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Quelle: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 51 ... - Mises.de

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Neue Beiträge zum Problem <strong>de</strong>r sozialistischen<br />

Wirtschaftsrechnung.<br />

Von<br />

LUDWIG MISES.<br />

Das Problem <strong>de</strong>r Wirtschaftsrechnung ist das Haupt- <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>problem <strong>de</strong>s Sozialismus.<br />

Daß man es bis in die jüngste Zeit nicht einmal gesehen hat, ist auf zwei Umstän<strong>de</strong><br />

zurückzuführen. Für die Anhänger <strong>de</strong>r objektiven Werttheorien lag hier überhaupt kein<br />

Problem. Wenn <strong>de</strong>r Wert objektiv erkennbar <strong>und</strong> rechenbar ist, dann kann auch einer<br />

sozialistischen Gesellschaftsordnung in <strong>de</strong>r Wirtschaftsrechnung keine Schwierigkeit<br />

erwachsen. Hätte man freilich versucht, die Gestaltung einer gemeinwirtschaftlichen<br />

Gesellschaftsordnung durchzu<strong>de</strong>nken, dann hätten sich die Wi<strong>de</strong>rsprüche <strong>de</strong>r<br />

objektivistischen Wertlehren bald zeigen müssen, <strong>und</strong> man wäre wohl auch von dieser Seite<br />

her zur Erkenntnis gelangt, daß es mit <strong>de</strong>r klassischen Wertlehre nicht gelingen kann, das<br />

Wertproblem befriedigend zu lösen. Doch die Beschäftigung mit <strong>de</strong>n Problemen <strong>de</strong>r<br />

sozialistischen Gesellschafts- <strong>und</strong> Wirtschaftsordnung war vom Marxismus mit einem<br />

strengen Verbot belegt wor<strong>de</strong>n, das je<strong>de</strong>r achten mußte, <strong>de</strong>r sich nicht <strong>de</strong>m Verdachte <strong>de</strong>r<br />

Unwissenschaftlichkeit aussetzen wollte. Man durfte <strong>de</strong>n Sozialismus preisen, man durfte<br />

jedoch über ihn nicht nach<strong>de</strong>nken.<br />

Jetzt aber ist das Problem einmal gestellt wor<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> man kann ihm nicht länger behutsam<br />

ausweichen. Ich glaube <strong>de</strong>n Nachweis erbracht zu haben, daß ein sozialistisches<br />

Gemeinwesen überhaupt nicht imstan<strong>de</strong> wäre, in <strong>de</strong>r Wirtschaft zu rechnen, so daß<br />

Wirtschaften, rationales Han<strong>de</strong>ln, im Sozialismus nicht durchführbar wäre 1 . Nun liegen<br />

einige Arbeiten vor, die zu einem an<strong>de</strong>rn Ergebnis gelangen wollen 2 .<br />

Das Buch von Arthur Wolfgang Cohn ist die Doktorarbeit eines hochbegabten <strong>und</strong><br />

vielversprechen<strong>de</strong>n jungen Gelehrten, <strong>de</strong>n ein beklagenswerter Unfall vorzeitig weggerafft<br />

hat 3 . Cohn gibt zunächst eine Darstellung <strong>de</strong>r literarischen Behandlung <strong>de</strong>s Problems, wobei<br />

er die ihm am wichtigsten erscheinen<strong>de</strong>n Stellen aus meinem oben erwähnten Aufsatze<br />

wortgetreu anführt. Im allgemeinen scheint er zunächst meinen Ausführungen zuzustimmen.<br />

Dann aber gelangt er unvermittelt zur Feststellung, daß das Problem, <strong>de</strong>ssen Lösung ich als<br />

unmöglich bezeichnet habe, schon längst durch Schäffles Sozialtaxe gelöst sei; es sei ein<br />

Fehler, daß ich <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>r Sozialtaxe gar nicht ins Auge gefaßt habe 4 . Schäffles<br />

Vorschlag ist lei<strong>de</strong>r ganz <strong>und</strong> gar unbrauchbar; er beruht auf Verkennung <strong>de</strong>s Wesens unseres<br />

Problems. Schäffle will seine Taxen durch behördlichen Spruch festsetzen lassen.<br />

»Öffentliche Organe <strong>de</strong>r Produktionsgewerkschaften <strong>und</strong> Vertreter <strong>de</strong>r Konsumenten (etwa<br />

die Lagerbehör<strong>de</strong>n, bei welchen die Bedarfe zum Übergang in <strong>de</strong>n Konsum liegen), müßten<br />

zusammentreten. ... Ihnen wäre durch die Zentralstelle <strong>de</strong>r Produktionsbuchhaltungen<br />

bekannt, <strong>de</strong>n wievielten Teil <strong>de</strong>r sozialen Arbeitszeit eine bestimmte Menge einer bestimmten<br />

1<br />

»Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen« (in diesem <strong>Archiv</strong>, 47. Bd., S. 86-121) <strong>und</strong> »Die<br />

Gemeinwirtschaft, Untersuchungen über <strong>de</strong>n Sozialismus«, Jena 1922 (bes. S. 100-110, 119-129, 199-210).<br />

2<br />

Der kurze Aufsatz von Franz Meyer, »Die Krisis in <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>r Sozialisierung« (Sozialistische<br />

Monatshefte, 60. Bd., S. 150-154) begnügt sich damit, das Problem <strong>de</strong>r sozialistischen Wirtschaftsrechnung zu<br />

umschreiben, verzichtet jedoch darauf, seine Lösung zu versuchen.<br />

3<br />

Vgl. A. W. Cohn, »Kann das Geld abgeschafft wer<strong>de</strong>n? «, Jena 1920 (Verlag Gustav Fischer).<br />

4<br />

A. a. O. S. 128.


Güterart (zu bestimmter Zeit an bestimmte Orte geliefert) kostet. Bei einem <strong>de</strong>n Vorrat<br />

übersteigen<strong>de</strong>n Stand <strong>und</strong> hoher Dringlichkeit <strong>de</strong>r Nachfrage müßte die Taxe höher als <strong>de</strong>r<br />

durchschnittliche Arbeitskostensatz angesetzt wer<strong>de</strong>n, im umgekehrten Falle niedriger. Hie<strong>für</strong><br />

wür<strong>de</strong>n vielleicht aus <strong>de</strong>r Erfahrung Skalen sich feststellen lassen, die eine fast mechanische,<br />

sichere, willkürfreie Taxregulierung sichern wür<strong>de</strong>n« 5 . Das ist das Verfahren, das Schäffle<br />

<strong>für</strong> »die Feststellung <strong>de</strong>r Liquidationstaxen zwischen Arbeitsguthaben <strong>und</strong><br />

Gesellschaftsvorräten im Sozialistenstaat« empfiehlt. Für diesen Zweck, aber auch nur <strong>für</strong><br />

diesen, ist es nun zweifellos ebenso brauchbar wie je<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>re Verfahren, das man<br />

vorschlagen könnte. Ob man es gera<strong>de</strong> <strong>für</strong> »gerecht« ansehen will o<strong>de</strong>r nicht, das ist eine<br />

an<strong>de</strong>re Frage, die uns hier nicht weiter kümmert; nur das ist zu erörtern, ob man es überhaupt<br />

anwen<strong>de</strong>n kann, <strong>und</strong> diese Frage kann bejaht wer<strong>de</strong>n. Denn, das sozialistische Gemeinwesen<br />

kann die Verteilung <strong>de</strong>r Güter nach beliebigen Gr<strong>und</strong>sätzen vornehmen; nur wenn es bei <strong>de</strong>r<br />

Zuweisung <strong>de</strong>r Anteile verschie<strong>de</strong>ne Güter wechselseitig vertretbar machen will, ist es an die<br />

