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WISSENSCHAFT - Zeitschrift für Physiotherapeuten

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<strong>WISSENSCHAFT</strong><br />

<strong>WISSENSCHAFT</strong>_NARRATIVER REVIEW<br />

Therapiespezifisches Patientenverhalten –<br />

auf der Suche nach einem Modell<br />

Ein narrativer Review zu Verhaltensmodellen und deren Bedeutung <strong>für</strong> die Physiotherapie<br />

Thomas Messner<br />

ZUSAMMENFASSUNG<br />

Im Heilmittelkatalog ist in fast allen Diagnosegruppen unter anderem das Ziel »Erlernen eines Eigenübungsprogrammes« formuliert. Die<br />

Berücksichtigung dieser Zielsetzung sowie die in der Praxis begrenzten Therapieeinheiten machen die Bedeutung des Patientenverhaltens<br />

und deren Beeinflussung im Rahmen einer physiotherapeutischen Behandlung deutlich. Im vorliegenden narrativen Review werden<br />

unterschiedliche Theorien zur Erklärung gesundheitlicher Verhaltensweisen, die sich vor allem im bewegungstherapeutischen Setting<br />

bewährt haben, vorgestellt und deren Bedeutung im Bezug auf die Physiotherapie skizziert. Während Stadienmodelle des Gesundheitsverhaltens<br />

von der Annahme ausgehen, dass sich Menschen auf dem Weg hin zu einer Verhaltensänderung in verschiedenen qualitativ<br />

unterschiedlichen Stadien befinden, spezifizieren kontinuierliche Prädiktionsmodelle bestimmte kognitive und affektive Variablen als<br />

prädiktiv <strong>für</strong> ein Gesundheitsverhalten. Das sozialkognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns (Health Action Process Approach –<br />

HAPA) ist ein Hybridmodell und berücksichtigt sowohl motivationale als auch volitionale Komponenten. Das HAPA-Modell bietet <strong>für</strong> das<br />

physiotherapeutische Setting eine Grundlage <strong>für</strong> die nachhaltige Beeinflussung therapiespezifischen Verhaltens und <strong>für</strong> die Steigerung<br />

der Adherence des Patienten.<br />

Schüsselwörter_Patientenverhalten, Compliance, Adherence, Modelle des Gesundheitsverhaltens, Verhaltensänderung<br />

ABSTRACT<br />

Teaching patients a home exercise program is an important goal of physical therapy interventions. This goal as well as a limited number<br />

of treatment sessions underlines the impact of patients´ behaviour. Thus it is important to control patients´ behaviour within physical therapy<br />

intervention process. This narrative review presents different theories of health behaviour, which has been proven of value in therapeutic<br />

settings. Furthermore the importance of these theories for physical therapists will be delineated. Stadium models of health behaviour<br />

assume that people on their way to behaviour modification are situated in distinct and qualitative different stages. However, continuous<br />

prediction models specify cognitive and affective variables to be predictive for health behaviour. The Health Action Process<br />

Approach (HAPA) is a hybrid and considers motivating as well as volitional components. The HAPA-model provides a fundament for physical<br />

therapy practice and allows a sustainable influence of therapy specific behaviour as well as an increase of adherence.<br />

Keywords_Patient behaviour, compliance, adherence, models of health behaviour, behaviour modification<br />

6 pt_<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Physiotherapeuten</strong>_61 [2009] 1


Einleitung<br />

Im Rahmen des systematischen Reviews<br />

»Der Patient – eine große ›Unbekannte‹<br />

im Therapieprozess« (pt 9_2008) wurde<br />

bereits der aktuelle Forschungsstand im<br />

Bereich Compliance und Adherence in<br />

der Physiotherapie dargestellt. Der Beitrag<br />

machte Folgendes deutlich:<br />

Erstens belegen zahlreiche Untersuchungen,<br />

dass viele Patienten ein im Rahmen<br />

der Therapie entwickeltes Übungsprogramm<br />

nur unzureichend umsetzen.<br />

Zum Zweiten kann aus der bisherigen<br />

Forschung abgeleitet werden, dass es<br />

kaum wissenschaftliche Erkenntnisse zur<br />

Wirksamkeit theoriegeleiteter Vorgehensweisen<br />

gibt. Genau das ist aber dringend<br />

erforderlich – eine grundlegende Theorie,<br />

um weitere Interventionsprogramme entwickeln<br />

und evaluieren zu können. Hier<br />

erscheint der Blick über den Tellerrand<br />

nützlich und angebracht.<br />

Aus der Gesundheitspsychologie sind<br />

einige Modelle des Gesundheitsverhaltens<br />

bekannt (Renneberg & Hammelstein<br />

2006). Diese können grob in kontinuierliche<br />

(statische) Prädiktionsmodelle<br />

und dynamische Stadienmodelle<br />

un terteilt werden. Abbildung 1 zeigt<br />

eine übersichtliche Darstellung einiger<br />

Modelle mit der entsprechenden Zuordnung,<br />

wobei nicht alle derzeit bekannten<br />

Modelle aufgelistet sind. Es wurden vor<br />

allem die Ansätze berücksichtigt, <strong>für</strong> die<br />

empirische Überprüfungen im Bereich<br />

körperlicher Bewegung vorliegen.<br />

Im Rahmen dieses narrativen Reviews<br />

werden die beiden grundsätzlichen Perspektiven<br />

vorgestellt und zur Verdeutlichung<br />

beispielhaft einige Modelle skizziert.<br />

Dabei wird jeweils kurz auf die<br />

Forschungslage eingegangen und die<br />

Bedeutung der unterschiedlichen Mo -<br />

delle im Hinblick auf die Physiotherapie<br />

herausgearbeitet.<br />

Kontinuierliche Modelle<br />

Social Cognitive Theory<br />

(Bandura 2000)<br />

Theory of Planned Behavior<br />

(Aizen 1991)<br />

Health Belief Model<br />

(Rosenstock 1990)<br />

Protection Motivation Theory<br />

(Rogers 1985)<br />

aus dem Setting »Physiotherapie«<br />

Physiotherapie-Motivations-<br />

Modell (Göhner & Eid 2001)<br />

Stadienmodelle<br />

Stadienmodelle des Gesundheitsverhaltens<br />

gehen von der Annahme aus, dass<br />

sich Menschen auf dem Weg hin zu einer<br />

Verhaltensänderung in verschiedenen<br />

qualitativ unterschiedlichen Stadien<br />

befinden. Personen innerhalb eines Sta-<br />

Integrative Modelle<br />

HAPA-Modell<br />

(Schwarzer 2004)<br />

<strong>WISSENSCHAFT</strong>_NARRATIVER REVIEW<br />

Stadienmodelle<br />

Transtheoretisches Modell<br />

(Prochaska & DiClemente<br />

1993)<br />

Berliner-Stadien-Modell<br />

(Fuchs 2001)<br />

Precaution Adoption<br />

Process Model<br />

(Weinstein1998)<br />

Abb. 1_Übersicht kontinuierliche Modelle – Stadienmodelle (eigene Darstellung)<br />

