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2007-4 5 Autoren.indb - Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

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Berliner Debatte Initial 18 (<strong>2007</strong>) 4/5<br />

Ulrich Busch, Karl Mai<br />

Konvergenzbremse Produktivität<br />

Ursachen und Folgen<br />

zurückbleibender Arbeitsproduktivität in Ostdeutschland<br />

Auch im siebzehnten Jahr der deutschen Einheit<br />

differieren Ost- und Westdeutschland weiterhin<br />

erheblich nach volks- und regionalwirtschaftlichen<br />

Kriterien. Die Unterschiede betreffen<br />

nicht nur das äußere Erscheinungsbild, die<br />

demographische Situation, die Einkommen,<br />

den Konsum und die allgemeine Stimmungslage<br />

1 , sondern ebenso die wirtschaftlichen<br />

Fundamentaldaten und makroökonomischen<br />

Indikatoren. So weichen Produktion, Beschäftigung,<br />

Produktivität, Löhne und Investitionen im<br />

Ost-West-Vergleich erheblich voneinander ab.<br />

Die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung<br />

im Osten reicht nicht aus, um diese Diskrepanz<br />

zu überwinden. Die Folge ist, daß sich für Ost-<br />

und Westdeutschland deutlich differierende<br />

Zukunftschancen bzw. -risiken ergeben. Dies<br />

geht aus dem Zukunftsatlas <strong>2007</strong> der Prognos<br />

AG hervor, welcher anhand eines Sets von 29<br />

Indikatoren dokumentiert, wo die 439 Städte<br />

und Kreise der Bundesrepublik Deutschland<br />

hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit<br />

derzeit stehen. Zwei Aussagen<br />

fallen dabei besonders ins Auge: Erstens das<br />

nicht zu übersehende generelle Niveaugefälle<br />

zwischen West- und Ostdeutschland; und<br />

zweitens die zunehmende Polarisierung in<br />

Ostdeutschland – einigen „Highlights“ wie<br />

Potsdam, Dresden und Jena stehen, was die<br />

Verteilung der Zukunftschancen und -risiken<br />

anbetrifft, peripherisierte Regionen, insbesondere<br />

im Norden und Osten, gegenüber<br />

(vgl. Abb. 1).<br />

Versucht man die sehr komplexe und teilweise<br />

widersprüchliche Situation des Zurückbleibens<br />

des Ostens, oder zumindest großer<br />

Teile desselben, gegenüber dem Westen auf<br />

121<br />

den Begriff zu bringen, so bietet sich dafür<br />

zunächst das Bruttoinlandprodukt (BIP) an. Als<br />

gesamtwirtschaftlicher Produktionsindikator<br />

vermittelt es ein zutreffendes Bild von der<br />

wirtschaftlichen Leistungskraft einer Volkswirtschaft.<br />

Es entspricht dem Wert (Preissumme)<br />

aller im Inland produzierten Güter in einer<br />

Periode nach Abzug der Vorleistungen. Um<br />

das Produktionsniveau einer Volkswirtschaft<br />

abzubilden, genügt der Ausweis des nominalen<br />

BIP (in jeweiligen Preisen). Für einen Vergleich<br />

in der Zeit jedoch ist eine deflationierte Größe<br />

erforderlich, das reale oder preisbereinigte BIP. 2<br />

Hiervon ausgehend sind dann weitere Darstellungen<br />

möglich, insbesondere der Ausweis der<br />

absoluten und relativen Veränderung des BIP.<br />

Auf diese Weise läßt sich die wirtschaftliche<br />

Dynamik statistisch erfassen. Darüber hinaus<br />

können über den Quotienten aus BIP und<br />

Einwohnerzahl die Leistung oder Produktivität<br />

bzw. der „allgemeinen Wohlstand“ einer Volkswirtschaft<br />

gemessen und über das Verhältnis<br />

von BIP und Erwerbstätigenzahl das Niveau<br />

und die Entwicklung der Arbeitsproduktivität<br />

ausgedrückt werden.<br />

Die Arbeitsproduktivität (im engeren Sinne)<br />

entspricht dem preisbereinigten BIP je<br />

Erwerbstätigen. 3 Im BIP ist die gesamtwirtschaftliche<br />

Leistung erfaßt, in der Zahl der<br />

Erwerbstätigen manifestiert sich der Einsatz des<br />

entscheidenden Produktionsfaktors, der Arbeit<br />

bzw. des Humankapitals. Im Verhältnis beider<br />

Größen kommt die wirtschaftliche Leistungskraft<br />

einer Volkswirtschaft zum Ausdruck. Es<br />

gibt keinen anderen Indikator, worin sich die<br />

ökonomische Wahrheit über ein Land oder<br />

eine Region derart komprimiert ausdrücken


122 Ulrich Busch, Karl Mai<br />

läßt. In der Kennziffer „Arbeitsproduktivität“<br />

sind gleichsam Ursache und Wirkung für das<br />

Zurückbleiben Ostdeutschlands enthalten.<br />

Sie ist die Schlüsselgröße für die Lohn- und<br />

Einkommensentwicklung, für die Wettbewerbsfähigkeit<br />

der Unternehmen und für den<br />

Transferbedarf der neuen Länder. Zudem<br />

weist sie, indem sie die wichtigste Grundlage<br />

für gesellschaftliche Dynamik oder Stagnation<br />

ist, über die wirtschaftlichen Zusammenhänge<br />

hinaus und gibt Auskunft über strukturelle<br />

Fehlentwicklungen, Modernisierungsdefizite,<br />

Allokationsfehler, zivilgesellschaftliche Defizite,<br />

Kompetenz- und Qualifikationsmängel, und<br />

anderes mehr.<br />

Damit sind einige Fragen aufgeworfen:<br />

Erstens die Frage nach der Entwicklung und<br />

dem gegenwärtigen Stand der Arbeitsproduktivität<br />

in Ostdeutschland im Vergleich zu<br />

Westdeutschland. Zweitens die Frage nach den<br />

Ursachen für das Zurückbleiben des Ostens.<br />

Drittens die Frage nach den Konsequenzen,<br />

die sich hieraus für den sozioökonomischen<br />

Konvergenzprozeß ergeben. Und viertens die<br />

Frage nach den Chancen und Möglichkeiten,<br />

die Ost-West-Konvergenz in der Zukunft über<br />

eine Steigerung der Arbeitsproduktivität zu<br />

beschleunigen. 4 Der Aufsatz hat das Anliegen,<br />

diese Fragen vor dem Hintergrund aktueller<br />

Wirtschaftsdaten zu diskutieren.<br />

Abb. 1: Chancen und Risiken deutscher Regionen. Aus: Zukunftsatlas; Prognos AG (<strong>2007</strong>)


Konvergenzbremse Produktivität<br />

Stand und Entwicklung<br />

Über den Stand der Ost-West-Konvergenz<br />

und deren Entwicklung in jüngster Zeit gibt<br />

es unterschiedliche Einschätzungen. 5 Aus der<br />

Tatsache, daß das Wachstum des BIP im Osten<br />

im Jahr 2006 und voraussichtlich auch <strong>2007</strong><br />

geringfügig über dem in Westdeutschland<br />

liegt, wird teilweise der Schluß gezogen, daß<br />

Ostdeutschland nunmehr gesamtwirtschaftlich<br />

kräftig aufhole. 6 Andere Einschätzungen gehen<br />

demgegenüber von einem nach wie vor hohen<br />

wirtschaftlichen Niveaugefälle zwischen West<br />

und Ost aus, was zugleich eine Relativierung<br />

der Möglichkeiten des Aufholens bedeutet.<br />

Entwicklung und Stand der Konvergenz widerspiegeln<br />

sich in den Daten der Tabelle 1.<br />

Aus der Tabelle geht hervor, daß sich die<br />

Ost-West-Konvergenz seit Mitte der 1990er<br />

Jahre nur noch wenig vergrößert hat. Von 2000<br />

bis 2006 hat sich das BIP je Einwohner in den<br />

neuen Bundesländern und Berlin auf 108,6%<br />

und ohne Berlin auf 112,6% erhöht, in den<br />

alten Ländern dagegen auf 104,9%. Die relative<br />

wirtschaftliche Leistung Ostdeutschlands ist<br />

also jährlich nur etwa um einen halben Prozentpunkt<br />

gewachsen. Das ist zu wenig, um in<br />

absehbarer Zeit aufzuschließen. Absolut hat<br />

sich der Abstand seit 1996 sogar vergrößert!<br />

Zudem liegen dem Wert für das relative Niveau<br />

123<br />

der Arbeitsproduktivität unterschiedlich hohe<br />

Arbeitszeiten in Ost- und Westdeutschland<br />

zugrunde. Bereinigt um diesen Faktor, beträgt<br />

die Produktivität in Ostdeutschland gerade mal<br />

64% des Westniveaus (Ragnitz <strong>2007</strong>: 179).<br />

Setzt man diese Zuwachsraten auch für die<br />

Zukunft an, so würde Ostdeutschland beim<br />

BIP je Einwohner erst 2050 annähernd 90%<br />

des westdeutschen Niveaus erreichen. Dramatisch<br />

ist jedoch, daß die Verringerung des<br />

Niveaugefälles bei der Produktivität nicht auf<br />

einen höheren Zuwachs des ostdeutschen BIP<br />

zurückgeht, sondern ausschließlich prognostisches<br />

Ergebnis des Bevölkerungsrückgangs in<br />

den neuen Ländern ist und damit Ausdruck<br />

einer „passiven Sanierung“. Dies verwundert, da<br />

im Osten doch erheblich investiert wurde und<br />

die Produktionstechnik grundlegend modernisiert,<br />

erneuert und erweitert worden ist. Wie<br />

sich aber zeigt, nicht genug: Der Kapitalstock<br />

je Einwohner stieg von 44% des Westniveaus<br />

im Jahre 1991 auf 74% im Jahr 2005. Diese<br />

Differenz widerspiegelt ziemlich genau den<br />

ostdeutschen Produktivitätsrückstand von der<br />

technischen Seite her.<br />

Eine unter dem Entwicklungsaspekt eindeutig<br />

negativ zu bewertende Tatsache ist, daß das<br />

relative Niveau der Ausrüstungsinvestitionen<br />

je Einwohner seit 1996 ständig zurückgeht.<br />

Dabei hat sich nicht nur die Relation zuun-<br />

Tabelle 1: Indikatoren zum Ost-West Angleichungsprozeß (Westdeutschland=100)<br />

Indikator 1991 1996 2006<br />

BIP nominal je Einwohner<br />

Arbeitsproduktivität (BIP in<br />

33,6 62,7 67,9<br />

jeweiligen Preisen je Erwerbstätigen)<br />

Arbeitsproduktivität (BIP in jeweiligen Preisen<br />

35,2 68,6 77,8<br />

je Arbeitsstunde der Erwerbstätigen) 64,3 * Investitionen in neue Ausrüstungen und<br />

73,5<br />

sonstige Anlagen je Einwohner 68,8 104,0 86,1 **<br />

Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer 49,8 75,4 77,5<br />

Lohnstückkosten , Basis Personen<br />

Erwerbsbeteiligungsquote in % (Anteil des Erwerbstätigen-<br />

141,4 109,9 99,6<br />

potentials ohne stille Reserve an den Erwerbsfähigen) 115,3 + Erwerbstätigenquote in % (Anteil der Erwerbstätigen<br />