Austauschverhältnisse geb<strong>und</strong>en, die sich in <strong>de</strong>m allein zulässigen Tausch von Genußgütern<br />

gegen Genußgüter bil<strong>de</strong>n 6 . Ganz an<strong>de</strong>rs aber steht es mit <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Brauchbarkeit dieser<br />

Sozialtaxe <strong>für</strong> die Wirtschaftsrechnung; hier versagt sie vollkommen. Ihr gegenüber gilt all<br />

das, was ich in meinen obenerwähnten Arbeiten ausgeführt habe. Schäffles Gr<strong>und</strong>irrtum liegt<br />

darin, daß er glaubt, es gebe ein »sozialistisches«, ein »direkt gesellschaftliches Wertmaß«,<br />

das »in einem aliquoten Teil <strong>de</strong>r wirklich geleisteten Gesamtmasse gesellschaftlicher<br />

(sozialisierter) Arbeitszeit bzw. ihres Ertrages« bestehe 7 . »Kapitalistisch verwertete Arbeit«<br />

könne allerdings »nicht gesellschaftliches Wertmaß wer<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn sie läßt sich als Einheit<br />

nicht real darstellen, es kann daher auch kein aliquoter Teil von ihr Wertmaß wer<strong>de</strong>n. Bei<br />

kollektivistischer Produktion dagegen wäre gesellschaftliche Arbeit eine erfaßbare Realität,<br />

ihre Verwendung als Wertmaß allein natürlich« 8 . Schäffles werttheoretische Anschauungen<br />

waren viel zu wenig durchdacht, als daß er die elementaren Mängel seiner Aufstellung hätte<br />

bemerken können. Gewisse Be<strong>de</strong>nken sind ihm später freilich selbst gekommen 9 .<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich hat er an seinen I<strong>de</strong>en aber trotz<strong>de</strong>m festgehalten 10 . Schäffle war weit entfernt<br />

davon, das Problem auch nur richtig zu erfassen; die Behauptung, er hätte es im Sinne <strong>de</strong>r<br />

Durchführbarkeit sozialistischer Wertrechnung gelöst, ist ganz <strong>und</strong> gar unrichtig.<br />

In einer »Sozialistische Rechnungslegung« überschriebenen Abhandlung versucht Karl<br />

Po1ányi 11 »die Frage <strong>de</strong>r Rechnungslegung«, die, wie er meint, »allgemein als das<br />

Schlüsselproblem <strong>de</strong>r sozialistischen Wirtschaft anerkannt wird«, in beson<strong>de</strong>rer Weise zu<br />

lösen. Polányi gibt zunächst unumw<strong>und</strong>en zu, daß er die Lösung <strong>de</strong>s Problems »in einer<br />

zentralen Verwaltungswirtschaft« <strong>für</strong> unmöglich erachte 12 . Sein Lösungsversuch ist nur auf<br />

die Verhältnisse »einer funktionell organisierten sozialistischen Übergangswirtschaft«<br />

zugeschnitten. Mit diesem Namen bezeichnet er einen Gesellschaftstypus, <strong>de</strong>r ungefähr <strong>de</strong>m<br />

I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r englischen Gil<strong>de</strong>nsozialisten entspricht; die Vorstellung, die er sich von <strong>de</strong>n<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Punkten <strong>de</strong>s Wesens <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Wirkungsmöglichkeiten seines Systems macht,<br />

5<br />

Vgl. Schäffle, Bau <strong>und</strong> Leben <strong>de</strong>s sozialen Körpers, III. Bd., Tübingen 1878, S. 354 f.<br />

6<br />

Vgl. meine Gemeinwirtschaft, a. a. O. S. 147.<br />

7<br />

Vgl. Schäffle, a. a. O. S. 474 (auch S. 332 ff.).<br />

8<br />

Vgl. Schäffle, a. a. O. S. 476 (in <strong>de</strong>r zweiten, 1896 erschienenen Auflage, Bd. II, S. 306).<br />

9<br />

Vgl. Schäffle, Die Quintessenz <strong>de</strong>s Sozialismus, 18. Auflage, Gotha 1919, S. 47 ff.; Die Aussichtslosigkeit <strong>de</strong>r<br />

Sozial<strong>de</strong>mokratie, 2. Auflage, Tübingen 1885, S. 27 ff.<br />

10<br />

»Wie schon bemerkt, muß <strong>de</strong>r Sozialismus seinen F<strong>und</strong>amentalsatz vom sozialen Arbeitskostenwert <strong>de</strong>r Güter<br />

von Gr<strong>und</strong> aus zu korrigieren verstehen. Das ist, dünkt uns, nicht unmöglich; wir lassen es hier dahingestellt.«<br />

(Schäffle, Quintessenz, a. a. O. S. 47).<br />

11<br />

In diesem <strong>Archiv</strong>, 49. Bd., S. 377-420.<br />

12<br />

S. 378 <strong>und</strong> S. 419.


sind lei<strong>de</strong>r nicht min<strong>de</strong>r nebelhaft <strong>und</strong> verschwommen als die <strong>de</strong>r Gil<strong>de</strong>nsozialisten. Als<br />

Eigentümer <strong>de</strong>r Produktionsmittel »gilt« die politische Gemeinschaft; »ein direktes<br />

Verfügungsrecht ist jedoch mit diesem Eigentum nicht verb<strong>und</strong>en«. Dieses steht <strong>de</strong>n<br />

Produktionsverbän<strong>de</strong>n zu, die von <strong>de</strong>n Arbeitern <strong>de</strong>r einzelnen Produktionszweige durch<br />

Wahl gebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Die einzelnen Produktionsverbän<strong>de</strong> schließen sich zum Kongreß <strong>de</strong>r<br />

Produktionsverbän<strong>de</strong> zusammen, <strong>de</strong>r »die gesamte Produktion vertritt.« Diesem steht als<br />

zweiter »funktioneller Hauptverband <strong>de</strong>r Gesellschaft« die »Kommune« nicht nur als<br />

politisches Organ, son<strong>de</strong>rn auch »als eigentliche Trägerin <strong>de</strong>r höheren Ziele <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwesens« gegenüber. Je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n funktionellen Hauptverbän<strong>de</strong> steht »im eigenen<br />

Umkreis Legislative <strong>und</strong> Exekutive zu«. Die höchste Macht in <strong>de</strong>r Gesellschaft verkörpern<br />

die Vereinbarungen dieser funktionellen Hauptverbän<strong>de</strong> 13 .<br />

Der Fehler dieser Konstruktion liegt in <strong>de</strong>r Unklarheit, mit <strong>de</strong>r sie <strong>de</strong>r Kernfrage: Sozialismus<br />

o<strong>de</strong>r Syndikalismus? auszuweichen sucht. Ganz wie die Gil<strong>de</strong>nsozialisten spricht Polányi das<br />

Eigentum an <strong>de</strong>n Produktionsmitteln ausdrücklich <strong>de</strong>r Gesellschaft, <strong>de</strong>r Kommune, zu; damit<br />

glaubt er wohl genug gesagt zu haben, um seiner Konstruktion <strong>de</strong>n Vorwurf <strong>de</strong>s<br />

Syndikalismus zu ersparen. Doch gleich mit <strong>de</strong>m nächsten Satze nimmt er das Gesagte wie<strong>de</strong>r<br />

zurück. Eigentum ist Verfügungsrecht; wenn das Verfügungsrecht nicht <strong>de</strong>r Kommune,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Produktionsverbän<strong>de</strong>n zusteht, so sind eben diese Eigentümer, <strong>und</strong> wir haben ein<br />

syndikalistisches Gemeinwesen vor uns. Hier kann es nur das eine o<strong>de</strong>r das an<strong>de</strong>re geben;<br />

zwischen Syndikalismus <strong>und</strong> Sozialismus gibt es keine Vermittlung <strong>und</strong> keine Versöhnung.<br />

