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leiten lernen - Willow Creek

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Leitungskongress AnzeiGen<br />

selbst als vom Staat getrennt erklären.<br />

Allein darum geht es in der „Barmer<br />

Theologischen Erklärung“, die ich im<br />

Buch ausführlich zitiere. Sie zog eine<br />

mutige Grenze zwischen Kirche und<br />

Nationalsozialismus.<br />

In einem Interview sagten<br />

Sie: „Gott hat mich dazu berufen, gerade<br />

jetzt dieses Buch zu schreiben“, weil<br />

es zwischen dem damaligen Deutschland<br />

und den heutigen USA „verblüffende“<br />

Parallelen gibt. Welche?<br />

Viele! Die mir allerdings erst während<br />

der Recherche und beim Schreiben<br />

aufgingen. Bei der Entscheidung, das<br />

Buch zu schreiben, haben sie keine Rolle<br />

gespielt. Erst im Rückblick habe ich<br />

gemerkt, dass die Berufung über Bonhoeffer<br />

zu schreiben, etwas mit diesen<br />

Parallelen heute zu tun hat. Sie ergeben<br />

sich wie selbstverständlich aus der Geschichte.<br />

Wir stehen heute vor derselben Frage,<br />

wie sie sich 1930 den Deutschen<br />

Eric Metaxas studierte in Yale und arbeitet als Journalist<br />

(New York Times, CNN u.a.) und Autor. Er ist Referent beim<br />

Leitungskongress in Stuttgart vom 26.-28. Januar in Stuttgart.<br />

8<br />

stellte. Wann ist der Punkt erreicht,<br />

an dem staatliche Belange so in die<br />

Autorität der Kirche eingreifen, dass<br />

die Kirche ein deutliches Stoppsignal<br />

setzen muss? Ist die Kirche gesund<br />

und erfüllt sie ihre Rolle, wird sie das<br />

hemmungslose Wachstum des Staates<br />

kritisch hinterfragen und ihre Mitglieder<br />

– und andere – vor unrechtmäßiger<br />

Staatsmacht schützen. In seinem berühmten<br />

Aufsatz „Die Kirche vor der<br />

Judenfrage“ hat sich Bonhoeffer damit<br />

beschäftigt. Er sagte, die Kirche müsse<br />

auf drei unterschiedliche Arten mit<br />

dem Staat umgehen. Erstens muss sie<br />

den Staat in Frage stellen. In gewissem<br />

Sinne muss sie von der Regierung<br />

Rechenschaft verlangen und bei unrechtmäßigem<br />

Verhalten klar Stellung<br />

beziehen. Zweitens ist es Aufgabe der<br />

Kirche, jenen zu helfen, denen der<br />

Staat Schaden zufügt. Und drittens –<br />

dies ist der radikalste Punkt – ist es<br />

Aufgabe der Gemeinde, sich dem Staat<br />

direkt entgegenzustellen. An diesem<br />

Punkt haben sich viele von ihm abgewendet.<br />

Sie konnten nicht glauben, dass<br />

ein guter deutscher Lutheraner zu so einer<br />

Aussage kommen kann. Aber Bonhoeffer<br />

war in erster Linie Christ, und<br />

erst an zweiter Stelle Deutscher.<br />

Derartige Übergriffe des Staates betreffen<br />

grundlegende Dinge, z.B. die<br />

Definition menschlichen Lebens. Die<br />

Nazis glaubten nicht, dass menschliches<br />

Leben heilig sei, weil sie nicht<br />

glaubten, dass der Mensch nach dem<br />

Bilde Gottes geschaffen ist. Sie waren<br />

Heiden mit einer darwinistischen<br />

Weltsicht und fingen an,<br />

Menschsein gemäß dieser<br />

düsteren, utilitaristischen<br />

Weltanschauung „per Gesetz“<br />

zu definieren. Danach<br />

war ein deutscher<br />

Jude – anders als ein<br />

deutscher Heide – nicht<br />

länger ein menschliches<br />

Wesen. Und ein geistig<br />

oder körperlich behinderter<br />

Mensch stand<br />

nicht auf einer Stufe<br />

mit anderen, war daher<br />

ein „Wegwerfartikel“.<br />

Jüdische Embryo-<br />

nen konnten legal abgetrieben werden,<br />

deutsche Babys nicht. Die Definitionen<br />

durch die Nazis waren eine offensive<br />

Herausforderung für die Überzeugungen<br />

aller ernsthaften Christen. Daher<br />

musste die Kirche eine Entscheidung<br />

treffen: Kirche sein und den Staat<br />

in diesen Fragen bekämpfen oder den<br />

staatlichen Definitionen von Menschsein<br />

zustimmen und aufhören Kirche<br />

zu sein. Die meisten Kirchenmitglieder<br />

fanden sich mit den Definitionen ab.<br />

Diejenigen, die es nicht taten, gründeten<br />

