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SPRACHE herapeutischen Ambulatorium der TU Dortmund zuzuordnen. Am Anfang entsteht im Therapieraum eine sichere Rückzugszone („safe place“) für das Kind in Form eines symbolisch abgegrenzten Häuschens oder Zelts, sodass die oft angsterfüllten Kinder selbst entscheiden können, wann und wie weit sie sich daraus hervorwagen. Im Weiteren lässt sich eine gewisse gesetzmäßige Abfolge erkennen, in der die Kinder über viele kleine Stufen nonverbaler Kommunikation zur Sprache zurückfinden können. Dazu gehört die allmähliche Lösung der körperlichen Angststarre bis hin zum ausgelassen-aggressiven Toben; die rückkehrende Fähigkeit zu körperlichen Lauten wie Husten, Jauchzen, Lachen; die zunehmende Bereitschaft zu antworten, angefangen vom fast unmerklich vorbeihuschenden Lächeln bis zur Zeigegeste. Manchmal führt die Überwindung des Schweigens über das Nachahmen von Tierstimmen, manchmal über das stumme Artikulieren mit den Lippen oder Flüstern. Manche Kinder finden über Musikinstrumente zum Dialog, andere tauschen gemalte Briefe mit der Therapeutin aus oder kommunizieren durch das gemeinsame Malen eines Bildes. In einem Fall beginnt die schriftliche Kommunikation mit dem Ankreuzen von Multiple-Choice-Antworten, bevor eigene Wörter und Sätze aufgeschrieben werden können. Manchen Kindern rutschen die ersten Wörter eines Tages wie aus Versehen heraus, bei anderen muss dieser viel Mut erfordernde Schritt lange vorher in einem kleinen Vertrag ausgehandelt werden. Bei der Erweiterung des Personenkreises, mit dem das Kind anfängt zu sprechen, hat sich auch ein Belohnungssystem bewährt. Man merkt: Die Therapieverläufe sind so verschieden wie die Kinder und die spezielle Lebenssituation, die sie zu bewältigen haben. Nicht alle sieben Fallgeschichten haben ein Happy End. In einem Fall zeigt sich die entscheidende Bedeutung einer gelungenen Verständigung und Kooperation zwischen Therapeutin, Eltern, Erziehern bzw. Lehrern u.a. Bezugspersonen des Kindes für den Erfolg der Therapie auf traurige Weise: Aufgrund gegenläufiger Interessen im Umfeld des Kindes kommt es trotz vielversprechender therapeutischer Erfolge zum Abbruch der Behandlung. Mit bewundernswerter Klarsicht und reflektierender Wahrhaftigkeit schildern die sechs Autorinnen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen die sich über Jahre erstreckenden Therapieverläufe. Sie wollen die besondere Arbeitsrealität mit diesen Kindern so anschaulich und direkt wie möglich abbilden, die Abbrüche, Rückfälle, Krisen und Misserfolge ebenso wie überraschende Wendungen, prompte Fortschritte und beglückende Erfolge. Erfasst werden dabei nicht nur die Reaktionen des Kindes auf die therapeutischen Schritte, sondern auch die 72 1 I 2013 Mit bewundernswerter Klarsicht und reflektierender Wahrhaftigkeit schildern die sechs Autorinnen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen die sich über Jahre erstreckenden Therapieverläufe. Sie wollen die besondere Arbeitsrealität mit diesen Kindern so anschaulich und direkt wie möglich abbilden, die Abbrüche, Rückfälle, Krisen und Misserfolge ebenso wie überraschende Wendungen, prompte Fortschritte und beglückende Erfolge. Situationen und Sichtweisen der verschiedenen Personen im systemischen Umfeld der Kinder. Am meisten beeindruckt haben mich die jeweils kursiv eingerückten eigenen Gedanken und Gefühle der Therapeutinnen in bestimmten Therapiemomenten. Hier kann man lernen, was Selbstreflexion heißt, die Fähigkeit, sich in der therapeutischen Situation mit im Auge zu haben, sich selbst über die Schulter (und ins Herz) zu schauen. Die Schilderungen sind oft derart plastisch, dass man fast am eigenen Leibe die bleierne Müdigkeit spürt, wenn alle Vorschläge und Versuche bei dem beharrlich schweigenden Kind scheinbar ins Leere gehen; andererseits das innere Jubilieren, wenn das Kind endlich den Mut zum nächsten kommunikativen Schritt findet – nur dass man dann keinesfalls laut jubeln darf, weil auf das fragile Schrittchen leicht ein erneuter Rückzug folge könnte, wenn das Kind sich besiegt oder überrumpelt fühlt. Das Buch geht weit über ein Lehrbuch hinaus. Oder sollte man besser sagen: Es ist geschrieben, wie man sich ein Lehrbuch wünscht? Denn hier wird nicht nur fachliches Wissen vermittelt, sondern eine große Dosis lebendiger Erfahrung. Wie kann man wirkungsvoller erklären, was eine Therapeutin an professioneller Kompetenz und spontaner Kreativität, an Einfühlungsvermögen bei gleichzeitig „dickem Fell“, um trotz Zurückweisung und Durststrecken die therapeutische Zuversicht zu behalten, an Umsicht und organisatorischem Geschick im Umgang mit Familie, Schule und allen anderen wichtigen Akteuren im Leben des Kindes sowie nicht zuletzt an Vermögen, die eigenen Kräfte und Grenzen richtig einzuschätzen, braucht, um selektiv mutistischen Kindern eine Hilfe zu sein? Die sechs Autorinnen haben nicht nur ihre Fälle dokumentiert, sondern mit therapeutischem Herzblut ein Stück ihres eigenen Lebens erzählt. Bei aller sachlichen Strukturiertheit liest sich das spannender als ein Roman. Jeder, der im weitesten Sinne mit Therapie zu tun hat, wird dieses Buch mit großem persönlichen Gewinn lesen. (gl) Gabriele Liebig (gl) arbeitet nach ihrem Logopädiestudium an der Hochschule Fresenius in Idstein als akademische Sprachtherapeutin in einer Logopädischen Praxis in Hochheim am Main. Daneben beschäftigt sie sich mit Poesie der Weltliteratur und tritt mit den „Dichterpflänzchen e.V.“ bei Rezitationsveranstaltungen auf. gabriele.liebig@gmx.de

