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Ingo Schmidt Zum 60. Todestag von John Maynard Keynes ...

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<strong>Ingo</strong> <strong>Schmidt</strong><br />

<strong>Zum</strong> <strong>60.</strong> <strong>Todestag</strong> <strong>von</strong> <strong>John</strong> <strong>Maynard</strong> <strong>Keynes</strong><br />

(Erscheint in: Sozialistische Zeitung, Juni 2006)<br />

Vor sechzig Jahren, am 21. April 1946, ist der britische Ökonom, Politiker und Autor<br />

<strong>John</strong> <strong>Maynard</strong> <strong>Keynes</strong> gestorben. Zwei Jahre zuvor leitete er die britische Delegation<br />

bei den internationalen Verhandlungen in Bretton Woods, die zur Gründung <strong>von</strong><br />

Internationalem Währungsfonds, Weltbank und einem System fester Wechselkurse<br />

führen sollten. Damit trug er zur Schaffung der außenwirtschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen bei, innerhalb derer sich in den folgenden drei Jahrzehnten ein<br />

historisch beispielloser Wirtschaftsaufschwung entfalten sollte. Seit die Prosperität in<br />

den 1970er Jahren <strong>von</strong> geringerem Wachstum sowie einer Zunahme <strong>von</strong><br />

Arbeitslosigkeit und Inflation abgelöst wurde, streiten Ökonomen ob die<br />

keynesianische Wirtschaftspolitik nach anfänglichen Erfolgen zu immer mehr Inflation,<br />

Staatsdefiziten und daher Verschuldung geführt und damit eine wirtschaftspolitische<br />

Neuorientierung erforderlich gemacht habe oder ob umgekehrt dieser im Interesse des<br />

Finanzkapitals vollzogene Strategiewechsel zu anhaltender Wirtschaftsschwäche und<br />

Arbeitslosigkeit geführt haben. Mit erstgenannter Position begründen Zentralbanken<br />

ihren harten Kurs gegen tatsächliche oder auch nur vermutete inflationäre<br />

Entwicklungen. Regierungen verwenden dieselbe Argumentation um ihre Bemühungen<br />

um Haushaltskonsolidierung und Schuldenabbau zu begründen. Auf der anderen Seite,<br />

allerdings mit deutlich geringerer Präsenz in der Öffentlichkeit, fordern Gewerkschaften<br />

und ihnen nahe stehende politische Strömungen eine keynesianische<br />

Beschäftigungspolitik. Im Wissenschaftsbetrieb wird in letzter Zeit öfters für eine<br />

Synthese keynesianischer und neoliberaler Positionen plädiert. Um Inflation zu<br />

vermeiden soll demnach an der Schwächung gewerkschaftlicher (Lohn-<br />

)Verhandlungsmacht festgehalten, durch eine weniger zurückhaltende Haushaltspolitik<br />

aber gleichzeitig Wachstum und Beschäftigung angeregt werden. In den USA, so wird<br />

häufig argumentiert, sei dieser ideologische und politische Grenzen vermeintlich<br />

überwindende Politik-Mix in den letzten Jahren mit einigem Erfolg angewendet worden.<br />

Und in der Tat haben sowohl der Demokrat Clinton als auch der Repulikaner Bush


Ökonomen als wirtschaftspolitische Berater ernannt, die sich selbst als <strong>Keynes</strong>ianer<br />

verstehen ohne als gewerkschaftsnah zu gelten. Solche Verweise rufen zwei Aspekte in<br />

Erinnerung, die für die wissenschaftliche und mehr noch die wirtschaftspolitische<br />

Diskussion keynesianischer Ideen stets eine zentrale Rolle gespielt haben. Entgegen<br />

der häufig verbreiteten Ansicht, <strong>Keynes</strong>’ wirtschaftspolitische Vorstellungen ignorierten<br />

internationale Wirtschaftsbeziehungen und seien daher in einer globalisierten Welt<br />

selbst dann nicht umsetzbar, wenn politische Mehrheiten in einem Lande dies<br />

wünschten, ist der <strong>Keynes</strong>ianismus zur Stabilisierung der kapitalistischen<br />

Weltwirtschaft insgesamt konzipiert worden. Zweitens versprach dieser<br />

wirtschaftspolitische Ansatz stets widerstreitende politische Strategien und soziale<br />

