia, die seit ihrer Rettung<br />

nach dem Selbstmordversuch ihre Uhr vermißte. Doch sie hätte auch mit der genauen Uhrzeit und<br />

dem Sonnenstand nicht die richtige Richtung ausmachen können. So ging sie auf gut Glück eine<br />

Straße entlang und merkte doch bald, <strong>das</strong>s sie sich nicht nach dem von Yusef auf seiner alten Landkarte<br />

erklärten Weg richten konnte. Hier war alles anders. Glaubte sie auf einem unbefestigten Nebenweg<br />

eine Abkürzung genommen zu haben, so endete er unvermittelt in undurchdringlichem Gelände<br />

oder sie stand plötzlich vor einem riesigen Feld und kam nicht weiter. Wütend stapfte sie dann<br />

wieder zurück auf die breite neu angelegte Straße, die jedenfalls nicht nach Osten führte. Sie begegnete<br />

Leuten, die wie sie zu Fuß waren, Sachen trugen oder kleine Wägelchen zogen oder schoben,<br />

doch keiner beachtete sie. Ochsen- und Eselkarren zogen gemächlich an ihr vorbei. Aber auch Fahr-<br />

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zeuge jeglicher Art rauschten von Zeit zu Zeit mit einer windigen Staubwolke im Schlepptau dahin.<br />

Bald freute sich Sinia auf diese kühlen, wenn auch staubigen Brisen in der unerträglichen Hitze.<br />

Schließlich suchte sie abseits der Straße eine große Dattelpalme auf, in deren Schatten sie sich ausruhte.<br />

„Das schaff’ ich nie!", stellte sie geknickt fest und hatte keine Lust mehr, bei dieser Hitze weiterzugehen.<br />

Als sie sich wieder auf den Weg machte, hatte sie einmal <strong>das</strong> Glück, unbemerkt auf der<br />

Ladefläche eines alten Lasters eine weite Strecke mitfahren zu können.<br />

Es war schon Nacht, als sie eine verfallene Hütte entdeckte, unter deren löchrigen Dach sie zusammengekauert<br />

sich schlafen legte. Nasse Tropfen weckten sie im Morgengrauen. Das durfte nicht<br />

wahr sein, es regnete! Bald waren ihre Sachen klamm, auch ihr Vorrat, <strong>das</strong> Fladenbrot, die getrockneten<br />

Datteln und Früchte. Als es aufhörte zu regnen, machte sich Sinia auf den Weg, wieder auf die<br />

Straße vom Vortag zu kommen. Doch sie merkte bald, <strong>das</strong>s sie sich im Dunst verlaufen hatte. Wo<br />

war Osten? Jeder schmale Weg weckte neue Hoffnung und ließ sie genauso schnell zerplatzen,<br />

wenn er im Nichts endete. Dann rannte Sinia herzklopfend bis zu einer Wegkreuzung zurück und<br />

wählte eine neue Richtung. Es war wie in einem Labyrinth, in dem sie, jegliches Zeitgefühl verloren,<br />

einen Ausgang finden wollte.<br />

Irgendwann hatten sich die Sonnenstrahlen zu Sinia herunter gekämpft, als wollten sie nachsehen,<br />

was die da unten trieb. Mit der Macht ihrer trocknenden Wärme zerrissen sie die Dunstschwaden und<br />

lösten sie in kurzer Zeit ganz auf. Sinia hatte freie Sicht. Nur, wie spät war es? Am kurzen Schatten<br />

erkannte sie, <strong>das</strong>s es um die Mittagszeit sein mußte. Hatte die Sonne schon den Zenit überschritten<br />

und wanderte nach Westen, oder war noch später Vormittag? Wo lag wohl Osten? Jeden Zeitgefühls<br />

beraubt, ging sie auf gut Glück weiter. Schließlich traf sie auf eine Straße und folgte ihr.<br />

Irgendwann glaubte Sinia fern am Horizont Häuser mit den typisch flachen Dächern ausgemacht zu<br />

haben. Ob <strong>das</strong> nur eine Fatamorgana war? Mit wenig Hoffnung, aber einer übermächtigen Sturheit,<br />

dieser vertrackten Situation entkommen zu wollen, suchte sie die Wege, die durch <strong>das</strong> morastige<br />

Land zu der erhofften Ansiedlung führten. Längst hatte sie alles gegessen, was nicht verdorben war<br />

und auch die Trinkflaschen waren leer. Sie rollte <strong>das</strong> Tuch diagonal zusammen, zog es durch die<br />

Schlaufen der leeren Flaschen und band es sich als Gürtel um die Taille. Bei jedem Schritt baumelten<br />

nun die Flaschen mit einem dumpfen Geräusch aneinander. Die Geschenke der Kinder hatte sie<br />

in die Taschen ihres Gewandes gesteckt und den juckenden Verband von ihren Gelenken genommen.<br />

Auf den Stock gestützt wanderte sie müde dem scheinbar vor ihr immer weiter zurückweichenden<br />

Ziel entgegen. Im letzten Sonnenlicht überquerte Sinia eine Senke. Die quäkende Stimme eines Muezzin<br />

hallte über ein Wäldchen hinweg, als wollte sie ihr sagen: „Hier, hinter den Bäumen sind wir!“<br />

Sinia lief quer durch den verwilderten Hain und stand - vor Häusern!<br />

Sie rückte ihr verschmutztes Hemd und den Turban zurecht und ging erhobenen Hauptes mutig die<br />

Hauptstraße entlang. Natürlich wurde sie in diesem abgelegenen Nest verstohlen beobachtet. Kinder<br />

spielten laut schreiend auf den Straßen und - es konnte ja nicht ausbleiben - heulte auch eines. Sinia<br />

ging zu ihm und holte den grünen Stein aus ihrem Gewand. Auf Arabisch sagte sie langsam: "Nicht<br />

weinen, schau, ich habe einen magischen Stein. Er kann Tränen trocknen. Er kommt von weit zu dir<br />

hier her! Willst du ihn haben?"<br />

Wenn <strong>das</strong> Kleine auch über die schmuddelige Männergestalt erschrak, so weckte Sinias sanfte weibliche<br />

Stimme doch Vertrauen. Sein Heulen war interessierter Neugierde gewichen. Schon kam eine<br />

verschleierte junge Frau <strong>das</strong> Kind holen, dabei musterte sie eindringlich die fremde seltsame Gestalt<br />

und verschwand. Doch schon war Sinia von den anderen Kindern umringt, die nun auch etwas erbetteln<br />

wollten. So wurde sie die geflochtene Blume, die Pfeife und sogar <strong>das</strong> von der Feuchtigkeit zerknitterte<br />

und leicht verschmierte Bild los. Bedauernd hob sie die Arme. Aber die leer ausgegangen<br />

Kinder zupften an Sinias Trinkflaschen aus Ziegenleder. Schließlich war sie sogar den aus dem Tuch<br />

selbst gedrehten Gürtel und den Wanderstock los. Es war hier nicht anders, als bei den Kindern daheim.<br />

Entweder bekam keiner etwas oder jeder mußte was kriegen.<br />

© S. Remida Remida<br />

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Ein junger Mann kam herbei, nahm ermahnend einem Jungen, offenbar sein Sohn, die ergatterte<br />

Flasche ab und reichte sie Sinia zurück. Dann scheuchte er die Horde Kleiner weg und fragte Sinia,<br />

ob sie etwas essen wolle. Dankbar ging sie mit.<br />

Während sie sich in einer Schüssel die Hände wusch, konnte sie in einem halbblinden Spiegel sich<br />

von ihrem befremdlich seltsamen Aussehen überzeugen. Der fachmännisch aufgemalte Schatten<br />

eines Bartes war längst verschwunden. Das Schwarz der Augenbrauen lag nur noch leicht verwischt<br />

um ihre grünen Augen. Eine blonde Strähne schaute vorwitzig im Nacken unter der Kopfbedeckung<br />

hervor. Kurz, ihre Maskerade stimmte hinten und vorne nicht mehr! Sie machte sich soweit es ging<br />

etwas zurecht. Scheu setzte sie sich an den Tisch. Die junge Frau von vorhin reichte ihr eine Schale<br />

mit Brei, Fladenbrot und Tee. Darauf bedacht, nicht zu hastig zu essen, genoß sie jeden Bissen. Offenbar<br />

machte sie dabei einen recht würdevollen Eindruck auf <strong>das</strong> junge Paar und seine zwei neugierigen<br />

Kinder, wie sie an der Art ihrer Fragen schnell erkennen konnte. Die Familie hielt sie wohl für<br />

einen durchgebrannten Sproß aus vornehmen Hause und mit ihren vagen Antworten bestärkte Sinia<br />

sie nur mehr in ihrer Annahme. Sie bedankte sich für die freundliche Bewirtung und wollte gehen.<br />

Doch der Hausherr bot ihr an, hier zu übernachten. Sinia war glücklich.<br />

Mit dem frühen Ruf des Muezzin stand Sinia auf und nach einem einfachen Frühstück verließ sie mit<br />

neuer Zuversicht, gefüllter Wasserflasche und ein paar getrockneten Früchten <strong>das</strong> ärmliche aber<br />

gastliche Haus, jedoch nicht ohne ein paar Scheine auf ihrer Ruhestätte zum Dank liegengelassen<br />

zu haben. Wie es sich für einen Gast vornehmer Herkunft hoffentlich auch hier geziemte!<br />

Auf einer schlechten Straße, die dafür aber nach Osten führte, ging sie fröhlich vor sich hin trällernd<br />

der Morgensonne entgegen. Bald hielt sie einen klapprigen Pritschenwagen an, der sie hinten auf der<br />

Ladefläche ein gutes Stück mitnahm. Bevor der Fahrer von der Straße abbog, ließ er sie absteigen.<br />

Auf ihrem staubigen Weg machte sie in einiger Entfernung einen von Büschen umgebenen kleinen<br />

See aus, in dem sie alsbald in voller Montur untertauchte. Patschnaß, dafür aber sich und ihre Kleidung<br />

gewaschen, ging Sinia erfrischt weiter ihrer Freiheit entgegen. Dann saß sie neben dem Kutscher<br />

eines lustlos vor sich hin trabenden Maulesels, der zur späten Mittagszeit vor einem kleinen<br />

schäbigen Gasthaus anhielt. Drinnen war es dunkel. Um einen Tisch saßen laut diskutierend Männer,<br />

die mit ihrem Tabakqualm die stickige Luft im Schankraum noch unerträglicher machten. Sinia verzog<br />

sich darum mit ihrem Essen nach draußen in den Schatten eines Busches. Sie spürte immer<br />

noch die unverhohlenen neugierigen Blicke der Männer, die nun offenbar über sie und ihr seltsames<br />

Aussehen redeten, wie aus den gedämpften Stimmen zu schließen war. Deshalb setzte Sinia schon<br />

bald ihren Weg fort. Sie wollte möglichst schnell den Rastplatz hinter sich lassen.<br />

Plötzlich hielt neben ihr ein neuerer Geländewagen. „Kommen Sie, ich nehme sie ein Stück mit!", rief<br />

auf Arabisch der beleibte Fahrer, ein Mann mittleren Alters, ihr zu. Froh über die unerwartete neuerliche<br />

Mitfahrgelegenheit, mit der sie schneller als erwartet ihr Ziel erreichen würde, stieg Sinia ohne<br />

zögern ein. Der einheimische Fahrer trug ein kurzärmliges, gestreiftes, langes Hemd und eine helle<br />

weite Hose. Unter einem um den Kopf gebundenen Tuch glänzte sein verschwitztes Gesicht. Er ließ<br />

seinen Fahrgast nicht aus den Augen, als er sich nach dessen Herkunft und Ziel erkundigte. Sinia<br />

gab ausweichend Antwort. Doch der Mann ließ nicht locker. Sinia wurden seine aufdringlichen Fragen<br />

unangenehm. Schließlich kam er auf den Punkt.<br />

„Ich habe dich schon im Gasthaus beobachtet. Ich habe gleich gewettet, <strong>das</strong>s du kein Mann bist. Du<br />

bist bestimmt die, die gesucht wird!" Dabei riß er Sinia den Turban vom Kopf und umklammerte fest<br />

ihr linkes Handgelenk, als sie abwehrend die Arme hob. Er lenkte den Wagen abrupt von der Straße<br />

zu einer Baumgruppe und hielt an. Sinia versuchte verzweifelt sich aus seinem Griff zu befreien. Mit<br />

breitem Grinsen schüttelte er sie am Arm und schlug ihr mit der anderen Hand ins Gesicht.<br />

„Na, du Katze, ich werd mit dir schon fertig! Und danach liefere ich dich ab und kassiere die Belohnung!",<br />

höhnte er schmierig und warf sich mit seiner ganzen Körperfülle auf Sinia. Dabei rutschte <strong>das</strong><br />

© S. Remida Remida<br />

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Tuch von seinem schweißnassen Kopf und gab eine Halbglatze frei. Schon fummelte er am Halsausschnitt<br />

ihres Hemdes und zerrte daran, <strong>das</strong>s es einriß.<br />

„He, bring mich doch nicht um! Es macht doch mehr Spaß, wenn ich noch lebe!", säuselte Sinia, obwohl<br />

sie unter seinem Gewicht kaum Luft bekam. Sie versuchte den rechten Arm frei zu kriegen.<br />

In der Erwartung nun leichtes Spiel zu haben, ließ er sie gewähren. Sofort drückte Sinia sein Kinn<br />

nach hinten, wütend suchte er ihren Arm wegzureißen. Dabei erwischte Sinia gerade noch sein Ohr<br />

und zog daran, <strong>das</strong>s der Mann vor Schmerz aufschrie und wild auf sie einschlug. Sinia versuchte mit<br />

ihrem rechten Arm ihr Gesicht zu schützen. Da erinnerte sie sich an einen Abwehrgriff, den je anzuwenden<br />

es ihr damals schon beim bloßen Erklären zutiefst widerstrebt hatte, aber der sie jetzt wahrscheinlich<br />

nur noch retten konnte. Sie mußte ihre Finger mit aller Kraft in seine Augenhöhlen stechen.<br />

Mit seinem nächsten Schlag erschlaffte ihre Gegenwehr. Der Mann schüttelte sie grob, doch sie blieb<br />

reglos. Er atmete schwer und grunzte zufrieden. Seine Hand glitt erregt auf ihrem Hemd über ihre<br />

Brust am Körper hinunter und begann <strong>das</strong> Hemd hochzuziehen.<br />

Mit einem markerschütternden Karateschrei zielten ihre gespreizten Finger der rechten Hand geradewegs<br />

in seine Augen. Obwohl sie ihn nicht heftig getroffen hatte, war die Wirkung verblüffend. Mit<br />

einem Aufschrei wich der Dicke zurück und verbarg mit beiden Händen seine schmerzenden Augen.<br />

Sinia stieß die Tür auf, noch ein gezielter Tritt in seine Männlichkeit und sie konnte sich aus dem Sitz<br />

befreien, aus dem Auto hinausfallen lassen und davon rennen. Doch schon stürzte ihr Peiniger in<br />

Rage mit einem Dolch in der Faust hinter ihr her.<br />

Sinias langes Hemd verfing sich in den dürren Ästen von Sträuchern oder blieb an Dornen hängen,<br />

so <strong>das</strong>s sie sich frei zerren mußte und ihr geringer Vorsprung schnell dahinschmolz. Schon hatte der<br />

Verfolger sie eingeholt. Sinia gelang es gerade noch mit ihrem Arm die Wucht, mit der er auf sie einstechen<br />

wollte, zu bremsen. Ihr Fuß traf in seine Magengrube und ihre Handkante seine Halsschlagader.<br />

Der Angreifer stürzte und verlor dabei seinen Dolch, <strong>das</strong> Sinia sofort an sich nahm. Sie rannte<br />

zum Wagen zurück. Doch dort steckte kein Schlüssel im Zündschloß. Mit bebenden Händen griff sie<br />

suchend unter die Konsole, erfühlte ein Kabelbündel und riß es ab, dabei ließ sie den Fremden nicht<br />

aus den Augen, der sich wieder hochgerappelt hatte und fluchend mit irrem Blick zurück gestolpert<br />

kam. Sie hielt die Drähte zusammen, der Motor drehte kurz durch. In Windeseile probierte sie die<br />

Kabel durch. Der Wahnsinnige verlangsamte seinen Lauf und hielt den Schlüssel hoch. Er lachte<br />

verrückt, doch in seinen Augen stand mörderischer Haß. Der Motor tuckerte erneut an. Sinia drehte<br />

die Kabel zusammen, drückte den Rückwärtsgang hinein und gab Vollgas. Die Reifen drehten auf<br />

dem losen Untergrund durch und setzten den schweren Geländewagen nur langsam in Bewegung.<br />

Der Mann - jetzt ganz nah - sprang, klammerte sich an die Fahrertür und griff in <strong>das</strong> Lenkrad. Dabei<br />

schrie er sie an. Sinia schrie zurück, öffnete mit aller Kraft die Tür, kämpfte um <strong>das</strong> Lenkrad und setzte<br />

nah am nächsten Baum vorbei, der die Autotür aus ihrer Verankerung riß. Ihr Angreifer blieb zurück<br />

und brüllte Haßtiraden.<br />

Sinia erreichte die Straße, würgte mit zitternder Hand krachend den ersten Gang hinein. Das Fahrzeug<br />

schlingerte davon. Handbremse noch öffnen, fiel ihr ein. Dann raste sie mit durchgedrücktem<br />

Gaspedal die schlechte, fremde Straße entlang. Sie war erst wenige Kilometer gefahren, als die<br />

Straße über einen Hügel führte und hinter seinem Scheitelpunkt eine scharfe Kurve machte, die<br />

Sinia zu einer unerwarteten Vollbremsung zwang. Der Wagen schleuderte und blieb an der Böschung<br />

hängen. Sinia würgte den Motor ab. Das Fahrzeug rutschte seitlich auf eine Gruppe Sträucher. Aus<br />

dieser Lage bekam sie <strong>das</strong> Auto alleine nicht mehr frei! Verärgert stieg Sinia aus, sie musste also<br />

wieder zu Fuß weiter! Ihre linke Schulter klopfte. Sie faßte nach hinten und fühlte - feucht, klebrig -<br />

Blut! Verflucht, hatte <strong>das</strong> Schwein sie doch getroffen! Mit ihren Zähnen hielt sie den linken Ärmel fest<br />

und riß <strong>das</strong> untere Stück ab, um <strong>das</strong> Stoffstück auf die blutende Schulterwunde zu drücken.<br />

Aus der Ferne hörte sie einen Lastwagen herandonnern. Angst trieb sie die Böschung hinunter, durch<br />

Dickicht und hohes Schilfgras, immer weiter in verwildertes sumpfiges Gelände, Hauptsache weit<br />

weg von der Straße. Als sie sich endlich in Sicherheit fühlte, lehnte sie sich erschöpft gegen eine<br />

Palme. Die Schulter und der ganze linke Arm taten weh. Von dem brutalen lang anhaltenden Griff<br />

© S. Remida Remida<br />

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ihres Peinigers war ihr Handgelenk blau angeschwollen. Ein aufdringlicher Schwarm Mücken umtanzte<br />

sie angriffslustig.<br />

Sinia wurde schlecht. Heiß kroch die Furcht hoch vor einer Entzündung am Handgelenk und des immer<br />

noch leicht blutenden Stichs an der Schulter. Wenn hier nur irgendwo Wasser wäre! Aber dies<br />

glänzte zwischen den hohen wild wuchernden Moorpflanzen nur als dünne Schicht auf dem morastigen<br />

Boden. Ihre halb leere Wasserflasche und den restlichen Proviant hatte sie im Wagen vergessen.<br />

Erfolglos sich gegen die Übermacht der Mücken wehrend, schleppte sie sich entmutigt weiter<br />

und weiter und geriet dabei mit jedem Schritt tiefer in eine immer unwirtlichere Wildnis.<br />

Als gelbroter Ball stand die Sonne am westlichen Abendhimmel und wies Sinia ein letztes Mal den<br />

direkten Weg nach Osten. Wahrscheinlich war sie überall hingelaufen nur nie in diese Richtung,<br />

überlegte sie. Ihr kam die Idee, sich in der Ferne einen markanten Punkt zu suchen, auf den sie dann<br />

nur noch zulaufen brauchte. Aus einer Baumgruppe ragte eine Baumkrone besonders heraus. Das<br />

war nun ihr Ziel, <strong>das</strong> sie auf ihrem beschwerlichen Weg nicht mehr aus den Augen ließ, bis auch <strong>das</strong><br />

letzte Dämmerlicht der alles verschluckenden Nacht gewichen war. Sinia krabbelte auf einen schief<br />

gewachsenen Baum und setzte sich zwischen einen Ast und dem Stamm. Obwohl es recht unbequem<br />

war und sie Schmerzen hatte, fiel sie bald in einen traumlosen Halbschlaf, aus dem sie immer<br />

wieder aufschreckte und durch eine neue Lage ihren gepeinigten Körper zu entlasten hoffte.<br />

Sinia wurde von den ersten warmen Strahlen der Morgensonne geweckt und traute ihren Augen<br />

nicht. Die Sonne blinzte hinter einer, wenn auch entfernten, Bergkette hervor. Das konnte nur <strong>das</strong><br />

Sargosgebirge sein und <strong>das</strong> lag im Iran. Vor lauter Aufregung spürte sie weder ihre Schulter und <strong>das</strong><br />

Gelenk, noch Hunger oder Durst.<br />

Schon rannte sie der Sonne entgegen; sie wollte keine Zeit verlieren. Am späten Vormittag erreichte<br />

sie einen Fluß, der nur noch in der Mitte seines an den Seiten ausgetrockneten breiten Bettes gemächlich<br />

dahinfloss und nur hier und da einen Umweg um einen großen Stein nahm, was ihm an<br />

diesen Stellen dann eine stattliche Breite verlieh.<br />

Sinia rannte in <strong>das</strong> kniehohe Wasser und trank begierig <strong>das</strong> köstliche Naß aus ihren wie eine Schale<br />

zusammengehaltenen Händen. Dann legte sie sich hinein und kühlte ihre verletzte Schulter und die<br />

Arme. Da sie auf der anderen Seite der Grenze auf die Hilfsbereitschaft jener Menschen angewiesen<br />

war, durfte sie nicht zu verwahrlost aussehen. Sie zog ihr Hemd aus und rubbelte den verkrusteten<br />

Blutfleck heraus, danach riß sie am Saum, der völlig zerfetzt war, ein breites Stück rundherum ab.<br />

Einen Streifen davon band sie sich zur Kühlung um <strong>das</strong> geschwollene Handgelenk. Dann zupfte sie<br />

ein paar Fäden am eingerissenen Halsausschnitt soweit heraus, <strong>das</strong>s sie sich miteinander verknüpfen<br />

ließen und den Riß notdürftig zusammenhielten. Sie zog es an. Zwar ging ihr jetzt <strong>das</strong> einstmals<br />

bodenlange Gewand nur noch knapp über die Knie, dafür fühlte sie sich wieder sauber und bot bestimmt<br />

einen ordentlicheren Anblick.<br />

Ein tuckerndes Geräusch, <strong>das</strong> schon den ganzen Morgen immer wieder zu hören war, kam schnell<br />

näher. Noch ehe Sinia die rettenden Palmen am Ufer erreicht hatte, tauchte ein riesiger Militärhelikopter<br />

auf und ließ im rasanten Tiefflug die Erde erzittern. Eine ganze Weile wartete Sinia mit klopfendem<br />

Herzen in ihrem Versteck. Aber er entfernte sich und war schließlich nicht mehr zu hören.<br />

Sicher eine Grenzpatrouille beruhigte sie sich und lief am dicht bewachsenen Ufer des Flusses, der<br />

mit Sicherheit im Sargosgebirge entsprang, weiter. Als sie gerade den Stoffstreifen wieder naß machen<br />

wollte, erschien urplötzlich der Hubschrauber erneut und jagte am Fluß entlang wieder zurück.<br />

Auch diesmal hatte sie sich nicht schnell genug verstecken können.<br />

Nun blieb sie sehr vorsichtig und hielt ihre Ohren offen nach ungewöhnlichen Geräuschen. Doch sie<br />

hörte nur <strong>das</strong> vertraute melodische Gezwitscher der Vögel, manchmal von einem krächzenden Geschrei<br />

begleitet, dazu summte, zirpte und quakte es und erinnerte an heimische Klänge, was recht<br />

beruhigend auf sie wirkte.<br />

© S. Remida Remida<br />

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Schon wurden die Schatten länger und kündigten den nahen Abend an. Die Landschaft war nach und<br />

nach von der sumpfigen Ebene in sanfte Hügel übergegangen und die Gebirgskette hob sich gewaltig<br />

und unleugbar klar vom östlichen Himmel ab.<br />

Allmählich war die Uferböschung steiler geworden und es wurde immer schwieriger im Schutze des<br />

wilden Bewuchses hier oben entlang zu gehen. Ein paar Mal war Sinia schon ein Stück der nicht<br />

minder bewachsenen Uferböschung hinab gerutscht und mühsam zwischen den störrischen ausgetrockneten<br />

Büschen und hohen Grasbüscheln, die sich an der steinigen Schräge verwurzelt hatten,<br />

wieder hinaufgeklettert und hatte dabei so manches Mal einen regelrechten Steinschlag in die Tiefe<br />

losgetreten. So nah an der Grenze glaubte sie nun, sich die steile Böschung zu dem ruhig dahinfließenden<br />

Gewässer hinunterwagen zu können, um hier im und am Fluß entlang die rettende Grenze<br />

etwas bequemer zu erreichen.<br />

Sie klopfte den Staub von ihrem Hemd und watete durch <strong>das</strong> knöcheltiefe kühle Naß zu einem der<br />

nun zahlreicher umher liegenden großen Steine, die <strong>das</strong> Wasser umspülte. Sie lockerte ihre Nackenmuskeln<br />

und setzte sich, um sich vor dem letzten Wegstück kurz auszuruhen. Dabei genoß sie<br />

den friedlichen Anblick auf <strong>das</strong> tiefer liegende, sich in schier unendliche Fernen in allen möglichen<br />

Grünschattierungen ausbreitende Sumpfland im Westen und <strong>das</strong> Sicherheit heischende Bergland im<br />

Osten. Und noch weit davor, wußte Sinia, verlief die rettende Grenze. Wie unwirklich ihr auf einmal<br />

all <strong>das</strong>, was sie erlebt hatte, vorkam.<br />

Sie betrachtete die Uferböschung, die sie die ganze Zeit nur von oben gesehen hatte. Selbst in der<br />

trockenen Jahreszeit bot <strong>das</strong> teils sehr steile Gelände doch allerlei Gräsern undurchdringlichen<br />

Sträuchern und unzähligen Pflanzen Lebensraum. Zu wasserreicheren Zeiten schien der nun so<br />

zahme Fluß mit wilder Kraft sein Bett in stattlicher Breite unablässig durch die Anhöhen zu graben.<br />

Denn mit zunehmendem Höhenunterschied wurde <strong>das</strong> Ufer noch höher, steiler und langsam auch<br />

schroffer.<br />

Wie schön, wie friedlich, dachte Sinia entspannt. Sie hatte sich an <strong>das</strong> andauernde Schmerzgefühl<br />

auf ihrer linken Seite gewöhnt. So kurz vor dem Ende ihrer dramatischen Flucht waren solch körperlichen<br />

Leiden unwichtig geworden. Sie stillte ihren Durst mit ein paar Handvoll Wasser, wie sie es<br />

schon mehrfach am Tage getan hatte. Das Hungergefühl, <strong>das</strong> sie nicht stillen konnte und ihr noch<br />

mittags Krämpfe beschert hatte, war überwunden. Sie fühlte sich nun leicht wie ein Vogel, der unaufhaltsam<br />

seinem Ziel zustrebte. Wohl konnte sie nicht fliegen, dafür überkam sie ein unbändiges Gefühl,<br />

leichtfüßig weiterlaufen zu können. Gleich geh ich los!, dachte sie ermuntert.<br />

Das feine Rasseln eines Glöckchens ließ Sinia hoch in die Luft schauen. Ein Raubvogel drehte über<br />

ihr Kreise. Unvermittelt schoß er auf sie hinab und attackierte sie mit seinem spitzen Schnabel.<br />

Hitchkocks Vögel kamen ihr sofort in den Sinn. Wie konnte sie sich vor dem flatternden Biest mit seinen<br />

scharfen Krallen und zuhackenden Schnabel wehren? Geduckt versuchte sie fortzurennen, die<br />

Arme hielt sie schützend über den Kopf.<br />

„Verschwinde! Geh weg!", schrie sie, doch der Vogel ließ sich nicht verscheuchen, auch nicht von<br />

dem hoch aufspritzenden Wasser. Er griff weiter an. Da vernahm Sinia einen hohen Pfeifton und sofort<br />

ließ der Vogel von ihr ab und landete unmittelbar vor ihr auf einem dicken Stein, dabei beobachtete<br />

er sie scharf. Bei jeder seiner Bewegungen erklang eine kleine Schelle, die er um einen Fuß gebunden<br />

hatte.<br />

„Scheiße! Ein abgerichteter Falke", sagte Sinia zu sich.<br />

Das Tier trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und wurde noch nervöser, als eine Reitergruppe<br />

mit zwei Hunden oben am Ufer erschien. Sinia erschrak zutiefst. Obwohl sie gegen die Sonne<br />

schauen mußte, erkannte sie doch sofort in einem der Männer den gemeinen Sohn von Rashid, Karim!<br />

Sie wollte davonrennen, doch schon stürzte sich kreischend der Vogel erneut auf sie.<br />

„Schon gut!", schrie sie beschwichtigend. Die Arme schützend über dem Kopf wagte sie sich nicht zu<br />

bewegen. Noch einmal ertönte ein hell trillernder Pfiff und der Falke beruhigte sich wieder, setzte sich<br />

auf den Stein und stieß einen kurzen spitzen Schrei gegen Sinia aus.<br />

© S. Remida Remida<br />

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Geduldig ließen die Reiter ihre Pferde den sichersten Weg hinab durch Geröll und Strauchwerk suchen,<br />

während die Hunde ohne Laut zu geben vorrannten. Sinia richtete sich auf, ließ ihre Arme<br />

hinuntersinken und sah den sechs Männern abwartend entgegen. Vor dem Fluß blieben sie mit ihren<br />

beiden hechelnden Begleitern stehen. Nur Karim dirigierte sein Pferd durch <strong>das</strong> Wasser und blieb vor<br />

Sinia stehen. Belustigt ließ er seinen Blick an ihr heruntergleiten. Ihre Haare glänzten golden im Sonnenlicht<br />

und fielen, von der Feuchtigkeit in leichte Locken gedreht, über die Schultern. Der notdürftig<br />

geflickte Riß vorn am Halsausschnitt war wieder aufgegangen und zu einem V-Ausschnitt auseinandergefallen.<br />

Das naß gespritzte Hemd verriet mehr von ihrer schlanken Figur als es verbarg und die<br />

Kratzer am ihren Beinen deuteten auf eine ausgesprochen abenteuerliche Wahl des Fluchtweges hin.<br />

Karim schnalzte mit der Zunge und der Falke flatterte auf seinen gepolsterten linken Unterarm. Zärtlich<br />

flüsterte er ihm zu. Mit einem leichten Zug am Zaumzeug brachte er sein tänzelndes Pferd wieder<br />

zur Ruhe. Dann wandte er sich wieder an die verwegen wirkende Frauengestalt.<br />

„Du hast Glück, <strong>das</strong>s wir dich noch lebend gefunden haben, um dich hier herauszuholen. Willst du<br />

dich nicht bei deinen Rettern bedanken?", fragte er sarkastisch.<br />

Sinia spuckte angewidert ins Wasser.<br />

Karim zog mit der rechten Hand eine Peitsche hervor und hielt den Stock unter ihr Kinn und drückte<br />

es hoch. Ihre Blicke trafen sich und im gleichen Moment stieß Sinia mit ihrer rechten Hand dem Peitschenstiel<br />

zur Seite. Eine flinke Bewegung von Karim und <strong>das</strong> geschmeidige Seil hatte sich um ihr<br />

Handgelenk gewickelt. Mit einem Ruck zog er Sinia zu sich ans Pferd. Sie schrie vor Schmerzen auf<br />

und versuchte sich mit der anderen Hand zu befreien. Aber Karim hielt die Schnur auf Spannung.<br />

„Nur um mich umzubringen, hättest du dir den Weg sparen können. Warum läßt du mich nicht einfach<br />

hier krepieren!", schrie sie wütend.<br />

„Du wolltest zu unseren Feinden flüchten?", er sah sie scharf an. „Du hättest es fast geschafft! Die<br />

Grenze ist keine halbe Stunde von hier entfernt und eine kleine Siedlung ganz in der Nähe!" Er grinste,<br />

als sei ihm ein besonders guter Streich gelungen.<br />

Sinia starrte ihn an. „Nein! Oh Gott, nein!", stotterte sie.<br />

Karim zog sie an der Peitsche zu den anderen. Apathisch stolperte Sinia hinter dem Pferd her. Als er<br />

sie neben sein Pferd zerren wollte, stürzte sie und konnte sich gerade noch mit der linken Hand abfangen.<br />

Dabei schrappte ihr verbundenes, geschwollenes Handgelenk an einer Steinkante entlang.<br />

Sie biß die Zähne zusammen, es tat höllisch weh.<br />

Oben vom Pferd herab befreite Karim ihr Handgelenk von der fest umwickelten Schnur. Sinia sank zu<br />

Boden, gleich umringt von den schnüffelnden Hunden.<br />

„Nehmt sie mit!", befahl er und ritt in stolzer Haltung voraus.<br />

„Ich kümmere mich um sie!", wimmelte eine vertraute Stimme die anderen Begleiter ab.<br />

„Jaffar! Du bist auch hier?", schluchzte Sinia.<br />

Er half ihr auf und legte ihr sein schwarzes langes Cape um, <strong>das</strong>s er über seiner Uniform getragen<br />

hatte. „Wie geht es dir? Tut mir leid, <strong>das</strong>s du es nicht geschafft hast!"<br />

Sinia zuckte mit den Achseln. „In sha’allah!"<br />

Er hob sie auf sein Pferd, stieg hinter ihr auf und trieb <strong>das</strong> Tier an, die schon voraus reitende Gruppe<br />

einzuholen. Erschöpft dämmerte Sinia vor sich hin. Sie wollte nicht reden, nicht denken. Sie wußte<br />

nur, sie hatte verspielt! Sie hatte verloren!<br />

© S. Remida Remida<br />

**************<br />

Ein einfaches unbewohntes Haus diente den sechs Männern als Stützpunkt, von dem aus sie <strong>das</strong><br />

unwegsame Gelände zu Pferd auf der Suche nach Sinia durchquert hatten. Da hinein hatte nun<br />

Jaffar Sinia geführt und gebeten, hier zu warten. Es bestand aus einem einzigen großen Raum, dessen<br />

ganzes Inventar aus einem grob gezimmerten Holztisch, fünf passenden Stühlen und einem wackeligen<br />

Halbschrank, auf dem eine moderne Funksprechanlage blitzte, bestand. Der hintere Teil des<br />

Zimmers war mit zwei über eine Leine gespannten alten Decken abgetrennt.<br />

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Karim trat mit seinem Falken ein, holte sich einen Stuhl, stellte ihn in die Mitte des Raumes und ließ<br />

seinen Raubvogel auf der Lehne ab. Er fischte aus seiner Uniform ein Säckchen und begann <strong>das</strong> Tier<br />

mit dem Inhalt zu füttern. Seine umfangreiche Bewaffnung sprang Sinia sofort ins Auge. Auf der einen<br />

Seite eine große Pistole, auf der anderen ein auffälliges Messer in einem Schaft und schräg in<br />

seinen Gürtel gesteckt die Peitsche.<br />

„Deine Flucht war recht dumm, findest du nicht auch?", fragte er nebenbei.<br />

Sinia drehte ihm genervt den Rücken zu und stützte ihre Hände auf den Tisch.<br />

„Und dann noch ausgerechnet zu diesen Hundesöhnen! Oder sind <strong>das</strong> etwa deine Freunde, die du<br />

deckst? -- In ihrem Auftrag hast du meinen Vater um Hilfe gebeten und die werden seinen selbstlosen<br />

erfolgreichen Einsatz so darstellen, als hätten wir mit den Rebellen gemeinsame Sache gemacht!",<br />

mutmaßte Karim laut vor sich hin. „Oder wollen sie diese völlig aus der Luft gegriffene Liste,<br />

mit der du meinen Vater zu erpressen versucht hast, veröffentlichen und uns damit vor aller Welt lächerlich<br />

und unseriös gegenüber unseren hochkarätigen Geschäftspartner machen?"<br />

„Haben sie <strong>das</strong> schon getan?"<br />

„Sie warten wohl, bis du zurück bist!"<br />

„Aber klar! --- Wessen Erkenntnisse sind <strong>das</strong> eigentlich?", fragte Sinia leichthin.<br />

„Meine!"<br />

„Das hatte ich mir doch gedacht! Sie entbehren nämlich jeglicher Logik!"<br />

„Du traust dich, mich zu beleidigen?"<br />

„Nein, tu ich <strong>das</strong>? Aber warum versuchst du es nicht erst mal mit nachdenken? Weshalb sollten die<br />

an der Rettung irgendwelcher Westler interessiert sein, zumal sie nicht mal was davon haben, im<br />

Gegensatz zu euch? Und die Liste hätten sie auch so veröffentlichen können, eh?", klärte Sinia auf.<br />

Karim gab seinem Vogel einen Schubs, der mit seinen mächtigen Schwingen sofort abhob und durch<br />

den Raum kreiste. Sinia duckte sich schnell und spürte die aufwirbelnde Luft, die seine Flügelschläge<br />

dicht über ihr erzeugten. Karim pfiff den Greif zu sich zurück. „Du hast ja doch Angst!", feixte er.<br />

„Ich wette ohne deinen Vogel und deine Bodyguards würdest du dich nicht mal in meine Nähe wagen!",<br />

sagte sie wütend.<br />

Karim stürzte sich auf sie und zerrte sie ganz nah zu sich. „Wenn mein Vater nicht ausdrücklich befohlen<br />

hätte, <strong>das</strong>s wir dich lebend zurückbringen sollen, würde ich dich jetzt umbringen!", zischte er<br />

haßerfüllt und schleuderte sie von sich, <strong>das</strong>s sie auf den Boden fiel.<br />

„Gelobt sei dein Daddy!“, fauchte Sinia und rutschte weiter weg von ihm.<br />

Jaffar trat schwungvoll ein. „Ich hatte gar nicht dran gedacht, <strong>das</strong>s ihr zwei ja hier alleine seid! Aber<br />

ihr habt's ja überlebt, wie ich sehe!" Er schaute Sinia an. „So schwach? Du mußt erst mal was essen.<br />

Wie geht es deinen Pulsadern? Unser Sanitäter sieht sie sich gleich mal an!"<br />

„Ich habe keinen Hunger und brauche auch keine medizinische Betreuung! Erledigt lieber euren Auftrag<br />

und bringt mich zu Safar! Und zwar jetzt!", sagte sie in Deutsch.<br />

„Morgen. Du mußt dich erst mal ausruhen!"<br />

„Bis morgen könnte ich schon über den Jordan oder -", Sinia blickte zu Karim, „da, <strong>das</strong> wandelnde<br />

Waffenarsenal in meiner Gegenwart explodiert sein!"<br />

„Willst du wirklich so vor ihn treten?", erkundigte sich Jaffar und musterte sie in dem schwarzen, viel<br />

zu langen Umhang amüsiert.<br />

„Ja! Wenn er später mal die Wahrheit erfährt, soll er sich so an mich erinnern und wird erkennen<br />

müssen, wie sehr er mir mit seinem übertriebenen Mißtrauen Unrecht getan hat!"<br />

Jaffar schüttelte den Kopf. „Du hältst dich also für völlig schuldlos an deiner Lage?"<br />

Flapsig entgegnete sie: „War ja nicht meine Idee, jedesmal gleich eine ganzen Armee gegen mich<br />

auszuschicken! - Was ist? Soll ich schon mal vorgehen?"<br />

Jaffar besprach sich kurz mit Karim, der von ihrer Unterhaltung nichts verstanden hatte. Dann richtete<br />

er sich wieder an Sinia. „Okay, fahren wir zum Hubschrauber. Er bringt uns zurück!"<br />

Nach einigen Telefonaten, ging es mit Jaffar als Fahrer, Karim als Beifahrer und zwei Begleitern, mit<br />

Sinia in ihrer Mitte, in einem Ranch Rover zum Landeplatz und in einem kleinen wendigen Helikopter<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 50


weiter Richtung Bagdad.<br />

Sinia versuchte ihre Anspannung unter Kontrolle zu kriegen. Nervös nestelte sie an dem alten Stoffverband<br />

um ihrem Handgelenk, dessen Ende sich inzwischen gelöst hatte, aber sonst mit ihrer blutig<br />

aufgeschrappten Wunde fest verkrustet war. Das ruhige Sitzen und die fehlende Ablenkung ließen<br />

ihre Schmerzen allmählich wieder in den Vordergrund rücken. Halb betäubt davon stieg sie nach langem<br />

Flug mit den vier Männern aus. Trotzdem fühlte sie sich hellwach, ganz ruhig und vor allem - ihr<br />

war alles egal!<br />

Sinia wurde in einer kleinen Halle von Rashid Safar und einigen ehrwürdig aussehenden alten Männern<br />

in weißen Gewändern schon erwartet. Nach ihrem Eintreten versperrten zudem wohl ein Dutzend<br />

Uniformierter hinter ihr den Eingangsbereich. Karim hatte es sich nicht nehmen lassen, Sinia<br />

persönlich hereinzuführen und mit einem kräftigen Schubs in die Mitte des Raumes zu befördern.<br />