Health Action Process<br />

Approach – HAPA<br />

nicht-intentional<br />

Transtheoretisches Modell – TTM<br />

Präkontemplation<br />

Berliner-Stadien-Modell – BSM<br />

Präkontemplation<br />

Kontem -<br />

plation<br />

Kontem -<br />

plation<br />

Precaution Adoption Process<br />

Model – PAPM<br />

Entscheidungs-<br />

Un - Igno - findung<br />

bewusst rieren Negativ-<br />

Entscheidung<br />

Disposition<br />

Resumption<br />

intentional<br />

Präparation<br />

Präaktion<br />

Positiv-Entscheidung<br />

Aufnahme<br />

Implemen -<br />

tierung<br />

Aneignung<br />

aktional<br />

Aufrechterhaltung<br />

Habituation<br />

Fluktuation<br />

Aufrechterhaltung<br />

⎫<br />

⎪<br />

⎬<br />

⎪<br />

⎭<br />

⎫<br />

⎪<br />

⎬<br />

⎪<br />

⎭<br />

⎫<br />

⎪<br />

⎬<br />

⎪<br />

⎭<br />

motivational volitional-inaktiv volitional-aktiv<br />

Abb. 2_Übersicht über verschiedene Stadienmodelle (nach Lippke & Kaluschke 2007)<br />

diums ähneln sich hinsichtlich ihres Verhaltens,<br />

ihrer Gedanken und Gefühle<br />

und unterscheiden sich stark von denen,<br />

die sich in einem anderen befinden. Der<br />

Patient durchläuft die einzelnen Stadien<br />

in der entsprechenden Reihenfolge, bis<br />

er letztlich das gewünschte Zielverhalten<br />

ausübt. Dabei muss er in >>><br />

pt_<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Physiotherapeuten</strong>_61 [2009] 1 7


