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3. Wirkfaktoren

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Suchttherapie –was wirkt?<br />

Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V.<br />

97. Wissenschaftliche Jahrestagung: Therapie als Bausatz –was macht die Teile<br />

zum Ganzen?<br />

Berlin, 2<strong>3.</strong>‐24. März 2011<br />

Gerhard Bühringer, Barbara Braun<br />

Institut für<br />

Therapieforschung<br />

München<br />

Institut für Klinische<br />

Psychologie und<br />

Psychotherapie


Suchttherapie –was wirkt?<br />

1. Ein kurzer Blick in die Geschichte<br />

2. Der heutige Stand<br />

<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

4. Das Zuordnungsproblem<br />

5. Leitlinien<br />

6. Ausblick: aktuelle Forschung<br />

7. Schlussfolgerungen<br />

2


1. Ein kurzer Blick in die Geschichte<br />

Am Beispiel Alkohol<br />

• Alkohol wird seit früher<br />

Menschheitsgeschichte<br />

konsumiert<br />

• Antike: Alltagstrunkenheit als<br />

Untugend, aber bei Gelagen<br />

Rauschzustand erwünscht<br />

• Mittelalter: Alkohol als Nahrungs‐<br />

und Rauschmittel, regelmäßiger<br />

exzessiver Konsum völlig normal<br />

• Jedem deutschen Kaiser wurde vor der Krönung in Rom die Frage gestellt:<br />

„Willst du mit Gottes Hülfe dich nüchtern halten?<br />

• Erste Bestrebungen, Trinken bis zum Vollrausch einzudämmen, z.B.<br />

Verbote gegen den Trinkzwang bei Gesellschaften durch Karl der Großen<br />

erfolglos<br />

Quellen: Singer & Teyssen: Alkoholismus und Alkoholfolgeerkrankungen; Lindenmeyer, 2004: Stationäre Verhaltenstherapie bei<br />

Alkoholabhängigkeit (S. 74 ‐ 83); http://www.alkoholgeschichte.de/, www.wikipedia.de Trinkkultur in Europa<br />

3


1. Ein kurzer Blick in die Geschichte<br />

1.1 Frühe Interventionsmodelle<br />

(1) Problemkonsum verbieten<br />

Verordnungen, Schließen von Trinkstuben, Verbot von Trinkduellen (Zutrinken); Friedrich I. von<br />

Preußen, 1711: Allgemeines Edict wegen der Abstellung des Voll‐Sauffens<br />

erfolglos<br />

(2) Mäßigungsappelle<br />

Vereinigungen für Adelige zur Mäßigkeit beim Trinken (z.B. Temperenzorden)<br />

hielten sich meist nicht lange<br />

(3) Verkaufseinschränkungen<br />

Gin‐Epidemie in England, 18. Jh.<br />

"Betrunken für einen Penny. Sinnlos betrunken für zwei. Strohhalm gratis“<br />

Maßnahmen: kein Hersteller‐Vertrieb an Verbraucher und Kleinhändler, Lizenzerteilung gebunden,<br />

Schulden von über 20 Schillingen für Spirituosen durften nicht mehr eingetrieben werden<br />

(4) Zugang verhindern<br />

Wegschließen der der „vom Saufteufel befallenen” Trunksüchtiger in Asyle<br />

Wenig hilfreich<br />

(5) Alternative Lebensumgebung<br />

Abhängigkeitsbegriff erst Mitte / Ende des 19. Jahrhunderts: Einrichtung von Trinkerheilstätten<br />

Ziel der Abstinenz durch Abgeschiedenheit, Andacht und Arbeit<br />

(6) Sterilisation<br />

Drittes Reich: „Alkoholkranke“ wurden im Rahmen des „Gesetztes zur Verhütung von erbkranken<br />