Sinia stolperte aber über ihre lange Kutte. Verärgert zog Karim seine Peitsche und ließ sie, ehe jemand<br />

eingreifen konnte, auf seine Gefangene niedersausen. Die Wucht drückte Sinia nur noch mehr<br />

auf den Boden.<br />

„Los, steh auf!", befahl Karim unbeherrscht und ging um sie herum, um sie am Arm hochzuziehen.<br />

Sinia lauerte auf den richtigen Moment. Dann schnellte sie nach vorn und warf sich mit einem geschmeidigen<br />

Sprung wie ein schwarzer Schatten über Karim, der rückwärts auf den Boden fiel. Dabei<br />

entriß sie ihm die Peitsche und zog mit der anderen Hand seine Pistole. Fest drückte sie ihren Ellenbogen<br />

auf seine Gurgel und griff sich auch noch sein Messer. Das hatte nur Sekunden gedauert. Sie<br />

ließ von ihm ab und erhob sich. Ganz ruhig klang ihre Stimme. „Wieviel Mut besitzt du noch, ohne<br />

<strong>das</strong>...", dabei ließ sie seine Pistole quer durch die Halle über den Steinboden schlittern. „Und <strong>das</strong>!"<br />

Mit Wucht warf sie <strong>das</strong> Messer an Karim, der sich langsam aufrichtete, vorbei auf eine Holztür, wo es<br />

zu ihrem Erstaunen sogar stecken blieb. Deutlich spürte sie die Anerkennung der Männer. Dann ließ<br />

sie die Peitsche knallen, „...und <strong>das</strong>!", und warf sie der Pistole hinterher. Sinia sah Rashid an, raffte<br />

den Umhang vorne fest zusammen und ging ganz langsam auf ihn zu.<br />

Karim hatte zwar barsch die Hilfe seiner Freunde beim Aufstehen abgewiesen, doch jetzt verlangte er<br />

nach einer Schußwaffe. Sinia sah, wie Rashid seinen Revolver zog und auf seinen Sohn richtete.<br />

Wollte er sie etwa schützen? Verwundert hob sie eine Augenbraue und trat genau in die Schußlinie.<br />

Sie fixierte den Minister. „Nein! Er ist doch Ihr Sohn!", sagte sie leise und fühlte wie ihre Schmerzen,<br />

die sie für einige Minuten verdrängt hatte, übermächtig vom Rücken über den linken Arm bis zur<br />

Hand entflammten und ihre Knie nachgaben. Aber sie fing sich wieder, richtete sich gerade auf und<br />

konzentrierte sich erhobenen Hauptes auf jeden neuen Schritt.<br />

Rashid ließ seinen Revolver sinken, sicherte ihn und steckte ihn in den Halfter zurück. Das gleiche<br />

klickende Geräusch der Sicherung vernahm Sinia auch hinter ihrem Rücken. Gefahr vorerst gebannt,<br />

dachte sie erleichtert und blieb einige Meter vor dem Minister stehen, um nicht bei einem weiteren<br />

Schritt doch noch zusammenzubrechen.<br />

Safar schaute sie streng an und fragte: „Hast du mir nichts zu sagen, Lady?"<br />

„Nicht <strong>das</strong>s ich wüßte!", stöhnte Sinia rauh. Ihr Blick wanderte über die alten Männer neben ihm.<br />

„Und Sie?" sprach sie weiter. „Aber machen Sie es kurz!"<br />

Safars Augen wurden schmal und seine Backenknochen bewegten sich. Er war verärgert, <strong>das</strong>s sie<br />

statt nachzugeben, ihn offenbar lieber provozieren wollte. Nun denn! Er gab den weißgekleideten<br />

Männern einen Wink, worauf diese auf ein hinter ihnen aufgebautes Podest stiegen und hinter einem<br />

langen Tisch gemächlich auf bequem gepolsterten Stühlen Platz nahmen. Auch Rashid setzte sich.<br />

Sein Blick ruhte unverwandt auf Sinia.<br />

Sie erinnerte <strong>das</strong> Ganze an ein Tribunal. Und mit Recht, wie sie schnell merkte. Schon erhob sich<br />

einer der Männer und pries Allah, setzte sich wieder und begann mit einer Aufzählung von schweren<br />

Verfehlungen gegen diesen Staat, seine Vertreter und Teile der Bevölkerung. Bald verzettelte er sich<br />

in der übertriebenen Ausführung von Einzelheiten. Sinia kam <strong>das</strong> wie eine Farce vor und hatte keine<br />

Lust, dem Alten zuzuhören. Unbeobachtet unter ihrem Umhang fingerte sie wieder an ihrem Verband<br />

herum und riß ein an der Wunde festgeklebtes Stück ab, so <strong>das</strong>s der Stoffstreifen frei und nunmehr<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 51


ganz locker um <strong>das</strong> Gelenk lag. Sie ließ den Arm hinunterhängen und fühlte sogleich <strong>das</strong> warme Blut<br />

über die Hand und Finger laufen. Sie sah zu Rashid und bald durch ihn durch auf einer gedanklichen<br />

Flucht vor ihrem geschundenen Körper und diesem unheimlichen Prozeß zur Geisterstunde...<br />

„Haben Sie <strong>das</strong> Urteil verstanden? Möchten Sie noch irgend etwas sagen? Sie haben <strong>das</strong> Recht dazu!",<br />

sagte langsam in hartem englisch ein anderer weißgekleideter Alter mit eindringlicher Stimme,<br />

die Sinias Gedanken wieder in die Gegenwart zurückholte.<br />

„Urteil?", überlegte sie angestrengt, da sie doch gar nicht zugehört hatte. Zu was könnte man sie<br />

wohl verurteilt haben? Sicherlich zum Tod, kam sie zum Schluss. Egal, wenn sie nur nicht mehr stehen<br />

brauchte! „Ja, dann halten Sie sich mal ran, meine Herren, <strong>das</strong>s Sie nicht noch um den Spaß<br />

seiner Vollstreckung kommen!", erklärte sie zynisch mit schwacher Stimme. Sie sah wieder zu Rashid,<br />

der über ihre unverfrorene Antwort erschüttert den Kopf schüttelte.<br />

„Führt sie ab!", erhob er sich mit bebender Stimme. Zwei Soldaten traten hinter Sinia und packten sie<br />

an den Armen. Schockiert ließ der eine ihren linken Arm sofort wieder los und sah auf seine blutverschmierte<br />

Hand. Über dem Fußboden hatte der Umhang eine rote Fläche gewischt. Safar ging zu<br />

Sinia und die beiden Männer traten einen Schritt zurück. Er riß <strong>das</strong> am Halsausschnitt zusammengehakte<br />

schwarze Gewand auf und ließ es auf den Boden gleiten. Ein erschrockenes Raunen ging<br />

durch die Reihen der Soldaten hinter ihr. Safar betrachtete verwundert <strong>das</strong> zerrissene und gekürzte<br />

Männerhemd, dann griff er ihren Arm und besah die blutende Wunde. Seinen Daumen drückte er<br />

darüber fest auf die Schlagader. Langsam zog er Sinia soweit herum, <strong>das</strong>s er auf ihren Rücken sehen<br />

konnte. Der Peitschenhieb hatte ihre Verletzung an der Schulter wieder geöffnet und ihr Hemd<br />

auf einem großen Stück rot eingefärbt. Sinia sackte ohnmächtig zusammen. Rashid fing sie auf. „Den<br />

Arzt, schnell!", rief er und rannte mit ihr auf den Armen in <strong>das</strong> schon vorbereitete Krankenzimmer.<br />

© S. Remida Remida<br />

* * * * *<br />

Knietief stecke Sinia im Schlamm und mit jeder verzweifelten Fluchtbewegung sank sie ganz langsam<br />

tiefer und tiefer ein, bis zu den Oberschenkeln, dann schneller bis zu den Hüften. Die Angst, sich<br />

doch nicht aus eigener Kraft befreien zu können, zwang sie schließlich laut um Hilfe zu schreien. Davon<br />

schreckte sie auf. Es war zum Glück nur ein Alptraum gewesen!<br />

„Psch, psch, psch!", beruhigte sie gleich ein Mann im Arztkittel und fügte in Englisch mit französischem<br />

Akzent sanft hinzu: „Willkommen unter den Lebenden! Ich bin Dr. Dijon. Wie fühlen Sie sich?"<br />

Er hatte schwarze, kurze, glatte Haare und die helle Haut eines Europäers. Sinia sah sich um. Sie lag<br />

in einem Himmelbett aus glänzendem Messing. Das leichte Bettzeug war aus cremefarbener Seide.<br />

Mit dem Kopfende an der Wand, ragte <strong>das</strong> Bett in ein geräumiges Zimmer. Durch große Bogenfenster<br />

fiel helles Sonnenlicht auf die mit feinen Ornamenten in Gold und verschiedenen Grüntönen bemalten<br />

Wände. Die edlen Kommoden aus dunklem Holz mit zierlichen Goldbeschlägen, die eleganten<br />

Sessel und der moderne Glastisch, sowie die diskret in die Wand eingelassene Schrankreihe<br />

paßten sich mit märchenhafter Leichtigkeit in die freundliche und belebend frische Atmosphäre des<br />

Raumes ein.<br />

Sinia sah den Arzt zweifelnd an. „Hallo Doc!", grüßte sie im Flüsterton, räusperte sich und antwortete:<br />

„Ich denke, tot könnt es mir nicht besser gehen!"<br />

„Na, na! Es sah wirklich nicht gut aus! Aber <strong>das</strong> hier ist doch wohl die bessere Alternative, oder?"<br />

Sinia zuckte mit den Schultern. „Wo bin ich eigentlich?"<br />

"In der Residenz von Monsieur Safar! Er wird übrigens gleich kommen. Ich sollte ihm melden, sobald<br />

Sie wach sind!"<br />

„Bloß <strong>das</strong> nicht! Ich will ihn jetzt nicht sehen! Sagen Sie ihm, <strong>das</strong>s ich im Koma liege, nein, besser,<br />

<strong>das</strong>s ich tot bin und sofort nach Hause überführt werden will, Quatsch, natürlich: muß!"<br />

Dr. Dijon hielt einen kleinen Sender hoch. „Zu spät! Aber ich denke, Sie sollten die Gelegenheit nutzen,<br />

um ihm zu danken!"<br />

„Wofür? Dass er mich hochpäppeln läßt, nur um mich umbringen lassen zu können?"<br />

„Sie tun ihm Unrecht!"<br />

Seite 52


„Kommen Sie aus Frankreich? Hat er Sie etwa auch in der Hand, <strong>das</strong>s Sie ihn so in Schutz nehmen?"<br />

„Ich bin Algerier und kenne Monsieur Safar schon lange. Wir sind sogar befreundet!"<br />

„Wie kann man nur!"<br />

In dem Moment kam Rashid Safar herein. Der Arzt lächelte Sinia aufmunternd zu und ging nach einem<br />

kurzen Wortwechsel mit Rashid aus dem Zimmer. Sinia hatte sich die Decke über den Kopf gezogen.<br />

„He Lady! Du hast mir ganz schön Angst gemacht!", sagte Safar und zog die Decke ein Stück zurück.<br />

„Wie geht es dir?"<br />

Sinia klappte die Decke wieder über ihren Kopf und Rashid gleich wieder zurück. Diesmal hielt er ihre<br />

Hand mit fest. „Ich hoffe, du unterläßt in Zukunft solch abenteuerlichen Alleingänge. Wir hatten keinen<br />

Anhaltspunkt, wo wir dich suchen sollten. Erst der Mann, dem du <strong>das</strong> Auto geklaut hast, brachte<br />

uns auf die richtige Spur. Er beansprucht übrigens die Belohnung!", sagte er und wartete gespannt<br />

auf ihre Reaktion.<br />

Sinia hatte die ganze Zeit demonstrativ zur andere Seite geschaut. Aber jetzt blitzte sie ihn an. „Was?<br />

Ausgerechnet der? Der würde ganz was anderes verdienen!"<br />

„Du redest also doch noch mit mir?", stellte er belustigt fest. "Schön! Übrigens haben wir inzwischen<br />

sein Geständnis und wissen, was tatsächlich vorgefallen ist. Er wird seine verdiente Strafe erhalten!"<br />

„So? Warum? Weil er Ihnen beinah die Arbeit abgenommen hätte?"<br />

„Wieso?", überlegte Safar. „Ach, wegen der Verhandlung heute Nacht! Es glaubten ein paar, dich<br />

damit zum Reden bewegen zu können. Ich hielt nichts von dem Vorschlag, und hätte ich mich nicht<br />

über dein Verhalten so geärgert, hätte ich es auch nicht zugelassen."<br />

„Was habe ich denn getan?"<br />

„Nur als Beispiel, du bist grundlos aus dem Krankenhaus abgehauen. Du hast nicht nur Karim vor<br />

den Männern gedemütigt, sondern auch seinem Vater die Möglichkeit genommen, ihn zur Vernunft<br />

zu bringen. Das war genau so unnötig und dumm, wie dein Stolz oder war es Starrsinn, der aus deinen<br />

Worten sprach?" Er lächelte sanft. „Aber <strong>das</strong> ist jetzt erledigt. Du brauchst nichts zu verraten. Wir<br />

werden auch so herausfinden, was uns interessiert!"<br />

„Dann können Sie mich ja gehen lassen!"<br />

„Sicher, aber bis du ganz gesund bist, bleibst du hier. Nicht, <strong>das</strong>s wir noch für deinen schlechten<br />

Gesundheitszustand verantwortlich gemacht werden!"<br />

„Aber mir geht es doch schon wieder blendend! Und Sie bräuchten sich auch nicht länger über mich<br />

ärgern!"<br />

„Darüber reden wir später, ja?" Safar stand auf. „Übrigens habe ich meinem Sohn verboten in deine<br />

Nähe zu kommen. So, jetzt ruh dich aus!" Er zwinkerte ihr mit einem Auge zu und zog die Decke über<br />

ihren Kopf.<br />

Sinia deckte sich gleich wieder auf. „Rashid! Eh, Mister Safar!", rief sie hinter ihm her.<br />

An der Tür drehte er sich noch einmal um.<br />

„Danke..." Sinia überlegte, was sie noch zufügen könnte.<br />

„Dass es mich gibt?", fragte er lächelnd.<br />

„Auch <strong>das</strong>!", grinste Sinia.<br />

© S. Remida Remida<br />

***************<br />

Später kam Dr. Dijon in Begleitung einer jungen bildhübschen Frau zu Sinia ins Zimmer hinein. Er<br />

stellte sie als Samira, die Nichte von Rashid vor. Sie hatte pechschwarzes langes glattes Haar und<br />

ausdrucksvolle dunkelbraune Augen. Ihre Haut schimmerte zart hellbraun. Sie trug ein schlichtes<br />

langes hellblaues Kleid.<br />

Das achtzehnjährige Mädchen war so schrecklich neugierig auf diese ausländische Frau gewesen,<br />

<strong>das</strong>s sie nicht eher Ruhe gegeben hatte, bis sie Erlaubnis bekam, Sinia besuchen zu dürfen. Sinia<br />

lachte, als Samira ihr <strong>das</strong> erzählte und bald unterhielten sie sich angeregt über alles mögliche, ausgenommen<br />

über Sinias Herkunft. Es war nicht zu übersehen, <strong>das</strong>s sich die beiden auf Anhieb moch-<br />

Seite 53


ten. Sinia fühlte sich zusehends besser, sie hatte endlich eine Freundin gefunden, der sie vertrauen<br />

durfte.<br />

Am nächsten Morgen stand Sinia auf und erkundete ihr Zimmer. Wie Samira gesagt hatte, fand sie<br />

all ihre Sachen fein säuberlich geordnet in den Schrank gelegt oder gehängt wieder. Sogar ihr Kassettenrecorder<br />

und die Fotoausrüstung lagen unversehrt neben dem akkurat verstauten Koffer und<br />

der Reisetasche. Sie freute sich königlich darüber und besonders, <strong>das</strong>s Rashid ihr trotz allem so<br />

freundlich gewogen schien!<br />

Dennoch war es wieder höchste Zeit, sich bei Abdul El Basan zu melden und zwar von außerhalb<br />

dieser Gemäuer. Dr. Dijon weigerte sich jedoch hartnäckig, ihr die Erlaubnis zum Verlassen des Geländes<br />

zu erteilen, zumal er ihre Begründung, ihr würde der Trubel in der Stadt guttun, nicht verstehen<br />

mochte.<br />

Samira bemerkte nicht nur Sinias bedrückte Stimmung, sondern betrachtete deren Ansinnen, irgendwie<br />

in die Stadt zu gelangen um heimlich telefonieren zu können, als eine aufregende Aufgabenstellung,<br />

die sie lösen wollte. Und tatsächlich saßen die beiden Frauen alsbald in einer chromblitzenden<br />

Limousine, die sie von einem ahnungslosen Chauffeur gelenkt in die Stadt brachte. Samira führte<br />

Sinia in ein großes Geschäft, von wo aus sie ungestört aus einem Hinterzimmer mit El Basan telefonieren<br />

konnte.<br />

Sinia machte es sehr schnell. Nein, er brauche nicht eingreifen, sie werde auch ohne ihre Helfer gefährden<br />

zu müssen, zurückkehren. Sie warte nur auf den richtigen Moment und werde sich wieder<br />

melden, er möge sich noch etwas gedulden und ihrer aufrichtigen Dankbarkeit stets gewiß sein! Damit<br />

legte sie erleichtert auf. Samira hatte so lange vor der Türe aufgepaßt, <strong>das</strong>s keiner sie störte.<br />

Danach bummelten die beiden, unerkannt in ihre schwarzen Gewänder gehüllt, noch über den Basar<br />

und kicherten sich immer wieder verschworen zu.<br />

Als der große Wagen auf seinem Rückweg an den Wachposten zu Rashids Residenz vorbeikam,<br />

erfuhren Sinia und Samira schon, <strong>das</strong>s der Hausherr bereits ungeduldig auf die beiden Ausreißerinnen<br />

wartete.<br />

„Wer hat euch erlaubt, in die Stadt zu fahren?", polterte Rashid los. „Sie hätte wieder versuchen können<br />

zu fliehen. Glaubst du, ich habe sonst nichts zu tun, als sie dauernd suchen zu lassen? Außerdem<br />

ist sie noch zu schwach, um irgendwelche Ausflüge zu unternehmen!", schimpfte er mit Samira.<br />

„Aber sie ist doch noch da und sie ist auch nicht krank. Und außerdem ist sie unser Gast, hast du<br />

gesagt!", rechtfertigte sich Samira.<br />

„Und da mußt du gleich mit ihr in die Stadt? Was habt ihr da eigentlich gemacht? Hätte es ein Spaziergang<br />

durch unsere Gärten nicht auch getan?"<br />

„Ich habe ihr doch nur den Basar gezeigt. Du weißt, wie gerne ich dort bin!", schmollte Samira. Sie<br />

schwindelte wirklich sehr überzeugend, dachte Sinia. Es war an der Zeit sich einzuschalten. „Bitte<br />

machen Sie Samira keine Vorwürfe. Es war mein Wunsch hier herauszukommen. Ich brauchte einfach<br />

<strong>das</strong> Gefühl, mich frei bewegen zu dürfen, wie es einem Gast gestattet ist. Ich wollte sie aber<br />

nicht verärgern. Entschuldigung!"<br />

Rashids Augen fixierten Sinia. „Tu <strong>das</strong> nie wieder, Lady! Klar?"<br />

Sinia hielt seinem Blick stand und antwortete langsam aber nachdrücklich: „Sie wissen, <strong>das</strong>s ich noch<br />

immer fort will, mit oder ohne Ihre Zustimmung. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag. Solange ich<br />

sage, <strong>das</strong>s oder wohin ich gehe, werde ich immer wiederkommen. Habe ich aber vor, <strong>das</strong> Land zu<br />

verlassen, werde ich ohne ein Wort einfach verschwinden!"<br />

„Na schön, du wirst mein Grundstück nur mit meiner Erlaubnis verlassen dürfen, wenn du genau angegeben<br />

hast, wohin du willst und nur in Begleitung. Und wage es nicht dein Versprechen zu brechen!"<br />

„Und wenn Sie nicht erreichbar sind?"<br />

„Ganz einfach, dann bleibst du da!"<br />

„Tz!", Sinia sah Samira an und zog einen Mundwinkel hoch.<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 54


„Danke!", Samira hauchte ihrem Onkel einen Kuß auf die Wange und zog Sinia am Arm. „Los,<br />

komm!"<br />

„Nur einen Moment noch!" Sinia schüttelte Samira ab und trat vor Rashid. „Ich habe noch eine Bitte!"<br />

„Noch so eine Idee?"<br />

„Es geht um den Mann, der die Belohnung wollte. Ich bitte Sie, ihn laufen zu lassen. Er hat mir ja eigentlich<br />

nichts getan. Ich denke, er ist schon genug gestraft, dadurch, <strong>das</strong>s er sich mit mir angelegt<br />

hat!"<br />

„Du bittest wirklich für ihn um Gnade? Er wollte dich vergewaltigen und töten!"<br />

„Ich lebe noch und ich kann verzeihen!", erklärte sie und der Wink mit dem Zaunpfahl war dabei nicht<br />

zu überhören. „Außerdem kenne ich eure Gefängnisse und Gerichtsverhandlung!", sagte sie mit<br />

schnippischer Anspielung und ernst weiter: „Bitte! - Das Geld von der Belohnung hätte übrigens ich<br />

gerne!" Und leichthin fügte sie an: „Für Leute, die es wirklich verdient haben!"<br />

Rashid mußte erst mal tief Luft holen. „Lady, du erstaunst mich! Und was sind <strong>das</strong> für Leute?"<br />

„Nette! - Sie haben mich aufgenommen und gesund gepflegt, als ich <strong>das</strong> Krankenhaus... na ja... -<br />

Lassen Sie es mich allein hinbringen? Ich komme auch wieder!"<br />

„Du traust mir nicht, weshalb soll ich dir dann trauen?"<br />

„Irgendeiner muß ja mal anfangen!" Sinia lächelte ihn offen an.<br />

Rashid konnte nicht streng bleiben. „Ich werde es mir überlegen, geht jetzt!" Nachdenklich sah er den<br />

beiden hinterher.<br />

**********<br />

Samira war schon in der Uni, als Sinia aufstand. Bis auf die Dienstboten schien <strong>das</strong> Haus leer. Sinia<br />

schlenderte durch die riesige Empfangshalle hinaus, die Empore hinunter und über die breite mit<br />

kunstvollen Ornamenten gepflasterte Auffahrt. Was für ein langweiliger, warmer Vormittag! Sie roch<br />

an den exotischen Blüten, die auf dem englischen Rasen in ausladenden Rabatten angepflanzt waren.<br />

Ein Jeep raste auf die Ausfahrt zu, mit ein paar johlenden jungen Männer. Unter ihnen war auch Karim,<br />

der mit einem Gewehr auf Sinia zielte und laut „Peng! Peng! Peng!" schrie. Dann war es wieder<br />

still.<br />

In einem offenen Sportwagen kam Jaffar die Auffahrt entlang, winkte ihr zu und eilte die Treppe hinauf<br />

ins Haus. Sinia schlenderte zum Auto. Jaffar kam mit ein paar Unterlagen in der Hand wieder<br />

zurück. „Hallo Marie, eh, Katrin! Siehst aus, als ob du dich langweilst!", stellte er freundlich fest.<br />

„Tja! Dabei kommen einem so allerlei Gedanken!", antwortete sie gedehnt und sah zu einem buschigen<br />

Baum, der ganz in der Nähe einer hohen Mauer stand, die <strong>das</strong> ganze Areal umgab.<br />

„Würde ich nicht tun, du brichst dir den Hals, wenn du auf der anderen Seite runter willst!"<br />

„Ah, ja? Und was tust du?"<br />

„Auf mich wartet jetzt noch ein Übungsflug!"<br />

„Nimmst du mich mit, damit ich mir hier nicht noch den Hals breche?"<br />

„Tut mir leid, aber da haben Frauen nichts verloren!"<br />

„Feigling! Aber möglicherweise ist es auch leichter Rashid zu erklären, wo ich abgeblieben bin! Na ja<br />

dann, gute Landung!" Sie schlenderte ein paar Schritte zurück und winkte ihm schelmisch zu.<br />

„Also schön, steig ein!"<br />

© S. Remida Remida<br />

************<br />

Sinias Erscheinen auf dem Militärflugplatz löste wirklich einige Verwunderung aus, was sie mit der<br />

schnippischen Bemerkung kommentierte, <strong>das</strong>s es nur daran liege, weil die Jungs sie diesmal nicht<br />

hierher entführt hätten. Jedenfalls hielt Jaffar es doch für besser, Sinia auf seinem Flug mitzunehmen<br />

und alsbald saß sie im geliehenen Overall hinter ihm im Düsenjet. Seinen leisen Ärger darüber machte<br />

er aber dann durch reichliche Flugmanöver und Loopings Luft. Als er endlich landete, war es Sinia<br />

entsprechend übel, schwindelig und kaum möglich sich auf den Füßen zu halten.<br />

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„Ich sagte doch: Übungsflug! Aber du wolltest ja unbedingt mit!", bemerkte Jaffar schadenfroh. Sinia<br />

winkte ab. „Jetzt weiß ich es auch. Und ich hatte immer Angst vor der Achterbahn!", stöhnte sie.<br />

Johlend und klatschend kamen seine Kameraden auf sie zu. Jaffar legte stützend seine Hand um ihre<br />

Taille und riß ihren Arm in Siegerpose hoch. „Ich weiß, <strong>das</strong> war nicht sonderlich nett von mir! Entschuldige!<br />

Atme tief durch, dann geht's dir gleich besser. Die brauchen davon ja nichts zu merken!"<br />

„Wie nett von dir! Ich werde mich bei Gelegenheit revanchieren!" Sinia ließ sich denn auch nichts<br />

anmerken. Die offene Bewunderung der Männer tat ihr gut. Jaffar aber hatte wohl <strong>das</strong> Gefühl, etwas<br />

wieder gut machen zu müssen, weshalb er Sinia versprach, sie bei seinem nächsten, dann aber normalen<br />

Flug noch einmal mitzunehmen. Bei Sinia weckte <strong>das</strong> eine, wenn auch verrückte Fluchtidee!<br />

© S. Remida Remida<br />

*********<br />

Sinia hatte es geschafft, <strong>das</strong>s sie Jaffar nun fast täglich bei seinen Flügen begleiten durfte und geschmeichelt<br />

von ihrem Interesse an sowohl der Fliegerei als auch an seinem Land gab er gerne ausführlich<br />

Auskunft. Sinia indes versuchte sich <strong>das</strong> für sie Wichtige genau einzuprägen.<br />

Die meiste Zeit verbrachte sie jedoch mit Samira, die ihr längst nicht nur <strong>das</strong> ganze Anwesen gezeigt,<br />

sondern auch seine übrigen Bewohner vorgestellt hatte.<br />

Da waren ihre zwei jüngeren Schwestern, ihr Bruder, der mit seinen neun Jahren der jüngste war und<br />

ihre Mutter, eine freundliche Frau von fülliger Gestalt und vornehmen Benehmen. Sie war Witwe und<br />

hatte als Zwillingsschwester von Rashids Frau im Palast ihres Schwagers eine luxuriöse Bleibe gefunden,<br />

wie Samira sich ausdrückte.<br />

Rashids Frau hingegen bekam Sinia nie zu Gesicht. Sie weilte wohl im Ausland und es schien, als ob<br />

man nicht gern darüber reden wollte. Die Bediensteten, drei Ehepaare, bewohnten einen Flügel des<br />

Hauses. Sie und ihre Kinder konnten sich aber im ganzen Haus bewegen, so <strong>das</strong>s der Eindruck einer<br />

richtigen Großfamilie entstand. Sinia staunte immer wieder über die lockere Atmosphäre zwischen<br />

Herrschaft und Dienerschaft. Rashid schien gerne vertraute Menschen, ob groß oder klein um sich zu<br />

haben. Karim sah sie nur selten und wenn beachtete er sie nicht. Auch Rashid war, wenn überhaupt,<br />

nur stundenweise zu Hause.<br />

Inzwischen hatte Sinia Samira auch ihren richtigen Namen anvertraut, obwohl diese aus Sorge, <strong>das</strong>s<br />

sie ihn in Rashids Gegenwart aus Versehen aussprechen könnte, ihn erst nicht wissen wollte. Sinia<br />

hatte ihr jedoch versichert bei nächster Gelegenheit auch ihrem Onkel ihren Rufnamen zu verraten,<br />

weil seine demonstrative 'Lady'- Anrede sie zunehmend nervte.<br />

An einem Freitag, dem islamischen Sonntag, stand ein Jachtausflug auf dem Tigris Richtung Golf an.<br />

Sinia, Samira, ihre Mutter und Geschwister, sowie zwei Ehepaare von der Dienerschaft mit Kindern<br />

gingen bei herrlichem Wetter an Bord. Es versprach ein wunderschöner Tag zu werden, zumal Karim<br />

weit fort auf Falkenjagd war, wie Samira ihr gesagt hatte. Allein Rashid ließ sich nicht blicken, obgleich<br />

er auch an Bord war.<br />

Zur späten Mittagszeit dümpelte <strong>das</strong> Schiff in einer schattigen Bucht und die Kinder vergnügten sich<br />

im Wasser oder sprangen kreischend hinein. Von Samira erfuhr Sinia, <strong>das</strong>s sich Rashid im Moment<br />

unter Deck im hinteren Teil des Salons aufhielt. Mit der Bemerkung, „Dann werde ich mich mal dahin<br />

verirren!", verschwand Sinia im Schiff. Sie schlenderte in den pompös ausgestatteten Salon und ließ<br />

sich mit einem Seufzer auf ein Sofa aus dunkelrotem Samt fallen. Ein eleganter Drehsessel aus weißem<br />

Leder drehte sich in ihre Richtung. Darin saß im offenen, bunten Hemd und kurzer weißer Hose<br />

Rashid Safar.<br />

Sinia tat überrascht. „Oh, ich wußte nicht, <strong>das</strong>s Sie auch hier sind! Hi", grüßte sie lässig, blieb aber<br />

ausgestreckt sitzen.<br />

„Ich glaube doch!", antwortete er gutgelaunt. „Warum bist du nicht bei den anderen im Wasser, Lady?"<br />

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„Äh, vielleicht kann ich nicht schwimmen!"<br />

„Ich glaube doch. Immerhin hast du dich bisher ganz gut über Wasser gehalten!", bemerkte er.<br />

„Vielleicht war es bisher ja nicht so tief!", spann Sinia den Faden weiter.<br />

„Ich glaube, dann sollte ich dir sicherheitshalber <strong>das</strong> Schwimmen beibringen! Fliegen lernst du ja<br />

schon!"<br />

Bei Sinia läutete eine Alarmglocke. „Fliegen ist dagegen eine Wissenschaft. Deshalb ist es für mich<br />

nur ein aufregender Zeitvertreib bis Samira nach Hause kommt. Übrigens danke, <strong>das</strong>s Sie mir erlauben,<br />

mit Jaffar fliegen zu dürfen!"<br />

Rashid zuckte mit den Achseln. „Solange weiß ich dich wenigstens gut aufgehoben! Du verstehst<br />

dich gut mit Samira?"<br />

„Ja, sie ist ein außergewöhnliches Mädchen!"<br />

„So wie du!"<br />

Sinia lächelte vielsagend. „Oh, ich hätte sogar Ambitionen zu einem Mythos! Aber dazu müßte ich<br />

zuvor unauffällig von hier verschwinden!"<br />

Safar grinste. „Gegenvorschlag: warum bleibst du nicht einfach bei uns? Dafür verzichten wir sogar<br />

gern auf ein Mythos!"<br />

Sinia war irritiert, hatte sich aber schnell wieder unter Kontrolle. „Weil <strong>das</strong> nicht so einfach geht. Ich<br />

habe noch ein anderes Leben und <strong>das</strong> wartet auf mich!"<br />

„Ja, hier!", antwortete Safar.<br />

Freundlich, aber eindringlich antwortete Sinia: „Das hatte ich nie beabsichtigt. Sie dürfen mich nicht<br />

festhalten. Ich gehöre nicht hierher. Sie müssen mich gehen lassen! Es ist schon kompliziert genug.<br />

Bitte Rashid, ich will, ich muß heim! - Entschuldigung - Mister Safar", verbesserte sie sich schnell.<br />

„Du kannst ruhig bei Rashid bleiben!" Er machte eine Pause und fuhr dann fort: „Es ist ein Angebot,<br />

überlege es dir in Ruhe. Es würde dir bei uns gut gehen. Du hast ja sogar schon einige Freunde hier.<br />

Wenn dich trotzdem hier nichts halten kann, werden wir dir selbstverständlich dabei helfen, in dein<br />

Land zurückzukehren!"<br />

Sinia sah ihr Gegenüber nachdenklich an. Wie er sich ausdrückte! Sollte sie ihm <strong>das</strong> glauben?<br />

„Einverstanden?", hakte Rashid nach.<br />

Sinia nickte. „Das hätte ich gerne noch schriftlich!"<br />

„Du hast doch mein Wort!", stellte er ausdrücklich klar.<br />

„Ich werde Sie daran erinnern!"<br />

Safar bat sie dann, nichts zu überstürzen. Sie sollte sich auf ärztlichen Rat erst ganz erholen. Außerdem<br />

lud er sie zu seinem Fest ein, <strong>das</strong> er in ein paar Tagen geben wollte. Sie habe Gelegenheit, eine<br />

illustre Gesellschaft kennenzulernen und auch den Anführer der somalischen Rebellen. „Abgemacht,<br />

Lady?", beendete Rashid seine Ausführungen.<br />

Sinias Neugierde war geweckt. „Abgemacht!", bestätigte sie und stand auf.<br />

„Übrigens <strong>das</strong> Geld für deine Freunde liegt bereit! Jaffar hat Anweisung dich zu ihnen zu bringen.<br />

Akzeptiert?"<br />

Sinia war überrascht, <strong>das</strong>s er ihre Bitte nicht nur nicht vergessen hatte, sondern sogar erfüllen wollte.<br />

„Ich, ich kann nicht mehr als mich dafür bedanken...", stotterte Sinia und wußte nicht, wie sie ihre<br />

Freude über seinen Großmut zum Ausdruck bringen sollte.<br />

Rashid winkte ab. Er erhob sich. „Komm, Lady! Gehen wir zu den anderen!"<br />

„Mein richtiger Name ist Sinia!"<br />

„Sinia?" Rashid musterte sie aufmerksam. „Ja, der paßt auch viel besser zu dir als die anderen beiden!",<br />

bestätigte er lächelnd. „Ist <strong>das</strong> ein Zeichen, <strong>das</strong>s dein Misstrauen schwindet, Sinia?", erkundigte<br />

er sich weiter.<br />

„Nein", sagte sie schelmisch. "Ich kann Ihr 'Lady' nur nicht mehr hören!"<br />

„Du machst es einem wirklich schwer!", stöhnte er mit gespielter Enttäuschung.<br />

Auf dem Deck stürzten sich die Kinder sofort auf Rashid, der gleich spielerisch mit ihnen herumbalgte,<br />

sie neckte und sich von ihnen jagen und einfangen ließ. Sinia beobachtete neben Samira die fröhlich<br />

johlende Meute.<br />

© S. Remida Remida<br />

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„Ein starker Typ, mein Onkel! Sagt ihr nicht so?", sagte Samira.<br />

„Ja, echt cool!", pflichtete Sinia ihr bei.<br />

„Mein Mann muß so sein wie er!", erklärte Samira voller Bewunderung.<br />

Sinia sah ihre Freundin nachdenklich an, dann zog es ihren Blick zurück zu diesem ungewöhnlichen<br />

und rätselhaften Mann zwischen den wilden Kindern. Ja, sie konnte Samira sehr gut verstehen!<br />

© S. Remida Remida<br />

*********<br />

Schon am Nachmittag füllten die edelsten Automarken der westlichen Welt den riesigen Vorplatz vor<br />

Rashids Palast. Die meisten Gäste, allesamt männlich, trugen weiße Gewänder, die von edlen, mit<br />

Gold durchwirkten Bordüren geziert waren. Mit wehender Kopfbedeckung, die aus dem nur von einem<br />

Ring gehaltenen obligatorischen Tuch bestand, schritten sie majestätisch die Stufen zur Eingangshalle<br />

hinauf. Der andere Teil der Gäste kam in eleganten Anzügen oder reich dekorierten Uniformen.<br />

Von einem Fenster aus beobachtete Sinia mit Samira und deren Geschwistern <strong>das</strong> erhabene<br />

Schauspiel. Fast jeden der Ankömmlinge kannten Samira und ihre Geschwister persönlich und<br />

wußten über sie etwas zu berichten, und wenn sie sich nur über eine Macke lustig machten. Als es<br />

draußen ruhiger wurde, wandten sich die vier heimlichen Beobachter wieder einem Brettspiel zu. Die<br />

eigentliche Party begann erst viel später und hing davon ab, wie lange die Herrenrunde unter sich zu<br />

tagen gewillt war!<br />

Zuvor würden sich deren Damen, mancher hatte gar gleich mehrere, einfinden und in einem, eigens<br />

für sie hergerichteten Salon mit Büfett und kleinem Unterhaltungsprogramm auf den geselligen Teil<br />

des Abends warten.<br />

Als eine Haushälterin die jüngeren Geschwister unter ihre Fittiche nahm, um sie fertig für die Nachtruhe<br />

zu machen, wurde es Samira und Sinia ganz schön langweilig.<br />

„Ich weiß was, wir fahren in die Disco. Ich wollte schon immer ohne Leibwächter dahin! Bis man uns<br />

in dem Durcheinander vermißt, sind wir längst wieder da!", schlug Samira voller Abenteuerlust vor.<br />

„Ja richtig, so was habt ihr hier ja auch! Aber was, wenn man uns erwischt?"<br />

„Wir lassen uns eben nicht erwischen, oder hast du keine Lust oder Angst?"<br />

„Angst und Geld nie gehabt, sagt man bei uns! Also, auf zu heimatlichen Klängen, die spielen doch<br />

westliche Musik?"<br />

„Sämtliche Top Hits, wenn du <strong>das</strong> meinst!" Samira fieberte vor Aufregung. Schnell zogen sie sich um<br />

und hüllten sie sich in ihre schwarzen Umhänge. Schon ging es über Hintertreppen und leere Korridore<br />

hinaus zu einem kleinen Geländewagen. Triumphierend überreichte Samira Sinia die Autoschlüssel.<br />

„Kriegst du den Wagen hier raus?"<br />

„Schaun wir mal!", grinste Sinia und ließ <strong>das</strong> Fahrzeug fast geräuschlos zwischen den Nobelkarossen<br />

hindurchrollen.<br />

Dann ging es in flotter Fahrt in die von Samira vorgegebene Richtung.<br />

Es war eine Edeldiskothek, in der sie trotz ihren teuren orientalisch bestickten Seidenblusen und langen<br />

Röcken zu dem unauffälliger gekleideten Teil der Besucher zählten.<br />

Bevor sie einen freien Tisch gefunden hatten, wurden sie bereits von zwei jungen Männern zum Tanz<br />

aufgefordert und schon tobten sie sich auf der überfüllten Tanzfläche zu heißen Rhythmen aus. Wie<br />

lange war Sinia schon nicht mehr so ausgelassen gewesen! Und wie viele Jahre erst ihr letzter Discobesuch<br />

zurücklag! Lachend und völlig erschöpft ließen sich die beiden auf zwei freie Stühle fallen.<br />

Ihre Tanzpartner brachten ihnen noch etwas zu trinken und verschwanden gleich wieder auf die<br />

Tanzfläche. Sinia und Samira beobachteten die wogende Masse.<br />

Plötzlich stieß Samira Sinia an und nickte zur Eingangstür. Begleitet von seinen ebenso wilden<br />

Freunden stürmte Karim herein. Sie schnappten sich einfach ein paar tanzende Mädchen und ließen<br />

deren Partner bedeppert stehen. Innerhalb von Minuten mischten sie so die Tanzfläche auf.<br />

„Laß uns verschwinden!", rief Samira Sinia zu. Unauffällig schlüpften sie durch die Menge zum Ausgang.<br />

Erleichtert ließen sie die Tür hinter sich zufallen.<br />

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„Samira! Warte!", übertönte hinter ihnen eine wohlbekannte Stimme den Lärm. Als wäre der Teufel<br />

hinter ihnen her, jagten die Mädchen die Treppe hinunter, zwischen den Autos durch über den Parkplatz<br />

zu ihrem versteckt abgestellten Wagen, dicht gefolgt von Karim und seinen Freunden, die sich<br />

nicht scheuten, auch über die geparkten Autos zu laufen. Dann hatten die Kerle sie eingeholt.<br />

„Schau an, meine Cousine und unsere wilde Freundin! Wer hat euch erlaubt, hierher zu kommen?"<br />

Karim baute sich vor Sinia auf und grinste boshaft.<br />

„Laß uns in Ruhe! Ich warne dich, ich sag 's deinem Vater!", schrie Samira.<br />

„Wie mutig! Dabei wollen wir euch nur heimbegleiten, damit euch nichts passiert!"<br />

„Verschwinde endlich!", fauchte Samira, trat neben Sinia und raunte: „Was soll' n wir tun?"<br />

„Ich überleg ja schon!", flüsterte diese zurück.<br />

Aber schon packte Karim Sinia am Arm und hielt ihr sein Messer an die Kehle. "Du kommst mit und<br />

versuch keine Tricks!"<br />

Unvermittelt blickte Sinia mit überraschtem Gesichtsausdruck an ihm vorbei. „Verdammt, dein Vater!"<br />

Irritiert drehte sich Karim um. Mit einer schnellen Bewegung schleuderte Sinia ihm <strong>das</strong> Messer aus<br />

der Hand und warf ihn zu Boden, <strong>das</strong>s er hart aufschlug. Geistesgegenwärtig rannte Samira fort und<br />

