Dr. Matthias Brockstedt 2009
Dr. Matthias Brockstedt 2009
Dr. Matthias Brockstedt 2009
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Die Entwicklung der Kinder im ersten Lebensjahr<br />
unter den Bedingungen von Erziehung und<br />
Versorgung durch substituierte Eltern<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Matthias</strong> <strong>Brockstedt</strong><br />
Kinder- und Jugendgesundheitsdienst<br />
Bezirksamt Mitte von Berlin<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Bezirk Mitte von Berlin<br />
• Das Nettohaushaltseinkommen liegt in Mitte bei 1275 Euro im<br />
Monat, 200 Euro unter dem Berliner Durchschnitt. In der<br />
Armutsberichtserstattung liegt der Bezirk inzwischen an letzter<br />
Stelle der bezirklichen Rangordnung.<br />
• Ohne beruflichen Abschluß sind in Mitte 40 % der erwachsenen<br />
Bevölkerung (Berliner Durchschnitt 30%).<br />
• Mit 28,4 % hat Mitte den höchsten Anteil nichtdeutscher<br />
Einwohner (Berliner Durchschnitt 13,8%).<br />
• Mitte hat mit 7,7% die höchste bezirkliche Rate an<br />
Frühgeborenen unter 2500 Gramm als Indikator für die soziale<br />
Lage und die gesundheitliche Versorgung einer Region (Berliner<br />
Durchschnitt 6,5 %).<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
<strong>Dr</strong>ogenbedingte Organschäden und -<br />
störungen<br />
Alkohol:<br />
Fetales Alkoholsyndrom (1:300) mit Mikrozephalie,<br />
Wachstumsretardierung, Gesichtsdysmorphien und Hemmung der<br />
intellektuellen und motorischen Entwicklung<br />
Kokain:<br />
Mikrozephalie, zerebrale Infarkte, Urogenital- oder<br />
Skelettfehlbildungen, intestinale Atresien<br />
Amfetamine, Metamfetamine:<br />
nur „minor anomalies“<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
Opiate, Opioide:<br />
keine Organschäden<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Akutsymptome bei Neugeborenen<br />
drogenabhängiger Mütter<br />
Alkohol und Rauchen:<br />
Adaptationsstörungen, Hypoglykämie und Zittrigkeit bei Früh- und<br />
Mangelgeburt<br />
Kokain:<br />
Trinkschwäche, Schlafstörungen, Zittrigkeit, schrilles Schreien,<br />
Erbrechen, Niesen, Tachypnoe, Fieber<br />
Amfetamine, Metamfetamine:<br />
Übererregbarkeit, veränderter Muskeltonus<br />
Opiate, Opioide:<br />
(klassische Entzugssymptomatik nach 24-72 Stunden, mitunter erst<br />
nach 10-36 Tagen); Atemnotsyndrom, zerebrale Krampfanfälle<br />
(10%), Übererregbarkeit, Zittern, Niesen, Erbrechen, Durchfall,<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
Schlafstörungen<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Langzeitfolgen mütterlichen <strong>Dr</strong>ogenkonsums<br />
Alkohol:<br />
Wachstumsstörungen, Intelligenzdefekte, Störungen von Motorik<br />
und Koordination, Verhaltensstörungen<br />
Kokain:<br />
Intelligenzdefekte, Störungen von Motorik und Koordination,<br />
Verhaltensstörungen, SIDS<br />
Amfetamine, Metamfetamine:<br />
Störungen der Intelligenzentwicklung<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
Opiate, Opioide:<br />
ADHS<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Gesetzliche Grundlagen für den KJGD<br />
Gesundheitsdienstreformgesetz GDG § 8,2<br />
Der ÖGD nimmt die Aufgaben der Beratung, psychosozialen<br />
Unterstützung und der Hilfevermittlung insbesondere für folgende<br />