106,1 102,1<br />

im 1. Arbeitsmarkt an den Erwerbsfähigen) 86,1 + 90,8 89,4<br />

Neue Länder ohne Berlin, alte Länder mit Berlin (Westdeutschland =100), * 1998; ** 2005; + 1992<br />

Quelle: DIW/ifo/ifW/IWH/RWI <strong>2007</strong>: 51; Bundesregierung 2006: 151; BMWi <strong>2007</strong>: 22, 15


124 Ulrich Busch, Karl Mai<br />

gunsten Ostdeutschlands verschoben, sondern<br />

es stagniert auch der Umfang. Die Höhe der<br />

Anlageinvestitionen sank von 102,4 Mrd. €<br />

im Jahr 1996 auf 65,3 Mrd. € im Jahr 2005 (in<br />

laufenden Preisen).<br />

Bei den Ausrüstungsinvestitionen wird das<br />

westdeutsche Niveau derzeit um 35% unterschritten<br />

(Ludwig et al. <strong>2007</strong>: 234). Damit haben<br />

sich die materiell-technischen Voraussetzungen<br />

für den Aufholprozeß im letzten Jahrzehnt<br />

massiv verschlechtert. Dies findet im Rückgang<br />

der ostdeutschen Kapitalproduktivität seinen<br />

Ausdruck. Mitte der 1990er Jahre lag diese<br />

noch um 20 bis 30% über der westdeutschen,<br />

seitdem ist sie kontinuierlich gesunken und<br />

rangiert heute spürbar darunter. Im Produzierenden<br />

Gewerbe beträgt sie nur noch 67,2%<br />

des Westniveaus (ebd.: 230; Deutsche Bank<br />

Research 2004: 37).<br />

Die Daten lassen auch evident werden, daß<br />

sich die Arbeitseinkommen im letzten Jahrzehnt<br />

kaum weiter angenähert haben. Der absolute<br />

Abstand hat zuletzt sogar wieder zugenommen.<br />

In einigen Regionen und Branchen beträgt die<br />

Ost-West Differenz bis zu 40% 7 , mehr also als der<br />

Rückstand der Arbeitsproduktivität. Die Schere<br />

zwischen Produktivitäts- und Lohnerhöhung<br />

wird in der Entwicklung der Lohnstückkosten<br />

sichtbar. Diese liegen inzwischen gesamtwirtschaftlich<br />

unter westdeutschem Niveau, im<br />

Verarbeitenden Gewerbe sogar beträchtlich:<br />

bei 86%.<br />

Für eine Beurteilung des relativen Lebensniveaus<br />

muß neben den Einkommen auch<br />

die Vermögenslage Beachtung finden. Hier<br />

aber ist weiterhin eine erhebliche Ost-West-<br />

Differenz festzustellen. Dies gilt für Geld- wie<br />

für Immobilienvermögen, ganz besonders<br />

aber für Betriebsvermögen (vgl. Lebenslagen<br />

2005: 41).<br />

Aus der Tabelle geht ferner hervor, daß<br />

die Erwerbstätigenquote in Ostdeutschland<br />

ungeachtet der höheren Erwerbsbeteiligung<br />

immer noch rund zehn Prozentpunkte unter<br />

der westdeutschen liegt, wobei der Abstand<br />

zuletzt wieder zugenommen hat. Diese Tatsache<br />

widerspiegelt sich in der etwa doppelt<br />

so hohen Arbeitslosenquote-Ost, die auch im<br />

Aufschwung zweistellig bleibt.<br />

All diese Daten bestätigen, daß es seit Mitte<br />

der 1990er Jahre kaum noch eine wirtschaftliche<br />

und soziale Ost-West-Konvergenz gibt.<br />

Statt dessen sind teilweise sogar Divergenzprozesse<br />

zu konstatieren. Empirisch läßt sich<br />

auch nicht belegen, daß die Konjunktur den<br />

Konvergenzprozeß spürbar befördern würde.<br />

So betrug das Wachstum im Jahr 2000 in den<br />

alten Bundesländern 3,5%, in den neuen aber<br />

nur 1,5%, also weniger als die Hälfte. Ein etwas<br />

günstigeres Bild läßt sich zwar für die Gegenwart<br />

zeichnen; das ostdeutsche Wachstumsplus<br />

reicht aber bisher bei weitem nicht aus, um die<br />

Diskrepanz zu beseitigen.<br />

Für eine qualifizierte Beurteilung des Konvergenzprozesses<br />

sind weitere Aspekte zu<br />

berücksichtigen: Während von 1995 bis 2006 in<br />

Westdeutschland die Anzahl der Erwerbstätigen<br />

um fast zwei Millionen zunahm, verringerte<br />

sich diese in Ostdeutschland um ca. 400.000.<br />

Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren<br />

fortsetzen, weil die Bevölkerungsentwicklung<br />

in beiden Landesteilen divergent verläuft.<br />

Selbst wenn sich der Trend nach 2020 angleichen<br />

würde, werden die neuen Bundesländer<br />

von den negativen Folgen des Bevölkerungsrückgangs<br />

weit stärker betroffen sein als die<br />

alten Länder (vgl. IWH/TU/ifo 2006).<br />

Ein zusätzliches Dilemma ergibt sich aus<br />

der prekären Finanzlage. Mit Ausnahme Sachsens<br />

stehen alle ostdeutschen Länder hier<br />

vor äußerst schwierigen Problemen. Obwohl<br />

sich die Einnahmesituation der Länder- und<br />

Kommunalhaushalte infolge günstiger Konjunkturdaten<br />

momentan verbessert, wird es<br />

mittelfristig zu einer weiteren Zuspitzung der<br />

Lage kommen. Hierzu trägt die geplante Reduzierung<br />

der Zahlungen des Solidarpakts II und<br />

der Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich<br />

bei, ebenso die Remanenz der Ausgaben für<br />

Infrastruktur und Sozialleistungen. Ob sich<br />

unter diesen Bedingungen der vorgesehene<br />

Abbau der Neuverschuldung von 3,4 Mrd. €<br />

(2005) auf 0,4 Mrd. € (2010) einhalten läßt, ist<br />

zu bezweifeln.<br />

Als relativ arme, hoch verschuldete und<br />

ungünstig strukturierte Region bietet Ostdeutschland<br />

auch mittelfristig eher ungünstige<br />

Voraussetzungen für den weiteren Konvergenzprozeß.


