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Wolfgang F. Ockenfels KLEINE KATHOLISCHE ... - Ordo Socialis

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9. SOZIALER KATHOLIZISMUS<br />

Im Wandel der Werte und Strukturen<br />

Die angebliche „Macht“ der katholischen Kirche gehört immer noch zu den öffentlich gepflegten<br />

Mythen und Reizthemen der Gegenwart. Kritische Zeitgenossen mutmaßen, die Kirche wollte ihre<br />

mittelalterliche Machtstellung, die sie durch Reformation und Säkularisation eingebüßt hatte, nun<br />

wieder zurückgewinnen. Diese Befürchtung erweist sich bei näherem Hinsehen als haltlos. Im<br />

Unterschied zum Islam, der auch politisch weltweit im Vormarsch ist, befinden sich Christentum<br />

und Kirche eher in einer Verteidigungssituation. Fundamentalistische Versuchungen, spezifisch<br />

christliche oder gar kirchliche Normen mit politischer Macht durchsetzen zu wollen, haben auch<br />

innerkirchlich kaum eine Chance.<br />

Die Kirche, so scheint es, hat sich mit der säkularisierten Gesellschaft und dem Pluralismus der<br />

Weltanschauungen und Gruppen nicht nur abgefunden, sondern ist zu einem tragenden Bestandteil<br />

des freiheitlichen Systems geworden. Und wenn sie sich heute besonders um den sozialen und<br />

rechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens kümmert, kann man ihr damit keinen politischen<br />

Machthunger unterstellen. Denn sie beruft sich dabei nicht nur auf Prinzipien, die bloß die Gläubigen<br />

verpflichtet, sondern auf Grundrechte, die für alle gelten sollen und auch in unserer Verfassung<br />

verankert sind.<br />

Wie jede gesellschaftliche Großgruppe – etwa die Gewerkschaften - hat auch die Kirche das<br />

selbstverständliche Recht, ihre Wertauffassung zur öffentlichen Geltung zu bringen. Solange sie<br />

nicht gegen die Verfassung verstößt, darf sie auch an der politischen Willensbildung teilhaben, die<br />

keineswegs allein Sache der politischen Parteien ist. Überdies zeigt sich immer deutlicher, dass<br />

sehr viele Fragen der Politik und der Wirtschaft eine moralische Dimension haben. Und wer wollte<br />

der Kirche das Recht und die Kompetenz absprechen, eine religiöse und moralische Wertvermittlung<br />

zu betreiben? Freilich kann sie in diesen Fragen keinen Monopolanspruch behaupten, sondern<br />

hat es mit zahlreichen medienwirksamen Konkurrenten zu tun, die das Feld der öffentlichen Meinung<br />

stärker beherrschen.<br />

Sozialer und politischer Katholizismus<br />

Inzwischen ist der Katholizismus ins Hintertreffen geraten. Damit hat auch die Kirche insgesamt<br />

an öffentlicher Bedeutung eingebüßt. Der Katholizismus ist nicht identisch mit der katholischen<br />

Kirche (als Institution), sondern stellt sozusagen ihre Außenseite und eine Weise ihrer sozialen<br />

und politischen Wertvermittlung dar. Der Katholizismus umfasst eine gesellschaftliche Großgruppe<br />

von Katholiken, die sich seit Beginn des vorigen Jahrhunderts in zahlreichen Vereinigungen<br />

und Verbänden organisierten und zu einer machtvollen Bewegung formierten. Aus ihr erwuchs<br />

und entwickelte sich die Katholische Soziallehre, die dann vom päpstlichen Lehramt verbindlich<br />

formuliert wurde. Als sozialer und politischer Katholizismus ist er in Deutschland überaus erfolgreich<br />

gewesen, und zwar als eine Bewegung, die vor allem von „Laien“ getragen war, die sich als<br />

die eigentlichen Fachleute erwiesen und die auch der Kirchenleitung den unentbehrlichen Zugang<br />

zur sozialen und politischen Wirklichkeitsgestaltung eröffneten.<br />

Es handelte sich dabei um eine Massenbewegung, die in ihren Glanzzeiten ein Drittel der Katholiken<br />

in verschiedenen Verbänden organisierte und noch weit mehr erfasste und prägte. Sie erzielte<br />

durch ein geschicktes strategischtaktisches Zusammenspiel verschiedener Kräfte eine eminente<br />

öffentliche Bedeutung und politische Wirkung.<br />

Diesen sozialen und politischen Katholizismus kann man als die eigentliche sozialpolitische A-<br />

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