Nachwuchs“ unfruchtbar gemacht (ca. 30.0000)<br />

Ausrottung<br />

4


1. Ein kurzer Blick in die Geschichte<br />

1.2 Interventionsmodelle in der Neuzeit<br />

Entwicklung im 20.Jh. (van den Brink, 2003):<br />

• Moralisches Modell: Suchtverhalten Ausdruck moralischer Schwäche und<br />

antisozialen Lebenswandels<br />

Heimunterbringung mit alkoholfreier Umgebung<br />

• Pharmakologisches Modell: Suchtverhalten durch gefährliche Substanz<br />

totale Abstinenz als Therapieziel<br />

• Symptomatisches Modell: Sucht als Symptom einer zugrunde liegenden<br />

Charakterneurose oder Persönlichkeitsstörung<br />

Tiefenpsychologie<br />

• Krankheits‐ / medizinisches Modell: Suchtverhalten rein organisch bedingt<br />

Pharmakotherapie und Abstinenzkontrolle<br />

• Meilenstein Edwards & Gross (1976): Abhängigkeitssyndrom<br />

• Biopsychosoziales Modell: persönliche Vulnernabilität, Lernerfahrungen und<br />

soziale Umstände bedingen Problemkonsum<br />

komplexe Behandlungsprogramme<br />

5


2. Der heutige Stand<br />

2.1 Vulnerabilitäts‐Stressmodell: Störungsentwicklung<br />

Kumulative<br />

Risiken für Beginn<br />

von SUD<br />

Erstkonsum/<br />

experimentell<br />

Faktoren,<br />

die den Erstkonsum<br />

beeinflussen<br />

Vulnerabilität (angeboren oder erworben)<br />

• Familiengenetische Faktoren<br />

• Neurobiologische Faktoren<br />

• perinatale Faktoren<br />

• Temperament, Persönlichkeit<br />

• Frühkindliche Erfahrungen<br />

• Ungünstige soziale Bedingungen<br />

Regelmäßiger<br />

Konsum<br />

Quelle: Bühringer et al., 2008 (modifiziert nach Wittchen et al., 1999)<br />

Abhängiger Konsum<br />

Faktoren, die den Verlauf beeinflussen<br />

spätere / proximale Risikofaktoren<br />

• Psychopathologie<br />

• Familiäres Klima<br />

• Selbstachtung/ Selbstwirksamkeit/ Selbstkontrolle<br />

• Kogn./ neuropsychologische Funktionen<br />

• Lebensereignisse und ungünstige soz. Bedingungen<br />

• Verfügbarkeit / Mehrfachkonsum<br />

• Soziale Unterstützung/ peer group<br />

Verlauf<br />

Progression in<br />

erhöhten Konsums,<br />

Missbrauch,<br />

Abhängigkeit,<br />

Polysubstanzgebrauch<br />

ständiger Gebrauch<br />

fluktuierender<br />

Gebrauch<br />

Remission<br />

Alter<br />

Beispiele für<br />

Vulnerabilitätsund<br />

Risikofaktoren<br />

6


2. Der heutige Stand<br />

2.2 Vulnerabilitäts‐Stressmodell: Reduktion, Remission und Rückfall<br />

kumulative<br />

Risiken für Beginn<br />

von SUD<br />

Patient- und Störungsfaktoren<br />

• Schwere der Sucht<br />

• Komorbiditäten<br />

• Kognitive Kontrolleinschränkungen<br />

• Veränderungsrepertoire<br />

• Veränderungsabsicht<br />

Faktoren,<br />

die die Reduktion<br />

beeinflussen<br />

Soziale Kontextfaktoren<br />

• Familiäre<br />

Unterstützung<br />

• Soziale Kontrolle<br />

• Selbsthilfegruppen<br />

Quelle: Bühringer et al., 2008 (modifiziert nach Wittchen et al., 1999)<br />

Faktoren, die die Remission oder Rückfall<br />

beeinflussen<br />

Therapiebezogen<br />

• Selbstwirksamkeit<br />

• Bewältigungsfähigkeiten<br />

• Allgemeine<br />

Faktoren<br />

(z.B. Problemaktivierung)<br />

Therapiefaktoren<br />

ständiger Gebrauch<br />

fluktuierender<br />

Gebrauch<br />

Remission<br />

Kontextbezogen<br />

• Patient-Therapeut-<br />

Interaktion<br />

• Akzeptanz<br />

negativer<br />

Auswirkungen des<br />

Substanzgebrauchs<br />

• Qualität sozialer<br />

Beziehungen<br />

Alter<br />

Beispiele für<br />

Veränderungsfaktoren<br />

7


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>1. Überblick<br />

Fazit: Interventionen wirken, allerdings<br />

(1) Unterschiedliche Interventionen zeigen ähnliche Ergebnisse (z.B. Miller & Wilbourne, 2002)<br />