Interessen zu versöhnen. Seit seiner Entstehung wurde der <strong>Keynes</strong>ianismus mit recht<br />

unterschiedlichem Erfolg benutzt, um innerhalb einer in Staaten gegliederten<br />

Weltwirtschaft nationale Klassenkompromisse zu organisieren. Dass die Geschichte<br />

<strong>von</strong> <strong>Keynes</strong>ianismus, internationaler Konkurrenz und nationalem Korporatismus<br />

wechselvoll war und nunmehr offen ist, kann am Beispiel Deutschlands gezeigt<br />

werden.<br />

„Ein Amerikanischer Ökonom“<br />

Bei der bereits erwähnten Bretton Woods Konferenz wurde Wirtschaftstheorie<br />

geschichtsmächtig. <strong>Keynes</strong> Argument, die Stabilisierung <strong>von</strong> Wachstum und<br />

Beschäftigung in einzelnen Ländern erfordere die außenwirtschaftliche Absicherung<br />

durch feste und politisch garantierte Wechselkurse fand die Anerkennung<br />

internationaler Diplomatie und schuf so den Rahmen für die weltwirtschaftliche<br />

Integration der nächsten drei Jahrzehnte. Als Ökonom triumphierte <strong>Keynes</strong> in Bretton<br />

Woods, als organischer Intellektueller der britischen Bourgeoisie musste er allerdings<br />

anerkennen, dass die USA die Rolle als kapitalistische Führungsmacht <strong>von</strong> den Briten<br />

übernahmen. Die Verträge <strong>von</strong> Bretton Woods führten nicht nur zur<br />

Institutionalisierung keynesianischer Wirtschaftstheorie; sie legten auch den<br />

Grundstein der amerikanischen Durchdringung des Weltmarktes durch Waren- und<br />

Kapitalexport. Ergänzt durch ein militärkeynesianisches Programm, dass dem<br />

Weltmarkt dauerhafte Nachfrageimpulse gab und zugleich politische Macht<br />

demonstrierte, konnte ein US-Imperium aufgebaut werden, dass die Konkurrenz der<br />

europäischen Imperialmächte innerhalb eines kollektiven Imperialismus unter


amerikanischer Führung neutralisieren konnte. Die westdeutsche Bourgeoisie gliederte<br />

sich durch eine exportorientierte Wachstumsstrategie in dieses Imperium ein. Die<br />

dabei erzielten Einkommens- und Produktivitätszuwächse wurden zur ökonomischen<br />

Basis eines inneren Verteilungskompromisses mit den Gewerkschaften sowie<br />

sozialstaatlichen Ausbaus. Dass Wirtschaftswunder und sozialer Ausgleich in hohem<br />

Maße <strong>von</strong> der keynesianischen Politik der USA abhingen, der italienische Operaist<br />

Mario Tronti charakterisierte <strong>Keynes</strong> zutreffend als „amerikanischen Ökonom“, wurde<br />

in der deutschen Öffentlichkeit und Wissenschaft in den 1950er und 1960er Jahren<br />

kaum wahrgenommen. Ausgeglichener Staatshaushalt und Geldwertstabilität, die nach<br />

der monetaristischen Konterrevolution der 1970er Jahre zum wirtschaftspolitischen<br />

Mantra aller imperialistischen Mächte, mit der allerdings nicht ganz unwichtigen<br />

Ausnahme der USA, werden sollten, wurden in Deutschland schon während des<br />

keynesianisch geprägten Nachkriegsbooms gepredigt. Erst als sich dieser Boom Ende<br />

der 1960er Jahre seinem Ende zuneigte und die politischen Reserven des Adenauer-<br />

Staates erschöpft waren, hielt mit der Großen Koalition die keynesianische Botschaft<br />

der politischen Regulierbarkeit kapitalistischer Entwicklung Einzug in die westdeutsche<br />

Politik.<br />

Amerikanische Führungskrise und keynesianische Experimente in Deutschland<br />

Unter dem Eindruck <strong>von</strong> Vollbeschäftigung und hohen Wachstumsraten wurden <strong>von</strong><br />

Teilen der ArbeiterInnenklasse Lohnforderungen gestellt, die deutlich über die<br />

jeweiligen Produktivitätsfortschritte hinausgingen und insofern einen Angriff auf die<br />

