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Umschriebene Entwicklungsstörungen

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<strong>Umschriebene</strong><br />

<strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

- allgemeine Einführung -


Grundregeln der Entwicklung (I)<br />

Entwicklung verläuft:<br />

– als fortschreitende Differenzierung:<br />

z.B. Bewegungen, Laut- und Wortschatz, aber auch Mimik,<br />

Gefühle, moralische Begriffe<br />

– als fortschreitende Zentralisierung:<br />

o zunehmende „Integration“,<br />

o Steuerung von einem „Ich-Kern“ (J.Lutz) aus,<br />

o mit einer „zentralen Aktivität“ (W.Stern),<br />

o Vereinheitlichung,<br />

z.B. Koordination Auge-Hand, Übereinstimmung von Denken<br />

und Sprechen, Bildung einer Identität<br />

2


Grundregeln der Entwicklung (II)<br />

Entwicklung verläuft: verläuft<br />

• in biologischer Abhängigkeit mit einem gewissen<br />

„Freiheitsgrad“:<br />

– z.B. veränderter Verlauf bei Funktionsstörungen oder<br />

Schädigungen des Gehirns, „Entwicklungsschub“ bei fiebrigen<br />

Erkrankungen, Altersabhängigkeit<br />

• als Verbindung von Individuation und Sozialisation:<br />

– z.B. Wechselwirkung, zwischen individueller Intelligenz, Sprache<br />

und Umwelt; soziale Abhängigkeit des Geborgenheitsgefühls;<br />

Selbstwert durch Übernahme sozialer Verantwortung<br />

3


Grundregeln der Entwicklung (III)<br />

Entwicklung verläuft:<br />

– Nach der Dialogik:<br />

o keine einfach mechanische Kausalität<br />

o Komplementarität bestimmter Gegensätze und<br />

einander ausschließender Begriffe mit gleichzeitiger,<br />

gleichwertiger Geltung sowie Soma-Psyche, Anlage<br />

und Umwelt<br />

4


Vorgeburtliche Risikofaktoren für die<br />

kindliche Entwicklung (I)<br />

Erbliche Gefährdung<br />

– genetische bedingte Taubheit oder Blindheit<br />

– erbliche neurologische Krankheiten wie spinale<br />

Muskelatrophie, tuberöse Sklerose usw.<br />

– genetische Stoffwechseldefekte wie Phenylketonurie<br />

5


Vorgeburtliche Risikofaktoren für die<br />

kindliche Entwicklung (II)<br />

Pränatale Gefährdung in der Schwangerschaft:<br />

– schlechte soziale Stellung der Mutter und mangelhafte<br />

medizinisch-soziale Schwangerschaftsfürsorge<br />

– sehr junge oder alte Mutter (> 18 oder < 35 Jahre)<br />

– Infektionskrankheiten während der Schwangerschaft<br />

– andere Krankheiten der Mutter, insbesondere Diabetes,<br />

Hyperthyreose, Nephropathie, kardiopulmonale Insuffizienz<br />

– Chemotherapeutika und andere Medikamente, Nikotinabusus,<br />

radioaktive Bestrahlung und große Chirurgie während der<br />

Schwangerschaft<br />

6


Vorgeburtliche Risikofaktoren für die<br />

kindliche Entwicklung (III)<br />

Pränatale Gefährdung in der Schwangerschaft:<br />

– Blutgruppenunverträglichkeit<br />

– Uterusblutungen während der Schwangerschaft<br />

–Hydramnion<br />

– Anhaltspunkte für rezidivierende Gestationsstörungen<br />

– Mehrlingsschwangerschaft<br />

– abnorm kurze (unter 37 Wochen) und abnorm lange<br />

(über 42 Wochen) Schwangerschaft<br />

– intrauterine Mangelernährung und Plazenta-Insuffizienz<br />

7


„Perinatale Perinatale Entwicklungsgefährdung“ (I)<br />

• Früh- Früh oder Mangelgeburten (Geburtsgewicht unter 2500g)<br />

• Zwillings-(bzw.<br />

Zwillings (bzw. Mehrlings-)geburt<br />

Mehrlings )geburt<br />

• Lageanomalie des Kindes (Steißlage-Entbindung (Steißlage Entbindung usw.)<br />