Zielgruppen wahr, soweit sie nicht durch <strong>Dr</strong>itte gewährleistet werden:<br />
1. Für Säuglinge und Kleinkinder, wenn die Schwangerschaft oder<br />
die Geburt regelwidrig verlaufen ist, sich Besonderheiten in der<br />
frühkindlichen Entwicklung zeigen oder es zum Schutz vor<br />
anderweitigen Risiken notwendig ist; hierzu erfolgt insbesondere<br />
eine Kooperation mit Geburtskliniken, Kinder- und Frauenärzten<br />
und-ärztinnen, Hebammen und Jugendämtern zur Gewährleistung<br />
eines effektiven Gesundheits- und Kinderschutzes,<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
…..<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Kinder- und Jugendgesundheitsdienst<br />
(KJGD)<br />
Zuständigkeit: Kinder von der Geburt bis zur<br />
Schulentlassung (§ 8 GDG)<br />
Team: Kinderärzte, Ärzte, Sozialpädagogen,<br />
Arzthelferinnen, Angestellte<br />
Aufgaben: u.a. Ersthausbesuch nach der Geburt eines<br />
Kindes mit Beratung zu gesundheitsbezogenen<br />
Fragen wie Ernährung, Stillen,<br />
Säuglingspflege, Impfen und sozialen Fragen<br />
wie Vaterschaftsanerkennung, Elterngeld,<br />
Finanziellen Hilfen, Schulden, Miete, ALG II,<br />
Begleitung in schwierigen Lebenslagen;<br />
Berlin-Mitte<br />
Kinderschutz.<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Leistungen des KJGD – Mitte 2008<br />
Kinderschutz:<br />
Gesetzliche<br />
Reihenuntersuchungen:<br />
2572 Ersthausbesuche<br />
2805 Schuleingangs – U.<br />
(präventiver Kinderschutz)<br />
884 JAG<br />
600 Betreuungsfälle (protektiver<br />
1432 Kitareihen – U.<br />
Kinderschutz)<br />
Individualuntersuchungen:<br />
5023 Einzelmassnahmen der<br />
4944 Kinder, davon<br />
Sozialpädagogen<br />
353 nicht KV – Kinder<br />
2962 Einzelmassnahmen der<br />
228 Vorsorge – U.<br />
Kinderärzte<br />
995 Kitaaufnahmen<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
2021 Impfungen<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Fürsorge substituierter Mütter gegenüber<br />
ihrem Kind (Kinder- und Jugendarzt 2007, Vol 38,5: 285-287)<br />
2<br />
Schlecht<br />
7<br />
Weniger gut<br />
8<br />
Weiß nicht<br />
12<br />
Zufriedenstellend<br />
22<br />
Gut<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Partnersituation substituierter Mütter und deren<br />
Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung<br />
(Kinder- und Jugendarzt 2007, Vol 38,5: 285-287)<br />
Gesamt<br />
Entwicklungsgestört<br />
Altersgemäß<br />
Partnersituation<br />
%<br />
Anzahl<br />
Anzahl<br />
Anzahl<br />
52<br />
30<br />
4<br />
26<br />
Fester Partner<br />
38<br />
22<br />
10<br />
12<br />
Wechselnde P.<br />
10<br />
6<br />
2<br />
4<br />
Unbekannt<br />
100<br />
58<br />
16<br />
42<br />
Gesamt<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Fallbeispiel 1<br />
Kind L.S. männlich , 1. Kind einer 21-jährigen substituierten Mutter<br />
Kindesvater lebt nicht mit Km zusammen, PSB wird zunächst<br />
wahrgenommen, kurz vor der Entbindung fand Beikonsum statt.<br />
Sozialdienst der Geburtsklinik vermittelt Kontakte zu ASD und KJGD<br />
sowie eine Hebamme, 1. Hausbesuch des KJGD vor Entlassung des<br />
Jungen wegen Entzugssymptomen, danach ab Entlassung<br />
wöchentliche Vorstellung zusätzlich zu Kinderarztvorsorgen.<br />