(2) Kein Dosis‐Wirkungs‐Zusammenhang zwischen Intervention und Ergebnis (z.B. Moyer et al.,<br />

2001)<br />

(3) Keine Effekte der „zielgerichteten Interventionen“, d.h. nach Patient‐ oder Störungsprofil<br />

(z.B. Project MATCH)<br />

(4) Spontane Remission ohne formale Behandlung (z.B. Bischof et al., 2005)<br />

(5) Neben Interventionen wirken auch andere Faktoren<br />

Patientenmerkmale<br />

Störungsmerkmale<br />

Therapiemerkmale<br />

Therapiekontext‐<br />

merkmale<br />

Soziale Umgebungs‐<br />

merkmale<br />

8


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>2 Störungsmerkmale<br />

Patienten‐<br />

merkmale<br />

Störungsmerkmale<br />

Therapiekontext‐<br />

merkmale<br />

Therapie‐<br />

•merkmale Schwere der Erkrankung<br />

• Komorbiditäten Soziale<br />

• Erkrankungsbeginn<br />

Umgebungs‐<br />

merkmale<br />

9


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>2 Störungsmerkmale<br />

(1) Überblick zu Patientenfaktoren, die das Behandlungsergebnis von<br />

Alkoholabhängigen beeinflussen (Adamson et al., 2009)<br />

• ursprünglicher Alkoholkonsum und Abhängigkeitsschwere<br />

(2) Remission nach 3 Jahren (Moos & Moos, 2006) bei<br />

• geringerem Alkoholkonsum und weniger trinkbezogenen Problemen<br />

10


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>3 Patientenmerkmale<br />

Patientenmerkmale<br />

Störungs‐<br />

merkmale<br />

• Alkoholerwartungen<br />

• Wirksamkeitserwartungen an die<br />

Therapie<br />

Therapiekontext‐<br />

• Selbstwirksamkeitserwartungen merkmale<br />

• Veränderungsbereitschaft<br />

• Temperament<br />

Therapie‐<br />

• Alter merkmale<br />

• Geschlecht<br />

Soziale<br />

• Sozioökonomischer Status Umgebungs‐ etc.<br />

merkmale<br />

11


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>3 Patientenmerkmale<br />

(1) Selbstwirksamkeitserwartung und Bewältigungsfähigkeiten<br />

Abstinenz (egal ob nach MET/CBT, Kontingenzmangagement oder<br />

Kombination; Litt et al., 2008)<br />

(2) Selbstwirksamkeit und weniger vermeidende Bewältigungsstrategien<br />

Remission nach 3 Jahren (Moos & Moos, 2006)<br />

(3) Alkoholerwartungen und Selbstwirksamkeit in Bezug auf das “Nein‐Sagen”<br />

konsumierte Alkoholmenge (Oei & Burrow, 2000)<br />

Fazit: Erhöhung von Selbstwirksamkeitserwartungen während Therapie ist<br />

notwendig zur Verringerung der Rückfallwahrscheinlichkeit (Brown et al., 1998;<br />

Goldbeck et al., 1997)<br />

(4) Wichtige patientenbezogene Merkmale für Behandlungsergebnis (Adamson et al.,<br />

2009):<br />

Arbeitsstand, Geschlecht, allgemeine Psychopathologie, Vorbehandlung,<br />

neuropsychologisches Funktionsniveau, alkoholbezogene Selbstwirksamkeit,<br />

Motivation, sozioökonomischer Status/Einkommen, Behandlungsziel, Religion<br />

12


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>3 Patientenmerkmale<br />

(1) Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger (2006): bereits<br />

vor Behandlungsbeginn Verbesserung<br />

Gesundheitszustand Entzugssymptome<br />

Entscheidung zur Therapie bringt Veränderung<br />

Nutzung dieses Effekts (z.B. Beratung und Therapie optimal vorbereiten.<br />

Manfred Prior. Carl‐Auer‐Verlag, 2008)<br />

(2) „Selbstbeobachtungseffekt“ durch Tagebuchführung / Protokollierung<br />

erhöhtes Selbstmonitoring und Selbstregulation (z.B. Finnell & Ditz, 2007)<br />

13


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>4 Soziale Umgebungsmerkmale<br />