• instrumentelle und operative Entbindungen, evtl. mit Ausnahme der der<br />

unkomplizierten Beckenausgangszange<br />

• mangelhafte Geburtsleitung: unsachgemäße Anästhesie, Hypo- Hypo und<br />

Hyperventilation der Mutter<br />

• Plazenta- Plazenta und Nabelschnuranomalien („Placenta („ Placenta praevia“, praevia“,<br />

„vorzeitige<br />

Lösung“, feste Nabelschnurumschlingungen, Knoten und Tumore der<br />

Nabelschnur)<br />

8


„Perinatale Perinatale Entwicklungsgefährdung“ (II)<br />

• abnorme Wehentätigkeit<br />

• Wehenschwäche und Verlängerung der Geburt, insbesondere der<br />

Austreibungsperiode, Sturzgeburt<br />

• Verengung des Geburtskanals, insbesondere des Beckens<br />

• Asphyxie von mehr als 2 Min. Dauer bis zum ersten Atemzug mit<br />

künstlicher Beatmung oder mehr als 10 Min. Dauer bis zur normalen normalen<br />

Atemtätigkeit; „niedrige Apgar-Noten<br />

Apgar Noten“<br />

• schwere Gelbsucht (Icterus ( Icterus gravis), gravis),<br />

Hypoglykämie, Hypoglykämie,<br />

schwere oder<br />

chronische Acidose in der Neugeborenenperiode<br />

• jede ernsthafte Erkrankung oder Infektion in der<br />

Neugeborenenperiode, insbesondere Meningenzephalitiden<br />

9


Entwicklung des MCD-Begriffs<br />

MCD Begriffs<br />

(minimale cerebrale Dysfunktion)<br />

• minimal brain dysfunction (MBD) (Strauss u. Lethinen 1947)<br />

• minimal brain damage (Clemens u. Peters 1962)<br />

• minimal cerebral dysfunction (Bax u. McKeith 1963)<br />

• frühkindliches exogenes Psychosyndrom (Lempp 1964)<br />

• minor nervous dysfunction (Touwen u. Prechtl 1970)<br />

• hirnorganisches psychisches Achsensyndrom (Göllnitz 1972)<br />

• Teilleistungsstörungen (Myklebust 1973)<br />

• psychoorganisches Syndrom bei Kindern (POS) (Corboz 1976)<br />

• hyperkinetisches Syndrom !?<br />

• weitere Begriffe: Pseudopsychopathie, Pseudoneurose<br />

10


Infantiles organisches Psychosyndrom<br />

• Leistungsstörungen:<br />

(POS): Symptomatik (I)<br />

– Leistungsschwankungen, tageweise, evtl. tageszeitlich<br />

– Ermüdbarkeit erhöht, Ausdauer herabgesetzt<br />

– Konzentrationsfähigkeit schlecht und schwankend mit<br />

entsprechend großer Ablenkbarkeit<br />

– Form- und Gestalterfassung (und –wiedergabe) gestört<br />

– andere Wahrnehmungsstörungen<br />

– schlechte Merkfähigkeit<br />

– Tendenz zur Lese- Rechtschreibschwäche<br />

– schlechtes Körperschema<br />

– asynchrone Entwicklung<br />

11


Infantiles organisches Psychosyndrom<br />

(POS): Symptomatik (II)<br />

• Stimmungsschwankungen (affektiver Bereich):<br />

– labile Affektlage, leicht störbar und große Schwankungen<br />

– Affektausbrüche (evtl. mit Eigen- und Fremdgefährdung)<br />

– morgendliche Dysphorien<br />

– häufig depressive Verstimmung, evtl. chronisch sub-depressiv<br />

(oft larviert mit aggressivem Verhalten)<br />

– Versagensängste, Schuldgefühle und Resignation<br />

– sekundäre soziale Störungen wie aggressive Kontaktsuche<br />

und kompensatorische Clownerien<br />

12


Infantiles organisches Psychosyndrom<br />

• Körpersymptome:<br />

(POS): Symptomatik (III)<br />

– Adaptionsstörungen in den ersten Lebensmonaten<br />

– Ess- (Schluck-)störungen und Erbrechen beim Säugling<br />

– Sprachentwicklungsverzögerung und andere Sprachstörungen<br />

– linkische, erschwerte Globalmotorik und/oder Hypermotorik<br />

– gestörte Feinmotorik<br />

– gestörte Bewegungskoordination<br />

– Hyperreflexie<br />

– Wetterfühligkeit, evtl. Kopfschmerzen<br />

– pathologisches Elektroenzephalogramm<br />

13


Diagnostische Kriterien der „MCD“<br />

