Wolfgang F. Ockenfels KLEINE KATHOLISCHE ... - Ordo Socialis
Wolfgang F. Ockenfels KLEINE KATHOLISCHE ... - Ordo Socialis
Wolfgang F. Ockenfels KLEINE KATHOLISCHE ... - Ordo Socialis
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Heilswirken sind, dann kann sich die Kirche nicht auf den privaten Bereich personaler Innerlichkeit<br />
und Moralität zurückziehen und darf ihre Aufgabe nicht nur in der Pflege von Liturgie, Gebet<br />
und Meditation sehen. Eine privatistische und pietistische Abkapselung ist auch mit dem Missionsauftrag<br />
der Christen nicht vereinbar, in alle Welt zu gehen.<br />
Das soziale Engagement der Kirche kann gelegentlich aber auch Formen und Ausmaße annehmen,<br />
die den Eindruck entstehen lassen, als habe man es mit einem Partei- oder Gewerkschaftsersatz zu<br />
tun, und als sei die Kirche nur dazu da, das Gemeinwohl der Gesellschaft zu fördern. Freilich sind<br />
Situationen denkbar und (vor allem in Lateinamerika) auch real gegeben, in denen die Kirche gerade<br />
in Ermangelung sozialorientierter Parteien und freier Gewerkschaften „in die Bresche springen“<br />
muss, um das Massenelend zurückzudrängen und einigermaßen menschliche und gerechte<br />
Verhältnisse herzustellen. Denn einem Verhungernden gegenüber kann man die frohe Botschaft<br />
nicht bloß predigen, und es wäre zynisch, ihn auf ein besseres Jenseits zu vertrösten. Ebenso menschenverachtend<br />
wäre es zu sagen: Not lehrt beten, also lassen wir es bei der Not.<br />
Wenn besonders den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden ist, kann es notwendig sein, zunächst<br />
einmal die Lage der Armen tatkräftig zu verbessern. Das ist im Übrigen schon vom christlichen<br />
Liebesgebot her gefordert. Die Gottes- und Nächstenliebe gehören unlösbar zusammen, und<br />
ein Glaube ohne „gute Werke“, also gelebte Moral, ist tot. Freilich erschöpft sich der Glaube nicht<br />
in Werkgerechtigkeit. Der Inhalt der christlichen Botschaft reicht unendlich weiter, als der Gläubige<br />
begreifen und „praktizieren“ kann.<br />
Keine Selbsterlösung<br />
Das uns verheißene Reich Gottes ist kein innerweltliches Zukunftsreich, das durch Politik und<br />
Gesellschaftsreform hergestellt oder verhindert werden könnte. Es ist nicht „von dieser Welt“.<br />
Vielmehr ist die Herrschaft Gottes, die mit Jesus Christus begonnen hat und mit seiner Wiederkunft<br />
vollendet wird, ein Geschenk der Gnade, das sich nicht politisch verfügbar machen lässt. An<br />
dieser geheimnisvollen Heilswirklichkeit kann der gläubige Christ mitwirken, indem er sich in<br />
„guten Werken“ der Liebe und Gerechtigkeit bewährt. Er kann sich aber nicht durch eine werkgerechte<br />
„Orthopraxis“ das Himmelreich erwerben.<br />
Die Katholische Soziallehre schließt die Machbarkeit des „neuen Menschen“ und die Konstruktion<br />
eines irdischen Paradieses aus. Sie lässt sich leiten von der realistischen Einsicht in die Mangelhaftigkeit<br />
des konkreten Menschen und in die Vorläufigkeit seines Handelns. Aus christlicher Sicht<br />
ist der Mensch ein fehlbares Mängelwesen, das, von der Erbsündenverstrickung belastet, nicht in<br />
der Lage ist, die absolute Gerechtigkeit und das perfekte Glück auf Erden zu realisieren. Die Katholische<br />
Soziallehre leidet also nicht an jenem Münchhausen-Komplex der Selbsterlösung, wonach<br />
man sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf herausziehen kann. Sie fordert nicht die totalitäre<br />
Einheit zwischen Theorie und Praxis, zwischen Anspruch und Wirklichkeit, sondern nimmt die<br />
bleibende Differenz zwischen beiden in Kauf. Sie erträgt die „eschatologische“ Differenz zwischen<br />
dem „Schon“ des Erlöstseins und dem „Noch nicht“ der vollendeten Erlösung - und leitet<br />
aus der Spannung zwischen der göttlichen Verheißung und ihrer endgültigen Erfüllung keinen<br />
politischrevolutionären Befreiungsauftrag ab.<br />
Vertreter der politischen „Theologie der Befreiung“ neigen dazu, diese Spannung zur revolutionären<br />
Entladung zu bringen, in der Hoffnung, damit die Ankunft des Reiches Gottes beschleunigen<br />
zu können. Versuche dazu hat es in der Geschichte immer wieder gegeben, Joachim von Fiore und<br />
die Wiedertäufer von Münster zeugen davon. Auch die Gegenwart kennt befreiungstheologische<br />
Versuchungen, eine endgültige Heilsordnung revolutionär zu errichten. Die fundamentalistischen<br />
Revolutionäre wollen in ihrer Ungeduld zwar immer nur das Beste, gehen dabei aber für die<br />
Menschlichkeit über Leichen. Man wird an die Bemerkung des Philosophen Karl R. Popper erin-<br />
18