Wolfgang F. Ockenfels KLEINE KATHOLISCHE ... - Ordo Socialis
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wirksam werden soll? Oder soll er sich an ein allgemeingültiges Sittengesetz halten, das in der<br />
praktischen Vernunft beziehungsweise im Gewissen verankert ist? Die Katholische Soziallehre<br />
stellt den Versuch dar, Werte und Prinzipien vorzustellen, die nicht nur dem Glauben offenbart<br />
sind, sondern auch der Vernunft begreifbar erscheinen. Relativ unproblematisch, weil sowohl biblisch<br />
bezeugt als auch vernünftig einsehbar, ist das soziale Handeln nach der Goldenen Regel: Was<br />
du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem anderen zu! Auch die Zehn Gebote stoßen auf<br />
einen breiten gesellschaftlichen Konsens; sie sind nicht exklusiv christlich, sondern kulturell vielfältig<br />
bezeugt und stellen so etwas wie eine „geronnene Menschheitserfahrung“ dar.<br />
Aus der Einsicht in die Grenzen einer spezifisch glaubensgebundenen Sozialethik - und aus der<br />
bereits biblisch bezeugten Möglichkeit heraus, allgemeine Sinnstrukturen und ethische Zielbestimmungen<br />
aus der Schöpfungsordnung erkennen zu können, vertraut die Katholische Soziallehre<br />
auf die Erkenntniskraft der allgemeinmenschlichen Vernunft. Danach ist die natürliche Vernunft<br />
trotz ihrer erbsündenbedingten Schwächung grundsätzlich in der Lage, das in ihr schöpfungsmäßig<br />
verankerte Sittengesetz zu erfassen.<br />
So sind dem Menschen seine eigene Würde, seine Rechte und Pflichten vorgegeben. Sie werden<br />
nicht erst durch soziale Kommunikation konstruiert und durch politische Verfahrensweisen, etwa<br />
durch das demokratische Mehrheitsprinzip, legitimiert. Die Katholische Soziallehre argumentiert<br />
daher auch weitgehend naturrechtlich, im Vertrauen auf die Evidenz natürlicher Menschenrechte<br />
und entsprechender Pflichten, die letzten Endes in Gott begründet sind. Denn die Natur insgesamt,<br />
besonders aber die des Menschen, wird als geordnete Schöpfung Gottes vorverstanden, als eine<br />
Schöpfung also, in der noch die Spuren des Schöpfers entdeckt werden können.<br />
Menschenbild<br />
Die zentrale Aussage der Katholischen Soziallehre (nach „Gaudium et spes“ Nr. 25) lautet: „Wurzelgrund,<br />
Träger und Ziel aller gesellschaftlichen Einrichtungen ist und muss sein die menschliche<br />
Person.“ Aber was ist der Mensch? Wenn der Mensch nur ein kollektives Gattungswesen wäre,<br />
das biologisch programmiert, von Instinkten gesteuert und von der Umwelt dirigiert wird, hätte es<br />
keinen Sinn, von Freiheit zu sprechen. Freiheit wäre dann nur noch Einsicht in die Notwendigkeit.<br />
Nach christlich-abendländischer Tradition ist der Mensch Person, d.h. ein eigenständiges und verantwortliches<br />
Wesen, das sich in freier Wahl gewissenhaft für das Gute entscheiden kann.<br />
Die Würde des Menschen ist darin zu sehen, dass er als personales Ebenbild Gottes einen eigenen<br />
und einmaligen Wert besitzt, der ihm von keiner Instanz genommen werden kann. Jeder einzelne<br />
Mensch trägt seinen Zweck in sich und ist nicht Mittel zu irgendeinem gesellschaftlichen Zweck.<br />
Er ist Substanz, während die Gesellschaft lediglich eine Relation, eine Beziehungseinheit zwischen<br />
den einzelnen Menschen darstellt. Die Gesellschaft ist das Zwischenmenschliche, aber nicht das<br />
Menschliche schlechthin.<br />
Als Individuum aber ist der Mensch ein Mängelwesen, er kann nicht selbständig für sich leben. In<br />
seiner Existenz bleibt er auf andere angewiesen, ohne die er keine Werte erkennen und verwirklichen<br />
kann. So ist der Mensch von Natur aus ein soziales Wesen. Damit ist seine freie Gewissensentscheidung<br />
keineswegs durch gesellschaftliche Ansprüche aufgehoben. Aber seine Selbstbestimmung<br />
kann nicht schrankenlose Willkür und verantwortungslose Ungebundenheit bedeuten.<br />
Ein solcher Mißbrauch der Freiheit führt nicht zur „Selbstverwirklichung“, sondern zur Schädigung<br />
der übrigen, von deren Wohl das eigene abhängt. Das subjektive Gewissen und Handeln<br />
bleibt auf objektive Werte angewiesen, die für alle gelten können.<br />
Das „christliche Menschenbild“ als normative Grundlage der Katholischen Soziallehre lässt sich<br />
(nach Johannes Messner) mit sieben Grundzügen zusammenfassen:<br />
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