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PDF (12.3 MB) - Fachbuch-Journal

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LANDESKUNDE | REISEN<br />

Dann die Jahre in Deutschland und<br />

Österreich: Kakar studiert zunächst<br />

Schiffsmaschinenbau, dann Physik und<br />

schließlich Betriebswirtschaft: amüsiert<br />

folgt der Leser dem jungen Bohemien<br />

in die Bars in Mainz und Ramstein, wo<br />

er den GI‘s Lexika verkaufen soll, in die<br />

Kneipen am Mannheimer Hafen oder<br />

ins Café Hawelka in Wien – nur ungern<br />

legt man das Buch aus der Hand, um<br />

eine Lesepause einzulegen.<br />

Wieder in Indien, stellt sich die Frage<br />

der arrangierten Ehe, deren unbestreitbarer<br />

Vorteil – so Kakar – darin besteht,<br />

dass sie jungen Menschen die Sorge<br />

nimmt, ob sie überhaupt einen Partner<br />

finden: ob hässlich oder schön, dick<br />

oder dünn, in Indien kommt am Ende<br />

64 1 I 2013<br />

jeder unter die Haube. Während die<br />

Schwester beim zwölften arrangierten<br />

Bewerber schließlich „Ja“ sagt, erlebt<br />

der Verfasser die Rigidität einer reinen<br />

Liebesheirat an sich selbst – diese Seiten<br />

gehören sicher zu den bewegendsten<br />

des Buches.<br />

Die Begegnung mit dem deutsch-amerikanischen<br />

Psychologen Erikson wird<br />

für den noch unentschlossenen jungen<br />

Mann zum Wendepunkt: Erikson wird<br />

sein Guru, dem er in die USA folgt. Statt<br />

den Lehrer nun in europäischer Tradition<br />

„ödipal zu ermorden“ oder sich<br />

nach indischem Vorbild für ihn aufzuopfern,<br />

nimmt er dessen Leitgedanken<br />

– menschliche Identität und Lebenszyklus<br />

– auf, um sie zu modifizieren: die<br />

Wechselwirkung zwischen Psyche und<br />

Gesellschaft, die indische Kulturpsychologie,<br />

ist von nun an sein Lebensthema.<br />

„Freud in Indien“: spannend zu lesen,<br />

wie der Autor als einer der ersten Psychoanalytiker<br />

in Delhi mit den seelischen<br />

Konflikten seiner Landsleute in<br />

Berührung kommt: die von diversen<br />

Geistern Besessenen muss er den Vaidiyas<br />

und Exorzisten überlassen, aber<br />

es gibt auch Patienten, denen die ganz<br />

normalen Urkräfte von Eros und Unterbewusstsein<br />

zu schaffen machen. In<br />

Indien ist es freilich die Dominanz des<br />

Weiblichen, die das Seelenleben prägt;<br />

der Vaterfigur fällt hier gar die Schutzrolle<br />

gegen die allmächtige Mutter zu.<br />

Kakar, der zwischen Management- und<br />

Politikberatung, Auslandsaufenthalten<br />

und Hochschule pendelt, stellt im<br />

Lauf seiner Arbeit fest, wie wenig kritisches<br />

Feedback Führungskräfte aller<br />

Art in Indien traditionsbedingt erhalten:<br />

Politiker, Wissenschaftler und Manager<br />

erliegen daher nur allzu leicht<br />

der Schmeichelei, jener „Umarmung<br />

des Narziss“; nach außen hin lautstark<br />

verkündete Ideologien von Gleichheit<br />

und Leistungswillen weichen zuhause<br />

einem traditions- und kastenverhafteten<br />

Verhalten; hinter dem lautstarken<br />

Nationalismus des Landes schlummern<br />

tief verwurzelte Inferioritätsgefühle –<br />

„psychologische Freiheit erfordert wesentlich<br />

mehr Zeit und geistige Arbeit<br />

als politische Unabhängigkeit“. Atmanam<br />

vidhi – Kenne dich selbst – diese<br />

Weisheit aus vedischer Zeit gilt Kakar<br />

zufolge heute mehr denn je.<br />

Weiß man außerhalb Indiens etwa mehr<br />

über die eigene und die „Seele der Anderen“?<br />

Kakar ist ein höflicher Autor,<br />

aber seine Zweifel an der Kritikfähigkeit<br />

und der Universalität des westlichen<br />

Menschenbildes sind nicht zu überhören.<br />

Der Autor lässt uns teilhaben an seinem<br />

privaten und beruflichen Curriculum vitae,<br />

das mit der zweiten Ehe einen vorläufigen,<br />

glücklichen Abschluss findet,<br />

und es gibt wohl kaum einen entspannteren,<br />

kenntnisreicheren „Dolmetscher“<br />

als ihn, der uns auf diese Weise viele<br />

Zugänge zu seinem Land eröffnet. Da<br />

der Band schön aufgemacht ist und die<br />

zahlreichen, gut gewählten Schwarzweißaufnahmen<br />

das Lesevergnügen<br />

deutlich erhöhen, kann man dieses<br />

sympathische Buch, das sich auch zum<br />

zweimal Lesen eignet, nur weiterempfehlen!<br />

(tk)

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