Wolfgang F. Ockenfels KLEINE KATHOLISCHE ... - Ordo Socialis
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8. PRAKTISCHE BEWÄHRUNG<br />
Zwischen Lehre und Leben<br />
Ohne in die Melancholie einer ständigen Wiederholung „ewiger Wahrheiten“ zu verfallen, gilt es<br />
im Projekt der Katholischen Soziallehre, die Unbeliebigkeit abstrakter Wertorientierung mit der<br />
Gegebenheit konkreter sozialer Fragen und Sachverhalte zu vermitteln. Die strategische Frage<br />
lautet: Wie lässt sich eine Lehre in die gesellschaftliche Praxis umsetzen, wie kann sich ihr Wahrheitsanspruch<br />
in der Praxis bewähren?<br />
Glaube, Vernunft und Praxis<br />
Seit jeher ist es für die katholische Theologie, erst recht für das soziale Lehramt der Kirche selbstverständlich,<br />
dass es mit theologischem Wissen nicht getan ist, sondern dass es vor allem auf die<br />
gelebte Praxis der Gläubigen ankommt. Es geht um einen lebendigen Glauben, der sich im Handeln<br />
bewähren muss. Das Handeln aus dem Glauben lässt auch die inhaltliche Glaubenslehre tiefer<br />
erkennen - und wirkt somit auf die Theologie als Glaubensreflexion zurück.<br />
In den Texten der kirchlichen Soziallehre wird vorausgesetzt, dass es eine eigene Glaubenspraxis<br />
gibt, etwa in Gebet, Mystik, Meditation und Liturgie sowie in den Sakramenten. Diese Glaubenspraxis,<br />
die den „praktizierenden“ Christen auszeichnet, besteht noch nicht in caritativer, sozialer<br />
und politischer Aktivität, muss aber dazu führen, wenn man die Zusammengehörigkeit von Gottes-<br />
und Nächstenliebe ernst nimmt. Eine Vermittlung zwischen dem erlösenden Heilshandeln Gottes<br />
und dem sozial befreienden Handeln des Menschen ergibt sich auch aus der vom Konzil von<br />
Trient (1545-1563) angesprochenen „cooperatio“, also der menschlichen Mitwirkung an der Gnade<br />
Gottes.<br />
Wie „Gaudium et spes“ (Nr. 21) betont, muss der Glaube seine „Fruchtbarkeit bekunden, indem er<br />
das gesamte Leben der Gläubigen, auch das profane, durchdringt und sie zu Gerechtigkeit und<br />
Liebe, vor allem gegenüber den Armen, bewegt“. Die Enzyklika „Pacem in terris“ (5. Teil) fordert<br />
den „Zusammenhang“ von Glaube und Handeln und die „Einheit“ von Geist und Leben, damit im<br />
Handeln der Gläubigen „das Licht des Glaubens und die Kraft der Liebe beherrschend wirksam<br />
werden“. Für die Praxis erweist sich also der Glaube vor allem als eine handlungsmotivierende<br />
Kraft, die zur Liebe und zur Gerechtigkeit antreibt, aber noch nicht als eine sozialethische Norm<br />
zur Gestaltung sozialer Strukturen.<br />
Die damit angesprochene „christliche Wahrheit“ enthält nicht allein die dogmatischen Glaubenswahrheiten.<br />
Diese können eigentlich nur in dem Sinne „gelebt“ und „angewandt“ werden, dass<br />
sich die Gläubigen durch sie zu einer konsequenten Liebe und Gerechtigkeit bewegen lassen. Die<br />
Lehre enthält auch nicht nur eine spezifisch christliche Glaubensmoral, die nur für die Gläubigen<br />
gilt und gnadenhaft ermöglicht wird. Sondern sie enthält normativ vor allem auch die Vernunftwahrheiten<br />
des Naturrechts, dessen Inhalte offensichtlich leichter als evident und konsensfähig<br />
eingesehen werden können und von größerer sozialer Operationalisierbarkeit sind, immer vorausgesetzt,<br />
dass beide „Wahrheiten“ (d. h. Erkenntnisweisen) wegen ihres gemeinsamen Ursprungs in<br />
Gott gleichgerichtet und widerspruchsfrei sind.<br />
Wahrheit und Wirkung<br />
Auf diesem Konzept beruht im Kern die Katholische Soziallehre, an deren Wirkkraft auch die Fähigkeit<br />
der Kirche zu sozialem Handeln gemessen wird. Die Soziallehre lässt aber ihre Fähigkeiten,<br />
soziale Wirkungen zu erzielen, nicht als inneres Wahrheitskriterium gelten: Sie ist nicht wahr,<br />
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