Logopädie und Sprachtherapie Manfred Grohnfeldt: Grundlagen der Sprachtherapie und Logopädie. München-Basel: Ernst Reinhardt Verlag, 2012. 214 S., 44 Abbildungen und 31 Tabellen, ISBN 978-3-497-02240-3, € 29,90 Hinter dem ebenso unscheinbaren wie umfassenden Titel verbirgt sich wider Erwarten keine modernisierte Neuauflage eines vor langer Zeit konzipierten Standardwerkes, sondern ein ganz neuer Versuch, dem zersplitterten Gebilde der Logopädie und Sprachtherapie in Deutschland Gesicht und Perspektive zu verschaffen. Der Ordinarius für Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität beginnt mit der Darstellung der unterschiedlichen Berufsgruppen, die in Deutschland Sprachtherapie betreiben. Neben Logopäden auf Fachschulniveau gibt es Akademische Sprachtherapeuten, Sprachheillehrer, Klinische Linguisten, Patholinguisten, Sprechwissenschaftler und Atem-, Sprech- und Stimmlehrer (nach Schlaffhorst-Andersen). Im Gegensatz zu anderen Ländern hat fast jede Gruppe ihren eigenen Berufsverband. Grohnfeldt versucht in einem historischen Abriss im internationalen Vergleich den Ursachen dieser Zerklüftung auf die Spur zu Fachpublikationen Arbeitsmaterialien Fachzeitschriften Leseproben/ Inhaltsverzeichnisse: http://www.schulz-kirchner.de SPRACHE Fachzeitschriften • Forum Logopädie – die führende Fachzeitschrift für Logopädie • Praxis Sprache – Fachzeitschrift für Sprachheilpädagogik, Sprachtherapie und Sprachförderung Therapiematerial • ASVK Analyse kindlicher Sprachverstehenskontrollprozesse • Übungen bei Lese-Rechtschreibstörung • KombiS Kombinierte Sprachförderung Ratgeber • AVWS bei Schulkindern • Ernährung im Säuglingsund Kindesalter • Lese-Rechtschreibstörungen (LRS) • Dyskalkulie www.schulz-kirchner.de/shop bestellung@schulz-kirchner.de Tel. +49 (0) 6126 9320-0 Das Gesundheitsforum 1 I 2013 73 Schulz- Kirchner Verlag