Konvergenzbremse Produktivität<br />

Ursachen<br />

Spätestens seit der zweiten Hälfte der 1990er<br />

Jahre werden immer wieder umfangreiche<br />

Überlegungen darüber angestellt, welches die<br />

Ursachen für das Zurückbleiben der Produktivität<br />

in Ostdeutschland sind. Überwog dabei<br />

anfangs noch die Meinung, hierfür seien vor<br />

allem die DDR-Verhältnisse verantwortlich, so<br />

setzte sich mit größer werdendem zeitlichen<br />

Abstand die Überzeugung durch, daß die aus<br />

„der Planwirtschaft überkommenen produktivitätsmindernden<br />

Faktoren – wie ein Überbesatz<br />

an Arbeitskräften, ein desolater Zustand<br />

des Kapitalstocks und das Fehlen monetärer<br />

Leistungsanreize – (hierfür) kaum noch eine<br />

Rolle spielen“ (Ragnitz 1999: 166). Besaß diese<br />

Einschätzung bereits Ende der 1990er Jahre<br />

Gültigkeit, so gilt sie heute erst recht. 8 Die Folge<br />

ist, daß der Produktivitätsrückstand vor allem<br />

aus transformationsbedingten und strukturellen<br />

Faktoren erklärt werden muß. Dies aber impliziert,<br />

daß er mit der Zeit nicht zwangsläufig<br />

geringer wird. Er kann ebenso auch gleich<br />

bleiben oder sogar wachsen, je nachdem wie<br />

sich die Determinanten dafür verändern. Auf<br />

jeden Fall haben sich in den zurückliegenden<br />

Jahren, wie in Abbildung 1 dokumentiert, trotz<br />

spürbarer Fortschritte auf einigen Gebieten<br />

insgesamt die konvergenzhemmenden Faktoren<br />

als recht stabil erwiesen.<br />

Für eine Analyse der Produktivitätsunterschiede<br />

zwischen Ost- und Westdeutschland<br />

ist es hilfreich, möglichst viele quantifizierbare<br />

Determinanten zu identifizieren: a)<br />

Ka pi talintensität, b) Branchenstruktur, c)<br />

Betriebsgrößenstruktur, d) Funktionalstruktur,<br />

e) Vernetzung und Clustereinbindung, f) Humankapitalausstattung,<br />

g) Absatzmarkt und<br />

Marktzutritt, h) Preisniveau und Preissetzung.<br />

Hinzu kommt als Einflußgröße i) ein „nicht<br />

erklärbarer Rest“, auch als „totale Faktorproduktivität“<br />

bezeichnet (ebd.: 171). Inwieweit sich<br />

dahinter eine „spezifische Ost-Komponente“<br />

der Produktivitätsentwicklung 9 verbirgt, ist<br />

strittig. Die Überprüfung dieser Hypothese<br />

muß empirischen Branchenanalysen vorbehalten<br />

bleiben.<br />

Zunächst wollen wir uns den eindeutig<br />

quantifizierbaren Determinanten zuwenden.<br />

125<br />

a) Kapitalintensität: Kapitalstock und<br />

Kapitalausstattung der Arbeitsplätze: Der<br />

bis zur Hälfte (durchschnittlich zu 45,7%;<br />

vgl. Kusch et al. 1991: 55) verschlissene Kapitalstock<br />

aus DDR-Zeiten wurde inzwischen<br />

nicht nur weitgehend durch neue Anlagen<br />

ersetzt; sein Umfang je Einwohner verdoppelte<br />

sich seit 1991, und er wurde auch in früher<br />

vernachlässigten Zweigen ausgebaut und erweitert.<br />

Trotzdem liegen Kapitalausstattung<br />

und Kapitalintensität der Produktion in der<br />

ostdeutschen Wirtschaft heute immer noch<br />

signifikant unter westdeutschem Niveau. Dabei<br />

täuschen die Durchschnittswerte von 70% bzw.<br />

81,4% (Ludwig et al. <strong>2007</strong>: 230) aufgrund sehr<br />

hoher Kapitalintensitäten in einigen wenigen<br />

Branchen wie der Mineralölverarbeitung und<br />

der Papierindustrie über den Zustand in der<br />

Mehrzahl der Betriebe, wo die Werte sehr viel<br />

geringer sind, hinweg (vgl. DIW/IfW/IWH<br />

1999). Offensichtlich wurde in Ostdeutschland<br />

trotz hoher Kapitalsubventionierung<br />

und Investitionsförderung letztlich doch keine<br />

durchgängig hohe kapitalintensive Produktion<br />

aufgebaut. Dies belegen auch die Daten für die<br />

Anlageinvestitionen und den Kapitalstock je<br />

Einwohner in Relation zu Westdeutschland<br />

(vgl. Tabelle 2).<br />

Tabelle 2: Anlageinvestitionen (a) und Kapitalstock<br />

(b) je Einwohner in den neuen Ländern 1<br />

Jahr a) b)<br />

1992 58,9 37,4<br />

1993 68,8 40,2<br />

1994 89,0 43,4<br />

1995 100,3 47,0<br />

1996 103,2 48,5<br />

1997 102,0 52,1<br />

1998 92,2 55,5<br />

1999 90,0 58,6<br />

2000 87,8 61,5<br />

2001 84,2 64,2<br />

2002 84,3 67,9<br />

2003 83,6 68,9<br />

2004 85,2<br />

2005 85,7 ~70,0<br />

1) alte Länder = 100; in jeweiligen Preisen, Inlandskonzept,<br />

neue Länder inkl. Berlin-Ost<br />

Quelle: Bundesregierung 2006: 168; 2005: eigene<br />

Schätzung


126 Ulrich Busch, Karl Mai<br />

Danach wurde innerhalb des Beobachtungszeitraumes<br />

von fünfzehn Jahren in den<br />

neuen Ländern pro Kopf nur dreimal mehr investiert<br />

als in den alten Ländern, zwölfmal aber<br />

weniger. Der ostdeutsche Kapitalstock wuchs<br />

zwar absolut und relativ, zuletzt aber immer<br />

langsamer, so daß gegenüber Westdeutschland<br />

ein Niveauabstand von rund 30% verbleibt.<br />

b) Branchenstruktur: Die sektorale Struktur<br />

zeigt Tabelle 3 für das Jahr 2006: Die ostdeutsche<br />

Wirtschaft besitzt einen höheren Anteil<br />

von Branchen mit verhältnismäßig geringer<br />

Produktivität, wie Baugewerbe und haushaltsnahe<br />

Dienstleistungen. Dagegen sind<br />

die produktivsten Branchen (Finanzdienstleistungen,<br />

Medien, Verkehr) im Osten weniger<br />

vertreten. Im Verarbeitenden Gewerbe würde<br />

der Angleichungsstand der Produktivität um<br />

vier Prozentpunkte höher ausfallen, wenn die<br />

Branchenstruktur im Osten die gleiche wäre<br />

wie im Westen (vgl. Ragnitz <strong>2007</strong>: 179f.).<br />

c) Betriebsgrößenstruktur: Als Ergebnis der<br />

Zerschlagung der DDR-Kombinate sowie der<br />

Um- und Neustrukturierung der ostdeutschen<br />

Unternehmenslandschaft durch die Treuhandanstalt<br />

hat sich eine durch Klein- und Kleinstbetriebe<br />

dominierte Unternehmensstruktur<br />

herausgebildet. Mittel- und Großunternehmen<br />

dagegen sind klar unterrepräsentiert, was für<br />

eine traditionelle Industrieregion eher atypisch<br />

ist. Die ostdeutsche Wirtschaft ist bis heute nicht<br />

nur durch relative Defizite, sondern auch durch<br />

eine gravierende strukturelle Deformation in<br />

der Betriebsgrößenverteilung gekennzeichnet.<br />

Da Betriebs- und Umsatzgröße durch die damit<br />

verbundenen Skaleneffekte wichtige Determinanten<br />

der Produktivität sind, macht sich die<br />

gegebene Struktur produktivitätsmindernd<br />

bemerkbar. Das IWH bemerkt dazu aktuell:<br />

„Zumindest im Verarbeitenden Gewerbe kann<br />

die Größenstruktur den Produktivitätsrückstand<br />

für sich genommen nahezu vollständig<br />

erklären.“ (Ebd.: 180)<br />

Tabelle 3: Anteile der Wertschöpfung in den NBL nach Sektoren, in Prozent<br />

Länder Landw., Prod. Bau- Handel, Finanzierg. Öffentl.,<br />

= 100 Forstw. Gewerbe Gewerbe Gastst., Vermietung, private<br />

Fischerei ohne Bau Verkehr U-Dienstl. Dienstl.<br />

Bundesrepublik 1,01 25,96 3,96 18,30 28,95 21,86<br />

Brandenburg 2,12 20,42 5,22 18,96 25,55 27,67<br />

Meckl.-Vorp. 2,73 14,34 5,10 21,27 24,75 31,65<br />

Sachsen 0,96 23,88 5,90 16,48 26,73 26,05<br />

Sachs.-Anhalt 1,68 24,13 5,64 21,00 20,34 27,18<br />

Thüringen 1,54 26,18 5,86 16,43 22,85 27,14<br />

Quelle: Destatis, Arbeitskreis VGR der Länder, umgerechnet in %<br />

Tabelle 4: Betriebsgrößenstruktur in Ostdeutschland 2005 (Beschäftigtengrößenklassen) 1<br />