Polányi sieht das nicht. Er meint: »Funktionelle Vertretungen (Verbän<strong>de</strong>) ein <strong>und</strong> <strong>de</strong>rselben<br />

Menschen können nie in einen unlösbaren Wi<strong>de</strong>rstreit miteinan<strong>de</strong>r geraten, – das ist die<br />

Gr<strong>und</strong>i<strong>de</strong>e je<strong>de</strong>r funktionellen Verfassungsform. Zur fallweisen Schlichtung von Gegensätzen<br />

wer<strong>de</strong>n entwe<strong>de</strong>r gemeinsame Ausschüsse von Kommune <strong>und</strong> Produktionsverband, o<strong>de</strong>r eine<br />

Art oberster Verfassungsgerichtshof vorgesehen (koordinieren<strong>de</strong> Organe), <strong>de</strong>nen jedoch keine<br />

Legislative <strong>und</strong> nur eine beschränkte Exekutive zusteht (Rechtsprechung, Sicherheitsdienst<br />

usf.)« 14 . Diese Gr<strong>und</strong>i<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r funktionellen Verfassungsform ist jedoch verfehlt. Wenn – <strong>und</strong><br />

das ist die stillschweigen<strong>de</strong> Voraussetzung <strong>de</strong>r Polányischen <strong>und</strong> aller verwandter<br />

Konstruktionen – das politische Parlament durch die Wahl aller Genossen bei gleichem<br />

Stimmrecht je<strong>de</strong>s einzelnen gebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n soll, dann kann sehr wohl zwischen ihm <strong>und</strong> <strong>de</strong>m<br />

Parlament <strong>de</strong>r Produktionsverbän<strong>de</strong>, das aus einer ganz an<strong>de</strong>rs aufgebauten Wahlordnung<br />

hervorgeht, ein Wi<strong>de</strong>rstreit entstehen. Solche Gegensätze können dann we<strong>de</strong>r durch<br />

gemeinsame Ausschüsse, noch durch Gerichtshöfe geschlichtet wer<strong>de</strong>n. Die Ausschüsse<br />

könnten nur dann <strong>de</strong>n Streit austragen, wenn in ihnen <strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Hauptverband<br />

das Übergewicht hätte; sind bei<strong>de</strong> gleich stark vertreten, dann kann es auch im Ausschuß zu<br />

keiner Entscheidung kommen. Hat aber <strong>de</strong>r eine <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Verbän<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Bildung o<strong>de</strong>r im<br />

Verfahren <strong>de</strong>s Ausschusses das Übergewicht, dann liegt die letzte Entscheidung eben bei ihm.<br />

Ein Gerichtshof kann Fragen <strong>de</strong>r politischen o<strong>de</strong>r ökonomischen Praxis nicht bereinigen.<br />

Gerichte können immer nur auf Gr<strong>und</strong> schon feststehen<strong>de</strong>r Normen, die sie auf <strong>de</strong>n einzelnen<br />

Fall anzuwen<strong>de</strong>n haben, ihre Sprüche fällen. Sollen sie Fragen <strong>de</strong>r Zweckmäßigkeit<br />

behan<strong>de</strong>ln, dann sind sie in Wahrheit nicht mehr Gerichte, son<strong>de</strong>rn höchste politische Instanz,<br />

<strong>und</strong> dann gilt von ihnen all das, was über die Ausschüsse gesagt wur<strong>de</strong>.<br />

Hat we<strong>de</strong>r die Kommune noch <strong>de</strong>r Kongreß <strong>de</strong>r Produktionsverbän<strong>de</strong> die letzte Entscheidung,<br />

dann ist das System überhaupt nicht lebensfähig. Ist die letzte Entscheidung bei <strong>de</strong>r<br />

Kommune, dann haben wir es mit einer »zentralen Verwaltungswirtschaft« zu tun, <strong>für</strong> die<br />

13 S. 404 f.<br />

14 S. 404, Anm. 20.


auch Polányi die Unmöglichkeit <strong>de</strong>r Wirtschaftsrechnung zugesteht. Ist aber die letzte<br />

Entscheidung bei <strong>de</strong>n Produktionsverbän<strong>de</strong>n, dann haben wir ein syndikalistisches<br />

Gemeinwesen vor uns.<br />

Die Unklarheit, in <strong>de</strong>r sich Polányi über diesen gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong>n Punkt befin<strong>de</strong>t, läßt ihn eine<br />

Scheinlösung als brauchbare Lösung <strong>de</strong>s Problems hinnehmen. Seine Verbän<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

Unterverbän<strong>de</strong> stehen in einem wechselseitigen Tauschverkehr, sie empfangen <strong>und</strong> geben als<br />

ob sie Eigentümer wären; so bil<strong>de</strong>t sich ein Markt <strong>und</strong> Marktpreise. Daß das mit <strong>de</strong>m Wesen<br />

<strong>de</strong>s Sozialismus unvereinbar ist, merkt Polányi nicht, da er sich einmal über <strong>de</strong>n<br />

unüberbrückbaren Gegensatz von Sozialismus <strong>und</strong> Syndikalismus hinweggesetzt hat.<br />

Es wäre noch manches über an<strong>de</strong>re Mängel zu sagen, die Polányis Konstruktion im einzelnen<br />

anhaften. Doch sie treten an Be<strong>de</strong>utung hinter <strong>de</strong>m gerügten gr<strong>und</strong>sätzlichen Mangel zurück<br />

<strong>und</strong> können nur geringes Interesse beanspruchen, da sie <strong>de</strong>m Gedankengang Polányis<br />

eigentümlich sind. Jener prinzipielle Fehler aber ist keine Beson<strong>de</strong>rheit Polányis; er wird von<br />

allen gil<strong>de</strong>nsozialistischen Konstruktionen geteilt. Polányi hat das unzweifelhafte Verdienst,<br />

diese Konstruktion schärfer herausgearbeitet zu haben als die Mehrzahl <strong>de</strong>r übrigen<br />

Schriftsteller; er hat damit ihre Schwächen klar dargelegt. Auch daß er die Unmöglichkeit <strong>de</strong>r<br />

Wirtschaftsrechnung in <strong>de</strong>r verkehrslosen zentralistischen Verwaltungswirtschaft einsieht,<br />

muß ihm unter <strong>de</strong>n gegenwärtigen Verhältnissen hoch angerechnet wer<strong>de</strong>n.<br />

Der dritte Beitrag zur Behandlung unseres Problems rührt von Eduard Heimann her 15 .<br />

Heimann ist Bekenner eines ethisch <strong>und</strong> religiös motivierten Sozialismus. Seine politische<br />

Gesinnung macht ihn aber durchaus nicht blind <strong>für</strong> das Problem <strong>de</strong>r Wirtschaftsrechnung. Er<br />

folgt in seiner Behandlung <strong>de</strong>n Ausführungen Max Webers. Max Weber hat das Problem als<br />

<strong>für</strong> <strong>de</strong>n Sozialismus »durchaus zentral« erfaßt <strong>und</strong> in eingehen<strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung, in <strong>de</strong>r<br />

er die »Naturalrechnungs«-Schwärmereien Otto Neuraths zurückweist, gezeigt, daß ohne<br />

Geldgebrauch <strong>und</strong> Geldrechnung rationales Wirtschaften nicht möglich ist 16 . Heimann will<br />

nun zeigen, daß man auch in einer sozialistischen Wirtschaftsordnung rechnen könnte.<br />