Sinia hechtete hinterher. Gleichzeitig sprangen sie in den Geländewagen und schafften es um Haaresbreite<br />

ihren wütenden Verfolgern zu entkommen.<br />

„Das war knapp!", stieß Samira atemlos hervor, während Sinia rasant durch die Straßen kurvte, um<br />

den hinterher jagenden Rover abzuhängen. „Du, <strong>das</strong> ist unsere Chance, wir hauen ab! Ich zeige dir,<br />

wie wir aus dem Land herauskommen!"<br />

„Wir? Ich kann dich doch nicht mitnehmen!", keuchte Sinia.<br />

„Doch! Das ist die Gelegenheit, <strong>das</strong>s ich endlich hier herauskomme!", bekräftigte <strong>das</strong> Mädchen. Erst<br />

jetzt dämmerte es Sinia, <strong>das</strong>s Samiras ständiges Interesse an ihrem westlichen Lebensstil wohl nicht<br />

alleine einer verständlichen Neugier entsprang, sondern auch dem konkreten Wunsch, dieses offenbar<br />

freiere und aufregendere Leben gegen ihr sorgloses langweiliges ‚Tausend und eine Nacht‘ - Dasein<br />

zu tauschen. „Du spinnst!"<br />

„Es ist mein Ernst!"<br />

„Warum bittest du nicht deinen Onkel, dir eine Auslandsreise zu spendieren?"<br />

„Weil er davon nichts wissen will. Außerdem will ich mich frei ohne Leibwächter bewegen können.<br />

Ich will so leben wie ihr!"<br />

Sinia fuhr in eine dunkle Gasse und stellte abrupt den Motor ab. „Du weißt nicht, was du sagst! Wie<br />

stellst du dir <strong>das</strong> vor?"<br />

Unbeirrt beklagte Samira ihren, wenn auch luxuriösen so doch reglementierten Alltag und die Zwänge,<br />

die Religion und Gesellschaft den Frauen abverlangten. Und <strong>das</strong>s es nur wenigen gelänge, sich<br />

daraus zu befreien.<br />

„Und du glaubst, bei uns ist alles besser? Dann hast du mir nie richtig zugehört! Du könntest bei mir<br />

zwar eine Weile bleiben - Urlaub machen, aber ohne die Brücken hierher abzubrechen, denn ich habe<br />

weder <strong>das</strong> Geld noch die nötigen Verbindungen, um dir einen dauerhaften angenehmen Aufenthalt<br />

im Westen zu ermöglichen. Auch bei uns entscheidet <strong>das</strong> Geld über die Qualität des Lebens, und<br />

du bist zu verwöhnt, als <strong>das</strong>s du auf Dauer mit weniger zufrieden wärst."<br />

„Du hältst mich also für verwöhnt, naiv und unfähig selber für mich zu sorgen? Ich dachte nie, <strong>das</strong>s<br />

du so gering von mir denkst!"<br />

„Nein, <strong>das</strong> ist es nicht! Ich verstehe nur nicht, weshalb du hier gleich alles aufgeben willst, ohne zu<br />

wissen, was dich erwartet und ohne es anders wirklich versucht zu haben. Was, wenn du in Schwierigkeiten<br />

gerätst und du auf dich allein gestellt bist, statt dich einfach auf Hilfe verlassen zu können!"<br />

„Vielleicht hast du recht, ich bin nicht so mutig wie du!", gab Samira traurig nach.<br />

„Hm, ich bin nicht mutig!", antwortete Sinia bitter.<br />

„Doch, du bist ja hier!"<br />

„Soll ich dir sagen, warum ich hier bin? Ja? - Weil ich schlicht Angst hatte, ganz erbärmliche Angst<br />

um meinen Mann, den Vater meiner drei Kinder!" Sinia holte tief Luft.<br />

Samira sah sie überrascht an. „Du bist verheiratet und hast Kinder? Ich verstehe nicht warum du<br />

dann nicht andere..." Sie hob ihre Hände fragend in die Luft.<br />

© S. Remida Remida<br />

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„Weil, bei dieser Sache zählten wir nichts in unserem schönen freien Land!" Und ohne auf irgendwelche<br />

Personen näher einzugehen schilderte sie kurz, wie man sie nach der Entführung ihres Mannes<br />

dümmlich hingehalten hatte und sie sich dann auf die scheinbar einzige Chance vorbereitete, wenn<br />

auch voller Zweifel und gegen allerlei Widerstände. Nachdenklich fuhr sie sich durch die Haare. „Und<br />

es hat sogar funktioniert! Ich weiß nicht warum, aber es war ganz einfach! Dafür hänge ich jetzt hier<br />

fest und dabei hielt ich es immer für die einfachste Übung euer Land wieder zu verlassen!"<br />

„Warum nimmst du dann mein Angebot nicht an?", fragte Samira.<br />

„Der Preis. Er ist zu hoch - für dich!" Sinia startete den Motor. „Fahren wir heim, es ist Zeit!"<br />

„Hast du keine Angst, ich könnte meinem Onkel alles erzählen?", versuchte Samira noch einmal einen<br />

Vorstoß, Sinia umzustimmen.<br />

Sinia zuckte mit den Schultern und grinsend meinte sie nur: „Wirst du?"<br />

Vorbei an noch vom letzten Krieg zerstörten Häusern führte ihr Weg aus dem ärmlicheren Stadtviertel<br />

zurück in die bessere Wohngegend. Plötzlich stellte sich der Rover ihrer Verfolger ihnen in den<br />

Weg.<br />

„Karim!", zischte Samira. Doch Sinia schoß schon im Rückwärtsgang zurück, wendete in einer Einfahrt<br />

und wollte gerade in eine Querstraße einbiegen, als ein Lastwagen ihr den Weg versperrte. Aus<br />

ihm sprang Jaffar sofort zu Samiras Seite. „Los Kleine, komm! Du wirst schon gesucht!", rief er ihr zu<br />

und half ihr aus dem Wagen.<br />

„Nimm Sinia auch mit! Beeile dich!", rief Samira ihrer Freundin zu, doch Jaffar kümmerte sich nicht<br />

darum und hob sie in den Laster.<br />

Sinia winkte ab. „Laß nur, ich kann schon auf mich allein aufpassen, er ist doch sauer auf mich!" Und<br />

<strong>das</strong> war Jaffar in der Tat, genau seit zwei Tagen! Seit er von Sinia in die Nähe des Krankenhauses<br />

gelotst worden und sie urplötzlich verschwunden war. Und während sie den alten Lastwagenfahrer<br />

abgepaßt hatte, um ihm <strong>das</strong> Geld von der Belohnung auszuhändigen, als Dank für ihre Rettung, die<br />

selbstlose Pflege und herzliche Gastfreundschaft bei seinen Angehörigen, hatte Jaffar sie verzweifelt<br />

gesucht, weil er befürchtete, sie wolle wieder mal verschwinden.<br />

All ihre Erklärungsversuche und Entschuldigungen, doch nur die versprochene Anonymität dieser<br />

Familie habe wahren zu wollen, hatten ihn bisher nicht besänftigen können. Sein freundschaftliches<br />

Verhältnis zu Rashid und Karim hatte Sinia nach anfänglichem Zutrauen aufmerksam und vorsichtiger<br />

werden lassen. Natürlich hatte er <strong>das</strong> auch gemerkt und <strong>das</strong> kränkte ihn zusätzlich.<br />

Karim riß die Autotür auf und zerrte Sinia heraus. Sofort drehte er ihre Hände auf den Rücken und<br />

band sie mit einem Lederriemen zusammen, schlug seine Faust in ihre Magengrube, <strong>das</strong>s sie sich<br />

krümmte, warf sie über seine Schulter und trug sie so zum Wagen, um sie grob auf den Rücksitz fallen<br />

zu lassen. Unbeeindruckt von Samiras Schreien und Drohungen stiegen seine Freunde zu und<br />

mit Vollgas trieb er den schleudernden Wagen zurück bis zur nächsten Kreuzung und jagte mit aufheulendem<br />

Motor davon. „Habe wieder deine Flucht vereitelt, stimmt's! Und eine Entführung verhindert!<br />

Mein Vater wird stolz sein!", überschlug sich seine Stimme vor Begeisterung. Er nahm einen<br />

kräftigen Zug aus einer Flasche und gab sie weiter. Einer setzte auch Sinia die Flasche an den Mund,<br />

aber sie schüttelte sich und weigerte sich standhaft auch nur einen Schluck von dem scharf riechenden<br />

Alkohol hinunterzuschlucken.<br />

Karim lieferte sich mit Jaffar und einem Freund, der nun den kleinen Geländewagen der beiden<br />

Frauen fuhr, ein Rennen. Endlich hielt er mit quietschenden Reifen vor einer Seitentür des väterlichen<br />

Anwesens, was Sinia sehr erleichtert zur Kenntnis nahm. In Rashids Nähe fühlte sie sich sicherer<br />

vor Karim!<br />

„Gewonnen! Erster! Keiner hat's geschafft, mich zu überholen!", johlte Karim übermütig den beiden<br />

Fahrern zu und tanzte ausgelassen mit seinem Kumpanen herum. Samira rannte schimpfend auf ihn<br />

zu.<br />

„Sachte! Sachte! Cousine! Was hast du? Ich hab sie doch noch nicht umgebracht!"<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 60


Gemeinsam warteten sie in dem kleinen Bibliothekzimmer auf Rashid. Im eleganten weißen Anzug<br />

trat er ein, entzündete gemächlich ein Zigarillo und sah die beiden Frauen fragend an. „Also?"<br />

Samira erklärte bedächtig, <strong>das</strong>s es ihre Idee gewesen sei, die Diskothek zu besuchen. Dort sei Karim<br />

dann aufgetaucht und über sie hergefallen, da wären sie geflüchtet. Lautstark widersprach dieser mit<br />

seiner Darstellung und betonte besonders, die Entführung seiner lieben Cousine und Flucht dieser<br />

Terroristin verhindert zu haben.<br />

„Er lügt! Sie wollte nie mit mir abhauen!", konterte Samira.<br />

„So? Wirklich nicht?", fragte Rashid.<br />

„Laß! Der Kronprinz will sich doch auch mal für sein Land nützlich erweisen! Außer mir findet er doch<br />

nichts mit dem er sich brüsten könnte!", spöttelte Sinia und zerrte hinterrücks an den eng geschnürten<br />

Riemen.<br />

„Siehst du, sie fängt schon wieder an!" Karim trat wütend neben Sinia, als erwarte er die Erlaubnis,<br />

sie erwürgen zu dürfen.<br />

„Was soll <strong>das</strong>, binde sie sofort los!", befahl Rashid.<br />

Sinia drückte ihre befreiten Hände gegen den Bauch und rieb ihre Gelenke.<br />

„Was hast du?", fragte Rashid.<br />

„Oh, war meine Schuld! Ich bin nur gegen seine Faust gelaufen, als ich mich in den Fesseln verfangen<br />

habe!" erklärte Sinia mit einem Seitenblick zu Karim. Diesmal schien ihre Antwort eher sein Geschmack<br />

zu sein. „Hast du gehört, sie gibt ihre Schuld sogar zu!"<br />

Rashid gebot ihm zu schweigen und wandte sich an Samira. Sie war ihm noch eine Antwort schuldig.<br />

„Ich war es! Ich wollte ihr helfen ins Ausland zu kommen!", schrie sie aufgebracht mit einem verächtlichen<br />

Blick zu Karim.<br />

„Samira, hör auf!", mischte sich Sinia leise dazwischen.<br />

„Ich wollte auch, <strong>das</strong>s sie mich mitnimmt!", fügte sie störrisch hinzu und Tränen liefen über ihre Wangen.<br />

„Warum erzählst du so was?", flehte Sinia.<br />

„Ha, Samira muß sogar für sie lügen!", hielt sich Karim lautstark bestätigt.<br />

Rashid sah ihn scharf an, er kannte seine Nichte besser. „Und warum hast du es nicht getan?",<br />

wandte er sich an Sinia. Resigniert schüttelte diese den Kopf. Inzwischen fragte sie sich <strong>das</strong> ja selber!<br />

„Weil sie zu anständig ist! Weil sie mich nicht in Gefahr bringen wollte! Weil sie sich an ihr<br />

Versprechen hält!", schrie Samira und wischte über ihre mit Tränen gefüllten Augen.<br />

„So? Beruhigend zu hören! Aber du wolltest fort? Was hast du dir dabei gedacht? Was paßt dir hier<br />

denn nicht?", fragte Rashid drohend.<br />

„Die ist doch viel zu dumm zum Denken. Das kommt alles nur von ihr!", wies Karim auf Sinia.<br />

„Du bist selber dumm und gemein. Ich hasse dich!", geiferte Samira zurück. Sinia drehte sich lächelnd<br />

zur Seite. Hier wurde also auch nicht anders gestritten. Es erinnerte sie an ihre Mädchen, die<br />

sich genauso in die Haare kriegen konnten und dann von ihrer Mutter als Schiedsrichter ein Eingreifen<br />

zu Ungunsten des jeweils anderen erwarteten! Doch in diese Auseinandersetzung wollte sie sich<br />

nicht einmischen.<br />

Rashid wurde es schließlich zu bunt. Er befahl Samira, sich für eine Stunde zu den Gästen zu begeben<br />

und sich dann unauffällig in ihr Zimmer zurückzuziehen. Dazu verhängte er ihr Stubenarrest auf<br />

unbestimmte Zeit, bis sie wieder zu Vernunft gekommen sei. Seinen Sohn und dessen Kameraden<br />

entließ er mit der Drohung, wenn sie sich nicht endlich anständig führten, sie allesamt auspeitschen<br />

zu lassen. Geknickt schlichen sie hinaus. Das war alles andere als <strong>das</strong> erwartete Lob für ihre Heldentat!<br />

„Ich sehe, du hast die Sache im Griff. Ich geh dann auch schon mal zu den Gästen!", erklärte Jaffar<br />

jovial und ging mit einem „Bis gleich!"<br />

© S. Remida Remida<br />

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„Sie wollte wirklich fort?", sprach Rashid nachdenklich mehr zu sich und schüttelte den Kopf. Es war<br />

ihm unbegreiflich. Er hatte Samira immer wie eine eigene Tochter behandelt, die er so gerne gehabt<br />

hätte. Und er war immer stolz auf <strong>das</strong> schöne kluge Mädchen gewesen, mehr als auf seinen unbeherrschten<br />

eigenen Sohn.<br />

„Ich weiß nicht! --- Ob sie mit wäre? --- Man will oft etwas, bis man es könnte, --- aber dann tut man<br />

es doch nicht ---", sinnierte Sinia.<br />

„Ich warne dich, ziehe nicht noch andere da mit hinein!", drohte er.<br />

„He, ich arbeite immer alleine, schon vergessen?", belehrte sie ihn und fuhr versöhnlicher fort: „Bitte<br />

seien Sie nachsichtig mit Ihrer Nichte, sie wollte mir nur helfen!"<br />

„Ich habe dich nicht um Rat gefragt! Ich werde tun, was ich für richtig halte!"<br />

„Eben, vielleicht tun sie ihr damit sogar einen Gefallen!" Sinia sah ihn ärgerlich an. Sein fragender<br />

Blick ließ sie die Erklärung anfügen. "So wie sie Sie bewundert! Sie sind ihr Maß, <strong>das</strong> sie zugrunde<br />

legt! Arme Samira! Wer kann schon diesem Vergleich standhalten! -- Aber vielleicht ernüchtert sie<br />

<strong>das</strong> ja jetzt!"<br />

„Doch hierbleiben will sie nicht!", blieb Rashid unbeeindruckt.<br />

„Vielleicht ja nur, weil sie meine Chance sah, wegzukommen. Betrachten Sie es doch einfach als<br />

verdammt noch mal meine Schuld! Okay?"<br />

„Soll <strong>das</strong> heißen, du hast dich also gar nicht für die Gesellschaft hier interessiert?", fragte Rashid<br />

überrascht.<br />

Sie hatte ihn auf eine neue Fährte gelockt! Ohne ihn anzusehen antwortete sie locker: „Doch schon,<br />

aber hier war ja noch nichts los und wir wollten ja auch nicht lange wegbleiben. Es wäre bestimmt<br />

nicht mal aufgefallen!"<br />

„Glaubst du? Jaffar hatte euch schon bald vermißt! Weißt du nicht, was euch alles hätte passieren<br />

können?"<br />

„Na ja, mit Karim hatten wir wirklich nicht gerechnet!", deutete Sinia an.<br />

„Ich will nicht, <strong>das</strong>s du Karim ständig provozierst!"<br />

„Mal langsam!" Nun drehte sich Sinia zu Rashid hin. „Ich gebe zu, <strong>das</strong>s es falsch war fortzugehen.<br />

Ich möchte mich entschuldigen und bin bereit, die Konsequenzen zu tragen und bitte Sie dafür, Samira<br />

nicht zu bestrafen. Aber für Karims Verhalten, bin ich nicht verantwortlich. Er benimmt sich doch<br />

immer wie Klein-Rambo!"<br />

„Ich verbiete dir, so von ihm zu reden und erwarte mehr Respekt!"<br />

„Okay, okay! Sobald er sich entsprechend benimmt!", besänftigte Sinia und ging langsam rückwärts<br />

zur Tür.<br />

„Ich warne dich! Du wirst tun, was ich verlange!"<br />

„Oder auch nicht!" Sie drehte sich zur Tür und öffnete sie.<br />

"Wage es nicht, ohne meine Erlaubnis zu gehen!", drohte Rashid.<br />

Sinia hielt inne und überlegte es sich. „Also schön, Sie sind der Boss!", gab sie nach und schaute zu<br />

Rashid. „Sagen Sie Ihrem Sohn, <strong>das</strong>s er mich nicht gleich umbringen muß, nur weil ich aus Höflichkeit<br />

mich nicht mehr wehren werde? Zufrieden? Kann ich jetzt gehen?"<br />

„Das kannst du ihm selber sagen, weil du mitkommst zu meinen Gästen. Deine Anwesenheit hat sich<br />

bedauerlicherweise schon herumgesprochen und..."<br />

Sinia schüttelte bereits abwehrend den Kopf. „Nein, <strong>das</strong> kann ich nicht! Nach dem hier.."<br />

„...und reiß dich zusammen!" zischte er, griff nach ihrem Arm und zog sie ganz nah an sich heran.<br />

„Ich hoffe für dich, <strong>das</strong>s du verstanden hast, ja?"<br />

Sinia nickte verwirrt. Jetzt nur keine Angst zeigen, mahnte sie sich, aber sie war da!<br />

Rashid hatte sie bis zu dem großen Saal gezerrt, ihr dann eine Minute Zeit gelassen, sich zu sammeln,<br />

um selbst mit einem strahlenden Lächeln ihr die Tür zu öffnen. Sinia streifte ihn mit einem wütenden<br />

Blick, doch mit<br />

© S. Remida Remida<br />

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Betreten des festlichen Saales verwandelte sie sich - als wäre nie was gewesen - in ein charmantes<br />

bezauberndes Wesen. Rashid stellte sie gleich einigen neugierigen Leuten vor, auch einem riesigen<br />

General mit dunkelbrauner Haut, schwarzem krausen Haar und Vollbart. Er war General Agar, der<br />

Anführer der Rebellen, auf den Sinia besonders gespannt gewesen war und weswegen sie jegliche<br />

Fluchtgedanken zurückgestellt hatte.<br />

„Darf ich dir Sinia, unseren Gast aus Deutschland..." Rashid machte eine Pause und überlegte. Und<br />

Sinia glaubte in Ohnmacht fallen zu müssen, was hatte er schon herausgekriegt? „...nein, der<br />

Schweiz - richtig? - vorstellen. Sie ist eine enge Freundin meiner Nichte!", fuhr der Minister seelenruhig<br />

fort.<br />

Sofort war der Riese Feuer und Flamme. Ja, er kannte die Schweiz und liebte <strong>das</strong> Land, vor allem<br />

wegen seiner diskreten Banken, erklärte er in einem ordentlichen Schulenglisch. Dann gab er mit<br />

seinen deutschen ‚Besuchern‘ von neulich an, und umschrieb mit einem kaum überhörbar verachtenden<br />

Unterton deren unfreiwilligen Aufenthalt. „Wir hätten sie ja gerne etwas länger behalten, aber<br />

leider, leider zwangen mich gewisse Umstände, uns von ihnen vorzeitig zu trennen. Obwohl wir unsere<br />

Vorgaben noch nicht erreicht hatten!", erklärte er zweideutig. Sinia gab sich von seinen Schilderungen<br />

sehr angetan und beruhigt, aus seinen Worten dennoch schließen zu dürfen, <strong>das</strong>s es sich<br />

zwar um ein für ihn aufregendes aber für die Entführten doch offenbar ungefährliches Abenteuer<br />

gehandelt haben mußte. Mit einem breiten Lachen quittierte er ihre scheinbar naive Lebensferne und<br />

fügte eiskalt hinzu, <strong>das</strong>s die Reihenfolge der Erschießungen bereits feststand. Sinia fröstelte bei dem<br />

Gedanken, wie knapp ihr Mann und seine Kameraden dem Tod entgangen waren! Nur ließ sie sich<br />

nichts anmerken. Seine Entschlossenheit mit Bewunderung schmeichelnd, fragte sie beiläufig nach<br />

dem Grund der Entführung.<br />

Umständlich beschrieb er, <strong>das</strong>s in dem chemischen Bereich der in dem Gebiet seiner treuesten Anhänger<br />

erstellten Anlage eine Explosion ausgelöst worden war. Der 'Unfall' hatte vielen Tod und großes<br />

Leid gebracht. Aber die Welt habe davon nichts erfahren, sowenig wie von seinem Versuch, wenigstens<br />

eine teilweise Wiedergutmachen durchzusetzen. Zynisch erwähnte er noch, <strong>das</strong>s die versprochene<br />

finanzielle und ärztliche Hilfe sich als eine sehr umfassende aber leider nur eingehende<br />

Untersuchung über die Auswirkungen der verheerenden Katastrophe herausstellte. Man hatte Wissenschaftler<br />

statt Ärzte geschickt! Sinia war schockiert, ob <strong>das</strong> tatsächlich auch die Wahrheit war? Ihr<br />

Mann hatte nie etwas von einem Unfall erwähnt!<br />

Sie drückte ihr tiefstes Mitgefühl und Verständnis aus und entwand sich seinem immer offensichtlicher<br />

werdendem Annäherungsversuch mit der Entschuldigung, kurz zu Samira zu wollen. Mit der<br />

Forderung wieder zu ihm zurückzukommen, ließ der Somali sie gehen. Vorbei an den Gästen, denen<br />

sie höflich zulächelte, steuerte Sinia auf Samira zu. Karim stellte sich ihr in den Weg.<br />

„Paß auf Kleiner, ich habe deinem Dad versprochen, höflich zu dir zu sein. Aber überschreite lieber<br />

nicht meine Schmerzgrenze, klar?," sagte Sinia zuckersüß.<br />

„Ich freue mich, <strong>das</strong>s du endlich zur Vernunft gekommen bist. Mein Vater schaut hierher. Wollen wir<br />

ihn mit einem Drink nicht von der gelungenen Versöhnung überzeugen, Baby?", gab er sich nicht<br />

minder herzlich.<br />

„Habt ihr hier überhaupt so was starkes, <strong>das</strong> so viel Verlogenheit aushält?"<br />

Sie hatten! Wenn auch offiziell Alkohol nicht erlaubt war, war er bei solch illustren Privatgesellschaften<br />

unter der Hand dennoch zu bekommen. Sinia blieb fast die Luft weg und gönnte Karim seine<br />

gelungene Genugtuung darüber. „Ab jetzt also Freunde bis in den Tod?", erkundigte er sich mit gespielter<br />

Freundlichkeit.<br />

„Ja, sogenannte Todfreunde!", traf Sinia den gleichen falschen Ton.<br />

Er zwang sie lächelnd noch ein Glas mit ihm zu trinken, dann gab er ihr einen flüchtigen Kuß auf die<br />

Wange, krallte dabei seine Fingernägel tief in ihren Unterarm und ließ sie mit der Bemerkung stehen:<br />

„Und vergiß nicht, immer höflich bleiben! Mein Dolch hat eine scharfe Spitze!"<br />

„Werden Skorpione nicht erschlagen?", flüsterte sie ihm nach.<br />

Ihr war schlecht, sie wußte nur nicht, ob Karim oder der Alkohol daran schuld war.<br />

© S. Remida Remida<br />

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Doch schon nutzte ein dicker Scheich im wallenden Gewand den Moment und gesellte sich zu Sinia.<br />

Bald protzte er mit seinen Reichtümern, die er gerne einer so bezaubernden Dame zeigen, nein, gar<br />

zu Füßen legen wolle. Langsam ging es ihr besser, da der Typ sie von all dem Unangenehmen ablenkte.<br />

Er bat sie zu einem riesigen, weichen Sofa und nahm eng neben ihr Platz. Während er nun<br />

alle Register seiner Balzkunst zog, war er unablässig darauf bedacht, <strong>das</strong>s sowohl ihre Gläser als<br />

auch der Sektkübel stets neu gefüllt wurden. Ob er sie betrunken machen wollte? Sinia begann mit<br />

ihm zu schäkern, ohne ein paar bestimmte Leute aus den Augen zu lassen. So schien Jaffar seinerseits<br />

sie zu beobachten, Rashid hingegen intensiv in eine Diskussion verwickelt, Karim hatte sich zu<br />

ein paar jungen Mädchen gesellt und spielte den Hahn im Korb und Samira langweilte sich sichtlich<br />

neben ihrer Mutter im Kreise vornehmer Damen, bis sie sich schließlich mit einen traurigen Blick zu<br />

Sinia erhob und verabschiedete. Sinia zwinkerte ihr aufmunternd zu, was dem Mädchen ein zaghaftes<br />

Lächeln entlockte.<br />

Irgendwann waren auch Samiras Mutter, Karim und Rashid, ja selbst Jaffar verschwunden, registrierte<br />

Sinia sauer. Man ließ sie mit diesem alten dicken Charmeur allein, der sich mit zunehmendem<br />

Alkoholspiegel ernsthafte Gedanken machte, wie hoch wohl ihre Ablösesumme sein könne. Na, sicher<br />

könnte sie ihm sogar leichter ausbüxen, spielte sie mit dem Gedanken, sein Angebot anzunehmen,<br />

der aber von einem großen Unbehagen begleitet war. Dass niemand sie von dem Typ befreite?<br />

Sie flirtete seiner zunehmenden Champagnerlaune entsprechend heftiger, wobei sie aber weiter ihr<br />

Sektglas unbemerkt schluckweise in eine zierliche chinesische Vase leerte, in der sich der Flüssigkeitsspiegel<br />

schon bedrohlich dem Rand näherte. Gerade als der Ölmulti ihr einen flüchtigen Kuß auf<br />

die Stirn hauchen wollte, als Dank für ihre Bereitschaft ihm in seinen Märchenpalast folgen zu wollen,<br />

tauchte endlich Jaffar auf.<br />

„Eminenz erlauben Sie mir, Ihnen kurz die junge Dame zu entführen?", mischte er sich diskret räuspernd<br />

ein.<br />

„Aber nicht zu lange, nicht zu lange!", strahlte dieser schon ziemlich angeheitert.<br />

Jaffar ging mit Sinia zu einer weit geöffneten Verandatür und fuhr sie gleich an: „Was fällt dir ein,<br />

dich dem an den Hals zu werfen? Du läßt den armen Kerl in Ruhe, kapiert!"<br />

„Armer Kerl? Was soll <strong>das</strong>? Gönnst du mir nicht, <strong>das</strong>s mal einer wirklich nett zu mir ist? Außerdem<br />

wartet er auf mich!", wehrte sich Sinia störrisch und tat als wolle sie zurückgehen.<br />

„Der ist längst wieder auf Brautschau! Tja, Lady, du bist leider ausgerechnet an den Casanova des<br />

Orients geraten! Auf dich wartet dafür Minister Safar. Und den solltest du lieber nicht warten lassen.<br />

Er scheint nicht grade mit viel Geduld gesegnet!", Jaffar zeigte in eine dunkle Ecke der Veranda, aus<br />

der sich langsam ein Schatten löste.<br />

Sinia ging zögernd auf ihn zu. „Was hab ich diesmal wieder verbrochen?"<br />

„Ich weiß, du willst unseren Omar nur benutzen, um hier fortzukommen! Laß die Hände von ihm und<br />

setz dich zu den Frauen, wie es sich gehört!", donnerte Rashid los.<br />

„An Ihrer Stelle würde ich mir erst mal sein Angebot anhören, Sie würden dabei nicht schlecht abschneiden,<br />

angesichts des Ärgers, den Sie bisher mit mir hatten! - Hicks! Oh, Pardon!" Sie versuchte<br />

den Schluckauf zu unterdrücken, dessen Ursache weniger der Alkohol, als viel mehr ihre Nervosität<br />

war, wieder einem verärgerten Rashid gegenüberstehen zu müssen!<br />

„Du bist ja betrunken!"<br />

Richtig, warum sollte sie nicht so tun, als ob, um endlich von ihrer Anwesenheit hier erlöst zu werden<br />

und in beschwipstem Ton antwortete sie: „Ich passe mich eben den - hicks - Gegebenheiten an. Das<br />

wollten Sie doch?"<br />

„Ich hatte aber ein einer jungen Dame angemesseneres Benehmen erwartet. Aber so was kann ich<br />

meinen Freunden nicht zumuten! Nimm dich gefälligst zusammen!"<br />

„He, ich habe Sie - hicks - nicht gebeten, mir Ihre Freunde zuzumuten! Und ich denke als Ausländerin<br />

nicht daran, mich Ihren antiquierten Vorstellungen über weibliches Benehmen zu unterwerfen, was<br />

man – hicks - zu tun und so weiter... Ich bin nämlich ein freier Bürger aus einem freien - hicks - ach,<br />

Sie wissen schon...!" Das durfte doch hoffentlich genügen!<br />

© S. Remida Remida<br />

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Rashid sah sie entsetzt an. „Ich verbiete dir, da wieder hinein zu gehen!"<br />

„Wirklich?", hakte Sinia ernüchtert nach.<br />

„Für dich ist die Party zu Ende!", stellte er aufgebracht klar.<br />

„Gott sei Dank!"<br />

„Was?"<br />

„Ich fürchtete schon, ich müsse wieder zurück!"<br />

„Aber ich dachte, du wolltest... Und Omar?"<br />

„Ist nicht unbedingt mein Typ! Dumm, was?"<br />

Rashid lachte. „Du bist ja gar nicht betrunken!"<br />

„Hatte ich auch nie behauptet! Ich vertrage nicht viel Alkohol!"<br />

Während sie wie selbstverständlich die wenigen Stufen zu einer üppig gestalteten Gartenanlage<br />

nahmen und auf verschlungenem Weg nebeneinander her schlenderten, erklärte sie ihm ihren Trinktrick<br />

mit der Vase. Die Spannung zwischen ihnen löste sich.<br />

„Entschuldige, <strong>das</strong>s ich eben so...", begann Rashid umständlich und machte eine Pause.<br />

„Halte ich Sie nicht auf?", kam Sinia der Gedanke.<br />

„Nein, ich ziehe mich immer vorzeitig von solchen Gesellschaften zurück!"<br />

Sie gingen eine Weile schweigend weiter.<br />

„Darf ich wissen, was du grade denkst?“, erkundigte sich Rashid.<br />

„Nichts! Vielleicht, was ich mit dem angebrochenen Abend noch anfangen könnte", antwortete Sinia<br />

im Spaß.<br />

„Ich könnte dir Bagdad bei Nacht zeigen, oder eine alte Ruine, die ein paar Kilometer vor der Stadt<br />

steht oder...", mischte er sich in ihr Selbstgespräch ein.<br />

„Ruinen würden sich zur Geisterstunde direkt anbieten!", witzelte Sinia und war ziemlich überrascht,<br />

<strong>das</strong>s Rashid es ernst gemeint hatte.<br />

So fuhren sie wenig später in einem ganz neuen komfortablen Geländewagen weit hinaus aus der<br />

Stadt und abseits der Verkehrsstraßen einen holprigen Weg entlang. Im hellen Mondlicht erhoben<br />

sich gespenstisch die verfallenen Reste eines einstmals gewaltigen Gebäudekomplexes aus der flachen<br />

Ebene empor.<br />

Begleitet vom Lichtkegel einer Stablampe führte Rashid Sinia durch ein Labyrinth aus Schutt und<br />

Mauerresten dieses zerstörten einstigen Machtsymbols. Seine exzellenten Geschichtskenntnisse<br />

beendete er mit dem Hinweis auf einen noch bestehenden Aberglauben in der hiesigen Bevölkerung,<br />

manchmal noch heute die von unsäglichem Leid geplagten Stimmen der einstigen Bewohner wehklagen<br />

hören zu können.<br />

„Also doch Geister?", erkundigte sich Sinia mit Schauer.<br />

Safar lachte. Sooft er hier Ruhe suchte, sei ihm nie einer begegnet. Nur der Wind blase manchmal<br />

heulend durch <strong>das</strong> Gemäuer.<br />

Sie standen in der einzigen als solche noch erkennbaren Halle, deren Decke vor langer Zeit stümperhaft<br />

abgestützt und ausgebessert worden war. Bis vor Jahren war sie noch für geheime Treffen<br />

und Verschwörungen genutzt worden. Rashid ging aufmerksam herum, auch Sinia schaute sich neugierig<br />

um. Plötzlich erlosch der umherschweifende Lichtstrahl. Für Sekunden war es totenstill, bis auf<br />

einen leise flehenden, abwechselnd schwach und stärker werdenden Ton.<br />

„Rashid?", fragte Sinia leise in die Dunkelheit. Unbehagen beschlich sie. Verunsichert ging sie ein<br />

paar Schritte in die Richtung, in der sie Rashid vermutete.<br />

„Rashid, wo bist du?", rief sie besorgt. Etwas schien hinter ihr. Sie drehte sich um. „Rashid!", schrie<br />

sie ängstlich.<br />

„Suchst du mich?", erklang vor ihr seine Stimme. Sinia griff in die Dunkelheit, erwischte sein Hemd<br />

und warf sich erleichtert an seine Brust. Sie spürte seine Arme an ihren Schultern und sich um ihren<br />

Rücken schließen. Sie hörte den ruhigen Schlag seines Herzens und fühlte sich seit langer Zeit endlich<br />

einmal richtig sicher und beschützt, auch wenn ihr Verstand <strong>das</strong> als lächerlich abtat.<br />

© S. Remida Remida<br />

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Entschuldigend sagte er: „Das war keine Absicht. Dass diese Lampen immer im ungünstigsten Moment<br />

einen Wackelkontakt haben müssen!" Dabei schlug er, ohne Sinia loszulassen, die Lampe<br />

mehrmals gegen seine andere Hand, bis sie wieder anging.<br />

„Ich dachte schon Sie lassen mich hier zurück bei den gefangenen Seelen!", erklärte sie ihre Furcht.<br />

„Keine Angst, aber laß <strong>das</strong> ‚Sie‘!“ sagte er. „Das war nur der Wind. - Du denkst ja reichlich schlecht<br />

von mir! Dabei kannst du nicht mal behaupten, <strong>das</strong>s ich dir schon mal was getan hätte!"<br />

Sinia überlegte. Richtig, er selber hatte sich auf höchstens verbale Angriffe und Drohungen beschränkt.<br />

Sie löste sich aus seiner Umarmung. „War ja auch nie nötig bei dem Personal! - Doch warte,<br />

du hast mich in dieses Verließ werfen lassen!"<br />

Rashid nahm sie an der Hand und machte sich auf den Weg zurück zum Auto. Dabei erzählte er ihr,<br />

<strong>das</strong>s er dies damals aber auf höchstens zwei Stunden beschränken wollte. „Ich glaubte wirklich, dich<br />

damit zum Aufgeben zwingen zu können. Obwohl ich dich nie für gefährlich gehalten habe, schon gar<br />

nicht als ich deine Reaktion auf die <strong>Bilder</strong> von den befreiten Männern sah, aber jemand glaubte die<br />

Gelegenheit für sich nutzen zu können, uns zu schaden. Und du warst die einzige, die etwas wissen<br />

konnte!" Sinia schüttelte energisch den Kopf und fragte, was er damit meine, aber Rashid überging<br />

<strong>das</strong> und fuhr fort: „Doch du bist mir zuvorgekommen. Und mein Mann am Monitor machte ausgerechnet<br />

da eine Pause, als du... Ich habe mir große Sorgen um dich gemacht! Das kannst du mir<br />

glauben! - Und dann mußtest du uns auch noch entwischen!"<br />

Sinia kicherte leise. „Wahrscheinlich habe ich dein Entschuldigungsschreiben übersehen!"<br />

„Ich weiß übrigens bis heute noch nicht, mit was du dich so schneiden konntest?" überlegte Rashid.<br />

Sinia deutete auf ihr Medaillon.<br />

„Damit?", fragte Rashid ungläubig. „Bekomme ich es?"<br />

„He, dann wäre ich ja der einzig unbewaffnete Mensch hier! - Es ist mein Glücksbringer." Sie sah ihn<br />

aufmerksam an. „Ich schenke ihn dir, wenn ich ihn mal nicht mehr brauche!"<br />

Rashid öffnete ihr die Wagentür. „Glaubst du denn, bei uns noch auf seine Hilfe angewiesen sein zu<br />

müssen?"<br />

Sinia hob die Achseln.<br />

Er sah sich den Anhänger lächelnd an. „Scheint verdammt gut zu sein, dein Glücksstein! Aber bitte<br />

zweckentfremde ihn nicht wieder!“<br />

Auf der Rückfahrt sprachen sie nicht viel. Sinia versuchte die unerwartete Entwicklung dieses<br />

Abends auf die Reihe zu kriegen. Sie hätte zu gerne gewußt, was Rashid dachte.<br />

Vor dem breiten Aufgang seines Palastes ließ er den Geländewagen ausrollen. „Ich hoffe, du kannst<br />

nach diesem gespenstischen Ausflug trotzdem gut schlafen!", sagte er lächelnd.<br />

„Danke für den Abend - ich meine für den zweiten Teil!"<br />

Rashid wollte aussteigen, doch Sinia hielt ihn zurück. „Laß nur!" Sie öffnete selber die Wagentür und<br />

stieg aus. „Gute Nacht!"<br />

„Träum was Schönes!", erwiderte er mit weicher Stimme und wartete mit laufendem Motor bis sie die<br />

Stufen zum erleuchteten Eingangsportal hochgegangen war. Oben drehte sich Sinia noch einmal um<br />

und hob zum Abschied die Hand. Rashid tat es ihr gleich, ehe er den Wagen langsam in Bewegung<br />

setzte. Sinia sah ihm hinterher, dann ging sie nachdenklich hinein. Ihre Gefühle waren völlig durcheinandergeraten.<br />

Und dieser undurchschaubare Mann war daran schuld!<br />

© S. Remida Remida<br />

***********<br />

Am nächsten Morgen wurde Sinia von heftigem Klopfen gegen ihre Zimmertür geweckt. Samira hatte<br />

ihr gleich zu berichten, <strong>das</strong>s ihr Onkel den verfügten Hausarrest zurückgenommen hatte. Dann erkundigte<br />

sie sich neugierig nach dem weiteren Verlauf des gestrigen Abends. Sinia beließ es bei einer<br />

vagen Schilderung des Saufgelages und wechselte <strong>das</strong> Thema. „Ich wollte dir schon gestern dafür<br />

danken, <strong>das</strong>s du nichts von mir verraten hattest! Du bist wirklich super!"<br />

„Das ist doch selbstverständlich! Du bist meine beste Freundin", forschend sah sie Sinia an. „Wenn<br />

du wieder zu Hause bist, wirst du dich mal trauen, dich bei mir zu melden?"<br />

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„Wenn es einmal möglich sein wird, werde ich dich sogar einladen. In jedem Fall werde ich versuchen,<br />

irgendwie Kontakt zu dir zu halten!"<br />

Samira umarmte sie dankbar. „Du bist mir der liebste Mensch, den ich kenne!" Sinia lächelte und<br />

überlegte, wer auf ihrer Beliebtheitsskala wohl die erste Stelle einnimmt, Samira oder Rashid.<br />

Sinia saß gerade mit Samira, deren Mutter und Geschwistern beim Frühstück, als von draußen lauter<br />

Tumult sie ans Fenster lockte. Sofort wurde die Haushälterin losgeschickt sich nach dem Grund zu<br />

erkundigen und Minuten später erfuhren sie, <strong>das</strong>s eine junge Frau mit ihren Kindern und einigen<br />

Verwandten und Freunden lautstark die Freilassung ihres Mannes forderte. Als Mitglied einer oppositionellen<br />

Vereinigung war dieser wegen seiner öffentlichen kritischen Äußerungen gegen die Regierung<br />

inhaftiert worden und wartete schon seit Wochen auf die Anklage wegen Hochverrats. Mit deren<br />

Zusammenbasteln man offenbar noch beschäftigt sein mußte, überlegte Sinia. Die erlauchte Gästeliste<br />

der gestrigen Gesellschaft, von denen die meisten erst im Laufe dieses Tages abreisen würden,<br />

bot eine passende Gelegenheit für diese Demonstration.<br />

„Immer wieder glauben sie, so eher was zu erreichen!", sagte Samiras Mutter kopfschüttelnd und<br />

ging an den Tisch zurück um in stoischer Ruhe ihr Frühstück fortzusetzen.<br />

Sinia war erschüttert. Sie erinnerte sich noch zu gut an den Kerker, an die Kunst der Tatsachenverdrehungen,<br />

an die Angst um ihren Mann und sah voll Mitgefühl auf die Kinder, die ebenfalls von dem<br />