Betriebe mit Beschäf- Anzahl Anteil Veränderung Anzahl Betriebe<br />

tigten von … bis Betriebe in % gegenüber 1995<br />

1–4 240.896 63,8 +6,3<br />

5–9 63.825 16,9 -10,8<br />

10–19 34.682 9,2 -21,4<br />

20–49 23.252 6,2 -23,3<br />

50–99 8.534 2,3 -14,8<br />

100–199 3.947 1,5 -15,5<br />

200–499 1.825 0,5 -18,9<br />

500 und mehr 577 0,2 -40,6<br />

Insgesamt 377.538 100,0 -3,3<br />

1) Neue Länder einschließlich Berlin-Ost<br />

Quelle: IAB-Betriebspanel Ost, Zehnte Welle 2006, eigene Berechnungen


Konvergenzbremse Produktivität<br />

Aus Tabelle 4 ist ersichtlich, daß mehr als<br />

80% aller ostdeutschen Unternehmen als Kleinunternehmen<br />

zu klassifizieren sind, weniger<br />

als 20% als Mittelunternehmen (KMU) und<br />

nur 0,15% als Großunternehmen. Selbst wenn<br />

einige erfolgreiche ostdeutsche Unternehmen<br />

eine ähnlich hohe Produktivität wie oder sogar<br />

eine höhere Produktivität als vergleichbare<br />

westdeutsche Unternehmen erreichen, bewirkt<br />

diese strukturelle Differenz ein regionales<br />

Produktivitätsgefälle. Die Angaben zur Veränderung<br />

der Struktur (letzte Spalte) lassen<br />

erkennen, daß sich dieser Unterschied in der<br />

regionalen Unternehmensstruktur durch die<br />

Förder- und Gründungsoffensive der letzten<br />

Jahre (z.B. Ich-AG) nicht verringert, sondern<br />

eher noch verstärkt hat. Insbesondere ist der<br />

Anteil der wenig produktiven Kleinstbetriebe<br />

dadurch weiter gewachsen.<br />

d) Funktionalstruktur: Ein analytisch unverzichtbarer<br />

Aspekt betrifft den Filialcharakter der<br />

ostdeutschen Wirtschaft. Förderpolitik, Standortbedingungen<br />

und anderes haben bewirkt,<br />

daß ein Großteil der ostdeutschen Betriebe<br />

reine Produktionsstätten sind, während der<br />

höherwertige Teil der Wertschöpfungskette<br />

wie Forschung und Entwicklung, Management,<br />

Verwaltung und Absatz im Westen<br />

angesiedelt sind. Dies hat für den Osten eine<br />

geringere Produktivität zur Folge, zumindest<br />

aber einen verzerrten Produktivitätsausweis,<br />

denn die Erfassung des Umsatzes erfolgt am<br />

Hauptsitz des Unternehmens und nicht am<br />

Fertigungsort.<br />

e) Vernetzung und Clusterbildung: Ostdeutsche<br />

Unternehmen sind nur relativ schwach in<br />

Netzwerke und Cluster eingebunden. Häufig<br />

sind die Beziehungen zu westdeutschen Stammbetrieben<br />

und Kooperationspartnern stärker<br />

ausgeprägt als die Einbindung in regionale<br />

Strukturen. Dies verhindert produktivitätsfördernde<br />

Spillover-Effekte und reduziert<br />

Agglomerationsvorteile – Faktoren, die für die<br />

Produktivität durchaus relevant sind.<br />

g) Humankapitalausstattung: Einen zentralen<br />

Platz in der aktuellen Debatte nimmt<br />

die Frage ein, inwieweit Unterschiede in der<br />

Ausstattung mit Humankapital den Produktivitätsrückstand<br />

der ostdeutschen Wirtschaft<br />

erklären können. Hierbei wird darauf verwie-<br />

127<br />

sen, daß Humankapital als „entscheidender<br />

Wachstumsfaktor“ anzusehen ist und daß<br />

zwischen der Ausstattung mit Humankapital<br />

und dem technischen Fortschritt eine enge<br />

Korrelation besteht (vgl. ebd.: 181). Da formal<br />

in Ostdeutschland keine Humankapitaldefizite<br />

auszumachen sind, konzentriert sich die Frage<br />

auf den Einsatz der Arbeitskräfte. Es wird<br />

festgestellt, daß ein nicht unerheblicher Teil<br />

insbesondere der gut qualifizierten Arbeitskräfte<br />

„unterwertig“ eingesetzt sei, was wenig<br />

effizient ist und die Produktivität „drückt“. Dabei<br />

ist die verhältnismäßig geringe Humankapitalintensität<br />

der ostdeutschen Produktion nicht<br />

durch das Arbeitsangebot, sondern durch die<br />

Arbeitsnachfrage, bedingt durch die Branchenstruktur,<br />

Filialwirtschaft usw., determiniert. Da<br />

letztere sich als ziemlich stabil erweist, ist davon<br />

auszugehen, daß der Faktor Humankapital<br />

sich langfristig hieran anpassen wird, für die<br />

Zukunft also mit einer Verschlechterung der<br />

Humankapitalausstattung in Ostdeutschland<br />

zu rechnen ist – mit allen negativen Folgen<br />

für die Produktivitätsentwicklung und die<br />

Ost-West-Konvergenz.<br />

g) Absatzmarkt und Marktzutritt: Dieser<br />

Punkt weist mehrere Facetten auf. Zum einen<br />

ist es unstrittig, daß neu gegründete, am<br />

Markt noch wenig bekannte Unternehmen<br />

Probleme haben, auf überregionalen Märkten<br />

Fuß zu fassen und sich mit ihren Erzeugnissen<br />

durchzusetzen. Dies führt mitunter zum<br />

Agieren dieser Unternehmen „unterhalb ihrer<br />

Kapazitätsgrenze“ (Ragnitz 1999: 180). Stärker<br />

aber wiegt, daß diese Unternehmen wegen<br />

fehlender Absatzchancen in ihrem Wachstum<br />

gehemmt werden, was dann wiederum<br />

ihre Chancen untergräbt, größere Anteile am<br />

Markt zu akquirieren. Andererseits erweist<br />

sich die regionale Ausrichtung vieler ostdeutscher<br />

Unternehmen wegen der Begrenztheit<br />

(und teilweise Schrumpfung) der lokalen und<br />

regionalen Nachfrage von vornherein als Absatz-<br />

und damit Produktionsbeschränkung,<br />

wodurch die Produktivitätsentwicklung beeinträchtigt<br />

wird.<br />

h) Preisniveau und Preissetzung: Ein wesentlicher<br />

Faktor der regionalen Produktivitätsentwicklung<br />

in Ostdeutschland ist im Preis<br />

zu sehen, genauer in der Tatsache, daß für


128 Ulrich Busch, Karl Mai<br />

ostdeutsche Unternehmen häufig geringere<br />

Absatzpreise, aber höhere Beschaffungspreise<br />

gelten als für die westdeutsche Konkurrenz.<br />

Der amtlichen Statistik zufolge lagen die<br />

ostdeutschen Erzeugerpreise um mehr als<br />

10% unter den westdeutschen Vergleichspreisen,<br />

die für Vorleistungen insbesondere aus<br />

Westdeutschland zu zahlenden Preise aber<br />

mindestens auf dem dort üblichen Niveau<br />

(vgl. Müller 1998; Ragnitz 1999: 176f.). Dies<br />

spielt im Verarbeitenden Gewerbe, aber auch<br />

im Dienstleistungsbereich, in Verbindung mit<br />

dem Lohnniveau, eine große Rolle.<br />

i) Zusätzliche Erklärungsgründe: Neben<br />

den quantifizierbaren Gründen gibt es eine<br />

Reihe produktivitätsrelevanter mikro- und<br />

makroökonomischer Determinanten, die<br />

we ni ger eindeutig zu erfassen sind. Hierzu<br />

zählen „organisatorische Effizienzmängel“ und<br />

„motivationshemmende Führungsstile“, ferner<br />

der „Mangel an betriebswirtschaftlich-strategischem<br />

Denken“ und „marktwirtschaftlichem<br />

Erfahrungswissen“ sowie „Schwierigkeiten<br />

im Umgang mit modernen Maschinen“ (Ragnitz<br />

1999: 183f.). Dabei dürfte es sich jedoch<br />

überwiegend um zeitweilige oder transformationsbedingte<br />

Übergangserscheinungen<br />

handeln, die inzwischen überwunden sind. 10<br />

Von nachhaltiger Wirkung hingegen erweist<br />

sich die fehlende Einbindung ostdeutscher<br />

Unternehmen in regionale und überregionale<br />

Netzwerke und funktionierende Wertschöpfungsketten<br />

sowie die unterproportionale<br />

Präsenz einer unternehmensnahen Forschung<br />

(vgl. Kowalski 2004: 45ff.).<br />

Faßt man all diese Faktoren zusammen, so<br />

ergibt sich eine Begründung für die relative<br />

Stabilität der Produktivitätslücke zwischen<br />

Ost- und Westdeutschland. Unter den genannten<br />

Determinanten sind vor allem die „harten“<br />

objektiven Faktoren – wie die geringe Kapitalintensität,<br />

die Branchenstruktur der ostdeutschen<br />

Wirtschaft, die Größenstruktur der Unternehmen,<br />

ihre Marktposition, Absatzchancen<br />

und Preisspielräume – dafür verantwortlich.<br />

Demgegenüber verlieren andere, eher „weiche“<br />

Faktoren – wie transformationsbedingte<br />

Schwierigkeiten der Unternehmensführung,<br />

fehlende Netzwerkeffekte, Motivationsdefizite<br />

und das Fehlen marktwirtschaftlicher Erfahrungen<br />

– allmählich an Bedeutung. Einige Faktoren<br />

verkehren sich im Laufe der Zeit aber auch in<br />

ihr Gegenteil, so zum Beispiel das Qualifikationsniveau<br />

und die Altersstruktur. Galten diese<br />

Charakteristika anfangs als vergleichsweise<br />

positiv, so sind sie heute, infolge mangelhafter<br />

Ausbildung, selektiver Abwanderung und Alterung,<br />

eher als negativ einzustufen. Als für die<br />

Zukunft ausschlaggebend erweisen sich jedoch<br />

einige strukturelle Faktoren, insbesondere das<br />

Fehlen hochproduktiver Großunternehmen,<br />

der Mangel an technologieorientierter Produktion,<br />

Defizite in der Forschung, ein geringer<br />

Exportanteil und die ungünstige Marktsituation<br />

vieler ostdeutscher Unternehmen.<br />

Abschließend eine Gegenüberstellung des<br />

BIP pro Kopf für die Neuen Bundesländer im<br />

Zeitraum 1995 bis 2005 und als Projektion für<br />

2010, 2020 und 2025. Hieraus sind die erreichten<br />

Fortschritte in der relativen Angleichung<br />

zu ersehen, aber auch das Zurückbleiben<br />

insbesondere der Länder Brandenburg und<br />

Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Tabelle 5: Relative Stellung der neuen Länder nach der Pro-Kopf-Produktion 1995 bis 2025<br />

(Deutschland = 100)<br />

Land 1995 2005 2010 2020 2025<br />

Brandenburg 65,5 65,0 66,7 66,1 66,1<br />

MVP 65,0 65,3 63,5 59,1 57,7<br />

Sachsen 66,6 70,5 69,8 70,2 75,3<br />

Sachsen-Anhalt 61,6 70,3 72,3 77,3 79,8<br />

Thüringen 61,6 67,8 66,7 66,5 66,8<br />

NBL (o. Berlin) 64,4 68,2 68,3 68,5 69,0<br />

ABL (o. Berlin) 107,8 107,2 107,1 107,1 107,0<br />

Klassenbildung anhand der Wachstumsintensität im Zeitraum von 1995 bis 2005; Quelle: Ludwig <strong>2007</strong>: 217


Konvergenzbremse Produktivität<br />

Exkurs: Eine Replik auf Ulrich Blum<br />

Angesichts der unzureichenden Fortschritte<br />

bei der Ost-West-Konvergenz erweist sich die<br />

Rückschau auf Schwächen der DDR-Ökonomie<br />

als willkommener Ausweg aus der Erklärungsnot<br />

– als bislang unterschätzte „Wurzel des<br />

Übels“ auch für das zu geringe Aufholen und<br />

die lange Stagnation der ostdeutschen Wirtschaft.<br />

Als ein Vertreter dieser Sichtweise trat<br />

kürzlich der Hallenser Wirtschaftsprofessor<br />

Ulrich Blum (<strong>2007</strong>) mit der Fragestellung hervor,<br />

„inwieweit die Stagnation Ostdeutschlands<br />

auf die schwierige ökonomische Bilanz der<br />

DDR zurückzuführen“ sei, also vor allem „ein<br />

Echo fehlender früherer Leistungsfähigkeit“<br />

ist. Dieser Versuch, im siebzehnten Jahr der<br />

Einheit die Vorgeschichte der neuen Länder als<br />

Erklärung für deren Zurückbleiben zu bemühen,<br />

um so ihre unbefriedigende Gegenwart<br />

im deutschen Wirtschaftsverbund aus der<br />

Vergangenheit heraus zu begründen, rückt<br />

vor allem die fehlerhafte Vereinigungs- und<br />

Transformationspolitik der Kohl-Regierung<br />

aus dem Blick- und Kritikfeld und erweist<br />

sich damit nicht zuletzt als politisch motiviert.<br />

Tatsächlich erklären läßt sich auf diese Weise<br />

aber recht wenig.<br />

Als entscheidender Punkt in der Beweisführung<br />

wird von Blum die ostdeutsche Arbeitsproduktivität<br />

von 1989 akzentuiert. Die<br />

statistischen Daten hierzu sind allerdings<br />

umstritten. So warnten die <strong>Autoren</strong> des Forschungsverbundes<br />