Familienhilfe wird von Km abgelehnt, ab 3. Monat 14 tägige Betreuung<br />
durch KJGD, ab 6. Monat 4 wöchentliche Betreuung, die bis zum 13.<br />
Monat eingehalten wird. Kindliche Entwicklung altersgerecht.<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Fallbeispiel 1, Fortsetzung<br />
Ab 15. Monat Termine beim KJGD nicht eingehalten, ebenfalls Termine<br />
bei PSB unregelmäßig, Verdacht auf erneuten Beikonsum;<br />
Gutachten beim SPD zur Weiterführung der PSB beantragt; Termin<br />
beim SPD nicht wahrgenommen, PSB sehr unregelmäßig,<br />
Ab 17.Monat zunehmende Erziehungsprobleme bei schlechtem<br />
Gesundheitszustand der Km und fraglicher Trennung vom Partner –<br />
Unangemeldeter Hausbesuch des KJGD: Mutter und Kind um 10.00 im<br />
Bett, KJGD drängt auf Kitaaufnahme des Jungen, hierzu Absprachen<br />
mit der noch 6 Monate bewilligten PSB und einer Kita im Wohnumfeld.<br />
Ab der U 7 mit 24 Monaten Sprachentwicklungsverzögerung<br />
Berlin-Mitte<br />
beim Jungen festgestellt.<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Fallbeispiel 2<br />
Kind M. R. männlich, 4. Kind einer 37 jährigen substituierten Mutter,<br />
lebt offiziell getrennt vom Kindsvater;<br />
Nach vierwöchentlicher Entzugsbehandlung Kind nach Hause mit<br />
Familienhilfe, PSB und wöchentlicher Vorstellung im KJGD,<br />
Hausbesuch 7 Tage nach Klinikentlassung, alle Termine werden<br />
eingehalten bei PSB und KJGD. Ab 3. Monat 14-tägige Vorstellung, ab<br />
5. Monat Termine nicht eingehalten trotz Familienhilfe, aber Vorsorgeund<br />
Impftermine bei Kinderärztin wahrgenommen.<br />
Nach Intervention Jug Termine 6. Monat eingehalten, kommt<br />
zwischenzeitlich unangemeldet bei Krankheiten des Säuglings –<br />
Entwicklung des Kindes bis zum 11. Monat altersgerecht.<br />
Mutter verstirbt an Überdosis, Sgl. krabbelt alleine in der Wohnung<br />
Berlin-Mitte<br />
der Toten.<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Fallbeispiel 3<br />
Kind C.K. Weiblich, 2. Kind einer 20-jährigen drogensüchtigen Mutter,<br />
lebt mit gewalttätigem 22-jährigen Kindsvater zusammen, keine<br />
Krankenversicherung;<br />
Gemeinsam mit Jug ab 4. Lebenstag zunächst wöchentliche<br />
Vorstellung im KJGD, Regelung von KV und ALG II, wiederholte<br />
unangemeldete Hausbesuche zeigen chaotische Lebensumstände,<br />
Ab der 6.Lebenswoche schwere chronische Ekzeme, fehlende Pflege,<br />
körperliche Mangelentwicklung, Termine werden nicht eingehalten –<br />
Mutter - Kind - Interaktion wird von drei ärztlichen Untersuchern zu<br />
verschiedenen Zeiträumen als gestört beschrieben (Mutter lethargisch,<br />
desinteressiert, keine mimischen Signale zum Kind).<br />
Ab 5. Monat gerichtlich verordnete Kurzzeitpflege.<br />
Ab 20. Monat Herausnahme beider Kinder auf Gerichtsbeschluß,<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
Kindsmutter nicht auffindbar.<br />
Rasches Aufholwachstum in der Pflegefamilie.<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Fallbeispiel 4<br />
Kind E. T. Weiblich, 2 Kind einer 34-jährigen substituierten Mutter, in<br />
Scheinehe lebend;<br />
Sozialdienst der Geburtsklinik vermittelt Mutter und Kind nach Entzug<br />
an Jug und KJGD, eine PSB findet nicht statt, lediglich telefonische<br />