• zwei (oder drei) der folgenden Merkmalsgruppen<br />

– organische frühkindliche Risiken<br />

– Abnormitäten der psychomotorischen Entwicklung<br />

– neurologische („soft-signs“)/neurologische Defizite<br />

– spezifische Teilleistungsschwächen<br />

– besondere Verhaltens-/emotionale Störungen<br />

– gefundene Prävalenzen unter Schulkindern<br />

14


Probleme des MCD-Konzepts<br />

MCD Konzepts<br />

• Schwierigkeiten der Abgrenzung exogener Schädigungen<br />

von anlagebedingten cerebralen Minderleistungen<br />

• topographische und funktionelle Variabilität möglicher<br />

Schädigungen<br />

• unterschiedliche Zeitpunkte und Intensität der<br />

Schädigung<br />

• Kompensationsmechanismen (biologisch, psychosozial,<br />

sozial)<br />

• Wechselwirkungen zwischen diesen Faktoren<br />

15


Empirische Befunde zur Validität des MCD-Konzeptes<br />

MCD Konzeptes<br />

und zur spezifischen Psychopathologie bei „MCD“<br />

• Bei Kindern mit Hirnfunktionsstörungen kommen bestimmte emotionale<br />

Symptome/Diagnosen häufiger vor (Esser u. Schmidt 1987).<br />

• keine „Hirnschädigungen“ regelhaft nachweisbar (u.a. Bax u. McKeitz<br />

1963)<br />

• bei achtjährigen Kindern Störungen in mehreren Bereichen nur bei < 1%<br />

(Esser u. Schmidt 1987)<br />

• Fehlender Zusammenhang v. organischen frühkindlichen Belastungen und<br />

Hirnfunktionsstörungen (Esser u. Schmidt 1987)<br />

• fehlende zeitliche Stabilität (Schmidt u. Esser 1991)<br />

• Verhaltensstörungen fanden sich ebenso bei niedriger Sozialschicht<br />

(Berger 1978)<br />

• Keine signifikante Beziehung zwischen MND u. Schulerfolg (Berger 1978)<br />

16


Ergebnisse der Mannheimer Studie<br />

(Schmidt und Esser)<br />

• Die verschiedenen Messebenen für cerebrale Dysfunktionen sind<br />

weitgehend unabhängig voneinander, von einem einheitlichen Syndrom<br />

von Defiziten oder Entwicklungsverzögerungen kann nicht gesprochen<br />

werden.<br />

• Eine spezifische Psychopathologie, die sich dem Syndrom zuordnen ließe<br />

oder es mitbegründen würde, ließ sich nicht nachweisen.<br />

• Die ermittelten Hirnfunktionsstörungen lassen sich nicht anamnestisch<br />

erhobenen prä- und perinatalen Belastungen zuordnen.<br />

• Cerebrale Dysfunktion ist ein Risiko für kinderpsychiatrische<br />

Auffälligkeiten, die Wahrscheinlichkeit ist verdoppelt, aber 60% der<br />

hirnfunktionsgestörten Kinder sind psychiatrisch unauffällig.<br />

17


Haben hirnfunktionsgestörte Kinder eine<br />

erhöhte kinderpsychiatrische Morbidität?<br />

• 40% zeigen kinderpsychiatrische Auffälligkeiten<br />

(gegenüber 16% i. unausgelesenen Stichproben)<br />

jedoch ohne spezfische Psychopathologie, ohne<br />

einheitliche Ätiologie<br />

18


Motoskopische /feinneurologische Untersuchung zur<br />

Erfassung von Reifungsverzögerungen/“soft<br />

Reifungsverzögerungen/“ soft-signs signs“<br />

• Finger-Oppositionstest: Ungeschicklichkeit, schlechte<br />

feinmotorisch Koordination<br />

• Dysdiadochokinese<br />

• Einbeinhüpfen, Hackengang, Seiltänzergang: schlechte<br />

grobmotorische Koordination<br />

• assoziierte Bewegungen<br />

• Armvorhalteversuch (Gabelhand, Absinken, Anheben)<br />

• Fingerhebeversuch (Mitbewegung ipsi- u. kontralateral)<br />

19


Statt unpräziser „MCD“-Diagnose<br />

„MCD“ Diagnose (I)<br />

• Differenzierte kinderpsychiatrische Diagnostik mit:<br />

– ggf. psychiatrische Diagnosen (Achse I) z.B.:<br />

• hyperkinetisches Syndrom<br />

• Störung des Sozialverhaltens<br />

• emotionale Störung<br />

– Erfassung umschriebener <strong>Entwicklungsstörungen</strong> (Achse II):<br />