die Bekennende Kirche – natürlich<br />

war Bonhoeffer einer ihrer führenden<br />

Köpfe.<br />

Eine weitere Parallele dreht sich um<br />

das Christentum selbst: Was ist es, wer<br />

entscheidet darüber? Den Nazis gefielen<br />

bestimmte Dinge am christlichen<br />

Glauben nicht, also entschieden sie<br />

sich kurzerhand für eine Neudefinition<br />

des Christentums. Das ist immer<br />

gefährlich und geschieht auch heute.<br />

Wenn wir beschließen, zweitausend<br />

Jahre alte Lehren ad acta zu legen, weil<br />

sie uns nicht in den Kram passen, weil<br />

sie uns altmodisch erscheinen oder<br />

weil sie im kulturellen Kontext unbequem<br />

sind, dann sollten wir vorsichtig<br />

sein. Die Folgen könnten mehr als<br />

überraschend sein! Gottes Wahrheiten<br />

gelten ewig – sonst sind sie nicht<br />

Gottes Wahrheiten.<br />

Eine weitere Parallele betrifft die angemessene<br />

christliche Reaktion auf Aggression<br />

und Böses. Viele Christen fühlen<br />

sich unwohl, wenn sie etwas „böse“<br />

nennen sollen, selbst wenn sie sich davon<br />

bedroht fühlen. Vielleicht macht sie<br />

gerade das unfähig zu einer konkreten<br />

Stellungnahme. Andere scheren sich<br />

keinen Deut um Gottes Sicht der Dinge<br />

und tun alles, um das zu bekämpfen,<br />

was in ihren Augen böse ist. Bonhoeffer<br />

allerdings macht sich die Mühe,<br />

folgende Frage zu stellen: „Was ist die<br />

christliche Sicht?“ Es steht außer Frage,<br />

dass für ihn die Nazis böse waren. Und<br />

er ärgerte sich über seine Mitchristen,<br />

die sich diesem Gedanken nicht anschließen<br />

wollten, die nur allzu bereit<br />

waren, Nachsicht zu üben und sich auf<br />

einen „Dialog“ mit ihnen einzulassen.<br />

Bonhoeffer war klar, dass er das schlim-<br />

me Treiben der Nazis nicht unwidersprochen lassen konnte.<br />

Die Frage war nur: Wie? Was sagte Gott dazu?<br />

Militanter und radikaler Islamfaschismus zwingt uns heute<br />

zu genau den gleichen Fragen. Hier den Weg des Friedens<br />

einzuschlagen, verringert die Bedrohung, aber seinen Anhängern<br />

das Menschsein abzusprechen, ist kein christlicher Ansatz.<br />

Was also ist der christliche Ansatz? Bonhoeffer war beim<br />

Nachspüren dieser Frage sehr einsam, aber ich glaube, seine<br />

Antwort weist auch uns heute den Weg. Wir brauchen Bonhoeffer,<br />

um diese Frage beantworten zu können. Damals verhallten<br />

seine Warnungen an die Kirche ungehört. Ich hoffe,<br />

dass wir heute hören, was er zu sagen hat und uns hinführen<br />

lassen zu einem angemessenen Ansatz im Umgang mit diesem<br />

entscheidenden Thema.<br />

Sie beschreiben Bonhoeffer als „Propheten“. Welche<br />

Lektionen über authentischen Glauben und politische<br />

Themen möchten Sie Ihren Lesern mit der Beschreibung von<br />

Bonhoeffers Leben vermitteln?<br />

Die wichtigste Lektion hat zu tun mit dem Unterschied zwischen<br />

bloßer „Religion“ und einem echten Glauben an den<br />

Gott, der uns geschaffen hat und uns liebt. Bonhoeffers Leben<br />

dreht sich einzig und allein um diesen Unterschied, und<br />

ich glaube, wir müssen hören, was er uns dazu zu sagen hat.<br />

Sein Leben ist ein Bild, das diesen Unterschied klar zeigt.<br />

Darum habe ich auch eine Biographie geschrieben und keine<br />

theologische Abhandlung. Die Beschäftigung mit einem<br />

Leben, das eine solche Schönheit, Integrität, Authentizität<br />

und solch einen Mut aufweist, war unglaublich inspirierend.<br />

Ich kann mir nichts vorstellen, was mehr über den Sinn<br />

des Lebens sagt als dieses Leben. Und ich kann nur hoffen,<br />

dass ich es auf eine Art und Weise erzähle, die ihm auch<br />

gerecht wird.<br />

Das interview erschien in der Dezember-Ausgabe 2010<br />

des Harper´s Magazine. nachdruck mit erlaubnis.<br />

Übersetzung: Antje gerner.<br />

Bonhoeffer –<br />

Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet<br />

SCM Hänssler, 688 Seiten, € 29,95<br />

Der<br />

new-York-times-<br />

Bestseller:

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