Sicherheitstrupp in Schach gehaltenen wurden. „Ist der Minister nicht hier, warum tut er nichts? Er<br />

könnte ihr doch helfen!"<br />

„Das sind auch seine Feinde!", stellte die Frau klar.<br />

„Auch die Kinder?", fragte Sinia.<br />

„Bitte, ich will jetzt nichts mehr davon hören!" , beendete sie unwiderruflich <strong>das</strong> Thema.<br />

Mit einer Entschuldigung verließ Sinia den Raum. Sie wollte zu Rashid.<br />

Vor seinem Arbeitszimmer stand ein Wachposten, der sie zurückhielt. Auf ihr Drängen hin, holte er<br />

dann aber doch den Minister aus einer Besprechung.<br />

Freundlich erkundigte sich Rashid, was es denn so wichtiges gäbe, <strong>das</strong>s sie ihn bei der Konferenz<br />

stören müsse. Sinia kam gleich auf die demonstrierende Gruppe vor dem Haus zu sprechen.<br />

„Ich dachte, es wären alle Männer befreit worden! Gehört der etwa auch noch dazu?", fragte er belustigt.<br />

„Aber er hat doch nichts getan. Im Gegensatz zu dem, der mich bedroht und verraten hat und dessen<br />

Freilassung du mir trotzdem zugesichert hast!"<br />

„Ich bin dir wohl etwas zu oft entgegengekommen! Aber hier halte dich bitte raus! Der bekennt sich<br />

offen gegen die Regierung!"<br />

„Aber nur mit Worten", warf Sinia ein.<br />

„Und morgen mit Waffen. Was weißt du schon von den Menschen hier! Ich brauche deinen Rat nicht,<br />

klar?"<br />

„Und wo bleibt bei euch die Gerechtigkeit?", bohrte Sinia weiter.<br />

„Gerechtigkeit?", lachte Rashid verärgert. „Wer entscheidet, was gerecht ist? Etwas du, weil du aus<br />

einem dieser - wie betont ihr so gerne - zivilisierten Länder kommst? Herrscht bei euch etwa Gerechtigkeit?<br />

Weshalb bist du dann wohl hierher gekommen?", fragte er aufgebracht und versöhnlich fügte<br />

er an: „Ich habe noch einiges zu erledigen. Ich muß wieder zurück. Am besten, du vergißt <strong>das</strong> alles!"<br />

Sinia war von seinem Zornausbruch so überrascht, <strong>das</strong>s sie nun genau so wütend war. „Jedenfalls<br />

weißt du, wie man sich Gegner macht!"<br />

„Nein, wer meine Gegner sind! Weißt du <strong>das</strong> auch?" Damit ließ er Sinia stehen. War <strong>das</strong> alles, was<br />

von gestern Nacht übrig geblieben war?<br />

Auf dem Hof war es inzwischen wieder ruhig. Man hatte die Gruppe fortgebracht.<br />

Sinia hatte sich mit ihrem Kassettenrecorder auf der untersten Treppenstufe, die zu einer der vielen<br />

Terrassen führte, niedergelassen. Sie mußte mit ihrem Ärger alleine sein. Zum Glück half Samira<br />

© S. Remida Remida<br />

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ihrer Mutter bei der Verabschiedung der Gäste und die Kinder tobten hinten im Garten. Rashid hatte<br />

sich zusammen mit ein paar Männern von einem Hubschrauber abholen lassen und Jaffar war mit<br />

Karim davongebraust.<br />

Von ihrem Platz konnte Sinia den chaotischen Aufbruch der Männer und Frauen beobachten. Leise<br />

hämmerte melodische Popmusik auf sie ein und steuerte ihre Gedanken in Richtung einer immer<br />

klarer werdenden Erkenntnis über die Absurdität ihrer Situation. In dem Maß, in dem ihre Wut verrauchte,<br />

nahm <strong>das</strong> Interesse an dem Schauspiel vor ihr zu. Autos verschiedenster Marken - Hauptsache<br />

protzig - fuhren ab oder kamen an. Einige Luxusschlitten wurden zwischenzeitlich im Pendelverkehr<br />

eingesetzt, aber der Ansturm der erlauchten Persönlichkeiten, von denen jeder ein Prestigegefährt<br />

für sich beanspruchte, war größer. Immer wieder fiel ihr Blick auf den noblen Ranch Rover von<br />

gestern Nacht. Und auf einmal war sie verschwunden.<br />

Minuten später reihte sich der Rover zu den wartenden Fahrzeugen ein. Inzwischen warteten hauptsächlich<br />

weibliche Gäste auf ihre Beförderung, was <strong>das</strong> Durcheinander eher vergrößerte. So nahm<br />

niemand Notiz von dem zierlichen Chauffeur im Kaftan und dem Turban auf dem Kopf. Und niemand<br />

bemerkte, <strong>das</strong>s seine grünliche Augenfarbe nicht zu der braunen Haut mit dem dunklen Schatten im<br />

Bereich des Bartes paßte. Kichernd und schnatternd stiegen ein paar junge Frauen ein, die zum<br />

Flughafen gebracht werden sollten. Unbehelligt ließ der Wagen die bewachte Ausfahrt hinter sich und<br />

lieferte die Damen an ihrem Zielort ab. Dann fuhr er weiter zum Militärflughafen. Unterwegs verwandelte<br />

sich der seltsame Chauffeur wieder zurück in die hellhäutige Sinia mit Jeans, lässigem Hemd<br />

und offenen langen blonden Haaren.<br />

Schon von weitem machte sie den wendigen Düsenjet unter den Jagdflugzeugen aus, in dem sie so<br />

oft mit Jaffar geflogen war. Die wenigen Jungs, die zum Dienst eingeteilt waren, freuten sich, <strong>das</strong>s es<br />

ihr wieder besser ging. So erfuhr Sinia nun auch, wie Jaffar ihre Abwesenheit in den letzten zwei Tagen<br />

erklärt hatte. Nun, schwindeln konnte sie auch! Deshalb erzählte sie, <strong>das</strong>s Jaffar heute doch einen<br />

Trainingsflug machen wolle und sie vorausgeschickt habe, damit schon mal alles vorbereitet sei,<br />

wenn er kommt! Und tatsächlich ließ der diensthabende Flugleiter sich bluffen und legte die Unterlagen<br />

und den Schlüssel bereit. Sinia paßte einen unbeaufsichtigten Moment ab und tauschte den<br />

Schlüssel gegen den vom Auto aus, den sie halb unter einem Papier versteckte. Mit der ungeduldigen<br />

Bemerkung, wo Jaffar denn nur bleibe, schlenderte sie hinaus. Dabei bewegte sie sich im Takt<br />

der Musik aus ihrem Recorder, der über ihrer Schulter hing. Es wirkte so harmlos, <strong>das</strong>s niemand ahnen<br />

konnte, was sie vorhatte! Und so verschwand sie unbemerkt im Cockpit. In Gedanken ging Sinia<br />

alle Handgriffe durch, die <strong>das</strong> Geschoß zum Starten brachten. Sie stellte die Musik laut. Besser,<br />

wenn sie jetzt nicht über ihr irres Vorhaben nachzudenken begann!<br />

Mit schrillem Heulen setzte sich der Jet in Bewegung und hob etwas zu steil und zu schnell ab. Im<br />

üblich monotonen Ton meldete sich der Tower. Sinia antwortete nicht. Schon verriet die Stimme die<br />

ausgelöste Verwirrung, die bald auf größte Hektik schließen ließ. Sinia indes raste in geringer Höhe<br />

westwärts und war vollauf damit beschäftigt die Maschine auf Kurs zu halten.<br />

Plötzlich hörte sie Jaffars Stimme, der sich vorschriftsmäßig mit Aufruf der Kennung ihres Jets meldete.<br />

Sinia schwieg.<br />

„Pfeif auf die Vorschriften!", versuchte er es erneut auf Deutsch und wurde energisch. „Melde dich<br />

Sinia! Ich weiß, du kannst mich hören! Du bringst mich ja ganz schön in Schwierigkeiten mit diesem<br />

Wahnsinn. Sag wenigstens, <strong>das</strong>s du <strong>das</strong> beabsichtigt hast!"<br />

Sinia schwieg.<br />

„Also, schön! In einer Minute haben wir dich eingeholt! - Ehm, hast du eigentlich schon auf die Tankanzeige<br />

geschaut? Na? Was spricht sie?"<br />

Sinia suchte aufmerksam die Instrumente ab. Dann glaubte sie die richtige Anzeige gefunden zu haben<br />

und erschrak. Schnell stellte sie die Musik ab. „Wenn... wenn es die ist, die ich glaube, <strong>das</strong>s sie's<br />

ist, dann zeigt sie auf unter ein Viertel!", meldete sie sich zögernd.<br />

© S. Remida Remida<br />

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Jaffar pfiff durch die Zähne. „Nur? Das kann gut sein", überlegte er. "Willst du den Rest des Fluges<br />

schieben?" Er holte tief Luft. „Aber schön, <strong>das</strong>s du dich überhaupt meldest. Ich bin jetzt neben dir.<br />

Hör zu, ich werde dich runterlotsen!"<br />

Tatsächlich tauchte zu ihrem Schreck links neben ihr eine Düsenmaschine auf. Schnell antwortete<br />

sie: „Aber erst hinter der Grenze!"<br />

„Was du nicht schaffen kannst!", stellte Jaffar klar.<br />

Von links kreuzte ein anderer Düsenjäger unterhalb ihre Route, <strong>das</strong>s Sinia erschrocken abdrehte.<br />

Zwei weitere setzten sich sofort an ihre rechte und linke Seite, so <strong>das</strong>s sie nicht mehr auf ihren alten<br />

Kurs zurückkehren konnte. Zumal nun auch über und unter ihr jeweils eine Maschine auftauchte. Von<br />

Südosten näherte sich mit hoher Geschwindigkeit ein Hubschrauber. Sinia hätte eigentlich viel<br />

schneller fliegen müssen. Aber <strong>das</strong> traute sie sich nicht.<br />

Rashid schaltete sich ein. „Wie kommst du zurecht, Sinia?"<br />

Sinia stöhnte in Deutsch: „Der auch hier?" Und antwortete in Englisch: „Bestens! Was willst du hier?<br />

Mußt du nicht wichtigeres erledigen?"<br />

„Ich verstehe!“, seufzte Rashid. „Aber glaub mir, du gehörst auch dazu! Doch jetzt müssen wir dich<br />

erst mal da herunter holen!"<br />

„Du meinst 'abschießen'!"<br />

Ruhig erklärte Rashid, <strong>das</strong>s in der Nähe ein ausgedienter Landeplatz sei, der manchmal zu Übungszwecken<br />

genutzt werde. „Da wirst du nach Jaffars Anweisung landen!"<br />

„Warum dieser Aufwand, wenn ich's bis zur Grenze doch nicht schaffen kann?"<br />

„Vielleicht brauch ich dich ja noch", bemerkte er trocken und fuhr fort, „außerdem hab ich hier ein<br />

Telex, <strong>das</strong> solltest du dir erst mal ansehen. Es betrifft dich!"<br />

Eine heiße Welle jagte durch ihren Körper. Bluffte er nur oder hatte er tatsächlich etwas? Sie atmete<br />

tief durch. Ruhig, ganz ruhig! Dann meldete sie sich im flapsigen Ton. „He, du kannst es doch vorlesen!<br />

Ich höre!"<br />

„Du würdest es mir doch nicht glauben! Ich möchte, <strong>das</strong>s du es selber liest. Und wenn du dann immer<br />

noch nach Deutschland willst, bringen wir dich dahin. Ehrenwort!"<br />

Er wußte woher sie kam! Ihre Entschlossenheit schmolz dahin wie Eis in der Sonne. Und ohne Mut<br />

war sie zum Aufgeben gezwungen! „Na schön! Was muß ich tun!"<br />

„Allah sei Dank!“, stöhnte Jaffar. Und ruhig erklärte er, auf was sie bei der Landung achten müsse. Es<br />

war doch erheblich schwieriger als der Start. Dann probte sie den Landeanflug. Jaffar korrigierte jede<br />

Unsicherheit und kommentierte ihre zweifelhafte fliegerische Leistung mit den Worten: "Du hättest<br />

ruhig noch ein paar Flugstunden bei mir nehmen sollen! Ich schick drei Jäger runter, schau, wie die<br />

landen und dann probieren wir's noch mal!"<br />

Minuten später standen die Militärmaschinen abseits der Rollbahn ordentlich abgestellt und die Piloten<br />

beeilten sich, soweit möglich, alles für einen Notfall vorzubereiten. Sinia sah, wie zwei alte Feuerwehrwagen<br />

auf Position fuhren und ein klappriges Auto die Piste entlang hoppelte. Das alles wirkte<br />

jedoch kaum vertrauenerweckend!<br />

Sie wollte es endlich hinter sich bringen, solange sie noch den Nerv dazu hatte. Sie setzte zur letzten<br />

Schleife an. „Also Jungs, weg da, ich komm jetzt!"<br />

„Nein, noch nicht! Wir gehn's noch mal durch!", schrie Jaffar in <strong>das</strong> Mikrophon.<br />

„Eh -, nur für den Fall, <strong>das</strong>s es nicht klappt, schickt doch dann bitte meine Überreste heim! Wegen<br />

der Lebensversicherung! - Und dann wollte ich euch noch sagen, ihr seid gar nicht so übel – na ja,<br />

wenigstens manchmal...", erklang nachdenklich Sinias Stimme in den zugeschalteten Kopfhörern<br />

aller sie begleitenden Piloten.<br />

„Ich weiß, du schaffst es!" meldete sich Rashid voller Überzeugung.<br />

„Klar, wetten? Ich klinke mich jetzt aus!", sagte Sinia so ruhig wie möglich und stellte den Sprechfunk<br />

ab. Sie wollte nicht von irgendwelchen Anweisungen irritiert werden. Statt dessen ließ sie <strong>das</strong> Kassettenband<br />

ein Stück vorlaufen. Laut dröhnte der Queens-Oldie 'We are the champions' aus dem vibrierenden<br />

Lautsprecher. Vielleicht half es ja!<br />

Langsam senkte sich der Jet hinab zum Landeanflug. Sinia drosselte die Geschwindigkeit. Vor ihr<br />

breitete sich die Piste wie ein langer, grauer Teppich aus. Zu hoch, zu schnell, glaubte sie und drück-<br />

© S. Remida Remida<br />

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te den Flieger noch tiefer und verringerte den Schub. Jetzt kam sie zu steil nach unten. Das Flugzeug<br />

geriet aus der Balance. Vorsichtig korrigierte sie die Fluglage. Die Maschine senkte sich mit mäßiger<br />

Geschwindigkeit der Rollbahn entgegen. Hier hatten die anderen Bodenkontakt bekommen! Warum<br />

sie noch nicht, wunderte sie sich und schob den Lenkknüppel millimeterweise nach vorn. Rumms!<br />

Schlugen die Räder auf der Erde auf. Der Jet erzitterte und schüttelte sie durch. Erschrocken zog sie<br />

die Lenkung um Millimeter wieder gegen sich. Umkehrschub zum Bremsen! Sofort griff sie nach dem<br />

Hebel und die Motoren heulten dröhnend auf. Die Maschine gebärdete sich wie ein störrisches Pferd.<br />

Aber sie rollte auf der Piste und wurde langsamer, nur die Rollbahn nicht länger! Sinia steuerte den<br />

Jet ganz links hinüber und versuchte ihn im großen Bogen zu wenden. Sein Heck begann zu schlingern<br />

und rutschte seitlich über den Rand der befestigten Piste. Mit einem Seitenrad blieb er nach<br />

wenigen Metern im Sand stecken - und stand! Sinia atmete auf und stellte den Motor und den Recorder<br />

ab. Ihr Hemd war klatschnaß. Sie konnte vor sich gerade noch die Landung des letzten Düsenjägers<br />

und die mit quäkender Sirene herbei fahrenden Feuerwehrlaster erkennen, ehe im aufwirbelnden<br />

Sand sich majestätisch und übermächtig der Hubschrauber nieder senkte. Im gleichen Moment<br />

gab es einen dumpfen Schlag und ihr Jet knickte nach vorne ein. Das Bugrad schien gebrochen!<br />

Sinia schüttelte entnervt den Kopf, verschränkte ihre Arme über den Lenker, lehnte ihren Kopf dagegen<br />

und schloß die Augen.<br />

Jaffar war als erster bei ihr und öffnete schnell die Kabinenhaube. „Alles in Ordnung?", schrie er besorgt.<br />

Sinia nickte. "Bis auf da vorne!"<br />

Jaffar zog sie vorsichtig an den Schultern zurück, um ihr Gesicht zu sehen. Sinia konnte in seinem<br />

bestürzten Blick erkennen, worauf er ihre Bemerkung bezogen hatte. Sie lächelte hilflos. „Ich meine<br />

deinen Flieger. Ich habe ihm ein Bein gebrochen. Und ich dachte schon ich hätte es geschafft!"<br />

„Das hast du auch! Das hast du!" Und grinsend fügte er hinzu: "Bist gar nicht so übel - manchmal,<br />

wirklich!" Dann half er ihr hinaus.<br />

Mit wackligen Beinen ging Sinia auf Rashid zu, der umringt von den anderen Männern schon auf sie<br />

wartete. Zwei Armlängen vor ihm blieb sie stehen, zog eine Augenbraue hoch und mit einer Handbewegung<br />

zum demolierten Jet bemerkte sie cool: „Setz es mit auf die Rechnung!" Voller Erwartung<br />

sah sie ihn an. „Das Telex?"<br />

Mit einem Pokerface, <strong>das</strong> keine Gefühlsregung erkennen ließ, reichte er ihr ein Blatt. „Eine Kopie des<br />

Originals in Englisch, darunter die Übersetzung ins Deutsche!"<br />

Sinia überflog <strong>das</strong> Papier und traute ihren Augen nicht. Auf die geschätzte Anfrage der irakischen<br />

Justiz, bezüglich der Identität der in Gewahrsam genommenen weiblichen Person - stand da in<br />

Deutsch zu lesen - habe man zwischenzeitlich festgestellt, <strong>das</strong>s es sich um eine in Deutschland gesuchte<br />

Straftäterin mit korrektem Namen Maria Rassel handle, weshalb ihr Heimatland sich nicht zu<br />

ihren Gunsten verwenden werde und deshalb einer Verurteilung und Inhaftierung durch <strong>das</strong> Gastland<br />

nichts entgegensteht.<br />

„Jetzt weißt du ja sogar mehr über mich als ich!", kommentierte Sinia sarkastisch <strong>das</strong> Schreiben und<br />

hielt es Rashid wieder hin. Kalt blickte sie ihn an. „Was soll <strong>das</strong>? Wer ist für diesen Schwachsinn<br />

verantwortlich?"<br />

„Ich war genauso überrascht, auf unsere Erkundigungen hin, jetzt plötzlich Post von Interpol zu bekommen!<br />

Ich dachte, du wüßtest, wer dahinter stecken kann?"<br />

Sie schüttelte den Kopf. „In solchen hohen miesen Kreisen verkehre ich nicht! Warum Interpol? Und<br />

nicht eine deutsche Behörde?"<br />

„Du kennst eben deine Feinde nicht! - Das meinte ich mit Gerechtigkeit! Erinnerst du dich?"<br />

Sinia drehte sich weg. Irgend jemand wollte, <strong>das</strong>s sie nicht mehr zurückkam! Wie verloren und allein<br />

gelassen sie sich plötzlich fühlte. Was, wenn Rashid dieser Mitteilung doch mehr Glauben schenkte,<br />

als er vorgab? Sie kämpfte gegen die Tränen. „Das glaub ich nicht! Das kann doch alles nicht wahr<br />

sein! Ich muß nach Hause!"<br />

Rashid versuchte es ihr auszureden, aber Sinia schrie ihn an. „Du hast versprochen, <strong>das</strong>s du mich<br />

gehen läßt! Und ich muß zurück!" Sie trat ein paar Schritte zurück. „Ich gehe! Dazu brauche ich kei-<br />

© S. Remida Remida<br />

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nen von euch! Und wenn ich noch einen Vogel verschrotten muß!" Sie rannte zum nächsten Flugzeug.<br />

„Bleib hier! Laß den Unsinn!", rief Rashid und schickte seine Männer hinter ihr her.<br />

Aber so leicht ließ sich Sinia nicht festhalten. Besessen von der fixen Idee nach Deutschland zu müssen,<br />

wehrte sie sich verzweifelt gegen die Übermacht. Endlich hatte sie sich befreit und rannte, nur<br />

ihre Verfolger im Blick, weg und prallte gegen Rashids Brust. Sofort drückte er sie so fest an sich,<br />

<strong>das</strong>s sie sich nicht mehr bewegen konnte. „Langsam Sinia, ein Flugzeug pro Tag reicht!", sagte er<br />

beruhigend. „Überlass uns die Sache. Du kommst schon noch nach Hause, aber jetzt nicht."<br />

Sinia gab ihren Widerstand auf. Ihr wurde allmählich bewußt, <strong>das</strong>s sie im Moment hier noch am besten<br />

aufgehoben war. Außerdem wollte sie noch eine Weile seine Nähe und seine Arme um sich spüren.<br />

Und Rashid hielt sie fest, während er seine Leute anwies, ihre Maschinen wieder zum Stützpunkt<br />

zurückzufliegen. Einer nach dem anderen winkte ihnen zu und startete dann mit donnernden Motoren.<br />

Als letzter ging Jaffar, nachdem er Rashid augenzwinkernd empfohlen hatte, Sinia ja nicht loszulassen,<br />

damit sie nicht doch noch entwischen könne. Dann waren die beiden alleine. Nur der eingeknickte<br />

Jet und der Hubschrauber standen noch da. Selbst die Rettungsfahrzeuge waren wieder auf<br />

ihren alten Platz zurückgebracht worden.<br />

„Na, willst du mal Hubschrauber fliegen?", fragte Rashid locker.<br />

„Bleibt ja kaum was anderes übrig." Mit einem abgespannten Lächeln fügte sie hinzu: „Ich überlass<br />

dir <strong>das</strong> Steuer!"<br />

Wenig später zogen die Rotoren <strong>das</strong> Ungetüm in die Höhe und trugen es geschwind in nordöstlicher<br />

Richtung davon. Rashid hatte es offenbar nicht eilig. Er wollte noch bei einem seiner Domizile vorbeischauen.<br />

Von ihm ging eine Ruhe und Sicherheit aus, die langsam auch auf Sinia überging.<br />

Die Gegend unter ihnen wurde hügliger. Schließlich steuerte Rashid im weiten Bogen ein herausragendes<br />

Plateau an und setzte sanft auf. Dann forderte er Sinia auf, mitzukommen. Er führte sie einen<br />

steilen Pfad hinunter, der vor einer Hängebrücke endete. Der Steg bestand aus zusammengebundenen<br />

groben Holzbrettern mit breiten Spalten dazwischen. An den Seiten befand sich je ein dickes<br />

Seil, an dem man sich festhalten konnte. Diese beiden Halteseile waren mit den Brettern des Laufstegs<br />

jeweils durch ein dünneres Faserseil, <strong>das</strong> im Zickzack dazwischen gespannt war, verbunden.<br />

Zwar war die Brücke nur wenige Meter lang, aber Sinia wurde schon bei dem Blick in die unendliche<br />

Tiefe der Schlucht ganz übel, und dann noch über so eine unsichere wacklige Verbindung aus bißchen<br />

Holz und alten Seilen zu müssen, gab ihr den Rest. „Denk was du willst, aber da geh ich nicht<br />

rüber!"<br />

„Das versteh ich nicht, du bist vorhin noch viel höher geflogen. Und hier kannst du sogar hinüber laufen!",<br />

wunderte sich Rashid und schaute sie amüsiert an.<br />

Sinia suchte nach Ausflüchten, aber Rashid nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her. Ihr blieb<br />

nichts anderes übrig, als sich mit der freien Hand am Seil festzuhalten, nicht in die Tiefe zu schauen<br />

und zu hoffen, <strong>das</strong>s der schaukelnde Boden stabil genug für sie beide war und sie schnell drüben<br />

ankamen. Die Bretter knarrten verdächtig unter ihrer beider Gewicht und die Brücke schwang unruhig<br />

hin und her. Endlich erreichten sie die anderen Seite und Rashid witzelte: „Überlebt?" Wie selbstverständlich<br />

behielt er ihre Hand in der seinen.<br />

Der Weg führte weiter durch Dickicht bis zu einer Lichtung, auf der ein silberglänzender Wasserfall in<br />

einen kleinen See hinabstürzte. Üppige Grünpflanzen umsäumten <strong>das</strong> Ufer und wild wuchernde<br />

Schlingpflanzen kletterten die steile Felswand hinauf und so nah an den gischtenden Wasserstrahl,<br />

<strong>das</strong>s sie fast mit hinuntergerissen wurden. Sinia war von dem Anblick überwältigt. Rashid ließ sie los.<br />

Gleich hielt sie ihre Hand in <strong>das</strong> smaragdgrüne Naß.<br />

„Du kannst ruhig hineingehen, wenn du willst!", erklärte Rashid.<br />

Und Sinia bat ihn lächelnd, sich mal kurz umzudrehen. Flink zog sie Sandalen und Jeans aus und<br />

stürzte sich im Hemd in <strong>das</strong> angenehm temperierte Wasser. Nach den letzten schweißtreibenden<br />

Stunden tat die Abkühlung gut. Rashid hatte seine sandfarbene Uniformjacke ausgezogen und sein<br />

© S. Remida Remida<br />

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kurzärmeliges Hemd halb aufgeknöpft. Leger saß er nun im Schatten eines alten knorrigen Baumes<br />

und sah ihr zu. Sie tauchte hinter den Wasserfall und kletterte dahinter an der Felswand aus dem<br />

Wasser hinaus. Fasziniert schaute sie zwischen dem hinabstürzenden Wasservorhang durch, der in<br />

stetem Wechsel mal hier mal da einen geheimnisvoll verschleierten Blick in eine scheinbar fremde<br />

Welt freigab. Schließlich schwamm sie wieder zurück zum Ufer, streifte <strong>das</strong> Wasser an sich ab und<br />

zog ihre Hose und Sandalen an. Rashid kam zu ihr und legte ihr seine Jacke um die Schultern.<br />

„Die wird aber ganz nass!", warnte Sinia, aber Rashid winkte ab. „Du musst trockene Sachen anziehen.<br />

Komm mit!" Er legte seinen Arm um ihre Schultern und führte sie zu einem zugewucherten Pfad,<br />

den er sich ihnen mit einem Messer frei bahnte. Beiläufig begann er zu erzählen, wie er vor langer<br />

Zeit die Schlucht mit dem Wasserfall entdeckt habe und zu dieser Idylle anlegen ließ. Es sei auch ein<br />

kleines Haus in der Nähe, aber er war schon lange nicht mehr dort. Zwar habe noch niemand diesen<br />

schwer zugänglichen Ort entdeckt, aber da es in dem von der UNO ausgewiesenen Sperrbereich<br />

liegt, sei es gefährlicher geworden, hierher zu kommen. Augenzwinkernd wandte er sich an Sinia, sie<br />

solle beim nächsten Fluchtversuch lieber keine Militärmaschine mehr nehmen, weil überall Scharfschützen<br />

auf so ein Ziel lauern könnten. Sinia winkte ab, vom Selbstfliegen hatte sie genug! Dafür<br />

wollte sie wissen, ob er sich wirklich so sicher war, <strong>das</strong>s ihr die Landung glücken würde. Rashid nickte.<br />

Geheimnisvoll erklärte er, Kismeth habe es so bestimmt. Mehr ließ er sich nicht entlocken, trotz<br />

ihres hartnäckigen Nachfragens.<br />

Bald erreichten sie ein aus grob geschlagenen Steinen errichtetes zweistöckiges Gebäude, dessen<br />

Dach zur Vorderseite leicht schräg abfiel und von Säulen gestützt auch noch über die Veranda reichte.<br />

Seine verwinkelte Bauweise gab ihm einen schlossähnlichen Charakter. Auf der rechten Seite<br />

bildete die Wand ein Halbrund mit bis zum Boden reichenden Fenstern. Diese Rundwand setzte sich<br />

bis über den Dachfirst fort und überragte ihn nun als breiter runder Aussichtsturm. Rashid zog einen<br />

faustgroßen Stein aus der Wand und holte den Schlüssel aus dem Versteck. Gemeinsam mit den<br />

beiden drang auch <strong>das</strong> Sonnenlicht durch die Tür ins Innere und ließ eine edle, wenn auch verstaubte<br />

Einrichtung erkennen. Rashid öffnete die Fensterläden und nach und nach erglänzten mit Samt bezogene<br />

Stühle um einen aufwendig gedrechselten Tisch, geschnitzte Schränke und Truhen, ein Diwan<br />

mit einer von Fransen eingefassten Seidendecke und massive Holztüren, die auf weitere Räume<br />

schließen ließen.<br />

Rashid brachte Sinia zum Ankleideraum, wo sie sich aus den vorhanden Kleidungsstücken ein langes<br />

Hemd in hellem lindgrün heraussuchte, <strong>das</strong> sie in der Taille mit einer Kordel band. Ihre feuchten Sachen<br />

hing sie draußen über eine waagerechte Holzstange, die eine Veran<strong>das</strong>eite begrenzte. Rashid<br />

kam mit ein paar Früchten in einem Korb zurück. „Leider kann ich dir nicht mehr anbieten. Hätte ich<br />

gewußt, <strong>das</strong>s du heute hier mein Gast sein würdest, hätte ich ein Menü bringen und alles entsprechend<br />

herrichten lassen!"<br />

„Ich bin weder sonderlich hungrig noch anspruchsvoll. Mir genügt <strong>das</strong>. Danke!", antwortete Sinia und<br />

nahm sich eine orangenähnliche Frucht.<br />

„Wir können aber auch zurückfliegen!", testete Rashid und stellte den Korb auf die Veranda.<br />

„Wegen mir brauchen wir noch nicht zurück", antwortete Sinia leicht und ging an ihm vorbei. Sie blieb<br />

mit dem Rücken zu ihm stehen und blickte versonnen zu der grünen undurchdringlichen Wand, die<br />

aus Bäumen und Büschen zusammengewachsen war und nur wenige Schritte von ihr entfernt diesen<br />

Rest eines längst verlorenen Paradieses wie ein schützender Wall umgab. Bräuchte sie nur ihrem<br />

Instinkt gehorchen, würde dies der Ort sein, wo sie sich verkriechen wollte. Aber da waren ihre Kinder!<br />

Wie mochte es ihnen gehen? Ob sie ihre Mutter vermißten? Sicher würden sie zusammen mit<br />

ihrem Vater von allen Seiten von Mitleid gestreichelt werden! - Chris! Wie lange hatte sie ihn nicht<br />

mehr gesehen? Was wußte er wohl von ihrem Abenteuer, in <strong>das</strong> sie sich wegen ihn gestürzt hatte?<br />

Plötzlich fröstelte es sie. Rashid stand hinter ihr und legte seine Arme um ihre Taille. Mit seiner Wange<br />

strich er über ihren Kopf. Sinia lehnte sich zurück an seine Brust und schloß die Augen. Sie war<br />

lang genug stark gewesen, sie wollte auch einmal <strong>das</strong> Recht haben, sich beschützt fühlen zu dürfen.<br />

Einmal vergessen, was hinter ihr lag und möglicherweise ihr noch bevorstand! Fühlte sie sich im<br />

Grunde ihres Wesens doch gar nicht als Kämpfernatur. Durch ihren Gedanken- und Gefühlsnebel<br />

© S. Remida Remida<br />

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ahnte sich Rashids ruhige tiefe Stimme einen Weg. „Wenn es je einen Garten Eden gab, dann hat<br />

er bestimmt so ausgesehen."<br />

Sie lauschten der Melodie der Natur, einer Harmonie aus dem monotonen Geplätscher des Wasserfalls,<br />

Vogelgezwitscher, dem Zirpen und Schreien unsichtbarer Tiere und dem leisen Säuseln des<br />

Windes durch die Bäume und Sträucher.<br />

„Bleibe bei uns. Ich schenke dir auch dies Paradies!", sprach Rashid im Flüsterton weiter und zog<br />

Sinia enger an sich.<br />

„Zu einer anderen Zeit und unter anderen Bedingungen wäre ich wohl geblieben, aber - es geht nicht<br />

mehr..." Sinia schüttelte langsam ihren Kopf.<br />

„Es ist nie zu spät, weil <strong>das</strong> <strong>Schicksal</strong> unseren Weg bestimmt. Selbst wer sich dagegen wehrt, muß<br />

sich letztendlich Kismeths Macht beugen!"<br />

„Hört sich nach einer bequemen Ausrede für Fatalisten an. In meinem Land gibt es eine ganze Reihe<br />

von Sprichwörtern, die <strong>das</strong> Gegenteil besagen, etwa, jeder ist seines Glückes Schmied; hilf dir selbst,<br />

dann hilft dir Gott. Ich schick dir mal 'ne Sammlung!"<br />

„Wer behauptet, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> eine <strong>das</strong> andere ausschließen muß? Sie können sich doch auch ergänzen!"<br />

Sinia drehte sich zu ihm um und fixierte ihn schelmisch. „Plötzlich so kompromißbereit? Du wirst mir<br />

ja richtig sympathisch!"<br />

Rashid hauchte einen Kuß auf ihre Stirn. „Freut mich, dann haben wir doch schon etwas gemeinsam!"<br />

Unter einem inneren Zwang befreite sie sich aus seiner Umarmung. „Zeigst du mir <strong>das</strong> Haus?", fragte<br />

sie möglichst ungezwungen.<br />

Rashid führte sie durch den auf zwei Ebenen angelegten Bau, zeigte ihr die Aufenthalts- und Schlafräume<br />

die Küche und die beiden Badezimmer, die über eine Pumpe mit Wasser versorgt wurden und<br />

sogar die Waffenkammer, ein gefangener Raum ohne Fenster, der nur über eine hervorragend getarnte<br />

Wandtür erreichbar war. Dann bleiben sie eine Weile auf dem überdachten Turm und genossen<br />

den Rundblick über die von einer undurchdringlichen Wildnis und steilen Felsschluchten begrenzten<br />

Idylle. Als die größte Mittagshitze nachließ, setzten sie draußen ihren Rundgang durch die<br />

mit viel Liebe und Sorgfalt angelegte Oase des Friedens und Ruhe fort. Dann mahnte die Zeit zum<br />

Verlassen. Sinia schlüpfte wieder in ihr getrockneten Kleider. Nur widerwillig nahm sie Abschied von<br />

dem Ort, an dem sie den süßen Hauch von absoluter Glückseligkeit hatte verspüren können.<br />

© S. Remida Remida<br />

****************<br />

Am nächsten Vormittag streifte Sinia versonnen durch den Palast. Samira war längst zum Unterricht<br />

gegangen, jedoch nicht ohne sie zuvor eindringlich gebeten zu haben, nicht wieder fliehen zu wollen.<br />

Bis auf <strong>das</strong> weibliche Personal, <strong>das</strong> fleißig seiner Arbeit nachging, war <strong>das</strong> Haus leer. Selbst Rashid<br />

war, seit er sie gestern am Spätnachmittag auf dem hauseigenen Landeplatz abgesetzt hatte, verschwunden.<br />

Sie ging hinaus auf eine der weitläufigen Terrassen, die von einer etwa einen Meter hohen<br />

Mauer umgeben war. Darauf waren auf einer Seite kühn geschwungene Rundbögen gesetzt, die<br />

dem Ausblick auf <strong>das</strong> sicher zehn Meter tiefer liegende Gelände etwas Atemberaubendes verlieh.<br />

Sinia setzte sich barfuß in einen der Rundbögen, versteckte die angewinkelten Beine unter ihrem<br />

weiten Rock und lehnte sich an die sonnengewärmte Steinsäule. Die Sonnenstrahlen wärmten angenehm<br />

durch die Bluse und der leichte Wind spielte mit ihrem Haar. Sie schloß die Augen und träumte<br />

sich in Rashids geheimes Paradies zurück.<br />

„Du wolltest also einen Düsenjäger stehlen!"<br />

Sinia erschrak so sehr, <strong>das</strong>s sie fast von der Brüstung gefallen wäre. Vor ihr stand Karim und freute<br />

sich diebisch über ihren fassungslosen Gesichtsausdruck. Sinia atmete tief durch und überlegte eilig<br />

nach einer passenden Reaktion. Dann zuckte sie die Achseln und antwortete gedehnt: „Wer will die<br />

Dinger schon haben!"<br />

„He, <strong>das</strong> sind erstklassige Maschinen!" Wie erwartet, ließ er sich foppen!<br />

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Hoch in der Luft bemerkte Sinia Karims Greifvogel. Sie verfolgte seinen kreisenden Flug. Wie nebenbei<br />

sagte sie: „Mein Auftrag lautete nur, eure Kampfflieger zu vernichten!" Mit der Hand beschrieb sie<br />

einen hohen Bogen, der steil abwärts führte. „Du verstehst? Aber behalte <strong>das</strong> bitte für dich!" Sie<br />

merkte seinen bohrenden Blick und wie seine Denkmaschine arbeitete. Sie konnte sich ein Grinsen<br />

nicht verkneifen.<br />

„Du nimmst mich doch nur hoch! Hab ich Recht? Glaubst du ich fall auf deine Märchen rein?“ Dabei<br />

schüttelte er sie so, <strong>das</strong>s sie besorgt nach Halt an der Mauer suchte. Von oben stürzte der Vogel auf<br />

die vermeintlich Kämpfenden hinab.<br />

„Hör auf! Entschuldigung! Bitte, las mich los!", flehte Sinia. Karim gab ihr noch einen letzten Schubs<br />

und bot seinem flatternden Greif den Arm.<br />

„Wenn ich will, könnte er dich töten!", erklärte Karim aufgebracht und zeigte auf <strong>das</strong> Tier. „Glaubst du<br />

mir <strong>das</strong>?"<br />

„Bevor ich's drauf ankommen lasse, ja!" antwortete Sinia mit einem versöhnlichen Unterton.<br />

Über Karims Gesicht flog ein Lächeln. „Ich begreife nicht, was Samira oder mein Vater an dir finden!"<br />

„Tja, du wirst wohl der einzige sein, der mein wahres dämonenhaftes Wesen erkennt!", sprach sie mit<br />

tiefer werdenden geheimnisvollem Ton.<br />

Karim betrachtete sie nachdenklich.<br />

„Vielleicht ist es auch nur, es kann ja nicht jeder jeden mögen und bei uns beruht <strong>das</strong> auch noch auf<br />

Gegenseitigkeit!", nannte Sinia eine weitere Möglichkeit.<br />

„Nimm dich in Acht und hör auf, mich zu ärgern!", sagte Karim und schien selbst doch wenig überzeugt<br />

von seiner Drohung. Dann ging er sehr aufrecht und mit steifen Schritten davon.<br />

Sinia fiel <strong>das</strong> sehr wohl auf und sie überlegte, ob er vielleicht aus Hilflosigkeit vor ihr flüchtete? Jedenfalls<br />

hatte er ihren Traum von jenem heilen Flecken Erde zum Zerplatzen gebracht. Sinia stand<br />

wieder nüchtern der Realität gegenüber. Nun, seit der Erfindung der Störenfriede hatten die Gärten<br />

Edens keinerlei Chancen mehr! Und war der eine gerade gegangen, so erstand vor ihrem geistigen<br />

Auge schon der nächste. Jener, der ihre Rückkehr nach Hause so hinterhältig zu verhindern suchte!<br />

Ihr fiel Rashids Erklärung vom Vortage ein, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Telex schon morgens direkt hier eingetroffen<br />

war. Wegen des unglaublichen Inhaltes habe er sich gleich mit ein paar Vertrauten beraten. Wie verärgert<br />

er war, habe sie ja bemerken können, als sie ihn wegen der Demonstranten aufgesucht hatte!<br />

Vielleicht ließ sich dann auch hier ein Hinweis auf den eigentlichen Absender oder Verantwortlichen<br />

finden, überlegte sie jetzt und war schon auf dem Weg zum Arbeitszimmer.<br />

Neugierig sah sie sich in dem ausgesprochen modern eingerichteten Raum um. Funktelefone, Monitore,<br />

Fax- und Kopiergeräte, ja selbst ein Computer fehlte nicht. Sie blickte sich auf dem Schreibtisch<br />

um und schaute in seine Schubladen, ging systematisch die Schränke durch und überflog die Aktenordner,<br />

aber es war nichts zu finden. Schließlich setzte sie sich in den lederbezogenen Sessel. Sie<br />

schob die gläserne Abdeckung einer in den Tisch eingelassenen Kassette zurück und ließ behende<br />

ihre Finger über die ordentlich einsortierten Disketten gleiten. Auf einmal stutzte sie und ging interessiert<br />

noch mal die Disketten durch. Auf einer war tatsächlich ein 'L' durchgestrichen und durch ein 'S'<br />

ersetzt worden. Lady - Sinia, kombinierte sie. Schon hatte sie <strong>das</strong> Gerät angeschaltet und die Diskette<br />

eingeschoben. Doch wie sollte sie an die gespeicherten Informationen kommen, waren ihre<br />

Computerkenntnisse doch eher dürftig und ihr schon gar nicht dies Betriebssystem und seine Programme<br />

bekannt. Abgesehen davon, <strong>das</strong>s sie mit einer arabischen Ausgabe ohnehin nichts hätte<br />

anfangen können. Doch die Neugierde war stärker! Mit Intuition und einigem Probieren gelang ihr<br />

dann aber doch der Wechsel auf die Diskette und sogar in sein Inhaltsverzeichnis. Doch die Dateien<br />

ließen sich nur über ein Codewort öffnen. Sinia tippte verschiedene Namen und Begriffe ein, doch auf<br />

dem Bildschirm erschien jedesmal nur auf Englisch "Zugriff verweigert". Ihr war klar, <strong>das</strong>s sich so<br />

einfach <strong>das</strong> Schlüsselwort nicht finden ließ. Enttäuscht ging sie aus dem Programm, schaltete <strong>das</strong><br />