Abstimmung mit substituierendem Arzt. Erster gemeinsamer<br />
Hausbesuch Jug / KJGD vor dem Entlassungstag, danach<br />
wöchentliche, ab 3. Monat 4 - wöchentliche Vorstellung des sich normal<br />
entwickelnden Mädchens im KJGD. Ab 9. Monat werden Termine nicht<br />
eingehalten, erst wieder nach unangemeldetem Hausbesuch durch<br />
Jug. Ab 18. Monat Verzug der Familie, Wiederaufspüren mit<br />
sporadischen Kontakten bis 2. Lebensjahr; Mutter lehnt Hilfen ab –<br />
Da Vorsorgen und Impfungen bei Kinderärztin wahrgenommen wurden<br />
und Kind stets versorgt und altersgerecht entwickelt war, keine<br />
weiteren Angebote.<br />
Berlin-Mitte<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Fallbeispiel 4, Nachtrag<br />
Kind wird Untersucher im Alter von 5 Jahren 9 Monaten bei der<br />
Kitareihen – Untersuchung der 3 ½ bis 4 ½ - Jährigen vorgestellt:<br />
Freundliches mitteilsames schlankes Mädchen mit beidseitiger<br />
unkorrigierter Sehstörung, erheblichen Defiziten in der Feinmotorik und<br />
Visuomotorik und Artikulationsstörung (psychosoziale Deprivation).<br />
Mit schriftlicher Zustimmung der Mutter Einleitung von<br />
Fördermaßnahmen in Vorbereitung auf nächstjährigen Schulbesuch.<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Fallbeispiel 5<br />
Kind G.E. weiblich, 1. Kind einer 20-jährigen substituierten Mutter,<br />
gewalttätiger Kindesvater mit <strong>Dr</strong>ogen- und Alkoholproblem, zeitweise<br />
getrennt lebend; zwischendurch Scheinehe mit 17 Jahr älterem<br />
Jugoslawen.<br />
Ab Geburt regelmäßige Betreuung durch Jug und KJGD gemeinsam,<br />
PSB wird eingehalten, Urinkontrollen nicht immer sauber.<br />
Kitaaufnahme des Mädchens ab 12. Monat, SEV -<br />
Ab 20. Monat erneute engmaschige Betreuung durch KJGD und<br />
gemeinsame Hausbesuche Jug / KJGD wegen häuslicher Gewalt des<br />
Kindesvaters unter Alkohol. In 12 Monaten 19x beim KJGD, Mutter<br />
erneut schwanger, der vor 5 Monaten geborene Junge verbleibt bis<br />
zur Klärung der weiteren Familiensituation in Kurzzeitpflege mit engen<br />
Besuchskontakten beider Eltern;<br />
Berlin-Mitte<br />
Einhaltung der PSB und Veranlassung einer Familientherapie aus<br />
dem Weddinger Milieu heraus.<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Schlußfolgerungen<br />
Eine intensive langzeitige Betreuung bis zum Schulalter durch<br />
koordinierte Hilfesysteme ist zur Sicherstellung der kindlichen<br />
Entwicklung in den Familien substituierter Mütter (und Väter)<br />
zwingend erforderlich.<br />
Sie ist am ehesten erfolgreich, wenn<br />
- eine gelingende Mutter-Kind-Beziehung existiert,<br />
- Eltern zur Kooperation bereit sind,<br />
- Eltern zuverlässig Termine wahrnehmen,<br />
- keine kindlichen Zusatzrisiken bestehen,<br />
- die substituierten Mütter in einer festen Beziehung leben,<br />
- ein Milieuwechsel stattgefunden hat,<br />
- familienbezogene Therapien in neuem Umfeld wahrgenommen<br />
Berlin-Mitte<br />
werden<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk
Vielen Dank für Ihre<br />
Aufmerksamkeit<br />
matthias.brockstedt@ba-mitte.verwalt-berlin.de<br />
Tel 9018-46132/ -30<br />
Abteilung Personal und Gesundheit<br />
Berlin-Mitte<br />
Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk