PDF (12.3 MB) - Fachbuch-Journal
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WIRTSCHAFT<br />
es im Hinblick auf seine fiskalische Lage und seine Wettbewerbsfähigkeit<br />
besser da stünde als die USA oder England, in<br />
denen es eine Vertrauenskrise nicht gebe.<br />
Was tun? Kapitel vier liefert die Antwort. Entweder komme<br />
es zu einer Art „New Deal“ oder die Währungsunion breche<br />
auseinander. Zu einem New Deal gehörten erstens eine gemeinsame<br />
Haftung für einen Teil der Staatsschulden, sowie<br />
zweitens die Einführung einer automatischen zentralen Umverteilung.<br />
Im Hinblick auf die gemeinsame Haftung orientiert<br />
sich Müller am Vorschlag des deutschen Sachverständigenrates,<br />
der den 60% am BIP übersteigenden Teil der nationalen<br />
öffentlichen Verschuldung in einen Fonds einbringen<br />
will, für den alle Eurostaaten gemeinsam haften. Müller will<br />
auch die privaten Schulden, also die der Banken, der Produktionsunternehmen<br />
und der privaten Haushalte mit dem 60%<br />
übersteigenden Teil in die Solidarhaftung aufnehmen, wodurch<br />
der zu garantierende Fonds von 3,5 Bio. € auf 5,0 Bio.<br />
€ ausgeweitet werden muss. Die auf Deutschland entfallende<br />
Last der öffentlichen Entschuldung erzwingt eine Erhöhung<br />
der Steuerbelastung im Umfang von 30% am BIP, also<br />
ca. 750 Mrd. €, die über eine Frist von 20 Jahren von den<br />
Müller verzahnt die Eurokrise stärker mit weltwirtschaftlichen Veränderungen,<br />
betont mehr die geld- und währungspolitische Dimension des<br />
Problems und arbeitet stärker die in vielen Industrieländern explosionsartig<br />
gewachsene private Verschuldung als Krisenelemente heraus als<br />
Sarrazin. Insofern unterscheiden sich die beiden Bücher nicht nur durch<br />
ihre Botschaft, sondern auch durch die Interpretation der Krisenursachen.<br />
Sie sind eher Komplementäre als Substitute.<br />
Vermögenden aufgebracht werden soll. Für die private Entschuldung<br />
kommt dann noch einmal knapp die Hälfte dazu,<br />
sodass sich eine Gesamtbelastung der deutschen Steuerzahler<br />
von ca. 1.100 Mrd. € ergibt. Angesichts der Höhe der Summe,<br />
der Konzentration der Steuer auf nur ca. 1% der Steuerpflichtigen<br />
und der Eigentumsschutzgarantie des Grundgesetzes<br />
sieht Müller das Risiko, dass ein solcher Plan vor dem<br />
Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hätte. Auch aus<br />
diesem Grunde hält er die konstitutionelle Umwandlung der<br />
Währungsunion mit der damit einhergehenden Entmachtung<br />
des BVerfG in eine politische Union für unabdingbar.<br />
Gemessen an diesen Vorstellungen ist das, was in den späteren<br />
Kapiteln noch gesagt wird, weniger brisant und auch<br />
wieder stärker in einen über den Euro-Bereich hinausgehenden<br />
globalen Kontext gebracht. Es geht dort zum einen um<br />
den Willen der Zentralbanken zum Exit, also der Beendigung<br />
der Politik des reichlichen und billigen Geldes, den er nicht<br />
als gegeben ansieht. Er rechnet demnach mit inflatorischen<br />
Prozessen, zumindest aber mit einer „Finanziellen Repression“,<br />
wie sie in den USA in der Nachkriegszeit ja schon einmal<br />
praktiziert wurde. Die Zinsen wurden gesetzlich unter die Inflationsrate<br />
gedrückt, sodass der Staat sich unter Enteignung<br />
der Gläubiger seiner Staatsschuld nach und nach real entledigen<br />
konnte. Zum anderen kommen die Rolle der Banker, die<br />
Zukunft der Papiergeldwährungen und die Zukunftsfähigkeit<br />