•Sprache<br />

• Motorik<br />

• Sensorische Integration (SI)<br />

• Lese-/Rechtschreibstörung<br />

• Rechenstörung<br />

20


Statt unpräziser „MCD“-Diagnose<br />

„MCD“ Diagnose (II)<br />

• Differenzierte kinderpsychiatrische Diagnostik mit:<br />

– Intelligenzuntersuchung (Achse III)<br />

– feinneurologisch-motoskopische Untersuchung (Achse IV)<br />

– EEG<br />

– Erfassung widriger psychosozialer Umstände (Achse V)<br />

(u. ihrer Wechselwirkung mit eventuellen<br />

Adaptionsproblemen des Kindes)<br />

21


<strong>Umschriebene</strong><br />

<strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

- schulischer Fertigkeiten -


<strong>Umschriebene</strong> <strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

- schulischer Fertigkeiten -<br />

• Definition und Symptomatik<br />

•Prävalenz<br />

• Störungsspezifische Diagnostik<br />

• Komorbidität<br />

•Ätiologie<br />

• Therapie und Behandlung<br />

•Verlauf<br />

23


F8 Überblick<br />

umschriebene <strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

F80 des Sprechens und der Sprache<br />

F81 schulischer Fertigkeiten<br />

F82 der motorischen Funktionen<br />

F83 kombinierte<br />

F84 tiefgreifende<br />

F88 andere<br />

F89 nicht näher bezeichnete<br />

<strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

24


F81 umschriebenen Entwicklungsstörung<br />

schulischer Fertigkeiten<br />

F81.0 Lesestörung<br />

F81.1 Rechtschreibstörung<br />

F81.2 Rechenstörung<br />

F81.3 kombinierte Störung schulischer<br />

Fertigkeiten<br />

F81.8 andere<br />

F81.9 nicht näher bezeichnete<br />

25


Definition (I)<br />

Der Begriff der umschriebenen <strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

schulischer Fertigkeiten umfasst die spezifischen und<br />

deutlichen Beeinträchtigungen des Erlernens des Lesens,<br />

Rechtschreibens und Rechnens. Rechnens Ihnen gemeinsam ist die<br />

ätiologische Annahme, dass diese Störungen wesentlich in<br />

der Informationsverarbeitung begründet sind.<br />

26


Definition (II)<br />

• Der Leistungsstand in der gestörten schulischen Fertigkeit liegt<br />

deutlich unter dem Intelligenzniveau und ist nicht durch eine<br />

Intelligenzminderung erklärbar.<br />

• Die Entwicklungsstörung muss spätestens bis zum 5. Schuljahr in<br />

Erscheinung getreten sein, i.d.R. zeigt sich die Beeinträchtigung<br />

von Anfang der Schulzeit an.<br />

• Die Beeinträchtigung darf nicht direkt Folge mangelnder<br />

Lerngelegenheit sein, wie z.B. von Schulversäumnis,<br />

unqualifiziertem Unterricht oder häufigem Schulwechsel.<br />

• Unkorrigierte Seh- Seh oder Hörstörungen oder andere neurologische<br />

Erkrankungen erklären die Entwicklungsstörung nicht. nicht Auch handelt<br />

es sich nicht um den Verlust einer bereits erworbenen schulischen<br />

Fertigkeit.<br />

27


Definition (III)<br />

• Eine der schulischern Fertigkeiten wird mit „mangelhaft“ mangelhaft“ oder<br />

„ungenügend“ benotet bzw. sie erhält eine bei weniger als 3%<br />

der Schulkinder erwartete negative Bewertung.<br />

• In den Vorschuljahren sind meistens in den Bereichen Sprechen<br />

oder Sprache, seltener auch Motorik und Visuo-Motorik,<br />

<strong>Entwicklungsstörungen</strong> vorgekommen.<br />

• Es können als begleitende Probleme Unaufmerksamkeit,<br />

motorische Unruhe und psychische Störungen bestehen, die<br />

Störungen lassen sich auch durch vermehrte Hilfen nicht immer<br />

überwinden.<br />

28


Historischer Hintergrund<br />

• Ende der Alphabetisierung in Europa mit Ausgang des<br />

letzten Jahrhunderts<br />

• nahezu gleichzeitige Veröffentlichung von Kasuistiken<br />

über ein neuartiges Syndrom<br />

• 1896 Einführung der sog. Wortblindheit durch den<br />

englischen Augenchirurgen Pringel Morgan<br />

– <strong>Umschriebene</strong> Funktionsstörung des linken Gyrus angularis<br />

