Wolfgang F. Ockenfels KLEINE KATHOLISCHE ... - Ordo Socialis
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gern und den Laien, zwischen der universalen Kirche und der Ortskirche. Damit kann der Kernbereich<br />
der Soziallehre leichter vor ideologischen Vereinseitigungen und partikulären Interessen geschützt<br />
werden. Natürlich strebt jede sozialorientierte Gruppe innerhalb der Kirche danach, die<br />
Autorität der Katholischen Soziallehre für sich in Anspruch zu nehmen. Andererseits ist die Katholische<br />
Soziallehre auf den Sachverstand dieser Gruppen angewiesen. In der Praxis kommt es<br />
freilich nicht nur auf den autoritativen Geltungsanspruch der Katholischen Soziallehre und die<br />
Gehorsamsbereitschaft der Gläubigen an, sondern vor allem auf die überzeugenden Argumente der<br />
Katholischen Soziallehre und die Mitwirkungsbereitschaft ihrer Adressaten.<br />
Katholische Soziallehre - made in USA<br />
In der Bundesrepublik Deutschland und in den meisten anderen Ortskirchen gelten bischöfliche<br />
Hirtenbriefe vor allem als pastorale Ermahnungen der Bischöfe (als Autoren) an Kirchenvolk und<br />
Öffentlichkeit (als Adressaten). Die einflussnehmenden Berater und Verbände bleiben meist verborgen.<br />
Die Diskussion über die veröffentlichten Stellungnahmen beschränkt sich meist auf die<br />
innerkirchliche Öffentlichkeit.<br />
Ganz anders gehen seit einigen Jahren die US-amerikanischen Bischöfe vor. Das von ihnen 1986<br />
verabschiedete Dokument über „Wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle - Hirtenbrief über die Katholische<br />
Soziallehre und die amerikanische Wirtschaft“ hat mehr internationale Aufmerksamkeit<br />
und Resonanz gefunden als irgendeine andere bischöfliche Verlautbarung. Originell daran ist nicht<br />
so sehr die inhaltliche Konkretisierung der Katholischen Soziallehre aus amerikanischer Sicht,<br />
sondern die außergewöhnliche Vorgehensweise. Sie erinnert an eine ausgeklügelte Marketing-<br />
Strategie: Hier können die „Konsumenten“ über ihr nachgefragtes „Produkt“ mitbestimmen. Die<br />
Adressaten sind zugleich Mitautoren dessen, wonach sie sich auszurichten haben.<br />
Die Beratung des Hirtenbriefs geriet zu einem groß angelegten Dialog zwischen Laien und Hierarchie,<br />
zwischen Kirche und Öffentlichkeit. Drei Entwürfe wurden ausführlich diskutiert. In zahlreichen<br />
Hearings, Symposien und Gutachten konnten sich die unterschiedlichsten Positionen und<br />
Argumente öffentlich artikulieren. Die Ergebnisse dieser Diskussion, die weit über die Landesgrenzen<br />
hinausging, wurden in den Entwürfen und schließlich in der Endfassung des Hirtenbriefs<br />
berücksichtigt.<br />
Und das Ergebnis? Ein Kompendium der katholischen Wirtschaftsethik unter besonderer Berücksichtigung<br />
der aktuellen amerikanischen Wirtschaftspolitik. Ziemlich unproblematisch sind die<br />
vorgestellten ethischen Grundsätze, die sich allesamt in der katholisch-sozialen Lehrtradition wiederfinden:<br />
Menschenwürde, Solidarität, Gemeinwohl, Menschenrechte, Option für die Armen,<br />
Subsidiarität. Diese grundsätzlichen Forderungen können auf einen breiten Konsens bauen, nicht<br />
nur unter Katholiken.<br />
Anders ist es mit einigen konkreten Maßnahmen, die die Bischöfe zusammen mit den Gegnern der<br />
damaligen „Reaganomics“ forderten: zum Beispiel Regierungsprogramme zur Schaffung neuer<br />
Arbeitsplätze. Der Forderungskatalog verrät ein starkes Vertrauen in den Staat, was wiederum<br />
verständlich wird, wenn man den sozialstaatlichen Nachholbedarf des amerikanischen Systems<br />
voraussetzt. Die Anregungen der Bischöfe zielen auf mehr soziale Marktwirtschaft, also auch auf<br />
das deutsche Modell mit seinen sozialpolitischen Ausprägungen.<br />
Über die Zweckmäßigkeit der konkreten Forderungen lässt sich bis heute trefflich streiten, was<br />
auch die Bischöfe einräumen: „Wir wissen, dass einige unserer speziellen Empfehlungen umstritten<br />
sind. Als Bischöfe behaupten wir nicht, dass wir diese ausgewogenen Urteile mit derselben<br />
Autorität vortragen wie unsere Grundsatzerklärungen. Aber wir fühlen uns verpflichtet, ein Beispiel<br />
dafür zu geben, wie Christen wirtschaftliche Sachverhalte konkret analysieren und Sachurtei-<br />
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