<strong>WISSENSCHAFT</strong>_NARRATIVER REVIEW<br />

aller Regel mehrere Stadienwechsel vollziehen,<br />

die jeweils durch passende Interventionen<br />

ermöglicht werden. Abbildung<br />

2 gibt einen Überblick über verschiedene<br />

aktuelle Stadienmodelle.<br />

Zur Verdeutlichung sei an dieser Stelle<br />

nochmals an den Beispielpatienten aus<br />

dem systematischen Review (pt 9_2008)<br />

erinnert. Dieser Patient sollte auf ärztlichen<br />

Rat hin Gewicht abbauen. Stadientheoretisch<br />

betrachtet kann er sich<br />

auf dem Weg zur Verhaltensänderung<br />

(hier: regelmäßige körperliche Aktivität)<br />

auf unterschiedlichen Stufen befinden.<br />

Angenommen er hat die gewünschte<br />

körperliche Aktivität noch nicht ausgeführt<br />

und auch noch nicht daran gedacht<br />

sich zu bewegen. In diesem Fall helfen<br />

dem Patienten bestimmte motivierende<br />

Maßnahmen. Der Patient kann sich aber<br />

auch schon im nächsten Stadium befinden.<br />

Dann hat er bereits fest die Absicht<br />

gefasst, sie jedoch aus irgendwelchen<br />

Gründen noch nicht umsetzen können.<br />

Er steckt in der Intentions-Verhaltens-<br />

Lücke fest. Hier werden keine weiteren<br />

motivierenden Maßnahmen mehr greifen.<br />

Vielmehr benötigt der Patient in dieser<br />

Phase eine Umsetzungsunterstützung.<br />

Vielleicht hat er aber auch ein<br />

Erfolgserlebnis verbuchen können und<br />

war tatsächlich einmal mit den Nordic-<br />

Walking-Stöcken unterwegs. Nun kann<br />

die weitere Aufrechterhaltung des Verhaltens<br />

zum Problem werden. Im güns -<br />

tigsten aller Fälle geht er tatsächlich<br />

regelmäßig seiner sportlichen Handlung<br />

nach. Dann sollte alles getan werden, um<br />

Rückfälle zu verhindern. Anhand dieses<br />

kurzen Beispiels werden die zentralen<br />

Annahmen der Stadientheorien nochmals<br />

deutlich, wobei sich die einzelnen<br />

Modelle hinsichtlich der Stadienanzahl<br />

unterscheiden. Grundsätzlich wird bei<br />

allen Modellen davon ausgegangen,<br />

dass je nach Stadium unterschiedliche<br />

Interventionen nötig sind, um der Person<br />

bei der Aneignung des gewünschten<br />

Verhaltens behilflich zu sein.<br />

Den Stadienmodellen wird jedoch oftmals<br />

vorgeworfen sogenannte Pseudo -<br />

stadien zu bilden, also einen kontinuierlichen<br />

Prozess durch künstliche Stadienbildung<br />

willkürlich zu unterteilen (Sutton<br />

1996). Wenn dies zutreffen würde, dann<br />

wäre die Einteilung in der Tat nicht angebracht.<br />

Aktuelle Modelle müssen also im<br />

Besonderen das Kriterium der qualitativen<br />

Unterschiede zwischen den Stadien<br />

berücksichtigen und theoretisch evaluieren<br />

(Fuchs 2003). Weinstein et al. (1998)<br />

haben hierzu wichtige methodische Kriterien<br />

zusam mengefasst, die bei der empirischen<br />

Überprüfung der Stadienannahme<br />

zu berücksichtigen sind.<br />

Bei aller Kritik bieten die Stadientheorien<br />

einen großen Vorteil, der auch <strong>für</strong><br />

die Physiotherapie von großem Interesse<br />

ist. Eine entsprechende Diagnostik kann<br />

die Zuweisung der Patienten in die einzelnen<br />

Stadien ermöglichen. Das erlaubt<br />

wiederum zugeschnittene, stadienspezifische<br />

Interventionen, die im Vergleich<br />

zu »one-size-fits-all-interventions« zielgerichtetere<br />

und vor allem ökonomischere<br />

Vorgehensweisen darstellen. Dies<br />

wäre besonders vor dem Hintergrund<br />

der begrenzten Behandlungszahlen<br />

interessant. Anhand des HAPA-Modells<br />

wird im weiteren Verlauf des Artikels<br />

ein Stadienmodell beispielhaft dargestellt.<br />

Zuvor erfolgt jedoch ein kurzer<br />

Ausblick auf die kontinuierlichen Mo -<br />

delle des Gesundheitsverhaltens.<br />

Kontinuierliche<br />

Prädiktionsmodelle<br />

Bei diesen Modellen basiert die Betrachtung<br />

und Vorhersage von Verhaltensweisen<br />

auf den Wirkungen unterschied-<br />

licher Prädiktoren. Die Modelle spezifizieren<br />

bestimmte kognitive und affek -<br />

tive Variablen als prädiktiv <strong>für</strong> ein Ge -<br />

sundheitsverhalten. Diese Prädiktoren<br />

und deren Beziehung untereinander<br />

können zu einem Modell zusammengefasst<br />

werden und somit direkt oder indirekt<br />

das Verhalten erklären. Die Wahrscheinlichkeit<br />

<strong>für</strong> ein bestimmtes Verhalten<br />

ist dann besonders hoch, wenn die<br />

Personen eine günstige Ausprägung dieser<br />

Prädiktoren aufweisen können. Ein<br />

beispielhafter Vertreter ist die »Theorie<br />

des geplanten Verhaltens«.<br />

Theorie des geplanten Verhaltens<br />

Die Theorie des geplanten Verhaltens<br />

(Theory of Planned Behavior TPB) von<br />

Ajzen (1991) geht von der Annahme aus,<br />

dass Verhaltensänderungen durch die<br />

persönlichen Einstellungen, die subjektive<br />

Norm und die wahrgenommene Verhaltenskompetenz<br />

beeinflusst werden.<br />

Unter der subjektiven Norm wird dabei<br />

der soziale Druck verstanden, ein<br />

bestimmtes Zielverhalten an den Tag zu<br />

legen oder zu unterlassen. Der Patient<br />

kann durch sein Umfeld bestärkt werden,<br />

therapiespezifische Übungen durchzuführen.<br />

Er könnte jedoch auch dem Druck<br />

seiner Mitmenschen nachgeben und sein<br />

Übungsprogramm zugunsten anderer<br />

Tätigkeiten, sei es nun das gemeinsame<br />

Mittagessen mit Kollegen oder der Kinobesuch<br />

mit dem Partner, unterlassen.<br />

Die Einstellungen beziehen sich auf<br />

eigene positive, aber auch negative<br />

Bewertungen des entsprechenden Verhaltens.<br />

Ob der Patient nun seine vom<br />

Therapeuten empfohlenen Übungsformen<br />

durchführt, hängt also maßgeblich<br />

von der persönlichen Bewertung ab.<br />

Beide Konstrukte haben Einfluss auf<br />

das Verhalten, wobei dieses durch die<br />

Intention vermittelt wird. Intentionen<br />

sind somit als Mediatoren zu >>><br />

8 pt_<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Physiotherapeuten</strong>_61 [2009] 1


+=0,39<br />

Einstellungen<br />

r+=0,27<br />

Subjektive Norm r+=0,25<br />

Wahrgenommene<br />

Verhaltenskontrolle<br />

verstehen, denn nur, wer eine Intention<br />

gebildet hat, wird dieses Verhalten auch<br />

ausüben.<br />

Unter der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle<br />

versteht Ajzen die subjektiv<br />

wahrgenommene »Gewissheit«, ein<br />

bestimmtes Verhalten auch ausüben zu<br />

können. Dieses Konstrukt ähnelt dem<br />

Begriff der Selbstwirksamkeit, welcher<br />

von Bandura geprägt wurde und in zahlreichen<br />

Modellen als wesentlicher Baustein<br />

auftaucht. Hagger et al. (2002)<br />

berücksichtigten in ihrer Meta-Analyse<br />

79 Studien im Bereich Sport- und Bewegungsverhalten.<br />

Die Annahmen des<br />

Modells konnten bestätigt werden. So<br />

übt die Intention einen bedeutenden<br />

Einfluss auf das Verhalten aus. Sie wird<br />

dabei vor allem von den Einstellungen<br />

und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle<br />

beeinflusst. Weiterhin bestätigen<br />

die Ergebnisse die Bedeutung der<br />

wahrgenommenen Verhaltenskontrolle<br />

<strong>für</strong> die tatsächliche Ausübung des Verhaltens.<br />

Abbildung 3 zeigt das Ergebnis.<br />

Mit r+ sind die aggregierten, stichprobengewichteten<br />

Korrelationen (Hagger<br />

et al. 2002) abgebildet.<br />

Eine zusammenfassende Analyse von<br />

neun Meta-Analysen von Conner &<br />

r+=0,48<br />

Intention zu sportlicher<br />

Aktivität<br />

r+=0,25 r+=0,44<br />

Abb. 3_Theory of Planned Behavior (nach Hagger et al. 2002)<br />

r+=0,42<br />

r+=0,31<br />

Sportliche Aktivität<br />

Sparks (2005) bestätigt diese Annahmen<br />

im Wesentlichen. Bei der Betrachtung<br />

der durchaus positiven Befunde muss<br />

jedoch berücksichtigt werden, dass verstärkt<br />

querschnittliche Designs in den<br />

Analysen vorlagen. Weiterhin wurde<br />

keine Veränderungskomponente berück -<br />

sichtigt. Die fehlende Berücksichtigung<br />

der Effekte des bisherigen Verhaltens auf<br />

das aktuelle Verhalten führt somit zu<br />

eher hohen Korrelationen.<br />

Insgesamt kann festgestellt werden,<br />

dass sich die TPB verstärkt zur Vorher -<br />

sage von aktivitätsbezogenen Intentionen<br />

eignet. Die konkrete Absicht kann durch<br />

eine modellbasierte Intervention zwar<br />

optimiert werden, das Verhalten lässt sich<br />

dadurch jedoch oftmals nicht beeinflussen<br />

(Chatzisarantis & Hagger 2005). Bislang<br />

existieren keine längsschnittlichen<br />

Studien, die TPB-basierte Interventionen<br />

im Rahmen physiotherapeutischer Be -<br />

handlungen betrachten. Mit dem Physiotherapie-Motivations-Modell<br />

(PTM) liegt<br />

ein Modell vor, welches diesem speziellen<br />

Setting Rechnung trägt.<br />

Physiotherapie-Motivations-Modell<br />

Da das Physiotherapie-Motivations-<br />

Modell (PTM) bereits in einem Beitrag<br />

<strong>WISSENSCHAFT</strong>_NARRATIVER REVIEW<br />

von Anke Wallburg ausführlich beschrieben<br />

wurde (pt 9_2008), soll an dieser<br />

Stelle lediglich eine kurze Erläuterung<br />

genügen. Auf der Basis des MAARS<br />

Modells (Fuchs 1997) wurden in einer<br />

Studie von Göhner & Eid (2001) die Prädiktoren<br />

identifiziert, die bei der Aneignung<br />

und Aufrechterhaltung physiotherapeutischen<br />

Eigentrainings relevant<br />

sind. Dabei wird deutlich, dass Unterschiede<br />

im Verhalten auf unterschiedliche<br />

Ausprägungen der Intention und<br />

der Barriereerwartungen zurückzuführen<br />

sind. Die Intention wiederum wird<br />

maßgeblich von der Ernsthaftigkeit be -<br />

einflusst. Mit dem PTM-Modell (Abb. 4)<br />

wurde erstmalig der Versuch unternommen,<br />

physiotherapiespezifisches Verhalten<br />

mit der Hilfe eines Modells zu erklären<br />

und so eine Basis <strong>für</strong> theoriebasierte<br />

Interventionen zu schaffen.<br />

Das Modell wurde in einer nachfolgenden<br />

Untersuchung Iängsschnittlich<br />

getestet (Göhner 2003). Dabei konnte<br />

eine statistisch signifikante Verbesserung<br />

der Selbstwirksamkeits- und der<br />

Ernsthaftigkeitswerte und eine Verminderung<br />

der Barriereerwartungen erreicht<br />

werden. Die theoriebasierte Motivationsintervention,<br />

die zusätzlich zu einer<br />

ambulanten physiotherapeutischen Be -<br />

handlung angeboten wurde, führte zu -<br />

dem zu einer regelmäßigeren Durchführung<br />

physiotherapeutischer Übungsformen.<br />

Bei den bisher beschriebenen konti -<br />

nuierlichen Modellen werden stets die<br />

Intentionen als zentral <strong>für</strong> das Verhalten<br />

angenommen. Sie können somit den mo -<br />

tivationalen Modellen zugeordnet werden.<br />

Bei Patienten mit einer stark ausgeprägten<br />

Intention steigt die Wahrscheinlichkeit<br />

der Übungsausführung.<br />

Nun führt jedoch eine starke Absicht<br />

noch nicht zwingend zum gewünschten<br />

Verhalten. Abraham & Sheeran<br />

pt_<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Physiotherapeuten</strong>_61 [2009] 1 9<br />