Gerät ab und legte die Diskette zurück, dabei fiel ihr Blick auf einen darunter deponierten Umschlag.<br />

Sie zog ihn hervor und ließ seinen Inhalt herausgleiten. Dabei fielen all ihre gefälschten Ausweise auf<br />

den Tisch. Interessiert sah sie die in Arabisch teils eng beschriebenen Blätter durch. Schade, <strong>das</strong>s<br />

sie die arabische Schrift nicht beherrschte! Auf einem war eine Zahlenreihe unkenntlich gemacht<br />

worden. Und dann hielt sie <strong>das</strong> Original von Interpol in der Hand. Es war weder unterzeichnet noch<br />

© S. Remida Remida<br />

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trug es sonst irgendeine Kennung, die auf eine bestimmt Person hätte schließen lassen. Nur ein<br />

handschriftlich vermerktes "B" mit Fragezeichen war abgehakt, aber <strong>das</strong> wußte Sinia auch nicht zu<br />

deuten. Sie ordnete wieder alles in den Umschlag und sah erschrocken auf.<br />

Rashid stand seitlich hinter ihr und beobachtete sie. Wie lange wohl schon?<br />

„Und gefunden, was du gesucht hast?", fragte er streng.<br />

Sinia schüttelte den Kopf. „Nicht den kleinsten Hinweis auf meine Feinde!" Sie stand auf und versuchte<br />

cool zu wirken. „Entschuldige, aber ich mußte es wenigstens versuchen!" Und mit einem<br />

Schulterzucken fuhr sie fort: "War mein Fehler, mich nicht zu erkundigen, wann du wieder zurückkommst!"<br />

Rashid blickte kurz zum Computer. „Er hat mich zurückgeholt. Er ist mit meinem Büro vernetzt!" Sinia<br />

blieb fast die Luft weg. Mit einem Anflug von Bewunderung fügte Rashid hinzu: „Warst übrigens ziemlich<br />

nah dran. Hättest nur deinen ganzen Namen eingeben müssen - Sinia Martin! Aber auch da hättest<br />

du nicht gefunden, was du suchst. Glaub mir!"<br />

Sinia suchte Halt am Tisch. Mit eiskalter Hand wischte sie sich über die Stirn, als wolle sie einen bösen<br />

Traum vertreiben. Rashid schien ihre Gemütsverfassung nicht zu interessieren. Er winkte zwei<br />

Wachen und seinen Chauffeur durch die Seitentür zu sich her und erklärte ihnen: „Es bleibt trotzdem<br />

dabei, sie kommt mit!" Dann richtete er sich an Sinia. „Sei froh, <strong>das</strong>s ich dich nicht für eine Spionin<br />

halte! Übrigens, du bleibst nicht hier. Ich habe angeordnet, deine Sachen packen zu lassen!" - und<br />

etwas freundlicher – „Bitte folge seinen Anweisungen!" Dabei zeigte er zu dem gleichmütig dreinblickenden<br />

dicklichen Chauffeur. Jaffar erschien in der Tür. Nachdenklich kratzte er sich am Kopf und<br />

sah Sinia an. „Was hast du jetzt schon wieder angestellt?"<br />

Rashid ging zu ihm. Sie besprachen sich im Flüsterton und gingen gemeinsam zur Tür. Sinia wollte<br />

hinterherlaufen, doch ein Wachsoldat hielt sie zurück. Halb wütend und halb besorgt rief sie ihnen<br />

nach: „Und was wird aus mir? Rashid, warte! Laß mich erklären..."<br />

Ohne sich umzudrehen hob dieser seine Hand hoch und dann waren beide aus dem Zimmer verschwunden.<br />

„Kommen Sie mit!", sagte der Chauffeur.<br />

„Nein! Ich weiß ja nicht mal wohin!", antwortete Sinia störrisch.<br />

„Zum Wagen!", grinste der Mann und fügte ein höfliches aber bestimmtes "Bitte!" an.<br />

In Begleitung der Wachen verließ Sinia mit sehr gemischten Gefühlen <strong>das</strong> Haus, <strong>das</strong> zusammen mit<br />

seinen Bewohnern ihr doch mehr liebgeworden war, als sie sich eingestehen wollte. Dann fuhr der<br />

Rolls Royce mit ihr in die Stadt. Vor einem schneeweiß gestrichenen mehrstöckigen Bürogebäude<br />

parkte der Fahrer ein. Die Zeit verging und die Hitze im Fahrzeuginneren begann unerträglich zu<br />

werden. Weder Türen noch Fenster ließen sich öffnen. Sinia trommelte gegen die Scheibe, die den<br />

Fahrgastraum vom Fahrerplatz, trennte. "Ich bekomme keine Luft mehr!", schrie sie den Chauffeur<br />

an, der bei offenen Fenstern eingenickt war. Mit einem kurzen Knopfdruck öffnete er die hinteren<br />

Fenster einen Spalt breit und zog seine Kappe tiefer ins Gesicht, um weiterzudösen. Sinia war nicht<br />

in der Verfassung diesen sturen Typ zu nerven und fügte sich in <strong>das</strong> <strong>Schicksal</strong> des ungewissen Weiterwartens.<br />

So dämmerte sie vor sich hin, als die Seitentür aufgerissen wurde und Rashid beschwingt einstieg. Er<br />

warf sein Jackett gleich auf den gegenüberliegenden Sitz, öffnete die oberen Knöpfe seines Hemdes<br />

und krempelte die Ärmel bis über den Ellenbogen hoch. Das Nobelauto hatte sich schon in Bewegung<br />

gesetzt. Obwohl insgeheim über sein Auftauchen sehr froh, blieb Sinia doch teilnahmslos hingelümmelt<br />

sitzen. Gedehnt und uninteressiert klang ihre Frage: "Und jetzt?"<br />

"Werde ich mich um dich kümmern!" Rashid sah sie spitzbübisch an. "Oder was dagegen?"<br />

Sinia zuckte mit den Achseln. "Dass du dich nur nicht übernimmst!"<br />

"He, wieder Freunde! Ja?", bat er freundlich und zog sie zu sich. "Ich wollte dich eigentlich heute<br />

abend fragen, ob du Lust hast ein paar Tage mit mir zu verbringen. Aber nach dem Vorfall von vorhin,<br />

habe ich beschlossen, dich einfach mitzunehmen!"<br />

© S. Remida Remida<br />

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Sinia schmiegte sich an ihn. Diesmal bekam ihr schlechtes Gewissen nicht die geringste Chance. Ihr<br />

Gefühl sagte ihr, <strong>das</strong>s sie diesem Mann beruhigt vertrauen konnte. Und <strong>das</strong> war ein viel zu starkes<br />

wunderbares Gefühl!<br />

Die Fahrt führte durch die fruchtbare Landschaft, die sich flußaufwärts am Tigris entlang zog. Nach<br />

einigen Zwischenstopps erreichten sie endlich <strong>das</strong> am Ufer gelegene herrschaftliche Anwesen. Abgeschirmt<br />

von einer von undurchdringlichem Buschwerk überwucherten Mauer führte eine Allee<br />

durch ein kleines Palmenwäldchen zu einem mehrfach abgestuften zwei- bis dreigeschossigen Bau<br />

mit mehreren begehbaren Dachebenen. Die Zufahrt säumte ein gepflegter Rasen auf dem großzügig<br />

Blumen-, Busch- und Palminseln angelegt waren.<br />

Rashid geleitete Sinia ins Haus. Durch die lichtdurchflutete Vorhalle führte ein Diener Sinia in ihr<br />

Zimmer im ersten Stock. Das viele Glas und die vorherrschende Farbe Weiß, nur von sparsamen<br />

Pastelltönen akzentuiert, gab mit der ebenfalls hell gehaltenen sehr modernen Einrichtung dem ganzen<br />

Haus eine sommerliche Transparenz und heitere Leichtigkeit, die jeder Betrachter gleich als sehr<br />

angenehm empfinden mußte. Sinia sah aus dem großen Fenster auf einen großen, leicht s-förmig<br />

angelegten Swimmingpool. Eine teils von hohen Palmen beschattete Rasenfläche führte bis zum<br />

Ufer des Tigris, der einem silbrig glänzenden breiten Band glich. Bei dem flimmernden Glitzern der<br />

Wasseroberfläche war der Maschendrahtzaun, der <strong>das</strong> herrschaftliche Areal von dem Fluß trennte,<br />

kaum zu erkennen. Unter sich sah Sinia Rashid aus dem Haus heraustreten. Auch er schien den erhabenen<br />

und friedlichen Anblick zu genießen und doch glaubte Sinia, so wie er <strong>das</strong>tand, noch etwas<br />

an ihm zu erkennen. Er wirkte irgendwie einsam. Ob <strong>das</strong> möglich war?<br />

Die Sonne stand schon hoch, als Sinia am nächsten Morgen aufwachte. Es war am Abend zuvor,<br />

doch recht spät geworden. Sie hatten sich über Belanglosigkeiten unterhalten und manches zu lachen<br />

gehabt. Im nachhinein kam ihr <strong>das</strong> alles wie ein wunderschöner Traum vor.<br />

Unten auf der Terrasse traf sie Rashid, der im Morgenmantel auf einer Liege die warmen Sonnenstrahlen<br />

genoß. Er begrüßte sie fröhlich und schlug ihr vor, auch eine Runde zu schwimmen, was er<br />

schon hinter sich habe. Doch Sinia zog dem lieber <strong>das</strong> Frühstück vor. Dann bot er an, ihr die Gegend<br />

zu zeigen und wenig später saßen sie, unauffällig wie die Einheimischen gekleidet, mit dem Chauffeur<br />

als Kutscher auf einen Eselkarren und hatten ihren Spaß, sich über staubige Straßen und holprige<br />

Wege schaukeln zu lassen. Unerkannt besuchten sie einen Basar und erholten sich in einer kleinen<br />

Teestube. Viel zu schnell verflogen die Stunden und müde kehrten sie am Abend zurück.<br />

Längst war es Nacht geworden. Schweigend saß Sinia neben Rashid am Ufer des Flusses, in dem<br />

sich wellig <strong>das</strong> Spiegelbild des Mondes abzeichnete. Wie kleine Diamanten funkelten die unzähligen<br />

Sterne, die den Nachthimmel übersäten.<br />

"Es gibt Momente, da müßte man die Zeit anhalten können!", überlegte Sinia.<br />

"Manchmal würde schon reichen, nur sein Leben zu ändern!", bemerkte Rashid und fügte mit einem<br />

Blick zu ihr hinzu, "Du bräuchtest nur bei mir zu bleiben!"<br />

Sinia hatte so was geahnt und mahnte sich, vernünftig zu bleiben. "Ist <strong>das</strong> nicht ein ziemlich leichtsinniges<br />

Angebot. Was weißt du denn schon von mir?"<br />

"Sicher noch nicht alles, aber genug, um zu wissen, <strong>das</strong>s ich dich gern bei mir hätte!" Seine Stimme<br />

klang so ehrlich, <strong>das</strong>s Sinia ein schlechtes Gewissen bekam. Sollte sie ihm jetzt nicht von ihrer Familie<br />

erzählen, und was war mit seiner Frau und seinem hitzköpfigen Sohn Karim? Vorsichtig fragte sie:<br />

"Was weißt du denn außer meinem Namen noch so alles?"<br />

"Da muß ich mal überlegen. Ja, wie alt du bist und wie groß, <strong>das</strong>s du mit Vorliebe gefälschte Papiere<br />

benutzt und Gefangene befreist, indem du Unbeteiligte erpreßt...", führte er die Auflistung nicht ernstgemeint<br />

weiter.<br />

Sinia unterbrach ihn. "Ich bin beeindruckt! - Mit wie wenig du dich doch zufrieden gibst!", foppte sie.<br />

Rashid wollte nach ihr greifen, doch sie war schon hochgesprungen und wartete auf seine Reaktion.<br />

© S. Remida Remida<br />

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"Ich bin ja noch nicht fertig! Ich weiß auch, <strong>das</strong>s du Deutsche bist..." Dabei sprang er mit einem riesigen<br />

Satz auf Sinia zu. Doch flink entwischte sie ihm erneut und rannte durch die Gittertür im Drahtzaun.<br />

Rashid folgte ihr, verschloß die Tür und lief hinter ihr her. "... und Angst vor mir hast!"<br />

Sinia blieb stehen. "Dir entgeht wirklich nichts!", machte sie sich lustig.<br />

"Richtig!" Rashid stand nun vor ihr und hielt ihren Arm fest. Er atmete ein paar Mal durch. Er war<br />

doch etwas außer Puste geraten. "Ich weiß sogar, <strong>das</strong>s du mich magst!" Seine dunklen Augen musterten<br />

sie zärtlich.<br />

"Kann sein!" Sie spürte, wie sie weiche Knie bekam. Mit einem Ruck befreite sie sich aus seinem<br />

Griff und rief: "Kann auch nicht sein!" Dann lief sie weiter zum Haus.<br />

Am Swimmingpool hatte Rashid sie wieder eingeholt. "Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob du<br />

schwimmen kannst!" Er schnappte sie und trug sie zum Pool. Ehe Sinia sich wehren konnte, klatschte<br />

sie in <strong>das</strong> warme Wasser und tauchte unter. "Bist du gemein!", schrie sie. "Ich hätte ertrinken können!"<br />

"Ich hätte vorher <strong>das</strong> Wasser abgelassen!", rief er ausgelassen. "Komm, ich helf dir raus!" Rashid<br />

streckte ihr seine Hand entgegen und zog sie aus dem nassen Element. Im gleichen Moment gab sie<br />

ihm einen Schubs, <strong>das</strong>s nun er im Wasser landete. Aber er ging unter wie ein Stein und kam nicht<br />

mehr hoch. Sinia erschrak. Sie mußte ihm helfen und hechtete hinterher, ohne zu wissen, wie sie den<br />

untergegangenen Körper hochholen und retten sollte. Doch Rashid hatte sie nur reingelegt und<br />

tauchte mit ihr wieder auf.<br />

"Spinnst du? Ich hatte schon Angst gehabt!", machte sich Sinia sofort Luft.<br />

"Um mich!", wollte Rashid wissen.<br />

"Quatsch! Vor deinen Leuten. Die würden doch denken, ich hätte dich umgebracht!"<br />

"Ohhh, und ich war dir ganz egal?", tat Rashid enttäuscht und sank angesichts Sinias Gleichgültigkeit<br />

vor ihren Augen erneut in die Tiefe. Sinia griff schnell nach ihm und zog ihn wieder hoch. "Nein, bist<br />

du nicht!", sagte sie zärtlich und schelmisch fügte sie hinzu: "Jedenfalls so lange ich noch in eurem<br />

Land bin!" Schnell schwamm sie zu der breiten Pooltreppe. Fast gleichzeitig stiegen sie aus dem<br />

Wasser. Draußen zog Rashid Sinia zu sich herum. Für Sekunden trafen sich ihre Blicke und verrieten,<br />

was sie für einander empfanden. Plötzlich schlang Sinia ihre Arme um seinen Hals und preßte<br />

sich eng an ihn und genauso schnell ließ sie ihn wieder los. "Ich... ich sollte mir <strong>das</strong> nasse Zeug ausziehen!",<br />

stotterte sie und verschwand ins Haus.<br />

"Du kommst aber wieder! Sonst hol ich dich!", rief Rashid hinterher.<br />

Sinia ließ den heißen Wasserstrahl der Dusche auf ihre Haut prasseln und überlegte, was sie tun<br />

solle. Doch es hatte keinen Sinn! Sie mußte Rashid endlich alles erzählen. Von ihrem Mann, ihren<br />

Kindern, der Entführung und weshalb sie ausgerechnet zu ihm gekommen war. Und sie mußte sich<br />

beeilen, solange sie zu diesen Erklärungen noch so fest entschlossen war. Ohne lange zu überlegen,<br />

griff sie nach einem seidenen Morgenmantel. Dass er ihr etwas zu lang war, störte sie nicht, auch<br />

nicht ihre noch feuchten Haare. Sie wollte gerade zur Tür, da klopfte es. Draußen stand Rashid. "Du<br />

hast mich doch nicht vergessen?", fragte er, lässig gegen den Türrahmen gelehnt. Auch er hatte sich<br />

inzwischen ein trockenes Hemd und eine andere Hose angezogen. Sinia hob entschuldigend ihre<br />

Hände. "Ich wollte gerade gehen! Aber bei uns Frauen dauert es immer länger!"<br />

Lächelnd ließ Rashid seinen Blick an ihr hinabgleiten. "Ich verstehe!", witzelte er.<br />

Sinia wurde ernst und während sie ins Zimmer zurückging, sagte sie: "Ich habe über uns nachgedacht!"<br />

Sie drehte sich zu ihm um. "Ich muß mit dir reden!"<br />

"Das klingt nach Geständnis!", Rashid schloß hinter sich die Tür.<br />

Sinia nickte. "Dass ich nach Hause muß, hat nichts mit dir zu tun. Ich... es ist..." Sie überlegte, wie sie<br />

anfangen sollte.<br />

Rashid nahm sie in den Arm. "Du brauchst mir nichts zu erklären. Was könnte es auch zwischen uns<br />

ändern!"<br />

"Und deine Frau und Karim?", fragte sie stirnrunzelnd.<br />

© S. Remida Remida<br />

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Er schüttelte den Kopf. "Selbst <strong>das</strong>s du Mann und drei Kinder hast, kann meine Gefühle für dich nicht<br />

ändern! Das <strong>Schicksal</strong> wird einen Weg für uns finden, selbst wenn wir uns noch so sehr dagegen<br />

wehren!"<br />

"Du weißt sogar von meiner Familie?"<br />

Doch statt einer Antwort berührten seine Lippen die ihren. Sinia tat einen letzten Versuch ihrer mahnenden<br />

Vernunft gehorchend und wich einen Schritt zurück. Dabei verfing sie sich in dem zu langen<br />

Mantelsaum, knickte um und wäre gestürzt, hätte Rashid sie nicht geistesgegenwärtig an sich gerissen.<br />

"Au, mein Knöchel!", jammerte Sinia schnell und zog den Fuß hoch. Rashid trug sie behutsam zum<br />

Bett, ließ sie darauf ab und besah sich besorgt ihren Fußknöchel. "Der hier, ja? Tut <strong>das</strong> weh?", erkundigte<br />

er sich während er den Fuß sachte am Gelenk hin- und herbewegte.<br />

Sinia verzog ihr Gesicht. " Au, ah!", stöhnte sie. "So was blödes! Wie ungeschickt von mir!"<br />

Rashid sah sie mitleidig an. "Ich hol dir erst mal einen kalten Umschlag. Und über Nacht bekommst<br />

du einen Verband darum. Du wirst sehen, morgen ist alles wieder gut." Er ging ins Badezimmer und<br />

kam mit einem ausgewrungenen kalten und einem trockenen Handtuch zurück. Schlang erst <strong>das</strong> eine<br />

dann <strong>das</strong> andere geschickt um ihr Fußgelenk und betrachtete sie mit gespielter Zufriedenheit. "Jetzt<br />

kannst du wenigstens nicht mehr weglaufen. Ich hole eine Salbe und einen Verband. Du wartest hier<br />

doch?"<br />

Sinia nickte brav.<br />

Noch mehrmals wiederholte Rashid die Prozedur mit den Handtüchern, bis er zuletzt den Verband<br />

umlegte. Und obwohl sie sich die ganze Zeit angeregt unterhielten, vergaß Sinia nicht, immer wieder<br />

mit einem Seufzer oder Stöhnen ihren Schmerzen Ausdruck zu verleihen und jedesmal schien Rashid<br />

mitzuleiden. Mit ihrer Versicherung, <strong>das</strong>s er wirklich nichts mehr für sie tun könne, verabschiedete<br />

sich Rashid schließlich mit einem "Guten Nacht und gute Besserung!", und einem freundschaftlichen<br />

Kuß auf ihre Stirn. Sinia blieb indes mit einem schlechten Gewissen zurück.<br />

Kurz vor drei wachte Sinia auf. Vorsichtig stand sie auf und zog sich an. Es war absolut still. Sie<br />

nahm ein Blatt Papier. Doch welche Worte konnten schon erklären, <strong>das</strong>s sie tun mußte, was sie tat!<br />

So schrieb sie nur 'verzeih' und legte ihre Kette mit dem Medaillon darauf. Eine Träne tropfte auf <strong>das</strong><br />

Blatt, noch ehe sie sie mit dem Handrücken von der Wange wischen konnte.<br />

Selbst über ihre Gemütsverfassung erschrocken beeilte sie sich, <strong>das</strong> Zimmer zu verlassen. Barfuß<br />

huschte sie mit den Schuhen in der Hand die Treppe hinab, schnappte sich den ordentlich in ein<br />

Schränkchen gehängten Autoschlüssel und schlich hinaus in die mondhelle Nacht zum Rolls Royce,<br />

der vor dem Eingang abgestellt worden war und nun geradewegs auf sie zu warten schien.<br />

Sie löste Bremse und Kupplung und fast geräuschlos begann der Wagen die leicht abschüssige Einfahrt<br />

hinabzurollen. Nach einigen Metern setzte sie den leisen Motor in Gang und steuerte auf <strong>das</strong><br />

geschlossene Tor der Ausfahrt zu. Mit einem Knopfdruck, ließ es sich vom Auto aus öffnen. Sie gab<br />

Gas. Hinter ihr schloß sich die mächtige Flügeltür wieder. Bald hatte sie die Straße erreicht, auf der<br />

sie einst versteckt in einem Lastwagen in entgegengesetzte Richtung gefahren war. Mit Höchstgeschwindigkeit<br />

rauschte die Limousine gen Westen. Die leere Straße verschwamm vor ihren Augen<br />

und Tränen liefen unaufhaltsam ihre Wangen hinab. Nichts konnte ihre Traurigkeit aufhalten. Sie griff<br />

nach dem Telefonhörer und holte tief Luft, dann wählte sie Abdul El Basans Geheimnummer, die sie<br />

in letzter Zeit immer seltenen angewählt hatte, um ein kurzes 'Alpha' durchzugeben. Es knickte in der<br />

Leitung und El Basan meldete sich höchstpersönlich.<br />

"Ich bin auf dem Weg zum alten Treffpunkt. Kannst du kommen? Bitte!", sagte sie und erschrak<br />

selbst über den traurigen Klang in ihrer Stimme.<br />

"Ich bin da!" Es hörte sich besorgt an.<br />

Sie legte den Hörer wieder auf und wischte über ihre Augen, doch die Straße blieb verschwommen.<br />

Das Telefon blinkte auf und wiederholt erklang eine kurze Tonfolge. Sinia wollte den Hörer abnehmen,<br />

doch zögerte dann. Das konnte nur Rashid sein. In ihre Traurigkeit mischte sich Panik. Nein,<br />

sie durfte sich durch nichts und niemanden aufhalten lassen. Ihr Verstand war hellwach und befahl ihr<br />

© S. Remida Remida<br />

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mit Vollgas Richtung Syrien zu fahren. Nur wenige Fahrzeuge waren unterwegs. Die ganze Zeit behielt<br />

sie den Nachthimmel im Auge, aber von keiner Seite näherte sich ein Flugzeug oder<br />

Verfolgerfahrzeug. Auch <strong>das</strong> Telefon blieb stumm.<br />

Vor ihr tauchte die Grenze auf. Sie wirkte verschlafen, nichts Ungewöhnliches war zu erkennen. Aber<br />

darauf wollte sich Sinia nicht verlassen. Sie drosselte die Geschwindigkeit auf Schritttempo. Wenige<br />

Meter vor dem Schlagbaum gab sie Lichthupe. Die bewaffneten Grenzpolizisten schienen den Wagen<br />

zu erkennen, öffneten zuvorkommend die Schranke und nahmen ganz offenbar eine ehrfürchtige<br />

Haltung ein. Wußte die etwa doch noch nichts? Sie gab Gas und raste mit kreischenden Reifen durch<br />

die Zollstation, um mit einer Vollbremsung die Limousine am syrischen Genzposten anzuhalten. Abdul<br />

El Basan kam mit ein paar Uniformierten zu ihr gerannt. Sinia stieg aus. Die überrumpelten irakischen<br />

Grenzer hielten zwar sofort ihre Waffen im Anschlag, aber wussten wohl, <strong>das</strong>s sie nicht mehr<br />

schießen konnten. Im Schutz seiner Begleiter brachte El Basan Sinia eiligst auf die syrische Seite.<br />

"Allah sei gepriesen, du bist es wirklich!", rief er und ungläubig strich er immer wieder über ihren Arm.<br />

"Du hast recht, es wurde auch höchste Zeit!" Sinia lächelte ihn unsicher an. Abdul nickte nur ernst.<br />

"Sie sollen bitte den Wagen zurückbringen, ja?", bat sie.<br />

"Ist <strong>das</strong> jetzt deine einzige Sorge?", erkundigte sich Abdul verwundert. "Das machen die schon, keine<br />

Angst! - Aber wie geht es dir?" Er musterte sie. "Etwas zu traurig, aber sonst siehst du zum Glück<br />

ganz gut aus! Wie steht es hiermit?" Er klopfte sich leicht gegen sein Herz.<br />

Sinia warf ihren Kopf zurück, als wolle sie etwas verscheuchen. "Okay, alles okay!"<br />

Abdul holte tief Luft. "Na, komm erst Mal. Der Hubschrauber wartet schon."<br />

Knatternd flog der Helikopter mit dem aufziehenden Morgen gegen Westen.<br />

Nach einer Weile sagte Abdul: "Niemand konnte voraussehen, <strong>das</strong>s es sich so entwickeln würde! –<br />

Tut mir leid!“<br />

Sinia sah ihn fragend an.<br />

„Du solltest ihn ganz schnell vergessen!"<br />

Sie starrte ihn entgeistert an. "Von was sprichst du? Es ist nichts passiert!"<br />

„Ich fürchte, es ist mehr passiert als du glaubst!“, antwortete er.<br />

© S. Remida Remida<br />

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© S. Remida Remida<br />

Kapitel IV<br />

Längst warfen die Häuser lange Schatten auf die ruhige Wohnstraße, in die <strong>das</strong> Taxi einbog, und<br />

zeichneten <strong>das</strong> vertraute dunkle Zackenmuster eines schönen Hochsommerabends auf den grauen<br />

Asphalt. Sinia atmete auf. Endlich war sie Zuhause. Schnell bezahlte sie, stieg aus und eilte durch<br />

den Vorgarten zur Haustür und drückte auf die Klingel. Erwartungsvoll sah sie auf die Tür, blickte<br />

kurz in den Vorgarten zurück, ohne recht wahrzunehmen, <strong>das</strong>s er mit den verdorrten Resten abgeblühter<br />

Blumen zwischen grün sprießendem Unkraut und Büschen etwas verwildert wirkte. Dann<br />

hörte sie von drinnen wohlbekannte Stimmen.<br />

Die Tür ging auf und vor ihr stand Chris. Er starrte sie ungläubig überrascht an. Hinter ihm<br />

quengelten sich die Kinder vor.<br />

„Mama!“ „Mama ist wieder da!“, riefen die Mädchen begeistert und sprangen ihrer Mutter in die Arme.<br />

„Ich auch, ich auch!“ schrie Klein-Andy und drängte sich zwischen seine Schwestern. Sinia war in<br />

die Hocke gegangen und drückte alle drei fest an sich. Dann nahm sie Andy auf den Arm, die Mädchen<br />

klammerten sich an die freie Hand und mit einem angedeuteten Kuß, einer flüchtigen Umarmung<br />

und einem „Guten Abend, Schatz!“ ging sie an Chris vorbei ins Haus. Sie meinte zu spüren,<br />

<strong>das</strong>s ihm jetzt nicht nach einer innigeren Begrüßung zu Mute war. „Ach ist <strong>das</strong> schön, wieder daheim<br />

zu sein!“ stellte sie froh fest.<br />

„Ja, guten Abend, Sinia. Das ist eine Überraschung!“, erklang seine Stimme unbeholfen hinter ihr.<br />

Doch gleich drängten sich die Kinder wieder in den Vordergrund. Sie überschütteten ihre Mutter mit<br />

tausend Neuigkeiten, Fragen und Kleinigkeiten, bis sie spät nachts erschöpft an ihrer Seite auf der<br />

Couch einschliefen. Zwischendurch hatte Sinia Chris geholfen, <strong>das</strong> Abendbrot zu richten, doch ein<br />

Gespräch war nicht möglich gewesen und nun waren beide auch zu müde dazu. Gemeinsam brach-<br />

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ten sie die Kinder zu Bett, die im Halbschlaf launisch darauf bestanden, alle bei ihren Eltern zu schlafen.<br />

Nachdem ein sonniger Morgen mit all zu frühem Kindergeplapper Sinia und Chris geweckt hatten,<br />

pendelte sich bereits nach dem Frühstück <strong>das</strong> altgewohnte Leben ein. Sinia machte den Haushalt der<br />

dringend einer hausarbeiterfahrenen Hand bedurfte, die Kinder spielten und tobten wieder durchs<br />

Haus und Chris hatte sich nach ausgiebigem Zeitungsstudium in seinen Hobbyraum im Keller zurückgezogen.<br />

Ob er beleidigt schien?<br />

Erst nach einem gemeinsamen Einkauf am Nachmittag mit anschließendem Spaziergang durch den<br />

angrenzenden Park zu einem Spielplatz hatten die beiden Zeit, miteinander zu reden. So erfuhr Sinia,<br />

<strong>das</strong>s Chris nicht mehr mit ihrer Rückkehr gerechnet hatte, es gab da so Gerüchte und Gerber hatte<br />

ihm mit Bedauern erklärt, <strong>das</strong>s sie seines Wissens inzwischen einen Mann, offenbar einen Ausländer,<br />

kennengelernt habe und mit ihm ganz plötzlich fortgegangen sei. Die Erzählungen seiner Kinder<br />

schienen dies auch eher zu bestätigen, als die unglaubliche Geschichte seiner Schwester Marion und<br />

deren Mann von der verrückten Idee ihn retten zu wollen, von der niemand sonst, ja, nicht einmal die<br />

Firma etwas gewußt zu haben schien. Sinia merkte wohl, <strong>das</strong>s alles gegen sie sprach, dennoch blieb<br />

sie bei einer knappen Schilderung, wie diese Idee entstanden war, sie sie angegangen und schließlich<br />

verwirklicht hatte, wobei sie nicht nur die meisten Namen aus unbestimmter Vorsicht, sondern<br />

auch die lebensgefährlichen Situationen, in die sie geraten war, wie auch <strong>das</strong> alsbald sich seltsam<br />

gewandelte Verhältnis zu Safar wegließ und statt dessen ihr unplanmäßig langes Fortbleiben mit einer<br />

plötzlichen Erkrankung rechtfertigte, von der sie sich im Kreise einer gastfreundlichen Familie erst<br />

erholen musste, was ja auch ungefähr der Wahrheit entsprach. Entschuldigend erklärte sie, <strong>das</strong>s es<br />

ihr trotz einiger Versuche leider nicht möglich gewesen wäre, sich daheim zu melden. Schließlich<br />

fügte sie noch hinzu, sich nun schnellstens bei einigen Leuten zurückmelden zu müssen, was er bitte<br />

verstehen möge.<br />

Chris war viel zu beschäftigt, <strong>das</strong> alles zu begreifen, als <strong>das</strong>s er noch groß Fragen stellen konnte.<br />

Zudem hatte es in seinem Innersten einen Kampf entfacht, welcher Darstellung er eher glauben sollte,<br />

Sinias unglaublicher Schilderung oder Gerbers nüchterner Erklärung! Sinia spürte sehr wohl die<br />

Wand aus Zweifel und Misstrauen zwischen ihnen, aber sie wusste auch, <strong>das</strong>s sie ihm dabei nicht<br />

helfen konnte. Die ganze Sache war auch für sie inzwischen viel zu kompliziert geworden! Wieder<br />

erschien vor ihr Rashid und lächelte sie an. Wenn er sich nur aus ihren Gedanken verbannen ließ!<br />

© S. Remida Remida<br />

************<br />

Ali, Sinias Arabischlehrer und verläßlicher Freund in ihrer schweren Zeit, wohnte nicht mehr in dem<br />

altersschwachen Mietshaus. Und keiner wußte, wo er zu finden war. Sinia suchte den Teppichhändler<br />

auf. Während dieser so tat, als berate er sie über einen Teppich, steckte er ihr heimlich Alis neue<br />

Adresse zu und mahnte sie, die Augen offenzuhalten, man könne sie beschatten. Der irakische Informant,<br />

den sie damals mit Herrn Carli in der Schweiz aufgesucht hatten, sei schon bei einem mysteriösen<br />

Verkehrsunfall in den Schweizer Alpen ums Leben gekommen, fügte er mit vielsagendem<br />

Blick hinzu, als er sie verabschiedete. Sinia war wie vor den Kopf gestoßen. Wollte er andeuten, <strong>das</strong>s<br />

jemand dem Unfall nachgeholfen hatte?<br />

Mit größter Umsicht suchte Sinia Alis Wohnung in der Nähe von Mannheim auf. Überglücklich umarmte<br />

er sie und drückte sie an sich, schob sie eine Armeslänge von sich weg, um sie von oben bis<br />

unten zu betrachten und zog sie wieder an seine Brust. „Du bist es wirklich! Du bist wieder zurück,<br />

oh, Allah sei Dank! Er hat meine Gebete erhört!“ Seine ehrliche Freude tat Sinia gut. Neugierig wollte<br />

er wissen, was sie erlebt hatte.<br />

Wenn sie auch ausführlich über ihre ersten Begegnungen mit Safar und ihre Fluchtversuche berichtete,<br />

erzählte sie nur oberflächlich von der Zeit, als sie in Safars Haus wohnte. Zu unwahrscheinlich<br />

kam ihr jetzt der Gedanke vor, <strong>das</strong> dieser Mann sich ernsthaft für sie interessiert habe könnte. Wie<br />

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genau sie ihn sich noch vorstellen konnte!<br />

„... und jetzt sitze ich wieder wie damals in diesem Sessel!“, endete sie und klopfte auf die Lehne. Ali<br />

betrachtete sie nachdenklich. „Da wäre nur noch Safar!“<br />

Sinia starrte ihn irritiert an. Sie fühlte sich ertappt. Ahnte er etwas? Ali stand auf und kam mit zwei<br />

Gläsern Mineralwasser zurück. Er lächelte sie nachsichtig an. „Heute weiß ich, wärst du nicht sein<br />

Typ gewesen, ich fürchte, ich hätte dich nie mehr gesehen!“ Seine Miene wurde ernst, ja verzweifelt,<br />

als er fortfuhr: „Der ganze Wahnsinn dieser Idee ist mir viel zu spät bewußt geworden. Ich hätte dich<br />

davon abhalten müssen! Das kann ich mir nicht verzeihen! Es tut mir alles so leid, so leid!“ Er steigerte<br />

sich in Schuldgefühle, die Sinia nicht nachvollziehen konnte.<br />

„Was denn? Hör auf, was soll <strong>das</strong> überhaupt? Es hat doch geklappt und ich bin zurück, mehr wollte<br />

ich nicht!“<br />

„Aber um welchen Preis!“ Er machte eine Pause, als überlege er, wo er beginnen solle. „Wußtest du<br />

eigentlich, <strong>das</strong>s dieser irre Exiliraker, Hasan hieß er übrigens, dich nur benutzt hat und entgegen unserer<br />

Abmachung in einigen dieser Firmen tatsächlich Sabotageaktionen durchführen ließ? Und damit<br />

begann, als die Geiseln gerade freigelassen wurden? Dabei waren Bombendrohungen noch <strong>das</strong><br />

harmloseste. Ein paar hat er sogar hochgehen lassen mit beträchtlichen Schäden. Und niemand<br />

konnte ihn aufhalten! Ich, wir hatten furchtbare Angst um dich. Dieser Safar spielte mit dir ein<br />

schmutziges Spiel und es sollte mich wundern, wenn <strong>das</strong> jetzt alles war!“<br />

Sinia registrierte unterschwellig, <strong>das</strong>s Ali offenbar überhaupt nichts von Rashid Safar zu halten<br />

schien, aber im Augenblick beschäftigte sie mehr noch dieser Verräter.<br />

„Moment, dieser Alte hat sich nicht an unsere Abmachung gehalten? Willst du sagen, <strong>das</strong>s ihm nicht<br />

viel an der Rettung lag?“ Sinia erinnerte sich, <strong>das</strong>s Rashid mal etwas angedeutet hatte.<br />

„Nichts, um genau zu sein! Er schien sich sogar einzubilden, Safar würde dich dafür verantwortlich<br />

machen!“<br />

„Dann war meine Idee nur ein Vorwand für ihn?“, versuchte Sinia sich vorzustellen. „Und jetzt ist er<br />

tot!“<br />

„Er hat seine gerechte Strafe bekommen, wie auch immer!“<br />

„Du meinst also auch, es könnte nachgeholfen worden sein?“<br />

„Davon kannst du fast ausgehen, auch wenn die Todesursache Herzinfarkt am Steuer lautete. Er ist<br />

mit seinem Wagen eine Schlucht hinabgestürzt! Da blieb natürlich nicht allzuviel zum Autopsieren<br />

übrig.“<br />

„Eine Idee, wer es war?“<br />

„Kannst du dir nicht vorstellen, wer seine Häscher waren?“<br />

Sinia nickte, ob Rashid auch davon wusste? Sie empfand kein Mitleid für den Mann, der aus persönlichen<br />

Rachegelüsten ihre Vereinbarung boykottiert und sie und die Geiseln damit erneut in Lebensgefahr<br />

gebracht hatte, nachdem schon alles wunschgemäß beinah gelaufen war. Ali erzählte ihr<br />

auch, <strong>das</strong>s später zwielichtige Typen bei verschiedenen Leuten und Geschäften, sogar in dem<br />

Wohnheim und bei dem Teppichhändler aufgetaucht seien und sich nach ihr und dem fanatischen<br />

Exiliraker erkundigt hätten, weshalb er schleunigst in diese Wohnung abgetaucht sei. Deshalb schien<br />

er nun auch sehr besorgt um sie, da er annahm, <strong>das</strong>s Safar es mit ihrer Flucht nicht einfach bewenden<br />

lassen würde!<br />

Als Sinia ging, waren ihre Gefühle ziemlich zerrissen. Was sollte sie von alle dem nur halten? Sie<br />

hatte sich ihre Rückkehr weiß Gott angenehmer vorgestellt. Nur eines schien letztlich klar, ohne ihre<br />

Reise nach Bagdad wäre die Entführung wohl nicht so glimpflich abgelaufen und wer weiß, wen und<br />

wie vielen der fünf Männer es dann <strong>das</strong> Leben gekostet hätte?<br />

Auch wenn ihr nicht gerade danach zu Mute war, machte sie auf dem Rückweg noch einen Abstecher<br />

zum Büro der CTA, genauer, zu Geber, dem Personalchef. Wie würde er wohl auf ihr Erscheinen<br />

reagieren? - Erstaunt und verärgert, stellte Sinia schnell ernüchtert fest, auch wenn er mit schleimigem<br />

Charme dies zu überspielen suchte.<br />

Diesmal war sie gleich der anmeldenden Sekretärin gefolgt und von Gerber, der sich eilig hinter seinem<br />

Schreibtisch hervor gewuchtet hatte und auf sie zugekommen war, während er seine Hose und<br />

© S. Remida Remida<br />

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seinen Schlips zurechtrückte, mit Handschlag begrüßt worden.<br />

„Ich freue mich, Sie wiederzusehen! Wir haben uns schon Gedanken gemacht, weshalb Sie so plötzlich<br />

verschwunden sind. Ausgerechnet als unsere Bemühungen Erfolg hatten! Ihre Familie wird sicher<br />

sehr glücklich über Ihre Rückkehr sein!“<br />

Es war nicht der richtige Augenblick auf die unverschämten Unterstellungen, die er gegenüber Chris<br />

wegen ihres Verschwindens angedeutet hatte, einzugehen oder wenigstens anzuspielen. Außerdem<br />

wollte sie ihm auch keine Einzelheiten über ihre Abwesenheit erzählen! Wieviel er wohl tatsächlich<br />

wußte? So beschränkte sie sich darauf, auf seine Feststellungen einzugehen.<br />

„Aber sicher! Danke für Ihre Anteilnahme! Und alles, was sie getan haben - mit Unterstützung anderer<br />

natürlich!“<br />

„Andere? Gab’s ja leider nicht! - Es war sehr schwierig, wie sie wissen. Aber unsere Firma hat nie<br />

aufgegeben in ihrem Bemühen! Heute kann ich mit Stolz wohl sagen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> gute Ende vor allem<br />

unser Verdienst war, genau so wie ich es Ihnen immer versprochen hatte!“, lobte sich der Personalchef.<br />

„Wenn ich ihren Erfolg auch nicht schmälern will, gebührt doch wohl auch ein Teil des Dankes der<br />

irakischen Initiative. Bestehen schon irgendwelche Kontakte?“, fiel Sinia mit ihrem Wissen gleich ins<br />

Haus und fuhr freundlich, seinem Protest zuvorkommend, fort: „Und wenn man an den Grund der<br />

Entführung denkt! -- Tragisch, finden sie nicht?“ Wenig diplomatisch war sie auf den Punkt gekommen.<br />

„Ich verstehe nicht! Wie kommen Sie auf diesen Terrorstaat, was soll der damit zu tun haben? Und<br />

was war tragischer als die Entführung ihres Mannes?“, fragte Gerber ärgerlich ahnungslos.<br />