Geht Polányi von einer Konstruktion aus, die <strong>de</strong>m englischen Gil<strong>de</strong>nsozialismus verwandt ist,<br />

so entwickelt Heimann seine Vorschläge im Anschlusse an die <strong>de</strong>utschen<br />

Planwirtschaftsi<strong>de</strong>en. Charakteristischerweise ähneln seine Ausführungen <strong>de</strong>nen Polányis<br />

<strong>de</strong>nnoch in <strong>de</strong>m Punkte, auf <strong>de</strong>n es allein ankommt; sie sind gera<strong>de</strong> dort bedauerlich unklar,<br />

wo das Verhältnis <strong>de</strong>r einzelnen Produktionsgruppen, in die die planwirtschaftlich<br />

organisierte Gesellschaft zerfällt, zu <strong>de</strong>m Ganzen scharf zu umschreiben gewesen wäre. So<br />

gelangt er dazu, von einem sich marktmäßig vollziehen<strong>de</strong>n Verkehr zu sprechen 17 , ohne zu<br />

beachten, daß die Planwirtschaft, voll <strong>und</strong> folgerichtig durchgeführt, verkehrslos ist, <strong>und</strong> daß<br />

das, was man dort etwa als Kauf <strong>und</strong> Verkauf benennen wollte, seinem Wesen nach ganz<br />

an<strong>de</strong>rs zu charakterisieren ist. Heimann verfällt in diesen Fehler dadurch, daß er das<br />

bezeichnen<strong>de</strong> Merkmal <strong>de</strong>r Planwirtschaft vor allem in <strong>de</strong>r monopolistischen<br />

Zusammenfassung <strong>de</strong>r einzelnen Produktionszweige erblickt, statt in <strong>de</strong>r Abhängigkeit <strong>de</strong>r<br />

Produktion vom einheitlichen Willen eines gesellschaftlichen Zentralorgans. Dieser Mißgriff<br />

ist um so erstaunlicher, als doch schon <strong>de</strong>r Name »Planwirtschaft« <strong>und</strong> alle zugunsten <strong>de</strong>r<br />

15<br />

Heimann, Mehrwert <strong>und</strong> Gemeinwirtschaft, Kritische <strong>und</strong> positive Beiträge zur Theorie <strong>de</strong>s Sozialismus,<br />

Berlin 1922 (Verlag Hans Robert Engelmann).<br />

16<br />

Vgl. Max Weber, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft (Gr<strong>und</strong>riß <strong>de</strong>r Sozialökonomik, III. Abteilung, Tübingen 1922),<br />

S. 45-59. - Dieser Teil <strong>de</strong>s Weberschen Buches war, wie Weber auf Seite 58 bemerkt, bereits im Druck, als<br />

meine oben erwähnte Arbeit im <strong>Archiv</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialwissenschaft</strong> (47. Bd.) erschien.<br />

17<br />

Vgl. Heimann, a. a. O. S. 184 ff.


I<strong>de</strong>e ins Treffen geführten Argumente das Einheitliche <strong>de</strong>r Wirtschaftsführung stark in <strong>de</strong>n<br />

Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> treten lassen. Freilich, Heimann durchschaut die Hohlheit <strong>de</strong>s mit <strong>de</strong>m<br />

Schlagwort »Anarchie <strong>de</strong>r Produktion« arbeiten<strong>de</strong>n Arguments 18 . Doch darüber hätte er nie<br />

vergessen dürfen, daß gera<strong>de</strong> hier <strong>und</strong> nirgends sonst das liegt, was Sozialismus <strong>und</strong><br />

Kapitalismus scharf schei<strong>de</strong>t.<br />

Wie die Mehrzahl aller Schriftsteller, die sich mit <strong>de</strong>r Planwirtschaft befaßt haben, bemerkt<br />

Heimann nicht, daß auch die streng durchgeführte Planwirtschaft nichts an<strong>de</strong>res ist als reiner<br />

Sozialismus <strong>und</strong> daß sie sich nur in Äußerlichkeiten vom straff zentralistisch organisierten<br />

sozialistischen Gemeinwesen unterschei<strong>de</strong>t. Daß unter <strong>de</strong>r einheitlichen Leitung <strong>de</strong>r<br />

Zentralstelle eine Reihe von äußerlich selbständigen Departements mit <strong>de</strong>r Verwaltung<br />

einzelner Produktionszweige betraut ist, än<strong>de</strong>rt nichts an <strong>de</strong>r Tatsache, daß die Zentralstelle<br />

allein die Führung innehat. Die Beziehungen zwischen <strong>de</strong>n einzelnen Departements wer<strong>de</strong>n<br />

nicht auf <strong>de</strong>m Markte durch <strong>de</strong>n Wettbewerb von Käufern <strong>und</strong> Verkäufern geregelt, son<strong>de</strong>rn<br />

durch obrigkeitlichen Befehl. Daß <strong>für</strong> diese obrigkeitlichen Eingriffe je<strong>de</strong>r das Rechnen <strong>und</strong><br />

Berechnen ermöglichen<strong>de</strong> Maßstab fehlt, weil sich die Obrigkeit nicht an auf einem Markte<br />

gebil<strong>de</strong>ten Austauschverhältnissen zu orientieren vermag, das ist das Problem. Wohl kann die<br />

Obrigkeit Substitutionsverhältnisse <strong>für</strong> die Rechnung zugr<strong>und</strong>e legen, die sie selbst bestimmt.<br />

Aber diese Bestimmung ist willkürlich, sie ist nicht auf <strong>de</strong>n subjektiven Wertschätzungen <strong>de</strong>r<br />

Individuen gegrün<strong>de</strong>t <strong>und</strong> auf die Produktivgüter durch das Zusammenwirken aller in <strong>de</strong>r<br />

Produktion <strong>und</strong> im Verkehr Tätigen übertragen wie die Preise <strong>de</strong>s Marktes. Sie kann mithin<br />

nicht die Gr<strong>und</strong>lage einer rationellen Wirtschaftsrechnung bil<strong>de</strong>n.<br />

Heimann gelangt zu seiner Scheinlösung <strong>de</strong>s Problems durch Anwendung <strong>de</strong>r Kostentheorie.<br />

Die Wirtschaftsrechnung wird an <strong>de</strong>n Kosten orientiert. Man errechnet die Preise auf<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>de</strong>r »Erzeugungskosten, welche die <strong>de</strong>r Verrechnungsstelle angeschlossenen<br />

Werke durchschnittlich aufgewen<strong>de</strong>t haben, einschließlich ihres Arbeitslohnes« 19 . Das ist<br />

eine Lösung, mit <strong>de</strong>r sich die Theorie vor zwei o<strong>de</strong>r drei Menschenaltern zufrie<strong>de</strong>ngegeben<br />

hätte. Uns kann sie nicht genügen. Wenn man unter Kosten <strong>de</strong>n Nutzentgang versteht, <strong>de</strong>r bei<br />

an<strong>de</strong>rweitiger Verwendung <strong>de</strong>r Aufwendungen zu vermei<strong>de</strong>n gewesen wäre, erkennt man<br />

unschwer, daß Heimanns Ausführungen sich im Kreise bewegen. An<strong>de</strong>rweitige Verwendung<br />

ist im sozialistischen Gemeinwesen nur auf Befehl <strong>de</strong>r Obrigkeit möglich; <strong>und</strong> das Problem,<br />

das uns beschäftigt, ist eben das, ob die Obrigkeit, um zu ihren Entschlüssen zu gelangen,<br />

rechnen könnte. Der Wettbewerb <strong>de</strong>r Unternehmer, die in <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Son<strong>de</strong>reigentum<br />

beruhen<strong>de</strong>n Gesellschaftsordnung bestrebt sind, Güter <strong>und</strong> Dienste <strong>de</strong>r rentabelsten<br />