52 1 I 2013<br />
des kapitalistischen Systems zur Sprache. Mit dem Aufziehen<br />
eines „Humankapitalismus“, einem Kontrastprogramm zum<br />
gescheiterten „Finanzkapitalismus“, sieht Müller gute Chancen<br />
für ein nach seinen Vorstellungen umgestaltetes Europa<br />
in der Welt von morgen.<br />
Man muss die düstere Diagnose des Autors nicht in allen Facetten<br />
teilen, aber dass die Situation hochgradig instabil und<br />
gefährlich ist, daran besteht kein Zweifel. Man muss auch<br />
den Mut des Autors bewundern, Vorschläge zur Lösung des<br />
europäischen Problems vorgelegt zu haben, die nicht dem St-<br />
Florians-Prinzip huldigen. Seine Vorschläge dokumentieren<br />
in steuerpolitischer Hinsicht eine verblüffende Übereinstimmung<br />
mit den Vorschlägen der Partei „Die Grünen“, die für<br />
Besitzer von Vermögen ab 2 Mio. € eine Vermögensabgabe<br />
von 30%, gestreckt über 20 Jahre, vorgeschlagen haben. Der<br />
SPD-Vorsitzende hat den Plan bereits als „exzellente Idee“<br />
bezeichnet und die Partei Die Linke will die Vermögensabgabe<br />
noch um eine Vermögenssteuer von jährlich 5% ergänzen.<br />
Hier bedient sich offenbar eine von weit links bis in die Mitte<br />
der Gesellschaft reichende parteipolitische Umverteilungsallianz<br />
des Vorwands der Europa-Solidarität, um im Schlepptau<br />
europäischer Umverteilung nationale<br />
Umverteilungsziele leichter durchsetzen<br />
zu können.<br />
Ob eine derartige Aushöhlung des<br />
Subsidiaritätsprinzips, die eine Vergemeinschaftung<br />
von Schulden ja<br />
beinhaltet, jene Europabegeisterung<br />
im Norden schafft, die Müller<br />
sich wünscht, wird man bezweifeln<br />
müssen. Ferner bleibt die zentrale,<br />
von Sarrazin aufgeworfene Frage,<br />
wie man souveräne Völker und ihre<br />
Regierungen zwingen kann, Regeln,<br />
die sie nicht wünschen, zu befolgen,<br />
hier ohne schlüssige Antwort. Wenn<br />
die Gemeinschaftshaftung erst einmal da ist, gibt es nur<br />
noch die Hoffnung, dass sich die südeuropäischen Länder<br />
anders verhalten als in den Jahren zuvor. Sicher: Die Hoffnung<br />
stirbt zuletzt, aber zuletzt stirbt sie. Ökonomie ohne<br />
Märkte funktioniert nicht. Und von der disziplinierenden<br />
Kraft von Märkten steht wenig in diesem Buch. Dafür umso<br />
mehr von Wünschen, was alles anders werden möge. Bis die<br />
Völker Europas sich als jene Einheit verstehen, die die Politik<br />
und Müller wünschen, wird vermutlich länger dauern als die<br />
gegenwärtige Krise. Und als Instrument zur Lösung der Eurokrise<br />
scheinen mir die Vereinigten Staaten von Europa doch<br />
ein etwas zu großkalibriges Geschütz zu sein.<br />
An manchen Stellen hätte das Buch eine sorgfältigere Redaktion<br />
verdient gehabt. Die Abb. 2 ist nicht nur in einer,<br />
sondern in mehrerer Hinsicht falsch beschriftet, Abb. 4 ist<br />
ungenau beschriftet und der Abb.13 ermangelt es an jeglicher<br />
Beschriftung. Die zahlreichen Formulierungen der Art:<br />
„Wie mir Herr X, Prof. Y und Minister Z persönlich sagte …“<br />
mögen in einer im Wettbewerb um aktuelle Stellungnahmen<br />
stehenden Zeitschrift ihren Platz haben. In einem Buch<br />
wirken sie, jedenfalls in dieser Häufigkeit, eher störend.<br />
Insgesamt handelt es sich um ein berechtigte und weitreichende<br />
Sorgen gut artikulierendes, und viele treffende Formulierungen<br />
beinhaltendes Buch mit mutigen, wenngleich<br />
etwas holzschnittartigen Therapievorschlägen. t