Anpassungsfortschritte in<br />

Ostdeutschland davor, „den Leistungsrückstand<br />

der DDR-Wirtschaft zu beziffern“. Sie schrieben:<br />

„Derartige Rechnungen sind wenig erhellend.<br />

Denn die Bedingungen, unter denen im Sozialismus<br />

gewirtschaftet wurde, waren fundamental<br />

andere als in der Marktwirtschaft.“ (DIW/IfW/<br />

IWH 1999: 10) Blum läßt sich hiervon jedoch<br />

nicht beeindrucken und recherchiert das DDR-<br />

Produktivitätsniveau unter Einschluß von<br />

„marktwirtschaftlichen Korrekturfaktoren“, die<br />

im Ergebnis die Kennzahlen für die DDR-Produktivität<br />

kräftig nach unten drücken. Er stellt<br />

dabei auf die von der DDR-Statistik generell<br />

nicht berücksichtigten „Marktknappheiten“ ab<br />

sowie auf die Einbeziehung von Preisabschlägen<br />

infolge niedriger Qualitätsstandards; ferner<br />

129<br />

auf die abnehmende „marktwirtschaftliche<br />

Kaufkraft“ und schließlich auch noch auf die<br />

„Exportkaufkraft“ der DDR-Mark, berechnet<br />

mit Hilfe der Richtungskoeffizienten für Exporte<br />

ins nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet. Alles<br />

mit dem Ziel, die „begrenzte Glaubwürdigkeit“<br />

der DDR-Preise unter den Bedingungen<br />

„marktwirtschaftlicher Referenz“ zu zeigen und<br />

die Datenlage entsprechend zu korrigieren.<br />

Diese Umrechnung der Daten für das BIP der<br />

DDR wird noch um die Vermutung ergänzt,<br />

daß die Produktivität im Dienstleistungssektor<br />

„ähnlich“ der im Produktionssektor gewesen sei<br />

(Blum <strong>2007</strong>: 112). Danach ergibt sich für 1989<br />

ein „korrigiertes Pro-Kopf-Bruttoprodukt von<br />

rund 7.800 DM oder 23% des westdeutschen<br />

Niveaus“ (ebd.: 113). Der Rückstand betrug<br />

hiernach beachtliche 77%. Dieses Ergebnis ist<br />

jedoch vor dem Hintergrund der Tatsache,<br />

daß das Pro-Kopf-BIP Ostdeutschlands im<br />

Jahre 1991 bereits bei 12.400 DM lag, wenig<br />

plausibel. Damit wäre die Lücke gegenüber<br />

Westdeutschland, wo das Pro-Kopf-BIP ca.<br />

37.500 DM betrug, zwischen 1989 und 1991<br />

spürbar geschrumpft, obwohl die Produktion<br />

im Osten in diesem Zeitraum einen beispiellosen<br />

Einbruch von rund 35% erlebte und die<br />

westdeutsche Wirtschaft boomte. Unser Autor<br />

wundert sich zwar über diesen Widerspruch,<br />

quittiert ihn aber mit den Worten, daß der<br />

Einkommensabstand pro Kopf andernfalls „bei<br />

nur 36% gelegen“ hätte – „einem Wert, der alle<br />

Probleme der Wiedervereinigung hätte obsolet<br />

werden lassen“ (ebd.). Da nicht sein kann, was<br />

nicht sein darf, hält er an „seinem“ Produktivitätsabstand<br />

von 77% fest. Ansonsten hätte<br />

es seiner Meinung nach derart gravierende<br />

Probleme, wie es sie im Vereinigungsprozeß<br />

gab und bis heute gibt, nicht geben können.<br />

Nach diesem „Musterbeispiel“ einer retrograden<br />

Beweisführung fragt man sich, welche<br />

statistischen Quellen der Autor für seine<br />

Produktivitätsberechnung herangezogen hat.<br />

Wie sich zeigt, hat er die Ergebnisse der Rückrechnung<br />

von Gerhard Heske (2005) nicht<br />

berücksichtigt. 11 Heske zufolge erreichte die<br />

Produktivität der DDR 1989 je Kopf ein Niveau<br />

von 56% und je Erwerbstätigen von 45% des<br />

westdeutschen Vergleichswertes (ebd.: 67). Der<br />

Rückstand betrug demnach 44% bzw. 55%. Es


130 Ulrich Busch, Karl Mai<br />

wird auch gezeigt, daß die Bruttowertschöpfung<br />

im Dienstleistungssektor je Erwerbstätigen<br />

bei 67% des westdeutschen Standes lag, der<br />

Rückstand hier also nur 33% betrug (ebd.: 66f.).<br />

Heskes Berechnungen zufolge haben die neuen<br />

Bundesländer (ohne Berlin) das BIP-Niveau der<br />

DDR Mitte der 1990er Jahre wieder erreicht und<br />

überschritten, allerdings in stark abweichender<br />

sektoraler und branchenmäßiger Struktur. Im<br />

Jahr 2000 betrug das BIP-Ost bereits 117,6%<br />

des DDR-Vergleichswertes. Trotzdem gibt es<br />

kaum Fortschritte im Angleichungsprozeß<br />

Ost-West.<br />

Statt hiervon ausgehend die Produktivitätsdifferenzen<br />

ökonomisch zu begründen, rekurriert<br />

Blum auf die Geschichte und behauptet,<br />

1989 „ähnelte“ die ostdeutsche Ausgangslage<br />

derjenigen Westdeutschlands in den 1950er<br />

Jahren (Blum <strong>2007</strong>: 116). Dieser Zeitvergleich<br />

vernebelt die faktischen Leistungsunterschiede<br />

zwischen der DDR im Jahre 1989 und<br />

Westdeutschland in den 1950er Jahren. Aber<br />

vielleicht wollte der Autor damit auch nur<br />

andeuten, daß die DDR bis zuletzt, bis 1989,<br />

ihren Rückstand aus den Nachkriegsjahren<br />

nicht aufholen konnte; eine Feststellung, die<br />

sich vom Grundsatz her, aber datenseitig anders<br />

untersetzt, auch bei anderen <strong>Autoren</strong> findet. 12<br />

In Blums Augen „erscheint ein Ausgangsniveau<br />

der ostdeutschen Wirtschaft von etwa 40% des<br />

westdeutschen Niveaus im Jahre 1950 als durchaus<br />

plausibel“ (ebd.: 113). Danach hätte sich<br />

das Produktivitätsniveau der DDR zwischen<br />

1950 und 1989 von 40% auf 56% (nach Heske)<br />

bzw. 23% (nach Blum) des westdeutschen<br />

Niveaus entwickelt. Im ersten Fall implizierte<br />

dies die Folgerung, daß die DDR den gewaltigen<br />

Anstieg der westdeutschen Produktivität<br />

über vier Jahrzehnte hinweg nicht nur analog<br />

bewältigt, sondern zudem dabei auch noch ihre<br />

relative Position verbessert hätte. Im zweiten<br />

Fall wäre dies genau nicht der Fall gewesen.<br />

Als Erklärung für seine These verweist Blum<br />

auf die Verstaatlichung des privat-mittelständischen<br />

Gewerbes während der Honecker-Ära,<br />

wodurch die DDR vermeintlich „ihre produktivsten<br />

Unternehmen“ verloren habe (ebd.:<br />

115). Durch Statistiken belegt wird diese These<br />

allerdings nicht, was ihre Überzeugungskraft<br />

von vornherein mindert. Im übrigen ließe sich<br />

diese These mit wirtschaftshistorischen Fakten<br />

auch kaum begründen:<br />

Von der Verstaatlichung der letzten privaten<br />

und halbstaatlichen Betriebe sowie industriell<br />

produzierenden Handwerksbetriebe (PGH) im<br />

Jahr 1972 waren etwa 11.000 Einheiten betroffen.<br />

In ihnen waren knapp 15% der Be schäftigten<br />

der Industrie tätig. Ihr Anteil an der industriellen<br />

Bruttoproduktion betrug 11% (Steiner 2004:<br />

177). Schon diese Angaben belegen, daß die<br />

Produktivität in diesem Bereich keinesfalls<br />

über dem industriellen Durchschnitt lag, was in<br />

Anbetracht der restriktiven Ressourcenlenkung<br />

des Staates gegenüber dem privaten Sektor auch<br />

nicht überrascht. Nach der Verstaatlichung<br />

der privaten und halbstaatlichen Betriebe<br />

stieg die volkswirtschaftliche Produktivität<br />

um 6 bis 7% an – in der Honecker-Ära blieben<br />

dies Spitzenwerte (ebd.: 178). Von einer extrem<br />

negativen Wirkung des Niedergangs der<br />

„mittelständischen“ Industrie kann also keine<br />

Rede sein, wenngleich es dadurch durchaus zu<br />

ungünstigen Effekten im Bereich der Konsumgüter-<br />

und der Exportproduktion kam.<br />

Seit 1990/1994 weist der industrielle<br />

Sektor in Ostdeutschland eine Dominanz<br />

von Klein- und Mittelbetrieben in privater<br />

Hand auf; das von Blum favorisierte mittelständische<br />

Unternehmertum hat bedeutend<br />

an Spielraum gewonnen. Hiervon gingen<br />

jedoch nachweislich keine entscheidenden<br />

Impulse für die Produktivitätsentwicklung<br />

aus. Ganz im Gegenteil, die gegenwärtigen<br />

Schwierigkeiten der ostdeutschen Wirtschaft<br />

sind typischerweise bei kleinen und mittelständischen<br />

Betrieben mit überwiegend<br />

privaten Eigentumsstrukturen konzentriert.<br />

Inzwischen lassen Globalisierung und Rationalisierungsdruck<br />

den Wunschtraum des Autors<br />

zunehmend verblassen. Eine Wiederbelebung<br />

des mittelständischen Unternehmertums<br />

in der ostdeutschen Industrie über das bestehende<br />

Maß hinaus wird es kaum geben.<br />

Dafür fehlen angebots- und nachfrageseitig<br />

die Voraussetzungen. Zudem vermindert<br />

sich in der Zukunft das ostdeutsche Gründerpotential<br />

(vgl. Schneider/Eichler <strong>2007</strong>).<br />

Insofern überzeugt der Autor weder mit seiner<br />

vergangenheitsbezogenen Begründung des<br />

Produktivitätsrückstandes von Ostdeutschland


Konvergenzbremse Produktivität<br />

noch mit seinen Therapievorschlägen, wie<br />

dieser künftig behoben werden könnte.<br />

Konvergenzdynamik<br />

Aus den offiziellen Verlautbarungen der Bundesregierung<br />

zur realwirtschaftlichen Konvergenz<br />

Ost-West sind längst alle optimistischen<br />

Projektionen in die Zukunft verschwunden.<br />

Selbst die anfangs unterstellte Erwartung einer<br />

Angleichung bis zum Ende des Solidarpaktes<br />

II im Jahr 2019 scheint inzwischen obsolet.<br />

Gelegentlich wird es schon als hoffnungsvoll<br />

empfunden, wenn bis zum Jahre 2020 eine<br />

Leistungsangleichung auf etwa 80% des westdeutschen<br />

Durchschnitts erreicht wird. Aber<br />

auch diese reduzierte Zielstellung wird nebulös,<br />

sobald man die Prognose für den Rückgang der<br />

ostdeutschen Wohnbevölkerung einbezieht.<br />

Die Frage ist mithin nicht, „wie lange es noch<br />

dauern wird, bis wir eine Angleichung der<br />

Lebensverhältnisse in Ostdeutschland an das<br />

Niveau in Westdeutschland erreicht haben<br />

werden […], die Frage ist vielmehr, ob wir eine<br />

Angleichung der Lebensverhältnisse unter den<br />

gegebenen Bedingungen überhaupt erreichen<br />

können“ (Richter 2002: 130). Es scheint daher<br />

sinnvoll zu sein, die weiteren Chancen zur<br />

Konvergenz näher zu beleuchten.<br />

Das einfachste Kriterium dafür ist der relative<br />

Stand der Produktivität, bezogen auf Wohnbevölkerung,<br />

Erwerbstätige und Arbeitsstunden.<br />

Für den innerdeutschen Vergleich erweist sich<br />

die Relation je Einwohner als besonders geeignet,<br />

da sie die Veränderung des Produktivitätsniveaus<br />

unter Einschluß der Veränderung der Wohnbevölkerung<br />

anzeigt. Als Maß für Konvergenz<br />

gilt die Abnahme der Produktivitätsdifferenz.<br />

Danach befinden sich zwei Regionen in einem<br />

Konvergenzprozeß, wenn die Werte des realen<br />

BIP pro Kopf langfristig konvergieren. Um dies<br />

zu erreichen, muß die anfangs weniger entwikkelte<br />

Region ein stärkeres Wachstum aufweisen<br />

als die entwickeltere Region (vgl. Busch 2002:<br />

363). Das Wachstum Ost muß also das Wachstum<br />

West überflügeln. Um wieviel dabei die<br />

ostdeutsche Wachstumsrate die westdeutsche<br />

übersteigen muß, hängt jedoch von mehreren<br />

Faktoren ab:<br />

131<br />

– vom Trend der Produktivitätsrate je Einwohner<br />

in der westdeutschen Vergleichsregion;<br />

– von der absoluten Höhe und der absoluten<br />

sowie relativen Differenz des BIP je Einwohner<br />

zum Ausgangszeitpunkt;<br />

– von der angestrebten Zeitdauer bis zur<br />

Angleichung;<br />

–<br />

von dem als zielführend unterstellten Niveau<br />

der relativen Angleichung.<br />

Als Bestimmungsvariablen erscheinen somit<br />

die durchschnittlichen Produktivitätsraten je<br />

Einwohner im Zeitverlauf sowie die Zeitdauer<br />

der Angleichung in Jahren. Das Niveau der Angleichung<br />

erscheint als konstanter Parameter.<br />

Im Zuge des Konvergenzprozesses muß die<br />

absolute Differenz des BIP für Ost und West<br />

je Kopf trendmäßig geringer werden. Hierin<br />

widerspiegeln sich die Veränderungen in der<br />

Produktion wie in der Wohnbevölkerung. Die<br />

Zuwachsrate des BIP je Einwohner und die<br />

implizite Rate der Änderung der Wohnbevölkerung<br />

bilden mithin ein dynamisches Resultat.<br />

„Passive Sanierung“ ist jener Effekt, der allein<br />

auf die sinkende Einwohnerzahl zurückgeht;<br />

diese spielt im faktischen Angleichungsprozeß<br />

eine nicht unwichtige Rolle.<br />

Folgt man den Daten, so ist in der ersten<br />

Hälfte der 1990er Jahre eine rasche Reduktion<br />

der deutsch-deutschen Produktivitätsdifferenz<br />

zu konstatieren. Bei dem dafür maßgebenden<br />

Wachstum handelte es sich aber genaugenommen<br />

nicht um einen Konvergenzprozeß,<br />

sondern lediglich um einen „Ausgleich“ für die<br />

Einbußen in den Vorjahren 1990/91, als die<br />

gesamtwirtschaftliche Produktion im Osten um<br />

ca. ein Drittel zurückging. Spätestens 1997 dann,<br />

als die Wachstumsdynamik nachließ, war auch<br />

die Konvergenzdynamik weitgehend verflogen.<br />

Seitdem haben wir es im deutsch-deutschen<br />

Verhältnis eher mit Stagnation und partieller<br />

Divergenz zu tun, wobei Ostdeutschland auf<br />

einer durch zwei Drittel des Westniveaus charakterisierten<br />

Position verharrt und die Gefahr<br />

eines Rückfalls keineswegs ausgeschlossen<br />

ist. Es bestehen aber auch Chancen, den augenblicklichen<br />

Stillstand der Konvergenz zu<br />

überwinden und mit einem „neuen Anlauf“<br />

den Aufholprozeß langfristig fortzusetzen (vgl.<br />

dazu Busch/Land 2006: 6ff.).