>>>


<strong>WISSENSCHAFT</strong>_NARRATIVER REVIEW<br />

(2002) weisen darauf hin, dass im Be -<br />

reich gesundheitlicher Verhaltensweisen<br />

lediglich 20 bis 25 Prozent der interin -<br />

dividuellen Verhaltensdifferenzen durch<br />

gesundheitsbezogene Intentionen aufgeklärt<br />

werden können. In diesem Zu sam -<br />

men hang benutzt er den Begriff der<br />

»Intention-Behavior-Gap«, der sogenannten<br />

»Intentions-Verhaltens-Lücke«.<br />

So gelingt es fast der Hälfte der Personen<br />

mit positiven Intentionen nicht, im Sinne<br />

dieser Absichten zu handeln (Sheeran<br />

2002). Diese Lücke kann durch die zu -<br />

sätzliche Berücksichtigung volitionaler<br />

Variablen ( _S. 98) theoretisch überbrückt<br />

werden. Genau das erscheint<br />

auch bezüglich der Beeinflussung und<br />

Verbesserung der Adherence im Rahmen<br />

physiotherapeutischer Behandlungen<br />

erforderlich. Der Begriff Volition kann in<br />

dem Zusammenhang als »willentliche<br />

Verhaltenssteuerung« verstanden werden.<br />

Ergänzung volitionaler Konzepte<br />

Die folgenden beiden volitionalen Strategien<br />

scheinen <strong>für</strong> eine Umsetzung im<br />

therapeutischen Kontext geeignet und<br />

haben sich empirisch bereits bewährt.<br />

Zum einen kann man die Umsetzung<br />

Barriereerwartungen<br />

-0,32*<br />

Selbstwirksamkeit<br />

0,33*<br />

-0,31*<br />

27 %<br />

Ernsthaftigkeit<br />

eines geplanten Verhaltens durch entsprechende<br />

Planungsaktivitäten erreichen.<br />

An dieser Stelle ist vor allem das<br />

Konzept der Implementierungsintentionen<br />

(IMPS) von Gollwitzer (1999) zu<br />

nennen. Bei IMPS ( _S. 97) handelt<br />

es sich um im Vorfeld des Verhaltens<br />

konkret formulierte Wenn-Dann-Pläne.<br />

Dabei wird die Handlung konkret<br />

geplant. So wird beispielsweise genauer<br />

beschrieben wann, wo, wie und gegebenenfalls<br />

mit wem das Verhalten aus -<br />

geführt wird. Die genaue Formulierung<br />

geschieht mittels einer Wenn-Dann-<br />

Beziehung. Die Wenn-Komponente kann<br />

sowohl ein interner Reiz (Müdigkeit,<br />

Schmerz etc.) als auch ein externer Reiz<br />

(Wochentag, Tageszeit etc.) sein. Dieser<br />

wird dann die weitere Dann-Komponente,<br />

wie zum Beispiel die Durchführung<br />

einer speziellen Übungsform oder die<br />

Vermeidung von unerwünschten Verhaltensweisen,<br />

angehängt. Dadurch, dass<br />

also konkrete Situationen festgelegt werden,<br />

sind diese besser zu erkennen.<br />

Durch Verknüpfung mit einer Verhaltensreaktion<br />

wird somit ein Teil der Verhaltenskontrolle<br />

an die Umwelt abgegeben<br />

(Gollwitzer & Sheeran 2006, Goll -<br />

witzer 1999). Die Wirkungsweise dieser<br />

Intention Verhalten<br />

0,26*<br />

0,22*<br />

Abb. 4_Physiotherapie-Motivations-Modell (Göhner & Eid 2001; *p < 0,05)<br />

IMPS belegen zahlreiche Untersuchungen<br />

(Gollwitzer & Sheeran 2006). Zu -<br />

sätz lich zu den Implementierungsinten -<br />

tionen steht eine weitere Planungsinstanz<br />

zur Verfügung. Im Rahmen von<br />

Be wältigungsplänen werden die zu er -<br />

wartenden Barrieren im Vorfeld der<br />

Handlung erkannt. Die Identifikation<br />

dieser Barrieren ermöglicht nun eine<br />

Formulierung von geeigneten Bewältigungsplänen.<br />

Auch diese werden in<br />

einem Wenn-Dann-Kontext konkretisiert.<br />

Eine zweite zentrale volitionale Strategie<br />

ist die Handlungskontrolle. Deren<br />

Funktionsweise geht im weitesten Sinn<br />

auf kybernetische Feedback-Modelle<br />

zurück. Ähnlich wie bei einer thermostatgesteuerten<br />

Heizung werden spezifische<br />

Parameter gemessen und mit einem<br />

vorab definierten Sollwert verglichen.<br />

Der Vergleich führt dann zu einem entsprechenden<br />

Ergebnis. In dem Zu sam -<br />

menhang haben sich drei Strategien<br />

bewährt.<br />

Nach der Formulierung einer Absicht<br />

muss man vorab konkrete Handlungsstandards<br />

formulieren – dies entspricht<br />

quasi der Einstellung des Thermostats.<br />

Im Bereich physiotherapeutischer Eigenübungsformen<br />

sind hier die gewünschte<br />

Zielübung und deren exakte Ausführungsmodalität<br />

zu definieren.<br />

In einem weiteren Schritt findet eine<br />

Selbstbeobachtung statt. Es wird regelmäßig<br />

und eigenständig kontrolliert, ob<br />

das Verhalten auch tatsächlich ausgeführt<br />

wird. Möglichkeiten der Kontrolle<br />

und Rückmeldung sind beispielsweise<br />

Übungstagebücher oder schriftliche be -<br />

ziehungsweise mündliche Erinnerungen<br />

und Rücksprachen.<br />

Wenn nun eine Diskrepanz zwischen<br />

vorweg definiertem und dem tatsächlich<br />

wahrgenommenen Ergebnis erkennbar<br />

ist, werden Selbstregulationsan- >>><br />

10 pt_<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Physiotherapeuten</strong>_61 [2009] 1<br />

