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Was ist denn los?<br />
Logotherapeutische und<br />
existenzanalytische Konzepte<br />
in der physiotherapeutischen Praxis<br />
Abschlussarbeit für die Ausbildung in Logotherapie und<br />
existenzanalytischer Beratung und Begleitung<br />
September 2011<br />
Eingereicht von: Claudine Yvonne Romann<br />
Eingereicht bei: lic.phil. Brigitte Heitger und Dr. med Erika Luginbühl<br />
Angenommmen am .........................................<br />
von: ................................................................<br />
................................................................<br />
Diese Arbeit ist eine überarbeitete Fassung der Bachelorarbeit in Physiotherapie,<br />
Berner Fachhochschule BFH, Bern 2009.<br />
Betreuerin: Dörte Watzek, Dipl. Psych., Dozentin Physiotherapie
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zusammenfassung<br />
In der Physiotherapie gewinnen die Themen Kommunikation und Beratung zunehmend an<br />
Bedeutung. Eine theoretisch fundierte Beratungsmethode, welche für verschiedene<br />
Disziplinen belegt ist, ist die personale Existenzanalyse/ Logotherapie (EA/LT) mit dem<br />
Konzept der vier Grundmotivationen (GM). Diese wurde für die Physiotherapie noch nicht<br />
erforscht. Vorliegende Arbeit untersucht, ob und welche GM im physiotherapeutischen<br />
Setting sichtbar sind. Es wurde eine qualitative Video-Analyse durchgeführt mit zwei<br />
Videos von physiotherapeutischen Behandlungssituationen aus Kommunikationstrainings<br />
mit standardisierten Patienten. Die Videos wurden mittels gezielter Auswahl ausgewählt,<br />
sequenziert und die ersten 10 Minuten der Videos transkribiert. Anhand der Literatur<br />
wurden die GM nach EA/LT identifiziert. Die GM waren in den Video-Sequenzen deutlich<br />
sichtbar und zwar vorwiegend die 1. GM mit den Themen: Können, Raum, Schutz und<br />
Halt. Für die Umsetzung in die Praxis werden Vorschläge für GM-geleitete Fragen<br />
gemacht. Es wird vermutet, dass die GM auch in der Physiotherapie ein Instrument sein<br />
können, um Potenziale und Schwierigkeiten zu erkennen und anzugehen.<br />
Abstract<br />
What’s the matter? Concepts of Logotherapy and Existential Analysis in<br />
Physiotherapeutic Practice. Background: Communication and counselling have become<br />
an important issue within physiotherapy. Personal Existence Analysis/ Logotherapy<br />
(EA/LT) with its concept of four Fundamental Motivations (GM) is a means which has<br />
been proven beneficial in a variety of disciplines. Up to date, EA/LT has not been studied<br />
for physiotherapeutic purposes. Objective: The objective of this study is to investigate<br />
whether the GM can be observed in a physiotherapeutic setting and if, which ones.<br />
Methods: Two 10 minute videos of a physiotherapeutic treatment session from a<br />
communication training with standardised patients who were chosen by purposive<br />
sampling, subdivided into sequences, transcribed and then analysed qualitatively by<br />
identifying the four GM according to EA/LT-references. Results: The GM were to be<br />
found in all video-sequences, the 1. GM being predominate with its aspects of: ability,<br />
space, protection, support. Conclusion: The four GM according to EA/LT can clearly be<br />
found in a physiotherapeutic setting. GM-specific questions are suggested for practical use<br />
in physiotherapy. It is postulated that the 4 GM could be a means to perceive and manage<br />
potentials and difficulties met in physiotherapeutic practice. Keywords: Communication,<br />
Counselling, Motivation, Psychology.<br />
Seite 1
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
1 Inhaltsverzeichnis<br />
1 Inhaltsverzeichnis 2<br />
2 Vorwort und Dank 4<br />
3 Einführung in das Thema 5<br />
3.1 Ausgangslage 5<br />
3.2 Zielsetzung der Arbeit 6<br />
4 Theoretische Grundlagen 7<br />
4.1 Existenzanalyse und Logotherapie 7<br />
4.2 Wichtige Definitionen, Inhalte und Methoden der EA/LT 8<br />
4.2.1 Existenzieller Sinn 8<br />
4.2.2 Erlebniswert – Schöpferischer Wert – Einstellungswert 8<br />
4.2.3 Existenz 9<br />
4.2.4 Existenzielle Wende 9<br />
4.2.5 Existenzskala 9<br />
4.2.6 Phänomenologische Haltung 10<br />
4.2.7 Person 10<br />
4.2.8 Die vier personal-existenziellen Grundmotivationen 10<br />
4.2.8.1 1. Grundmotivation 12<br />
4.2.8.2 2. Grundmotivation 13<br />
4.2.8.3 3. Grundmotivation 14<br />
4.2.8.4 4. Grundmotivation 15<br />
4.2.9 Coping-Reaktionen 16<br />
4.3 Forschungsstand 17<br />
4.3.1 Kommunikation in der Physiotherapie 18<br />
4.3.2 Diplomarbeiten an der Berner Fachhochschule Gesundheit 18<br />
4.3.3 EA/LT in der Physiotherapie 19<br />
4.3.4 EA/LT in der Medizin und Psychotherapie 19<br />
4.3.5 Therapie von chronischem Schmerz 23<br />
4.3.6 Salutogenese 25<br />
4.4 Zusammenfassung Forschungsstand 27<br />
5 Fragestellung 27<br />
5.1 Eingrenzung 28<br />
6 Methodik 28<br />
6.1 Literaturrecherche 28<br />
6.2 Untersuchungsmethode: Video-Analyse 29<br />
Seite 2
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
6.3 Auswahl der Videos 29<br />
6.3.1 Fallbeschreibung Video 1: Terminaler Tumorpatient 30<br />
6.3.2 Fallbeschreibung Video 2: Patient nach CVI mit Aphasie 30<br />
6.4 Auswertung der Videos 31<br />
7 Ergebnisse 33<br />
7.1 Phänomenologische Betrachtung (Frage 1) 33<br />
7.2 Die Grundmotivationen im physiotherapeutischen Setting (Fragen 2.1 und 2.2) 33<br />
7.2.1 Die Grundmotivationen in Video 1 (Tumorpatient) 34<br />
7.2.1.1 Die 1. Grundmotivation 34<br />
7.2.1.2 Die 2. Grundmotivation 36<br />
7.2.1.3 Die 3. Grundmotivation 37<br />
7.2.1.4 Die 4. Grundmotivation 38<br />
7.2.2 Die Grundmotivationen in Video 2 (Patient nach CVI) 39<br />
7.2.2.1 Die 1. Grundmotivation 39<br />
7.2.2.2 Die 2. Grundmotivation 41<br />
7.2.2.3 Die 3. Grundmotivation 42<br />
7.2.2.4 Die 4. Grundmotivation 43<br />
8 Diskussion 43<br />
8.1 Die phänomenologische Betrachtungsweise (Frage 1) 43<br />
8.2 Die Grundmotivationen im physiotherapeutischen Setting (Frage 2.1) 43<br />
8.3 Die Grundmotivationen in der Video-Analyse (Frage 2.2) 44<br />
8.4 Methodenkritik 45<br />
9 Schlussfolgerungen 46<br />
10 Weitere Forschungsansätze und Ausblick 49<br />
11 Abkürzungsverzeichnis 51<br />
12 Literaturverzeichnis 52<br />
13 Anhang 61<br />
13.1 Literaturrecherche Pubmed (2008) 61<br />
13.2 Fallbeschreibung Video 1 (Tumorpatient) 63<br />
13.3 Transkription Video 1 (Tumorpatient) 64<br />
13.4 Analyse Video 1 (Tumorpatient) 71<br />
13.5 Fallbeschreibung Video 2 (Patient nach CVI mit Aphasie) 80<br />
13.6 Transkription Video 2 (Patient nach CVI mit Aphasie) 81<br />
13.7 Analyse Video 2 (Patient nach CVI mit Aphasie) 89<br />
13.8 Checkliste Kommunikationstraining und Poster 98<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
2 Vorwort und Dank<br />
Ich hatte von 2005-2008 die Möglichkeit, nebenberuflich eine zweieinhalbjährige<br />
Weiterbildung in Existenzanalyse/ Logotherapie 1 (= EA/LT) zu absolvieren, zwei<br />
Methoden für Beratung und Therapie, welche unter anderem in Medizin, Psychologie und<br />
Pädagogik eingesetzt werden und auf den Arzt Viktor E. Frankl (1905-1997) zurückgehen.<br />
Aufgrund dieser Weiterbildung interessierte es mich, die Möglichkeiten der Anwendung<br />
der Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie eingehender und systematischer<br />
zu erforschen, woraus diese Bachelor-Arbeit entstanden ist.<br />
Die Weiterbildung umfasste Theorie und Supervisionen und war interdisziplinär für<br />
Berufsleute konzipiert: Physiotherapeutinnen, Ärzte, eine Krankenschwester,<br />
Psychologinnen, Lehrerinnen und eine Berufsberaterin nahmen u.a. daran Teil und<br />
ermöglichten einen Austausch über Fachgrenzen hinweg. Es zeigte sich, dass die<br />
Interventionen und der Einsatz der EA/LT je nach Berufsgattung sehr unterschiedlich sind:<br />
Bei einer Berufsberaterin geht es um ein einstündiges Beratungsgespräch, in der<br />
Physiotherapie z.B. um eine Kürzestintervention innerhalb einer praktischen Behandlung.<br />
Das Curriculum der Weiterbildung entsprach den Anforderungen der <strong>GLE</strong>, der<br />
<strong>International</strong>en Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse mit Sitz in Wien und<br />
wurde von der IGEAP angeboten (<strong>International</strong>e Gesellschaft für existenzanalytische<br />
Psychotherapie – Schweiz) 2 .<br />
Ich danke herzlich Frau lic. phil. Brigitte Heitger-Giger, Präsidentin der IGEAP und<br />
Ausbildnerin sowie Frau Dr. med. Erika Luginbühl, Supervisorin und Ausbildnerin für die<br />
Unterstützung, Besprechungen und die Stellungnahme zur Arbeit, Prof. Dr. Alfried Längle,<br />
Präsident sowie Frau Dr. Silvia Längle, Vorstand <strong>GLE</strong>- <strong>International</strong> und dem <strong>GLE</strong>-<br />
Sekretariat Wien für wertvolle Literaturhinweise, Frau dipl. psych. Dörte Watzek,<br />
Dozentin für Physiotherapie BFH für die Betreuung der Arbeit, meinen Kolleginnen von<br />
der logotherapeutischen Ausbildung und jenen der Physiotherapiestudiums für<br />
Unterstützung und Austausch.<br />
1 „Logotherapie“ – die Beratungsmethode, die Grundlage dieser Arbeit ist - ist nicht zu verwechseln mit<br />
„Logopädie“, der Sprachheiltherapie, welche von Logopädinnen angewandt wird.<br />
2 Neben der <strong>GLE</strong> existieren weitere Gesellschaften für EA/LT, vgl. Raskob (2005). Differenzen und<br />
Gemeinsamkeiten der verschiedenen Richtungen sind nicht Gegenstand dieser Arbeit.<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
3 Einführung in das Thema<br />
3.1 Ausgangslage<br />
Das beratende Gespräch, Kommunikation und Motivation sind zentrale Themen sowohl in<br />
der Physiotherapie als auch in der Existenzanalyse und Logotherapie. In der<br />
physiotherapeutischen Praxis scheint die Kommunikation mit den Patienten/ -innen sogar<br />
zunehmend an Bedeutung zu gewinnen (Hoos-Leistner & Balk 2008).<br />
Diese Gewichtung der Kommunikation äussert sich darin, dass dem Thema in der<br />
Ausbildung zur Physiotherapeutin an der Fachhochschule ein bedeutender Raum<br />
zugestanden wird 3 . Neben Vorlesungen und Übungen werden auch personalintensivere<br />
Unterrichtsformen eingesetzt: Die sogenannten „Kommunikationstrainings“ mit<br />
Schauspielern als „standardisierten Patienten“, wo einzeln unter Videoaufnahme<br />
exemplarische Situationen aus dem Physiotherapiealltag geübt werden (vgl. Berner<br />
Fachhochschule Gesundheit 2006). Diese Videoaufnahmen dienen als Grundlage dieser<br />
Bachelor-Arbeit, vgl. Kapitel 6.<br />
Neben diesem expliziten Kommunikationsunterricht werden in diversen Fächern integriert<br />
Fragen der Kommunikation und des Umgangs mit Patienten behandelt (vgl. z.B. Bechter<br />
2007, Reusser 2007, Röthlin 2007). So z.B. im Unterricht in den Gebieten<br />
Physiotherapeutische Anamnese, Motorisches Lernen/ Trainingslehre, Mentales Training/<br />