Patienten‐<br />

merkmale<br />

• Aufrechterhaltende<br />

soziale Bedingungen Therapie‐<br />

• Druck von außen merkmale<br />

• soziales Netzwerk<br />

Störungs‐<br />

• Soziale Norm<br />

merkmale<br />

• Lebensereignisse<br />

Therapiekontext‐<br />

merkmale<br />

Soziale<br />

Umgebungsmerkmale<br />

14


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>4 Soziale und Umgebungsmerkmale<br />

(1) Soziale Ressourcen: stabile Partnerschaft, Zufriedenheit mit Arbeit und<br />

Finanzen (Bischof et al., 2001)<br />

(2) Soziale Normen (Cimini et al., 2009, Hunter & Mazurek, 2004)<br />

(3) Lebensereignisse: Heirat, Geburt eines Kindes, Schulbeendigung (Dawson<br />

et al., 2006)<br />

Aufsuchen von Behandlung, Veränderung von Suchtverhalten und<br />

Aufrechterhalten von verändertem Verhalten<br />

(4) Zum Aufhören wichtig: Gesundheitsbedenken, Druck durch Freunde und<br />

Familie und außergewöhnliche Ereignisse<br />

Zum Trockenbleiben wichtig: Unterstützung durch soziales Netzwerk,<br />

abstinente Freunde, Willensstärke und verändertes Selbstbild<br />

(Walters, 2000)<br />

Community Reinforcement Approach<br />

15


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>5 Therapiekontextmerkmale<br />

Patienten‐<br />

merkmale • Patient‐Therapeut‐Interaktion<br />

• Therapeutenmerkmale<br />

• Einrichtungscharakteristika<br />

Therapie‐<br />

merkmale<br />

Störungs‐<br />

merkmale<br />

Therapiekontext<br />

-merkmale<br />

Soziale<br />

Umgebungs‐<br />

merkmale<br />

16


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>5 Therapiekontextmerkmale<br />

(1) Behandlungsprogramm und Patientenvariablen<br />

Zusammenhang zwischen therapeutischer Allianz und Alkohol‐ und Drogenkonsum (Crits‐<br />

Christoph, 2011)<br />

(2) Innovationsbereitschaft von Therapeuten (McGovern et al., 2004):<br />

12‐Punkt‐Programme, CBT, MI,<br />

Rückfallprävention<br />

Hoch Gering<br />

Kontingenzmanagement, Paartherapie<br />

(VT), Pharmakotherapie<br />

(3) Einstellungen des Personals (Trainingsnotwendigkeit)<br />

Urteile über Trainingsqualität, Fortschritt bei Innovationen<br />

Klima in der Einrichtung (Zielklarheit, Kohäsion, Veränderungsoffenheit)<br />

Innovationsprozess (Simpson et al., 2007)<br />

(4) Therapeutencharakteristika<br />

• Interpersonelle Kompetenzen fördern Effektivität<br />

unabhängig vom professionellen Hintergrund und von Patientenfaktoren zu<br />

Therapiebeginn (Najavits & Weiss, 1994)<br />

• Patientenmotivation zu Stundenbeginn beeinflusst therapeutische Adhärenz und<br />

