Wiedervereinigung zu einem brisanten Thema geworden, das man nicht allein den Politikern überlassen kann, sondern das zum klassischen Aufgabenbereich der Kirche gehört. 54
10. ZUKUNFTSFRAGEN Zur Verantwortung für den technischen Fortschritt Die Gegenwart ist von starken Vorbehalten gegenüber einer verwissenschaftlichten und technisierten Lebenswelt geprägt. Ein Großteil der Bevölkerung glaubt nicht mehr an die Segnungen des technischen Fortschritts, sondern fürchtet eher den Fluch der technischen Tat, die Natur und Menschheit zu zerstören droht. Der alte technologische Fortschrittsglaube ist verflogen, der sein „Prinzip Hoffnung“ (Ernst Bloch) auf immer modernere Techniken setzte, vermöge derer alle menschlichen Probleme lösbar und alle Zukunftsvorhaben plan- und machbar seien. Angst als Gesellschaftsphänomen Die Naturwissenschaften verloren ihren „Verheißungsglanz“ (H. Lübbe) und die Technik ihre moralische Unschuld. Die „Wunder“ der Technik werden zunehmend entmythologisiert und im „postmodernen Epochenwandel“ durch neue Mythen ersetzt. Die euphorische, quasireligiöse Hoffnung auf eine technisch machbare Weltverbesserung droht nun gelegentlich in ein anderes Extrem umzuschlagen, nämlich in eine manchmal apokalyptisch anmutende Angst vor technischen Modernisierungsprozessen. Als besonders bedrohlich gelten heute vor allem die Kernenergie und die Gentechnik. Verantwortlich geht man mit der Angst um, wenn man den Nachweis einer relativ unbegründeten und unberechtigten Angst führt und die Ursachen dieser Angst, also die möglichen Gefahren und Schäden, zu minimieren sucht. Diese Aufarbeitung der Angst bedeutet freilich nicht die Utopie eines völlig angstfreien Zustandes. Angst muss auch als positives Alarmsignal gewertet werden, und solange es „Restrisiken“ gibt, bleibt auch eine „Restangst“ übrig. Technik im Dienst des Menschen Die Sorgen und Ängste markieren nicht nur ein sozialpsychologisches, sondern vor allem ein sozialethisches Problem. Denn ob und wieweit diese Ängste rational und praktisch bewältigt werden können, hängt wesentlich davon ab, ob es vernünftig-plausible sozialethische Maßstäbe und ordnungspolitische Regeln und Institutionen gibt, die der technischen Entwicklung Sinn und Ziel geben, ihr aber auch deutliche Grenzen setzen. Seit Leo XIII. hat die Kirche immer wieder gefordert, die technischen Errungenschaften an sittlichen Maßstäben zu messen. Das hat ihr dann oft den Vorwurf eingebracht, eher ein fortschrittshemmendes Element zu sein. Fest steht für die Katholische Soziallehre der Grundsatz, dass die Technik dem Menschen zu dienen hat und nicht der Mensch der Technik. Diese Aussage über den Dienstwert des technischen Fortschritts mag zwar trivial klingen, sie provoziert uns aber zu selbstkritischen Fragen: Haben wir das Bewusstsein, Technik nur zu „bedienen“ - oder dient sie uns wirklich? Dient sie allen - oder nur wenigen? Können wir die Technik, mit der wir es zu tun haben, überhaupt noch kontrollieren? Haben wir sie so im Griff, dass sie uns nicht über den Kopf wächst und dass wir noch die Verantwortung für sie übernehmen können? Begeben wir uns nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch in der gesamten Lebenswelt in eine immer größere Abhängigkeit von der Technik und den Technikern? Dass die Arbeitswelt und ihre Störungen im Zentrum der sozialen Frage stehen, mit der sich die Kirche zu befassen hat, ist vor allem mit „Laborem exercens“ deutlich geworden. Aber während die Arbeitswelt (wie die gesamte Ökonomie) eine soziale, d. h. zwischenmenschliche Ordnungseinheit darstellt, die in einem sozialethischen Sinnzusammenhang steht, bezieht sich Ökologie auf 55