Motivationslehre, Neurologie, Chronischer Schmerz oder Multimorbidität.<br />
Bei der EA/ LT handelt es sich um therapeutische bzw. beraterische Interventionen, deren<br />
Absicht es z.B. sein kann, die Ziele, Motivation und Einstellungen des Patienten/ der<br />
Klientin bezüglich einer Frage zu klären, herauszufinden, welche Werte der Person wichtig<br />
sind, wie sie ihr Handeln mit diesen in Übereinstimmung bringen und tatsächlich umsetzen<br />
kann, wodurch Sinn erlebt wird (Längle, Bauer et al 2005). Die EA/LT verfügt über ein<br />
spezifisches Motivationskonzept („vier Grundmotivationen“ vgl. Kapitel 4.2.8) und<br />
verschiedene Methoden bzw. Grundhaltungen, welche bereits in verschiedenen Kontexten<br />
in- und ausserhalb der Medizin eingesetzt und wissenschaftlich erforscht werden.<br />
In <strong>GLE</strong> (2009) finden sich Hinweise über den Einsatz in der Körpertherapie, im Sport, bei<br />
körperbehinderten Menschen und der Heilpädagogik, bei Patienten mit Schädel-Hirn-<br />
3 In 3 Jahren wurden 11 Sequenzen zum Thema Kommunikation unterrichtet, pro Schulsemester fanden<br />
zwischen 1-3 Kommunikationstrainings statt.<br />
Seite 5
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Traumata, in der Krankenpflege allgemein und der Palliativpflege, der Geriatrie,<br />
Logopädie, Suchttherapie, im Management und Coaching (zu den Einsatzgebieten siehe<br />
Aigner 2003, Bai 2008, <strong>GLE</strong> 2006, Habich 2006, Jones & Luginbühl 2002, Längle 2001,<br />
Raskob 2005, Romanos-Hofer 1996). Die Arbeiten sind jedoch zu einem beträchtlichen<br />
Teil nicht elektronisch greifbar und unterschiedlicher wissenschaftlicher Relevanz.<br />
Die Physiotherapie wird gemäss den Recherchen für diese Arbeit nirgends explizit<br />
untersucht oder erwähnt (vgl. Kapitel 4.3).<br />
Interessant und überraschend ist, dass der Begriff des Sinns, der grundlegend ist für die<br />
Existenzanalyse (vgl.. Kapitel 4.2.1), auch in der Physiotherapie einen zentralen Platz<br />
einnimmt, wenn auch philosophisch nicht weiter definiert und meist eher implizit Teil der<br />
Therapie. So schreibt der Schweizer Physiotherapie Verband über das Ziel der<br />
Physiotherapie (physioswiss 2009):<br />
„Die Physiotherapie bietet den Menschen Lösungsansätze, mit denen Einschränkungen und<br />
Beeinträchtigungen der Bewegungs- und Funktionsfähigkeit sinnvoll und<br />
funktionsorientiert behandelt (...) werden können.“<br />
So ergeben sich Überschneidungen in der Zielsetzung des physio- und logotherapeutischen<br />
Intervenierens.<br />
3.2 Zielsetzung der Arbeit<br />
Da bisher keine Studien zur Anwendung der EA/LT in der physiotherapeutischen Praxis<br />
vorliegen (vgl. Kapitel 4.3), soll die vorliegende Arbeit eine erste Untersuchung zum<br />
Einsatz dieser Methoden leisten. Dabei wird Bezug genommen auf die Theorie der EA/LT<br />
(Kapitel 4.1 und 4.2), auf Forschungsergebnisse (Kapitel 4.3) sowie auf eine eigene<br />
Untersuchung (Kapitel 5 bis 7).<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
4 Theoretische Grundlagen<br />
4.1 Existenzanalyse und Logotherapie<br />
Die EA/LT wurde anfangs der 1930-er Jahre von Viktor Frankl (1905-1997), einem<br />
Wiener Mediziner und Psychiater entwickelt. Frankl erlebte und überlebte während des<br />
2. Weltkriegs mehrere Konzentrationslager. Dabei bestätigte sich seine früher gemachte<br />
Beobachtung, dass der Mensch die Fähigkeit besitzt, von sich abrücken zu können<br />
(Selbstdistanzierung) und sich geistig auf jemanden oder etwas einzulassen (Selbst-<br />
Transzendenz), was die Überlebenschancen auch unter extremsten Bedingungen<br />
entscheidend verbesserte (vgl. Frankl 2007, Heitger et al 2006, Längle 2001).<br />
Dies führte ihn zur Frage, was die Menschen überleben, bzw. später im Klinikalltag gesund<br />
werden liess (Längle 2001), eine Fragestellung, die in den 1970-er Jahren unter anderem<br />
vom Sozialwissenschafter Aaron Antonovsky in einer Untersuchung zu Shoa-<br />
Überlebenden aufgegriffen wurde und zu dessen Konzept der Salutogenese führte (vgl.<br />
Kapitel 4.3.6).<br />
Die Therapiemethoden und Fragestellungen der EA/LT wurden verschiedentlich erweitert,<br />
unter anderem durch Alfried Längle, welcher die dieser Arbeit zugrunde liegende<br />
personale Existenzanalyse entwickelte (Heitger 2006, Raskob 2005). Längle definiert<br />
Logotherapie und Existenzanalyse folgendermassen:<br />
Die Logotherapie ist eine Beratungsmethode die davon ausgeht, dass die grundlegendste<br />
Motivation des Menschen, etwas zu tun, das Streben nach Sinn ist 4 , von Frankl auch der<br />
„Wille zum Sinn“ genannt (Längle et al 2000a).<br />
Existenzanalyse wird verstanden als Analyse auf Existenz hin (vgl. Kapitel 4.2.3), d.h.<br />
inwiefern eine Person ihre Existenz vollziehen kann (Längle 2005b) und bezeichnet die<br />
psychotherapeutische Richtung, die eben dieses Bestreben unterstützt (Längle 2000a).<br />
4 Logos (griech.) bedeutet u.a. „Sinn“.<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
4.2 Wichtige Definitionen, Inhalte und Methoden der EA/LT<br />
Im Folgenden werden einige wichtige Themen der EA/LT in Kurzfassung dargestellt, die<br />
für die vorliegende Arbeit Bedeutung haben.<br />
4.2.1 Existenzieller Sinn<br />
Der existenzielle Sinn ist die für die jeweilige Person wertvollste Handlungs-,<br />
Einstellungs- oder Erlebnismöglichkeit in einer konkreten Situation und daher<br />
grundsätzlich in jeder Lebenssituation auffindbar (Heitger et al 2006, Längle et al 2000a).<br />
Tutsch et al (2000) bezeichnen die Sinnfrage als Orientierungsdimension, auf die hin der<br />
Mensch mehr oder weniger bewusst alle seine Handlungen entwirft. Auf die<br />
Physiotherapie übertragen 5 kann z.B. das Gehen-Können nach einer Hüftoperation, damit<br />
man wieder Freunde besuchen kann, „existenzieller Sinn“ bedeuten 6 .<br />
4.2.2 Erlebniswert – Schöpferischer Wert – Einstellungswert<br />
Drei Wertekategorien werden von Frankl als „Wege zum Sinn“ beschrieben (Frankl 2007a,<br />
Frankl 1985 und Längle et al 2000a). Das heisst, wenn ein Mensch diese Werte<br />
verwirklicht, erlebt er „Sinn“:<br />
Erlebniswerte<br />
Schöpferische Werte<br />
Einstellungswerte<br />
Alle drei sind in der physiotherapeutischen Praxis auffindbar. Zu den Erlebniswerten<br />
gehören nach obigen Autoren jene, wo für die jeweilige Person Wertvolles aus der Welt<br />
aufgenommen und erlebt wird, als Beispiel aus der Physiotherapie: schmerzfrei eine<br />
Bewegung ausführen, nach einer Verletzung wieder joggen oder velofahren, und dieses<br />
Erlebnis geniessen können.<br />
Wo Wertvolles durch eine eigene Handlung umgesetzt, „in die Welt gesetzt“ wird, handelt<br />
es sich nach obigen Autoren um einen schöpferischen Wert. Bezogen auf die<br />
Physiotherapie zum Beispiel wieder knieen können, um mit den Enkeln zu spielen oder<br />
Treppe gehen können, um die Einkäufe selber zu tätigen.<br />
Einstellungswerte kommen gemäss Frankl (2007a und 1985) bei „unabänderlichem<br />
Schicksal“ zum Tragen, wie bei schweren, progredienten, zum Tode führenden<br />
Krankheiten und Behinderungen, welche einen Einschnitt in der bisherigen Lebensführung<br />
5 Die aufgeführten Beispiele stammen aus der eigenen Erfahrung mit Patienten in Schule und Praktika.<br />
6 Dem gegenüber steht der ontologische Sinn, welches der umfassende Sinn ist, der Antwort gibt auf die<br />
Frage nach den letzten Dingen, „dem Sinn des Lebens“. Dieser ist nicht Inhalt der EA/LT.<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
bedeuten. In der Physiotherapie ist das anzutreffen z.B. bei Paraplegie, Mutlipler Sklerose,<br />
Krebserkrankungen oder schweren Unfallverletzungen. Der Wert gemäss Frankl (1985,<br />
2007a) liegt in der Haltung, die der Patient gegenüber der Situation einnimmt, weil darin<br />
eine letzte Möglichkeit der Gestaltung der Situation besteht.<br />
4.2.3 Existenz<br />
Zentral für die Existenzanalyse ist der Begriff der Existenz. Sie wird definiert als<br />
„sinnvolles, in Freiheit und Verantwortung gestaltetes Leben in der je eigenen Welt“ (nach<br />
Heitger et al 2006). Voraussetzung für den Vollzug der Existenz sind die Offenheit der<br />
Person und die Dialogfähigkeit nach innen und aussen. Diese ist gemäss EA nicht auf das<br />
Verbale beschränkt sondern wird verstanden als „ständiges ‚In-Frage-Stehen’, Angefragt-<br />
Sein von erlebten und gespürten Werten wie z.B. Beziehungen ode Aufgaben. Längle<br />
(2006a) bezeichnet es als zentralen Wirkfaktor der Existenzanalyse, dass der Mensch in<br />
den Dialog mit seiner Welt und mit sich selber gebracht wird.<br />
4.2.4 Existenzielle Wende<br />
Von Frankl wurde der Begriff der existenziellen Wende eingeführt: Der Mensch wird<br />
demnach nicht primär Fragender und Fordernder: „Wozu ist das gut?“ – sondern als<br />
Angesprochener, Gestaltender, aufgerufen, Antwort zu geben und Stellung zu nehmen:<br />
„Was will ich in der jetzigen Situation tun?“ (vgl. Frankl 2007a, Frankl 1985, Heitger et al<br />
2006).<br />
4.2.5 Existenzskala<br />
Inwieweit Existenz realisiert und damit als erfüllt erlebt wird, kann mit der „Existenzskala“<br />
erfasst werden, einem psychometrischen Test, der eigens für die Existenzanalyse<br />
entwickelt wurde und in der Literatur zitiert wird (vgl. Kapitel 4.3). Die vier Subskalen des<br />
Tests messen die Selbst-Distanzierung (SD), die Selbst-Transzendenz (ST), die Freiheit (F)<br />
und die Verantwortung (V).<br />
Die Selbst-Distanzierung beschreibt die Fähigkeit der Person, von sich Abstand nehmen zu<br />
können. Selbst-Distanzierung ist die Voraussetzung zur Selbstbetrachtung, der<br />
Auseinandersetzung mit sich selbst und der Stellungnahme zu sich selbst. Die Selbst-<br />
Transzendenz bedeutet das Ausgerichtetsein und Sich-Einlassen der Person auf etwas, was<br />
nicht wieder sie selbst ist.<br />
Die SD und ST zusammen ergeben die personalen Voraussetzungen (P), die F und V<br />
zusammen den existenziellen Vollzug an den Möglichkeiten der Welt, als Gesamtwert<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
resultiert die existentielle Erfülltheit als subjektives Empfinden (Längle & Orgler 1996,<br />
Längle et al 2000a, Längle, Bauer et al 2005, Orgler 2000).<br />
4.2.6 Phänomenologische Haltung<br />
Darunter wird eine unvoreingenommene Haltung der Offenheit verstanden, die das<br />
Gegenüber in seiner Eigenart belässt und die sich ihrer Grenzen bewusst ist 7 . Ziel ist dabei<br />
das „Ansichtigwerden des Patienten von ihm selbst her“ und das Verstehen der Person<br />
(Längle et al 2000a).<br />
4.2.7 Person<br />
Die „Person“ wird gemäss Längle et al (2000a) von Frankl definiert als „geistige<br />
Dimension“, „das Freie im Menschen“ und bildet den Gegensatz zu den psychischen und<br />
physischen kausal-determinierenden Faktoren. Die Person kann Stellung nehmen, auch zu<br />
sich selber und vollzieht damit die erwähnte Selbst-Distanzierung (Längle 2006).<br />