Kompetenz (MET, Imel et al., 2011)<br />

17


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>6 Therapiemerkmale<br />

Patienten‐<br />

merkmale<br />

Störungs‐<br />

merkmale<br />

Therapiemerkmale<br />

• Therapiekontext‐<br />

Interventionen<br />

merkmale<br />

Soziale<br />

Umgebungs‐<br />

merkmale<br />

18


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>6 Therapiemerkmale<br />

(1) Professionelle Interventionen<br />

Mesa Grande (Metaanalyse, N= 361 Studien; Miller & Wilbourne, 2002)<br />

Wirksam Eher unwirksam Keine positive Evidenz<br />

• Kurzinterventionen<br />

• Soziale Kompetenzen<br />

• Gemeindeverstärkungs‐<br />

ansatz<br />

• MET<br />

• Verhaltenskontrakte<br />

• Ehetherapie (VT)<br />

• Case Management<br />

• Pharmakotherapie<br />

(Opiatantagonisten,<br />

Acamprosat)<br />

• Mileutherapie<br />

• AA<br />

• Standardbehandlung<br />

• Entspannung<br />

• Psychotherapie allgemein<br />

• Generelle Alkohol‐<br />

beratung<br />

• Antidepressiva (nicht SSRI)<br />

• Konfrontierende Beratung /<br />

Schockieren<br />

• Erziehende Verfahren<br />

(Vorlesungen, Filme,<br />

Gruppen) zur<br />

Einsichtsförderung<br />

• Video‐Selbstkonfrontation<br />

19


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>6 Therapiemerkmale<br />

(2) Selbsthilfe<br />

• Wirksam: Förderung von Selbstwirksamkeit, Bewältigungsfähigkeit und<br />

Motivation , Aufbau von adaptiven sozialen Netzwerken<br />

wenig positive Evidenz für spezifische AA‐Interventionen (Kelly et al.,<br />

2009)<br />

• Behandlung plus Selbsthilfegruppe erhöht Wahrscheinlichkeit einer<br />

dauerhaften Remission im Gegensatz zu alleiniger Behandlung (Moos &<br />

Moos, 2005)<br />

20


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>6 Therapiemerkmale<br />

(3) Zusammenfassung verschiedener Überblicksarbeiten (Rist, 2008)<br />

Gemeinsamkeiten positiv evaluierter Verfahren<br />

• Eigener Beitrag der Patienten, Konsum zu reduzieren bzw. aufzugeben<br />

Self management skills, Ermutigung zur Nutzung eigener Möglichkeiten<br />

• Motivation zur Veränderung<br />

Intrinsische Motivationsförderung, Verhaltenskontrakt, soziale<br />

Kontingenzsetzung<br />

• Soziale Unterstützung<br />

Verbesserung der Beziehungen zu Bezugspersonen<br />

Gemeinsamkeiten der negativ evaluierten Verfahren<br />

• Erziehen, Konfrontation, Einsicht fördern, Entspannen, forcierter<br />

Selbsthilfegruppenbesuch, unspezifische Beratung, allgemeine<br />

Unterstützung<br />

Quellen: Miller & Wilbourne, 2002; Berglund et al., 2003 (Evidenzbasiertes Review, N= 27); Chambless & Ollendick, 2001 (Zusammenfassung mehrere<br />