SPRACHE<br />

herapeutischen Ambulatorium der TU Dortmund zuzuordnen.<br />

Am Anfang entsteht im Therapieraum eine sichere Rückzugszone<br />

(„safe place“) für das Kind in Form eines symbolisch<br />

abgegrenzten Häuschens oder Zelts, sodass die oft angsterfüllten<br />

Kinder selbst entscheiden können, wann und wie weit<br />

sie sich daraus hervorwagen.<br />

Im Weiteren lässt sich eine gewisse gesetzmäßige Abfolge<br />

erkennen, in der die Kinder über viele kleine Stufen nonverbaler<br />

Kommunikation zur Sprache zurückfinden können.<br />

Dazu gehört die allmähliche<br />

Lösung der körperlichen<br />

Angststarre bis hin zum ausgelassen-aggressiven<br />

Toben;<br />

die rückkehrende Fähigkeit<br />

zu körperlichen Lauten wie<br />

Husten, Jauchzen, Lachen;<br />

die zunehmende Bereitschaft<br />

zu antworten, angefangen<br />

vom fast unmerklich vorbeihuschenden<br />

Lächeln bis zur<br />

Zeigegeste. Manchmal führt<br />

die Überwindung des Schweigens<br />

über das Nachahmen<br />

von Tierstimmen, manchmal<br />

über das stumme Artikulieren<br />

mit den Lippen oder Flüstern.<br />

Manche Kinder finden über<br />

Musikinstrumente zum Dialog,<br />

andere tauschen gemalte<br />

Briefe mit der Therapeutin<br />

aus oder kommunizieren<br />

durch das gemeinsame Malen<br />

eines Bildes. In einem Fall beginnt<br />

die schriftliche Kommunikation mit dem Ankreuzen von<br />

Multiple-Choice-Antworten, bevor eigene Wörter und Sätze<br />

aufgeschrieben werden können. Manchen Kindern rutschen<br />

die ersten Wörter eines Tages wie aus Versehen heraus, bei<br />

anderen muss dieser viel Mut erfordernde Schritt lange vorher<br />

in einem kleinen Vertrag ausgehandelt werden. Bei der Erweiterung<br />

des Personenkreises, mit dem das Kind anfängt zu<br />

sprechen, hat sich auch ein Belohnungssystem bewährt.<br />

Man merkt: Die Therapieverläufe sind so verschieden wie die<br />

Kinder und die spezielle Lebenssituation, die sie zu bewältigen<br />

haben. Nicht alle sieben Fallgeschichten haben ein Happy<br />

End. In einem Fall zeigt sich die entscheidende Bedeutung<br />

einer gelungenen Verständigung und Kooperation zwischen<br />

Therapeutin, Eltern, Erziehern bzw. Lehrern u.a. Bezugspersonen<br />

des Kindes für den Erfolg der Therapie auf traurige<br />

Weise: Aufgrund gegenläufiger Interessen im Umfeld des Kindes<br />

kommt es trotz vielversprechender therapeutischer Erfolge<br />

zum Abbruch der Behandlung.<br />

Mit bewundernswerter Klarsicht und reflektierender Wahrhaftigkeit<br />

schildern die sechs Autorinnen aus unterschiedlichen<br />

Fachdisziplinen die sich über Jahre erstreckenden Therapieverläufe.<br />

Sie wollen die besondere Arbeitsrealität mit diesen<br />

Kindern so anschaulich und direkt wie möglich abbilden,<br />

die Abbrüche, Rückfälle, Krisen und Misserfolge ebenso wie<br />

überraschende Wendungen, prompte Fortschritte und beglückende<br />

Erfolge. Erfasst werden dabei nicht nur die Reaktionen<br />

des Kindes auf die therapeutischen Schritte, sondern auch die<br />

72 1 I 2013<br />

Mit bewundernswerter Klarsicht und reflektierender<br />

Wahrhaftigkeit schildern die<br />