4.2.8 Die vier personal-existenziellen Grundmotivationen<br />
Die vier personal-existenziellen Grundmotivationen (GM) werden als zentrales Kriterium<br />
zur Analyse in dieser Arbeit beigezogen (Kapitel 6.4) und werden hier daher ausführlich<br />
behandelt.<br />
Die vier personal-existenziellen Grundmotivationen wurden von A. Längle in die EA<br />
eingeführt. Sie werden als grundlegende Motivationen des Menschseins verstanden und<br />
bezeichnen die Motivationen, welche die Person bei ihrem Streben nach erfüllter Existenz<br />
bewegen. Dabei bilden die 1.-3. GM die Basis für die 4. GM. Ist eine Person behindert<br />
oder blockiert in ihrem Bestreben, die Grundmotivationen zu verwirklichen, wird gemäss<br />
Längle et al (2000a) die Existenz als defizitär erlebt.<br />
Die EA hat zum Ziel, den Menschen zu befähigen, mit innerer Zustimmung zum eigenen<br />
Handeln und Dasein leben zu können, was als „existenzanalytisches Prinzip der<br />
Lebensaffirmation“ bezeichnet wird. Entsprechend den vier Grundmotivationen geht es um<br />
vier verschiedene Ebenen der Zustimmung, denen vier Grundfragen zugeordnet werden,<br />
vgl. Tabelle 1. Diese Grundfragen sind nicht nur in der Psychotherapie sondern auch für<br />
7 Eine Haltung der Offenheit ist auch in anderen Methoden wesentlich, z.B. bei Rogers vgl. Hoos-Leistner<br />
& Balk (2008).<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
die Beratung in verschiedenen Berufsfeldern von praktischer Bedeutung (Längle, Bauer et<br />
al 2005), indem diese Fragen direkt oder indirekt gestellt werden können.<br />
Dabei ist anzumerken, dass in der Psychotherapie und Beratung die Grundmotivationen<br />
und –fragen vor allem – aber nicht ausschliesslich – verbal ergründet, erarbeitet und<br />
bearbeitet werden. Es gibt aber auch averbale Vorgehensweisen, die diese Themen<br />
berühren, bewegen und ausdrücken – diese sind in der Physiotherapie, welche nicht primär<br />
verbal ausgerichtet ist, umso wichtiger. Die Grundfragen bleiben sich aber gleich.<br />
Tabelle 1: Vierfache Zustimmung und vier Grundfragen der Person (nach Heitger et al 2006)<br />
Vierfache Zustimmung Grundfragen<br />
1. GM Zustimmung zur Welt Kann ich (so) leben?<br />
2. GM Zustimmung zum Leben Mag ich (so) leben?<br />
3. GM Zustimmung zu sich als Person Darf ich (so) leben?<br />
4. GM Zustimmung zur sinnvollen Tat Will ich/ soll ich so leben?<br />
Um ein Ja zur Welt (1. GM), zum Leben (2. GM), zu sich (3. GM) und zum Sinn (4. GM)<br />
finden zu können, braucht es nach existenzanalytischer Theorie folgende Voraussetzungen<br />
(in Anlehnung an Tutsch et al 2000 und <strong>GLE</strong> 2008):<br />
1. Halt, Raum und Schutz, um das Dasein annehmen und aushalten zu können. Diese<br />
Voraussetzungen gewährleisten das Sein-Können des Menschen (1. GM).<br />
2. Beziehung, Zeit und Nähe, um sich dem Leben zuwenden zu können und das<br />
Leben als wertvoll zu erleben. Diese Voraussetzungen gewährleisten die<br />
emotionale Wertung des Lebens, d.h. die Lebendigkeit als Leben-Mögen (2. GM).<br />
3. Achtung und Wertschätzung, um sich selbst in seiner Individualität zu erkennen,<br />
anzuerkennen, annehmen und abgrenzen zu können. Diese Voraussetzungen<br />
gewährleisten das Selbstsein-Dürfen (3. GM).<br />
4. ein Tätigkeitsfeld und einen Wert in der Zukunft, der eine Anziehung ausübt, damit<br />
das Wesentliche gefunden und in Übereinstimmung mit sich verwirklicht werden<br />
kann. Diese Voraussetzungen ermöglichen das sinnerfüllte Leben (4. GM).<br />
In Tabelle 2 sind obige vier Punkte nochmals zusammengefasst als Grundmotiv,<br />
Voraussetzungen und als personale Aktivität, die vom Individuum nötig ist, damit die<br />
jeweilige Grundmotivation als erfüllt erlebt werden kann. Therapeutisch wird der Aspekt<br />
unterstützt, der die Erfüllung der Grundmotivation induziert, für die 1. GM beispielsweise<br />
das Aushalten und Annehmen oder das Erfahren von Raum, Schutz und Halt.<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Tabelle 2: Elemente der vier personal-existenziellen Grundmotivationen I<br />
(nach Längle et al 2000a und Längle, Bauer et al 2005)<br />
Grundmotiv Voraussetzungen Personale Aktivität<br />
1. GM Dasein können Raum, Schutz, Halt Aushalten, annehmen<br />
2. GM Leben mögen Beziehung, Zeit, Nähe Zuwenden<br />
3. GM Selbstsein dürfen Beachtung, Wertschätzung Anerkennen, abgrenzen<br />
4. GM Sinnvolles wollen Tätigkeitsfeld, Strukturzusam-<br />
menhang, Wert in der Zukunft<br />
Übereinstimmung mit<br />
sich/ der Welt prüfen,<br />
handeln<br />
Untenstehend folgt eine Charakterisierung der einzelnen Grundmotivationen in Anlehnung<br />
an Jones & Luginbühl (2002) mit Zitaten aus deren Untersuchung über das Älterwerden.<br />
Ergänzt werden diese mit Querverweisen zur Physiotherapie, welche von der Autorin<br />
aufgrund der Literatur abgeleitet wurden, da physiotherapeutische Literatur zum Thema<br />
fehlt (vgl. Kapitel 4.3.3). Es wird hierbei vorwiegend vom Körper und Körpererleben<br />
ausgegangen, da der Fokus in der Physiotherapie auf dem Körper und dessen<br />
Behandlung liegt. Zudem werden nach IGEAP (2008) Fragen aufgeführt, welche<br />
verdeutlichen, wie die Themen der jeweiligen Grundmotivation angefragt werden können.<br />
4.2.8.1 1. Grundmotivation<br />
Ein gesunder Körper ermöglicht das Sein, ist verlässlich und gibt Halt. Nach<br />
existenzanalytischer Sichtweise gilt der Körper als Lebensraum erster Ordnung und kann<br />
in dieser Hinsicht der 1. GM zugeordnet werden (Jones & Luginbühl 2002).<br />
In der Physiotherapie ist man oft konkret mit dem Haltverlust, der Erschütterung des sonst<br />
„normalen“ Halts konfrontiert, wenn z.B. nach Operationen des Hüftgelenks Stöcke,<br />
Geländer und andere Hilfsmittel nötig werden oder eine Treppe zum schwer<br />
überwindbaren Hindernis wird. Das Spektrum von Beeinträchtigungen kann dabei von<br />
einer problemlosen Operation des vorderen Kreuzbandes bis zu schwerwiegenden wie der<br />
Amputation eines Beines reichen. Ein anderes Thema, wo die 1. GM betroffen ist, sind<br />
verschiedene schwer oder nicht auszuhaltende Zustände z.B. bei starken oder chronischen<br />
Schmerzen, wo das Da-Sein-Können infrage gestellt ist.<br />
Seite 12
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Untenstehend sind Beispiele von Kommentaren zur 1. GM zum Thema Erhaltung der<br />
Gesundheit und Umgang mit körperlichen Einschränkungen aus Jones & Luginbühl (2002,<br />
36-38):<br />
„Man muss früh mit kulturellen und sportlichen Aktivitäten beginnen, nicht erst nach<br />
der Pensionierung.“<br />
„Ich bin nicht besorgt, weil ich alt werde, es ist mehr das Schwachwerden, die<br />
Schmerzen.“<br />
„Ich habe mich schon erkundigt wegen dem Bau eines Treppenliftes, wenn wir<br />
einmal nicht mehr die lange Treppe steigen können.“<br />
Tabelle 3: Themen und Fragen zur 1. GM (IGEAP 2008)<br />
Thema Wie kann der Patient da sein in seiner Welt<br />
Grundfrage Ich bin – kann ich da sein auf dieser Welt?<br />
Konkrete Fragen Kann ich da sein?<br />
4.2.8.2 2. Grundmotivation<br />
Was gibt mir Halt in meinem Leben? Wo erlebe ich Schutz?<br />
Wo habe ich Raum, um da sein zu können?<br />
Was gibt mir Vertrauen?<br />
Kann ich das, was ist, annehmen?<br />
Der Körper ermöglicht es, mit der Welt und anderen Menschen in Beziehung zu treten,<br />
sich ins Leben einzubringen und als lebendig zu erfahren. Dieser Aspekt des<br />
Körpererlebens kann der 2. GM zugeordnet werden (Jones & Luginbühl 2002).<br />
In der Physiotherapie können Patienten erlebt werden, die in dieser Hinsicht eingeschränkt<br />
sind, z.B. weil die Kraft fehlt, irgendwohin zu gehen, um jemanden zu besuchen, bisherige<br />
Tätigkeiten weiter auszuführen oder wo Beeinträchtigungen (Müdigkeit, Schmerz), das<br />
Leben-Mögen in Frage stellen. Dies kann unter Umständen zu einem Verhalten führen,<br />
welches die Umwelt (Pflegende, Angehörige) abstösst, was das Eingehen von Beziehungen<br />
weiter erschwert.<br />
Seite 13
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Nachfolgend sind Beispiele aufgeführt von Kommentaren zur 2. GM zum Erleben von<br />
Freude durch körperliche Aktivitäten bzw. zum Leiden an abnehmender Lebensqualität aus<br />
Jones & Luginbühl (2002, 37-38):<br />
„Ich freute mich darauf, Sport zu betreiben.“<br />
„Das Wandern, das Laufen, das brauche ich, das habe ich immer gebraucht, da wäre<br />
ich dann schon unglücklich, wenn ich immer zu Hause sein müsste. Ich leiste mir ab<br />
und zu eine Massage, das geniesse ich sehr.“<br />
„Mit 71 hatte ich beim Langlaufen einen Herzinfarkt. Seither darf ich keinen Sport<br />
mehr treiben. Das war ein Einschnitt, das tut mir heute noch weh.“<br />
Tabelle 4: Themen und Fragen zur 2. GM (IGEAP 2008)<br />
Thema Motivation, Beziehung zum Leben<br />
Grundfrage Ich lebe – mag ich leben?<br />
Konkrete Fragen Was erleben Sie als gut in Ihrem Leben?<br />
4.2.8.3 3. Grundmotivation<br />
Wofür nehmen Sie sich Zeit?<br />
Wo spüren Sie Freude, Lebenslust?<br />
Der Körper ist wesentlich für unsere Identität, unser Selbst-Sein-Können. Zusätzlich<br />
vermittelt ein gesunder, attraktiver Körper soziale Anerkennung, stärkt das<br />
Selbstwertgefühl und trägt zu einer erfüllten 3. GM bei (Jones & Luginbühl 2002).<br />
In der Physiotherapie werden Beeinträchtigungen auf der Ebene der 3. GM z.B. da erlebt,<br />
wo ein Patient nicht ernstgenommen wird vom medizinischen Personal oder wo er nicht zu<br />
sich selber stehen kann mit krankheits- oder unfallbedingten Behinderungen.<br />
Hier folgen Beispiele von Kommentaren zur 3. GM über die Körperliche<br />
Leistungsfähigkeit zur Hebung des Selbstwertes und den entwürdigenden Umgang durch<br />
Pflegepersonal aus Jones & Luginbühl (2002, 37-39):<br />
Seite 14
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
„Im Alter spielt bei der körperlichen Leistungsfähigkeit jeder Monat eine Rolle, wie<br />
im Säuglingsalter. Ich und meine SAC-Kollegen beobachten uns gegenseitig, was wir<br />
noch zu leisten im Stande sind.“<br />
„Sobald ich krank werde, ist das Negative da. Die Gesundheit gibt einem die<br />
Möglichkeit, dass man nicht eingeschränkt ist und man nicht das Gefühl hat, man sei<br />
gefangen in einem Ghetto, aus dem man nicht herauskommt.“<br />
„Ich finde es schrecklich, wenn Pflegerinnen mit alten Leuten wie mit Babys<br />
umgehen und vor ihnen über sie sprechen.“<br />
Thema Selbstakzeptanz<br />
Tabelle 5: Themen und Fragen zur 3. GM (IGEAP 2008)<br />
Grundfrage Ich bin ich – darf ich so sein?<br />
Konkrete Fragen<br />
Thema Selbstwert<br />
Thema Abgrenzung<br />
Was schätzen Sie an sich selbst, was nicht?<br />
Wofür bekommen Sie Anerkennung? Wie finden Sie das selber?<br />
Fühlen Sie sich respektiert?<br />
Können Sie zu sich stehen?<br />
Wie gut können Sie sich von Ansprüchen von aussen abgrenzen?<br />
Thema Authentizität Ist das … so stimmig für Sie?<br />
4.2.8.4 4. Grundmotivation<br />
