Was ist ein Trauma? - Fachklinik Furth im Wald
Was ist ein Trauma? - Fachklinik Furth im Wald
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<strong>Trauma</strong> und Sucht –<br />
Möglichkeiten und Grenzen<br />
der <strong>Trauma</strong>behandlung<br />
in der<br />
stationären Suchttherapie<br />
Vortrag <strong>im</strong> Rahmen des Arbeitstreffens der Selbsthilfegruppen<br />
am 23.03.2013<br />
Dipl.-Psych. Brigitte Ranner<br />
Psychologische Psychotherapeutin<br />
Leitende Psychologin<br />
<strong>Trauma</strong>therapeutin (DeGPT)
<strong>Was</strong> bedeutet <strong>Trauma</strong>?<br />
Der Begriff <strong>Trauma</strong> stammt aus dem altgriechischen und bedeutet Wunde /<br />
Verletzung.<br />
Unter <strong>Trauma</strong>ta versteht man „kurz- oder langanhaltende Ereignisse oder<br />
Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die<br />
nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde“ (ICD-10:<br />
Weltgesundheitsorganisation, 1994).<br />
Wann <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e Erfahrung traumatisch?<br />
Ein Mensch gerät in <strong>ein</strong>e Situation (Opfer oder Zeuge) die als extrem bedrohlich<br />
– oft lebensbedrohlich – erlebt wird und die es tatsächlich auch <strong>ist</strong>.<br />
Das zentrale Gefühl des Erlebens <strong>ist</strong> massive Angst.<br />
Die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten reichen nicht aus, um die<br />
Situation zu verarbeiten. Weder Kampf noch Flucht sind möglich.<br />
Es folgen Kontrollverlust, Hilflosigkeit und Ohnmacht.<br />
Folge: „dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis“ (nach G.<br />
Fischer)
<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> <strong>Trauma</strong>?<br />
Naturkatastrophen (z.B. Erdbeben, Tornado, Überschwemmung,<br />
Feuer, Tsunami)<br />
Krieg, Vertreibung, Folter<br />
politische Inhaftierung<br />
Kr<strong>im</strong>inelle Handlungen, Gewaltverbrechen (Raubüberfälle,<br />
Kidnapping, Mord)<br />
Unfälle (Verkehrsunfälle; Zug-, Flugzeug-, Schiffsunglücke; Absturz<br />
be<strong>im</strong> Bergsteigen…)<br />
Invasive medizinische Eingriffe (Intensivstation)<br />
Schwere Krankheiten<br />
Gewalt<br />
Sexualisierte Gewalt<br />
Schwere Vernachlässigung in der Kindheit – körperlich, psychisch,<br />
emotional<br />
Plötzliche Verluste vertrauter Menschen und sozialer Sicherheit (z.B.<br />
Verlust <strong>ein</strong>er Bindungsperson als Kind; unerwarteter Verlust <strong>ein</strong>es<br />
Menschen)<br />
Konfrontation mit <strong>Trauma</strong>folgen als Helfer (z.B. Poliz<strong>ist</strong>en,<br />
Feuerwehrleute, Ärzte)<br />
Zusammenleben als Kind mit traumatisierten Eltern (Holocaust-<br />
Opfer oder Kriegsopfer, Opfer sexualisierter Gewalt)<br />
(nach L. Reddemann)
Häufigkeit von <strong>Trauma</strong>erfahrungen<br />
Die Lebenszeit-Prävalenz, also die Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit, <strong>im</strong> Lauf s<strong>ein</strong>es<br />
Lebens <strong>ein</strong>em traumatischen Erlebnis ausgesetzt zu s<strong>ein</strong>, liegt bei ca. 40<br />
%. Etwa <strong>ein</strong> Viertel der Betroffenen entwickelt <strong>ein</strong>e Posttraumatische<br />
Belastungsstörung, bei Vergewaltigungsopfern liegt die<br />
Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit bei 80 % (Breslau et.al., 1991). (Untersuchung an<br />
jungen Erwachsenen)<br />
Einer anderen Untersuchung zufolge erlebt bis zu 75 % der Bevölkerung<br />
<strong>im</strong> Laufe ihres Lebens <strong>ein</strong> <strong>Trauma</strong>, <strong>ein</strong> Viertel der Betroffenen entwickelt<br />
<strong>ein</strong>e <strong>Trauma</strong>folgeerkrankung (nach Reddemann et al., 2004).<br />
Wichtig: nicht jede Belastung <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> <strong>Trauma</strong>!<br />
Eine Kränkung, <strong>ein</strong> Ärger bspw. <strong>ist</strong> k<strong>ein</strong> <strong>Trauma</strong>. Ein <strong>Trauma</strong> hat für die Seele<br />
katastrophale Ausmaße!