Profite darstellten. Unter diesen Bedingungen schien es geboten Sozialdemokratie und,<br />

via Konzertierter Aktion, Gewerkschaften in die Politik der Exportförderung<br />

einzubinden, um sinkende Profitraten oder den Verlust internationaler<br />

Wettbewerbsfähigkeit zu verhindern. Letzterer wäre eingetreten, wenn<br />

Nominallohnerhöhungen zwecks Profitstabilisierung durch höhere Preise und somit<br />

erhöhten Inflationsraten kompensiert worden wären. Lohnzurückhaltung und<br />

Vermeidung inflationärer Überhitzung in Phasen der Hochkonjunktur durch<br />

korporatistische Arrangements zu vermeiden gehört genauso zum keynesianischen<br />

Programm wie das Versprechen im Falle des Konjunkturabschwungs durch eine<br />

expansive Ausgabenpolitik des Staates Arbeitsplätze zu schaffen. Dabei ist unterstellt,<br />

dass im Abschwung die Inflationsrate sinkt und es daher nicht notwendig ist, politisch


einem steigenden Preisniveau entgegenzuwirken. Diese Voraussetzung war zu Beginn<br />

der 1970er Jahre nicht mehr erfüllt. Von Leistungsbilanzdefiziten geplagt, gaben die<br />

USA die in Bretton Woods vereinbarte Wechselkursbindung des Dollar auf, sorgten<br />

Ölpreiserhöhungen und militante ArbeiterInnenkämpfe für inflationären Druck und<br />

sorgten sich Unternehmen um Überkapazitäten, die auf dem Weltmarkt insbesondere<br />

durch die Exporterfolge Deutschland und Japan entstanden waren. Die USA, welche<br />

die keynesianische Nachkriegsordnung maßgeblich durchgesetzt und aufrechterhalten<br />

hatten, erwiesen sich nunmehr als unfähig, den kapitalistischen Weltmarkt zu<br />

stabilisieren. Als Stagnation, Arbeitslosigkeit und Inflation gleichzeitig auftraten,<br />

entschied sich die sozialliberale Koalition in Deutschland gegen den Widerstand des<br />

linken Flügels der SPD, Inflation und Staatsverschuldung mit einer restriktiven<br />

Ausgabenpolitik auch um den Preis weiter steigender Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. In<br />

der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurde zwar nochmals, pikanterweise unter Druck<br />

der USA, ein keynesianisches Beschäftigungsprogramm aufgelegt, das angesichts<br />

eines neuen Inflationsschubs jedoch schnell wieder aufgegeben wurde. Die Stop-and-<br />

Go-Politik der sozialliberalen Koalition konnte die im Zeichen einer Hegemoniekrise der<br />

USA eingetretene internationale Instabilität nicht wirksam neutralisieren. Angesichts<br />

dieses Scheiterns wandten sich sowohl die Bourgeosie als auch Teile ihrer<br />

Stammwählerschaft <strong>von</strong> der SPD ab und ebneten einer konservativ-liberalen<br />

Regierung den Weg.<br />

Vom keynesianischen Wohlfahrtsstaat zum Börsenkeynesianismus<br />

Während der Regierungszeit Helmut Kohls wurde der <strong>Keynes</strong>ianismus praktisch völlig<br />

aufgegeben und an den Rand der wirtschaftspolitischen Debatte gedrängt. Unter den<br />

Imperativen <strong>von</strong> Haushaltskonsolidierung und Exportsteigerung wurden das<br />

Sicherungs- und Leistungsniveau des Sozialstaats in Deutschland langsam aber<br />

beständig abgebaut. In den USA wurden die während des Nachkriegsaufschwungs<br />

merklich gewachsenen Ansprüche der ArbeiterInnenklasse an Einkommen und<br />

Arbeitsbedingungen dagegen durch einen brutalen Abbau <strong>von</strong> Sozialstaat und<br />

Gewerkschaftsrechten den Imperativen der Kapitalakkumulation untergeordnet. Von<br />

gewerkschaftlichen und autonomen Arbeiterforderungen weitestgehend unbehelligt,<br />

konnten die USA nunmehr einen keynesianischen Expansionskurs einschlagen, der in<br />

großer Zahl billige Arbeitskräfte in die Mehrwertproduktion integrieren und durch


eständige Leistungsbilanzdefizite weltwirtschaftliches Wachstum anregen konnte.<br />

