Wolfgang F. Ockenfels KLEINE KATHOLISCHE ... - Ordo Socialis
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4. ZUSTÄNDIGKEITEN<br />
Zu den Grenzen der kirchlichen Kompetenz<br />
Das kirchliche Lehramt ist nicht nur legitimiert, sondern auch dafür zuständig, die jeweiligen sozialen<br />
Fragen aus der Sicht des Glaubens und der Ethik einer Bewertung zu unterziehen. Die lehramtliche<br />
Katholische Soziallehre soll dazu dienen, das verantwortliche Handeln der Gläubigen<br />
innerhalb der gegebenen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu orientieren und auch zur aktiven<br />
Gestaltung und Verbesserung dieser Ordnung anzuregen. Dabei beschränkt sich die Katholische<br />
Soziallehre nicht auf eine Schärfung der Gewissen oder auf eine Einschärfung abstrakter<br />
Prinzipien und Normen, die nur ständig zu wiederholen wären.<br />
In ihrem wesentlichen Kern stellt die Katholische Soziallehre eine prinzipielle Entfaltung des<br />
christlichen Menschenbildes dar. Ihre bleibende Substanz, ihre Hauptprinzipien lassen sich schnell<br />
nennen: Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl. Sie finden, wie Oswald von Nell-Breuning einmal<br />
bemerkte, Platz auf einem Fingernagel. Aber was bedeuten diese Abstraktionen inhaltlich für die<br />
Praxis? Wie kann man sie auf das gesellschaftliche Leben beziehen und anwenden? Welche konkreten<br />
Erfahrungen und institutionellen Vermittlungen sind dabei zu berücksichtigen? Welche<br />
Handlungsmotivationen und -kriterien sind aus dem Glauben zu schöpfen?<br />
Auf diese Fragen sucht die Katholische Soziallehre Antworten zu geben, die der jeweiligen sozialen<br />
Herausforderung angemessen sind. Bei den Enzykliken handelt es sich um praxisbezogene<br />
rahmenhafte Orientierungen, welche die Richtung anzeigen, in der nach konkreten Lösungen zu<br />
suchen ist. Die technisch-instrumentellen Lösungen einzelner Sachprobleme liegen allerdings<br />
nicht in der Kompetenz des kirchlichen Amtes, sondern die Kirche überlässt diese Frage dem<br />
Sachverstand der Laien und Fachleute, die zu unterschiedlichen Urteilen über die Mittel und Wege<br />
kommen können, die zum selben Ziel führen. Viele Wege führen bekanntlich nach Rom.<br />
Zwischen den allgemeinen Prinzipien und den konkreten Lösungen liegt ein langer und oft verschlungener<br />
Weg, den die Katholische Soziallehre in der realistischen Wahrnehmung, ethischen<br />
Bewertung und Bewältigung der Wirklichkeit zurücklegen muss. Die meisten Dokumente der Katholischen<br />
Soziallehre beginnen mit einer - wenigstens skizzenhaften - Beschreibung und Bewertung<br />
der Situation, in die sie jeweils hineinsprechen. Sie fragen nach den Wirkungen der sozioökonomischen<br />
Strukturen und gehen auch auf die Möglichkeit oder Notwendigkeit gesellschaftlicher<br />
Veränderungen ein.<br />
Geborgte Kompetenz?<br />
Um ihrer Wirksamkeit willen ist die Kirche auf eine zutreffende Analyse der jeweiligen Situation<br />
angewiesen. Die kirchlichen Verlautbarungen beanspruchen für sich keine besondere Kompetenz<br />
für wissenschaftliche Analysen, sondern sind hier auf die Ergebnisse der Fachwissenschaften angewiesen,<br />
um auf konkrete Situationen, auf die materiellen Vorgegebenheiten und gesellschaftlichen<br />
Konditionen menschlicher Existenz eingehen zu können.<br />
Für ein sachgerechtes Eingehen auf soziale und politische Fragen ist die Berücksichtigung wissenschaftlicher<br />
Forschungsergebnisse notwendig. Die Frage, wie konkret und zutreffend sich das<br />
kirchliche Lehramt zu sozialen Problemen äußern kann, hängt freilich auch damit zusammen, wie<br />
zuverlässig und wirklichkeitsgetreu sozialwissenschaftliche Aussagen sein können. Die moralische<br />
Glaubwürdigkeit einer Kirche, die sich ganz auf eine geborgte wissenschaftliche Kompetenz verließe,<br />
müsste aber in dem Maße Schaden nehmen, wie die Wissenschaften dem Irrtum unterworfen<br />
sind. Soziologen und Volkswirtschaftler räumen zunehmend ein, wie unvollkommen und proviso-<br />
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