17 %


Selbstwirk sam -<br />

keitserwartung<br />

Ergebniserwartung<br />

Risikowahrnehmung<br />

strengungen im Sinne von Diskrepanz<br />

reduzierenden Maßnahmen eingeleitet.<br />

Durch entsprechende Regulation ist es<br />

dem Patienten möglich, sein Handeln<br />

anzupassen. Gegebenenfalls sind kleine<br />

Hilfen zur Umsetzung oder eine Modifikation<br />

der Ziele und Planung notwendig.<br />

Diese drei Komponenten sind<br />

wesentliche Bausteine einer gelungenen<br />

Handlungskontrolle (Baumeister et al.<br />

1994).<br />

HAPA-Modell als<br />

integratives Modell<br />

Eine Integration dieser volitionalen<br />

Komponenten kann also dazu beitragen,<br />

die Intentions-Verhaltens-Lücke zu überwinden.<br />

Das sozialkognitive Prozessmodell<br />

gesundheitlichen Handelns (HAPA)<br />

berücksichtigt nun neben den bereits in<br />

vielen Modellen zugrunde liegenden<br />

motivationalen auch verstärkt volitionale<br />

Komponenten. Grundsätzlich können<br />

so zwei Prozesse voneinander abgegrenzt<br />

werden. Im motivationalen Prozess<br />

der Intentionsbildung sind vor<br />

Ziel Planung Verhalten<br />

Barrieren &<br />

Ressourcen<br />

<br />

»Non-Intender« »Intender« »Actor«<br />

Abb.5_HAPA-Modell (nach Lippke & Renneberg 2006; Schwarzer 2004)<br />

allem die Konstrukte Selbstwirksamkeit,<br />

Handlungsergebniserwartung und Risikowahrnehmung<br />

relevant. Der volitionale<br />

Prozess wird maßgeblich von den<br />

Planungsaktivitäten, den Handlungskontrollaktivitäten<br />

und der Selbstwirksamkeit<br />

beeinflusst. Innerhalb dieser<br />

Prozesse kann man das HAPA-Modell<br />

(Abb. 5) als kontinuierliches Modell verstehen.<br />

Zusätzlich werden jedoch auch<br />

stadientheoretische Annahmen integriert.<br />

Das HAPA-Modell stellt somit ein<br />

Hybridmodell dar.<br />

Betrachtet man das HAPA-Modell als<br />

Stadienmodell, so sind drei verschiedene<br />

Stadien zu unterscheiden. Auf dem Weg<br />

zur Verhaltensänderung müssen Patienten<br />

diese nacheinander durchlaufen. In<br />

jedem Stadium sind andere Interven -<br />

tionen fruchtbar, um einen Wechsel in<br />

eine höhere Stufe zu erreichen und letztlich<br />

eine Verhaltensänderung zu induzieren.<br />

Der »Non-Intender« befindet sich im<br />

motivationalen Stadium. Bei ihm steht<br />

die Bildung einer Intention im Vordergrund.<br />

Diese Phase endet mit einer konkreten<br />

Zielsetzung. In dem anschließen-<br />

<strong>WISSENSCHAFT</strong>_NARRATIVER REVIEW<br />

den volitionalen Stadium versucht der<br />

sogenannte »Intender« die gefasste Ab -<br />

sicht in die Tat umzusetzen. Hier spielen<br />

vor allem Planungsprozesse eine entscheidende<br />

Rolle. Mit der Initiierung der<br />

Handlung beginnt die aktionale Phase,<br />

das heißt ein »Intender« wird zum<br />

»Actor«. Die gewünschte Verhaltensweise<br />

wird ausgeführt. Während dieser<br />

Phase findet eine ständige Handlungsausführungskontrolle<br />

statt, bei der es<br />

letztlich darum geht, sowohl die Handlung<br />

als auch die Intention gegenüber<br />

Distraktoren abzuschirmen.<br />

Die einzelnen Kernaussagen des<br />

Modells wurden im Kontext von unterschiedlichen<br />

gesundheitlichen Verhaltenweisen<br />

untersucht. Im Fokus der Aufmerksamkeit<br />

lag dabei sowohl das<br />

Übungs- und Aktivitätsverhalten im<br />

Rahmen der kardiologischen und orthopädischen<br />

Rehabilitation als auch andere<br />

gesundheitlich relevante Verhaltensweisen,<br />

wie zum Beispiel die Zahn -<br />

seidebenutzung, die prophylaktische<br />

Eigen palpation der Brust von Frauen<br />

oder die Umsetzung bestimmter Ernährungsgewohnheiten.<br />

Im bewegungstherapeutischen<br />

Bereich belegen zahlreiche<br />

Untersuchungen die grundlegenden An -<br />

nahmen des Modells und die Exis tenz<br />

der unterschiedlichen Stadien (Überblick:<br />

vgl. Schwarzer 2008).<br />

Die stadientheoretische Annahme<br />

macht das Modell <strong>für</strong> die Therapie<br />

besonders interessant. Je nach Stadium,<br />

in dem sich der Patient befindet, können<br />

zielgerichtete Interventionen die The -<br />

rapie ergänzen und dazu beitragen, den<br />

Behandlungserfolg nachhaltig zu si chern.<br />

Im Bereich der Physiotherapie scheint das<br />

vor dem Hintergrund des begrenzten<br />

Zeitrahmens besonders in teressant.<br />

Im Bereich bewegungstherapeutischer<br />

Verhaltensweisen existieren einige Interventionsstudien,<br />

die die Wir-<br />

pt_<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Physiotherapeuten</strong>_61 [2009] 1 11<br />

