Wolfgang F. Ockenfels KLEINE KATHOLISCHE ... - Ordo Socialis
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weil sie wirkt, sondern sie soll wirken, weil sie wahr ist. Oder anders ausgedrückt: Nicht auf das,<br />
was gerade ankommt, kommt es ihr an, sondern das, worauf es ankommt, soll ankommen.<br />
Dieser Wahrheitsanspruch erstreckt sich natürlich nicht auf alle Aussagen der Enzykliken, sondern<br />
nur auf ihren wesentlichen Kern. Diesen jeweils herauszufiltern und angemessen zu formulieren,<br />
ist ein Grundproblem dieser Lehre, welches in den amtlichen Texten freilich selten angegangen<br />
wird. In diesen findet sich mancherlei Missglücktes, Überlebtes und allzu Zeitgebundenes, z. B.<br />
die „berufsständische Ordnung“, welche in den dreißiger Jahren durch missbräuchliche Versuche<br />
ihrer Realisierung (z. B. in Österreich und Spanien durch den „Ständestaat“) zur Diskreditierung<br />
der Katholischen Soziallehre beigetragen hat. Wie schnell gerade konkret-analytische Aussagen<br />
von der Geschichte überholt werden können, zeigt die Enzyklika „Sollicitudo rei socialis“ (1988),<br />
welche als eine wesentliche Ursache des Elends in den Entwicklungsländern noch den Ost-West-<br />
Konflikt ausmachte. Man konnte bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Enzyklika<br />
Zweifel an der Richtigkeit ihrer Situationsanalyse im Weltmaßstab haben.<br />
Gerade mit Blick auf die Wirkungsfähigkeit stellt „Mater et magistra“ (IV. Teil) einige Schritte<br />
vor, die für den Übergang von der „Theorie“ in die „Praxis“ (a ratione ad usum) wichtig sind. Dazu<br />
liefert die Enzyklika keine technische Gebrauchsanweisung. Die Grundsätze der Katholischen<br />
Soziallehre gleichen eher Lebensregeln, die nicht nur intellektuell zu erfassen sind, sondern nach<br />
denen auch erzogen werden muss, die also praktisch eingeübt werden müssen: Nur „im Handeln<br />
und durch das Handeln nach dieser Lehre“ lernt man, „sein Handeln auf wirtschaftlichem und sozialem<br />
Gebiet“ zu orientieren.<br />
Johannes XXIII. nennt drei Gründe, die die Umsetzung der Soziallehre „in die Tat“ (in opere) erschweren:<br />
Erstens die Selbstsucht des Menschen. Aus diesem Grund wird bereits die Erkenntnis<br />
der Grundsätze erschwert, sozusagen durch Interessen überlagert. Geradezu als Bedingung der<br />
Möglichkeit, die Soziallehre zu verwirklichen, wird Askese gefordert, um damit die „Triebhaftigkeit<br />
zu zügeln und die Widerwärtigkeiten des Lebens mit besonderer Geduld zu ertragen“. Der<br />
zweite Erschwernisgrund liegt in der materialistischen Weltanschauung, der dritte in der „Schwierigkeit,<br />
festzustellen, was die Gerechtigkeit in der konkreten Situation fordert“.<br />
Sehen, urteilen, handeln<br />
Die Verwirklichung der Soziallehre stellt sich Johannes XXIII. in einem Dreierschritt vor, der bereits<br />
von Joseph Cardijn vorgeschlagen wurde: Sehen, urteilen, handeln. Also erstens: den wahren<br />
Sachverhalt richtig sehen; zweitens: den Sachverhalt anhand der Grundsätze bewerten; und drittens:<br />
„feststellen, was man tun kann und muss, um die überlieferten Normen nach Ort und Zeit<br />
anzuwenden“. „Mater et magistra“ räumt ein, dass in der Anwendungsfrage Meinungsunterschiede<br />
auch unter Katholiken auftreten können, und äußert den Vorbehalt, das Lehramt habe nicht nur die<br />
Kompetenz, über Grundsätze des Glaubens und der Sittlichkeit zu wachen, sondern sich auch in<br />
verbindlichen Entscheidungen mit Bezug auf die Verwirklichung dieser Grundsätze zu äußern.<br />
Meinungsverschiedenheiten treten allerdings oft schon in der Frage der „richtigen“ Sicht des<br />
„wahren“ Sachverhalts auf, und in den mit Anspruch auf Objektivität auftretenden Sachanalysen<br />
sind nicht selten versteckte Werturteile enthalten.<br />
Man kann nicht erwarten, dass das Lehramt eine detaillierte Wirkungsstrategie entwirft. Diese<br />
Aufgabe fällt eher der christlichen Sozialwissenschaft zu, deren Methodenlehre jedoch noch in den<br />
Kinderschuhen steckt. Dies hängt einerseits mit dem relativ jungen Alter dieses Faches zusammen,<br />
andererseits mit einer thematischen Überfrachtung und stofflichen Überfülle, die gerade auch anhand<br />
des Vermittlungsproblems sichtbar wird.<br />
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