29


Lese- Lese und Rechtschreibstörung<br />

• <strong>Umschriebene</strong> Beeinträchtigung in der Entwicklung<br />

der Lesefertigkeiten und damit verbunden sehr häufig<br />

in der Rechtschreibung.<br />

• In der späteren Kindheit und im Erwachsenenalter ist<br />

regelhaft die Lesefähigkeit verbessert, die<br />

Rechtschreibproblematik das meist größere Defizit.<br />

30


Isolierte Rechtschreibstörung<br />

• Diagnostisches Merkmal ist die Entwicklungsstörung<br />

der Rechtschreibfertigkeit, ohne dass eine<br />

umschriebene Lesestörung in der Vorgeschichte<br />

nachzuweisen ist.<br />

31


Lese- Lese und Rechtschreibstörung (II)<br />

Die Lesestörung ist durch folgende Fehler gekennzeichnet:<br />

• Auslassen, Ersetzen, Verdrehen oder Hinzufügen von Worten<br />

oder Wortteilen<br />

• Niedrige Lesegeschwindigkeit<br />

• Startschwierigkeiten beim Vorlesen, langes Zögern oder<br />

Verlieren der Zeile im Text<br />

• Ungenaues Paraphrasieren<br />

• Vertauschen von Wörtern im Satz oder von Buchstaben in den<br />

Wörtern<br />

• Leseverständnis<br />

• Beeinträchtigung , Gelesenes wiederzugeben und aus dem<br />

Gelesenen Schlüsse zu ziehen oder Zusammenhänge daraus zu<br />

ersehen<br />

32


Lese- Lese und Rechtschreibstörung (III)<br />

Rechtschreibfehler:<br />

• Vom schulischen Entwicklungsstand des Kindes abhängig<br />

• Eine Fehlertypologie für umschriebene Rechtschreibstörung gibt<br />

es nicht<br />

Es finden sich folgende Fehler:<br />

• Reversionen (Verdrehungen von Buchstaben im Wort:p-q)<br />

• Auslassungen von Buchstaben oder Wortteilen<br />

• Einfügungen von falschen Buchstaben oder Wortteilen<br />

• Regelfehler ( z.b. Dehnungsfehler, Fehler in Groß- und<br />

Kleinschreibung) und „Wahrnehmungsfehler“ (d-t, g-k usw.<br />

werden verwechselt<br />

• Fehlerinkonstanz: ein und dasselbe Wort wird unterschiedlich<br />

fehlerhaft geschrieben<br />

33


Rechenstörung (I)<br />

• Umfasst Schwächen in den Grundrechenarten<br />

Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division.<br />

Weniger relevant sind die höheren mathematischen<br />

Fertigkeiten, die für Algebra, Trigonometrie,<br />

Geometrie sowie Differential- und Integralrechnung<br />

benötigt werden.<br />

34


Rechenstörung (II)<br />

• Zahlensemantik: (mehr-weniger, ein Vielfaches, Teil-<br />

Ganzes, vergleichen), Aufbau gegliederter Zahlenstrahloder<br />

Zahlenraumvorstellungen erschwert<br />

• Bereich der sprachlichen Zahlenverarbeitung (Ein-maleins)<br />

• Erwerb des arabischen Stellenwertsystems<br />

• Zahlen aus einer Kodierung in eine andere übertragen<br />

35


Rechenstörung (III)<br />

• Zählfertigkeiten<br />

• Transkodieren<br />

• Vergleiche<br />

• Perzeptive und kontextuelle Einschätzung von<br />

Mengen<br />

• Zuordnung zu analogen Repräsentationen<br />

• Kopfrechenaufgaben, Textaufgaben<br />

• Schriftliches Addieren, Subtrahieren,<br />

Multiplizieren und Dividieren<br />

36


Kombinierte Störung schulischer<br />

Fertigkeiten<br />

• Sowohl die Lese- und Rechtschreibfähigkeiten, als<br />

auch die Rechenfertigkeiten sind beeinträchtigt, ohne<br />

dass die <strong>Entwicklungsstörungen</strong> durch eine<br />

allgemeine Intelligenzminderung oder<br />

unangemessene Beschulung erklärbar sind.<br />

37


Untergruppen<br />

• Isolierte Rechtschreibstörung und kombinierte Störung<br />

schulischer Fertigkeiten lassen sich als Untergruppen der<br />

Lese- und Rechtschreibstörung verstehen<br />