>>>


<strong>WISSENSCHAFT</strong>_NARRATIVER REVIEW<br />

kungsweise von theoriekonformen<br />

Interventionen auf Basis des HAPA-<br />

Modells analy sieren.<br />

Lippke et al. (2004) untersuchten im<br />

Rahmen einer Interventionsstudie die<br />

Effekte einer Planungsintervention bei<br />

540 orthopädischen Patienten im Rahmen<br />

einer Rehabilitation. Am Ende der<br />

Rehabilitation wurden die Patienten randomisiert<br />

einer Kontroll- und einer Planungsgruppe<br />

zugeordnet. Die Patienten<br />

der Planungsgruppe sollten sich bis zu<br />

drei detaillierte Handlungspläne zu<br />

weiterführenden Übungsformen im<br />

Sinne der beschriebenen IMPS notieren.<br />

Die Planungsintervention dauerte 5 bis<br />

10 Mi nuten. Die Kontrollgruppe erhielt<br />

keine Intervention. Die Patienten der<br />

Übungsgruppe absolvierten ihr Programm<br />

häufiger als die Patienten der<br />

Kontrollgruppe. Weiterhin wurde deutlich,<br />

dass die Patienten, die bereits eine<br />

Intention gefasst hatten, in höherem<br />

Maße aktiv waren als die jenigen, die<br />

noch keine Absicht gefasst hatten. Diese<br />

Tat sache spricht <strong>für</strong> die stadientheoretische<br />

Annahme und die Effektivität stadienspezifischer<br />

Interventionen.<br />

Eine weitere Untersuchung mit 114<br />

Patienten einer kardiologischen Rehabilitation<br />

in Polen kam zu einem vergleichbaren<br />

Ergebnis (Luszczynska 2006).<br />

Auch hier nahmen die Patienten am<br />

Ende ihrer Rehabilitation an einer kurzen<br />

Intervention teil, mit dem Ziel einen<br />

konkreten Handlungsplan zu formulieren.<br />

Nach sechs Monaten gab es bei der<br />

Interventionsgruppe keinen Unterschied<br />

bezüglich der durchgeführten Übungseinheiten<br />

im Vergleich zum Ende der<br />

Rehabilitation. Sie konnten ihr Aktivitäts<br />

level halten, während die Kontrollgruppe<br />

im gleichen Zeit raum signifikante<br />

Rückgänge zu verzeichnen hatte.<br />

Sniehotta et al. (2006) untersuchten<br />

zusätzlich die Wirkungen von Bewälti-<br />

gungsplänen. Im Rahmen einer kardiologischen<br />

Rehabilitation wurden insgesamt<br />

246 Patienten in der zweiten Woche<br />

ihrer Rehabilitation randomisiert drei<br />

Gruppen zugeordnet. In der ersten Interventionsgruppe<br />

formulierten die Patienten<br />

je drei konkrete Handlungspläne.<br />

Die Patienten der zweiten Interventionsgruppe<br />

sollten zusätzlich dazu bis zu<br />

drei Bewältigungspläne erstellen. Dies<br />

geschah in Einzelsitzungen, die bis zu 30<br />

Minuten dau erten. Zwei Monate nach<br />

der Intervention waren die Teilnehmer<br />

der kombinierten Gruppe signifikant<br />

häufiger ak tiv als die Patienten der Kontrollgruppe.<br />

Die Untersuchung zeigt<br />

unter anderem die Effektivität einer<br />

kombinier ten Planungsintervention.<br />

Besonders eindrucksvoll er schei nen die<br />

Ergebnisse, wenn man berücksichtigt,<br />

dass die In ter vention nur einen zeitlichen<br />

Rahmen von maximal 30 Mi nuten innerhalb<br />

der dreiwöchigen Re habilitation in<br />

Anspruch genommen hat.<br />

Sniehotta et al. (2005) ergänzten den<br />

Aspekt der Handlungskontrolle und un -<br />

tersuchten die Effektivität einer Intervention<br />

zur Verbesserung der Ausführungsplanung,<br />

der Bewältigungsplanung und<br />

der Handlungskontrolle auf die körperliche<br />

Aktivität von 199 kardiologischen<br />

Rehabilitationspatienten. Mit den Pa -<br />

tien ten der ersten Treatmentgruppe wurden<br />

während der Rehabilitation je drei<br />

Ausführungspläne und drei Bewältigungspläne<br />

erarbeitet, die in einem Planungsheft<br />

notiert wurden. Nach Entlassung<br />

bekamen die Patienten der zweiten<br />

Treatmentgruppe zusätzlich zu den Planungsinterventionen<br />

in den folgenden<br />

sechs Wochen je einen wöchentlichen<br />

Fragebogen zur Erhöhung der Handlungskontrolle<br />

zugesandt. Die Patienten<br />

der Kontrollgruppe durchliefen in der<br />

Zeit ein Standardrehabilitationsprogramm.<br />

Zwei Wochen nach der Entlas-<br />

sung wiesen die Patienten der beiden<br />

Planungsgruppen eine höhere körper -<br />

liche Aktivität auf als die der Kontrollgruppe.<br />

Vier Monate nach der Intervention<br />

war dieser Effekt nur noch bei der<br />

kombinierten Intervention nachweisbar.<br />

Es konnte gezeigt werden, dass die<br />

Wochenhefte einen positiven Einfluss<br />

auf die Handlungskontrolle bewirkten.<br />

Selbst ein Jahr nach der Untersuchung<br />

ließen sich noch Verhaltensänderungen<br />

nachweisen (Sniehotta & Scholz 2006).<br />

Schlussfolgerungen<br />

Die Kernannahmen des HAPA-Modells<br />

und die Ergebnisse der Interventionsstudien<br />

führen nun zu der berechtigten<br />

Hoffnung, dass auch in einem normalen<br />

Physiotherapie-Setting das Patientenverhalten<br />

nachdrücklich durch sparsame<br />

Interventionen beeinflusst werden kann.<br />

Viele der Untersuchungen zeigen, dass<br />

volitionale Maßnahmen nur bei Personen<br />

fruchten, die bereits eine Intention<br />

gebildet haben. Ist dies noch nicht der<br />

Fall oder führt der Patient das Zielverhalten<br />

vielleicht sogar schon aus, so sind<br />

andere Interventionen erforderlich. Für<br />

eine zielgerichtete Strategie scheint also<br />

eine geeignete Stadiendiagnostik unersetzlich.<br />

Im Anschluss daran ist eine<br />

»tailored-Intervention« möglich, die im<br />

weitesten Sinn erlaubt, das therapiespezifische<br />

Verhalten nachhaltig zu beeinflussen<br />

und die Adherence des Patienten<br />

zu erhöhen. Für eine solche Intervention<br />

bietet das HAPA-Modell eine geeignete<br />

Grundlage. Zum einen werden in diesem<br />

Modell im Unterschied zu einigen<br />

anderen Stadienmodellen nur drei<br />

grundsätzliche Stadien postuliert. Das<br />

erleichtert die Konzeption stadienspezifischer<br />

Interventionen und ermöglicht<br />

deren Umsetzung auch bei limitierten<br />

12 pt_<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Physiotherapeuten</strong>_61 [2009] 1


Behandlungsterminen. Zum anderen liefert<br />

das Modell innerhalb dieser Phasen<br />

durch die Wirkungen der Prädiktoren<br />

genügend Ansatzpunkte zur Gestaltung<br />

von Interventionen, die sich auch <strong>für</strong> das<br />

spezifische Physiotherapie-Setting eignen.<br />

Ob das große Ziel (die Steigerung<br />

der therapiespezifischen Adherence im<br />

Kontext physiotherapeutischer Behandlungen)<br />

erreicht werden kann, muss im<br />

Rahmen längsschnittlicher Interventionsstudien<br />

untersucht werden. Der<br />

Ansatz scheint vielversprechend. –<br />

LITERATUR<br />

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two psychological interventions an physical<br />

exercise and seif-regulation follo-<br />

LESEN SIE AUCH<br />

LEHRE_<strong>WISSENSCHAFT</strong> VERSTEHEN<br />

Meta-Analyse von Korrelationen<br />

_Tanja Bossmann, Seite 22<br />

PRAXIS_<strong>WISSENSCHAFT</strong> TRANSFER<br />

Behandlungserfolg durch<br />

Planungsintervention<br />

_Thomas Messner, Nils Boettcher,<br />

Seite 38<br />

Diplom-Sportwissenschaftler und Physiotherapeut, Dozent an der Physiotherapie-Schule Konstanz mit den Schwerpunkten<br />

Trainingslehre, Bewegungslehre, Physiologie, Innere Medizin, Sportmedizin und wissenschaftliches Arbeiten,<br />

Coaching im Bereich Patientenmanagement und evidenzbasierter Physiotherapie, Doktorand an der Universität<br />

Konstanz mit dem Themenbereich: Compliance – Adherence in der Physiotherapie.<br />

pt_<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Physiotherapeuten</strong>_61 [2009] 1 13<br />

