Wolfgang F. Ockenfels KLEINE KATHOLISCHE ... - Ordo Socialis
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Beispiel den Gemeinden auch um die Sicherung des Friedens, die Bewahrung der Schöpfung und<br />
um Arbeitsmöglichkeiten geht. Für diese Ziele lohnt es sich zu beten und zu arbeiten. Aber sind<br />
sie erreichbar auf dem Weg der einseitigen Abrüstung, der Abschaltung von Atomkraftwerken und<br />
der Bekämpfung einer Betriebsstillegung? Woher will man wissen, dass Gott für die 35-Stunden-<br />
Woche ist?<br />
Missbraucht wird die Liturgie, der Zentralbereich des kirchlichen Lebens, wenn sie in den Dienst<br />
einseitiger Ideologien und konkreter Lösungsvorschläge gestellt wird, die einer bestimmten Parteimeinung<br />
oder einem partikulären Machtinteresse zugeordnet werden können. Im gottesdienstlichen<br />
Kontext würden solche Einseitigkeiten nicht aufgrund rationaler Sachargumente, sondern<br />
kraft „höherer Weihe“ zur Wirkung kommen. Die Religionskritik hat ein leichtes Spiel, den ideologischen<br />
Charakter dieser Glaubensäußerung zu entlarven. Die Richtigkeit und Überzeugungskraft<br />
eines konkreten Sacharguments muss auf eigenen Füßen stehen und darf keine Autoritätsanleihen<br />
bei einer Religion oder kirchlichen Institution machen, die das Sachproblem nicht eindeutig<br />
entscheidet.<br />
Alle angesprochen<br />
Bei manchen politischen Gottesdiensten hört man zwar den liturgischen Brustton der Glaubensüberzeugung<br />
heraus. Aber man spürt deutlich, dass hier ein Mangel an rationalen Argumenten<br />
kompensiert werden soll durch einen großen Aufwand an Frömmigkeit, Gesinnungstüchtigkeit und<br />
ängstlicher Betroffenheit. Auf dieser Ebene kann die Kirche freilich nicht in ein fruchtbares und<br />
überzeugendes Gespräch mit der Gesellschaft eintreten. Mit einer Gesellschaft, die um ihrer Freiheit<br />
willen die totalitäre Einheit von Glaube und Politik, von Kirche und Staat ablehnt, die aber auf<br />
die sinngebenden und friedensstiftenden Orientierungen der Kirche angewiesen bleibt.<br />
Die Katholische Soziallehre hat es nicht mehr nur mit Adressaten zu tun, die der Kirche verbunden<br />
sind, sondern zunehmend mit Angehörigen anderer Konfessionen, mit Nichtgläubigen und Atheisten.<br />
Die päpstlichen Schreiben, früher fast ausschließlich an die Bischöfe und Könige gerichtet, die<br />
dem Heiligen Stuhl verbunden waren, erweitern seit Leo XIII. ihren Adressatenkreis und wenden<br />
sich letzten Endes „an alle Menschen guten Willens“. Schon deshalb appelliert die Katholische<br />
Soziallehre werbend auch an die sittliche Vernunfteinsicht aller Menschen - und nicht nur an den<br />
Glaubensgehorsam kirchengebundener Christen.<br />
Gegenstand der Katholischen Soziallehre sind nicht der modellhafte Aufbau und die religiöse Ausrichtung<br />
kirchlicher Gemeinden, die als „Basisgemeinden“ oder „Kontrastgesellschaft“ die strukturelle<br />
Umgestaltung der „bürgerlichen“ Gesellschaft bewirken sollen. Die Kirche hat zwar als<br />
„Sauerteig“, als „Licht der Welt“ und „Stadt auf dem Berge“ ein glaubwürdiges Zeugnis für alle<br />
Menschen abzulegen. Dieser hohe Auftrag, der ohnehin nur mangelhaft erfüllt wird, kann aber<br />
nicht den Anspruch begründen, innerkirchliche Strukturen und Normen auf die Gesamtgesellschaft<br />
zu übertragen. Die Katholische Soziallehre bezweckt keine integralistische Verkirchlichung der<br />
Gesellschaft, sondern will -gemeinsam mit anderen Kräften - an der menschengerechten Gestaltung<br />
der Gesellschaft mitwirken.<br />
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