Verwendung zuzuführen, ist in <strong>de</strong>r Planwirtschaft wie in je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nkbaren Gestalt <strong>de</strong>r<br />

sozialistischen Gesellschaftsordnung durch das planmäßige Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Obrigkeit ersetzt.<br />

Nur dieser Wettbewerb <strong>de</strong>r Unternehmer, die sich sachliche Produktionsmittel <strong>und</strong><br />

Arbeitskräfte gegenseitig zu entwin<strong>de</strong>n suchen, bil<strong>de</strong>t Preise. Wo »planmäßig«, d. h. von<br />

einer Zentralstelle, <strong>de</strong>r alles untertan ist, gewirtschaftet wer<strong>de</strong>n soll, schwin<strong>de</strong>t die Gr<strong>und</strong>lage<br />

<strong>de</strong>r Rentabilitätsrechnung; nur die Naturalrechnung <strong>de</strong>r Produktivität bleibt übrig. Heimann<br />

meint: »Sobald auf <strong>de</strong>m Markte <strong>de</strong>r Genußgüter ein wirklicher Wettbewerb herrscht, pflanzt<br />

sich <strong>de</strong>r dadurch bestimmte Preisstand von dort ohne weiteres durch alle Erzeugungsstufen<br />

hindurch fort, wofern nur die Preisregel sinngemäß angewandt wird, <strong>und</strong> unabhängig von <strong>de</strong>r<br />

Verfassung <strong>de</strong>r Parteien auf <strong>de</strong>n Märkten <strong>de</strong>r Beschaffungsgüter« 20 . Das wür<strong>de</strong> jedoch nur<br />

dann <strong>de</strong>r Fall sein, wenn wirklicher Wettbewerb bestün<strong>de</strong>. Heimann stellt sich die<br />

18 Ebendort S. 174.<br />

19 Ebendort S. 185.<br />

20 Ebendort S. 188f.


Gesellschaft als die Vereinigung einer Anzahl von »Monopolisten« vor, also von<br />

Departements <strong>de</strong>s gemeinwirtschaftlichen Gesamtkörpers, <strong>de</strong>nen je ein abgegrenztes Gebiet<br />

<strong>de</strong>r Produktion zur ausschließlichen Besorgung zugewiesen ist. Wenn diese auf <strong>de</strong>m<br />

»Markte« <strong>de</strong>r Beschaffungsgüter einkaufen, dann ist das kein Wettbewerb, weil ihnen durch<br />

die Obrigkeit von vorneherein das Gebiet, auf <strong>de</strong>m sie sich zu betätigen haben <strong>und</strong> das sie<br />

nicht verlassen dürfen, zugewiesen ist. Wettbewerb besteht nur dann, wenn je<strong>de</strong>r das<br />

produziert, was ihm die günstigste Rentabilität in Aussicht zu stellen scheint. Ich habe zu<br />

zeigen versucht, daß diesen Bedingungen nur das Son<strong>de</strong>reigentum an <strong>de</strong>n Produktivgütern<br />

entspricht 21 .<br />

Heimanns Darstellung <strong>de</strong>s sozialistischen Gemeinwesens berücksichtigt nur die laufen<strong>de</strong><br />

Verarbeitung von Rohstoffen zu Genußgütern; so erweckt sie <strong>de</strong>n Eindruck, als ob die<br />

einzelnen Abteilungen <strong>de</strong>r Gemeinwirtschaft selbständig vorzugehen in <strong>de</strong>r Lage wären. Weit<br />

wichtiger als dieser Teil <strong>de</strong>r Produktion ist aber die Erneuerung <strong>de</strong>s stehen<strong>de</strong>n Kapitals <strong>und</strong><br />

die Investierung <strong>de</strong>s neugebil<strong>de</strong>ten Kapitals; in <strong>de</strong>n Entscheidungen, die darüber fallen, nicht<br />

in <strong>de</strong>n Verfügungen über das umlaufen<strong>de</strong> Kapital, die durch jene schon bis zu einem gewissen<br />

Gra<strong>de</strong> vorgezeichnet sind, liegt <strong>de</strong>r Kern <strong>de</strong>s Wirtschaftens. Diese Entscheidungen aber, die<br />

auf Jahre <strong>und</strong> Jahrzehnte hinaus bin<strong>de</strong>n, kann man nicht von <strong>de</strong>r augenblicklichen Gestaltung<br />

<strong>de</strong>r Nachfrage nach Genußgütern abhängig machen; sie müssen immer an <strong>de</strong>r Zukunft<br />

orientiert, d. h. »spekulativ« sein. Heimanns Schema, das Erweiterung o<strong>de</strong>r Einschränkung<br />

<strong>de</strong>r Produktion gewissermaßen mechanisch <strong>und</strong> automatisch aus <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>r<br />

Nachfrage nach <strong>de</strong>n Genußgütern hervorgehen läßt, versagt hier vollkommen. Die Lösung <strong>de</strong>s<br />

Wertproblems durch Zurückführung auf die Kosten ist eben nur <strong>für</strong> <strong>de</strong>n theoretisch<br />

<strong>de</strong>nkbaren, empirisch jedoch niemals <strong>und</strong> nirgends gegebenen »statischen Zustand«<br />

ausreichend. In <strong>de</strong>r Statik fallen Preis <strong>und</strong> Kosten zusammen. In <strong>de</strong>r Dynamik ist das<br />

bekanntlich nicht <strong>de</strong>r Fall.<br />

Heimanns Versuch, das Problem zu lösen, <strong>de</strong>ssen Unlösbarkeit ich erwiesen zu haben glaube,<br />

ist m. E. mißglückt. Sein Buch bleibt <strong>de</strong>nnoch eine schöne Leistung, vor allem darum, weil es<br />

die gr<strong>und</strong>sätzliche Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Problems <strong>de</strong>r Wirtschaftsrechnung <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Sozialismus<br />

erkannt hat <strong>und</strong> weil es mit dazu beiträgt, die Erörterung <strong>de</strong>r Fragen <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

Organisation wie<strong>de</strong>r auf eine wissenschaftliche Gr<strong>und</strong>lage zu stellen. Es behan<strong>de</strong>lt neben<br />

unserem Problem noch eine Reihe an<strong>de</strong>rer wichtiger Kapitel <strong>de</strong>r nationalökonomischen<br />

Theorie in kritischer Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Marx, Oppenheimer, Cassel <strong>und</strong> Schumpeter.<br />

Es ist dabei durch <strong>und</strong> durch ehrlich, begnügt sich nicht mit oberflächlichen Bemerkungen,<br />

son<strong>de</strong>rn sucht <strong>de</strong>r Schwierigkeiten <strong>de</strong>r Dinge Herr zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Man wird sich mit ihm noch in vielen Punkten eingehen<strong>de</strong>r befassen müssen.<br />

Auch die marxistischen Parteiliteraten können die Beschäftigung mit <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>r<br />

Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen nicht mehr länger ablehnen.<br />

Schon ein halbes Jahr nach <strong>de</strong>m Erscheinen meiner Abhandlung »Die Wirtschaftsrechnung<br />

im sozialistischen Gemeinwesen« behan<strong>de</strong>lten <strong>de</strong>r Moskauer Nationalökonom Tschajanow,<br />

die Bolschewiken Strumilin, Bucharin, Varga <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re das Problem in einer Reihe von<br />

Aufsätzen in <strong>de</strong>r »Ekonomitscheskaja Shiznj«, einem Amtsblatte <strong>de</strong>r Sowjetregierung 22 . Das<br />

Ergebnis dieser Erörterung war kläglich. Tschajanow kam nicht über <strong>de</strong>n mißglückten<br />

Versuch hinaus, Verhältnisziffern <strong>für</strong> die Aufstellung einer Naturalwirtschaftsrechnung<br />