• Im DSM IV gibt es als Subgruppe der Störung der<br />

Schriftsprachentwicklung die Störung schriftlichen<br />

Ausdrucks (Grammatik, Interpunktion, Rechtschreibfehler<br />

und graphomotorische Unzulänglichkeiten<br />

38


Einteilung unter therapeutischen Gesichtspunkten<br />

• Phonemfehler – Verstöße gegen die lautgetreue Schreibung<br />

(I)<br />

• Regelfehler – Verstöße gegen die regelhaften Abweichungen von der<br />

lautgetreuen Schreibung (Ableitungsfehler und Groß- und<br />

Kleinschreibung)<br />

• Speicherfehler, Merkfehler – Verstöße gegen die regelhaften<br />

Abweichungen, da es sich hierbei vorwiegend um Ausnahmen handelt<br />

• Restfehler<br />

• beim Diktat und spontanen Schreiben<br />

39


Einteilung unter therapeutischen Gesichtspunkten<br />

(II)<br />

• Abschreiben kann fehlerfrei sein<br />

• Aussprache ist meist korrekt<br />

• U.U. Kompensation bis in die 3. Klasse, wenn ungeübte<br />

Schriftsprachleistungen und Aufsätze gefordert werden<br />

• Im Vorschulalter Schwierigkeiten beim Aufsagen vom Alphabet,<br />

einfache Reime zu bilden und Laute zu unterscheiden<br />

40


Beeinträchtigung der Normalschulreife:<br />

Kombinationen sind häufig.<br />

Der körperliche Entwicklungsstand ist immer mit zu berücksichtigen<br />

berücksichtigen<br />

intellektuell<br />

emotional<br />

soziokulturell<br />

Oligophrenie (Debilität)<br />

Leistungshemmung (Pseudodebilität)<br />

Wahrnehmungs- und „Werkzeug“-störungen<br />

Spätentwickler (?)<br />

Entwicklungsasynchronie (-dysharmonie), konstitutionell<br />

und/oder reaktiv<br />

Infantiles organisches Psychosyndrom<br />

Infantilismus<br />

Isolation<br />

Migration (Fremdsprachigkeit)<br />

Zugehörigkeit zu benachteiligten Schichten und<br />

Randgruppen<br />

41


• Erworbene Dyslexie<br />

Ausschluss<br />

• Erworbene Leseverzögerung infolge emotionaler Störung<br />

• Lese-Rechtschreibschwierigkeiten und Rechenschwierigkeiten<br />

infolge eines unangemessenen Unterrichts<br />

• Erworbene Rechenstörung, erworbene Rechtschreibstörung<br />

• Neurologische Erkrankung<br />

• Sinnesfunktionsstörung<br />

42


<strong>Umschriebene</strong> <strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

- schulischer Fertigkeiten -<br />

• Definition und Symptomatik<br />

•Prävalenz<br />

• Störungsspezifische Diagnostik<br />

• Komorbidität<br />

•Ätiologie<br />

• Therapie und Behandlung<br />

•Verlauf<br />

43


Prävalenz (I)<br />

• Diagnostizierbarkeit einer umschriebenen Entwicklungsstörung erst<br />

zum Zeitpunkt des erwarteten Eintretens der betroffenen Funktionen,<br />

deswegen altersbezogen unterschiedliche Prävalenzraten.<br />

• Jungen sind generell häufiger betroffen als Mädchen. Die<br />

Prävalenzraten bezogen auf die einzelnen Funktionen sind:<br />

• Gesamthäufigkeit im Grundschulalter: 11% darin sind<br />

– Lese- und Rechtschreibstörung (abhängig von der Art der<br />

Muttersprache) 4%<br />

– isolierte Rechtschreibstörung vermutlich 2%<br />

– Rechenstörung < 1%<br />

44


F 80.0<br />

F80.1+F80.2<br />

F81.0+F81.1<br />

F81.2<br />

F82<br />

Gesamt<br />

3,2 %<br />

17,6%<br />

Prävalenz (II)<br />

(nach Esser u. Schmidt 1994)<br />

klinische Kriterien 1,5<br />

Standardabweichungen<br />

5,6%<br />

6,9%<br />

5,6%<br />

nicht erhoben<br />

DSM IV<br />

2-3%<br />

3-5%<br />

4-5%<br />

1%<br />

6%<br />

keine Angaben<br />

45


<strong>Umschriebene</strong> <strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