Übersichtsarbeiten)<br />

21


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>6 Therapiemerkmale<br />

(4) <strong>Wirkfaktoren</strong> der Psychotherapie nach Grawe (2005)<br />

Intervention Wirkfaktor<br />

Bewusstsein von Ursprüngen, Hintergründen und<br />

aufrechterhaltenden Faktoren<br />

Intensives Erzählen, Imaginationsübungen,<br />

Rollenspiele<br />

Motivationsaufbau, Stärkung der<br />

Selbstwirksamkeitserwartung, Aufbau sozialer<br />

Unterstützung / familientherapeutische<br />

Interventionen<br />

Aufbau von Bewältigungsstrategien, sozialen<br />

Kompetenzen und Selbstmanagementfähigkeiten<br />

Trägt zu einem besseren oder schlechteren<br />

Therapieergebnis bei; wohl besonders wichtig bei<br />

wenig motivierten Patienten (Ilgen et al., 2006)<br />

Motivationale Klärung<br />

Problemaktualisierung<br />

Ressourcenaktivierung<br />

Problembewältigung<br />

Therapeutische Beziehung<br />

22


<strong>3.</strong> <strong>Wirkfaktoren</strong><br />

<strong>3.</strong>6 Therapiemerkmale<br />

(5) Exkurs: Motivierende Gesprächsführung (MG)<br />

(1) gute Fertigkeiten in MG besonders wichtig bei Patienten mit wenig<br />

Veränderungsfähigkeiten;<br />

wichtiger ist das Vermeiden von nicht MG‐konformen Aussagen als häufige<br />

Anwendung von MG (Gaume et al., 2009)<br />

(2) Auf Patientenseite wichtig: Change talk / Absichtsäußerung und<br />

Diskrepanzerfahrung<br />

Auf Therapeutenseite wichtig: kein der motivierenden Gesprächsführung<br />

widersprechendes Verhalten<br />

Beste spezifische Technik zum Motivationsaufbau: Entscheidungsbalance<br />

(Apodaca & Longabaugh, 2009)<br />

(3) Global hilfreich: Kollaboration, Gleichheit, Empathie<br />

speziell: Bestärken, offene Fragen, Reflektieren, Zusammenfassen<br />

nicht empfehlenswert: Konfrontation (Boardman et al., 2006)<br />

Um motivierende Gesprächsführung anzuwenden, sollte man es gut können –<br />

weniger ist im Zweifel mehr!<br />

23


4. Allokationsproblem<br />

(1) Behandlungszuordnung<br />

• Nicht „eine Behandlung für alle“, sondern<br />

differentielle Indikation notwendig<br />

• Aber: MATCH –Projekt, um passende<br />

Interventionen verschiedenen<br />

Patientengruppen zuzuweisen<br />

keine positiven Ergebnisse; allerdings<br />

methodische Schwächen!<br />

(2) Zuordnung des Therapieziels<br />

• Bsp.: kontrolliertes Trinken vs. Abstinenz (Bühringer, 2008)<br />

• kontrolliertes Trinken bei einem Teil der Patienten möglich<br />

• Aber: kaum Indikationskriterien!<br />

Erprobung bei guten Rahmenbedingungen<br />

Wissen um Veränderungsprozesse im<br />

Therapieverlauf<br />

Diagnostik veränderungsrelevanter<br />

Variablen<br />

Differentielle Indikationsstellung<br />

Zuordnung geeigneter Interventionen<br />

Prüfung des Therapieergebnisses<br />

24


5. Leitlinien<br />

(1) Beispiele<br />

• AWMF‐Leitlinen (Schmidt, Gastpar et al., 2006)<br />

• Manualisierte Therapien<br />

− Raucherentwöhnung<br />

− Cannabiskonsum (CANDIS)<br />

− Qualifizierte Entzugsbehandlung<br />

• Qualitätsmerkmale der KTL<br />

(2) Herausforderungen<br />

• Anpassung evidenzbasierter Leitlinien / Merkmale an den konkreten Einzelfall und die<br />

konkrete Situation<br />

− Patient<br />

− Störung<br />

− Therapeut<br />

− Therapeutische Umgebung<br />

Bisher kein systematischer Ansatz für diesen Anpassungsprozess<br />

Aufgabe für Fallbesprechung und Supervision!<br />

25


6. Ausblick: aktuelle Forschung<br />

6.1 Zielsetzung<br />

(1) Präzisere Erfassung der spezifischen Merkmale von Substanzstörung<br />

einschließlich individueller Variationen<br />

(2) Prüfung der spezifischen Beeinflussbarkeit einzelner Merkmale von<br />

Substanzstörungen<br />

(3) Erprobung in Therapiestudien<br />

26


6. Ausblick: aktuelle Forschung<br />

6.2 Beispiel<br />

Addiction: Vulnerabilities in the decision process (Redish et al., 2008)<br />

27


7. Schlussfolgerungen<br />

(1) Therapeutische Variablen haben Einfluss, d.h.: Interventionen wirken!<br />

(2) Aber: auch viele andere Faktoren haben erheblichen Einfluss auf das<br />

Therapieergebnis<br />

(3) Auch diese Faktoren sind über therapeutische Techniken (zumindest<br />

teilweise) zugänglich<br />

(4) Das Zuordnungsproblem erfordert mehr Wissen um<br />

Veränderungsprozesse<br />

(5) Die Herausforderung der evidenzbasierten Suchtmedizin ist die<br />

Anpassung von Leitlinien an den Einzelfall<br />

(6) Aktuelle Forschungsthemen können differenzierte Aufschlüsse über neue<br />

Ansatzpunkte in der Suchtbehandlung geben<br />

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