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Wolfgang F. Ockenfels KLEINE KATHOLISCHE ... - Ordo Socialis

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ihrer Wirkungsmöglichkeiten ein, wenn sie auf den sozialwissenschaftlichen und auch naturwissenschaftlichen<br />

Zugang zur konkreten Wirklichkeit verzichtet. Zur Lösung dieses Dilemmas bietet<br />

sich ein pragmatischer Mittelweg an, auf dem sich die Kirche über ihre theologische Wissenschaft<br />

am allgemeinen wissenschaftlichen Dialog beteiligt. In diesem Dialog geht es, kurz gesagt, um ein<br />

doppeltes Programm: Dass nämlich die Kirche einerseits ihre Wertkriterien in den wissenschaftlichen<br />

Diskurs einführt - und dass sie sich andererseits jener empirischen Einzelwissenschaften vorsichtig<br />

bedient, deren Ergebnisse in der Praxis nachprüfbar sind und sich allgemein bewährt haben,<br />

die also weitgehend unbestritten sind und als einigermaßen gesichert angesehen werden können.<br />

Freilich kann die Kirche nicht jetzt noch dem neuzeitlichen Fortschrittsmythos erliegen, als ob<br />

durch die modernen Wissenschaften im Laufe der Zeit alle Probleme lösbar, alle Zukunftsvorhaben<br />

planbar und durch Technik machbar seien. Am Beispiel der Gentechnologie wird gegenwärtig<br />

besonders deutlich, dass Fachwissenschaften nicht nur alte Probleme lösen, sondern auch gravierende<br />

neue hervorrufen können. Schon im wissenschaftlichen Experiment können Techniken in<br />

ihrer Anwendung inhuman sein, ohne dass man ihre weiteren Folgen abwarten müsste (zum Beispiel<br />

Experimente mit menschlichen Embryozellen). Das gilt auch für sozialwissenschaftliche Experimente<br />

mit gesellschaftlichen Gruppen, die durch bestimmte Sozialtechniken manipuliert und<br />

entpersonalisiert werden können. Gerade hier zeigt sich, dass die empirischen Sozialwissenschaften<br />

auf ethische Normen angewiesen sind, die sie nicht mit ihren eigenen Methoden begründen<br />

können. Hier kann sich dann auch die ethische Wertkompetenz der Kirche bewähren.<br />

Kompetenzverteilung<br />

Es gibt immer noch Gläubige, die mit allzu großen Erwartungen an das kirchliche Lehramt her<br />

antreten und in ihm eine universale soziale Problemlösungsinstanz erblicken. Als ob das Lehramt<br />

von Rom aus sämtliche Probleme in aller Welt überblicken und lösen könnte. Es wäre überfordert,<br />

die komplexen internationalen Zusammenhänge in den Griff zu bekommen und konkret zu sagen,<br />

wie im einzelnen die Armut in Brasilien zu beseitigen, die Arbeitslosigkeit in den Industriestaaten<br />

abzubauen und der Umweltschutz überall zu institutionalisieren sei. Und wenn es auch konkrete<br />

Maßnahmen vorschlagen würde, wäre damit noch nicht die Garantie der Realisierbarkeit gegeben.<br />

Aus diesen Gründen gibt es auch in der Kirche eine Kompetenzverteilung nach dem Subsidiaritätsprinzip.<br />

Die ortskirchlichen Bischöfe und nationalen Bischofskonferenzen sind viel näher an<br />

den Brennpunkten und können viel sachkompetenter und deutlicher sprechen. In ihren „Hirtenworten"<br />

können sie sich auch leichter mit detaillierten Vorschlägen vorwagen, als es die zurückhaltend<br />

formulierten päpstlichen Enzykliken tun.<br />

Aber auch für diese Ebene der kirchlichen Sozialverkündigung gilt der Verzicht, konkrete Lösungen<br />

und Modelle autoritativ vorzuschreiben. Damit nimmt die Kirche Rücksicht auf die relative<br />

Autonomie der gesellschaftlichen Sachbereiche, die ihre eigenen Regelkreise haben. Sie akzeptiert<br />

die Pluralität der Gesellschaft, deren Gruppen auf verschiedenen Wegen ihre Werte verwirklichen<br />

können. Und sie respektiert die Säkularität des Staates, der nicht im Dienst einer bestimmten Religion<br />

zu stehen hat, sondern ethischen Werten verpflichtet ist, die konsensfähig sind.<br />

Gesellschaftlich ernst genommen wird die Kirche nicht, wenn sie sich nur auf eine sentimentale<br />

„Kompetenz der Betroffenheit" beruft, die Inflation von Solidaritätserklärungen verstärkt und das<br />

jugendbewegte Protestverhalten nachahmt. Die Katholische Soziallehre erschöpft sich nicht in<br />

rhetorischer Kritik und versteift sich nicht auf eine Abwehrhaltung, die in der bloßen Verneinung<br />

des Negativen eine Verbesserung der Lage gläubig erwartet. Vielmehr erweist sich ihre „Kompetenz<br />

der Verantwortung" vor allem darin, dass sie sich konstruktiv und wertbewusst an der Gestaltung<br />

der Gesellschaft beteiligt. Gefragt ist dabei eine praktische Verbindung von Wert- und<br />

Sachkompetenz, die nur in einem Zusammenspiel von kirchlichem Amt, wissenschaftlicher<br />

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