Wenn Sie nur auf sich hören, wofür würden Sie sich entscheiden?<br />
Über den Körper wird Wertvolles erlebt und erschaffen, wodurch der existenzielle Sinn<br />
verwirklicht wird. Dieser Sachverhalt entspricht der 4. GM (Jones & Luginbühl 2002).<br />
In der Physiotherapie spielt diese Ebene eine grosse Rolle, indem bei der Anamnese nach<br />
Aktivitäten, dem Umfeld, der Partizipation gefragt wird, d.h. nach Bereichen, die dem<br />
Patienten etwas wert sind und für die er seine Funktionsfähigkeit wieder erlangen will.<br />
Diese Aktivitäten werden oft als Ziel formuliert und bilden einen wesentlichen Teil der<br />
Therapiemotivation, u.a. für das selbständige Durchführen des Heimprogramms.<br />
Seite 15
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Untenstehend folgen Beispiele von Kommentaren zur 4. GM zu den Themen Gesundheit<br />
als Geschenk bzw. Krankheit als Schicksal, zu dem man eine positive Einstellung findet,<br />
indem man darin einen Sinn findet (Jones & Luginbühl 2002, 37-39):<br />
„Man muss jeden Tag glücklich sein, wenn man gesund aufstehen kann und<br />
geniessen und dem Herrgott dankbar sein, dass man noch zwäg ist.“<br />
„Als Leiter einer Behindertenturngruppe kann ich den Jüngeren aus eigener<br />
Erfahrung sagen, dass diese Krankheit, welch im frühen Stadium sehr schmerzhaft<br />
ist, mit der Zeit weniger schlimm wird und man damit leben kann und ein bischen das<br />
weitergeben, was ich selber erlebt habe.“<br />
Thema Sinnfrage<br />
Tabelle 6: Themen und Fragen zur 4. GM (IGEAP 2008)<br />
Grundfrage Ich bin da – wofür ist es gut?<br />
Konkrete Fragen Worum soll es in dieser Situation gehen?<br />
4.2.9 Coping-Reaktionen<br />
Was erscheint Ihnen jetzt wichtig/ gut?<br />
Wofür wollen Sie das … machen?<br />
In der EA/LT werden gemäss Längle et al (2000a) und Längle (2005a) unter „Coping-<br />
Reaktionen“ reflexartige, automatisch ablaufende Schutz- und situative<br />
Bewältigungsreaktionen verstanden. Sie haben auf der psychischen Ebene eine<br />
Abwehrfunktion und erhalten bzw. schaffen die Voraussetzungen zum Existieren in einer<br />
Bedrohungssituation. Je nachdem, welche Grundmotivation betroffen ist und/ oder je nach<br />
Persönlichkeit, nehmen sie eine andere Form an (vgl. Tabelle 7). Es werden nach Längle<br />
(2000a und 2005a) vier Ausprägungen der Coping-Reaktion unterschieden:<br />
1. die Hauptreaktion/ Grundbewegung, welche einen Vermeidungsversuch darstellt<br />
2. die paradoxe Reaktion/ Aktivismus als Bewältigungsversuch<br />
3. das Aggressionsmuster, wenn der Situation nicht entkommen werden kann<br />
4. der Totstellreflex beim Überwältigungserleben.<br />
Ein Beispiel findet sich in der Videoanalyse beim Tumorpatienten (Kapitel 6.3.1): Die<br />
Physiotherapeutin fragt sehr genau nach, wie er denn gehe, denn der Patient hat seit<br />
einigen Tagen einen Rollator. Der Patient reagiert indigniert „Wie meinen Sie das? Ich<br />
Seite 16
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
gehe nicht auf den Händen“, was eine klare Abgrenzungsreaktion ist. Die 3. GM ist<br />
betroffen, als Reaktion folgt ein Sich-Distanzieren von der Therapeutin.<br />
GM<br />
1. GM<br />
2. GM<br />
3. GM<br />
4. GM<br />
Tabelle 7: Formen der Coping-Reaktionen gegliedert nach Themen der Grundmotivationen<br />
Hauptreaktion<br />
(Vermeidungsversuch)<br />
(nach Längle 2005a und <strong>GLE</strong> 2008)<br />
Paradoxe Reaktion<br />
(Bewältigungsversuch)<br />
Aggressionsmuster Totstellreflex<br />
Fliehen, verleugnen Ankämpfen Destruktiv: Hass Lähmung<br />
Rückzug Leisten, entwerten Beziehungs-<br />
Auf Distanz gehen Rechtfertigen/<br />
Provisorisches<br />
Engagement<br />
4.3 Forschungsstand<br />
Recht geben,<br />
überspielen<br />
Provokation,<br />
Idealisierung,<br />
Fanatismus<br />
suchend: Wut<br />
Abgrenzend:<br />
Zorn/Ärger<br />
kämpferisch:<br />
Zynismus,<br />
Sarkasmus<br />
Erschöpfung,<br />
Resignation<br />
Dissoziation,<br />
Leugnung<br />
Betäubung,<br />
Nihilismus<br />
Bei den Recherchen für diese Arbeit erwies es sich als schwierig, Literatur zum Thema<br />
EA/LT in der Physiotherapie zu finden.<br />
Zur Forschung über EA/LT allgemein existieren – verglichen mit anderen medizinischen<br />
Themen – relativ wenige aktuelle Studien: 70 Hits zur Logotherapie, 80 zur<br />
Existenzanalyse in Pubmed (2008), vgl. Anhang 13.1), sowie 16 zur Logotherapie und 4<br />
zur Existenzanalyse gemäss PsycINFO® (2009). Diverse davon waren mit den<br />
vorhandenen Mitteln nicht greifbar.<br />
Längle, Görtz et al (2005) sowie Längle (2001) erwähnen einen Grund für die relativ<br />
geringe Anzahl von Studien: Die EA/LT arbeite vorwiegend phänomenologisch<br />
individualisierend und üblicherweise ohne Fragebögen, Gruppenstudien seien demnach für<br />
dieses individuelle Verfahren wenig geeignet.<br />
Zu einzelnen Interventionsmethoden der LT, z.B. der „paradoxen Intention“ existieren<br />
gemäss Längle (2001) durchaus Studien, ebenso zu spezifisch existenzanalytischen Tests<br />
wie der Existenzskala von Längle und Orgler (Längle & Orgler 1996, Orgler 2000). Ein<br />
Seite 17
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Systematic Review zur Validität und Reliabilität der Tests konnte nicht gefunden werden,<br />
hingegen existieren Einzeluntersuchungen, welche die Reliabilität bestätigen (z.B.<br />
Noguchi et al 2006).<br />
Zusammenfassend kann festgehalten werden: Obwohl innerhalb der EA/LT empirische<br />
Forschung zunehmend gefordert wird (Steinert 2001), sind nach wie vor vergleichsweise<br />
wenige Studien vorhanden.<br />
Es wurde daher Literatur aus dem Umkreis des Themas einbezogen: Kommunikation in<br />
der Physiotherapie (Kapitel 4.3.1), Diplomarbeiten an der Berner Fachhochschule<br />
Gesundheit (Kapitel 4.3.2), EA/LT in der Medizin und Psychotherapie (Kapitel 4.3.4), und<br />
als Vergleich mit anderen Therapieansätzen die Therapie mit chronischem Schmerz<br />
(Kapitel 4.3.5) und die Salutogenese (Kapitel 4.3.6). Die Recherche zur EA/LT in der<br />
Physiotherapie ist in Kapitel 4.3.3 ausgeführt.<br />
4.3.1 Kommunikation in der Physiotherapie<br />
Wie in der Einführung erwähnt scheinen die Kommunikation und die therapeutische<br />
Beziehung in der Physiotherapie zunehmend an Beachtung zu gewinnen, unter anderem<br />
auch wegen der Zunahme chronisch kranker und multimorbider Patienten. Wichtig ist das<br />
Gespräch nicht nur für ein angenehmes Therapieklima sondern für die Motivation und<br />
Förderung der Eigenaktivität des Patienten und damit für den ganz konkreten<br />
physiotherapeutischen Therapieerfolg (Betz et al 2006, Friedel 2008, Hoos-Leistner &<br />
Balk 2008, Jeffels & Foster 2003, Klenger 2008, Schneider 2008, Silverman et al 2007).<br />
Die medizinische Datenbank Pubmed bringt unter der Recherche zu „Physical therapy<br />
AND Communication“ über 3000 Hits (Pubmed 2008, vgl. Anhang 13.1), was ebenfalls<br />
auf die Bedeutung des Themas hinweist.<br />
4.3.2 Diplomarbeiten an der Berner Fachhochschule Gesundheit<br />
Kommunikation und Gespräch im weiteren Sinne wurden an Abschlussarbeiten der Berner<br />
Fachhochschule Gesundheit/ Physiotherapie (bzw. an den Vorgängerinstitutionen) bereits<br />
vereinzelt behandelt. Es handelt sich hierbei, wie eine Recherche der bis Dezember 2008<br />
vorliegenden Arbeiten zeigte, um ein Spektrum von Themen wie: Kooperation zwischen<br />
Physiotherapeut und Patient (Villinger & Baumann 1997), Compliance des Patienten<br />
(Abplanalp & Tannast 1999), Nonverbale Kommunikation in der Anamnese (Lüthi et al<br />
Seite 18
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
2002) und verwandte Themen (Linder & Wirth 2000 sowie Barmettler & Graber 2000).<br />
Keine der Arbeiten befasst sich mit Logotherapie/ Existenzanalyse.<br />
4.3.3 EA/LT in der Physiotherapie<br />
Soweit es im Rahmen dieser Bachelor-Arbeit in Erfahrung gebracht werden konnte,<br />
existieren keine Arbeiten zum Einsatz der EA/LT in der Physiotherapie (Pubmed 2008 und<br />
Anhang 13.1; PsycINFO® 2009). Eine Recherche auf der Homepage der Gesellschaft für<br />
Logotherapie und Existenzanalyse (<strong>GLE</strong>) in Wien (<strong>GLE</strong> 2009), sowie eine Mailanfrage bei<br />
der Forschungsverantwortlichen (Dezember 2008) ergaben ebenfalls ein negatives<br />
Resultat. Andere existenzanalytische Richtungen wurden zu dieser Frage nicht explizit<br />
angegangen.<br />
Die EA/LT scheint daher in der Physiotherapie noch nicht untersucht worden zu sein.<br />
4.3.4 EA/LT in der Medizin und Psychotherapie<br />
Aus dem Gebiet der Medizin und Psychotherapie wurden vier Studien beigezogen: Eine<br />
über die Bewältigung der Krankheit bei Patienten mit schweren körperlichen<br />
Erkrankungen (Mehnert 2006) sowie eine über die Anwendung der Existenzskala bei<br />
Dialysepatienten (Schwaiger et al 2007). Beide Studien schienen wegen des<br />
Patientenkollektivs interessant. Zur Effektivität der Existenzanalyse konnten nur Beiträge<br />
aus dem psychotherapeutischen Setting gefunden werden, wovon zwei greifbar waren<br />
(Längle, Görtz et al 2000, Längle, Görtz et al 2005).<br />
Zur Beurteilung der vier erwähnten Studien:<br />
Mehnert (2006)<br />
Gemäss einem Review von Mehnert (2006) ist die Sinnfindung und Beschäftigung mit<br />
existenziellen Themen zur Bewältigung von chronischen und/ oder schweren körperlichen<br />
Erkrankungen essentiell und zwar insbesondere für die Anpassung an die Krankheit, die<br />
Krankheitsverarbeitung („posttraumatic growth“, „benefit finding“) und die<br />
Lebensqualität. Viele der heute eingesetzten Konzeptionen basieren gemäss Mehnert<br />
(2006) auf Viktor E. Frankls Theorien und werden in Erfassung und Therapie v.a im<br />
gesundheitspsychologischen und psychoonkologischen Kontext eingesetzt. Dabei wird die<br />
Logotherapie als ein möglicher erfolgreicher Zugang bezüglich des Umgangs mit<br />
Krankheit erwähnt neben anderen Konzepten wie der Salutogenese.<br />
Seite 19
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Bewertung: Bei dieser Arbeit Mehnerts handelt es sich nicht um ein „systematic“ Review,<br />
und welche Quellen ein- bzw. ausgeschlossen wurden, ist nicht erwähnt. Von den<br />
vorgestellten Konzepten ist jeweils nur die Zielrichtung z.B. „Wiederteilhabe am<br />
alltäglichen Leben“, nicht aber detailliert das methodische Vorgehen beschrieben. Viele<br />
der vorgestellten Ziele entsprechen jenen der EA/LT. Mehnert stellt zudem eine<br />
unbefriedigende Situation fest bezüglich Qualität und Quantität empirischer Studien<br />
(fehlende Längsschnitt- und Interventionsstudien, unzureichende Kontrolle<br />
konfundierender Variabeln u.a.), was nach den bisherigen Erfahrungen im Rahmen dieser<br />
Arbeit bestätigt werden kann. Die beigezogenen Studien sind zu einem grossen Anteil<br />
neueren Datums und aus wissenschaftlich relevanten Publikationen, sodass mit den<br />