>>>


<strong>WISSENSCHAFT</strong>_NARRATIVER REVIEW<br />

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Weinstein ND, Rothman AJ, Sutton SR. 1998. Stage<br />

theories of health behavior: Conceptual and<br />

methodological issues. Health Psychology 17:<br />

290-9<br />

LESER FEEDBACK<br />

Über Kritik und Anregungen würde ich<br />

mich sehr freuen:<br />

messner@emota.de<br />

14 pt_<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Physiotherapeuten</strong>_61 [2009] 1


PRAXIS<br />

PRAXIS_<strong>WISSENSCHAFT</strong> TRANSFER<br />

Behandlungserfolg durch Planungsintervention?<br />

Aus zwei Perspektiven berichtet Thomas Messner, Nils Boettcher<br />

Im narrativen Review ab Seite 6 werden<br />

unterschiedliche Theorien zur<br />

Erklärung gesundheitlicher Verhaltensweisen<br />

thematisiert, die sich un -<br />

ter anderem im bewegungstherapeutischen<br />

Setting bewährt haben. Das<br />

sogenannte sozialkognitive Prozessmodell<br />

gesundheitlichen Handelns<br />

(Health Action Process Approach –<br />

HAPA) bietet PhysiotherapeutInnen<br />

die Möglichkeit, therapiespezifisches<br />

Verhalten nachhaltig zu beeinflussen<br />

und die Adherence des Patienten zu<br />

verbessern. Eine fiktive Geschichte –<br />

zuerst aus Patientensicht und danach<br />

aus der Perspektive einer Therapeutin<br />

erzählt – verdeutlicht, dass es bereits<br />

mit ganz einfachen Strategien möglich<br />

sein kann, das Patientenverhalten<br />

positiv zu beeinflussen.<br />

Patientenperspektive<br />

Mein Name ist Paul Chroniker. Vielleicht<br />

kennen Sie mich. Es könnte sogar sein,<br />

dass ich schon mal bei Ihnen in der Praxis<br />

war. Ja, ich war neulich wieder bei<br />

der Physiotherapie. Ich hatte es im Rü -<br />

cken, das kommt bei mir häufiger vor.<br />

Dazu möchte ich Ihnen eine kleine<br />

Geschichte erzählen.<br />

Nachdem mich meine Therapeutin<br />

durchgecheckt hatte, sagte sie mir, ich<br />

solle Übungen machen. Das fand ich gut.<br />

Ich war motiviert und wollte ja auch was<br />

tun. Gleich in der zweiten Sitzung sind<br />

wir gemeinsam einige Übungen durchgegangen<br />

und ich glaube, ich konnte sie<br />

auch ganz gut umsetzen. Gut, ich bin<br />

nicht der Gelenkigste – aber ja auch<br />

keine zwanzig mehr.<br />

Als ich in der zweiten Woche wieder<br />

bei ihr war, fragte sie mich, ob ich alle<br />

Hausaufgaben gemacht hätte. Ich muss -<br />

te gestehen, dass ich nicht dazu gekommen<br />

war. Ich hatte viel zu tun gehabt.<br />

Die Arbeit im Betrieb, die Vereinssitzung<br />

und die Familienfeier. Meine Therapeutin<br />

hatte Verständnis, meinte aber, ich<br />

sollte meine Übungen doch bitte<br />

machen, denn die seien schließlich gut<br />

<strong>für</strong> mich. Das versprach ich ihr.<br />

Drei Tage später ging ich mit schlechtem<br />

Gewissen in die Praxis. Sie wollen<br />

den Grund wissen? Ich hatte wieder<br />

nichts gemacht, aber genügend Entschuldigungen.<br />

Es war sehr schönes<br />

Wetter und ich war am Badesee gewesen.<br />

Den Tag darauf musste ich das Fahrrad<br />

von meinem Nachbarn reparieren –<br />

der kann das ja nicht. Und so weiter ...,<br />

Sie kennen das.<br />

Ich verzweifelte fast, als ich in der<br />

fünften Behandlung immer noch nichts<br />

zu Hause umgesetzt hatte. Stimmte<br />

etwas an meiner Einstellung nicht? Ich<br />

war doch motiviert und fand die Übungen<br />

eigentlich klasse.<br />

Meine Therapeutin zog daraufhin ein<br />

Formular heraus, das ich ausfüllen sollte<br />

(Abb. 1).<br />

Ich sah den Nutzen und fühlte mich<br />

gut, denn jetzt war ich mir sicher,<br />

den anderen verlockenden Aktivitäten<br />

wi der stehen zu können. Auch die Idee,<br />

bereits im Vorfeld auf mögliche Hindernisse<br />

einzugehen, fand ich einleuchtend<br />

und hilfreich.<br />

In der sechsten Behandlung war es<br />

endlich soweit. Ich berichtete von meinen<br />

Umsetzungserfolgen. Ich hatte tatsächlich<br />

alle Übungen durchgeführt, die ich<br />

mir vorgenommen hatte. Das war gar<br />

nicht so schwer. Ich denke, dass ich meine<br />

Übungen in Zukunft auf diese Weise<br />

sicherlich regelmäßig durchführen kann.<br />

38 pt_<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Physiotherapeuten</strong>_61 [2009] 1


Lieber Herr Chroniker,<br />

wir haben gemeinsam einige Übungsformen miteinander besprochen<br />

und Sie haben diese in der Therapie sehr erfolgreich bewältigt.<br />

Ich möchte Ihnen nun helfen, dass Sie Ihre Übungen auch ohne<br />

meine Unterstützung alleine durchführen können.<br />

Bitte füllen Sie einfach die frei stehenden Zeilen möglichst konkret aus:<br />

Wann wollen Sie die Übungen in Zukunft durchführen?<br />

Wo werden Sie künftig Ihre Übungen durchführen?<br />

Wie genau werden Sie die Übungen durchführen?<br />

Damit der »Plan« aufgeht, sind noch weitere Informationen wichtig.<br />

Bitte notieren Sie kritische Situationen,<br />

die Sie konkret an der Umsetzung hindern könnten in die linke Spalte.<br />

Überlegen Sie nun, was Sie tun können, um diese Hindernisse meistern zu können<br />

und tragen Sie Ihren Plan in die rechte Spalte ein.<br />

Ich hoffe unser Plan bringt Sie weiter!<br />

Therapeutenperspektive<br />

Mein Name ist Clara, ich bin Physiotherapeutin.<br />

Ich hatte letztens einen Rü -<br />

ckenschmerzpatienten, davon muss ich<br />

Ihnen erzählen. Herr Chroniker kommt<br />

immer regelmäßig, wenn seine Schmerzen<br />

stärker werden. Wir bekommen das<br />

meistens dann auch schnell wieder hin,<br />

aber die Stabilisierung des Therapieerfolges<br />

geht immer etwas schleppend. So<br />

war es auch dieses Mal. Ich habe ihm im<br />

Anschluss an die Therapie ein paar<br />

Hindernis: Strategie:<br />

Abb. 1_Beispiel <strong>für</strong> eine Planungsintervention, die bei einem Patienten, der bereits eine<br />