Dabei wurde das Instrument der staatlichen Defizit- und Ausgabenpolitik zunehmend<br />

durch die Deregulierung der Finanzmärkte und niedrige Zentralbankzinsen ergänzt, so<br />

dass private Haushalte und Unternehmen ihre Ausgaben über billige Kredite und die<br />

Ausgabe <strong>von</strong> Wertpapieren nahezu unbegrenzt finanzieren konnten. Von diesem<br />

<strong>Keynes</strong>ianismus ohne bzw. mit immer weniger Sozialstaat, dafür begleitet <strong>von</strong><br />

exzessiver Börsenspekulation, konnte die deutsche (Export-)Wirtschaft enorm<br />

profitieren. Dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland und anderen westeuropäischen<br />

Ländern trotzdem deutlich über dem amerikanischen Niveau verharrte, erklärte ein<br />

theoretisch modifizierter <strong>Keynes</strong>ianismus mit dem Konzept der „inflations-stabilen<br />

Arbeitslosenrate“. Demnach führen soziale Standards, die in den meisten<br />

westeuropäischen Ländern deutlich über denen der USA liegen, zu höheren<br />

Lohnansprüchen, die ohne eine ausreichend große industrielle Reservearmee eine<br />

Lohn-Preis-Spirale auslösen würden. Zwischen diesem, die Imperative der<br />

Kapitalakkumulation strikt anerkennenden, Rechtskeynesianismus und einem auf den<br />

Aufbau gewerkschaftlicher Gegenmacht abzielenden Linkskeynesianismus versuchte<br />

die SPD im ideologischen Gewand der Neuen Mitte einen Kompromiss zu finden. Wenig<br />

erfolgreich, wie sich bald nach Amtsantritt der rot-grünen Koalition erweisen sollte. Als<br />

Mehrheitsbeschaffer war der gewerkschaftlich und sozialstaatlich orientierte Flügel der<br />

SPD zwar willkommen, <strong>von</strong> der Gestaltung der Regierungspolitik sollte er aber fern<br />

gehalten werden. In der Linkspartei versucht der <strong>Keynes</strong>ianismus nun, mit<br />

ungewissem Ausgang eine neue Heimat zu finden. Derweil fragen sich<br />

Rechtskeynesianer in den USA, ob private und öffentliche Verschuldung sowie<br />

Leistungsbilanzdefizite unter der Präsidentschaft Bush nicht solche Ausmaße<br />

angenommen haben, dass nur eine wirtschaftspolitische Kontraktion, mit entsprechend<br />

negativen Effekten für Weltwirtschaft und Beschäftigung, einen Zusammenbruch des<br />

Finanzsystems vermeiden können. In politisch und wirtschaftlich turbulenten Zeiten ist<br />

der <strong>Keynes</strong>ianismus als ein Mittel kapitalistischer Stabilisierung entstanden. Ob er zu<br />

diesem Zweck nochmals erfolgreich angewandt werden, sich zu einem<br />

linkskeynesianisch-sozialistischem Projekt weiterentwickeln kann oder sich alsbald aus<br />

der Geschichte verabschieden wird, ist gegenwärtig völlig offen.


<strong>John</strong> <strong>Maynard</strong> <strong>Keynes</strong>, 1883 – 1946:<br />

- Akademiker, Regierungsberater und Public Intellectual,<br />

- ...diskutiert mit Virginia Woolf, H. G. Wells und anderen in der Bloomsbury<br />

Group,<br />

- ...prognostiziert 1919 eine enorme wirtschaftliche Destabilisierung Deutschlands<br />

als Folge des Versailler Vertrages (The Economic Consequences of Peace),<br />

- ...macht 1925 Churchills restriktive Wirtschaftspolitik und eine Überbewertung<br />

des Britischen Pfund für Britanniens Wirtschaftsschwäche verantwortlich The<br />

Economic Consequences of Mr. Churchill),<br />

- ...bekennt, dass „ein Klassenkrieg (...) mich auf der Seite der gebildeten<br />

Bourgeosie finden“ würde (Am I a Liberal, 1925),<br />

- ...veröffentlicht 1936 die General Theory of Employment, Interest and Money,<br />

- ...leitet 1944 die britische Delegation in Bretton Woods

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