„Die Explosion und ihre verheerenden Folgen. Wie von verantwortlicher Seite damit umgegangen<br />

wurde und <strong>das</strong>s daraufhin ein paar Rachehungrige diese Entführungsidee ausheckten. Die ja fast für<br />

die Betroffenen in die Hose gegangen wäre, wenn ich es mal so formulieren darf! Sie können mir<br />

geistig noch folgen?“<br />

„Explosion? Rache? Wo? Wer? Wen wollen Sie beschuldigen? Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Aber<br />

bitte weiter!“, sagte er lauernd.<br />

„Nichts weiter! Nun wird wohl auch ein Dritter daraus Nutzen ziehen können! Ich dachte, Sie wüßten!<br />

Nicht? Naja, lassen wir <strong>das</strong>!“ Sinia machte nur Andeutungen, aber Gerbers Gesichtsausdruck meldete:<br />

‘Volltreffer!’<br />

„Woher nehmen sie sich eigentlich diese Unverfrorenheit, nach all dem, was wir für Sie und Ihre Familie<br />

getan haben? Was wissen Sie schon, <strong>das</strong>s sie sich solche Rotzfrechheiten erlauben! Ausgerechnet<br />

Sie! Sie sollten besser bei sich anfangen! Wer ist denn klammheimlich davon ....” Er brach<br />

ab und fuhr mit einem neuen Argument fort, “...und vergessen Sie nicht, <strong>das</strong>s Ihr Mann noch bei uns<br />

beschäftigt ist!“ Endeten seine Beleidigungen in einer Drohung. Er schien fast zu platzen.<br />

Sinia blieb entgegen seiner Erwartung cool. „Na, bitte beruhigen Sie sich doch! Selbst Ihre Beleidigungsversuche<br />

können an den Fakten, wie Sie genau wissen, nichts ändern. Aber wenn dies offiziell<br />

nicht bekannt sein soll, bitte, ich werde dem schon nicht im Wege stehen! Es ging ja alles zum Glück<br />

noch mal glimpflich aus, <strong>das</strong> allein ist wichtig! Ganz egal, wer wieviel für was dazu beigetragen hat!<br />

Finden Sie nicht auch?“<br />

„Sie unverschämte Person!“, entfuhr es ihrem Gegenüber und lauernd erkundigte er sich: „Was wollen<br />

Sie eigentlich?“<br />

Sinia zuckte unschlüssig mit den Achseln. „Das weiß ich jetzt auch nicht mehr! Ich dachte wohl, wir<br />

könnten uns normal unterhalten, statt dessen machen Sie mir angst! -- Nun, Sie wissen, <strong>das</strong>s ich<br />

wieder da bin ....“<br />

„Ja, und? Herkommen, um mich zu beleidigen und unsere sehr schwierigen aber erfolgreichen Bemühungen<br />

infrage stellen?“<br />

„Warum fassen sie alles so persönlich und nur negativ auf? Ich geh jetzt wohl besser, Sie wissen ja,<br />

wo Sie mich erreichen können, falls nötig!“ Es war nur eine nicht ernstgemeinte Floskel. Dabei war<br />

sie einige Schritte rückwärts Richtung Tür gegangen. Da kam ihr ein Gedanke zu ihrer eigenen Sicherheit<br />

und so blieb sie noch einmal stehen und sagte mit übertrieben versöhnlichen Ton: „Und zu<br />

Ihrer Beruhigung, <strong>das</strong> gesamte Informationsmaterial - aus erster Hand versteht sich - ist natürlich in<br />

© S. Remida Remida<br />

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Sicherheit. Ich habe es in Verwahrung gegeben!“<br />

„Was für Informationsmaterial?“<br />

„Schlecht wäre nur, wenn mir etwas zustoßen würde. Weil, es ginge dann automatisch an verschiedene<br />

Medien. Bisher haben die ja nicht mal die Befreiung gemeldet, richtig?“ Sinia wandte sich um<br />

zum Ausgang, während sie ein „Warum wohl?“ in den Raum stellte.<br />

„Weil keiner in der Aufregung an die gedacht hat!“, beeilte sich Gerber zu erklären und kam hinter ihr<br />

her. „Ich weiß wirklich nicht, auf was Sie anspielen! Ich möchte gerne sehen, was Sie haben! Wo<br />

sagten Sie, haben Sie es hinterlegt?“, erkundigte er sich in schlichtendem Ton.<br />

„Unwichtig! Lassen wir es wie es ist! Wen interessiert im Moment schon die elegante Dezimierung<br />

einer ungeliebten Bevölkerungsgruppe, wie was vertuscht werden sollte, oder <strong>das</strong>s ein amerikanischer<br />

Spion unter den Gekidnappten war, warum auch immer, an vor allem dessen Rettung hauptsächlich<br />

gedacht wurde - oder dieser Safar!“ Sinia stand an der Tür.<br />

„Das sagt mir alles nichts. Sie sprechen in Rätseln. Ich muß schon sehen, was Sie da zu haben glauben.<br />

Außerdem hört sich <strong>das</strong> alles sehr nach Erpressung an, obwohl ich nicht verstehe, was damit<br />

bezweckt werden soll! Die Befreiung kam unser Unternehmen weiß Gott teuer genug! Dulden Sie<br />

bitte keine Lügenmärchen über uns, denken Sie auch an ihren Mann und ihre Kinder! Und bedenken<br />

Sie außerdem, <strong>das</strong>s wir natürlich keinen Einfluß darauf haben, wenn Sie einen Unfall bauen.“<br />

„Hoffentlich!“ witzelte Sinia.<br />

„Oder glauben sie, <strong>das</strong>s wir ...?“, lachte er den unausgesprochenen Satz zu Ende.<br />

Sinia grinste zurück. „Wer weiß?“ Sie öffnete die Tür.<br />

„Sie machen sich lächerlich. Also, Sie geben mir <strong>das</strong> wertlose Zeug, ehe mit dem Geschmiere Unfug<br />

getrieben wird!“ Gerber wollte die Tür wieder schließen, doch Sinia zwängte sich schon durch die<br />

Öffnung.<br />

„Na, na, doch keine Angst vor Lügenmärchen, die lassen sich doch schnell widerlegen! - Ach übrigens,<br />

meinen Mann lassen wir hier lieber raus, damit alles bleibt wie es ist! Aber <strong>das</strong> wird ja auch im<br />

Interesse des Unternehmens sein!,“ stellte sie zuckersüß klar. „Auf Wiedersehen, Herr Gerber!“ Sie<br />

ging auf den Flur.<br />

„Warten Sie noch Frau Martin!“ Er bemühte sich versöhnlicher zu wirken. „Sie haben noch gar nicht<br />

gesagt, wo sie waren?“<br />

„Ach, <strong>das</strong> wissen Sie nicht?“, fragte sie schon im Gehen, ohne sich nochmals umzudrehen. „Dabei<br />

hatten Sie <strong>das</strong> doch so anschaulich meinem Mann erklärt, wie ich hörte!“<br />

„Wie? Was? Ich?“, hoffte Gerber sie zu einer Fortsetzung des Gespräches zwingen zu können, aber<br />

Sinia tat, als habe sie nichts gehört und verschwand durch eine Glastür ins Treppenhaus. Auf den<br />

Fahrstuhl wollte sie diesmal nicht warten!<br />

Sie fühlte sich schlecht und trotzdem erleichtert, als sie mit dem Auto viel zu schnell die Bundesstraße<br />

dahinraste, so als könne sie entfliehen, vor, sie wußte selbst nicht was! Das mit dem Bluff, Informationsmaterial<br />

deponiert zu haben, schien jedenfalls seine Wirkung nicht verfehlt zu haben. Es war<br />

wirklich eine gute Idee gewesen, vergegenwärtigte sie sich immer wieder die Szenerie beruhigend.<br />

© S. Remida Remida<br />

***<br />

Mit jedem neuen Tag verblaßten ihre Erinnerungen an die abenteuerlichen Wochen etwas mehr und<br />

damit ebenso ihre Befürchtungen in irgendeiner Weise mit dem Vergangenen nochmals in Berührung<br />

zu kommen, zumal sie auch von keiner Seite deswegen belästigt wurde. Und die Freundlichkeit, ja<br />

leise Bewunderung ihrer Nachbarn half ihr zusätzlich. Denn die wußten nur zu genau, <strong>das</strong>s Chris<br />

längst überfällig gewesen war und so bezweifelte keiner, <strong>das</strong>s sie ihm wirklich nachgereist und dabei<br />

offenbar selbst in Schwierigkeiten geraten war, wie erzählt wurde, und zeigten Verständnis, wenn sie<br />

darüber keine Einzelheiten verlieren mochte.<br />

Nur Rashid ließ sich nicht aus ihrer Erinnerung löschen!<br />

Schon vier Tage später wartete Chris mit der Neuigkeit einer ansehnlichen Gehaltserhöhung als<br />

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Dank für seine Einsatzbereitschaft auf, deren wahren Grund Sinia insgeheim aber eher in ihrem Gespräch<br />

mit Gerber vermutete. Die Kinder, der Haushalt und Garten ließen Sinia keine Zeit zum Grübeln<br />

und abends fiel sie todmüde ins Bett und war im Grunde froh, <strong>das</strong>s Chris immer noch eine gewisse<br />

Reserviertheit zeigte. Dafür hatte er sein Verhalten ihr gegenüber grundlegend geändert. Er<br />

war wohltuend höflich und zuvorkommend, half ihr neuerdings unaufgefordert und bemühte sich sogar,<br />

dies auch richtig zu machen, so <strong>das</strong>s Sinia manchmal schmunzelnd überlegte, ob er glaube, sich<br />

gegen einen unsichtbaren Konkurrenten beweisen zu müssen.<br />

*****<br />

Zehn Tage waren inzwischen vergangen. Bepackt mit einer Einkaufstasche und Andy schloß Sinia<br />

eilig die Tür auf, denn <strong>das</strong> Telefon schrillte mit nervender Ausdauer.<br />

„Ja, Martin!“ meldete sie sich hastig.<br />

„Hier Meier vom Innenministerium. Guten Tag, Frau Martin!“<br />

„Oh, Hallo! Das ist aber nett, <strong>das</strong>s Sie sich melden! Ich habe auch schon versucht, Sie anzurufen“,<br />

freute sich Sinia.<br />

„Ah? - Ja, weswegen ich mich melde. Ich möchte Sie sprechen. Geht es noch heute?“<br />

„Nach Bonn? Oh, mein Mann hat <strong>das</strong> Auto“, erklärte Sinia.<br />

„Nein, ich bin in Bad König. Ich würde sie gleich abholen lassen, ja?“<br />

„Na schön, aber ich muß meinen kleinen Sohn mitnehmen und bis zwölf Uhr wieder Zuhause sein,<br />

geht <strong>das</strong>?“<br />

„Muß wohl, also bis gleich!“<br />

Es war kurz vor neun. Sinia hatte auf einmal ein flaues Gefühl. Warum gab sich Volker Meier so kurz<br />

angebunden, grübelte sie, doch schon zerrte Andi an ihrer Jeans. „Ich weiß, neue Windeln! Hopp,<br />

Hopp ins Bad, junger Mann!“<br />

Zehn Minuten später klingelte es. Eine junge Frau mit kurzen brauen Haaren und Schlabberkleid hatte<br />

Auftrag, sie abzuholen. Sinia packte schnell Windeln und frische Anziehsachen für Andy in einen<br />

Korb und schon fuhren sie in einem unauffälligen Audi davon.<br />

Ein im Wald gelegenes Hotel diente als Treffpunkt. Volker Meier erwartete sie allein in einem Konferenzraum<br />

im Obergeschoß. Zuerst stellte Andy mit lautem Geheule klar, <strong>das</strong>s er nicht vorhatte mit<br />

der unbekannten Frau zu gehen, um dann mit begeisterter Zufriedenheit den fremden Raum neugierig<br />

zu erkunden. Eine Front von Unterschränkten lockten besonders.<br />

„Ich gratuliere Ihnen, auch <strong>das</strong>s Sie es wieder zurück geschafft haben!“, begann Volker Meier sachlich<br />

nach einer schlichten Begrüßung.<br />

Sinia nickte kühl. „Ich wollte mich immer bei Ihnen bedanken. Sie werden es nicht wissen, aber sie<br />

waren mir einer der wenigen treuen Freunde, denen ich ehrlich vertrauen konnte und die geglückte<br />

Rettung mit verdanke!“<br />

„Nein! Bitte!“, wiegelte er ab. „Es war nie meine Absicht, Sie zu diesem gefährlichen Alleingang zu<br />

bewegen. Sie haben keine Ahnung! -- Immerhin hätten Sie mir sagen müssen, was Sie da vorhatten.<br />

Gab ganz schönen Wirbel, als <strong>das</strong> Gerücht herumging, jemand habe trotz striktester Informationssperre<br />

ausgerechnet die Iraker eingeschaltet, und <strong>das</strong> entgegen einer quasi weltweiten Ächtung - Sie<br />

wissen, die UN-Sanktionen.“ Und mit durchdringendem Blick fügte er an: „Ein falsches Wort und Sie<br />

hätten mich und meine Informationsquellen ganz schön in Schwierigkeiten bringen können mit den<br />

Internas, die ich Ihnen anvertraut hatte! Ganz abgesehen von sich selbst, Frau Martin!“ Er schüttelte<br />

den Kopf.<br />

„Tut mir leid, <strong>das</strong>s Sie sich grundlos sorgten, dabei standen Geheimnisverrat und Vertrauensbruch<br />

nie zur Disposition. Schade <strong>das</strong>s Sie mich so schlecht kennen! Ihre Ehrlichkeit - nicht nur <strong>das</strong>s mein<br />

Mann noch lebte, sondern auch zu wissen, was getan oder nicht getan wurde - gab mir immer wieder<br />

Kraft und Mut weiterzumachen. Ohne Sie würde mein Mann möglicherweise nicht mehr leben, ist <strong>das</strong><br />

Ihnen eigentlich bewußt?“<br />

„Sie übertreiben!“, wiegelte er ab, obwohl er Sinia Recht geben mußte. „Nun, es ist passiert. Die Politik<br />

wird sich - wie immer - schon den leicht geänderten Spielregeln anpassen. Das soll nicht unser<br />

© S. Remida Remida<br />

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Problem sein. Und deshalb habe ich Sie auch nicht hierher gebeten. Wir, <strong>das</strong> heißt, Sie haben eventuell<br />

ein ganz anderes Problem und diesmal weiß ich nicht, wie ich Ihnen helfen könnte!“ Volker<br />

Meier stand am Fenster und sah nun hinaus. Ihm war elend zumute. Wie sollte er es ihr nur sagen?<br />

„Ja, und was ist es?“, fragte Sinia unsicher nach und beobachtete dabei ihren Sohn, wie er von wachsender<br />

Neugierde geplagt, zunehmend aggressiver an einer der geschlossenen Unterschranktürchen<br />

herumriß.<br />

„Es gibt Informationen, danach scheint Ihr Gastgeber, wenn ich nicht irre -“, er hielt inne und schüttelte<br />

den Kopf, „einen Killer hierher geschickt zu haben. Was glauben Sie, könnte sein Auftrag sein?<br />

Könnte er es auf sie abgesehen haben? Könnte dies möglich sein?“<br />

In diesem Augenblick gab <strong>das</strong> Türchen nach und Andy fiel verdutzt zurück auf seinen windelgepolsterten<br />

Po. Sinia hatte nur darauf gewartet. Laut lachte sie auf und ging zu dem Kleinen, um die<br />

Schranktür wieder zu schließen, ehe er sich des Inhaltes bemächtigen konnte.<br />

Volker sah sie verdutzt an. „Haben Sie nicht verstanden?“<br />

„Prima, jetzt versuch die nächste Tür!“, ermunterte Sinia Andy zum Weitermachen, während sie sich<br />

mit einem flinken Drehen am Schlüssel versicherte, <strong>das</strong>s die Tür allen Öffnungsversuchen widerstehen<br />

würde. So war der Kleine wenigstens beschäftigt. Sie stand auf und sah Volker Meier an und<br />

mußte wieder lachen. „Entschuldigung, aber.... - Ich habe Sie schon verstanden, aber denen fällt<br />

auch nichts mehr Neues ein.....“ Sinia versuchte ernst zu werden, aber bei seinem verwirrter Gesichtsausdruck<br />

gelang ihr es nicht. Doch wie sollte sie ihm erklären, <strong>das</strong>s sie in letzter Zeit schon viel<br />

zu oft an den Klippen des Todes gestanden hatte, als <strong>das</strong>s diese Neuigkeit sie nun hätte besonders<br />

erschüttern können.<br />

„Kann <strong>das</strong> nicht sein oder glauben Sie es nicht?“, wiederholte Volker unsicher.<br />

„Ach möglich ist alles! Langsam brauche ich wohl sieben Leben, wie eine Katze! Ich kümmere mich<br />

darum. Danke, <strong>das</strong>s sie es mir sagten!“ Sie holte tief Luft. „Aber auch hier muß es jemanden geben,<br />

der meine Rückkehr zu gerne verhindert hätte.“ Sie beobachtete ihn genau, während sie die Mitteilung<br />

von Interpol an Safar sinngemäß wiedergab. „Mit dieser falschen Identifizierung und der unglaublichen<br />

Behauptung wollte man mich auf immer loswerden.“<br />

Volkers Augen zuckten leicht. „Das ist doch nicht ---,“ er überlegte, „doch, <strong>das</strong> ist möglich!“, kam er<br />

kopfschüttelnd zum Schluß.<br />

„Wer?“ wollte Sinia wissen.<br />

Volker wehrte ab. „Nein, vergessen Sie’s! Ich weiß es nicht und ich werde auch meine Finger davon<br />

lassen! Aber wer auch dahintersteckt, Sie kämen an ihn doch nicht heran. — Nein, nein, Sie würden<br />

auf der Strecke bleiben. Sie haben keine Chance, Sie haben ja nicht einmal etwas in der Hand!“<br />

„Wer?“ bohrte sie nach.<br />

„Selbst wenn ich es wüßte, würde ich es Ihnen nicht sagen. Zu Ihrer Sicherheit! -- Vielleicht ist es<br />

Ihnen ein Trost, aber ich habe immer wieder festgestellt, in irgendeiner Form wird jeder für sein Tun<br />

zur Rechenschaft gezogen. Auch diese Menschen treffen irgendwann ihren Meister, wer oder was es<br />

auch immer sei. Glauben Sie mir, überlassen sie es ihm. — Tut mir leid, aber versuchen Sie zu verstehen,<br />

ja?“ Er betrachtete sie ernst. „Sie sind wieder hier, nur <strong>das</strong> ist wichtig. Es ist vorbei. Das ist<br />

vorbei!“, sinnierte er. „Bleibt nur noch <strong>das</strong> andere... Warum eigentlich? Das paßt doch nicht recht<br />

zusammen! Man hat Sie doch gehen lassen!“<br />

Sinia wusste <strong>das</strong> besser! Und sie hatte auch die Unberechenbarkeit ihrer Gastgeber kennen gelernt.<br />

Aber war Rashid so etwas zuzutrauen? Wie gut kannte sie ihn tatsächlich?<br />

Wohl hatte er sie anfangs in ein Verließ werfen lassen und ihr eine inszenierte Verhandlung zugemutet,<br />

aber nie mit der Absicht ihr ernstlich schaden zu wollen, wie er ihr glaubhaft versichert hatte. Und<br />

in der Tat hatte sie es auch nur als eine Demonstration seiner Macht verstanden. Schließlich hatte er<br />

ihr <strong>das</strong> Leben gerettet, sie in sein Haus aufgenommen und trotz ihres eisernen Schweigens, von Anfang<br />

an wie eine gute Freundin behandelt. Oft genug hatte sie ihn provoziert und er ungehalten reagiert,<br />

doch genauso rasch war sein Ärger verflogen und er hatte die Freiheiten, die sie sich herausnahm,<br />

geduldet. Und dann war da noch der Ausflug zu diesem paradiesischen Ort und zu seinem<br />

Haus auf dem Land gewesen. Sie waren einander so vertraut, dabei wusste er immer, <strong>das</strong>s sie nicht<br />

bleiben konnte....<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 86


Doch jetzt , so weit weg von ihm, wagte sie ihrem Gefühl nicht mehr zu vertrauen, objektiv blieb er<br />

ein undurchschaubarer Typ!<br />

„Ich weiß nicht, es könnte passen,“ stellte sie nachdenklich fest. „Aber woher haben Sie <strong>das</strong> eigentlich?“,<br />

erkundigte sie sich.<br />

Die Frage zauberte ein verschmitztes Lächeln auf Volkers Gesicht. „So was erfährt man über Nachrichten-<br />

oder Geheimdienste und wenn man, wie ich, Augen und Ohren offen hält. Da es nur ganz<br />

vage hieß, <strong>das</strong>s ein des Auftragsmordes Verdächtigter aus dem Irak eingeschleust wurde und sich im<br />

Heidelberger Raum aufhalten soll, habe ich sofort an Sie denken müssen. Ich wäre aber Gott froh,<br />

wenn ich mich irre! Es muss ja auch gar nichts bedeuten!“<br />

Sinia zuckte die Schultern. „Wir werden sehen!“<br />

„Sagen Sie mir, was ich für sie tun kann?“<br />

Sinia schüttelte langsam den Kopf. Sie wusste es ja selber nicht! Sie dachte an den verunglückten<br />

Exiliraker und an Alis Befürchtungen.<br />

„Vielleicht ließe sich ja vorab auf diplomatischem Weg...“, überlegte er.<br />

„Nein, vorerst nicht, solange wir nicht sicher sind!“, unterbrach sie ihn und dies wollte sie erst herausfinden!<br />

Zuhause wurde ihr richtig bewußt, was Volker Meiers Information eigentlich bedeutete. Womöglich<br />

war nicht nur sie, sondern auch ihre Familie in Gefahr! Sie mußte sich was einfallen lassen.....<br />

Am nächsten Morgen meldete sich Ali überraschend per Telefon, um sie eilig zu warnen, <strong>das</strong>s dieser<br />

Safar vor drei Tagen einen Killer hinter ihr her geschickt habe. Er habe es über den Teppichhändler<br />

von El Basan, dem dies zugetragen worden sei, erfahren. Dass Sinia bereits darüber informiert war,<br />

erstaunte ihn allerdings sehr. Er konnte sich nicht erklären, woher die denn so schnell ebenfalls davon<br />

wußten. Und auch Sinia erschien die Sache je länger sie darüber nachdachte unheimlich.<br />

********<br />

Schon zwei Tage später war Sinia sich sicher, Volker Meier und Ali hatten Recht! Inzwischen war ihr<br />

öfters ein grauer, neuer BMW aufgefallen, dessen Fahrer, ein hellhäutiger aber tief schwarzhaariger<br />

Mann, sie sehr an den Nahen Osten erinnerte. Es war Zeit, es herauszufinden!<br />

Sinia hatte ihre Kinder wegen ‘dringender Einkäufe’ zur ihrer Mutter gebracht. Nun fuhr sie Richtung<br />

Stadt. Bald tauchte hinter ihr der BMW auf. Sie bog auf die Autobahn und fuhr betont langsam. Für<br />

jeden BMW-Fahrer unzumutbar, blieb dieser Wagen in gehörigen Abstand hinter ihr. Sie gab Gas.<br />

Nein, ihr Verfolger ließ sich nicht abhängen. Er bog hinter ihr auf die Rastanlage und nachdem sie<br />

getankt hatte, wieder mit ihr auf die Autobahn. Sinia nahm die nächste Ausfahrt. Die Mannheimer<br />

Innenstadt mit ihren Ampeln und schwierigen Parkmöglichkeiten hielt sie für ihren Plan geeignet.<br />

Auf der Suche nach einem Parkplatz fuhr sie durch mehrere Straßen. Schließlich wurde sie in einer<br />

breiten Einkaufsstraße fündig und stellte ihr Auto in einer Parkbucht ab und stieg aus. Aus einer wenige<br />

Schritte entfernten Geschäftspassage beobachtete sie die Straße.<br />

Da! Langsam kam <strong>das</strong> Verfolgerauto angerollt und fuhr zügig vorbei. Wenig später kam es auf der<br />

anderen Straßenseite zurück und peilte eine gerade freiwerdende Parklücke an. So viel Glück hatte<br />

ich noch nie, stellte Sinia mißmutig fest.<br />

Von detektivischer Entdeckerlust getrieben, wollte sie jetzt gleich die Wahrheit herausfinden! Verdeckt<br />

von einem Pulk Fußgänger ging sie bis zur nächsten Kreuzung, um auf der anderen Seite genauso<br />

unauffällig zwischen den Passanten zurückzugehen. Der Fahrer des BMW bemerkte Sinia erst<br />

als sie die Beifahrertür öffnete.<br />

„Gehe ich recht in der Annahme, <strong>das</strong>s Sie auf mich warten?“, fragte sie, während sie sich demonstrativ<br />

auf den Sitz fallen ließ. Die Autotür hielt sie mit ausgestrecktem Bein weit offen. Der Mann starrte<br />

sie entgeistert an und sagte etwas <strong>das</strong> Sinia nicht verstand. Sie zog einen Mundwinkel hoch. „Dann<br />

wohl nicht! Sollten Sie aber noch einmal in meiner Nähe auftauchen, werde ich Sie von der Polizei<br />

überprüfen lassen, klar?“, sagte sie frech. Wenn sie sich geirrt hatte und er sie vorhin nicht verstan-<br />

© S. Remida Remida<br />

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den hatte, begriff er <strong>das</strong> genauso wenig.<br />

Sie war schon fast ausgestiegen, als der Fremde blitzschnell ihr Handgelenk ergriff und sie auf den<br />

Sitz zurückzog. Mit breitem Grinsen wiederholte er abfällig gedehnt <strong>das</strong> Wort ‘P-o-l-i-z-e-i’.<br />

Erschrocken über die schnelle Reaktion des Mannes und fürchterlich wütend über ihren Leichtsinn<br />

rief sie scharf: „Flossen weg! Halten Sie sich fest an was Sie wollen, aber nicht an mir!“ Gleichzeitig<br />

versuchte sie sich loszureißen, stets darauf bedacht, <strong>das</strong>s die schwere Autotür nicht zufiel.<br />

„Langsam, langsam! Was willst du von mir?“ fragte er schmierig mit leichtem Akzent, ohne sie loszulassen.<br />

„Nichts! Und Sie?“<br />

Er grinste diabolisch. „Aber du nimmst mir Arbeit ab!“ Mit einem Ruck zog er Sinia näher an sich. Vor<br />

Schreck trat Sinia gegen die Tür, <strong>das</strong>s diese durch den Schwung beinahe zugefallen wäre. Schnell<br />

streckte sie den Fuß aus und hielt sie so noch ein Stück offen. Mit der linken Hand hatte der Fremde<br />

bereits den Anlasser betätigt und schon setzte sich der Wagen in Bewegung. Sinia drehte den Zündschlüssel<br />

zurück, doch ehe sie ihn herausziehen konnte, hatte er ihre Hand umklammert.<br />

„Tzs, tzs, tzs,“ schnalzte er und sah sie überlegen an.<br />

Sinia riß sich zusammen. Ich muß ihn irgendwie aufhalten, dachte sie hastig. Sie zauberte ein verschmitztes<br />

Lächeln auf ihr Gesicht. „Schätze, da gibt es ein kleines Problem!“<br />

„So?“ grinste er zurück.<br />

„Wie wollen Sie so fahren?“ Dabei sah sie auf seine beiden Hände, mit denen er ihre festhielt. Als<br />

Antwort packte er mit seiner rechten Hand auch noch nach ihrem rechten Handgelenk und hielt nun<br />

ihre beiden Hände mit eisernem Griff fest.<br />

Immer noch lächelnd schüttelte Sinia langsam ihren Kopf.<br />

Seinen fragenden Blick beantwortete sie mit: „Die Tür!“<br />

„Mach einfach den Fuß rein!“ Dabei startete er erneut den Motor.<br />

Sie schüttelte wieder den Kopf. Der Mann grinste genervt.<br />

„Ich habe aber keine Fahrt mit Ihnen gebucht!“, säuselte Sinia. Fahrt? - Reise! Na klar, <strong>das</strong> war’s,<br />

schoss ihr eine Idee durch den Kopf. Sie mußte nur klappen! Hoffentlich!<br />

Der Mann drehte am Steuer und wartete auf eine Lücke, sich in den fließenden Verkehr einzuordnen.<br />

„Nur noch eine Kleinigkeit!“, versuchte Sinia den Fremden aufzuhalten.<br />

„Was denn noch?“ Er setzte zum Herausfahren an.<br />

„Wollen Sie mal wissen, wie laut ich schreien kann?“ Mit voller Kraft trat sie die Tür auf. Abrupt stoppte<br />

<strong>das</strong> Auto.<br />

„Jetzt ist aber Schluss!“, befahl er zornig.<br />

„Das meine ich auch!“, setzte sie im gleichen Ton hinzu. „Sie können ebenso h i e r mir sagen, was<br />

Sie wollen, oder auch -- mich abmurksen!“<br />

Mit breiten Grienen sagte er: „Ich habe es mir eigentlich etwas diskreter vorgestellt!“<br />

„Und ich denke, ich habe erst mal ein Recht darauf zu erfahren, wer Sie sind und wer Sie warum und<br />

mit welchem Auftrag auf mich angesetzt hat!“<br />

„Und ich denke, <strong>das</strong> zweite weißt du sehr genau!“<br />

„Da liegt <strong>das</strong> Problem! Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten!“, sagte sie schnippisch. „Sie können<br />

mich übrigens ruhig loslassen. Ich bleibe noch etwas. Schließlich bin ich neugierig!“, erklärte sie in<br />

versöhnlichem Ton.<br />

Wie ein Adler seine Beute visierte der Fremde sie an, während er im Zeitlupentempo seine Hand<br />

löste und dann den Motor ausmachte. Sinia registrierte diesen ersten kleinen Erfolg mit großer Erleichterung<br />

und sah eine Chance die gefährliche Situation entschärfen zu können, indem sie sich<br />

möglichst freundlich gab.<br />

„Ihre Auftraggeber, kommen die vielleicht aus dem Land von Euphrat undTigris?“<br />

Der Mann grinste. „Wenn du so willst?“<br />

„Sind die etwa sauer?“<br />

„Was glaubst du?“ Entspannt lehnte er sich gegen die Tür und betrachtete sie belustigt.<br />

„Und was denen bisher nicht gelungen ist, dafür schicken die jetzt Sie?“ Sie machte eine Pause und<br />

sah ihn spöttisch an - „einen Vollstrecker?“<br />

© S. Remida Remida<br />

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Er entgegnete ihren Blick mit einem schiefen Lächeln ohne etwas zu sagen.<br />

„Vorschlag! Geben Sie denen doch eine letzte Chance es noch mal selber zu probieren! Und wenn<br />

die wieder solche Probleme dabei haben, dann sollen sie’s einfach vergessen und mich für alle Zeit<br />

in Ruhe lassen - mich und meine Familie! Das müßten die doch blicken, oder?“<br />

„Ich muß schon sagen, du hast Humor!“, grinste er. „Und wie stellst du dir <strong>das</strong> vor?“<br />

„Ganz einfach, ich komme zurück! Ein letztes Mal! - Das heißt in ein Land deren Wahl, ausgenommen<br />

Irak! Aber <strong>das</strong> dürfte für die kein Problem sein! - - Der Spaß würde die nur <strong>das</strong> Flugticket kosten,<br />

zuzüglich einem Extra, Sie wissen schon, was man halt für so eine Reise braucht! Das müßte<br />

denen die Sache aber sicherlich Wert sein! Sie sind ja wahrscheinlich auch nicht gerade billig -- eh,<br />

ich meine preiswert! Mh?“<br />

Er musterte sie aufmerksam, aber Sinia hielt seinem Blick gelassen stand.<br />

„Was soll <strong>das</strong>? Ist <strong>das</strong> dein Ernst?“, erkundigte er sich ungläubig.<br />

„Mein Todernst, wenn Sie so wollen! Klären sie es ab? Schlagen Sie was vor, wie Sie mit mir wieder<br />

in Verbindung treten wollen!“, ging Sinia in die Offensive.<br />

„Na schön! Das kommt nicht ungelegen!“, lachte er leise vor sich hin. „Ich werde dich schon irgendwie<br />

treffen!“ Es klang wie ein Pfeil, aber Sinia ging nicht darauf ein. Ihr lag etwas anderes am Herzen.<br />

„Meine Familie lassen Sie aber da raus!“<br />

„Ist <strong>das</strong> eine Drohung?“<br />

„Noch nur eine Bitte!“<br />

Er grinste breit. „Man hat mir bis jetzt nur einen Namen gegeben - deinen!“<br />

„Tja, dann war’s <strong>das</strong> für’ s erste!“, kam Sinia zum Ende. „Ach, übrigens schöne Grüße an Rashid und<br />

es ist mir unbegreiflich, wie ein so intelligenter und vielbeschäftigter Mann seine Zeit nicht besser<br />

nutzen kann als sie damit zu vergeuden einer Fatamorgana nachzujagen!“ Sie stieg aus.<br />

„Vielleicht ist es ja keine! Und keine Tricks!“<br />

„Tricks?“ Sinia beugte sich, mit einem Arm auf die Tür gestützt , noch einmal in den Fahrgastraum<br />

hinab und verabschiedete sich, forsch geworden vor Erleichterung über die positive Wendung, mit<br />

einem eiskalten Lächeln. „Also dann! Möge Sie möglichst bald der Blitz treffen oder der Teufel holen!“<br />

Respektlos knallte sie die Autotür zu und ging ohne sich noch einmal umzudrehen davon. Ziellos<br />

eilte sie die Straße entlang. Ihre Gedanken wirbelten und am ganzen Körper spürte sie ihre Adern<br />

nervös pulsierten.<br />

Ihr war nicht nach einem Geschäftsbummel und so ging sie zu ihrem Auto zurück und fuhr zu einem<br />

außerhalb gelegenen Einkaufsmarkt. Dort setzte sie sich in <strong>das</strong> dazugehörige Restaurant. Die notwendigen<br />

Besorgungen wollte sie später machen. Bei einem Glas heißem Tee versuchte sie ihre<br />

Gedanken zu ordnen. Hatte dieser Typ sie wirklich umbringen wollen? Würde Rashid auf ihr Angebot<br />

eingehen? Was wird er vorhaben und was konnte sie machen?<br />

******<br />

Der nächste Nachmittag lockte mit heißem Sonnenschein. Weil die Kinder keine Ruhe gaben, beschloß<br />

Sinia mit ihnen zu einem nahen Baggersee zu fahren. Mit Nadin hinten und Andy vorn auf<br />

ihrem Fahrrad, gefolgt von Anja mit ihrem Kinderrad, radelten sie zum See, an dem schon Hochbetrieb<br />

herrschte. Die Kinder rannten begeistert im seichten Wasser hin und her und spielten hingebungsvoll<br />

mit anderen in einem morastigen Tümpel, während Sinia belanglos mit ein paar Müttern<br />

plauderte. Später radelten sie noch zu einem Spielplatz, den die Kinder ebenso ausgelassen erstürmten.<br />

Sinia atmete tief die nach Sommer duftende Luft ein und genoß <strong>das</strong> entspannte Gefühl, <strong>das</strong> ihr<br />

ein lautes „Herrlich!“ entlockte, während sie die beiden Fahrräder ordentlich abstellte und - erstarrte<br />

vor Schreck! Der graue BMW tauchte auf dem nur mit wenigen Fahrzeugen belegten Parkplatz auf<br />

und hielt neben ihr an. Sie erkannte den Fahrer sofort wieder, der ausstieg und geradewegs auf sie<br />

zukam. Wilde Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Würde er ein Messer oder eine Pistole ziehen?<br />

Wo waren die Kinder? Dabei war es für jede Reaktion viel zu spät! Er stand schon vor ihr.<br />

„Ich hab was für dich!“, sagte der Mann und griff in seine Jackettinnenseite. Sinia starrte gebannt auf<br />

seine Hand. Es erschien ein Couvert und sie atmete erleichtert durch.<br />

„In genau einer Woche auf syrischer Seite. Du kennst dich ja da aus!“ Damit reichte er ihr den Um-<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 89


schlag.<br />

Stimmt doch gar nicht, dachte sie, aber stieß nur ein „Schon?“ hervor. „Das geht nicht!“<br />

„Natürlich!“, widersprach er überlegen. „Du wolltest es doch so! Laß dir die Zeit bis dahin nicht zu<br />

lange werden!“, fügte er zynisch hinzu und ging zum Auto zurück. Verdattert sah Sinia ihm nach, wie<br />

er in einem großen Bogen wendete und wieder an ihr vorbeikam. Er hielt noch mal an. „Vergiß nicht,<br />

in einer Woche, sonst sehen wir uns wieder!“ Mit seinem Zeigefinger zeigte er auf sie als sei es ein<br />

Pistolenlauf, dann fuhr er davon. Hinter ihr kamen die Kinder angerannt. „Wer war <strong>das</strong>?“ „Was hast<br />

du da?“, fragten sie durcheinander. Abwesend antwortete sie: „Hat nur nach ‘ner Straße gefragt. -<br />

Das ist bloß Post!“ Dann drehte sie sich zu den dreien um. „Was tut ihr hier eigentlich? Wollt ihr<br />

schon heim?“ Wie erwartet rasten alle drei mit ohrenbetäubendem Geschrei wieder zurück zu den<br />

bunten Spielgeräten. Sinia ging ihnen nach und überlegte, ob er wohl ein richtiger Killer war, dann<br />

schaute sie in den Umschlag. Sie erblickte ein Flugticket, einen vergrößerten Ausschnitt einer Landkarte<br />

mit einem markierten Weg und acht Tausendmarkscheine. Sie erschrak. Nun gab es kein Zurück<br />

mehr! Und sie würde es Chris sagen müssen, aber wann und wieviel sollte sie verraten?<br />

******<br />

Schon früh hatte Sinia die Mädchen in den Kindergarten gebracht und betrat nun zum ersten Mal seit<br />

ihrer Rückkehr wieder die Kampfsportschule von Dan Thomson. Andy trug sie auf dem Arm. Der<br />

Aufenthaltsraum war leer.<br />

„Hallo, ist hier keiner?“, rief sie. Sie hörte Stimmengemurmel, <strong>das</strong> es nicht eilig zu haben schien, herzukommen.<br />

Immer noch der gleiche Scheißladen, dachte Sinia verärgert. Endlich tauchte Dan höchstpersönlich<br />

auf. „Das gibt’s doch nicht! Sie ist es tatsächlich, unsere Kampfmaus! Du willst jetzt in den Kurs für<br />

Fortgeschrittene? Ah, ich hab’ gehört, die Bronks soll in Schutt und Asche liegen, <strong>das</strong> warst du?“,<br />

flachste er in seiner penetrant übertriebenen Art.<br />

„Sicherlich! Wenn ich dort gewesen wäre!“ Sie ging an ihm achtlos vorbei und sah in den Gang, der<br />

auch zu den einzelnen Trainingsräumen führte. „Ist Peter Schmieder da?“<br />

Er kam hinter ihr her und strich über Andys kleine Hand. „Hi, Kleiner! Wie heißt du denn?“ Und an<br />

Sinia gewandt, fragte er: „Deine Jugend?“<br />

„Das ist Andy,“ sagte sie kurz. „Und, ist er?“<br />

„Nein, der ist zur Zeit in Urlaub!“ lenkte Thomson ein, der wohl gemerkt hatte, <strong>das</strong>s er den falschen<br />

Begrüßungston angeschlagen hatte. „Aber sag mal, wo warst du jetzt die ganze Zeit. Du bist schon<br />

vermißt worden!“<br />

„Schade! Und Julius äh, weiß nicht, wie noch oder dieser Dietmar Dingsda“, grübelte Sinia über die<br />

Nachnamen.<br />

„Julius Schlagenauer, Dietmar Denzlinger“, half Dan weiter, „die haben glaub ich Dienst! Willst du zur<br />

Polizei? Eintreten oder hast du Probleme?“, forschte er weiter.<br />

Nein, sie dachte nicht daran, diesem unveränderlichen Lackaffen auch nur eine seiner neugierigen<br />

Fragen zu beantworten. „Naja, kann man nichts machen. Vielen Dank für Ihre - oh, deine Hilfe. Ich<br />

will dich nicht länger stören!“ Sinia wandte sich zum Gehen.<br />

„So eilig? Wenn du noch etwas Zeit hast, Jürgen Ascher ist gleich mit dem Training fertig. Der gehört<br />

ja auch zu den Gesetzeshütern, du kennst ihn.“<br />

Sinia verzog ihr Gesicht zu einem kurzen Lächeln. „Na schön, auf fünf Minuten kommt es mir nicht<br />

an!“ Sie setzte sich an einen Tisch.<br />

„Ich hol ihn!“ Dan klopfte auf die Tischplatte und ging sichtlich gekränkt fort. Sie war auf keinen seiner<br />

Gesprächsversuche eingegangen.<br />

Jürgen Ascher, groß, blond, war ein junger, ehrgeiziger Polizeibeamter und wirkte immer sehr korrekt.<br />

Sinia überlegte, ob er der Richtige für ihr Problem war und wie sie es ihm am besten erklären<br />

konnte.<br />

Wenig später saß Ascher frisch geduscht, aber noch abgekämpft neben ihr und erkundigte sich nach<br />

ein paar belanglosen Freundlichkeiten nach ihrem Anliegen.<br />

Sinia sah ihn aufmerksam an und begann nach einer Pause. „Ich habe eine sehr ungewöhnliche Bit-<br />

© S. Remida Remida<br />

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te, aber bekomm keinen Schock...“<br />

Ascher nickte aufmunternd: „So schnell wirft mich nichts um!“<br />

„Okay!“ Sie holte tief Luft. „Ich will wissen, wie Schußwaffen funktionieren und sie auch mal ausprobieren.<br />

Und <strong>das</strong> innerhalb der nächsten Tage. Leider fehlt mir mehr Zeit. Und ich weiß noch nicht, ob<br />

ich dir den Grund sage. Jedenfalls habe ich keine Straftat vor!“, zählte Sinia auf.<br />

