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Wolfgang F. Ockenfels KLEINE KATHOLISCHE ... - Ordo Socialis

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wenn sie außerhalb des Glaubens leben, ihrer Freiheit und der Verfügungsgewalt über ihre Güter<br />

nicht beraubt werden dürfen, dass sie im Gegenteil Freiheit und Besitz in rechtmäßiger Unangefochtenheit<br />

benutzen, erwerben und sich dessen erfreuen dürfen, und dass sie nicht zu Sklaven<br />

gemacht werden dürfen und dass alles, was entgegen dem hier Gesagten geschehen mag, ungültig<br />

und nichtig ist“.<br />

Was dann aber trotz aller beschwörenden Ermahnungen und Anordnungen der Kirche tatsächlich<br />

passiert ist, kann an Grausamkeit und Ungerechtigkeit kaum überboten werden. Die Ausrottung<br />

der Indianer in Amerika, die Versklavung der Neger und die Geschichte der Kolonien insgesamt<br />

gehören wohl zu den dunkelsten Kapiteln der Weltgeschichte. Nur kann man dieses Kapitel nicht<br />

auf das Schuldkonto der Kirche setzen und weder die so genannte „Amtskirche“ noch die Gemeinschaft<br />

der wirklich Glaubenden dafür verantwortlich machen. Die Kirche hätte auch gar nicht die<br />

Macht gehabt, das zu verhindern, was eingetreten ist und dessen Spätfolgen heute noch sichtbar<br />

sind. Auf diesem Hintergrund lassen sich auch einige radikale und revolutionäre Forderungen der<br />

lateinamerikanischen „Theologie der Befreiung“ erklären.<br />

Arbeiterfrage<br />

Die Lösung der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts wurde freilich nicht revolutionär übers Knie<br />

gebrochen, sondern geschah auf dem Weg der Reformen, an denen die Kirche maßgeblich beteiligt<br />

war. Die damalige gesellschaftliche Situation in Europa lässt durchaus Ähnlichkeiten mit der gegenwärtigen<br />

Entwicklungsproblematik Lateinamerikas erkennen: Die sprunghaft einsetzende Industrialisierung<br />

und die mit ihr verbundene rein kapitalistische Wirtschaftsweise führten zu einer<br />

verstärkten Arbeitsteilung, zu einer strikten Trennung von Kapital und Arbeit sowie zu einer Behandlung<br />

des Faktors Arbeit als bloße Ware, die nach Angebot und Nachfrage gehandelt wurde.<br />

Damit verbunden war eine Völkerwanderung vom Land in die Stadt und ein rasantes Bevölkerungswachstum.<br />

Folge davon war eine geistige, soziale und ökonomische Entwurzelung breiter<br />

Bevölkerungsteile, das Auseinanderfallen der Großfamilien als „soziales Netz“ sowie die Verelendung<br />

und Proletarisierung der Massen in den Städten.<br />

Die ersten, die diesen Prozeß zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland kommen sahen und<br />

lange vor Karl Marx kritisierten, waren drei katholische Intellektuelle: Joseph Görres, Adam Müller<br />

und Franz von Baader. Diese Männer und ihre Kreise waren entschiedene Gegner des Liberalkapitalismus<br />

und vertraten das romantische Ideal einer berufsständischen Ordnung in Anlehnung<br />

an das Mittelalter. Aber nicht diese restaurative Lösung setzte sich durch, sondern die sozialpolitische<br />

Reform. Für diese Reformlinie stehen Namen wie Franz Josef Ritter von Büß, Adolf Kolping<br />

und vor allem Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler. Diese christlichsozialen Persönlichkeiten<br />

waren keine Ausnahmeerscheinungen, sozusagen das „soziale Feigenblatt“ der Kirche. Sie gelten<br />

als Pioniere einer christlich-sozialen Massenbewegung, die über die Zentrumspartei auch politisch<br />

wirksam wurde und sich als eigentliche Avantgarde herausstellte.<br />

Dieser Bewegung ging es nicht darum, den überaus produktiven Kapitalismus abzuschaffen, sondern<br />

ihm die Giftzähne zu ziehen und ihn sozialpolitisch zu bändigen. Die sozialpolitischen Vorstellungen,<br />

wie sie besonders von Bischof Ketteler formuliert worden waren, sind dann auch vom<br />

päpstlichen Lehramt aufgegriffen worden. In der ersten Sozialenzyklika „Rerum novarum“ von<br />

1891 bestätigte Leo XIII. feierlich das, was der deutsche Sozialkatholizismus bereits Jahrzehnte<br />

zuvor gefordert und teilweise auch schon durchgesetzt hatte: erstens die Notwendigkeit staatlicher<br />

Sozialpolitik, zweitens die Verbürgung des Koalitionsrechtes (Gewerkschaften) und drittens die<br />

soziale Bindung des Privateigentums.<br />

Dieses uns heute selbstverständlich erscheinende Programm wurde schrittweise und gegen große<br />

Widerstände realisiert. Es hat sich aber schneller durchgesetzt und vor allem besser bewährt als<br />

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