Nr. 081 - Regierungsrat - Basel-Stadt
Nr. 081 - Regierungsrat - Basel-Stadt
Nr. 081 - Regierungsrat - Basel-Stadt
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Dezember 89 pibs<br />
1000 Tage!<br />
Frau Dr. Marie-Louise Stamm und Frau lic.iur. Felicitas<br />
Lenzinger sind beide seit eineinhalb Jahren - zusammen<br />
rund 1000 Tage - am Gericht für Strafsachen tätig, also an<br />
jenem Gericht, das alle Arten von Straftaten - vom<br />
Falschparkieren bis zum Mordfall - zu beurteilen hat. pibs<br />
sprach mit den beiden Präsidentinnen.<br />
von lic.iur. Gabrielle Kremo Foto: Niggi Bräuning<br />
pibs:<br />
Können Sie unseren Leserinnen und<br />
Lesern erklären, worin nun Ihre bisherige<br />
Tätigkeit konkret bestanden hat?<br />
F. Lenzinger:<br />
Ich hatte mich im vergangenen Jahr als<br />
Präsidentin des Polizeigerichts in erster<br />
Linie mit Straftaten im Strassenverkehr<br />
zu befassen, daneben auch mit Fahrlässigkeitsdelikten,<br />
z.B. Verursachen eines<br />
schweren Unfalles mit Todesfolge. In<br />
diesen Bereichen werden nicht nur Leute<br />
straffällig, die man sich allgemein als<br />
«Kriminelle» vorstellt, sondern Leute<br />
aus allen Bevölkerungsschichten und fast<br />
jeglichen Alters. Nur ein kleinerer Teil<br />
der von mir beurteilten Fälle wurde in<br />
einer Gerichtsverhandlung behandelt,<br />
die überwiegende Anzahl wurde in<br />
einem schriftlichen Verfahren mit Strafbefehl<br />
beurteilt.<br />
M.-L. Stamm:<br />
Für mich als Präsidentin in der sog.<br />
allgemeinen Abteilung des Strafgerichts<br />
bestand die Arbeit im Vorbereiten des<br />
Prozessstoffes (Anklagen wegen Diebstahls,<br />
Betrugs, Raubes, Betäubungsmitteldelikten)<br />
für die Gerichtsverhandlung:<br />
z.B. im Prüfen, ob Zeugen vorgeladen<br />
werden müssen, ob ein psychiatrisches<br />
Gutachten in Auftrag zu geben ist,<br />
welche Fragen dem Gutachter zu stellen<br />
sind, ob der Angeklagte noch vor der<br />
Gerichtsverhandlung aus der Haft entlassen<br />
werden kann, allenfalls unter<br />
welchen Bedingungen. Dann hatte ich<br />
die entsprechenden Gerichtsverhandlungen<br />
zu leiten.<br />
Marie-Louise Stamm (rechts) und Felicitas Lenzinger<br />
pibs:<br />
Welche Erwartungen haben Sie letztes<br />
Jahr bei Antritt Ihres neuen Amtes gehabt<br />
und sind diese nun erfüllt worden?<br />
M.-L. Stamm:<br />
Ich erhoffte mir, eine abwechslungsreiche<br />
Tätigkeit, die mich fordert, zu<br />
versehen und diese Erwartung hat sich<br />
voll erfüllt.<br />
F. Lenzinger:<br />
Von meiner früheren beruflichen Tätigkeit<br />
als Gerichtsschreiberin am Strafgericht<br />
konnte ich mir meine Tätigkeit als<br />
Gerichtspräsidentin eigentlich bereits<br />
konkret vorstellen. Ursprünglich hatte<br />
ich allerdings erwartet, dass ich wesentlich<br />
individuellere, also auf die jeweilige<br />
Person noch besser zugeschnittene Urteile<br />
würde fällen können. Dies hat sich<br />
am Polizeigericht wegen der grossen<br />
Anzahl von Fällen • • in <strong>Basel</strong>-<strong>Stadt</strong><br />
wurden 1988 ca. 22 000 Personen verzeigt<br />
- nicht so verwirklichen lassen, wie ich es<br />
mir vorgestellt hatte. Vielleicht spielt<br />
auch eine Rolle, dass man als Polizeigerichtspräsidentin<br />
viele von der Sache her<br />