erwähnten Einschränkungen die Schlüsse plausibel erscheinen.<br />
Mit Mehnert (2006) kann daher angenommen werden, dass die Haltung gegenüber der<br />
Krankheit, die Möglichkeit, das Leben trotz Behinderung als sinnvoll zu erleben, das<br />
Bestreben, Verantwortung zu übernehmen und innerhalb der begrenzten Möglichkeiten<br />
aktiv zu sein und am Leben teilzuhaben– alles auch Postulate der EA/LT – den Umgang<br />
mit körperlichen Krankheiten und Symptomen wesentlich und positiv beeinflussen.<br />
Für die Physiotherapie ist das insofern relevant, als man den beschriebenen<br />
Krankheitsbildern auch im physiotherapeutischen Kontext begegnet und man als<br />
Physiotherapeutin die entsprechende Haltung, die Aktivität und Eigenverantwortung des<br />
Patienten unterstützen kann (vgl. Hoos-Leistner und Balk 2008).<br />
Schwaiger et al 2007<br />
In einer Pilotstudie von Schwaiger et al (2007) wurde nicht die Wirksamkeit der EA/LT als<br />
Methode, jedoch die Anwendung des existenzanalytischen Testinstruments<br />
„Existenzskala“ bei 52 Dialysepatienten in zwei österreichischen Dialysezentren<br />
untersucht. Dabei ging es darum, anhand der Existenzskala Persönlichkeitsmerkmale zu<br />
erfassen, welche bei der Entscheidungsfindung zwischen Peritonealdialyse und<br />
Hämodialyse von Nutzen sein könnten.<br />
Die Peritonealdialyse wird vom Patienten selbstständig zu Hause durchgeführt und<br />
verlangt tägliche medizinische Entscheidungen durch den Patienten, die Hämodialyse<br />
erfolgt im Spital unter Aufsicht und mit geringerer Selbstverantwortung. Die<br />
Peritonealdialyse-Patienten schnitten in der Existenzskala mit der Subskala<br />
Seite 20
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
„Selbstdistanzierung“ signifikant besser ab, woraus die Autoren schliessen, dass diese<br />
Patientengruppe über personale Fähigkeiten verfügt, welche die Behandlungsmodalität<br />
Peritonealdialyse erleichtert.<br />
Bewertung: Methodisch scheint diese Studie sauber aufgebaut. Ein- und<br />
Ausschlusskriterien für die Patienten sind definiert, die Diagnosen, weitere Kovariablen,<br />
sowie Studienabbrüche festgehalten, Subgruppen und Vorgehen bei der Testung klar<br />
beschrieben und die statistische Auswertung (ANOVA, Mann-Whitney U) entspricht dem<br />
für klinische Studien üblichen Standard. Die Grenzen der Studie werden ebenso erwähnt,<br />
so z.B. die geringe Anzahl Patienten und der fehlende Vergleich mit anderen<br />
Testinstrumenten. Es scheint plausibel, dass Patienten, welche die Peritonealdialyse als<br />
Behandlung wählen, eine grössere Fähigkeit zur Selbstdistanzierung verfügen, da diese<br />
Behandlung mehr Selbständigkeit und verantwortete Entscheidungen verlangt.<br />
Interessant scheint diese Studie, weil sie ein Instrument der EA/LT ausserhalb des<br />
psychotherapeutischen Umfeld einsetzt und zwar in einem Bereich, mit dem auch die<br />
Physiotherapeuten in grösseren Zentrumsspitälern konfrontiert sind: Der Nephrologie und<br />
deren chronisch kranken Patienten. Im Gegensatz zu Mehnert (2006) geht es in dieser<br />
Studie weniger um den Umgang mit der Krankheit als solche, sondern um die<br />
Entscheidungsfindung innerhalb eines Therapieverlaufs.<br />
Dies ist ein Thema, das auch in der Physiotherapie angetroffen wird, z.B. bei der Frage, ob<br />
der Patient/ die Patientin genug Eigenverantwortung für eigenes Üben zu Hause<br />
übernimmt oder ob es mehr Struktur braucht, z.B. durch Mitmachen in einer Gruppe<br />
(Wassertherapie-, Nordic Walkinggruppe u.ä.) oder das Üben an Krafttrainingsgeräten<br />
unter Aufsicht. Inwiefern die Existenzskala in der Physiotherapie eingesetzt werden<br />
könnte, bleibt eine offene Frage.<br />
Längle, Görtz et al 2000<br />
Längle, Görtz et al (2000) untersuchten in ihrer empirischen Studie an über 337 Patienten<br />
(Kontrollgruppe 57) über sieben Jahre (1994-2000) die Anwendung der<br />
existenzanalytischen Vorgehensweise an alkohol- und medikamentenabhängigen Patienten<br />
im achtwöchigen, stationären Setting. Eine Signifikante Wirkung der EA zeigte sich unter<br />
anderem in den Kategorien der Befindlichkeit, Verantwortlichkeit und Selbsttranszendenz.<br />
Eine deutliche Wirkung war ebenso feststellbar bezüglich Selbstdistanzierung und Freiheit,<br />
Selbstwertgefühl, Autonomie. Die Kontrollgruppe (Verhaltenstherapie, systemische<br />
Seite 21
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Therapie u.a.) wies hingegen bessere Werte auf bezüglich Symptomentlastung und<br />
Aktivierung. Die Autoren halten fest, dass die EA im psychotherapeutischen Setting im<br />
Gegensatz z.B. zur Verhaltenstherapie restrukturierend, problemorientiert und längerfristig<br />
angelegt ist und daher erst nach einer längeren Zeitspanne Wirkung z.B. in der<br />
Symptomentlastung zeigt.<br />
Bewertung: Die Studie weist zahlreiche methodische Mängel auf, welche auch von den<br />
Autoren festgehalten werden, so die unterschiedliche Grösse von Untersuchungs- und<br />
Kontrollgruppe, das Vereinen mehrerer Methoden in der Kontrollgruppe, die nicht<br />
zufällige Zuteilung der Probanden u.a. Die Resultate können daher lediglich als Tendenz<br />
verstanden werden.<br />
Das Kollektiv Suchtpatienten ist eines, das auch in der Physiotherapie anzutreffen ist.<br />
Ebenso sind die in dieser Studie durch die EA erzielten Wirkungen für die<br />
Patientenmotivation in der Physiotherapie relevant. Als Frage bleibt, inwiefern die<br />
Physiotherapie, im durch die Krankenkassen limitierten zeitlichen Rahmen (30 Min.<br />
Therapie, 9 Sitzungen, 2-3x verlängerbar), in die erwähnte Richtung wirken kann, zumal<br />
nicht vorwiegend mit Gesprächen gearbeitet wird.<br />
Längle, Görtz et al 2005:<br />
Die Studie von Längle, Görtz et al (2005) war als prospektive Wirksamkeitsstudie<br />
konzipiert. Therapiert wurden Patienten mit psychiatrischen Diagnosen wie z.B.<br />
Depressionen in der Einzelpraxis. Durch die existenzanalytische Behandlung wurden<br />
hochsignifikante bzw. signifikante Verbesserungen in den Kategorien Selbst-<br />
Distanzierung, Selbst-Transzendenz, Freiheit und Verantwortung erzielt.<br />
Bewertung: Die Studie ist methodisch klar aufgebaut mit mehreren konstant eingehaltenen<br />
Testzeitpunkten. Sie Umfasst 248 Patienten, wovon eine recht hohe Zahl an<br />
Therapieabbrüchen (24%). Sämtliche in einem bestimmten Zeitraum in der Einzelpraxis<br />
behandelten Patienten wurden einbezogen (Vollerhebung), die Therapie erstreckte sich<br />
über durchschnittlich 28 Stunden. Dies scheint für eine Studie im ambulanten Bereich mit<br />
fluktuierenden Patientenzahlen eine akzeptable Konstanz.<br />
Seite 22
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Was oben bei der Studie von Längle, Görtz et al (2000) erwähnt ist, gilt auch hier: Das<br />
Patientenkollektiv beansprucht ebenfalls Physiotherapie, wie die Methode<br />
physiotherapeutisch handhabbar gemacht werden kann, ist eine Frage.<br />
4.3.5 Therapie von chronischem Schmerz<br />
Eine interessante Spur zur Wirksamkeit und Anwendung der EA/LT in der Physiotherapie<br />
könnte über die neueren Erkenntnisse in der Behandlung von chronischem Schmerz<br />
führen. Dies, weil die EA/LT auf die Bereiche fokussiert, die nach neuerer Forschung für<br />
eine wirkungsvolle Behandlung von Patienten mit chronischem Schmerz unabdingbar sind.<br />
Wesentlich gemäss Pfingsten (2005) ist das Angst-Vermeidungsverhalten (Fear-<br />
Avoidance) der Patienten mit chronischem Schmerz, welches massgeblich durch die<br />
Haltung des Patienten zu seiner Krankheit bestimmt ist. Diese Einstellung sei oft von<br />
fehlender Selbstwirksamkeit (der Fähigkeit, selber in Bezug auf seine Gesundheit etwas zu<br />
unternehmen), von der Angst vor Schmerzen und zunehmender Angst-Vermeidung<br />
bestimmt und führe zu weiter ansteigendem Beeinträchtigungserleben.<br />
In der Therapie von Patienten mit chronischem Schmerz wird ein Paradigmenwechsel<br />
gefordert hin zur Förderung der Eigenaktivität des Patienten, der als Partner betrachtet und<br />
multimodal sowie multidisziplinär behandelt werden soll (Schug & Grape 2009).<br />
Für den Patienten ist gemäss der Literatur weniger die Art der physiotherapeutischen<br />
Übungen wichtig, sondern, dass der Klient Vertrauen ins Bewegen gewinnt und<br />
selbstständig regelmässige Aktivität in sein Leben integriert (Mannion 2004, Butzlaff et al<br />
2003, European Guidelines 2004 am Beispiel von chronischem Rückenschmerz).<br />
Informationsvermittlung über das Krankheitsgeschehen, der Umgang mit der Krankheit,<br />
das Akzeptieren von Rezidiven (Müller & Lühmann 2005) und generell psychosomatische<br />
Aspekte (Blumenstiel et al 2005) seien für Entstehung und Therapie von chronischen<br />
Schmerzen entscheidend. Zu ähnlichen Resultaten kommen Forschungen zur Therapie der<br />
Fibromyalgie (Aeschlimann & Angst 2007, Beise 2005, Goldenberg et al 2004), wobei<br />
Goldenberg et al (2004) die Beratung als „patient education“ zu den mit grosser Evidenz<br />
wirksamen Therapien zählen.<br />
Seite 23
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Gifford (2005) fasst diese neueren Erkenntnisse zu Physiotherapie und Umgang mit<br />
chronischem Schmerz dahingehend zusammen, dass psychosoziale Faktoren den Ausgang<br />
der Therapie weit stärker beeinflussen als biomedizinische/ biomechanische/ patho-<br />
anatomische Faktoren.<br />
Was für Schlüsse lassen sich bezüglich der EA/LT daraus ziehen?<br />
Es zeigen sich zahlreiche Übereinstimmungen zwischen EA/LT und obigen Erkenntnissen:<br />
Einstellungen und Haltungen sind wie bei den oben erwähnten Autoren für die<br />
EA/LT zentral und die Grundlage für Entscheidungen (Längle, Bauer et al 2005).<br />
Die logotherapeutische Intervention umfasst beraterische Elemente und verfügt über<br />
Methoden, die eine Verhaltens- und Einstellungsänderung unterstützen und<br />
Handlungs- sowie ressourcenorientiert sind (Längle 2006a).<br />
Das Vermitteln von Informationen, das Erklären sind wie bei der Schmerztherapie<br />
(s.o.) ein Teil logotherapeutischer Beratung, da sie Halt geben (1. Grundmotivation)<br />
und Distanz schaffen (Längle 2005b, Längle, Bauer et al 2005).<br />
Indem die EA/LT die schöpferischen Werte und die Erlebniswerte erfragt, anspricht<br />
und bei der Umsetzung unterstützt, wird die Eigentätigkeit des Patienten angeregt.<br />
Wiederum eine Parallele zur erwähnten Literatur.<br />
Explizit wird in der EA/LT der Patient als Mitgestalter angesprochen durch das<br />
Konzept der existenziellen Wende (Kapitel 4.2.4): Der Mensch ist nicht nur<br />
Fragender und Fordernder sondern durch die Situation selber angefragt und<br />
aufgefordert zu antworten (Längle, Bauer et al 2005).<br />
Unterschiede zu den zitierten Autoren zum Thema chronischem Schmerz zeigen sich<br />
folgende:<br />
Ein wichtiger Faktor, der von den obigen Autoren nur am Rande angesprochen wird,<br />