Welche <strong>Trauma</strong>folgestörungen können entwickelt werden?<br />
Akute Belastungsreaktion<br />
(klingt i.d.R. innerhalb von Stunden oder Tagen ab)<br />
Posttraumatische Belastungsstörung<br />
(Verlauf über Monate bis Jahre)<br />
Überflutung (Intrusionen / Wiedererleben / Albträume)<br />
Vermeidung von Triggern (Aktivitäten, Situationen, Hinweisreizen), die<br />
die Erinnerung an das ursprüngliche <strong>Trauma</strong> auslösen könnten<br />
Andauerndes Gefühl von Betäubts<strong>ein</strong><br />
Übererregtheit (Hyperarousal) und Angst<br />
Ggf. dissoziative Zustände<br />
Anhaltende Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung<br />
(Folgen chronifizieren und bestehen noch Jahrzehnte nach der<br />
traumatischen Erfahrung)<br />
Dissoziative Störungen<br />
Neben den genannten Störungen können sich als Folge <strong>ein</strong>es <strong>Trauma</strong>s<br />
auch andere psychische Störungen entwickeln, z.B. Depressionen,<br />
Angsterkrankungen, Zwangsstörungen, Somatisierungsstörungen,<br />
Persönlichkeitsstörungen (z.B. Borderline-Störung), Suchterkrankungen<br />
(nach ICD-10)
<strong>Trauma</strong> und Sucht<br />
Studien von S<strong>im</strong>pson und Miller, 2002:<br />
- Bis zu 67 % der weiblichen und bis zu 29 % der männlichen Patienten in<br />
Suchtbehandlung haben in der Kindheit sexualisierte Gewalt erlebt<br />
- Etwa <strong>ein</strong> Drittel der Patienten hat Gewalterfahrungen in der Kindheit gemacht<br />
- Suchtpatienten haben deutlich häufiger als Erwachsene <strong>ein</strong>e <strong>Trauma</strong>tisierung<br />
erlebt<br />
Kendler et al., 2000: Zwillingsstudie:<br />
Gab es sexuellen Missbrauch in der Kindheit, <strong>ist</strong> die Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit bis zum<br />
6,5fachen erhöht, später alkohol- oder drogenabhängig zu werden.<br />
Ranner, 2003:<br />
Bei der Betrachtung von 130 Patientinnen, die in der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Furth</strong> zur<br />
stationären Langzeitentwöhnung in der Abteilung Sucht aufgenommen waren,<br />
zeigte sich, dass 40% von ihnen angegeben hatten, in ihrem Leben <strong>ein</strong>malig oder<br />
wiederholt sexualisierte Gewalt erlebt zu haben. Die traumatischen Erfahrungen<br />
b<strong>ein</strong>halteten sexualisierte Gewalt in der Kindheit, sog. Missbrauch, versuchte<br />
oder stattgefundene Vergewaltigungen als Jugendliche oder Erwachsene oder<br />
Vergewaltigungen in der Ehe.<br />
Erklärungsmodelle:<br />
Sucht als Selbstheilungsversuch<br />
(Kontrolle über Erinnerungen und negative Gefühle; Möglichkeit, positive<br />
Gefühle zu erleben; am Leben teilnehmen können durch Reduktion von<br />
Selbstunsicherheit und Scham)<br />
Hochrisikoverhalten bei Drogenabhängigen (Unfälle, milieubedingte<br />
Gewalt…)<br />
Erhöhte Sensibilität<br />
Drogenkonsum macht anfälliger für PTBS, Thematik kann wegen des<br />
Konsums schwerer verarbeitet werden<br />
(nach Chilcoat und Breslau, 1998, zitiert in Schäfer und Krausz, 2006)
Möglichkeiten und Grenzen in der stationären Suchttherapie<br />
Schritte der <strong>Trauma</strong>therapie:<br />
Stabilisieren – Konfrontieren - Integrieren<br />
Suchtmittel als Krücke – Zweck herausarbeiten und <strong>ein</strong> Stattdessen finden<br />