132 Ulrich Busch, Karl Mai<br />

Aus nachstehender Tabelle 6 geht hervor,<br />

daß das strenge Konvergenzkriterium eines<br />

stetig sinkenden absoluten Differenzbetrages<br />

seit 1997 nicht mehr erfüllt wird. Die Angaben<br />

in Spalte 7 belegen, daß das Konvergenzniveau<br />

seitdem relativ stagniert bzw. der Konvergenzprozeß<br />

nur noch sehr langsam vorankommt.<br />

Für den Zeitraum 2002 bis 2006 (in Spalte 4)<br />

wird ebenso keine Absenkung der absoluten<br />

Differenz je Einwohner erreicht – auch das<br />

erfolgreiche Jahr 2006 bringt hierin kaum einen<br />

Fortschritt. Dennoch steigt das relative Niveau<br />

Ost in diesem Zeitraum leicht an, von 64,9%<br />

auf 67,1%, das heißt um 0,44 Prozentpunkte im<br />

Jahresdurchschnitt. Der gegenwärtige Stand<br />

und die Dynamik der Konvergenz sind Tabelle<br />

6 zu entnehmen:<br />

Vergleicht man die jährlichen Wachstumsraten<br />

der Produktivität in den Jahren<br />

2002 bis 2006 miteinander, so stößt man auf<br />

einen interessanten Sachverhalt: Die mittlere<br />

Wachstumsrate Ost übersteigt mit 2,05% die<br />

westdeutsche Rate von 1,39% um 0,66 Prozentpunkte.<br />

Dieses geringe Wachstumsplus<br />

bewirkte aber offenbar keinen hinreichenden<br />

Konvergenzimpuls, weil die absolute Differenz<br />

in den Produktivitäten nicht abgenommen hat.<br />

Projiziert man diesen Zuwachs in die Zukunft,<br />

so würde es 27,7 Jahre dauern, bis im Osten<br />

ein Niveau von 80,0% West erreicht wäre. Nur<br />

im Jahr 2002 wurde mit einem im Vergleich<br />

zu Westdeutschland um 2,5 Prozentpunkte<br />

höheren Produktivitätswachstum ein deutlicher<br />

Rückgang in den absoluten Differenzen (Spalte<br />

4) erreicht. Dies bestätigt die Hypothese, daß<br />

für einen zügigen Angleichungsprozeß mindestens<br />

zwei Prozent überflügelndes Wachstum<br />

gegeben sein müssen.<br />

Tabelle 6: Produktivität (BIP pro Kopf) 1991 – 2006 (absolut in € und relativ in %)<br />

(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)<br />

Jahr ABL NBL Diff. Abbau d. Diff. Wachst. ABL Veränder.<br />

BIP/K. BIP/K. (2)-(3) Differenz (3) ./. (2) % =100 Angleich.<br />

1991 22.030 7.330 14.700 - - 33,3 -<br />

1992 22.981 9.419 13.562 1.138 +24,2 41,0 +7,7<br />

1993 22.944 11.558 11.386 2.176 +22,9 50,4 +9,4<br />

1994 23.713 13.554 10.159 1.227 +13,9 57,2 +6,8<br />

1995 24.372 14.720 9.652 507 +5,8 60,4 +3,2<br />

1996 24.585 15.350 9.235 417 +3,4 62,4 +2,0<br />

1997 25.053 15.735 9.318 -83 +0,6 62,8 +0,4<br />

1998 25.750 16.035 9.715 -397 -0,9 62,3 -0,5<br />

1999 26.310 16.557 9.753 -38 +1,1 62,9 +0,6<br />

2000 26.956 16.878 10.078 -325 -0,6 62,6 -0,3<br />

2001 27.529 17.455 10.074 4 +1,3 63,4 +0,8<br />

2002 27.812 18.062 9.750 324 +2,5 64,9 +1,5<br />

2003 27.968 18.510 9.458 292 +1,9 66,2 +1,3<br />

2004 28.619 19.123 9.496 -38 +1,0 66,8 +0,6<br />

2005 29.045 19.267 9.778 -282 -0,7 66,3 -0,5<br />

2006 29.800 20.000 9.800 -22 +1,2 67,1 +0,8<br />

w’ (2000 bis 2006)<br />

in % 1,39 2,05 +0,66<br />

Erläuterungen: (2) = Alte Bundesländer ohne Berlin, BIP je Kopf<br />

(3) = Neue Bundesländer ohne Berlin, BIP je Kopf<br />

(4) = Differenz absolut von (2) und (3)<br />

(5) = Abbau der Differenz (4) zum Vorjahr, absolut<br />

(6) = Differenz der Wachstumsraten von (3) und (2) in %-Punkten<br />

(7) = Relativer Niveauvergleich, (3) : (2) in %<br />

(8) = Veränderung von (7) in %-Punkten zum Vorjahr<br />

w’ = Wachstumsraten im Durchschnitt für BIP/Kopf in %<br />

Quelle: Destatis (<strong>2007</strong>a): VGR der Länder, R1B1, Tabelle 3.3; eigene Berechnungen; Destatis (<strong>2007</strong>b)


Konvergenzbremse Produktivität<br />

Ein vereinfachtes Konvergenzmodell<br />

Der allgemeine Lösungsansatz für die Parametrierung<br />

und eine Bestimmungsgleichung<br />

werden nachstehend abgeleitet. Dabei ist logisch<br />

einzusehen: Je höher die westdeutsche Rate<br />

im Produktivitätsanstieg ist, desto höher muß<br />

die ostdeutsche Rate „überflügelnd“ angesetzt<br />

werden, um in einem bestimmten Zeitraum<br />

eine Angleichung zu erreichen. Um die Aussage<br />

formal zu fassen, ist ein mathematischer<br />

Ansatz für die Bestimmung der Konvergenz<br />

gefragt. Dafür ist eine Parametrierung der<br />

regionalen Vergleichs-Kenndaten West-Ost<br />

erforderlich:<br />

– absolute Produktivitätshöhen (P 1 , P 2 ) zum<br />

Ausgangsjahr;<br />

– projizierte durchschnittliche Produktivitätsraten<br />

je Einwohner West als Index<br />

w 1 , je Einwohner Ost als Index w 2 für die<br />

Folgejahre;<br />

– vorgegebener oder voraussichtlicher Konvergenzzeitraum<br />

(t);<br />

– vorgesehenes Zielniveau der relativen<br />

An gleichung als Koeffizient (n) nach t<br />

Jahren.<br />

Gesucht werden entweder (a) der Ost-Index<br />

w 2 als erforderliche Wachstumsrate der notwendigen<br />

„Überflügelung“ von West-Index w 1<br />

bei vorgegebenen Größen für w 1 , t und n, oder<br />

(b) die Größe t bei vorgegebenen Größen für<br />

den Ost-Index w 2 , den West-Index w 1 und den<br />

vorgegebenen oder konstanten Parameter n.<br />

Dann besteht folgende Gleichgewichtsbedingung:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Nach Umformen und Logarithmieren <br />