„Ich habe auch gerade überlegt, für was du dich eignen würdest!“, grinste er und wurde ernst. „So<br />

einfach ist <strong>das</strong> nicht!“ Er merkte gleich, <strong>das</strong>s Sinia so eine Antwort von ihm erwartet hatte. Das kratzte<br />

an seiner Ehre. „Also, laß mir einen Tag Zeit. Ich schau, was sich machen läßt. Ich melde mich<br />

morgen vormittag bei dir! Deine Nummer ist? - Steht im Telefonbuch“, beantwortete er sich die Frage<br />

selber.<br />

„Bis dahin, wirst du mich doch hoffentlich durch den Computer gejagt haben“, lästerte Sinia lächelnd.<br />

„Willst du, oder willst du nicht?“, überging er ihre Anspielung.<br />

„Brauchst du noch irgendwas von mir - zur Entscheidungsfindung?“, fragte Sinia in keinem besseren<br />

Ton und fügte deshalb entschuldigend hinzu: „Es ist nur, ich habe keine Zeit. Aber ich denke, ich sollte<br />

schon Ahnung davon haben. Verstehst du? - Wahrscheinlich nicht!“<br />

„Nein, aber vielleicht liegt <strong>das</strong> auch nur an meiner fehlenden hellseherischen Gabe!“, gab er sich die<br />

Schuld, ihr gedanklich nicht folgen zu können.<br />

Sinia verstand sehr wohl die Anspielung, aber ließ sich trotzdem nichts entlocken. „Ich warte auf deinen<br />

Anruf. - Und danke, <strong>das</strong> meine ich ehrlich!“<br />

„Ja, sicher!“ In seinem Blick lag Enttäuschung.<br />

Mit einem erstaunlich braven Andy auf dem Arm, verließ sie die Schulungsstätte für waffenlose<br />

Selbstverteidigung. Sie war bereit für eine ganz andere Erfahrung, die Lehre vom Umgang mit Waffen,<br />

was immer sie sich auch von diesem Wissen versprach.<br />

„Ja“, hatte ihr Jürgen Ascher tags darauf am Telefon versprochen, er würde ihr eine Einführung in die<br />

Waffenkunde geben und hatte auch gleich einen Termin für den Nachmittag ausgemacht.<br />

Es war nicht einfach für Sinia sich die verabredete Zeit freizumachen, aber schließlich klappte es<br />

doch. Und ehe sie sich versah, stand sie Jürgen Ascher gegenüber, der sie in bequemen Jeans und<br />

lässigem Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln in die polizeieigenen Waffenkammer begleitete. Ohne<br />

lange Umschweife kam er gleich zum Thema. Sie erfuhr, welche Arten von Schußwaffen es gab, zu<br />

welchen Waffengattungen sie gehörten und besonders wichtig, die verschieden Lade- und Sicherungsmechanismen,<br />

die sie auch ausprobieren durfte. Nun, als besonders schwierig empfand sie<br />

diese Theorie nicht, weshalb wohl auch jeder Idiot mit einer ‘Knarre’ rumrennen konnte, resümierte<br />

sie.<br />

Aber dann begann in der Schießanlage der praktische Teil, will heißen: Schießen und vor allem, Treffen.<br />

Die ersten Versuche landeten fern ab von der Zielplatte in den wenigen unberührten Ecken der<br />

sonst schon reichlich durchsiebten Wandverkleidung. Jürgen witzelte etwas von lieber aufgeben, aber<br />

Sinia blieb hartnäckig und so stand er schließlich eng hinter ihr. Mit ausgestreckten Armen umfassten<br />

seine Hände die ihren, die krampfhaft die Pistole umklammert hielten, dabei erklärte er ihr, wie <strong>das</strong><br />

Ziel zu suchen und zu treffen sei. Die abgefeuerten Schüsse trafen wie von selbst den Mittelkreis<br />

oder verfehlten ihn nur knapp. Sinia war die unvermeidlich enge Umarmung zwar unangenehm, aber<br />

die einzige Möglichkeit zu erfahren, auf was bei einem guten Schuß geachtet werden mußte. Dennoch<br />

gingen ihre Alleinversuche daneben oder schlugen nur in den Randbereich der entfernten Zielscheibe<br />

ein. Genervt beschloß Jürgen schließlich <strong>das</strong> Training lieber am folgenden Tag fortzusetzen.<br />

Aber auch da mußte Sinia sich bald eingestehen, <strong>das</strong>s sie kein Wunderkind war und ein zielsicherer<br />

Umgang mit der Waffe doch längeres Training abverlangen würde. Dabei blieben ihr nur noch drei<br />

Tage, <strong>das</strong> letzte Wochenende und der Montag! Sie war zutiefst deprimiert. Auch Jürgen merkte <strong>das</strong>.<br />

Eine Trainingseinheit könnte er am Montag für sie noch locker machen, tröstete er.<br />

*****<br />

Sie hatte lange mit sich gerungen, wann der günstigste Augenblick war, ihre neuerliche Reise Chris<br />

© S. Remida Remida<br />

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und den Kindern mitzuteilen, aber es schien keinen günstigen Zeitpunkt zu geben. Allein die Tage<br />

waren ihr davongelaufen. Nun war Sonntag, der vorletzte Tag vor ihrer Abreise! Schon beim Frühstück<br />

kündigte sie ihrer erstaunten Familie an, nur eine Kleinigkeit zum Mittag kochen zu wollen, da<br />

sie sie abends zum Essen in <strong>das</strong> Restaurant ‘Chez Pierre’ einladen wolle. Die feudale Adresse ließ<br />

Chris die Überlegung anstellen, ob sie heimlich im Lotto gespielt und gewonnen habe. Aber Sinia ließ<br />

ihre Ankündigung geheimnisvoll im Raum stehen. Die Mädchen hatten für den Rest des Tages ganz<br />

andere Sorgen, für welches Kleid sie sich entscheiden sollten!<br />

Nach einem hervorragenden, viel zu üppigen Mahl, klopfte Sinia leicht an ihr Weinglas und begann:<br />

„Ich muß euch etwas sagen und ich möchte, <strong>das</strong>s ihr jetzt keinen Zirkus macht. Immerhin haben wir<br />

schon ganz andere Sachen hinter uns gebracht. Wir müssen nur weiter zusammenhalten.“ Wobei sie<br />

zwar leise Zweifel hatte, aber es hörte sich doch gut an. „Ich muß noch einmal fort. Nur ganz kurz!<br />

Und danach ziehen wir einen Schlußstrich unter all <strong>das</strong>, was in der letzten Zeit passiert ist!“<br />

„Och, nein!“ „Nicht schon wieder so lange weg!“ „Kann ich wenigstens mit?“, riefen die Mädchen enttäuscht<br />

durcheinander. Und Andy plapperte begeistert „Ooch neiiin mit, och nnnein, neiiiiin, neiiiiiiin,<br />

oooch...!“ nach.<br />

Chris starrte sie ungläubig an, als hätte sie ihm gerade verkündet ihn zu verlassen. „Also, <strong>das</strong> ist der<br />

Haken an deiner Einladung, ich hatte schon geahnt, <strong>das</strong>s irgend so ein Hammer kommt!“, stieß er<br />

tonlos hervor. Sinia betrachtete ihn beunruhigt.<br />

Gefaßter erkundigte er sich: „Wann und wohin?“<br />

„Dienstag früh, Richtung Syrien!“<br />

„Syrien, wieso Syrien? --- Okay, ich komme jedenfalls mit!“, erklärte Chris entschlossen. „Ich auch!“<br />

rief Anja. „Ich will auch mit!“, drängelte Nadin. Und Andy klopfte mit dem Schnuller auf den Tisch.<br />

„Auch mit, auch mit, auch mit!“<br />

„Nein, nein!“, wiegelte Sinia ab. „Ich wollte lieber, <strong>das</strong>s du dir zwei, drei Tage Urlaub nimmst und bei<br />

den Kindern bleibst!“ Einen Moment lang starrte sie vor sich hin, dann sah sie ihren Mann offen an.<br />

„Meine erste Reise war weit gefährlicher und ich habe es auch alleine geschafft, ob du es nun wahrhaben<br />

willst oder nicht! Ihr braucht euch wirklich keine Sorgen zu machen, ganz im Gegenteil, macht<br />

euch ein, höchstens zwei schöne Tage ohne mich, dann bin ich ja schon wieder da!“ Ihre Stimme<br />

klang optimistisch leicht.<br />

„Wer ist es?“, fragte Chris mißtrauisch.<br />

„Oh, nur ein paar Leute, denen ich für ihre Unterstützung noch zu danken habe!“, schwindelte Sinia<br />

leichthin.<br />

„Das kannst du auch schriftlich, oder ruf sie an! Ich zahle die Rechnung!“, schlug Chris vor.<br />

„Das Ticket wurde bereits bezahlt sogar mit einem Handgeld, - hier für euch. Damit ihr auch was davon<br />

habt! Das ist alles übrig!“ Sinia schob einen Umschlag zu ihrem Mann und bezweifelte schon, ob<br />

<strong>das</strong> klug gewesen war.<br />

„Scheinst den Typen ja viel wert zu sein! Oder ist es doch nur einer?“, stellte er abfällig fest mit einem<br />

flüchtigen Blick in den Briefumschlag.<br />

„Es ist eher, <strong>das</strong>s man in diesen Kreisen wohl kein vernünftiges Verhältnis mehr zu Geld hat. Soweit<br />

ich weiß, trifft es schon keine Armen!“, erklärte sie salopp.<br />

Chris wollte schon auf die jämmerlichen Verhältnisse in diesem Volk anspielen, <strong>das</strong> Sinia aber gleich<br />

mit einer ärgerlichen Handbewegung abtat. „Das soll heute bestimmt nicht unser Problem sein. Nirgendwo<br />

ist alles sauber. Denk nur an deinen Laden! Aber lassen wir <strong>das</strong>. Es wird erwartet, <strong>das</strong>s ich<br />

komme! Es kostet mich nichts außer ein paar Worte ‘Freundlichkeit’ und ich habe ihren Höflichkeitssitten<br />

entsprochen. Das sollte deine glückliche Heimkehr meiner Ansicht nach wert sein.“ Sinia schien<br />

fast selber zu glauben, was sie da sagte.<br />

Chris schüttelte genervt den Kopf. „Dann möchte ich mich auch selbst bei meinen Lebensrettern<br />

bedanken! Das gebietet mir mein Anstand! Wer ist es ---- wer sind die eigentlich? --- Syrien, aber<br />

hattest du nicht was vom Irak erzählt?“<br />

Sinia überging seine Frage nach den Personen. Sie suchte fieberhaft nach plausiblen Argumenten<br />

ihn von einer Mitreise abzubringen. Ihr Gesicht erhellte sich. „Deine Firma wird eine fremde Hilfe bei<br />

© S. Remida Remida<br />

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dieser Sache“ - wegen der aufmerksam lauschenden Kinder wollte sie sich nicht zu genau ausdrücken<br />

- „nie offiziell zugeben. Erinnere dich an ihre Märchenversion mich betreffend! Tja, deshalb habe<br />

ich denen auch versprochen dem Folge zu leisten, vor allem um Ruhe zu haben...“<br />

Chris Augen wurden groß vor Erstauen. „Wem hast du...? Was geht da eigentlich ab?“<br />

„Tut nichts zur Sache! Nur solltest du dich dem ebenfalls fügen, weil es sonst fatale Folgen - mit Sicherheit<br />

nicht nur für dich, sondern besonders auch direkt für mich haben wird. Ich habe nicht vor,<br />

mich mit denen anzulegen, wo der Sieger schon vorher feststeht! Bitte überlege doch...“ Sinia sah<br />

Chris so besorgt an, wie es ihr nur möglich war. Es schien zu wirken!<br />

Den Kindern war es langweilig geworden. Sie hatten sich an die ihren diskutierenden Eltern gegenüberliegenden<br />

Seite des Tisches zurückgezogen und spielten mit den Pappuntersetzern, die sie sich<br />

zusätzlich von anderen Tischen zusammenklaubten.<br />

„Du spricht von der CTA?“, stellte Chris mehr für sich fest. „Weißt du, was du denen unterstellst?”<br />

Sinia nickte nur langsam.<br />

“Mein Gott, wenn <strong>das</strong> stimmt! Wenn ich nur wüßte, wie ich dir...“ Chris überlegte verzweifelt. „Ich<br />

bleib nicht in der ....“<br />

Sinia unterbrach: „Lieber anständig arbeitslos? Das Vergangene kannst du damit nicht ändern, aber<br />

mit der Zukunft könntest du es versuchen. Hast du nicht gemerkt, <strong>das</strong>s sich deine Position verbessert<br />

hat? Mach was draus! Du hast es - du hast sie - in der Hand. Das ist deine Chance!“ Sie sprach<br />

leise, beschwörend.<br />

„Aber ich will dir helfen!“, wiederholte er sich.<br />

„Glaub einfach an mich, okay? Das würde mir sehr helfen. - Wir schaffen <strong>das</strong> schon und wir brauchen<br />

niemanden! In einer Woche ist <strong>das</strong> hier alles vergessen. - Wenn wir uns nicht vertrauen, wem dann?“<br />

Das meinte sie ernst. Sie strich ihm über seine Hand und hoffte, <strong>das</strong>s sie ihm vertrauen konnte, er<br />

nicht - wie erst geschehen - anderen mehr glauben würde als ihr. Sie hatte ihn nicht einmal betrogen!<br />

Ob er in ähnlicher Situation wohl auch widerstehen würde? Sie wollte nicht die Hand für ihn ins Feuer<br />

legen! Hatte sie nicht mit mehr Mut, als sie sich je zugetraut hätte, um ihn und für ihn gekämpft, sein<br />

Leben für wichtiger erachtet als <strong>das</strong> ihre. Nach all dem hatte er jetzt kein Recht, ihr Vorhaben zu kritisieren,<br />

sie in die Enge zu treiben oder gar davon abzuhalten. Es war ihre Idee und ihre Entscheidung<br />

sich der neuen unerwarteten Entwicklung s o zu stellen.<br />

Für einen Augenblick kam ihr der erleichterte Anruf von Volker Meier in den Sinn, <strong>das</strong>s der vermeintliche<br />

Killer, der für ein paar Tage in Deutschland abgetaucht war, offenbar unverrichteter Dinge wieder<br />

in seine Heimat zurückgereist war. Auch Ali hatte nach Erhalt dieser Information aus seiner Quelle<br />

sich gemeldet, aber ahnungsvoll vorsichtig gefragt, ob sie wisse, was <strong>das</strong> bedeuten konnte. Natürlich,<br />

wußte sie es. Und eine halbe Stunde später war auch Abdul el Basan darüber unterrichtet, der<br />

sich zutiefst besorgt gleich bei ihr telefonisch gemeldet und ihr seine Hilfe angeboten hatte. Wenngleich<br />

ihm die Reaktion eines noch so gekränkten Safar, ihr gleich einen Killer hinterherzuhetzen,<br />

trotzdem immer noch völlig abwegig erschien. Aber wer wußte schon, was sich im fernen Bagdad<br />

zusammengebraut hatte und die Fakten sprachen für sich. Nachdem Sinia sein Angebot, sie zu diesem<br />

Treffen begleiten zu wollen, kategorisch abgelehnt hatte, wollte er es sich doch nicht nehmen<br />

lassen, sich wenigstens um alles andere zu kümmern. Vom Bereitstellen eines Fahrzeuges, über die<br />

beste Fahrroute zum Treffpunkt bis zum unbehelligten Verlassen des Landes, gab es nichts wofür er<br />

nicht mit Umsicht sorgen würde. Sinia kannte ihn gut genug, um zu wissen, <strong>das</strong>s sämtliche Vorbereitungen<br />

bei ihm in guten Händen lagen und dazu äußerst diskret!<br />

Geistesabwesend hatte sie ihren Töchtern zugeschaut, wie sie mit größter Vorsicht ein Kartenhaus<br />

von 5 Etagen aufbauten und Andy, in seinem vom Tisch zurückgezogenen Hochstuhl sich anstrengte,<br />

<strong>das</strong> wacklige Gebilde zu erreichen. Als Chris sie mit einem Stupser in die Gegenwart zurückholte.<br />

„Ich sagte gerade, <strong>das</strong>s wir dich zum Flughafen bringen. Du hast ja gar nicht zugehört!“<br />

„Entschuldigung. Ja, natürlich, <strong>das</strong> ist eine liebe Idee“, antwortete Sinia schnell.<br />

„Was ist? An was denkst du?“, erkundigte sich Chris besorgt.<br />

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Sinia lächelte ihn arglos an. „Es ist alles okay! Wirklich!“, und drückte dabei zuversichtlich beide Augen<br />

zu.<br />

Am nächsten Morgen fuhr zur verabredeten Zeit Jürgen Ascher vor. Sinia hatte ihre Mädchen zeitig<br />

in den Kindergarten gebracht und stieg nun eilig beladen mit Andy und einer Tasche in den Privatwagen<br />

ein, in dem auch Aschers Freundin saß.<br />

„Hallo, ihr zwei! Das ist also der junge Mann, mit dem ich eine Weile verbringen darf! Guten Tag, ich<br />

bin Sabine und du bist Andy, ja?“, gab <strong>das</strong> junge und überaus sympathische Mädchen dem Kleinen<br />

die Hand. Dabei schüttelte sie ihre langen braunglänzenden Haare, die in lauter kleinen Löckchen<br />

über ihre Schultern wallten. Andy strahlte.<br />

„Hallo, ich bin Sinia. Schön, <strong>das</strong>s Sie Zeit haben. Wie ich sehe, gefallen Sie meinem Sohn!“<br />

„Na klar, ich gefalle allen Männern, stimmt’s nicht?“, flachste Sabine mit einem Blick zu ihrem Freund<br />

und wandte sich wieder an Sinia. „ Sie können ruhig ‘Du’ zu mir sagen!“<br />

„Zu mir auch!“ Sinia war von Sabine sofort genauso begeistert wie Andy.<br />

„Also dann wollen wir noch einmal!“, bemerkte Jürgen, nachdem sie Sabine mit Andy an einem tollen<br />

Spielplatz abgesetzt hatten und er Minuten später die Zufahrt zur Schießanlage einbog.<br />

Sinia versuchte sich erneut im Zielschießen, doch <strong>das</strong> Ergebnis war nur wenig besser als beim letzten<br />

Mal, daran konnten auch die korrigierenden Anweisungen ihres Lehrers nichts ändern.<br />

„Du willst noch einmal in den Nahen Osten? - - Schon morgen, stimmt’s? Verrätst du mir warum?“,<br />

fragte plötzlich Jürgen.<br />

Vor Schreck drückte Sinia ab und starrte ihn an. „Woher weißt du?“<br />

„Das gibt’s doch nicht!“, staunte er. Auf Knopfdruck sauste die Zielscheibe an dem dünnen Band auf<br />

ihn zu. „Genau ins Schwarze!“ Und fügte gleich abwertend hinzu: „Wohl nur ein Zufallstreffer!“<br />

„Woher weißt du?“, hakte Sinia nach .<br />

„Du bist doch beim ersten Mal ohne Schußwaffe ausgekommen, verzichte auch diesmal darauf“,<br />

sprach er weiter.<br />

„Woher?“, wiederholte Sinia.<br />

„Man hat bei der Polizei so seine Informationsquellen. - - Da gibt es zum Beispiel Passagierlisten,<br />

fallen Nachrichten und bestimmte Entwicklungen in einen zeitlichen Rahmen und dann gibt’s da noch<br />

die Kombinationsgabe. Ich muß zwar zugeben, <strong>das</strong>s ich über dein Verbleiben in Syrien, oder Irak<br />

nichts herausfinden konnte, aber <strong>das</strong> sieht nicht nach Spaß aus!“ Dabei griff Jürgen nach ihren beiden<br />

Handgelenken und drehte die Innenseiten mit den beide Narben, die jeweils als dünner Strich<br />

sichtbar geblieben waren, nach oben. „Das hattest du vorher nicht und so was fügt man sich in der<br />

Regel selbst zu, stimmt’s?“<br />

Sinia hatte stets darauf geachtet, <strong>das</strong>s diese Narben unter langen Ärmeln oder durch geschickte Haltung<br />

der Hände unauffällig blieben. Dass Ascher auch darauf statt nur auf ihre Schießkünste geachtet<br />

hatte, erschreckte sie zutiefst.<br />

„Ich vermute deine neuerliche Reise ist nicht <strong>das</strong>, was man einen Freundschaftsbesuch nennt, sonst<br />

hätte dich <strong>das</strong> hier nicht interessiert!“, stellte Jürgen weiter fest und ließ ihre Hände wieder los.<br />

„Willst du mir wirklich nichts sagen?“ Er schaute sie durchdringend an, aber Sinia schwieg stur.<br />

„Na dann, viel Glück, Karate-Lady, und laß die Bleischleudern lieber hier, <strong>das</strong> wäre doch nur Umweltverschmutzung<br />

und davon haben die ja schon genug!“<br />

Sinia sicherte die Pistole, gab sie Jürgen und ging hinaus. Jürgen löschte <strong>das</strong> Licht und schloß ab.<br />

Draußen öffnete er ihr die Beifahrertür. „Das war’s! Steig ein!“<br />

Schweigend fuhren sie zum Spielplatz zurück. „Ich hol’ die beiden!“ sagte er sauer.<br />

„Was hast du davon, wenn ich dir alles erzähle, außer <strong>das</strong>s deine Neugierde befriedigt wäre?“, platzte<br />

Sinia heraus. „Ich muß da alleine durch. Man droht mir, weil die einen die Wahrheit fürchten, die<br />

anderen sich wohl beleidigt fühlen. Und wer mir geholfen hat ist besorgt entdeckt zu werden! Auch<br />

Lust auf so `nen Kick?“<br />

„Lady, ich bin bei der Polizei!“<br />

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„Sag nicht Lady zu mir!“, schrie Sinia fuchsteufelswild. Es erinnerte sie an Safar und machte sie unglaublich<br />

wütend, weil er ihr diesen Ärger eingebrockt hatte. Doch gleich mahnte sie sich, jetzt nicht<br />

hysterisch zu werden und flüsterte ein tonloses „Entschuldigung!“<br />

„Manchmal hilft es, sich es von der Seele reden zu können. Ich wäre...“<br />

Andy und Sabine kamen angerannt. Sinia stieg aus und fing ihren Sohn auf. „Hallo mein Schatz, war<br />

es schön?“<br />

Jürgen griff den Gesprächsfaden nicht mehr auf. Mit der knappen Bemerkung, er müsse noch kurz<br />

bei Dan vorbeifahren, lenkte er den Wagen zur Kampfsportschule. Sinia wartete mit Andy und Sabine<br />

am Auto. Sabine erzählte von Andys Spielplatzabenteuern um die offensichtlich bedrückende<br />

Atmosphäre aufzulockern.<br />

Dans Frau kam mit einer Einkaufstasche vorbei. Erfreut kam sie auf Sinia zu. „Hallo ihr drei! Ich freu<br />

mich so, dich, euch wiederzusehen!“ Dabei sah sie Sinia an. Die Frauen wechselten ein paar belanglose<br />

Worte als Jürgen zurückkam. „Hallo Jürgen! Ihr wollt wieder weiter? Das war aber ein kurzer<br />

Besuch!“ stellte die Thailänderin fest und reichte Sabine und Andy die Hand, dann umfaßte sie mit<br />

beiden Händen Sinias Hand und drückte sie fest. „Ich wünsche dir alles Gute!“ Als ahnte sie, was auf<br />

Sinia zukommen würd. Mit einem angedeuteten Wangenkuss ließ sie Sinia wieder los. „Du wirst dein<br />

Glück finden“, fügte sie aufmunternd wie ein ‚auf Wiedersehen‘ hinzu. Man sagte von ihr, sie habe<br />

manchmal Ahnungen.<br />

Irritiert stieg Sinia in den Wagen. Beunruhigt schaute Dans Frau dem Auto nach. Sinia wiederholte<br />

im Geist die letzten Worte der Asiatin und brütete darüber, ob dies nur ein thailändischer Abschiedsgruß<br />

war, oder als ein günstiger Fingerzeig für ihr <strong>Schicksal</strong> gemeint sein könnte. Aber sie suchte<br />

doch kein Glück, so wie sie diese Wortwendung verstand. Ihr Glück war ihre Familie! Sie wollte nur<br />

noch einmal Glück haben! Warum hatte sie ihr kein Glück gewünscht oder gesagt, sie würde es haben?<br />

Sinia versuchte ihre im Kreis drehenden Gedanken abzuschütteln. Diese Ausländer mit ihrem<br />

Deutsch dachte sie verärgert und grübelte schon wieder über diese klare aber für sie so unverständliche<br />

Feststellung der geheimnisvollen exotischen Frau.<br />

Für Jürgen Ascher bot sich keine Gelegenheit mehr sich seine Fragen beantworten zu lassen. Verärgerung<br />

und Besorgnis lagen in seiner Stimme, als er sie mit ihrem Sohn vor ihrer Haustür absetzte.<br />

„Wenn ich was für dich tun kann, ich bin jederzeit erreichbar!“<br />

„Ja, danke!“<br />

Dann verabschiedeten sie sich. Schon ging die Haustür auf. Chris wartete bereits ungeduldig auf sie.<br />

Er hatte sich Urlaub genommen. Sinia haßte es, wieder eine plausible Ausrede finden zu müssen.<br />

Ein Glück, <strong>das</strong>s Sabine auf dem Beifahrersitz gesessen war!<br />

© S. Remida Remida<br />

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© S. Remida Remida<br />

Kapitel V<br />

Der sonnige Morgen versprach einen schönen Tag. Doch <strong>das</strong> machte den Abschied von den Kindern<br />

und Chris kaum leichter, ebensowenig Sinias Versprechen, spätestens am nächsten Tag wieder zurückzufliegen.<br />

Von dem herrlichen Flug mit klarer Sicht auf die grünen Ebenen, dann die schroffen,<br />

teils mit Schnee bedeckten Gebirgszüge und die beständig zunehmende, für südliche Länder typische<br />

Kargheit, gespickt mit grünen Oasen, die an grün leuchtende Edelsteine erinnerte, bekam sie<br />

auch diesmal kaum mehr mit, als bei ihrem ersten Flug vor rund anderthalb Monaten. Ihre Gedanken<br />

weilten Zuhause. Schwermütig, sanft, wie ein schöner Traum, den man nicht aufgeben will und doch<br />

weiß, <strong>das</strong>s er nicht zu halten ist.<br />

Am Flughafen wurde sie von El Basans Fahrer abgeholt. Abdul EL Basan sei wegen dringender<br />

Amtsgeschäfte unterwegs, ließ der Fahrer im holprigen Englisch sie mit größtem Bedauern wissen,<br />

während er in einem Jaguar älteren Modells zur noblen Wohnung seines Dienstherrn fuhr. Hier<br />

machte sie sich frisch und zog sich um. Ein köstliches Mahl konnte sogar ihre Enttäuschung über<br />

Abduls Abwesenheit etwas besänftigen. Als der Fahrer sie dann in Abduls umsichtige Vorbereitungen<br />

einweihte, wich ihre Enttäuschung vollends einem Gefühl von tiefem Vertrauen und unerschütterlicher<br />

Kraft, <strong>das</strong>s auch diese, ihre letzte Mission gelingen würde.<br />

In einem eleganten weißen Hosenanzug mit modisch langer Jacke, dunklen Schuhen, königsblau<br />

glänzender Seidenbluse und einem breitkrempigen, weißen Hut unter dem ihre blonden Haare<br />

von einem langen graublau durchwirkten Chiffonschal keck zusammengehalten wurde, verließ<br />

Sinia mit dem Chauffeur die Wohnung. Sein anerkennender Blick tat ihr gut und bestätigte auch die<br />

gelungene Wahl ihres Outfits. In zügiger Fahrt lenkte der grauhaarige Syrer den schnittigen Wagen<br />

über teils bis zur Unkenntlichkeit verwehte und holprige Straßen zu einem weit außerhalb der Stadt in<br />

einer Senke gelegenen Wüstenlandeplatz.<br />

Kaum angekommen landete schon eine kleine Sportmaschine, die aus dem Nichts aufzutauchen<br />

schien. Der Chauffeur begleitet Sinia zum Flugzeug und half ihr auf den Sitz neben dem Piloten.<br />

Dann verabschiedete er sich, um <strong>das</strong> Auto wieder zurückzufahren. Der Pilot, ein noch sehr junger<br />

Mann, grinste Sinia aufmunternd zu. Er machte einen beruhigend professionellen und freundlichen<br />

Eindruck. Dann hob die Maschine ab und entschwand Richtung Osten. Sinia kannte noch die eintönige<br />

Wüstenlandschaft von ihrem ersten Flug mit Abdul El Basan. Die unwirtliche Ebene unter ihnen<br />

ging allmählich in leichte Hügel und diese wiederum alsbald in langgezogenen Berghöhen über. Der<br />

Pilot zeigte nach unten auf eine kurze verwilderte Landebahn und nickte ihr zuversichtlich zu. Er hat-<br />

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te Sinia die meiste Zeit ihren Gedanken überlassen und nur wenig auf englisch gesagt. Aber daraus<br />

schloss sie, <strong>das</strong>s er in die Sache eingeweiht sein mußte.<br />

Wenig später stand der Flieger sicher auf dem Boden. Der Mann führte Sinia zu einem maroden<br />

Unterstand und zog mit Schwung ein darunter ausgeworfenes Tarnnetz weg. Zum Vorschein kam<br />

ein bulliger, dunkelgrüner Landrover, der, obwohl ziemlich verstaubt, ein recht neues Modell war. Der<br />

Pilot fuhr den Wagen heraus und fragte beim Aussteigen: „Sie wollen wirklich alleine weiter?“<br />

Sinia nickte. „Ist besser!“<br />

„Abdul hat schon gesagt, ich kann‘s mir sparen, Sie überreden zu wollen. Hier, nehmen Sie <strong>das</strong><br />

Handy und rufen Sie mich an, wenn ich Sie wieder abholen kann. Meine Nummer ist eingespeichert.“<br />

Er zeigte Sinia die Bedienung, dann ließ er sie in den Geländewagen einsteigen. Erstaunt sah sich<br />

Sinia im Innenraum um, der unerwartet elegant wirkte in seiner dezenten cognacfarbenen Ausstattung.<br />

„Sie kommen mit dem Auto klar?“<br />

„Denk schon!“ antwortete Sinia munter und checkte die Instrumentenanzeigen und verschiedenen<br />

Schalter durch.<br />

„Na dann, viel Glück und - Sie passen auf!“ Damit es nicht zu besorgt um sie klang, fügte der Mann<br />

grinsend hinzu: „Ist nämlich nicht meiner!“ Dabei klopfte er auf <strong>das</strong> Blech, dann schlug er die Fahrertür<br />

schwungvoll zu.<br />

„Vielen Dank! —Danke, für alles!“ Sinia wollte noch mehr sagen, aber der Mann winkte ab. „Ist schon<br />

okay! Jetzt fahrn Sie schon. Ich warte auf Ihren Anruf!“<br />

Sinia gab leicht Gas und der schwere Wagen setzte sich langsam in Bewegung. „Bis später!“<br />

Er hob die geschossene Hand mit dem Daumen nach oben zum Zeichen, <strong>das</strong>s sie es schon schaffen<br />

würde – schaffen mußte!<br />

Die Straße wand sich in langen Serpentinen die Anhöhe hinauf. Bald war <strong>das</strong> Flugzeug in der Ferne<br />

verschwunden und <strong>das</strong> Handy war nun Sinias einzige Verbindung zu der Welt der Menschen, aber<br />

<strong>das</strong> war ihr im Moment egal. Der Rover ließ sich angenehm lenken und sie hatte Spaß an der Fahrerei<br />

und dem herrlichen Blick über die endlose Weite des eintönigen Landes. Ein Gefühl unendlicher<br />

Freiheit umfing sie und ließ keinen Platz für andere Gedanken. Sie genoß diese Unabhängigkeit,<br />

dieses Alleinsein, die ihr eine innere Stärke und ein längst verloren geglaubtes Glücksgefühl vermittelten.<br />

Zwischen dürrem Gestrüpp tat sich die Abzweigung auf, die sie laut Straßenkarte nehmen mußte. Die<br />

Fahrstrecke war auf dem Kartenausschnitt schwarz nachgezeichnet und der mit einem Kreuz markierte<br />

Treffpunkt bestimmt gut zu finden! Sie drückte den Tageskilometerzähler auf Null und bog<br />

bestens gelaunt in den unbefestigten, staubigen Weg ein, der aber schon bald von überwucherndem<br />

Gebüsch enger und auch schlechter befahrbar wurde und ihre ganze Aufmerksamkeit forderte. Der<br />

Wagen mußte sich manchmal regelrecht durch <strong>das</strong> Dickicht kämpfen und hinterließ dann eine breite<br />

Schneise, wie Sinia im Rückspiegel erkennen konnte. Schon kamen ihr Zweifel, ob dies auch der<br />

richtige Weg war. Wenn nicht, müßte sie die ganze Strecke rückwärts fahren, da es bisher keine<br />

Wendemöglichkeit gab. Sie schaute auf den Kilometerzähler. Wenn sie sich nicht verfahren hatte,<br />

mußte ihr Ziel ganz in der Nähe sein. Also fuhr sie erst einmal weiter.<br />

Sorgsam umkurvte Sinia wieder einen hinter Buschwerk gefährlich verdeckten Felsvorsprung und<br />

atmete erleichtert auf. Nur wenige Meter Gestrüpp trennten sie von einer weiten Lichtung, an deren<br />

Ende auf einer felsigen Anhöhe sich majestätisch ein gut erhaltener Teil einer Festung abhob, zu<br />

deren hochgelegenen Innenhof nur eine mäßig breite, aber sehr lange Treppe hoch zu führen<br />

schien. Ihr fielen auch gleich die Soldaten auf, die eben noch gelangweilt herumstanden oder auf<br />

den Stufen saßen und die nun <strong>das</strong> nahende Motorengeräusch des Rovers munter werden ließ. Abseits<br />

stand verlassen ein riesiger Transporthubschrauber. Sinias Nerven waren plötzlich angespannt.<br />

Sie hatte nicht erwartet, <strong>das</strong>s sie Rashid alleine treffen würde, aber <strong>das</strong>s er gleich eine ganze Armee<br />

dabei haben mußte! Doch jetzt gab es kein zurück mehr. Hoffentlich war er auch da! Sie atmete tief<br />

ein und ermahnte sich: ruhig, ganz ruhig!<br />

© S. Remida Remida<br />

Seite 97


Sorgsam lenkte sie <strong>das</strong> Fahrzeug um niedrige Sträucher und kantige Fels- oder Mauersteine, die im<br />

Weg lagen, der jetzt nur noch aus zwei zu erahnenden Fahrrillen bestand. Dann ließ sie den Geländewagen<br />

ausrollen und wenige Meter vor den Stufen anhalten. Aus der Nähe wirkte die Treppe, mit<br />

ihren derb behauenen Stiegen noch mächtiger, steiler und höher und erinnerten Sinia irgendwie an<br />

altmexikanische Tempelanlagen.<br />

Aus einer Gruppe Uniformierter, die im Schatten eines Mauervorsprunges standen, löste sich ein<br />

Mann und ging auf den Landrover zu. Die anderen folgten im Abstand. Sinia stockte der Atem. Noch<br />

ehe der Mann aus dem Schatten getreten war, hatte sie ihn erkannte. Karim, den ungebändigten<br />

Sohn! Ausgerechnet der!<br />

„Hi, du hast dich wirklich hergewagt! Willst du nicht aussteigen?“, begrüßte er sie bestens gelaunt auf<br />

Englisch.<br />

"Marhaba“, grüßte Sinia abwartend kühl. „Wo ist dein Vater?“<br />

„Nicht so hastig!“ Karim öffnete ihr die Wagentür. „Du wirst ihn noch früh genug sehen!“ Er streckte<br />

ihr seine Hand entgegen, als wolle er ihr beim Aussteigen helfen, aber Sinia beachtete sie nicht und<br />

hielt sich lieber am Türrahmen fest für den Sprung aus dem erhöhten Sitzraum. Karim zuckte die<br />

Achseln und trat einen Schritt zur Seite. Sinia stand direkt vor ihn und schaute ihn abschätzend an.<br />

„Und - bringst du mich jetzt zu Rashid Safar?“<br />

Karims gute Laune war verflogen und mit altbekannter Überheblichkeit antwortete er: „Den Teufel<br />

werd ich tun! Ich entscheide, wann es so weit ist! - Ein schöner Wagen!“, lenkte er ab und tätschelte<br />

<strong>das</strong> Autodach. Nebenbei fragte er: „Hast du Waffen dabei?“<br />

Sinia warf die Autotür zu und drückte durch <strong>das</strong> heruntergelassene Fenster die Türverriegelung herunter.<br />

„Natürlich! Darum laß deine Pfoten von dem Wagen, eh er dir um die Ohren fliegt. Ich habe <strong>das</strong> Dynamit<br />

soeben scharf gemacht!“, erklärte sie überzeugt und dachte dabei an <strong>das</strong> Handy in der verschlossenen<br />

Ablage, <strong>das</strong> auf keinen Fall in falsche Hände geraten durfte.<br />

Karim schien sich nicht entscheiden zu können, ob er ihr glauben sollte, aber Sinia verzog keine<br />

Miene.<br />

„Durchsucht sie!“, befahl er mit Blick auf zwei seiner Begleiter.<br />

Für den Bruchteil einer Sekunde entschwand ihre Selbstsicherheit, aber sie hatte sich gleich wieder<br />

gefangen. Das war ja nichts Neues! Von Karim wollte sie sich jetzt nicht schikanieren lassen!<br />

„Du tickst ja nicht richtig!“, platzte es aus ihr heraus und schnippisch fuhr sie fort, „Für deine Spiele<br />

hab ich bedauerlicherweise keine Zeit mitgebracht! Aber glaub mir, ein Wort mit dir gewechselt und<br />

schon fühlt man sich wieder richtig heimisch! – Da oben?“ Und ohne auf Antwort zu warten, ging<br />

Sinia an Karim vorbei zur Treppe.<br />

„Du mußt dich erst durchsuchen lassen!“, wiederholte Karim scharf. Sie winkte ab und er schnippte<br />

mit den Fingern, worauf gleich drei Männer ihr auf der vierten Stufe den Weg verstellten und ein weiterer<br />

hinter ihr sie abtasten wollte.<br />

Sinia wirbelte herum und fauchte: „Wage es nicht mich anzufassen!“ Erschrocken wich der Angesprochene<br />

zurück. Karim zog seinen Revolver und zielte auf Sinia. „Los!“, befahl er dem Mann.<br />

Sinia überlegte fieberhaft, wie sie die Kerle austricksen konnte. Es war wieder <strong>das</strong> alte Spiel! Da<br />

kam ihr eine Idee!<br />

„Ihr sollt die Waffen einer Frau kennen lernen!“, zischte sie, so <strong>das</strong>s es Karim noch verstehen mußte,<br />

griff nach ihrem Hut und stülpte ihn dem überraschten Soldaten vor ihr auf den Kopf. Dann drehte<br />

sie sich wieder zu den drei anderen um, schubste zwei rücksichtslos auseinander und ging mittendurch,<br />

während sie theatralisch ihre Jacke aufknöpfte. Lässig ließ sie sie von ihren Schultern gleiten<br />

und schlug sie im Weitergehen einem Uniformierten, der ihr den Weg versperren wollte, vor die<br />

Brust. Nun öffnete sie ihren Gürtel, zog ihn aus den Schlaufen des Hosenbundes und warf ihn ein<br />

paar Männern zu, die ihr eilig Platz machten, um ihr, wie schon die anderen, voller Neugier im gehörigen<br />

Abstand zu folgen.<br />

© S. Remida Remida<br />

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Obwohl Sinia gegen die Sonne schauen mußte, nahm sie am oberen Ende der Treppe eine große,<br />

stattliche Gestalt wahr. Ihr Herz fing an zu flattern. Rashid! Endlich! Jetzt nur nicht aus dem Konzept<br />

bringen lassen, ermahnte sie sich und steuerte auf einen jungen Kerl zu, dessen Messer leicht greifbar<br />

vor seinem Bauch im Gurt steckte. Er wich unsicher zurück. Sinia lächelte ihn beruhigend an und<br />

ehe er begriff, wie ihm geschah, hielt Sinia <strong>das</strong> Messer in ihrer Hand. Sie wußte, die Dinger waren<br />

immer bestens geschärft.<br />

Augenblicklich war es ganz still. Nur <strong>das</strong> Hallen ihre Absätze von Stufe zu Stufe trug der Wind weiter.<br />

Sinia setzte die Klinge unterhalb ihres Hosenbundes an und schlitzte die Seitennaht bis zum Knie<br />

auf. Das Messer zwischen den Zähnen riß sie <strong>das</strong> restliche Stück mit einem Ruck auf. Ein Raunen<br />

wabte von den Zuschauern zu ihr. Es folgte die andere Seitennaht, dann durchtrennte Sinia auf beiden<br />

Seiten den Bund und der Wind griff gierig nach dem weggleitenden Stoff. Sie warf <strong>das</strong> Messer<br />

seinem Besitzer zu, der mit offenem Mund <strong>das</strong>tand und erst im letzten Moment aufzuwachen schien<br />

und es gerade noch auffing.<br />

Sinia war auf dem Plateau angekommen.<br />

Diesmal hätte ihre Kleiderwahl nicht besser ausfallen können und sie war froh um ihre lange taillierte<br />

royalblaue Seidenbluse und die blickdichte dunkelblaue Strumpfhose, die sie nur gekauft hatte, weil<br />

sie so hübsch glänzte und toll zu den nachtblauen Sandalen paßte. Der Wind zerrte an der Bluse,<br />

unter der sich ihre schlanke Figur abzeichnete.<br />

Sinia zog den Seidenschal aus ihrem Haar und überließ ihn dem gierig zugreifenden Wind. Wenige<br />