ähnlich gelagerte Fälle zu beurteilen hat.<br />
pibs:<br />
Was bedeutet es für Sie, dass die<br />
Gerichtspäsidenten und -präsidentinnen<br />
im Kanton <strong>Basel</strong>-<strong>Stadt</strong> vom Volk gewählt<br />
werden ?<br />
F. Lenzinger:<br />
Die Volkswahl bedeutet für mich, dass<br />
ich meine Aufgabe nicht ausüben kann<br />
und soll, ohne die gesellschaftliche<br />
Realität und insbesondere die Probleme<br />
der Gesellschaft zu berücksichtigen. Als<br />
Richterin muss ich mich allerdings in<br />
meiner Tätigkeit in sehr weitgehendem<br />
Masse an den bestehenden Gesetzen<br />
orientieren. Dies garantiert letztlich auch<br />
die richterliche Unabhängigkeit. Es dürfen<br />
daher keine so hohen Erwartungen<br />
an die politischen Konsequenzen richterlicher<br />
Tätigkeit geknüpft werden, wie<br />
dies bei ändern durch das Volk gewählten<br />
Amtsträgern, z.B. Parlamentariern<br />
und Regierungsräten, der Fall ist. Vor<br />
allem im Bereich der Justiz müssen<br />
grundsätzliche Entscheide in der politischen<br />
Diskussion auf dem Wege der<br />
Gesetzgebung gefällt werden.<br />
M.-L. Stamm:<br />
Die Volkswahl «könnte» bedeuten, dass<br />
der Gerichtspräsident vom Richterstuhl<br />
aus bei seinen Entscheiden aufs Stimmvolk<br />
schielt. Die politische Kultur in<br />
<strong>Basel</strong> ist aber glücklicherweise so entwikkelt,<br />
dass man um den Wert des<br />
unabhängigen Richters weiss. Es wird im<br />
Gerichtssaal keine parteipolitische Interessenvertretung<br />
betrieben!<br />
pibs:<br />
Wie sehen Sie Ihre Aufgabe und Rolle als<br />
Frau in der Strafjustiz? Glauben Sie, dass<br />
sich Ihre Amtsführung von derjenigen<br />
Ihrer männlichen Kollegen unterscheidet?<br />
M.-L. Stamm:<br />
Ich möchte in meiner richterlichen<br />
Tätigkeit meine Person und damit<br />
notwendigerweise auch mein Frausein<br />
einbringen. Ich habe mir vorgenommen,<br />
den vor mich gestellten Menschen wach<br />
und offen zu begegnen, ohne meine<br />
eigenen Idealvorstellungen zum Mass<br />
aller Dinge zu machen. Meine Kollegen<br />
bringen je ihre besondere Person und ihr<br />
Selbstverständnis in die Arbeit ein. Bei<br />
acht verschiedenen Temperamenten ist<br />
sicher die Gewähr für Ausgewogenheit<br />
gegeben.<br />
F. Lenzinger:<br />
Die Strafjustiz ist nicht auf eine einverständliche<br />
Erledigung eines Streites zwischen<br />
Parteien mit unterschiedlichen<br />
Interessen ausgerichtet. Wenn man das<br />
Herbeiführen von Entscheiden im Konsens<br />
als typisch weibliche Art der<br />
Konfliktlösung ansieht, kann ich als<br />
Gerichtspräsidentin diese Anforderungen<br />
nicht verwirklichen. Hingegen<br />
glaube ich, dass ich auch innerhalb<br />
solcher Strukturen nicht zuletzt durch<br />
die Art der Verhandlungsführung versuchen<br />
kann, dazu beizutragen, dass es<br />
leichter fällt, Entscheide zu akzeptieren.<br />
Abgesehen davon ist es heute ausserordentlich<br />
wichtig, dass wir es als selbstverständlich<br />
ansehen, dass auch Frauen als<br />
Trägerinnen wichtiger Entscheidungen<br />
nach aussen auftreten.<br />
pibs:<br />
Ergeben sich Probleme daraus, dass Sie<br />
als Frau mehrheitlich männliche Straftäter<br />
zu beurteilen haben, die noch dazu<br />
zum Teil aus anderen Kulturkreisen