- schulischer Fertigkeiten -<br />

• Definition und Symptomatik<br />

•Prävalenz<br />

• Störungsspezifische Diagnostik<br />

• Komorbidität<br />

•Ätiologie<br />

• Therapie und Behandlung<br />

•Verlauf<br />

46


Untersuchungsverfahren<br />

•Anamnese<br />

• Beobachtung<br />

• Körperlich/neurologische Untersuchung<br />

• Neurophysiologie<br />

•Neuropsychologie<br />

• Bildgebende Verfahren<br />

• Genetik<br />

47


Diagnostik (I)<br />

• Symptomatik<br />

– Diskrepanz zwischen Schulnoten im betroffenen Bereich und<br />

den anderen Gebieten<br />

• Entwicklungsgeschichte<br />

– Vorschulische Entwicklung<br />

– Art, Qualität und Kontinuität des schulischen Unterrichts<br />

– Klassen-, Schulwechsel<br />

– Motivationsverlauf (normal motiviert – Enttäuschung)<br />

– Dauer der Hausaufgaben/Konflikte<br />

– Spezielle Förderung (außer- und innerschulisch)<br />

– Bestrafungen/Hänseleien<br />

– Begleitstörungen und kompensatorische Begabungen<br />

– Leistungserwartungen und Zielsetzungen<br />

50


Diagnostik (II)<br />

• Apparative- Labor- und Testdiagnostik<br />

• Leseprüfung<br />

• Rechtschreibprüfung<br />

• Buchstabenlesen<br />

• Buchstabendiktat<br />

• Abschreiben von Wörtern und Texten<br />

• Zahlenlesen<br />

• Intelligenzdiagnostik<br />

• Sprachentwicklungsdiagnostik<br />

• Diagnostik weiterer Teilleistungsbereiche<br />

• internistische und neurologische Untersuchung<br />

• Augen-/Ohrenuntersuchung<br />

51


Diagnostik (III)<br />

• Zur Feststellung einer Entwicklungsverzögerung ist<br />

ein Intelligenzquotient >70 vorauszusetzen<br />

• Diskrepanzannahme: Diskrepanzannahme Eine Diskrepanz zu der<br />

allgemeinen intellektuellen Begabung ist aufzuzeigen:<br />

mindestens 1,5 Standardabweichungen zwischen IQ-<br />

Wert und dem verzögerten Gebiet (Forschung 2<br />

Standardabweichungen)<br />

• In den spezifischen Tests Prozentzrang


<strong>Umschriebene</strong> <strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

- schulischer Fertigkeiten -<br />

• Definition und Symptomatik<br />

•Prävalenz<br />

• Störungsspezifische Diagnostik<br />

• Komorbidität<br />

•Ätiologie<br />

• Therapie und Behandlung<br />

•Verlauf<br />

53


Komorbidität<br />

• Anpassungsstörungen mit Angst und Depression<br />

• Schulangst<br />

• Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung<br />

• Störungen des Sozialverhaltens<br />

• Jugenddelinquenz (25% vs. 5,3%<br />

Teilleisuntungsschwache Jugendliche vs. Nicht<br />

teilleistungsschwache Jugendliche Esser u. Schmidt 1994)<br />

• Vermehrter Nikotin- und Alkoholabusus<br />

54


<strong>Umschriebene</strong> <strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