21 Vgl. meine Gemeinwirtschaft, a. a. O. S. 207 ff.


einzelner Produktionszweige willkürlich zu konstruieren. Strumilin verwarf <strong>de</strong>n<br />

Lösungsvorschlag Tschajanows <strong>und</strong> versuchte es mit einem System <strong>de</strong>r Konstituierung <strong>de</strong>s<br />

Arbeitswerts. Seine Ausführungen über die Beziehungen <strong>de</strong>s Arbeitswertes zur Nützlichkeit<br />

wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>m uns vorliegen<strong>de</strong>n Auszuge nur kurz erwähnt. Varga befaßt sich nur mit <strong>de</strong>r<br />

Arbeitszeitrechnung, ohne auf die Schwierigkeiten, die ihrer Anwendung entgegenstehen,<br />

näher einzugehen.<br />

Ganz beson<strong>de</strong>rs leicht macht sich Kautsky die Lösung <strong>de</strong>s Problems. Daß es mit <strong>de</strong>r<br />

Arbeitszeitrechnung nicht gehen kann, sieht er nun endlich ein. »Statt sich an die<br />

hoffnungslose Arbeit zu machen, fließen<strong>de</strong>s Wasser mit einem Sieb zu messen – <strong>und</strong> dieser<br />

Art wäre die Konstituierung <strong>de</strong>s Wertes –, wird sich das proletarische Regime <strong>für</strong> die<br />

Zirkulation <strong>de</strong>r Waren an das halten, was es greifbar vorfin<strong>de</strong>t: ihre historisch gewor<strong>de</strong>nen<br />

Preise, die heute in Gold gemessen wer<strong>de</strong>n, was selbst die weitestgehen<strong>de</strong> Inflation nur<br />

verschleiern <strong>und</strong> verzerren, nicht aber aufheben kann. Was selbst <strong>de</strong>r ungeheuerste <strong>und</strong><br />

vollkommenste statistische Apparat nicht zu leisten vermöchte, die Schätzung <strong>de</strong>r Waren<br />

nach <strong>de</strong>r in ihnen enthaltenen Arbeit, das fin<strong>de</strong>n wir in <strong>de</strong>n überkommenen Preisen als<br />

Ergebnis eines langen historischen Prozesses gegeben vor, unvollkommen <strong>und</strong> ungenau, aber<br />

als einzig mögliche Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> möglichst glattes <strong>und</strong> leichtes Weiterfunktionieren <strong>de</strong>s<br />

ökonomischen Zirkulationsprozesses« 23 . An diesen überkommenen Preisen wird zunächst<br />

nichts geän<strong>de</strong>rt. Doch, »wenn das gesellschaftliche Interesse es erheischt«, können »die<br />

Ziffern <strong>de</strong>r Produktion <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Preise einzelner Waren« auch »abweichend von <strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r<br />

kapitalistischen Zeit überkommenen festgesetzt wer<strong>de</strong>n«. Das, meint Kautsky, »ist, von Fall<br />

zu Fall vorgenommen, eine weit einfachere Operation als das Berechnen <strong>de</strong>r Arbeitswerte<br />

aller Waren zur Einführung <strong>de</strong>s Arbeitsgel<strong>de</strong>s. Natürlich wird man dabei nicht willkürlich<br />

verfahren können« 24 . Doch bedauerlicherweise unterläßt es Kautsky, zu zeigen, wie das<br />

an<strong>de</strong>rs als willkürlich geschehen könnte. Und wenn er die Beibehaltung <strong>de</strong>s kapitalistischen<br />

Geldsystems empfiehlt, erklärt er, sich auf An<strong>de</strong>utungen beschränken zu müssen <strong>und</strong> keine<br />

Geldtheorie geben zu wollen 25 .<br />

Man wird Kautsky nicht Unrecht tun, wenn man feststellt, daß die von ihm vorgeschlagene<br />

Lösung keiner weiteren. Erörterung wert ist. Daß man auf die Dauer mit <strong>de</strong>n überkommenen.<br />

Preisen das Auslangen nicht fin<strong>de</strong>n kann, gibt er selbst zu. Er weiß jedoch nicht anzugeben,<br />

wie man die erfor<strong>de</strong>rlichen Korrekturen vorzunehmen hätte.<br />

Im Gegensatz zu Kautsky hält Leichter mit aller Strenge an <strong>de</strong>m Gedanken <strong>de</strong>r<br />

Arbeitszeitrechnung fest 26 . Es gelingt ihm unschwer zu beweisen, daß auch Marx »in diesem<br />

Wertmaß die einzige Möglichkeit <strong>für</strong> eine sozialistische Wirtschaft sieht«. Damit ist seine<br />

Aufgabe im Sinne <strong>de</strong>r marxistischen Wissenschaft eigentlich gelöst; mit Genugtuung stellt er<br />

fest, daß er sich »direkt auf die Gedankenrichtung <strong>de</strong>s Kapitals berufen könne« Leichter will<br />

aber noch ein Übriges tun <strong>und</strong> die Kritik zurückweisen, die an <strong>de</strong>m Gedanken <strong>de</strong>r<br />

Arbeitszeitrechnung geübt wur<strong>de</strong> 27 . Hier versagt er vollkommen.<br />

Die Arbeitszeitrechnung ist <strong>für</strong> die Wirtschaftsrechnung ungeeignet, einmal weil es nicht<br />

möglich ist, Arbeit verschie<strong>de</strong>ner Qualität auf eine Einheit zu bringen, <strong>und</strong> dann, weil sie nur<br />

23<br />

Vgl. Kautsky, Die proletarische Revolution <strong>und</strong> ihr Programm, 2. Aufl., Berlin <strong>und</strong> Stuttgart 1922, S. 321.<br />

24<br />

Ebendort S. 322 f.<br />

25<br />

Ebendort S. 324.<br />

26<br />

Vgl. Leichter, Die Wirtschaftsrechnung in <strong>de</strong>r sozialistischen Gesellschaft (Marxstudien, V. Bd., I. Heft, Wien<br />

1923.)<br />

27<br />

Ebendort S. 50.


<strong>de</strong>n Produktionsfaktor Arbeit, nicht auch <strong>de</strong>n Produktionsfaktor Natur in die Rechnung<br />

einstellt 28 . Leichter will das nicht gelten lassen. Man kann, meint er, »die Wichtigkeit <strong>de</strong>r<br />

verschie<strong>de</strong>nen Arbeitsverrichtungen miteinan<strong>de</strong>r vergleichen; man kann sehr wohl die<br />

Wichtigkeit eines Hammerführers in einer Großschmie<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Qualifikation eines<br />

Kesselburschen vergleichen etwa in <strong>de</strong>m Sinne, um wieviel wichtiger es ist, daß <strong>de</strong>r<br />

Hammerführer zur Stelle ist o<strong>de</strong>r besser ,arbeitet als <strong>de</strong>r Feuerbursch o<strong>de</strong>r um wieviel<br />

schwerer, anstrengen<strong>de</strong>r die Arbeit <strong>de</strong>s Hammerführers ist« 29 . Man kann solche Vergleiche<br />

anstellen, gewiß, doch sie wer<strong>de</strong>n je nach <strong>de</strong>n subjektiven Anschauungen <strong>de</strong>rer, die sie<br />

anstellen, zu verschie<strong>de</strong>nen Ergebnissen führen. Und was be<strong>de</strong>utet hier »Wichtigkeit«? Soll<br />

es Wichtigkeit in bezug auf das Zustan<strong>de</strong>kommen <strong>de</strong>s Arbeitsergebnisses sein, dann muß man<br />

wohl auf die sophistischen Erörterungen über die Frage zurückgreifen, ob Hammer o<strong>de</strong>r<br />