sechs Autorinnen aus unterschiedlichen<br />

Fachdisziplinen die sich über Jahre erstreckenden<br />

Therapieverläufe. Sie wollen<br />

die besondere Arbeitsrealität mit diesen<br />

Kindern so anschaulich und direkt wie<br />

möglich abbilden, die Abbrüche, Rückfälle,<br />

Krisen und Misserfolge ebenso wie<br />

überraschende Wendungen, prompte<br />

Fortschritte und beglückende Erfolge.<br />

Situationen und Sichtweisen der verschiedenen Personen im<br />

systemischen Umfeld der Kinder.<br />

Am meisten beeindruckt haben mich die jeweils kursiv eingerückten<br />

eigenen Gedanken und Gefühle der Therapeutinnen<br />

in bestimmten Therapiemomenten. Hier kann man<br />

lernen, was Selbstreflexion heißt, die Fähigkeit, sich in der<br />

therapeutischen Situation mit im Auge zu haben, sich selbst<br />

über die Schulter (und ins Herz) zu schauen. Die Schilderungen<br />

sind oft derart plastisch, dass man fast am eigenen Leibe<br />

die bleierne Müdigkeit spürt,<br />

wenn alle Vorschläge und<br />

Versuche bei dem beharrlich<br />

schweigenden Kind scheinbar<br />

ins Leere gehen; andererseits<br />

das innere Jubilieren, wenn<br />

das Kind endlich den Mut<br />

zum nächsten kommunikativen<br />

Schritt findet – nur dass<br />

man dann keinesfalls laut jubeln<br />

darf, weil auf das fragile<br />

Schrittchen leicht ein erneuter<br />

Rückzug folge könnte, wenn<br />

das Kind sich besiegt oder<br />

überrumpelt fühlt.<br />

Das Buch geht weit über ein<br />

Lehrbuch hinaus. Oder sollte<br />

man besser sagen: Es ist geschrieben,<br />

wie man sich ein<br />

Lehrbuch wünscht? Denn hier<br />

wird nicht nur fachliches Wissen<br />

vermittelt, sondern eine<br />

große Dosis lebendiger Erfahrung.<br />

Wie kann man wirkungsvoller<br />

erklären, was eine Therapeutin an professioneller<br />

Kompetenz und spontaner Kreativität, an Einfühlungsvermögen<br />

bei gleichzeitig „dickem Fell“, um trotz Zurückweisung<br />

und Durststrecken die therapeutische Zuversicht zu behalten,<br />

an Umsicht und organisatorischem Geschick im Umgang mit<br />

Familie, Schule und allen anderen wichtigen Akteuren im Leben<br />

des Kindes sowie nicht zuletzt an Vermögen, die eigenen<br />

Kräfte und Grenzen richtig einzuschätzen, braucht, um selektiv<br />

mutistischen Kindern eine Hilfe zu sein?<br />

Die sechs Autorinnen haben nicht nur ihre Fälle dokumentiert,<br />

sondern mit therapeutischem Herzblut ein Stück ihres eigenen<br />

Lebens erzählt. Bei aller sachlichen Strukturiertheit liest sich<br />

das spannender als ein Roman. Jeder, der im weitesten Sinne<br />

mit Therapie zu tun hat, wird dieses Buch mit großem persönlichen<br />

Gewinn lesen. (gl)<br />

Gabriele Liebig (gl) arbeitet nach ihrem Logopädiestudium<br />

an der Hochschule Fresenius in Idstein<br />

als akademische Sprachtherapeutin in einer<br />

Logopädischen Praxis in Hochheim am Main.<br />

Daneben beschäftigt sie sich mit Poesie der Weltliteratur<br />

und tritt mit den „Dichterpflänzchen<br />

e.V.“ bei Rezitationsveranstaltungen auf.<br />

gabriele.liebig@gmx.de

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