der<br />

Gleichung lassen sich die gesuchten Größen für<br />

t oder w exakt aus den jeweils vorgegebenen<br />

2<br />

Größen bestimmen. Danach ergibt sich für t<br />

(2)<br />

<br />

<br />

<br />

lg <br />

<br />

<br />

lg <br />

<br />

lg <br />

lg <br />

<br />

133<br />

Dazu ein Beispiel für den hypothetischen Fall,<br />

daß w 2 um zwei Prozentpunkte höher als w 1<br />

bleibt:<br />

Es sei: P 1 = 29.800; P 2 = 20.000; w 1 = 1,0139;<br />

w 2 = 1,0139 +1,02 = 1,0339; n = 0,80; Dann<br />

errechnet sich nach Formel (2): t = 9,11<br />

(Jahre).<br />

Das bedeutet: In 9,1 Jahren, also 2016, wäre<br />

ein relatives Angleichungsziel von 80% Ost<br />

zu West in der Produktivität je Einwohner<br />

erreichbar, sofern die Wachstumsrate<br />

Ost ständig um zwei Prozentpunkte über<br />

der letzten (als trendmäßig unterstellten)<br />

Wachstumsrate West von 1,0139 liegen<br />

würde. (Letzteres bildet im Beispiel die<br />

rechnerisch implizite Voraussetzung.)<br />

Dies erhärtet die o.g. Aussage zu einer strengen<br />

und hinreichend begründeten Konvergenz.<br />

Chancen: Zur Prognose für Konvergenz<br />

1995 wagte Karl Lichtblau seine vermeintlich<br />

„realistische“ Aussage: „Würden die neuen<br />

Länder in den nächsten Jahren […] dauerhaft<br />

um 4 Prozentpunkte schneller wachsen als der<br />

Westen, wäre im Jahre 2006 das 80-Prozent-<br />

Konvergenzniveau erreicht“ (1995: 270). Die<br />

tatsächliche Entwicklung verlief bekanntlich<br />

anders, so daß wir heute von dem formulierten<br />

Ziel fast ebensoweit entfernt sind wie 1996.<br />

Gegenwärtig findet in der Wirtschaftsforschung<br />

für Projektionen in die Zukunft die<br />

unterschiedlich verlaufende demographische<br />

Entwicklung mehr als bisher Berücksichtigung.<br />

Für 2020, nach Auslaufen des Solidarpakts II, ist<br />

für die neuen Länder ein Rückgang der Wohnbevölkerung<br />

gegenüber 2005 um 1,33 Millionen<br />

Personen oder 10,0% in Aussicht gestellt (vgl.<br />

IWH/TU/ifo 2006: 14). Dies bedeutet praktisch,<br />

daß sich der Effektanteil der „passiven Sanierung“<br />

beim künftigen Produktivitätsanstieg<br />

erhöht: Für die Produktivität von 2006 in Höhe<br />

von 20.000 € je Einwohner Ost (ohne Berlin)<br />

würde dies einen demographisch bedingten<br />

Anstieg um 2.222 € je Kopf für 2020 als passive<br />

Sanierung bedeuten – von anderen Faktoren<br />

abgesehen. In diesem Zusammenhang kommt<br />

das demographische Gemeinschaftsgutachten<br />

zu folgendem Ergebnis: „Mit einem Pro-Kopf-


134 Ulrich Busch, Karl Mai<br />

Einkommensniveau von rund 71% im Vergleich<br />

zu Westdeutschland ist der zu erwartende Konvergenzfortschritt<br />

allerdings recht bescheiden.“<br />

(Ebd.: 38) Er würde in fünfzehn Jahren gerade<br />

4,7 Prozentpunkte betragen. 13 Demgegenüber<br />

prognostizierte das IWH jüngst für das Jahr<br />

2025 einen Angleichungsstand der NBL (ohne<br />

Berlin) von 69,0%. Das würde gegenüber 1995<br />

– also in 30 Jahren – nur einen Fortschritt von<br />

4,5 Prozentpunkten bedeuten (Ludwig <strong>2007</strong>:<br />

217). Damit würden die neuen Bundesländer<br />

deutlich hinter dem Angleichungsziel von 80%<br />

des Westniveaus zurückbleiben.<br />

Beachtet man die Prognose zur ostdeutschen<br />

Wohnbevölkerung für das Jahr 2050 mit<br />

9,83 Millionen Personen, so deutet dies auf<br />

einen dramatischen Rückfall der ostdeutschen<br />

Regionalleistung und der Lebensverhältnisse<br />

hin (IWH/TU/ifo 2006: 14). 1995 lautete eine<br />

optimistische Projektion: „Der Aufholprozeß<br />

kann bis zur Jahrtausendwende […] auf zwei<br />

Drittel der westdeutschen Stundenproduktivität<br />

bzw. gut sieben Zehntel der westdeutschen Pro-<br />

Kopf-Produktion vorankommen, beim Pro-<br />

Kopf-Verbrauch sogar bis auf 85 vH.“ (Pohl 1995:<br />

369) Zehn Jahre später wird das ursprünglich<br />

für das Jahr 2000 vorgesehene, jedoch verfehlte<br />

Ziel von 70% des Angleichungsniveaus für das<br />

Jahr 2020 neu in Aussicht gestellt!<br />

Demgegenüber hat Deutsche Bank Research<br />

(2004) für das Jahr 2020 ein erreichbares Konvergenzniveau<br />

von nur 60% vorhergesagt, um<br />

dann für die weitere Zukunft, bis 2050, eine<br />

Verringerung des ostdeutschen BIP pro Kopf<br />

im Vergleich zu Westdeutschland um 0,5<br />

Prozentpunkte auf 59,5% zu prognostizieren.<br />

Damit würde sich Ostdeutschland im Jahre<br />

2050 wieder auf dem Niveau von 1996 befinden.<br />

Eine wirtschaftliche Angleichung zwischen Ost<br />

und West erscheint vor dem Hintergrund der<br />

demographischen Entwicklung jedoch nahezu<br />

unmöglich (vgl. ebd.: 44).<br />

Hier ist nicht der Ort, die Prämissen und<br />

Vereinfachungen langfristiger Projektionen<br />

zu diskutieren. Sie basieren allesamt auch auf<br />

abstrakten Annahmen und Hypothesen zu<br />

Parametern, die in ihrem realen dynamischen<br />

Verhalten und ihrer wechselseitigen Bedingtheit<br />

im einzelnen nicht darzustellen und exakt<br />

vorherzusagen sind. Die Institute wissen auch<br />

selbst, wie sehr es ihren Projektionen an Zuverlässigkeit<br />

über einen sehr langen Zeitraum<br />

mangelt.<br />

Die Chancen realistischer <strong>Alternative</strong>n zu<br />

den vorstehenden Projektionen waren und<br />

bleiben umstritten. Die meisten Vorstellungen,<br />

darunter auch regierungsoffizielle, basieren auf<br />

der Ausschöpfung des neoliberal definierten<br />

Handlungsspielraumes im Osten. Sie setzen<br />

damit auf den marktabhängigen Regulierungsprozeß,<br />

obwohl internationale Erfahrungen besagen,<br />

daß damit günstigstenfalls Angleichungsfortschritte<br />

in der BIP-Differenz je Einwohner<br />

bis zu zwei Prozent pro Jahr erreichbar sind:<br />

Bei einer Konvergenzgeschwindigkeit von 2%<br />

halbiert sich die Produktivitätsdifferenz etwa<br />

in 35 Jahren (vgl. Barro/Sala-I-Martin 1991).<br />

Eine auf alternativen Voraussetzungen basierende<br />

Simulation für den Angleichungsprozeß<br />

führt bei der Arbeitsproduktivität zu einem<br />

simulierten Stand von 88% (West = 100) für<br />

das Jahr 2020, wobei hier ein durchschnittliches<br />

Wirtschaftswachstum Ost von 2,6% angesetzt<br />

wurde. Die politischen Realisierungschancen<br />

eines solchen Szenarios sind jedoch als äußerst<br />

gering zu bewerten (vgl. Steinitz et al. 2001).<br />

Das Postulat gleichwertiger Lebensverhältnisse<br />

bleibt illusionär, solange das hohe innerdeutsche<br />

Produktivitätsgefälle nicht beseitigt ist<br />

– hoher Transferbedarf, Wanderungsverluste,<br />

Schrumpfungsprozesse und soziale sowie<br />

kulturelle Retardierung sind die Folgen. Wenn<br />

es nicht gelingt, die Produktivitätslücke in absehbarer<br />

Zeit deutlich zu verringern, verliert<br />

die ostdeutsche Wirtschaft den Anschluß an<br />

die westdeutsche Entwicklung und damit die<br />

Voraussetzungen für ihre integrierte Wettbewerbsfähigkeit<br />

und Dynamik. Das wäre dann<br />

das Ende jeder Konvergenz.<br />

Anmerkungen<br />

1 Einer Befragung des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums<br />

Berlin-Brandenburg (SFZ) zufolge<br />

waren 2006 nur noch 39% der Ostdeutschen mit ihrer<br />

Lebenssituation zufrieden. Zu Beginn des Jahrzehnts<br />

waren dies noch knapp 60%. Die abnehmende Lebenszufriedenheit<br />

ist u. E. vor allem Ausdruck der<br />

fehlenden Konvergenz gegenüber Westdeutschland<br />

und der faktischen Beendigung des wirtschaftlichen


Konvergenzbremse Produktivität<br />

Aufholprozesses in der zweiten Hälfte der 1990er<br />

Jahre (vgl. Winkler 2006: 4f.)<br />

2 Bis 2001 war es in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung<br />

üblich, mit einer Festpreisbasis zu<br />

arbeiten und dafür die Werte regelmäßig anzupassen<br />

(zuletzt 1995). Außerdem wurde 1991 die „hedonische<br />

Preismessung“ eingeführt, um sog. Qualitätsfehler<br />

auszuschalten. Insgesamt konnte dadurch das Problem<br />

der Bewertung ökonomischer Größen des Jahres t<br />

mit Preisen des Jahres t-1 usw. minimiert, nicht aber<br />

beseitigt werden. Deshalb ist man nun dazu übergegangen,<br />

Kettenindizes zu verwenden, bei denen die<br />

Vorjahrespreise jeweils die Basis bilden. Dadurch<br />

wird es möglich, ökonomische Veränderungsprozesse<br />

preisbereinigt statistisch genauer abzubilden. Da die<br />

aktuelle Statistik neben den nominalen Daten seit 2001<br />

nur noch Kettenindizes ausweist, ist es bei einigen<br />

Daten (zum Beispiel beim BIP) nicht mehr möglich,<br />

lange Reihen realer Daten zu erhalten.<br />

3 Diese Definition vermag nur als grobe Orientierung<br />

zu dienen, da hier der gesamte Ertrag der wirtschaftlichen<br />

Tätigkeit dem Faktor Arbeit zugerechnet wird,<br />

während das Sachkapital und die unternehmerische<br />

Leistung unberücksichtigt bleiben. Außerdem ist die<br />

hier zugrunde gelegte Zahl der Erwerbstätigen nur ein<br />

sehr grober Maßstab für die tatsächlich aufgewendete<br />

Arbeit (vgl. Statistisches Bundesamt 2005: 617).<br />

4 In der Literatur gibt es zu diesen Fragen eine breite<br />

Diskussion. Besondere Beachtung verdient in diesem<br />

Zusammenhang die umfangreiche Studie des IWH<br />

„Produktivitätsunterschiede und Konvergenz von<br />

Wirtschaftsräumen – Das Beispiel der neuen Länder“<br />

aus dem Jahre 2001 (IWH 2001).<br />

5 Vgl. dazu die jährlich vorgelegten Berichte der Bundesregierung<br />

zum Stand der deutschen Einheit,<br />

die ebenfalls jährlich erscheinenden Gutachten des<br />

Sachverständigenrates zur gesamtwirtschaftlichen<br />

Entwicklung, die Fortschrittsberichte wirtschaftswissenschaftlicher<br />

Institute über die wirtschaftliche<br />

Entwicklung in Ostdeutschland, aber auch die Analysen<br />

der Wirtschaftsforschungsinstitute und die zahlreichen<br />

Einzelstudien, wie zum Beispiel von Deutsche Bank<br />

Research (2004) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau<br />

(KfW) (2005).<br />

6 Vgl. dazu die Antwort der Bundesregierung auf die<br />

Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE; Bundesregierung<br />

<strong>2007</strong>: 2.<br />

7 Vgl. hierzu auch die jährlichen Veröffentlichungen des<br />

WSI; zuletzt: Schäfer 2006. Dort wird ausgeführt, daß<br />

bei den Löhnen im Verarbeitenden Gewerbe in jüngster<br />

Zeit gegenüber 1996 und 1998 sogar „ein kleiner<br />

Rückgang des relativen Ost-Niveaus zu verzeichnen“<br />

war (ebd.: 587). Von Konvergenz kann hier also beim<br />

besten Willen keine Rede sein.<br />

8 Eine andere Auffassung hierzu bildet der Legacy-<br />

Ansatz, wie er prononciert zum Beispiel von Ulrich<br />

Blum vertreten wird; vgl. dazu unseren Exkurs.<br />

9 Diese Feststellung geht zurück auf Bellmann/Brussig<br />

(1998: 657), welche auf der Basis von Unternehmensdaten<br />

nachweisen konnten, daß die Streuung der<br />

Produktivitätswerte in Ost- und Westdeutschland<br />

annähernd gleich hoch ist, es also sowohl ostdeutsche<br />

Betriebe gibt, die eine höhere Produktivität als<br />

der westdeutsche Durchschnitt aufweisen, wie auch<br />

135<br />

westdeutsche Betriebe, deren Produktivität noch unter<br />

dem ostdeutschen Durchschnitt liegt. Die geringere<br />

Produktivität in Ostdeutschland läßt sich also nicht<br />

auf einen höheren Anteil weniger produktiver Betriebe<br />