Nagel, ob Papier o<strong>de</strong>r Stift wichtiger seien. Wichtigkeit in Bezug auf die Befriedigung <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Bedürfnisse, d. h. <strong>de</strong>n subjektiven Gebrauchswert, kann doch wohl Leichter,<br />

<strong>de</strong>r sich als unbelehrbarer Anhänger <strong>de</strong>r marxistischen Arbeitswertlehre erweist, nicht<br />

gemeint haben. Doch ganz abgesehen davon: welche <strong>de</strong>r vier Fragen, die sich aus <strong>de</strong>n<br />

Darlegungen Leichters ergeben, soll man diesen Beurteilern vorlegen? Soll die Wichtigkeit<br />

<strong>de</strong>s »zur Stelle sein« o<strong>de</strong>r die Wichtigkeit <strong>de</strong>s »besser arbeiten« o<strong>de</strong>r die Schwere <strong>de</strong>r Arbeit<br />

o<strong>de</strong>r die Anstrengung, die sie verursacht, verglichen wer<strong>de</strong>n? O<strong>de</strong>r soll man die bei<strong>de</strong>n<br />

Arbeiten in h<strong>und</strong>ert an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>nkbaren Beziehungen vergleichen, etwa in bezug auf ihre<br />

Ges<strong>und</strong>heitsschädlichkeit o<strong>de</strong>r in bezug auf die Schwierigkeit ihrer Erlernung? Je<strong>de</strong>r dieser<br />

Vergleiche bringt doch wohl ein an<strong>de</strong>res Ergebnis <strong>und</strong> man kann doch nur eines <strong>de</strong>m<br />

Reduktionsschlüssel zugr<strong>und</strong>e legen. O<strong>de</strong>r sollen die Ergebnisse verschie<strong>de</strong>ner Vergleiche<br />

zur Errechnung <strong>de</strong>s Reduktionsschlüssels kombiniert wer<strong>de</strong>n?<br />

Die Behauptung Leichters, daß <strong>de</strong>r Alltag alle diese Probleme täglich löse, in<strong>de</strong>m er die<br />

Löhne aller Arten von Arbeit bil<strong>de</strong>t, ist ganz verfehlt. Die Lohnsätze bil<strong>de</strong>n sich im<br />

Tauschverkehr <strong>de</strong>s Marktes auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r subjektiven Wertschätzungen, <strong>und</strong> das Problem<br />

liegt ja gera<strong>de</strong> darin, zu ergrün<strong>de</strong>n, ob auch in <strong>de</strong>r verkehrslosen Gesellschaft die<br />

Zurückführung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Qualitäten von Arbeit auf einen einheitlichen Ausdruck<br />

möglich wäre. Leichter sieht in diesem Einwand nichts als »Marktfetischismus« (auf die<br />

Prägung dieses Ausdrucks ist er ganz beson<strong>de</strong>rs stolz) 30 . Denn, meint er, bei <strong>de</strong>n<br />

Verhandlungen, die zwischen <strong>de</strong>n einzelnen Unternehmern, <strong>de</strong>m Werkstättenleiter <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />

einzelnen Arbeitern über <strong>de</strong>n Lohnsatz <strong>für</strong> verschie<strong>de</strong>n qualifizierte Arbeitsoperationen<br />

geführt wer<strong>de</strong>n, han<strong>de</strong>lt es sich nicht »um das Marktfeilschen im gewöhnlichen Sinn. Mit<br />

<strong>de</strong>m Stand am Arbeitsmarkt, mit <strong>de</strong>r jeweiligen Größe <strong>de</strong>r Arbeitslosenzahl hat das Verhältnis<br />

<strong>de</strong>r Entlohnung von qualifizierter <strong>und</strong> weniger qualifizierter Arbeitskraft, beson<strong>de</strong>rs aber das<br />

Verhältnis zwischen <strong>de</strong>r Entlohnung verschie<strong>de</strong>ner Professionistenkategorien o<strong>de</strong>r die<br />

Entlohnung verschie<strong>de</strong>ner Maschinenarbeiten <strong>de</strong>rselben Professionisten fast gar nichts zu tun;<br />

also auch Angebot <strong>und</strong> Nachfrage spielen fast überhaupt keine Rolle im Sinne <strong>de</strong>s sonstigen<br />

Marktverkehrs« 31 . Einen Beweis <strong>für</strong> diese Behauptung zu erbringen, unterläßt Leichter<br />

bedauerlicherweise. Man beachte übrigens, wie er seiner These durch die zweimalige<br />

Einfügung <strong>de</strong>s Wörtchens »fast« je<strong>de</strong> gr<strong>und</strong>sätzliche Be<strong>de</strong>utung nimmt.<br />

Die <strong>Quelle</strong> <strong>de</strong>r Leichterschen Irrtümer ist in <strong>de</strong>r Unzulänglichkeit <strong>und</strong> Unklarheit seiner<br />

Vorstellung vom Wesen <strong>de</strong>s Marktes <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Marktpreisbildung zu suchen. Das Wesen <strong>de</strong>s<br />

28<br />

Vgl. meine »Gemeinwirtschaft«, a. a. O., S. 121 ff.<br />

29<br />

Vgl. Leichter, a. a. O., S. 62.<br />

30<br />

Ebendort S. 26 ff.<br />

31<br />

Ebendort S. 63.


Marktes scheint ihm in <strong>de</strong>m »Feilschen« <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Berufung <strong>de</strong>r Parteien auf Angebot <strong>und</strong><br />

Nachfrage gelegen zu sein. Doch das Feilschen kann auch ganz fehlen; auch wo »feste<br />

Preise« bestehen, von <strong>de</strong>nen »nichts abgehan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n kann«, spielt <strong>de</strong>r<br />

Marktmechanismus wie immer, nur daß die Marktlage auf <strong>de</strong>n Preis nicht auch unmittelbar<br />

durch die Verhandlungen <strong>de</strong>r Parteien, son<strong>de</strong>rn mittelbar durch ihr Verhalten (Ausbleiben<br />

o<strong>de</strong>r Andrang <strong>de</strong>r Käufer <strong>und</strong> <strong>de</strong>mentsprechen<strong>de</strong>s Benehmen <strong>de</strong>r Verkäufer) einwirkt.<br />

Übrigens muß auch Leichter zugeben, daß bei <strong>de</strong>n von ihm angeführten Lohnverhandlungen<br />

gefeilscht wird; er meint nur, es sei kein »Marktfeilschen im gewöhnlichen Sinne«. Offenbar,<br />

weil die Parteien sich dabei nicht auf Angebot <strong>und</strong> Nachfrage berufen. Doch solche Berufung<br />

kommt auch sonst nie vor; die Parteien pflegen sich auf die Gerechtigkeit ihrer For<strong>de</strong>rung, auf<br />

die Höhe <strong>de</strong>r »Selbstkosten« <strong>und</strong> auf die »Notwendigkeit« <strong>de</strong>r Erzielung eines gewissen<br />

Einkommens zu berufen. Aber das, was die Parteien beim Tauschakte sprechen, ist <strong>für</strong> die<br />

Erkenntnis seines Wesens ohne Be<strong>de</strong>utung, auf ihr Verhalten <strong>und</strong> nicht auf ihre Re<strong>de</strong> kommt<br />

es an. Hätte Leichter das beachtet, dann hätte er selbst in <strong>de</strong>m Eifer seiner marxistischen<br />

Befangenheit nicht darauf verfallen können, <strong>de</strong>n Einfluß <strong>de</strong>r Lage <strong>de</strong>s Arbeitsmarktes auf die<br />

Lohnbildung zu bestreiten. Wird eine bestimmte Arbeitergruppe schlechter entlohnt als es <strong>de</strong>r<br />

Grenzproduktivität entspricht, dann muß das Abströmen von Arbeitskräften zu an<strong>de</strong>ren,<br />

verhältnismäßig besser entlohnten Arbeiten bald wie<strong>de</strong>r einen Ausgleich herbeiführen; <strong>und</strong><br />

bei verhältnismäßig zu hoher Entlohnung bringt <strong>de</strong>r Zuzug von Arbeitskräften die Sache<br />

wie<strong>de</strong>r in Ordnung. Daß <strong>de</strong>r Gewerkschaftsbureaukrat <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Betriebsrat diese<br />

Zusammenhänge nicht erkennen, kann man ohne weiteres zugeben, doch wer sich mit <strong>de</strong>n<br />

ökonomischen Problemen <strong>de</strong>r Lohnbildung befaßt, sollte zumin<strong>de</strong>st versuchen, die Dinge<br />

weniger oberflächlich zu betrachten.<br />

Der Versuch, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren gegen die Brauchbarkeit <strong>de</strong>r Arbeitszeitrechnung geltend<br />

gemachten Einwand zurückzuweisen, glückt Leichter ebensowenig. Er baut seine Polemik auf<br />

einer mißverständlichen Auffassung meiner Ausführungen auf; dieses Mißverstehen enthüllt<br />

eine erstaunliche Unvertrautheit mit <strong>de</strong>n elementaren Begriffen <strong>de</strong>r nationalökonomischen<br />

Lehre <strong>und</strong> ist so kraß, daß man geneigt ist anzunehmen, Leichter hätte meine Worte<br />

absichtlich mißverstan<strong>de</strong>n, um nur überhaupt etwas gegen sie vorbringen zu können. Ich hatte<br />

ausgeführt, daß die Wirtschaftsrechnung nicht nur die Arbeit, son<strong>de</strong>rn auch die sachlichen<br />

Produktionsmittel erfassen müsse; es sei zwar wahr, daß diese, wie Marx sagt, »ohne Zutun<br />

<strong>de</strong>s Menschen von Natur aus vorhan<strong>de</strong>n« sind, doch wenn sie nur in einer solchen Menge<br />

vorhan<strong>de</strong>n sind, daß sie Gegenstand <strong>de</strong>r Bewirtschaftung wer<strong>de</strong>n, müßten sie auch in die<br />

Wirtschaftsrechnung eingehen 32 . Leichter erwi<strong>de</strong>rt darauf: »<strong>Mises</strong> .... zäumt .... die Frage<br />

zunächst so auf, als ob es sich um a11e Produktionssphären han<strong>de</strong>ln wür<strong>de</strong>, in die neben<br />

menschlicher Arbeitskraft auch sachliche Produktionsvoraussetzungen eingehen. In dieser<br />

allgemeinen Fassung ist sein Einwand absolut unberechtigt, <strong>de</strong>nn die meisten Güter sind<br />

vollständig durch die normale Kostenaufstellung in Arbeitsst<strong>und</strong>en zu erfassen. Und nur am<br />

Schluß seiner Darlegungen fügt er die allerdings entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Einschränkung hinzu, daß<br />

seine Behauptung nur <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Fall einen Sinn habe, wenn es sich um Seltenheitsgüter handle,<br />

bei <strong>de</strong>nen eine Bewirtschaftung notwendig ist« 33 . Die »entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Einschränkung«, von<br />

<strong>de</strong>r Leichter spricht, ist die, daß die freien Güter – wie Luft, Wasser, Sonnenlicht – eben in<br />

die Wirtschaftsrechnung nicht eingehen, da diese nur die wirtschaftlichen Güter erfaßt, das<br />

sind die Güter, die nicht in einer praktisch unbegrenzten Menge zur Verfügung stehen, so daß<br />

man mit ihnen ökonomisch verfahren muß. Leichters Ausdruck »Seltenheitsgüter, bei <strong>de</strong>nen<br />

eine Bewirtschaftung notwendig ist« <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Ausdruck »wirtschaftliche Güter« sind<br />

32<br />

Vgl. meine Gemeinwirtschaft, a. a. O., S. 122. (Auch in diesem <strong>Archiv</strong>, Bd. 47, 106 f.)<br />

33<br />

Vgl. Leichter, a. a. O., S. 69 f.


gleichbe<strong>de</strong>utend. Doch Leichter stellt die ,Sache so dar, als ob nur einige wenige Güter<br />

bewirtschaftet wer<strong>de</strong>n müßten; <strong>de</strong>r ungenaue Ausdruck »Seltenheitsgüter«, <strong>de</strong>mgegenüber <strong>de</strong>r<br />

ebenso ungenaue »die meisten Güter« steht, soll <strong>de</strong>n klaren <strong>und</strong> durchsichtigen Tatbestand<br />

verdunkeln. Leichter möge doch ein wirtschaftliches Gut nennen, das man nicht<br />

bewirtschaften muß!<br />

Aber selbst im Sinne seiner eigenen konfusen Ausführungen wäre Leichter nun genötigt<br />

gewesen, zu zeigen, wie das Problem <strong>de</strong>r sozialistischen Wirtschaftsrechnung in bezug auf<br />

seine »Seltenheitsgüter« zu lösen sei. Das läßt er aber wohlweislich bleiben <strong>und</strong> begnügt sich<br />

zu sagen, die Gesellschaft wird »in ihrem Plan <strong>für</strong> die Wirtschaftstätigkeit, z. B. in<br />

Bergwerken, genau das Ausmaß <strong>de</strong>s Abbaues feststellen, <strong>und</strong> sofern noch außer<strong>de</strong>m höhere<br />

Preise <strong>für</strong> diese Seltenheitsgüter notwendig sein sollten, wer<strong>de</strong>n sie eben dadurch<br />

zustan<strong>de</strong>kommen, daß man <strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r Herstellung dieser Güter verwen<strong>de</strong>ten Arbeitsst<strong>und</strong>en<br />

nicht bei <strong>de</strong>r Entlohnung, son<strong>de</strong>rn bei <strong>de</strong>r Preisfestsetzung eine höhere Produktivkraft<br />

zuschreibt« 34 . Nun han<strong>de</strong>lt es sich aber bei unserem Problem gar nicht darum, ob die<br />

Gesellschaft die Grenzen <strong>de</strong>s Abbaues festsetzt o<strong>de</strong>r nicht <strong>und</strong> ob sie höhere o<strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>re<br />

Preise verlangt, son<strong>de</strong>rn darum, ob sie in <strong>de</strong>r Lage sein wird, <strong>de</strong>rartige Verfügungen auf<br />

Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Ergebnisse einer Wirtschaftsrechnung zu treffen. Nie ist bezweifelt wor<strong>de</strong>n, daß<br />

die Gesellschaft verfügen kann; ich behaupte aber, daß sie nicht rationell, d. h. nicht auf<br />

Gr<strong>und</strong> einer Rechnung, vorgehen kann.<br />

Damit ist <strong>de</strong>r Kern <strong>de</strong>r Ausführungen Leichters erledigt. Alles, was sein Buch sonst enthält,<br />

ist überflüssiges Beiwerk, das bestimmt ist, die Schwäche <strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Ausführungen<br />

zu verhüllen.<br />

Den orthodoxen Marxisten ist es ebensowenig wie an<strong>de</strong>ren gelungen, ein <strong>für</strong> die<br />

sozialistische Gesellschaft brauchbares System <strong>de</strong>r Wirtschaftsrechnung ausfindig zu machen.<br />

[<strong>Quelle</strong>: <strong>Archiv</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialwissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Sozialpolitik</strong> <strong>51</strong>(1923)488-500; PDF-Version:<br />

www.mises.<strong>de</strong>]<br />

34 Ebendort S. 70.

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