Stabilisierungstechniken als Alternative zum Suchtmittelkonsum<br />
Angebote in der Klinik:<br />
Ressourcenorientierte Psychotherapie in der Einzel- und Gruppentherapie<br />
Geschlechtsspezifisch für Frauen und Männer getrennte Indikativgruppen<br />
„<strong>Trauma</strong>bewältigung“ (Skillstraining):<br />
Ziel: Stabilisierung<br />
Inhalte: Psychoedukation, Achtsamkeitstraining, Bewegungsübungen,<br />
Imaginationsübungen (Tresor, Sicherer Ort), Erstellen <strong>ein</strong>es Notfallkoffers,<br />
Thema Gefühle<br />
Motto: „von der Ohnmacht zur Kontrolle“<br />
Wichtig: k<strong>ein</strong>e Schilderung des Erlebten, um Retraumatisierung und Intrusionen<br />
zu vermeiden<br />
In Einzelfällen: <strong>Trauma</strong>konfrontation und Integration<br />
Ziel der <strong>Trauma</strong>therapie <strong>ist</strong> Symptomreduktion und Verbesserung der<br />
Lebensqualität
Quellenangaben und weiterführende Literatur:<br />
Reddemann, L., Dehner-Rau, C.: <strong>Trauma</strong>. Folgen erkennen, überwinden und an<br />
ihnen wachsen. Trias-Verlag, 2004<br />
Reddemann, L. Imagination als heilsame Kraft. Zur Behandlung von<br />
<strong>Trauma</strong>folgen mit ressourcenorientierten Verfahren. Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-<br />
Cotta. 2001<br />
Schäfer, I., Krausz, M. (Hrsg.): <strong>Trauma</strong> und Sucht. Konzepte – Diagnostik –<br />
Behandlung. Stuttgart: Klett-Cotta. 2006<br />
Weltgesundheitsorganisation. (1994). Internationale Klassifikation psychischer<br />
Störungen. ICD-10, Kapitel V., Dilling, H., Mombour, W., Schmidt, M.H. &<br />
Schulte-Markwort, E. (Hrsg.) Bern: Huber.<br />
Fischer, G. & Riedesser, P.. Lehrbuch der Psychotraumatologie. München,<br />
Basel: R<strong>ein</strong>hardt (UTB für Wissenschaft). 1998<br />
Hantke, L. & Görges, H.-J.. Handbuch <strong>Trauma</strong>kompetenz. Basiswissen für<br />
Therapie, Beratung und Pädagogik. Paderborn: Junfermann. 2012
Literaturempfehlung für Betroffene und Interessierte:<br />
Luise Reddemann, Cornelia Dehner-Rau:<br />
<strong>Trauma</strong>. Folgen erkennen, überwinden und an ihnen wachsen<br />
Trias-Verlag, 2006<br />
Michaela Huber:<br />
Der innere Garten. Ein achtsamer Weg zur persönlichen Veränderung.<br />
Junfermann-Verlag, 2006<br />
Wie finde ich <strong>ein</strong>en <strong>Trauma</strong>therapeuten?<br />
L<strong>ist</strong>en finden Sie <strong>im</strong> Internet z.B. unter folgenden Adressen:<br />
EMDRIA<br />
DeGPT<br />
gptg.eu<br />
<strong>Trauma</strong>hilfezentren THZ<br />
Therapeutenl<strong>ist</strong>e über Kassenärztliche Ver<strong>ein</strong>igung (KV) anfordern<br />
Frauennotruf / Frauengesundheitszentrum<br />
Weißer Ring<br />
Filme zum Ansehen und kostenlosen Download:<br />
www.e-dietrich-stiftung.de<br />
www.degpt.de<br />
„Durch die Erinnerungen – Wege der <strong>Trauma</strong>therapie“<br />
(Film für Betroffene und ihre Angehörigen)<br />
„Wunde Seele – <strong>Trauma</strong> erkennen, Unterstützung bieten“<br />
(Film für potenzielle Unterstützer)<br />
„Auf <strong>ein</strong>mal <strong>ist</strong> alles ganz anders – <strong>Trauma</strong> und <strong>Trauma</strong>therapie“<br />
(Film für die Öffentlichkeit)