Meter vor Rashid blieb sie stehen.<br />

„Traust du dich jetzt eher in meine Nähe?“, fragte sie spöttisch und hob zum Zeichen ihrer Harmlosigkeit<br />

die Hände auseinander.<br />

Rashid grinste. Er wirkte locker. Die oberen zwei Knöpfe seines Hemdes waren offen, wie auch seine<br />

ordenbehangene Militärjacke, unter der aber deutlich <strong>das</strong> Halfter mit seiner Magnum – Sinia kannte<br />

sich ja inzwischen aus - zu erkennen war. Er kam ganz nah. „Schön, dich wiederzusehen. Ich habe<br />

dich vermißt!“ Was die wenigen Worte nur andeuteten, war von seinen Augen um so deutlicher abzulesen.<br />

Er sah in die Männerrunde. „Ich glaube, die warten auf eine Zugabe!“, schmunzelte er.<br />

Sinia drehte sich um. Die unnötige Bewaffnung der Soldaten störte noch. „Auch wenn diese nicht<br />

mehr jugendfrei wäre?“<br />

Gespannt warteten die Männer, was als nächstes folgen würde.<br />

„Wie ihr wollt, aber ich habe euch gewarnt!“ Sinia legte ihre linke Hand an Rashids Oberarm und er<br />

griff automatisch nach ihren Armen um sie zu stützen. Mit einer schnellen Bewegung zog Sinia seinen<br />

Revolver aus der Halterung und drückte sie schon entsichert auf seine Brust. Rashid war irritiert.<br />

„Jetzt seid ihr dran! Runter mit den Waffen!“, befahl sie laut.<br />

Die Männer waren starr vor Schreck. Rashid mahnte ernst: „Ihr habt es gehört!“ Die anschwellende<br />

Geräuschkulisse ließ darauf schließen, <strong>das</strong>s die Soldaten dies für eine bedrohliche Wendung des<br />

amüsanten Auftritts hielten. Rashid dagegen blickte Sinia verschwörerisch an, als er mit Nachdruck<br />

„Wird’s bald!“ befahl. Das Klirren von Metall auf Metall blieb für eine Weile <strong>das</strong> vorherrschende Geräusch.<br />

„Sie haben alles abgelegt!“, stellte Safar dann verschmitzt fest.<br />

„Gut!“ Sinia wollte ihm die Pistole zurückgeben.<br />

„Hältst du <strong>das</strong> für klug? Oder kannst du damit gar nicht umgehen?“<br />

Sinia sah sich nach einem geeigneten Ziel um und während sie auf einen altersschwachen Ast in<br />

etwa fünfzehn Meter Entfernung zielte, meinte sie nebenbei „Mal sehn!“, und drückte gleich zwei Mal<br />

ab, in der Hoffnung wenigstens ein Mal zu treffen. Schon der erste Schuß riß den Ast ab und beim<br />

zweiten zerfetzte er völlig in der Luft. Am meisten war Sinia von ihrer Schießkunst überrascht. Das<br />

hätte Jürgen Ascher sehen sollen!<br />

„Du bist perfekt!“, sagte Rashid anerkennend.<br />

Sinia zuckte geringschätzig mit ihren Schultern. „Hier, ich brauche sie nicht. Außerdem ist mir lieber,<br />

mein Bodygard ist bewaffnet!“<br />

Rashid lächelte, die Idee gefiel ihm. Sinia wäre am liebsten an seine Brust gesunken, aber sie durfte<br />

ihren Gefühlen nicht nachgeben. Im Gegenteil, es gab noch ein paar Dinge zu klären und sie mußte<br />

© S. Remida Remida<br />

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ihm klarmachen, <strong>das</strong>s sie wieder in ihr altes Leben zurück mußte. Ernst sagte sie: „Die Frau, auf die<br />

du wartest, gibt es nicht mehr!“<br />

Rashid verstand nicht.<br />

„Ich meine die, die sich in dein Land geschmuggelt und dich erpreßt hat, die einen Flieger geklaut<br />

hatte ohne fliegen zu können und ihn verschrottet hat..“<br />

Rashid fiel ihr ins Wort. „Na ja, nicht ganz. – Meinst du die, die ihren Mann befreien wollte und sich<br />

dabei gleich ein paar Mal fast selbst umgebracht hätte?“<br />

„Nicht ganz, ich habe mich schon darauf verlassen, <strong>das</strong>s ihr mich noch rechtzeitig retten würdet“, warf<br />

sie verschmitzt ein und wandte sich ab, als sie nachdrücklich fortfuhr: „In Wirklichkeit bin ich nicht<br />

mutig und wahrscheinlich nicht noch mal in der Lage, so was Irres zu tun. - Ich bin alles andere als<br />

perfekt!“<br />

„Ich habe immer nur auf dich gewartet, weißt du <strong>das</strong>?“, erklärte Rashid, ohne <strong>das</strong>s Sinia den Sinn<br />

der Worte begreifen konnte.<br />

„Ich hatte großes Glück, <strong>das</strong>s ich an dich geraten bin!“, versuchte Sinia es erneut.<br />

„Man nennt <strong>das</strong> <strong>Schicksal</strong>“, sagte Rashid.<br />

„Ich weiß nicht. Egal, es ist vorbei!“ Ihre Stimme klang irritiert und wurde kühl. „Du wirst dich wieder<br />

wichtigeren Dingen widmen und <strong>das</strong> hier schnell vergessen haben. Auch ich muß einen Schlußstrich<br />

ziehen. Ich habe eine Familie, Kinder! Sie hatten mit der Sache nichts zu tun und ich will keine Angst<br />

um sie haben müssen. - Deshalb bin ich zurückgekommen. Wenn es also noch etwas abzuklären<br />

gibt, dann hier und jetzt!“ Plötzlich fröstelte es sie. Seltsam, wie in der frühen Nachmittagshitze ein<br />

so kühler Wind wehen konnte. Rashid zog sein Jackett aus und legte es ihr um die Schultern, als<br />

habe er ihre Gedanken gelesen. Seine Stimme klang versöhnlich. „Tut mir leid, du hast Recht, ich bin<br />

dir eine Erklärung schuldig! - - - Glaub mir, ich wußte nicht, <strong>das</strong>s Karim dir jemanden hinterher geschickt<br />

hatte.“<br />

„Karim? Der? Immerhin war’s ein Killer!“<br />

„So sollte es aussehen! Er hat sich wirklich mal Mühe gegeben!“, sagte er mit leisem Spott und fuhr<br />

freundlich fort: „Er erzählte mir erst davon, als du angeboten hattest, dich ein letztes Mal mit mir zu<br />

treffen. Da konnte ich nicht nein sagen! Ich musste dich noch einmal sehn und mit dir sprechen, deshalb<br />

gab ich meine Zustimmung. Karim wußte genau, wie sehr du mir gefehlt hast - aber auch, <strong>das</strong>s<br />

er es nicht überlebt hätte, wenn dir etwas zugestoßen wäre!“<br />

Sie hatte ihm sehr gefehlt! Was empfand er für sie? Und sie? Hatte sie nicht auch <strong>das</strong> Gefühl gehabt,<br />

ihn unbedingt noch einmal wiedersehen zu müssen?<br />

Mehr zu sich sagte Rashid: „Mein Sohn ist nicht so schlecht. Er glaubte <strong>das</strong> für mich tun zu müssen<br />

und - - ich denke, er hat dich sogar auch vermisst.“<br />

„Natürlich! Wenn sonst keiner da ist, mit dem er streiten kann!“ Sinia lächelte bei dem Gedanken,<br />

<strong>das</strong>s Karim zu freundschaftlichen Gefühlen für sie fähig sein sollte! Aber es gab da noch anderes zu<br />

besprechen. „Können wir hier irgendwo ungestört reden?“<br />

Aber natürlich gab es in der Festungsanlage auch ein paar intakte Räume. Rashid legte seinen Arm<br />

um ihre Schultern und führte sie in <strong>das</strong> Innere der Jahrhunderte überdauerten Gemäuer. In einem<br />

großen Saal mit tief heruntergezogenen Spitzbogenfenstern und reich mit orientalischen Mustern<br />

verzierten Wänden begleitete er sie an einen mächtigen Tisch aus schwarzem Holz, um den viele<br />

Stühle standen, was an eine Rittertafel erinnerte. Das schmale Mauerwerk zwischen den hohen<br />

Fenstern, durch die sich die Sonne in den Raum ergoß, zeichnete bizarre Schatten auf den Mosaikboden<br />

und die gegenüberliegende Wandseite.<br />

Rashid rückte ihr einen Stuhl zurecht. „Bitte, setz dich. Möchtest du etwas trinken, essen?“<br />

„Oh, sogar mit Service? Nur ein Wasser, bitte.“<br />

Im gleichen Moment kam ein Uniformierter und brachte auf Rashids Anweisung sogleich ein Tablett<br />

mit einer Karaffe und zwei Gläsern.<br />

Rashid legte sein Schulterhalfter mit der Waffe auf den Tisch und schenkte <strong>das</strong> perlend frische Was-<br />

© S. Remida Remida<br />

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ser in die Gläser ein. Sinia überlegte, wie sie beginnen sollte. „Ich hatte dir ja ganz schön Umstände<br />

bereitet...“<br />

„Ich verstehe nicht? Wie meinst du <strong>das</strong>?“, erkundigte sich Rashid, setzte sich seitlich auf die Tischkante<br />

und nahm einen Schluck.<br />

Sinia fuhr fort: „Dabei war <strong>das</strong> alles völlig unnötig! Wenn ich mir <strong>das</strong> vorstelle! – Schließlich hat die<br />

CTA ohne fremde Hilfe ihre Leute dort herausgeholt. Aber <strong>das</strong> weißt du ja!“<br />

„Ach ja? Und wer sagt <strong>das</strong>?“<br />

Sinia schilderte ihr Zusammentreffen mit Gerber, dem zwielichtigen Personalchef der CTA und auch,<br />

<strong>das</strong>s ihr Mann sich hatte überzeugen lassen, sie habe seine Abwesenheit genutzt, um sich aus dem<br />

Staub zu machen.<br />

„Dein Mann ist schön dumm!“, stellte Rashid verärgert fest. „Schade, dann hätte ich dich ja gar nicht<br />

gehen lassen brauchen!“<br />

„Hör auf“, wehrte Sinia leise ab.<br />

„Schon gut! - In dieser Darstellung fehlen nur ein paar entscheidende Details. Die Taktik mit dem<br />

Waffenhändler klappte nicht so richtig. Und der Kontakt zwischen den Entführern, dem Unternehmen<br />

und den Regierungsbeauftragten drohte wieder abzubrechen. Es stand sogar schon fest, wer als<br />

erster dran glauben sollte. Und doch zögerten die noch, sich an mich zu wenden. - Ja, und da kamst<br />

du. Aber nicht im Auftrag dieser Gesellschaft, <strong>das</strong> war mir sofort klar!“ Er fuhr fort, <strong>das</strong>s er von ihr<br />

und ihrer Vorgehensweise, die viel Mut bewies, beeindruckt war und sich deshalb als Vermittler angeboten<br />

und eingeschaltet habe. Dabei hatte er gleich vermutet, <strong>das</strong>s einer der Männer der Grund für<br />

ihre riskante Mission sein mußte. Er hatte dann die anfangs sehr überspitzten Forderungen der Geiselnehmer<br />

auf Lösegeld, Entschädigungszahlungen an die Opfer, ein öffentliches Schuldeingeständnis<br />

an dem Unglück und Schließung der Betriebsanlagen auf nur noch einen dafür recht ansehnlichen<br />

Geldbetrag festgelegt.<br />

„Du scheinst ja wirklich bestens informiert!“<br />

Rashid machte eine Pause. Was er ihr erzählen wollte, würde nicht leicht für sie zu verstehen sein,<br />

deshalb wählte er seine Worte mit Bedacht.<br />

Er begann, <strong>das</strong>s die Explosion weit geringeren Schaden in der Produktionsanlage angerichtet habe,<br />

als die freigewordene Giftwolke, die der Wind über <strong>das</strong> somalische Dorf getrieben hatte. Die Beschäftigten<br />

konnten sich rechtzeitig in Schutzräume retten. Die Menschen im Freien wurden dagegen zu<br />

unfreiwilligen Versuchskaninchen, die plötzlich schwer erkrankten und teils starben. Natürlich forderte<br />

man Hilfe an, die auch kam. Aber die Ärzte und Helfer schienen sich mehr für den Krankheitsverlauf<br />

unter wissenschaftlichen als heilfördernden Aspekten zu interessieren. Isoliert von der Außenwelt, die<br />

von dem Drama nichts mitbekommen hatte, kam den Betroffenen alsbald der Gedanke, <strong>das</strong>s diese<br />

Chemiefabrik für ihr Leid verantwortlich sein mußte und es gar ein absichtlich herbeigeführter Unfall<br />

gewesen sein könnte. War der Ort als Unterschlupf für Rebellen doch längst anderen ein Dorn im<br />

Auge. Und einen als Unfall getarnten Versuch, die gefährliche Brut auszurotten, wobei auch noch die<br />

Wirksamkeit einer neuen Waffe erproben werden konnte, trauten die leidgeprüften Menschen ihrer<br />

ungeliebten Regierung durchaus zu. Die Dorfbewohner wollten nun ihrerseits etwas unternehmen.<br />

Sie berieten sich mit Agar, dem Anführer der Rebellen. Eine Pressemeldung, die in ein paar Tagen<br />

vergessen sein würde, Schadensersatzforderungen, die wegen der ungleichen Stellung der Parteien<br />

sich endlos hinziehen würden oder Anschläge auf den Betrieb, die <strong>das</strong> Leben von dort beschäftigten<br />

Landsleuten gefährden würden, war nicht was sie wollten. So wandte sich Agar, mit dem ihn seit Kindertagen<br />

eine lose Freundschaft verband, an ihn.<br />

Rashid stand auf und ging hin und her als er fortfuhr, <strong>das</strong>s die Entführung eigentlich seine Idee gewesen<br />

sei. Diese extra eingeflogenen Fachleuten als Faustpfand, unter denen sich gar ein amerikanischer<br />

Geheimagent befinden sollte, garantierten die schnellste Art, eine lohnenswerte finanzielle<br />

Entschädigung zu erhalten. Und <strong>das</strong>s nach vielen Bemühungen letztlich nur ein neutraler Dritter als<br />

ernsthafter Vermittler in Frage kommen würde, dem Agar vertraute und der auch von dem erpressten<br />

Unternehmen akzeptiert werden musste, lag auf der Hand! Und <strong>das</strong> war er! Agar war auf ihn angewiesen<br />

- den Geheimdiensten sind solche Verbindungen bekannt - und die erpresste Firma würde<br />

versuchen, durch geheime Absprachen mit ihm und einer großzügigen Honorierung, die überzogenen<br />

© S. Remida Remida<br />

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Forderungen der Kidnapper von ihm herunterhandeln zu lassen. Immerhin hatten deutsche Stellen<br />

schon zu Beginn der Entführung vorgefühlt, ob man mit seiner Hilfe rechnen dürfe, falls notwendig<br />

und er hatte sie wissen lassen, <strong>das</strong>s er sich zur gegebenen Zeit äußern werde. Er hatte ihre Anfrage<br />

nicht abgelehnt und somit blieb die Tür für die erpreßte Firma und ihre amerikanische Stammmutter<br />

geöffnet. Es lag nun an denen, den Zeitpunkt seines Eingreifens zu bestimmen. Es war letztlich ein<br />

Deal, mehr nicht! Bei dem sogar die Presse außen vor bleiben mußte! Die Entführten waren nur eine<br />

Handelssache, ohne Gesicht, ohne <strong>Schicksal</strong>! Beide Seiten spielten erst einmal auf Zeit, doch letztlich<br />

wäre man um seine Vermittlung nicht herumgekommen, spätestens nach dem oder den ersten<br />

Toten! Aber dann sei sie, Sinia, aufgetaucht und damit habe sich alles geändert. Rashid setzte sich<br />

wieder auf die Tischkante.<br />

Sinia hatte ihre Ellenbogen auf den Tisch gestützt und ihr Gesicht in ihre Hände vergraben. Erst<br />

konnte sie seine plötzliche Ehrlichkeit nicht fassen und dann noch weniger, was er ihr erzählte. Wenn<br />

sie auch nicht jedes englisches Wort verstanden hatte, so hatte sie doch den Sinn des Gesagten begriffen<br />

und war zutiefst bestürzt. Sie hätte sich <strong>das</strong> ganze gefahrvolle Unternehmen vielleicht sogar<br />

sparen können!<br />

Rashid umfasste vorsichtig ihre Handgelenke. „Durch dich sind die Geiseln wieder zu Menschen geworden.<br />

Du hast dich so sehr darauf verlassen, <strong>das</strong>s ich sie da heraushole. Ich wollte dich nicht enttäuschen.<br />

Es gab keine Pokerrunde mehr, sondern nur einen Vorschlag den beide Seiten zu akzeptieren<br />

hatten.“<br />

Er sagte ihr nicht, <strong>das</strong>s er Agars Zustimmung mit der Drohung erzwungen hatte, <strong>das</strong>s es keine weitere<br />

Verhandlung geben werde und wenn er nicht annehme, auf seine Vermittlung verzichten müsse.<br />

Und damit wären die Geiseln wertlos geworden und <strong>das</strong> ganze Unternehmen geplatzt. Agar konnte<br />

natürlich den Sinneswandel seines irakischen Vertrauten nicht verstehen, stimmte aber aus Furcht,<br />

sonst gar nichts zu erreichen, dem Lösegeldvorschlag zu. Als er aber dann bei jener Gesellschaft<br />

Sinia getroffen und sie beide auch noch zusammen gesehen hatte, war ihm schlagartig der Zusammenhang<br />

klargeworden! Wegen dieser Frau also hatte Rashid ihn um seinen Triumph gebracht!<br />

Rashid war sich sehr wohl bewusst, <strong>das</strong>s er seitdem einen Feind mehr hatte, den er aber – da war er<br />

sich sicher – nicht zu fürchten brauchte!<br />

„Was war mit Hasan?“, erkundigte sich Sinia ohne aufzublicken.<br />

„Hasan? Der ist tot!“<br />

„Wart ihr <strong>das</strong>?“, bohrte sie weiter.<br />

„Weißt du nicht, <strong>das</strong>s er dich hintergangen hatte?“<br />

„Woher weißt du <strong>das</strong>?“, ließ Sinia nicht locker.<br />

Rashid wußte, <strong>das</strong>s sie ein Recht hatte, alles zu erfahren und es gab keinen Grund, irgend etwas zu<br />

verschweigen. So erzählte er, <strong>das</strong>s ihn ihr detailliertes Wissen über seine Person, seine Umgebung,<br />

und seine Geldgeschäfte sofort aufhorchen ließen. Er musste heraus bekommen, welcher seiner<br />

Gegner die Gelegenheit ihm zu schaden nutzen wollte. Dass sie irgendwie Kontakt nach außerhalb<br />

Iraks haben mußte, war für ihn auf der Hand gelegen. Deshalb sei ihm die Idee gekommen, sie zum<br />

Schein einkerkern und dies durchsickern zu lassen – mit Erfolg!<br />

Rashid nahm einen Schluck und beobachtete wie seine Ausführungen auf Sinia wirkten.<br />

„Ja richtig, zum Schein! Es hätte fast mein Leben gekostet!“, stellte sie bitter fest. „Hasan hat es nicht<br />

überlebt!“<br />

„Mit Recht!“, fuhr Rashid ruhig fort. „Ich war ziemlich überrascht als sich sehr schnell dieser Ali El<br />

Basan meldete, der vergeblich auf dich gewartet hatte und inzwischen längst wusste, <strong>das</strong>s wir dich<br />

abgefangen hatten. Voller Sorge beschwor er mich, dein Leben zu schonen und <strong>das</strong>s du nichts mit<br />

den Anschlägen auf die amerikanischen Firmen zu tun hättest, ja, selbst hintergangen wurdest. Damit<br />

bestätigte er mir nur, was ich längst geahnt hatte. Er verlangte, <strong>das</strong>s ich für deine Sicherheit garantierte.<br />

Im Gegenzug nannte er mir den Namen `Hasan´. Der Feigling hatte nur auf so eine Gelegenheit<br />

gewartet. Er glaubte tatsächlich auch für diese Verbrechen wieder andere büßen lassen zu können.<br />

Du warst ihm ein willkommenes Opfer!“<br />

„Ali? Ali hat mit dir gesprochen? Er hat mir nichts davon gesagt!“<br />

© S. Remida Remida<br />

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„Vielleicht wollte er nur nicht dein Vertrauen erschüttern! Er ist sicher ein feiner Mensch!“<br />

Sinia schüttelte den Kopf, warum hatte Ali ihr <strong>das</strong> verschwiegen? Sie waren doch Freunde! Er hätte<br />

es ihr erklären können! „Und du, du hast also alles gewußt und mich trotzdem gejagt und die ganze<br />

Zeit festgehalten!“ Wütend war sie aufgestanden. „Ich begreife <strong>das</strong> nicht. Du wolltest mich damit ärgern,<br />

ja? Das hat dir Spaß gemacht!“<br />

Rashid blieb ruhig. „Ich habe dich weder gejagt noch festgehalten!“, widersprach er. „Du vergißt, <strong>das</strong>s<br />

ich für deine Sicherheit verantwortlich war. Ich hatte nicht damit gerechnet, <strong>das</strong>s du einen Selbstmordversuch<br />

unternehmen würdest, tut mir leid! Und hast du wirklich geglaubt, ich würde dich in der<br />

Wildnis umkommen lassen, so krank wie du warst? Oder dich in diesem kritischen Zustand zurückschicken?<br />

Wenn dir etwas geschehen wäre! Nein, du mußtest erst gesund werden!“<br />

„Wie konnte mir nur entgehen, wie besorgt du um mich warst!“<br />

„Aber <strong>das</strong> war ich wirklich. Hast du <strong>das</strong> nicht gemerkt?“, erklärte Rashid ernst.<br />

„Und unterdessen ist Hasan bei einem Unfall ums Leben gekommen, der aber keiner war, richtig!“<br />

„Doch, leider“, griff Rashid den Faden wieder auf. „Wir wußten durch El Basan, wo er sich versteckt<br />

hielt, während sich seine Schergen mit Feuer- oder Sprengstofflegen systematisch die Betriebe auf<br />

dieser Liste vornahmen und auch Menschen gefährdeten, selbst als die Männer längst schon frei<br />

waren. Wir mussten <strong>das</strong>, – wir mussten ihn ein für alle mal stoppen. Wir hatten ihn schnell gefunden.<br />

Aber er entkam meinen Leuten, ehe sie ihn zur Rede stellen konnten. Offenbar war aber sein Herz<br />

der Verfolgungsjagd nicht gewachsen. Er hatte schon lange Herzproblemen. So wie es mir meine<br />

Männer schilderten, nehme ich an, war <strong>das</strong> der Grund, weshalb er von der geraden Straße abkam<br />

und in die Tiefe stürzte. Ein schöner schneller Tod! Ich hatte ihm einen anderen gewünscht.“<br />

„Ohne mich würde er also noch leben und hätte es auch keine Anschläge gegeben,“ stellte Sinia fest.<br />

„Warum habe ich mich nicht um meine Kinder gekümmert, statt die viele, viele Zeit damit vergeudet<br />

zu haben, eure komplizierte Sprache lernen zu wollen, mich mit Judo zu quälen! Was für eine idiotische<br />

Idee <strong>das</strong> war, mich in dein Land zu schleichen und dich erpressen zu wollen! Wieviel Zeit ich<br />

sinnlos vertan habe! Und dabei war alles so unnötig! Und wie viele habe ich durch diesen Unsinn<br />

gefährdet!“<br />

Rashid war zu ihr gegangen und stand nun vor ihr, unschlüssig, ob er sie in den Arm nehmen und<br />

trösten sollte. „Durch dich sind a l l e Geiseln gerettet worden, verstehst du? Hasan hätten wir auch<br />

ohne dich früher oder später erwischt! Er wollte es nicht anders! Außerdem hätte er dich nie davonkommen<br />

lassen. Du hast dir wirklich nichts vorzuwerfen! Wenn jemand Fehler gemacht hat, dann war<br />

<strong>das</strong> i c h ! Aber ich bedaure keinen einzigen, der dich zu mir gebracht hat!“<br />

Sinia quälte die Frage: „Bist du noch hinter anderen her?“<br />

„Weißt du noch jemanden?“, erkundigte er sich lächelnd.<br />

Sinia zuckte die Schultern. „Mich!“<br />

„Richtig! Darum wäre es <strong>das</strong> Beste, wenn du bleibt!“<br />

Sinia starrte ihn verständnislos an. „Was soll <strong>das</strong>?“<br />

Rashid umfasste ihre Schultern. „Mit dir wurde die Entführungsgeschichte und <strong>das</strong>, was für mich herausspringen<br />

sollte, bedeutungslos. Ich wollte es schnell hinter mich bringen und hoffte, <strong>das</strong> würde<br />

Eindruck auf dich machen. Und ich mußte wissen, wer alles dahinter steckt, ob vielleicht auch d u in<br />

Gefahr warst! Hasan hätte dich nicht am Leben gelassen, weil du zu viel wußtest. Ich kenne ihn!<br />

Auch deshalb ließ ich ihn suchen. Und außerdem hoffte ich immer irgendwie, du würdest bleiben,<br />

verstehst du nicht? Wir alle möchten..., ich möchte, <strong>das</strong>s du zurückkommst!“<br />

Sinia war verwirrt. Weshalb war sie eigentlich hierher gekommen? Versuchte er nicht die ganze Zeit<br />

ihr klar zu machen, <strong>das</strong>s er sie vermißt hatte? Sie war darauf nicht gefaßt gewesen, wie sollte sie<br />

reagieren? Sie spürte, <strong>das</strong>s er es ehrlich meinte, doch ihr Verstand mahnte zu gehen. „Es geht nicht.<br />

Es ist zu spät. Ich habe eine Familie, hörst du!“ Sie sah in forschend an. Wie sehr sie ihn doch auch<br />

mochte, oder war es gar mehr? „Ohne sie würdest du mich vielleicht nicht mehr so schnell loswerden.<br />

Aber die Zeit läßt sich nicht zurückdrehen.“<br />

„Das ist auch nicht nötig, es gibt so was wie Bestimmung. Ich vertraue der Zukunft!“ Er lächelte vielsagend<br />

und zog sie näher an sich. „Keine Angst, Sinia, ich lasse dich gehen, und niemand wird dich<br />

aufzuhalten versuchen! Ich weiß, <strong>das</strong>s sich unsere Wege wieder kreuzen. Irgendwie. Irgendwann.<br />

© S. Remida Remida<br />

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Aber überlassen wir <strong>das</strong> dem <strong>Schicksal</strong>.“<br />

Nur widerwillig wand sich Sinia aus seinem Griff. Aber die Vernunft rief! „Ich muß gehen, tut mir leid. Oh, noch<br />

deine Jacke!“<br />

„Nein, laß! Dann hast du vielleicht einen Grund, mich mal zu besuchen!“ Er zog sie noch einmal an<br />

sich und gab ihr einen Kuß auf die Stirn. „In der Tasche ist noch etwas, damit du mich auch nicht vergisst!“,<br />

flüsterte er schelmisch und ließ sie los.<br />

„Allah beschütze dich!“ Sinia hauchte ihm einen Kuß auf die Wange, dann ging sie zu Tür. Sie drehte<br />

sich noch einmal um und sah Rashid an.<br />

Plötzlich hatte sie <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s sie diesen geheimnisvollen Mann, dessen bloßes Foto sie schon<br />

tief beeindruckt und immer eine leise Sehnsucht geweckt hatte, der stets zur Stelle war und Schutz<br />

bedeutete, wenn sie sich in höchster Bedrängnis befand, der ohne zudringlich zu werden ihr seine<br />

Sympathie zeigte, in dessen Gegenwart sie sich geborgen fühlte und der bei ihr oft <strong>das</strong> Gefühl geweckt<br />

hatte, als würden sie sich schon ewig kennen, <strong>das</strong>s sie diesen Mann wahrscheinlich nie mehr<br />

wiedersehen würde. Sie wußte, <strong>das</strong>s die Erinnerung dann <strong>das</strong> Einzige war, was ihr von ihm bleiben<br />

würde. Ein letztes Mal wollte sie ihm ganz nah sein. „Rashid“, begann sie zögernd, „bevor ich gehe,<br />

habe ich noch eine Bitte...“<br />

Mit leiser Stimme sagte er: „Alles was du willst.“<br />

„Ich, ich möchte.... Nimmst du mich noch einmal in deine Arme?“<br />

„Komm!“ Mit einem leisen Lächeln hielt er seine Arme auf. Sinia rannte zu ihm, bleib aber weniger<br />

Schritte vor ihm unschlüssig stehen. Aufmunternd ging er auf sie zu und sie warf sich an seine Brust<br />

und schlang ihre Arme um seinen Hals. Sie fühlte seine kräftige Umarmung, seine Küsse auf ihrem<br />

Haar und sein Herz beruhigend schlagen. Und sie wünschte sich nur, die Zeit würde stehenbleiben.<br />

„Versprich mir, <strong>das</strong>s du gut auf dich aufpaßt und egal was ist, ich bin immer für dich da, vergiß <strong>das</strong><br />

nicht, ja?“ Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und streichte mit seinen Daumen zart über ihre Wangen.<br />

„Ich möchte, <strong>das</strong>s ein paar Männer dich zurückbegleiten!“<br />

„Nein, ich bin alleine gekommen und ich gehe alleine. Keine Angst, es ist alles organisiert. Außerdem,<br />

du vertraust doch dem <strong>Schicksal</strong>!“, wehrte Sinia seinen Wunsch ab.<br />

„Bitte! Ich werde keine Ruhe haben, bis ich weiß, <strong>das</strong>s du sicher zu Hause angekommen bist“, flüsterte<br />

er besorgt. Er beugte sich zu ihr bis seine Lippen die ihren berührten und dann küssten sie sich.<br />

Es war ein langer Abschiedskuß. Dann ließen sie sich los. Sinia sah ihn verlegen an, sie mußte ihm<br />

noch etwas sagen. „Ich denke, jetzt, wo ich geh, kannst ich es dir sagen, ich glaube, ich habe mich<br />

in dich verliebt!“<br />

Rashids schwarzen Augen leuchteten auf. „Ich habe dich immer geliebt!“<br />

„Also, ich, ich muss dann... Leb wohl!“ Sinia ging zögernd ein paar Schritte zurück, lächelte ihn an,<br />

dann wandte sie sich um und ging hinaus.<br />

„Bis später!“, hörte sie Rashid hinter sich sagen. Er ließ sie vorgehen. Er wußte, <strong>das</strong>s er sie nicht<br />

aufhalten konnte, nicht aufhalten brauchte. Das <strong>Schicksal</strong> würde nun seinen Lauf nehmen. Dennoch<br />

war er zutiefst beunruhigt. Am liebsten hätte er sie selbst bis nach Hause begleitet. Aber <strong>das</strong> ging ja<br />

nicht!<br />

Die Vorhalle war leer. Draußen kam Jaffar auf Sinia zu. „Hallo Sinia, ich freu mich so, dich zu sehen!“,<br />

rief er ihr auf deutsch entgegen. Freundschaftlich nahm er sie in die Arme und gab ihr einen<br />

angedeuteten Kuß auf die Wangen.<br />

„Ich hatte dich schon vermisst!“, freute sie sich ehrlich.<br />

„Oh, ich habe vorhin deinen starken Auftritt gesehen und wollte nicht stören! Du hast mit Rashid geredet.<br />

Und? Bleibst du, ja?“ Gemeinsam gingen sie weiter.<br />

„Nein.“<br />

„Er läßt dich gehen, aber ich dachte...“<br />

„Was?“ Sinia sah ihn belustigt an.<br />

Ach, ich glaubte immer, du wärst es!“<br />

„Wer? Raus mit der Sprache!“, erkundigte sie sich gutgelaunt.<br />

„Ach nichts! Wahrscheinlich lachst du mich aus!“<br />

© S. Remida Remida<br />

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„Nein, warum? Gibt es etwas, was ich nicht wissen sollte?“<br />

„Ich weiß nicht. Aber warum soll ich es dir nicht sagen, vielleicht verstehst du dann manches besser,<br />

was dir seltsam erschien.“ Jaffar blickte prüfend zu Sinia. Und während sie die lange Treppe hinabgingen<br />

begann er: „Mein Vater hat es mir erzählt. Mein Großvater konnte manchmal Dinge voraussehen.<br />

Ich habe ihn leider nie kennengelernt, er ist vor meiner Geburt gestorben. Als Rashid noch ein<br />

Junge war, sind sie sich mal begegnet. Und Großvater sagte ihm voraus, <strong>das</strong>s er in die Politik gehen<br />

und ein reicher Mann werden und zwei Kinder haben würde. Das zweite würde von seiner großen<br />

Liebe sein. Aber auf die müsse er lange warten. Sie wird aus einem fernen Land sein und nur kommen,<br />

weil sie seine Hilfe brauche und er wird sich in sie verlieben. Sie wird sogar wieder zurückgehen.<br />

Aber bevor sie geht, wird sie ihm sagen, <strong>das</strong>s sie ihn liebt. Rashid solle sich nur gedulden, denn<br />

Kismeth werde sie wieder zusammenführen.“<br />

Sinia fühlte eine heiße Welle in sich hochsteigen. „So ein Quatsch! Gib zu, <strong>das</strong> hast du gerade erfunden!“<br />

Jaffar wehrte ernst ab: „So hat es mir mein Vater gesagt! Ist schon seltsam, nicht?“<br />

„Was glaubst du, wie vielen Ausländerinnen Rashid schon begegnet ist und noch begegnen wird. Da<br />

hätte dein armer Minister ja ganz schön zu tun!“, gab Sinia zu bedenken.<br />

„Du glaubst mir nicht!“ Jaffar war ehrlich enttäuscht.<br />

„Ist ja auch ein ziemlicher Hammer! Hat er noch mehr prophezeit? Auch dir?“<br />

Jaffar zögerte. „Nein. - Und ich würde ein Leben gleich dem großen Strom führen, der gemächlich<br />

dahinfließt. Was in der Art soll er Vater über sein jüngstes Kind gesagt haben“, tat er seine eigenen<br />

Vorsagen als unwichtig ab und erklärte: „Aber wegen Großvaters Vorahnungen wollte mich mein Vater<br />

immer in Safars Nähe wissen.“ Dass Großvater seinem Vater noch erzählt hatte, <strong>das</strong>s Rashid<br />

seine schönsten Jahre gemeinsam mit dieser Frau verleben und bei ihrem, durch fremde Hand verschuldeten<br />

Tod an gebrochenem Herzen sterben würde, behielt er besser für sich. Er wußte es und<br />

war deshalb da, um diese letzte düstere Vision abzuwenden, sollten sich die anderen Voraussagen<br />

noch erfüllen. Das <strong>Schicksal</strong> musste auch abzuändern sein!<br />

„Na, dann lass dich mal überraschen! Würde mich auch interessieren, ob er noch seine Traumfrau<br />

findet!“, witzelte Sinia.<br />

Sie waren unten angekommen. Karim wartete schon, im Arm die eingesammelten Kleidungsstücke<br />

von Sinia. „Soll, <strong>das</strong> heißen, du gehst?“, empfing er sie ungläubig diesmal in Englisch.<br />

Sinia nickte.<br />

„Und dafür habe ich mir so eine Mühe gegeben?“, fragte er aufgebracht.<br />

„Ach ja, der Killer! Was sollte der eigentlich tun?“, wollte Sinia wissen.<br />

„Was wohl? Dich natürlich zurückbringen! Aber dann hattest du ja die gleiche Idee!“<br />

„Gott sei Dank! Sonst würde ich jetzt wohl tot vor euch hier rumliegen!“<br />

„Das ist nicht wahr! Er hatte Auftrag, dich lebend zurückzuholen!“, wehrte sich Karim empört gegen<br />

ihre Unterstellung. „Musst übrigens einflussreiche Freunde haben, die sich um dich sorgen!“<br />

„So? Nicht <strong>das</strong>s ich wüsste!“<br />

„Doch, scheint jedenfalls paar Leute ganz schön aufgeschreckt zu haben. Mein Kurier ist ihnen gerade<br />

noch entwischt. Und jetzt willst du uns wirklich wieder verlassen?“ Karim sah Sinia unglücklich an.<br />

„Du weißt ja nicht! Seit du weg warst, ist mein Vater nicht auszuhalten!“, stöhnte er.<br />

„Oh, es gibt jemanden schlimmeres als dich?“, fragte Sinia mitleidig.<br />

„Gehst du wegen mir?“, meinte Karim daran schuld zu sein.<br />

„Nein, wegen mir!“, beruhigte ihn Sinia lächeln.<br />

Jaffar mischte sich ein. „Wir begleiten dich natürlich!“<br />

„Nein, <strong>das</strong> habe ich schon Rashid gesagt. Keine Angst, von hier bis zum Flughafen ist alles bestens<br />

organisiert. Mir passiert schon nichts, wenn <strong>das</strong> eure Sorge ist!“ Sinia öffnete die Autotür.<br />

„Hätte ich mir ja denken können, <strong>das</strong>s da kein Sprengstoff drin ist“, stellte Karim mit Blick auf den<br />

Rover fest und hielt ihr die Kleider hin. Sinia nahm sie ihm ab und warf alles außer ihrer langen Jacke<br />

auf den Rücksitz. Dann wechselte sie ihre Jacke gegen Rashids Jackett, griff sich die keine in Goldpapier<br />

hübsch eingewickelte Schachtel aus der Tasche und gab <strong>das</strong> Jackett Jaffar zurück. „Sag ihm,<br />

ich brauche <strong>das</strong> nicht um ihn wiederzusehen!“ Sie sah nach oben. Auf dem Plateau stand Rashid und<br />

© S. Remida Remida<br />

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hob zum Abschied die Hand. Das Sonnenlicht fiel seitlich auf sein Gesicht und so konnte sie seine<br />

Züge deutlich sehen. Er lächelte.<br />

Sie wandte sich an Karim um Lebewohl zu sagen und stieg ein. Dann holte sie <strong>das</strong> Handy hervor und<br />

tippte die Kennnummer ein. „Ich fahre jetzt ab“, sagte sie und hörte die bekannte Stimme des Piloten.<br />

„Okay, ich werde pünktlich da sein und warten. Sonst alles klar?“<br />

„Kein Problem!“<br />

Jaffar gab ihr die Hand. „Allah, beschütze dich!“<br />

Sinia zog ihn zu sich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Pass auf dich auf, mein Schutzengel<br />

und auf ihn, ja? Und grüße Samira von mir!“<br />

Verstohlen wischte er sich über die Augen.<br />

Sie starte den Wagen. „Ach, Karim, fürs nächste Mal, eine einfache Einladung reicht völlig!“<br />

Karim grinste breit.<br />

Sie fuhr den Geländewagen ein Stück zurück. Oben sah sie immer noch Rashid stehen. Dann lenkte<br />

sie <strong>das</strong> Fahrzeug langsam über dem holprigen Boden auf den Weg zurück. Bald war sie hinter den<br />

Büschen und Felsen verschwunden.<br />

Da sie die Straße schon kannte, brauchte sie sich nicht so sehr darauf zu konzentrieren wie bei der<br />

Herfahrt. Ihre Gedanken kreisten ohnehin um <strong>das</strong>, was Jaffar ihr mit viel Ernst gesagt hatte. Je länger<br />

sie darüber nachdachte, um so mehr kam sie zu der Überzeugung, <strong>das</strong>s Rashid tatsächlich in ihr die<br />

vorbestimmte Frau gesehen haben könnte. Und um so klarer erkannte sie, <strong>das</strong>s es alleine dieser<br />

seltsamen Voraussage zu verdanken war, <strong>das</strong>s sie dieses gefährliche Abenteuer so gut überstanden,<br />

ja, überlebt hatte.<br />

Was für ein unglaublicher Zufall, ausgerechnet dem Mann begegnet zu sein, der nicht nur tief in die<br />

Entführungsgeschichte verstrickt war, sondern der auch sein <strong>Schicksal</strong> zu kennen meinte und<br />

scheinbar immer noch an die Erfüllung einer unglaublichen Vision eines alten Mannes glaubte.<br />

Wie ähnlich sich doch die Menschen in ihren innersten Träumen und Wünschen sind – selbst über<br />

jede Kulturgrenze hinweg! <strong>Schicksal</strong>! Warum hatte sie sich nie ihre Zukunft deuten lassen? Und<br />

wieder war da Rashid - sie mußte die Sehnsucht nach ihm bekämpfen. In ihrem Leben durfte es dafür<br />

keinen Platz mehr geben!<br />

Der Stand der Sonne zeigte auf späten Nachmittag. Die Straße lag wie ein endloses Band vor ihr. Am<br />

Himmel entdeckte sie <strong>das</strong> Sportflugzeug, <strong>das</strong> von einem leisen, gleichmäßig tiefen Brummen begleitet,<br />

ihr entgegen flog. Im Gegenlicht wirkte es zerbrechlich wie Glas. Ein schöner Anblick! Ein schöner<br />

Tag! Das Leben war schön! Sinia fielen ihre Kinder ein, Andy, Nadine, Anja! Schon bald würde<br />

sie wieder bei ihrer kleinen Rasselbande sein und bei Chris! Wie nah sie sich ihnen auf einmal fühlte<br />

und in Gedanken war sie schon fast zu Hause.<br />

Über dreitausend Kilometer entfernt......<br />

© S. Remida Remida<br />

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© S. Remida Remida<br />

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