ist das Aushalten und das Annehmen, Fähigkeiten, die auf der 1. GM angesiedelt<br />
sind. Für die EA/LT sind diese beiden Aktivitäten grundlegend für weitere Schritte,<br />
inklusive der Einstellungsänderung.<br />
Es geht für die EA/LT nicht primär um das Beseitigen von hinderlichen<br />
Krankheitseinstellungen und Emotionen (Müller & Lühmann 2005) sondern darum,<br />
einen Umgang damit zu finden.<br />
Seite 24
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Die EA/LT unterstützt verschiedene Haltungen und Methoden, die gegenwärtig in der<br />
Behandlung von Patienten mit chronischem Schmerz eingesetzt werden und als „state of<br />
the art“ gelten, verfügt aber auch über weitergehende theoretische Konzepte, deren<br />
Anwendung in der Physiotherapie der Untersuchung bedarf.<br />
4.3.6 Salutogenese<br />
Weitere Parallelen finden sich zwischen der EA/LT und dem Konzept der Salutogenese<br />
von Aaron Antonovsky (1923-1994), der wie Frankl der Frage nachging, welche Faktoren<br />
den Menschen gesund erhalten bzw. gesund werden lassen (Hengeveld 2006, Lindström &<br />
Eriksson 2005a). Interessanterweise existiert bereits Literatur über die konkrete Integration<br />
salutogenetischer Konzepte in die Physiotherapie (Hengeveld 2006).<br />
Für die Entwicklung von Gesundheit ist gemäss salutogenetischem Konzept das<br />
sogenannte „Kohärenzgefühl“ von Bedeutung, welches sich bildet aus dem<br />
Gefühl der Verstehbarkeit („sense of comprehensibility“), d.h. dem Vertrauen, dass<br />
Ereignisse im Leben grundsätzlich strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind.<br />
Gefühl der Handhabbarkeit („sense of manageability“), d.h. der Überzeugung, dass<br />
Schwierigkeiten lösbar und Ressourcen gegeben sind, um den Anforderungen des<br />
Lebens zu begegnen.<br />
Gefühl der Sinnhaftigkeit („sense of meaningfulness“): d.h. der Fähigkeit,<br />
Herausforderungen des Lebens als sinnvoll und bedeutungsvoll zu erleben, sodass<br />
man sich für sie einsetzen und engagieren mag (Hengeveld 2006, Lindström &<br />
Eriksson 2005a).<br />
Eine Person mit hohem Kohärenzgefühl bewertet Stressoren als weniger bedrohlich, was<br />
auf die Gesundheit inklusive muskuloskelettaler Beschwerden einen entscheidenden und<br />
positiven Einfluss hat (Antonovsky 1987, Lundberg & Melin 1997).<br />
Eine deskriptiv-analytische Studie über 25 Jahre Forschung zur Salutogenese mit<br />
systematischem Ein-/ Ausschluss von Forschungsresultaten zeigt verschiedene signifikante<br />
Resultate bezüglich des Zusammenhangs zwischen Kohärenzgefühl und Gesundheit<br />
(Lindström & Eriksson 2005a, Eriksson & Lindström 2005b, Eriksson & Lindström 2006):<br />
Seite 25
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Das Kohärenzgefühl korreliert stark mit Gesundheit und Erhaltung von Gesundheit,<br />
wobei der Effekt auf die psychische Gesundheit vermutlich grösser ist.<br />
Weitere wichtige Einflussfaktoren sind Alter, soziale Unterstützung und<br />
Bildungsstand.<br />
Die Autoren postulieren, dass das salutogenetische Konzept vermehrt bei den<br />
Akteuren und Institutionen des Gesundheitswesens Eingang finden sollte.<br />
Eine Parallele zwischen Salutogenese und logotherapeutischer Beratung ist der<br />
ressourcenorientierte Ansatz (Kapitel 4.3.5). Längle (2009) hat zudem eine Zuordnung der<br />
drei Komponenten des Kohärenzgefühls zu den Grundmotivationen versucht, welche in<br />
Tabelle 8 dargestellt ist.<br />
Tabelle 8: Zuordnungen der drei Elemente des Kohärenzgefühls zu den Grundmotivationen<br />
Elemente des<br />
Kohärenzgefühls<br />
Gefühl der<br />
Verstehbarkeit<br />
Gefühl der<br />
Handhabbarkeit<br />
Gefühl der<br />
Sinnhaftigkeit<br />
(Längle 2009)<br />
Zugeordnete Grundmotivationen<br />
- Beruht auf der Erfahrung von Halt Schutz und Raum (1. GM)<br />
- Gibt Gefühl von Eingebettetsein in eine grössere Ordnung (4. GM)<br />
- Beruht auf der Fähigkeit des Könnens (1. GM)<br />
- Ist Folge der erfüllten 4. GM<br />
Differenzen zwischen der EA/LT und dem salutogenetischen Konzept bestehen unter<br />
anderem darin, dass die EA/LT nicht allein ressourcenorientiert arbeitet, sondern auch<br />
nach Hinderungsgründen fragt, weshalb eine Person nicht zum Existenzvollzug kommt.<br />
Ziel ist immer der Dialog mit sich und der Welt und nicht primär Symptombeseitigung<br />
(Längle, Bauer et al 2005).<br />
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Wirkungen der EA/LT auf die<br />
physische und psychische Gesundheit möglicherweise vergleichbar sind mit jenen in der<br />
Literatur zur Salutogenese festgehaltenen (vgl. Lindström &Eriksson 2005a, Eriksson &<br />
Lindström 2005b, Eriksson & Lindström 2006), insofern die EA/LT ähnliche Themen<br />
bearbeitet, die den salutogenetischen nach Antonovsky entsprechen.<br />
Seite 26
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
4.4 Zusammenfassung Forschungsstand<br />
Es kann erwartet werden, dass die EA/LT im Bereich von chronischen Krankheiten und in<br />
Palliativsituationen, wo der Umgang mit einer unausweichlichen Situation gefordert ist,<br />
besondere Hilfestellung bietet. Zudem sind für jede physiotherapeutische Behandlung<br />
Motivation, Initiative und die Einstellung des Patienten von Belang, Bereiche die von der<br />
EA/LT angesprochen werden. Eine Frage bleibt, inwiefern die EA/LT geeignet ist für den<br />
Einsatz in der Physiotherapie, wegen der limitierten Zeit für verbale Interventionen,<br />
welche in anderen z.B. psychotherapeutischen Settings vermehrt zum Zuge kommen.<br />
Die diskutierte Literatur legt daher den Schluss nahe, dass die Physiotherapie ein<br />
Anwendungsgebiet der EA/LT sein könnte, inwiefern, ist jedoch noch zu ermitteln.<br />
5 Fragestellung<br />
Aufgrund der bisherigen Recherchen (vgl. Kapitel 4.3) kann Folgendes festgehalten<br />
werden: Die Anwendung der EA/LT in der Physiotherapie wurde noch nicht untersucht, in<br />
verwandten Gebieten hat sich die EA/LT hingegen mit den unter Kapitel 4.3 erwähnten<br />
Einschränkungen als anwendbar und therapeutisch relevant erwiesen. Die Anwendung der<br />
innerhalb des physiotherapeutischen Settings könnte sich daher als interessantes<br />
Forschungsgebiet erweisen. Zur Eingrenzung des Untersuchungsgebietes bietet sich das<br />
Konzept der vier Grundmotivationen an (vgl. Kapitel 4.2.8), welches eine klare<br />
Beobachtungsstruktur vermittelt.<br />
Daraus ergibt sich die Grundfrage: Welche Methoden und Haltungen der EA/LT lassen<br />
sich im physiotherapeutischen Setting konkret einsetzen?<br />
Dieser Frage wird in dieser Arbeit anhand folgender Fragestellungen nachgegangen:<br />
1. Welche Strukturen zeigen sich und welche Eindrücke stellen sich ein bei<br />
phänomenologischer Betrachtung einer physiotherapeutischen<br />
Behandlungssituation anhand einer Video-Analyse?<br />
2. Zu den vier Grundmotivationen der EA/LT:<br />
2.1 Findet man die vier Grundmotivationen der EA/LT als Motivationen im<br />
physiotherapeutischen Setting?<br />
2.2 Welche können betroffen sein?<br />
Seite 27
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
5.1 Eingrenzung<br />
Es gibt verschiedene Aspekte, welche die physiotherapeutische Intervention von anderen<br />
Kontexten (Psychiatrie, Berufsberatung, Pädagogik, Coaching etc.) unterscheiden und dem<br />
Einsatz von verbalen Interventionen Grenzen setzen bzw. die Umstände entscheidend<br />
mitbestimmen.<br />
Physiotherapeutische Therapien sind kurz:<br />
Eine Therapiesequenz dauert ambulant 30 Minuten (in der Neurologie 45 Minuten) und<br />
stationär oft kürzer. Ambulant werden pro Verordnung neun Sitzungen verschrieben<br />
(Krankenpflege-Leistungsverordnung 2009), die sich über einige Wochen erstrecken. Im<br />
Akutspital werden die stationären Aufenthalte aus Kostengründen immer kürzer, d.h. auch<br />
die Physiotherapie umfasst einen Zeitraum von wenigen Tagen bis 1-2 Wochen<br />
(Bundesamt für Statistik 2007a/ 2007b). Die Dauer des Kontaktes mit dem Patienten ist<br />
somit pro Therapiesitzung relativ kurz und die Dauer einer ganzen Behandlungssequenz<br />
ebenso. (Eine Ausnahme bilden Langzeitpatienten, vgl. Bundesamt für Statistik 2007a.)<br />
Verbale Interventionen sind in der Physiotherapie zeitlich beschränkt:<br />
Das Zentrum der physiotherapeutischen Behandlung sind die körperlichen Beschwerden<br />
wie z.B. verminderte Beweglichkeit; primäre Methoden sind manuelle und physikalische<br />
Behandlungen oder Anleitung zum aktiven Üben. Das Anamnesegespräch bei der ersten<br />
Behandlung dauert in der Regel etwa 20 Minuten, in den folgenden Therapiesitzungen<br />
kommen meist kürzere verbale Interventionen zum Zug.<br />
6 Methodik<br />
Wie oben ausgeführt, wurde die EA/LT in der physiotherapeutischen Praxis bisher kaum<br />
erforscht. Es handelt sich bei dieser Bachelor-Arbeit daher um eine Pilot-Untersuchung,<br />
die ein erstes Abschätzen des Einsatzgebietes „Physiotherapie“ ermöglichen soll. Aus<br />
diesem Grund wurde eine qualitative Studie durchgeführt, welche Grundlage sein kann für<br />
spätere, quantitative Untersuchungen.<br />
6.1 Literaturrecherche<br />
Für die Literaturrecherche wurde in einem ersten Schritt ein Überblick zum Thema<br />
Physiotherapie und Kommunikation erarbeitet. Weiter wurden mittels Literaturstudium die<br />
zu untersuchende Methodik, anwendbaren Konzepte, Haltungen und Interventionen der<br />
Seite 28
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
EA/LT genauer eingegrenzt, insbesondere mit Literatur aus Medizin und Pflege und<br />
anderen medizinischen Arbeitsfeldern.<br />
Beigezogen wurden Recherchen<br />
mit PEDro (PEDro 2009)<br />
mit Pubmed (Pubmed 2008), vgl. Anhang 13.1<br />
mit PsycINFO® (PsycINFO® 2009).<br />
bei der <strong>GLE</strong> Österreich online (<strong>GLE</strong> 2009) und in Korrespondenz<br />
bei der IGEAP (u.a. Heitger et al 2006, IGEAP 2008)<br />
unter den Diplomarbeiten der Berner Fachhochschule Gesundheit<br />
zum Thema Kommunikation und Physiotherapie allgemein.<br />
6.2 Untersuchungsmethode: Video-Analyse<br />
Als Untersuchungsgegenstand wurden Videos aus 20-minütigen Kommunikationstrainings<br />
für Physiotherapiestudierende verwendet, welche praxistypische Situationen abbilden, vgl.<br />
Kapitel 3.1 8 . Dabei spielten Schauspieler/ -innen sogenannte standardisierte Patienten/ -<br />
innen, die Autorin war die Physiotherapeutin, eine Mitstudierende war Beobachterin und<br />
die Szene wurde auf Video aufgezeichnet. 10 Minuten vor Beginn des Trainings erhielt die<br />
Autorin Angaben zur Situation und zum Patienten sowie einen physiotherapeutischen<br />
Auftrag. In der anschliessenden Besprechung wurde das Training evaluiert und benotet<br />
anhand einer Checkliste (Anhang 13.8).<br />
6.3 Auswahl der Videos<br />
Zur Verfügung standen 9 Videos der Autorin aus zweieinhalb Jahren<br />
Physiotherapiestudium. Zwei der Videos betrafen keine Patientensituationen und wurden<br />