- schulischer Fertigkeiten -<br />

• Definition und Symptomatik<br />

•Prävalenz<br />

• Störungsspezifische Diagnostik<br />

• Komorbidität<br />

•Ätiologie<br />

• Therapie und Behandlung<br />

•Verlauf<br />

55


Entwicklungsbiologisches Verständnis der<br />

Anatomischer Aspekt<br />

Histologischer Aspekt<br />

Neurometabolik<br />

Neurophysiologie<br />

Neuropsychologie<br />

Teilleistungsstörungen<br />

Morphologie<br />

Entwicklungsphysiologie<br />

Entwicklungspsychologie<br />

Strukturelle Ebene<br />

Funktionelle Ebene<br />

56


Genese LRS (I)<br />

• erhöhte Konkordanzraten bei Eineiigen Zwillingen und<br />

familiäre Häufungen → Hauptursache: genetische Faktoren<br />

• psychosoziale Faktoren (CAVE Kovarianz Genetik)<br />

→Vulnerabilit Vulnerabilitätsmodell tsmodell:<br />

– genetisch bedingte Informationsverarbeitungsdefizite<br />

– bei schwerer Ausprägung auch bei guter Förderung klinisch<br />

relevant<br />

– bei mittlerer oder leichter Ausprägung spielen Lernbedingungen<br />

größere Rolle (Förderung + familiäres Klima)<br />

57


Genese LRS (II)<br />

• fraglich prä- und peripartale Schäden, nur bei der Definition als<br />

allgemeiner Entwicklungsrückstand, nicht bei umschriebenen<br />

<strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

• frühe Mutter-Kind-Interaktion: weniger Stimulation und supportive<br />

Steuerung im Alter von zwei Jahren → häufiger LRS<br />

• Zusammenhang zwischen LRS und Dissozialität: Pfadanalyse von<br />

Esser 1994: beide hängen von psychosozialen Faktoren ab<br />

• eher die akustische Informationsverarbeitung, die wirklich Einfluss<br />

nimmt, die visuelle ist nur beim Lesen nachzuweisen<br />

58


Genese LRS (III)<br />

• Anatomisch: fehlende Hemisphärenasymmetrie in der parietookzipitalen<br />

Region bei Dyslektikern, bei Normalen ist die Region<br />

linkshemisphärisch größer als rechts<br />

• fehlende Asymmetrie des Planum temporale (Reifungsverzögerung ?<br />

Marx 1983)<br />

• interhemisphärische Übertragung bei Dyslektikern langsamer als bei<br />

Normalen<br />

• linksparietal reduzierte Amplituden bei ereigniskorrelierten Potenzialen<br />

• Ursache oder Folge?<br />

59


<strong>Umschriebene</strong> <strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

- schulischer Fertigkeiten -<br />

• Definition und Symptomatik<br />

•Prävalenz<br />

• Störungsspezifische Diagnostik<br />

• Komorbidität<br />

•Ätiologie<br />

• Therapie und Behandlung<br />

•Verlauf<br />

60


Interventionen (I)<br />

• Ambulante Therapie, wenn die<br />

innerschulischen Fördermöglichkeiten<br />

ausgeschöpft sind und wenn<br />

– Generalisierung auf andere Schulleistungsbereiche<br />

droht<br />

– begabungsadäquate Eingliederung gefährdet ist<br />

– psychische Begleitstörungen manifest sind<br />

61


Interventionen (II)<br />

• teilstationär bei Komorbidität oder Ausschulung:<br />

Beschulung im Rahmen der Tagesklinik und<br />

psychotherapeutische bzw. pharmakotherapeutische<br />

Behandlung der komorbiden Störungen<br />

• stationär bei schwerer Beeinträchtigung der<br />

schulischen Fertigkeiten und zusätzlichen<br />

Begleitstörungen von Krankheitswert oder nicht<br />

hinreichenden familiären Ressourcen<br />

62


<strong>Umschriebene</strong> <strong>Entwicklungsstörungen</strong><br />

- schulischer Fertigkeiten -<br />

• Definition und Symptomatik<br />

•Prävalenz<br />

• Störungsspezifische Diagnostik<br />

• Komorbidität<br />

•Ätiologie<br />

• Therapie und Behandlung<br />

•Verlauf<br />

63


Verlauf LRS<br />

(Esser u. Schmidt 1994)<br />

• nur 3% wechseln nach der Grundschule auf das<br />

Gymnasium<br />

• 25% Realschule<br />

• >50% Hauptschule<br />

• 1/6 Förderschule<br />

• Schulerfolg entspricht im Gesamtniveau dem von<br />

minderbegabten Kindern (IQ-Bereich 10-85)<br />

• erhöhte Jugendarbeitslosigkeit (12% vs. 4%)<br />

• ohne spezifische Therapie keine Verbesserung der<br />

Leistungen<br />

64


Verlauf bei Kindern mit<br />

Rechenstörungen<br />

• Langzeitverlauf bei Kindern mit Rechenstörungen<br />

nicht bekannt<br />

• eher vermehrt emotionale Störungen (Angst,<br />

Depression, Kontaktstörung)<br />

• Meist Diagnostik erst in der frühen oder mittleren<br />

Adoleszenz, eine frühe Identifikation ist jedoch für<br />

eine erfolgreiche Behandlung erforderlich<br />

65


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