feste Absicht gefasst hat, wirksam sein kann<br />

Übungen mitgegeben, die er alleine<br />

durchführen sollte. Bei solchen Hausaufgaben<br />

beschleicht mich immer ein ungutes<br />

Gefühl, denn die meisten Patienten<br />

machen alleine ja nichts. Aber Herr<br />

Chroniker schien mir wirklich motiviert<br />

und er fragte auch selbst nach Übungen.<br />

Ich hatte also Grund zur Hoffnung, dass<br />

er aktiv werden würde. Aber zu meiner<br />

Enttäuschung hatte Herr Chroniker bei<br />

jedem Termin andere Ausreden parat.<br />

Die Familienfeier und die Arbeit waren<br />

PRAXIS_<strong>WISSENSCHAFT</strong> TRANSFER<br />

ihm wichtiger und sogar das Bad in der<br />

Sonne zog er vor. So ging das weiter, Termin<br />

<strong>für</strong> Termin. Das kennen Sie, da<br />

erzähle ich Ihnen nichts Neues. Irgendwann<br />

resigniert man dann eben. Und<br />

genau das wollte ich auch tun.<br />

Dann habe ich jedoch bei einer Fortbildung<br />

eine Kollegin getroffen, die mir<br />

einiges über Planungsstrategien erzählte.<br />

Das hörte sich zwar ganz nett an,<br />

aber so richtig daran geglaubt habe ich<br />

nicht. Als dann gleich am Montag früh<br />

Herr Chroniker in die Praxis kam – dieses<br />

Mal erzählte er mir von einer zeitaufwändigen<br />

Fahrradreparatur – dachte<br />

ich mir, das probiere ich jetzt aus. Ich<br />

habe ihm ein kleines Formular gegeben<br />

(Abb. 1) und ihn gebeten es auszufüllen.<br />

Herr Chroniker macht das sowieso<br />

nicht, dachte ich mir. Doch als er eine<br />

Woche später wieder kam, glaubte ich<br />

meinen Ohren nicht zu trauen. Scheinbar<br />

brachte diese Maßnahme ihn tatsächlich<br />

weiter: er hatte geübt und sogar<br />

Muskelkater! Ich war völlig erstaunt<br />

und habe mir fest vorgenommen, weiter<br />

mit dieser Maßnahme zu experimen -<br />

tieren.<br />

Vielleicht haben auch Sie einen Paul<br />

Chroniker. Stets bemüht und eigentlich<br />

motiviert, doch mit der Umsetzung<br />

hapert es. Mein Plan <strong>für</strong> die Zukunft:<br />

»Lassen Sie ihn doch einfach planen!«<br />

Planungsinterventionen<br />

<strong>für</strong> »Intender«<br />

Sie denken, das war nur eine Geschichte?<br />

Ganz richtig, Clara und Paul sind<br />

erfundene Charaktere. Planungsinterventionen<br />

funktionieren aber auch in der<br />

Realität. Aus zahlreichen Untersuchungen<br />

ist bekannt, dass diese bei sogenannten<br />

»Intendern« (also Patienten mit fes -<br />

ten Absichten) fruchtbar sind und zur<br />

Umsetzung des geplanten Verhaltens<br />

beitragen (Überblick: Schwarzer >>><br />

pt_<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Physiotherapeuten</strong>_61 [2009] 1 39


PRAXIS_<strong>WISSENSCHAFT</strong> TRANSFER<br />

2008). Ist die Absicht allerdings noch<br />

nicht gefasst, so sind andere Strategien<br />

von Bedeutung. In diesem Fall greifen<br />

Interventionen, die auf die Motivation<br />

des Patienten abzielen. Im narrativen<br />

Review »Therapiespezifisches Patientenverhalten<br />

– auf der Suche nach einem<br />

Modell« ab Seite 6 werden diese stadientheoretischen<br />

An nahmen ausführlich<br />

vorgestellt. Weiterhin sind die beiden<br />

zentralen volitionalen Interventionen<br />

(Planungsaktivitäten und Hand lungs -<br />

kontrolle) genauer beschrieben.<br />

An dieser Stelle sei ausdrücklich da -<br />

rauf hingewiesen, dass die in der<br />

Geschichte beispielhaft genannten Planungsinterventionen<br />

stark vereinfacht<br />

dargestellt sind. Um nachhaltige Erfolge<br />

erzielen zu können, müssen diese modifiziert<br />

und den individuellen Gegebenheiten<br />

angepasst werden. Die genannten<br />

Interventionen können außerdem durch<br />

weiterführende Maßnahmen der Handlungskontrolle<br />

ergänzt werden.<br />

Bezüglich der Planungsaktivitäten ist<br />

aus der bisherigen Forschung bekannt,<br />

THOMAS MESSNER<br />

dass sie in fast allen Altersgruppen<br />

besonders dann wirksam sind, wenn sie<br />

das Ergebnis eines gemeinsamen Entscheidungsprozesses<br />

zwischen Therapeut<br />

und Patient sind (Ziegelmann et al.<br />

2006). Zur Umsetzung der angesprochenen<br />

Maßnahmen sind daher aus Sicht<br />

der Autoren spezielle kommunikative<br />

Kompetenzen und Vorgehensweisen zu<br />

erlernen, die das therapeutische Spektrum<br />

ergänzen können. Dann geht der<br />

Plan zur nachhaltigen Patientenbehandlung<br />

vielleicht auf. –<br />

Diplom-Sportwissenschaftler und Physiotherapeut, Dozent an der Physiotherapie-Schule Konstanz mit den Schwerpunkten<br />

Trainingslehre, Bewegungslehre, Physiologie, Innere Medizin, Sportmedizin und wissenschaftliches Arbeiten,<br />

Coaching im Bereich Patientenmanagement und evidenzbasierter Physiotherapie, Doktorand an der Universität<br />

Konstanz mit dem Themenbereich: Compliance – Adherence in der Physiotherapie.<br />

NILS BOETTCHER<br />

KONTAKT<br />

Thomas Messner,<br />

Dipl. Sportwissenschaftler und<br />

Physiotherapeut: messner@emota.de<br />

Nils Boettcher,<br />

Physiotherapeut (B. Sc.) und M. A. (cand.):<br />

boettcher@emota.de<br />

www.emota.de<br />

Physiotherapeut (B.Sc.) und M. A. (cand.) Management von Gesundheitseinrichtungen.<br />

LESEN SIE AUCH<br />

<strong>WISSENSCHAFT</strong>_NARRATIVER REVIEW<br />

Therapiespezifisches Patientenverhalten<br />

– auf der Suche nach einem Modell<br />

_Thomas Messner, Seite 6<br />

LEHRE_<strong>WISSENSCHAFT</strong> VERSTEHEN<br />

Meta-Analyse von Korrelationen<br />

_Tanja Bossmann, Seite 22<br />

LITERATUR<br />

Renneberg B, Hammelstein P. 2006. Gesundheitspsychologie.<br />

Berlin: Springer Verlag<br />

Schwarzer R. 2008. Modeling health behaviour<br />

change. How to predict and modify the adoption<br />

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Applied Psychology 57, 1: 1-29<br />

Ziegelmann R, Lippke S, Schwarzer R. 2006. Adoption<br />

and maintenance of physical activity:<br />

Planning interventions in young, middle aged<br />

and older adults. Psychology and health 21,2:<br />

145-62<br />

40 pt_<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Physiotherapeuten</strong>_61 [2009] 1

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