ausgeschlossen. Ebenfalls ausgeschlossen wurden zwei Kommunikationstrainings des<br />
ersten Studienhalbjahres, da sowohl die Physiotherapie als auch die EA/LT für die Autorin<br />
neu waren. Es wurde ausserdem darauf geachtet, dass die Kommunikation vom Gegenüber<br />
als positiv und in den beurteilten Kriterien mit „gut“ und „sehr gut“ bewertet wurde.<br />
Aus den verbliebenen fünf Videos wurden zwei ausgewählt, eine aus dem Bereich<br />
Palliativmedizin sowie eine über einen Patienten mit chronischem Leiden. Beides gemäss<br />
8 Die Relevanz der Trainings für die Praxis und die Übertragbarkeit in reale Situationen wurde<br />
nachgewiesen (Luck & Peabody 2002, Van Zanten et al 2005) bzw. wird vermutet, je nach Qualität der<br />
Standardisierung und Faktoren, die untersucht wurden (Howley et al 2008, Rieber 2009). Eine<br />
Aufzeichnung von echten Therapiesituationen mit realen Patienten wurde in Erwägung gezogen, schien<br />
aber für diese Bachelor-Arbeit aus organisatorischen Gründen zu aufwendig.<br />
Seite 29
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Literatur bereits Einsatzgebiete der EA/LT (Kapitel 4.3.4). Bei beiden Settings handelt es<br />
sich um Situationen, wo die Aktivierung der Person und der Ressourcen für die<br />
physiotherapeutische Behandlung relevant ist, ein Aspekt, der auch von der EA/LT<br />
unterstützt wird. Es handelt sich nach Lamnek (2005) hiermit um eine „gezielte Auswahl“<br />
aufgrund theoretischer Vorüberlegungen, deren Zweck Patton (2002) wie folgt umschreibt:<br />
„Purposive sampling is used in an effort to select participants who can provide<br />
information-rich data regarding the area of interest“ (vgl. dazu auch Janelle et al 2004). Bei<br />
kleinen Stichproben ist diese laut Lamnek 2005 nicht ungenauer als eine Zufallsauswahl.<br />
Ausgewählt wurden eine Physiotherapiesequenz mit<br />
Video 1: einem terminalen Tumorpatienten<br />
Video 2: einem Patienten nach cerebrovaskulärem Insult (CVI) mit Aphasie<br />
6.3.1 Fallbeschreibung Video 1: Terminaler Tumorpatient<br />
Die Physiotherapeutin (PT) soll den ihr unbekannten Patienten (Pat.) Mario Bodoni<br />
(Jahrgang 1963) zu mehr Bewegung anhalten und seine Schulter passiv mobilisieren, auch<br />
wenn der Patient nicht motiviert sei. Folgende Informationen über den Patienten sind<br />
bekannt (vgl. detaillierte Fallbeschreibung unter 13.2):<br />
Diagnose: Glioblastom Grad IV links-parietal<br />
Geschichte/ Symptome: Überweisung ins Zentrumsspital durch Hausarzt vor 6<br />
Wochen, starke Kopfschmerzen, Zunehmende Funktionsausfälle, Gehen nur mit<br />
Rollator möglich, Schulterschmerz beim Aufstützen.<br />
Therapie: Chemotherapie, hohe Dosen Morphin, Physiotherapie<br />
Aufgabe im Kommunikationstraining:<br />
Passive Bewegung der Schultern zur Schmerzlinderung und Bewegungserhaltung<br />
Patienten ein-zweimal aufsitzen lassen mit rückenschonender Technik<br />
6.3.2 Fallbeschreibung Video 2: Patient nach CVI mit Aphasie<br />
Auf der Rehabilitationsabteilung übernimmt die Physiotherapeutin den ihr unbekannten<br />
Patienten Herrn M. Friederich von der erkrankten Kollegin B. Nehmer. Zum Verlauf<br />
bestehen folgende Angaben (vgl. detaillierte Fallbeschreibung unter 13.5):<br />
Status nach CVI links mit Hemiparese rechts armbetont vor 4 Wochen<br />
Verständigung schwierig (Aphasie), Tonus tief, Arm +/- schlaff<br />
Seite 30
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Aufgabe im Kommunikationstraining:<br />
Die PT soll dem Pat. erklären, dass sie für die kranke Kollegin einspringt.<br />
Es soll auf den Armschutz geachtet und der Pat. entsprechend instruiert werden.<br />
Mit dem Patienten soll die Gewichtsverlagerung geübt werden.<br />
6.4 Auswertung der Videos<br />
Die Auswertung der Videos erfolgte in vier Schritten:<br />
1. Phänomenologische Betrachtung und Festhalten erster Eindrücke<br />
2. Einteilung des Videos in Sequenzen<br />
3. Transkription<br />
4. Identifizieren der Grundmotivationen nach EA/LT<br />
Die einzelnen Schritte gestalteten sich wie folgt:<br />
1. Phänomenologische Betrachtung und Festhalten erster Eindrücke<br />
Die Videos wurden in phänomenologisch-offener Haltung angeschaut (Kapitel 4.2.6), erste<br />
Eindrücke bezüglich Sequenzen und Grundmotivationen notiert und diese in Schritt 2 und<br />
Schritt 4 einbezogen. Abbildung 1 und 2 zeigen zwei Fotos aus den Videos.<br />
2. Einteilung des Videos in Sequenzen<br />
Beide auf Video aufgenommenen Behandlungen wurden gemäss Checkliste in Sequenzen<br />
eingeteilt (Berner Fachhochschule 2008, Anhang 13.8):<br />
- Beginn des Gesprächs (Begrüssung und Information über Ablauf und Zeitrahmen)<br />
- Informationen sammeln (Anamnese und Befund)<br />
- Informationen geben und beraten (Beratung und Übungen) 9<br />
Diese Sequenzierung schien die Vernetzung der EA/LT mit physiotherapeutischen<br />
Gegebenheiten am besten zu ermöglichen, da die Wechsel zwischen den Sequenzen<br />
deutlich sichtbar und ein Raster für die Zuordnung der Grundmotivationen gegeben waren.<br />
Transkription<br />
Die ersten 10 Minuten jedes Videos wurden lückenlos transkribiert (Anhang 13.3, 13.6) 10 .<br />
Diese zeitliche Begrenzung garantierte, dass einerseits ein Teil mit verbaler Intervention<br />
9<br />
Die Sequenz „Ende des Gesprächs“ nach Checkliste kommt in den ersten 10 Minuten der transkribierten<br />
Gespräche nicht vor.<br />
10<br />
Eine Transkription/ Analyse der gesamten Videos hätte den Rahmen der Bachelor-Arbeit überstiegen.<br />
Seite 31
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
(Beginn/ Informationen sammeln) und andererseits auch ein praktischer Teil<br />
(Informationen geben und beraten im Rahmen einer Übung) analysiert werden konnte.<br />
Sprache: Die Dialoge auf den Videos sind im Dialekt geführt und wurden bei der<br />
Transkription möglichst originalgetreu ins Hochdeutsche übertragen. Öfters sind die Sätze<br />
im Video unvollständig, der Sinn ergibt sich jeweils aus Wort, Situation innerhalb des<br />
Gesprächs, Tonfall, Mimik etc. gemeinsam. Um den Sinn unvollständiger Äusserungen<br />
verständlich zu machen, wurden einzelne Sätze in der Transkription ergänzt und die<br />
Ergänzungen mit Klammern gekennzeichnet.<br />
Zeitangabe: Zur zeitlichen Orientierung innerhalb der Transkriptionen wurde jeweils der<br />
Zeitpunkt des Beginns einer Handlung oder Äusserung in Minuten und Sekunden<br />
festgehalten, gemäss der Zeitangabe des Computers beim Abspielen.<br />
4. Identifizieren der Grundmotivationen nach EA/LT<br />
Für jeden Abschnitt wurden die betroffenen Grundmotivationen und deren Bedeutung in<br />
der Situation identifiziert. Beachtet wurden Haltung, Stimmung, Handlung und Inhalt des<br />
Wortlauts. Die Zuordnung erfolgte aufgrund der Theorie (Kapitel 4.2.8), d.h. entsprechend<br />
den spezifischen Arten der Zustimmung, der Grundfragen, Grundmotive und personalen<br />
Aktivitäten, welche für eine Grundmotivation kennzeichnend sind. Diese Zuordnung<br />
verlangte einen Interpretationsschritt und ergab Zweifelsfälle, welche festgehalten wurden<br />
(Anhang 13.4, 13.7). Es wurde auch untersucht, ob es Abschnitte im Gespräch gab, denen<br />
keine Grundmotivation zugeordnet werden konnte.<br />
Abbildung 1: Video 1, Schultermobilisation<br />
Abbildung 2: Video 2, Füsse aufstellen für<br />
guten Bodenkontakt<br />
Seite 32
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
7 Ergebnisse<br />
7.1 Phänomenologische Betrachtung (Frage 1)<br />
Die untersuchten 10-minütigen Videosequenzen folgten dem standardisierten Ablauf einer<br />
physiotherapeutischen Behandlung ohne Sprünge (Begrüssung – Informationen sammeln –<br />
Informationen geben und beraten). Die Grundmotivationen waren sichtbar und es zeigte<br />
sich, dass die 1. GM vorherrschte. Diese Eindrücke wurden direkt in die Sequenzierung<br />
sowie die Bestimmung der Grundmotivationen einbezogen (Kapitel 7.2) und in der<br />
Transkription integriert (Anhänge 13.3, 13.6).<br />
7.2 Die Grundmotivationen im physiotherapeutischen Setting<br />
(Fragen 2.1 und 2.2)<br />
Es zeigte sich, dass die Grundmotivationen sich auch in der physiotherapeutischen<br />
Behandlung ausmachen lassen. Hauptsächlich gefunden wurden Themen der 1. GM und<br />
vereinzelt auch der 2. und 3. GM, kaum jedoch jene der 4. GM. Die angetroffenen<br />
Einzelthemen der Grundmotivationen sind in Tabelle 9 zusammengefasst.<br />
Tabelle 9: Einzelthemen innerhalb der Grundmotivationen (Zusammenfassung aus Video 1 und 2)<br />
GM Einzelthemen innerhalb der Grundmotivationen<br />
1. GM Raum, Halt, Schutz, Klärung der Bedingungen, Können – Nicht-Können<br />
2. GM Zuwendung, Beziehung, Leben mögen, Berührung – Berührt-Sein<br />
3. GM Anerkennung – Beachtung, Abgrenzung, Personsein, Ärger<br />
4. GM Sinnvolles wollen<br />
In Kapitel 7.2.1 und 7.2.2 sind die angetroffenen Grundmotivationen eingehender erläutert,<br />
jeweils strukturiert nach folgendem Schema:<br />
1. Kurze allgemeine Erläuterung zur betreffenden Grundmotivation im Video<br />
2. Exemplarisch ein zur Grundmotivation passendes Transskript aus Anhang 13.3/ 13.6<br />
3. Erläuterung zu Einzelthemen der jeweiligen Grundmotivation<br />
Die Transkriptionen der Videos sowie die kompletten Analysen der Grundmotivationen<br />
sind im Anhang unter 13.3 bis 13.7 festgehalten.<br />
Seite 33
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
7.2.1 Die Grundmotivationen in Video 1 (Tumorpatient)<br />
7.2.1.1 Die 1. Grundmotivation<br />
Die 1. GM kommt als durchtragende Grundmotivation in allen drei Sequenzen des<br />
Gesprächs vor, d.h. zu Beginn des Gesprächs (Minute 1:06 11 ), beim Informationen-<br />
Sammeln (2:26) und beim Informationen-Geben (5:11). Die 1. GM tritt 7-mal für sich<br />
alleine und viermal mit anderen Grundmotivationen kombiniert auf. Nur kurze Abschnitte<br />
sind nicht von der 1. GM bestimmt (1:22-2:17 und 3:03-3:08). Das Können und Da-Sein-<br />
Können treten besonders in den Vordergrund; Raum, Halt, Schutz und die Klärung der<br />
Bedingungen sind weitere sichtbare Themen. Ein Beispiel zur 1. GM ist in Tabelle 10<br />
festgehalten.<br />
Tabelle 10: Beispiel für die 1. GM (Auszug aus der Transkription von Video 1, Anhang 13.3)<br />
Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />
9:32 PT „Jetzt gebe ich Ihnen hier noch Druck auf beide Schultern und Sie versuchen sich<br />
aufzurichten entgegen diesem Druck.“ PT steht vor Pat. hin, zeigt die Fassung anhand<br />
ihrer eigenen Schultern und gibt dann Druck von oben auf die Schultern des Pat.<br />
9:41 PT „Versuchen Sie mal, ob Sie ganz gerade sitzen können.“ Pat. richtet sich auf.<br />
9:45 PT „Und atmen dazu, das ist sehr wichtig.“<br />
9:48 PT „Können Sie einen Moment so bleiben?“<br />
9:51 Pat. „Ich kann es versuchen.“<br />
9:54 PT geht auf die rechte Seite des Pat. und nimmt dessen Arm in ihre Hände, bewegt<br />
die Schulter endgradig in Flexion.<br />
10:04 PT „Geht das so?“<br />
