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LANDESKUNDE | REISEN<br />
60 1 I 2013<br />
SINOLOGICA COLONIENSIA 30<br />
Ume heoledere<br />
»Vernachlässige (deine Pfl icht) nicht«<br />
Der Ostasienwissenschaftler Walter Fuchs (1902–1979)<br />
Band II<br />
Bearbeitet und herausgegeben von Hartmut Walravens<br />
unter Mitarbeit von Martin Gimm<br />
Harrassowitz Verlag<br />
Marion Schiffler, Ich war das Jadekind.<br />
Meine Kindheit in China bis 1938.<br />
Bozen: Edition Raetia 2012.<br />
ISBN 978-88-7283-432-9. € 15,90<br />
Doris Götting. „Etzel“. Forscher, Abenteurer<br />
und Agent. Die Lebensgeschichte<br />
des Mongoleiforschers Hermann Consten<br />
(1878–1957).<br />
Berlin: Klaus Schwarz Verlag 2012.<br />
ISBN 978-3-87997-415-3. € 49,–<br />
„Schone dich für die Wissenschaft“.<br />
Leben und Werk des Kölner Sinologen<br />
Walter Fuchs (1902–1979) in<br />
Dokumenten und Briefen. Bearbeitet und<br />
herausgegeben von Hartmut Walravens<br />
und Martin Gimm.<br />
Harrassowitz 2010.<br />
ISBN 978-3-447-06090-5. € 52,–<br />
Ume heoledere. „Vernachlässige (deine<br />
Pflicht) nicht!“. Der Ostasienwissenschaftler<br />
Walter Fuchs (1902–1979) Band II.<br />
Kleine Arbeiten, Briefwechsel mit dem<br />
Mongolisten F.W. Cleaves und dem Sinologen<br />
Wolfgang Franke. Bearbeitet und<br />
herausgegeben von Hartmut Walravens<br />
und Martin Gimm.<br />
Harrassowitz 2011.<br />
ISBN 978-3-447-06429-3. € 44,–<br />
Wanderer zwischen<br />
den Welten<br />
Erst allmählich tut sich der Reichtum<br />
gelebter Erfahrungen des 20. Jahrhunderts<br />
auf. Lange Zeit waren die<br />
Erinnerungen in Ostasien lebender<br />
Europäer verschlossen oder nur einem<br />
ausgewählten Personenkreis zugänglich.<br />
Zwar gibt es seit längerem Bemühungen,<br />
die Erinnerung an diese<br />
Zeit wieder wachzurufen, und einige<br />
literarische Unternehmungen wie Ursula<br />
Krechels Roman „Shanghai fern<br />
von wo“ (2008) über jüdisches Exil<br />
in Chinas Hafenmetropole sind sogar<br />
mit Preisen gewürdigt worden. Doch<br />
sehr vieles schlummert noch in den<br />
Archiven. Daher ist es gut, wenn exemplarisch<br />
Materialien veröffentlicht<br />
werden. Dies ist besonders wichtig,<br />
weil die Erinnerung an das vergangene<br />
Jahrhundert noch in mannigfacher<br />
Weise lückenhaft und häufig auch<br />
von Scham oder von ideologischen<br />
Vorbehalten überdeckt ist.<br />
Neben vielfältigen Archivmaterialien,<br />
darunter Briefen und anderen Dokumenten,<br />
und zum Teil in Familienhand<br />
überlieferten Lebenszeugnissen,<br />
finden sich einige Selbstzeugnisse wie<br />
der Bericht der im Jahre 1924 in Kanton<br />
als Tochter des Repräsentanten<br />
der I.G. Farben in China geborenen<br />
Marion Schiffler über ihre Kindheit.<br />
Dieser lebendige Erinnerungsbericht<br />
über 13 Jahre Kindheit in China,<br />
begleitet von zahlreichen zeitgenössischen<br />
Fotos, kann den Leser in eine<br />
vergangene Welt versetzen. Im<br />
Nachhinein bedenkt, beschreibt und<br />
versteht die Autorin das China ihrer<br />
Kindheit aus dem Blickwinkel einer<br />
privilegierten Existenz im Ausländerviertel<br />
von Kanton.<br />
Während dieser lesenswerte autobiographische<br />
Bericht den prägenden Einfluss<br />
der chinesischen Kultur auf das<br />
Leben von Ausländern im China jener<br />
Jahre schildert, wie Thoralf Klein in<br />
seinem Nachwort hervorhebt, ist die<br />
von Doris Götting rekonstruierte „Lebensgeschichte<br />
des Mongoleiforschers<br />
Hermann Consten (1878–1957)“ voller<br />
Spannung, Überraschungen und<br />
Skurrilitäten, die geradezu nach einer<br />
Verfilmung ruft. Die Geschichte dieses<br />
Sohnes eines wohlhabenden und<br />
angesehenen Aachener Schnapsfabrikanten<br />
zeigt einen Abenteurer und<br />
eigenwilligen Sonderling als Agenten<br />
und Kurier, als Teilnehmer von Expeditionen<br />
wie der als „Expedition<br />
Niedermeyer“ bekannten türkischdeutschen<br />
Afghanistan-Expedition<br />
von 1914/1915. Nicht nur in der<br />
Mongolei, sondern zeitweise auch auf<br />
dem Balkan, spann Consten politische<br />
Intrigen. Unter allen Ländern zog ihn<br />
jedoch am meisten die Mongolei an,<br />
über welche er, den seine Freunde –<br />
in Anspielung auf den Hunnenkönig<br />
Attila – „Etzel“ nannten, nach dem<br />
Ersten Weltkrieg sein großes zweibändiges<br />
Werk „Weideplätze der Mongolen“<br />
verfasste. Im Jahre 1927 trieb<br />
es ihn wieder nach Asien, von wo er,<br />
schließlich in Peking gestrandet – inzwischen<br />
hatte er 1936 die Kunsthistorikerin<br />
Eleanor von Erdberg geheiratet<br />
–, erst 1950 wieder heimkehrte.<br />
Solchen Berichten und aus vielerlei<br />
Quellenmaterial rekonstruierten Biographien<br />
stehen Zeugnisse zur Seite,<br />
wie sie die Korrespondenzen mit China<br />
befasster Sinologen und Asienwissenschaftler<br />
darstellen. Einer darunter<br />
war Walter Fuchs, aus dessen reichen<br />
Korrespondenzen der in der Geschichte<br />
der Orientalistik beschlagene Hartmut<br />
Walravens zwei Bände vorgelegt<br />
hat. Diese Korrespondenzen spiegeln<br />
interne Wissenschaftsnetzwerke und<br />
die Bemühungen um den Aufbau<br />
der Orientalistik in Deutschland nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg. Es sind Korrespondenzen<br />
wie sie inzwischen im<br />
Zuge anderer Kommunikationsmittel<br />
selten geworden sind, gewissermaßen<br />
Stimmen aus einer vergangenen Welt.<br />
Darin werden die Interessen und Fragestellungen<br />
der Beteiligten ebenso<br />
deutlich wie ihre alltäglichen Freuden<br />
und Sorgen. Es ging um Bücher wie<br />
um Karrieren, um die Sicherung von<br />
Informationen und insgesamt um<br />
eine Neuorientierung in einer sich<br />
wandelnden Welt. Solche Editionen<br />
bieten den Rohstoff für zukünftiges<br />
Nachdenken über die Wissenschaftsgeschichte<br />
und die transkulturellen<br />
Bemühungen in der Mitte des 20.<br />
Jahrhunderts. (hsg) t