zurückführen, sondern stellt vielmehr ein sehr viele<br />

Unternehmen in gleicher Weise tangierendes und<br />

daher erklärungsbedürftiges spezifisches Phänomen<br />

dar.<br />

10 So weisen die Geschäftsführer ostdeutscher Unternehmen<br />

vielfach eine ingenieurtechnische Qualifikation<br />

auf, aber keine kaufmännisch-ökonomische,<br />

was zu Problemen bei der Marktorientierung und<br />

der Absatzpolitik der Unternehmen geführt hat (vgl.<br />

Thomas 1997).<br />

11 Heske hat erstmals das DDR-BIP auf Preisbasis 1995<br />

in Euro aus den archivierten Originalquellen der DDR-<br />

Betriebe neu errechnet und kommt zu begründeten<br />

Ergebnissen für 1989 (vgl. Heske 2005).<br />

12 Hans-Jürgen Wagener veranschlagt das Produktivitätsniveau<br />

der DDR (pro Kopf) für 1950 bei „höchstens zwei<br />

Drittel“, für 1989 aber „zwischen 45 und 50 Prozent“<br />

des Niveaus der Bundesrepublik. Daraus leitet sich<br />

eine nachvollziehbare Darstellung der wirtschaftlichen<br />

Entwicklung der DDR ab, die zunehmend hinter der der<br />

Bundesrepublik zurückblieb (Wagener <strong>2007</strong>: 126f.).<br />

13 Hierbei ist ein jahresdurchschnittliches BIP-Wachstum<br />

Ost von 1,35% unterstellt, bei einem jährlichen<br />

Produktivitätsanstieg von durchschnittlich 2,4% und<br />

einem durchschnittlichen BIP-Zuwachs je Einwohner<br />

Ost von 2,03% gegenüber einem Produktivitätszuwachs<br />

West von 1,75%. Die ostdeutsche Produktivitätsrate<br />

„überflügelt“ also die westdeutsche nur um 0,65%<br />

– zu wenig, um das Konvergenzziel von 80% zu erreichen.<br />

Literatur<br />

Barro, Robert J./Sala-I-Martin, Xavier (1991): Convergences<br />

Across States and Regions, in: Brookings Papers on<br />

Economic Activity, No. 2, 107-158<br />

Bellmann, Lutz/Brussig, Martin (1998): Ausmaß und<br />

Ursachen der Produktivitätslücke ostdeutscher Betrie<br />

be des Verarbeitenden Gewerbes, in: Mitteilungen<br />

aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Heft 4,<br />

648-660<br />

Blum, Ulrich (<strong>2007</strong>): Honeckers langer Schatten oder die<br />

aktuelle Wirtschaftsschwäche Ostdeutschlands, in:<br />

Wirtschaft im Wandel, Nr. 4, Halle, 109-116<br />

BMWi (<strong>2007</strong>): Wirtschaftsdaten Neue Länder, April<br />

Bundesregierung (2006): Jahresbericht der Bundesregierung<br />

zum Stand der Deutschen Einheit 2006, Berlin<br />

Bundesregierung (<strong>2007</strong>): Antwort der Bundesregierung<br />

auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE: Zum<br />

Stand der Deutschen Einheit und der perspektivischen<br />

Entwicklung bis zum Jahr 2020, DS 16/3581<br />

Busch, Ulrich (2002): Mezzogiorno Ost? Na und! In: Berliner<br />

Debatte Initial 13 (5/6), 144-156 [Heft 5-6/2002]<br />

Busch, Ulrich/Land, Rainer (Hg.) (2006): Zur Lage in<br />

Ostdeutschland. In: Berliner Debatte Initial 17 (5),<br />

3-96 [Heft 5/2006]<br />

Busch, Ulrich/Mai, Karl/Steinitz, Klaus (Hg.) (2006):<br />

Ostdeutschland zwischen Währungsunion und Solidarpakt<br />

II, Berlin


136 Ulrich Busch, Karl Mai<br />

Deutsche Bank Research (2004): Perspektiven Ostdeutschlands<br />

– 15 Jahre danach, Nr. 306, Sonderausgabe<br />

Destatis (<strong>2007</strong>a): VGR der Länder, R1, B1<br />

Destatis (<strong>2007</strong>b): VGR der Länder, Pressemitteilung Januar<br />

<strong>2007</strong>, 1. Fortschreibung BIP, Tab 001.asp<br />

DIW/IfW/IWH (1999): Gesamtwirtschaftliche und unternehmerische<br />

Anpassungsfortschritte in Ostdeutschland,<br />

19. Bericht, IWH-FR 5, Halle<br />

DIW/ifo/IfW/IWH/RWI (<strong>2007</strong>): Die Lage der Weltwirtschaft<br />

und der deutschen Wirtschaft im Frühjahr <strong>2007</strong>.<br />

In: Wirtschaft im Wandel, Sonderausgabe 1, Halle<br />

Heske, Gerhard (2005): Bruttoinlandsprodukt, Verbrauch<br />

und Erwerbstätigkeit in Ostdeutschland 1970–2000.<br />

Historische Sozialforschung. Supplement Nr. 17,<br />

Köln<br />

Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB)<br />

(2006): IAB-Betriebspanel Ost. Ergebnisse der zehnten<br />

Welle 2005, Berlin<br />

IWH (2001): Produktivitätsunterschiede und Konvergenz<br />

von Wirtschaftsräumen. Das Bespiel der neuen Länder,<br />

Sonderheft 3, Halle<br />

IWH/TU/ifo (2006): Demographische Entwicklung in Ostdeutschland,<br />

Halle, 15.12.2006; www.iwh-halle.de<br />

Kowalski, Reinhold (2004): Dauerhafte Industrielücke in<br />

Ostdeutschland – Ergebnis neoliberaler <strong>Wirtschaftspolitik</strong>.<br />

In: AG <strong>Wirtschaftspolitik</strong> der PDS (Hg.), Beiträge<br />

zur <strong>Wirtschaftspolitik</strong>, Heft 1, Berlin<br />

Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) (2005): 15 Jahre<br />

Deutsche Einheit: Wie geht es im Osten weiter?<br />

Mittelstands- und Strukturpolitik, Nr. 34 – Sonderband,<br />

Berlin<br />

Kusch, Günter/Montag, Rolf/Specht, Günter/Wetzker,<br />

Konrad (1991): Schlußbilanz DDR. Fazit einer verfehlten<br />

Wirtschafts- und Sozialpolitik, Berlin<br />

Lebenslagen in Deutschland (2005): Der 2. Armuts- und<br />

Reichtumsbericht der Bundesregierung, Berlin<br />

Lichtblau, Karl (1995): Von der Transfer- in die Marktwirtschaft,<br />

Köln<br />

Ludwig, Udo (<strong>2007</strong>): Mittel- und langfristige Wachstumsprojektionen<br />

für Ostdeutschland. In: Wirtschaft im<br />

Wandel, Nr. 6, Halle, 210-218<br />

Ludwig, Udo et al. (<strong>2007</strong>): Ostdeutsche Wirtschaft: Nachfrageschub<br />

überwiegt strukturelle Schwächen. In:<br />

Wirtschaft im Wandel, Nr. 7, Halle, 227-256<br />

Mai, Karl/Steinitz, Klaus (2004): Ostdeutschland auf<br />

der Kippe, Supplement der Zeitschrift Sozialismus,<br />

Heft 1<br />

Müller, Albert (2001): Verbesserte Produktionsmöglichkeiten<br />

bei unveränderten Absatzproblemen – Die<br />

Zeit in Ostdeutschland drängt. In: ifo Schnelldienst<br />

54 (3), 30-40<br />

Müller, Gerald (1998): Schmalere Produktivitätslücke<br />

bei Beachtung von Preiseffekten. In: Wirtschaft im<br />

Wandel, Nr. 4, 14-19<br />

Pohl, Rüdiger (Hg.): Herausforderung Ostdeutschland.<br />

Fünf Jahre Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion,<br />

Berlin<br />

Prognos AG (<strong>2007</strong>): Zukunftsatlas <strong>2007</strong>; www.prognos.<br />

com/zukunftsatlas/<br />

Ragnitz, Joachim (1999): Warum ist die Produktivität<br />

ostdeutscher Unternehmen so gering? In: Konjunkturpolitik,<br />

Heft 3, S. 165-187<br />

Ragnitz, Joachim (2001): Produktivitätsrückstand der<br />

ostdeutschen Wirtschaft: Eine zusammenfassende<br />

Bewertung. In: Wirtschaft im Wandel, Nr. 7-8, Halle,<br />

181-189<br />

Ragnitz, Joachim (<strong>2007</strong>): Humankapital und Produktivität<br />

in Ostdeutschland. In: Wirtschaft im Wandel, Nr. 6,<br />

Halle, 178-187<br />

Ragnitz, Joachim/Schneider, Lutz (<strong>2007</strong>): Demographische<br />

Entwicklung und ihre ökonomischen Folgen. In:<br />

Wirtschaft im Wandel, Nr. 6, Halle, 195-202<br />

Richter, Edelbert (2002): Eine zweite Chance? Hamburg<br />

Schäfer, Claus (2006): Unverdrossene „Lebenslügen-Politik“<br />

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WSI Mitteilungen, Heft 11, 583-591<br />

Schneider, Lutz/Eichler, Stefan (<strong>2007</strong>): Alterung in Ostdeutschland:<br />

Gründerpotential sinkt bis 2020 merklich.<br />

In: Wirtschaft im Wandel, Nr. 4, Halle, 102-109<br />

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für die Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden<br />

Steiner, André (2004): Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte<br />

der DDR, München<br />

Steinitz, Klaus/Kühn, Wolfgang/Mai, Karl (2001): Ostdeutschland<br />

10 Jahre nach der Vereinigung. In: AG<br />

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Heft 1-2, Berlin<br />

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– Unternehmer. Passagen und Paßformen im Umbruch,<br />

Berlin<br />

Wagener, Hans-Jürgen (<strong>2007</strong>): Anschluß verpaßt? Dilemmata<br />

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Wagener (Hg.), Die DDR im Rückblick. Politik, Wirtschaft,<br />

Gesellschaft, Kultur, Berlin, 114-134<br />

Winkler, Gunnar (Hg.) (2006): Sozialreport 2006. Daten<br />

und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern,<br />

Berlin


Berliner Debatte Initial 18 (<strong>2007</strong>) 4/5<br />

Unternehmen zwischen Aktionärsinteresse<br />

und sozialer Verantwortung<br />

– Zusammengestellt von Jürgen Beyer und Stefanie Hiß –<br />

Editorial 3<br />

Schwerpunkt<br />

Unternehmen zwischen<br />

Aktionärsinteresse und<br />

sozialer Verantwortung<br />

Stefanie Hiß<br />

Corporate Social Responsibility<br />

Über die Durchsetzung<br />

von Stakeholder-Interessen<br />

im Shareholder-Kapitalismus 6<br />

Michael Faust, Christiane Fisecker,<br />

Reinhard Bahnmüller<br />

Was interessiert Analysten? 16<br />

Katharina Bluhm, Andrea Geicke<br />

Gesellschaftliches Engagement<br />

im Mittelstand – altes Phänomen<br />

oder neuer Konformismus? 27<br />

Jeppe F. Jörgensen<br />

Die „Heuschrecken“<br />

und ihre Kritiker 37<br />

Konstanze Senge<br />

Ist Corporate Social Responsibility<br />

ein ökonomischer Wert? 47<br />

Jürgen Beyer<br />

Primat der Finanzmarktorientierung<br />

Zur Logik der Auflösung<br />

der Deutschland AG 56<br />

Janina V. Curbach<br />

Corporate Social Responsibility<br />

Unternehmen als Adressaten<br />

und Aktivisten einer<br />

transnationalen Bewegung 65<br />

Philipp Klages<br />

Die Wiederentdeckung schlafender<br />

<strong>Alternative</strong>n in der Rechtslehre:<br />

Der Begriff „Aktiengesellschaft“ 75<br />

Nachlese<br />

Erinnerungen an Gewalt<br />

Serguei Oushakine<br />

Die Politik des Mitleids 83<br />

Rozita Dimova<br />

Strategische Erinnerungen<br />

als „Kampf um die Lebenden“ 96<br />

Replik<br />

Zur Lage in Ostdeutschland<br />

Irene Dölling, Susanne Völker<br />

Komplexe Zusammenhänge<br />

und die Praxis von Akteur/inn/en<br />

in den Blick nehmen! 105<br />

Ulrich Busch, Karl Mai<br />

Konvergenzbremse Produktivität<br />

Zurückbleibende Arbeitsproduktivität<br />

in Ostdeutschland 121<br />

1


2 Berliner Debatte Initial 18 (<strong>2007</strong>) 4/5<br />

Russischer Nationalismus<br />

Oleg Kil’djušov<br />

Der russische Nationalismus<br />

als Problem der rußländischen<br />

Öffentlichkeit 137<br />

Vitalij Kurennoj<br />

Anmerkungen zum<br />

russischen Nationalismus<br />

Eine Erwiderung auf Oleg Kil’djušov 143<br />

Aleksandr Sogomonov<br />

Zu spät kommen und ausbrechen<br />

Überlegungen zur „Idee der Nation“ 151<br />

* * *<br />

Dirk Jörke<br />

Edmund Burke über verheerende<br />

Folgen von Wahlkämpfen 156<br />

Edmund Burke<br />

Rede über einen Gesetzentwurf<br />

zur Verkürzung der Legislaturperiode<br />

von Parlamenten (1780) 163<br />

Besprechungen und Rezensionen<br />

Camilla Warnke<br />

Lehrjahre der Parteiintelligenz<br />

Reflexionen zu Guntolf Herzbergs<br />

„Anpassung und Aufbegehren“ 171<br />

Johann S. Ach, Arnd Pollmann (Hg.):<br />

No body is perfect. Baumaßnahmen<br />

am menschlichen Körper<br />

Rezensiert von Katharina Beier 187<br />

Nicolas Werth:<br />

Die Insel der Kannibalen<br />

Stalins vergessener Gulag<br />

Rezensiert von Wladislaw Hedeler 191

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