10:05 Pat. zustimmend „M-m.“<br />
Folgende Einzelthemen der 1. GM sind in Video 1 beobachtbar:<br />
Raum<br />
Der Patient braucht öfters Zeit, bis er antwortet. Die Physiotherapeutin wartet mehrmals<br />
ab, lässt die Stille zu, wodurch sich im Gespräch ein Raum eröffnet, d.h. Raum ist hier im<br />
übertragenen Sinn gemeint (1:16). Die Physiotherapeutin bittet den Patienten sich<br />
aufzurichten in der Vertikalen gegen den Druck ihrer Hände (9:32, 10:32, vgl. Tabelle 10)<br />
oder allein (10:08), wodurch er mehr Raum einnimmt.<br />
11 Im Folgenden sind die Minuten gemäss Videozählung in Klammern angegeben (jeweils Beginn der<br />
Handlung/ Äusserung).<br />
Seite 34
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Halt<br />
Die Physiotherapeutin sorgt dafür, dass der Patient guten Halt hat, indem sie ihn weiter an<br />
den Bettrand rücken lässt und die Füsse stabil platziert (8:04).<br />
Schutz<br />
Der Patient wird dösend angetroffen (1:06), tief unter der Bettdecke, die Mütze in die Stirn<br />
gezogen, die Augen geschlossen. All diese Faktoren schirmen ihn ab von der Aussenwelt<br />
und bieten daher Schutz. (Ev. bedeuten sie auch Abgrenzung von seiner Umwelt, was zur<br />
3. GM gehören würde.) Die Physiotherapeutin sorgt ihrerseits für den Schutz des<br />
Patienten, indem sie dem Patienten die Decke für die ganze erste Gesprächssequenz belässt<br />
bis sie das Einverständnis zum Aufsitzen einholt (bis 7:06) und indem sie flächig greift,<br />
sorgfältig den Arm bewegt und nach Rückmeldung fragt (insbesondere 8:26, 8:45, 8:54).<br />
Klärung der Bedingungen<br />
Die Physiotherapeutin will schauen, wie es dem Patienten geht (1:22). Dies beinhaltet die<br />
Frage „Wie ist es jetzt?“ und bedeutet existenzanalytisch gesprochen eine Anfrage zu den<br />
Bedingungen des Da-Seins. Später geht es um eine Bestandesaufnahme bezüglich der<br />
Schultern (2:26), der Schmerzen (2:30, 3:24, 3:30), des Hilfsmittels (3:12), der Gehstrecke<br />
(3:48), der Wärme (8:20), des Schwindlig-Seins (8:34), der Beweglichkeit (8:26, 8:45). Es<br />
wird eine Bestandesaufnahme des Zustandes gemacht, um die Bedingungen zu eruieren,<br />
die das Da-Sein-Können ermöglichen oder beeinträchtigen. Da die Physiotherapeutin<br />
länger nicht darauf zu sprechen kommt, fragt der Patient von sich aus danach, weshalb sie<br />
überhaupt hier sei (5:08) und, ob die Therapie im Liegen oder Sitzen stattfinde (6:47),<br />
beides Versuche, die Bedingungen der Therapie klarzustellen.<br />
Können und Nicht-Können<br />
Wie bei Video 2 (Kapitel 7.2.2) nimmt das Können beträchtlichen Raum ein und wird<br />
meist direkt verbal als Können benannt. Der Patient bemerkt, er „könne“ sich aufsetzen<br />
(6:08), die Physiotherapeutin will es genau beobachten (6:44) und der Patient kann es<br />
tatsächlich, aber mit einiger Mühe, ebenso das spätere wieder Sich-Hinlegen (7:18, 11:03).<br />
Seine Einschränkungen des Könnens zeigen sich damit. Weiter geht es um die Frage, ob<br />
der Patient so lange aufrecht sitzen kann und die Therapie noch aushält und ob er<br />
überhaupt aufrecht sitzen könne (6:55, 8:15, 9:30, 9:41). Damit ist eine besondere Form<br />
des Könnens angefragt, nämlich das Aushalten- und das Sein-Können. Der Patient aktiviert<br />
Seite 35
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
zusätzlich probeweise sein Können, indem er meint, er könne es versuchen (9:51, vgl.<br />
Tabelle 10).<br />
7.2.1.2 Die 2. Grundmotivation<br />
Die 2. GM, bei der es um Zuwendung, Nähe, Berührung und Beziehungsaufnahme geht, ist<br />
der Hintergrund, auf der sich die ganze Therapie abspielt. Die Physiotherapeutin ist<br />
grundsätzlich in einer zugewandten Haltung und geht auf den Patienten ein.<br />
Auftragsbedingt arbeitet sie mit Berührung und geht immer wieder eine Nähe ein, die der<br />
Patient zulässt (Bsp. Testen der Schulterbeweglichkeit). Abgesehen von diesem<br />
Hintergrund, der von der 2. GM bestimmt ist, tritt die 2. GM viermal zusätzlich als eigenes<br />
Thema auf. Dies verteilt sich auf die drei Sequenzen Beginn des Gesprächs (1:41) –<br />
Informationen sammeln (5:08) – Informationen geben (8:01). Zuwendung und Leben<br />
mögen sind vorherrschende Einzelthemen ( Tabelle 11).<br />
Tabelle 11: Beispiel für die 2. GM (Auszug aus der Transkription von Video 1, Anhang 13.3)<br />
Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />
1:11 PT „Grüessech Herr Bodoni. Guten Tag.“<br />
1:15 Pat. mit schwacher Stimme, öffnet kaum die Augen „Guten Tag.“<br />
1:16 PT gibt dem Pat. die Hand „Mein Name ist Romann, Physiotherapeutin in<br />
Ausbildung.“ Kurze Stille.<br />
1:21 Pat. „Grüessech wohl.“<br />
1:22 PT „Ich komme von der Physiotherapie, um zu schauen, wie es Ihnen geht.“<br />
Folgende Einzelthemen der 2. GM treten in Video 1 auf:<br />
Zuwendung<br />
Wie oben erwähnt, arbeitet die Physiotherapeutin grundsätzlich in einer zugewandten<br />
Haltung. Besonders augenfällig wird dies bei der Begrüssung „Ich komme (...), um zu<br />
schauen, wie es Ihnen geht. (1:22, vgl. Tabelle 11). Auf die Frage, was er denn brauche,<br />
antwortet der Patient „Verstehen.“ (2:06). Verstehen ist eine Form der Zuwendung und des<br />
Schaffens von Beziehung.<br />
Beziehung<br />
Mit der Begrüssung beginnt auch die Beziehung. Der Patient geht zwar anfangs nur<br />
minimal darauf ein, reagiert aber doch (1:15, vgl. Tabelle 11).<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Leben mögen<br />
Der Patient grenzt sich mehrmals klar ab von der Physiotherapeutin (vgl. Kapitel 7.2.1.3).<br />
„Ich brauche keine Physiotherapie mehr“ ist eine seiner Äusserungen (1:44, vgl. Tabelle<br />
13). Der Patient sagt es liegend, die Augen zu, mit schwacher Stimme, offenbar aus einer<br />
(ev. opiatbedingten) grossen Müdigkeit heraus. Darin klingt an: „Ich mag nicht mehr.“<br />
7.2.1.3 Die 3. Grundmotivation<br />
Themen der 3. GM treten fünfmal auf, dreimal in der Sequenz Beginn des Gesprächs<br />
(1:27) und je einmal unter Informationen sammeln (3:08) und Informationen geben (6:08).<br />
Dabei zeigt sich die 3. GM viermal in einer abgrenzenden Reaktion, wovon ein Beispiel in<br />
Tabelle 12 aufgeführt ist.<br />
Tabelle 12: Beispiel für die 3. GM (Auszug aus der Transkription von Video 1, Anhang 13.3)<br />
Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />
1:22 PT „Ich komme von der Physiotherapie, um zu schauen, wie es Ihnen geht.“<br />
1:27 Pat. „Da sind Sie wohl falsch bei mir.“<br />
1:28 PT „Haben Sie das Gefühl (ich sei falsch bei Ihnen)?“ PT nimmt einen Stuhl, setzt<br />
sich ans Patientenbett und notiert jeweils die Antworten des Patienten.<br />
1:30 Pat. brummt „Ja.“<br />
Die 3. GM zeigt sich in Video 1 folgendermassen:<br />
Abgrenzung<br />
„Da sind Sie wohl falsch bei mir.“ (1:27, vgl. Tabelle 12): Dieser Satz erscheint als klar<br />
abgrenzende Aussage und wird zusätzlich unterstrichen durch einen abweisenden Tonfall<br />
und die kurz angebundene Art des Patienten. Er bekräftigt seine Abgrenzung kurz darauf<br />
nochmals („Ich brauche keine Physiotherapie mehr“, 1:44, vgl. Tabelle 13). Eine ähnliche,<br />
leicht ärgerlich klingende Reaktion folgt später, als die Physiotherapeutin etwas unpräzise<br />
nachfragt, wie er denn gehe – „Nicht auf den Händen.“ lautet die Antwort (3:08). Die<br />
Physiotherapeutin will schliesslich die Technik des Aufsitzens verifizieren. Wiederum<br />
folgt eine etwas barsche Antwort, er könne sich aufsetzen (6:08).<br />
Anerkennung - Beachtung<br />
Auf die Frage, was er brauche, antwortet der Patient „Verstehen“ (2:06, vgl. Tabelle 13).<br />
Das Verstanden-Werden beinhaltet ein Beachtet-Werden im eigenen So-Sein und enthält<br />
so ein Element der 3 GM.<br />
Seite 37
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
7.2.1.4 Die 4. Grundmotivation<br />
Die 4. GM kommt einmal vor in der Sequenz „Beginn des Gesprächs“. Die Frage nach<br />
dem wert- und sinnerfüllten Leben steht dabei im Zentrum, vgl. Beispiel in Tabelle 13.<br />
Tabelle 13: Beispiel für die 4. GM (Auszug aus der Transkription von Video 1, Anhang 13.3)<br />
Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />
1:41 PT „Warum wäre ich denn falsch bei Ihnen?“<br />
1:44 Pat. „Ich brauche keine Physiotherapie mehr.“<br />
1:47 PT „Sicher?“<br />
1:48 Pat. „Ja.“ Pat. windet sich etwas im Bett.<br />
1:51 PT „Was brauchen Sie denn?“<br />
2:06 Pat. überlegt schweigend: „Verstehen brauche ich.“<br />
2:08 PT nickt „Mm.“ – Pause<br />
2:14 PT „Sie haben eine schwere Diagnose, habe ich gesehen.“<br />
2:17 Pat. zustimmend „Mm. - Mm.“<br />
Die 4. GM wird in Video 1 in folgender Weise sichtbar:<br />
Sinnvolles wollen<br />
Der Patient fragt sich, was die Physiotherapie soll und äussert sich abwehrend (1:27, 1:44,<br />
vgl. Tabelle 12 und Tabelle 13). Neben dem Nicht-Mehr-Mögen klingt die Frage mit an:<br />
„Was hat die Physiotherapie noch für einen Sinn bei einem Patienten wie mir?“. Dies<br />
entspricht der Grundfrage der 4. GM „Ich bin da – wofür ist es gut?“ (s. Tabelle 6).<br />
Seite 38
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
7.2.2 Die Grundmotivationen in Video 2 (Patient nach CVI)<br />
7.2.2.1 Die 1. Grundmotivation<br />
Die 1. GM kommt in allen Sequenzen des Gesprächs vor, insgesamt 12-mal. Nur ein<br />
kurzer Moment ist nicht von der 1. GM bestimmt (7:11-8:12). Raum, Schutz und Halt sind<br />
das Thema der 1. GM, welche das Sein-Können und das Können ermöglichen und im<br />
Video gut sichtbar sind. Ein Beispiel findet sich in Tabelle 14.<br />
Tabelle 14: Beispiel für die 1. GM (Auszug aus der Transkription von Video 2, Anhang 13.6)<br />
Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />
6.25 PT „Und jetzt den Arm nochmals hochnehmen.“<br />
PT macht es gleichzeitig vor.<br />
6.26 Pat. legt die Hand korrekt geführt auf den Tisch.<br />
6:31 PT „Ich helfe Ihnen noch mit dem Bein.“ PT führt das betroffene Bein nach. PT ...<br />
„damit Sie es gut aufstellen können.“<br />
6:40 Pat. hat die Handfläche flach auf die Tischplatte gelegt und streicht sich über den<br />
Arm.<br />
6:41 PT „Ja, das ist sehr gut. Wenn Sie am Tisch sind“ ...<br />
6:43 Pat. schiebt die Gegenstände auf dem Tisch (Radio, Äpfel, Zeitschrift) aus dem Weg.<br />
6:45 PT „Ja, danke.“<br />
6:48 Pat. „Jaa, mm, Platz braucht’s.“ Legt Unterarme auf dem Tisch ab.<br />
6:51 PT „Ja, das braucht’s, merci.“<br />
6:54 PT „Wenn Sie am Tisch sitzen und lesen, ist es gut, wenn Sie den Arm auf den Tisch<br />
nehmen.“<br />
7:05 Pat. „Ja.“<br />
Folgende Einzelthemen der 1. GM sind in Video 2 sichtbar:<br />
Raum<br />
Die Physiotherapeutin schafft akustisch Raum, indem sie dafür sorgt, dass das Radio<br />
abgestellt wird (2:05). Der Patient räumt die Gegenstände auf dem Tisch weg, als sie ihm<br />
in die Quere kommen (6:43, vgl. Tabelle 14). Die Physiotherapeutin bittet den Patienten,<br />
sich in die Mitte des Bettes zu setzen, damit er Platz hat (10:01). Eine Übung des Patienten<br />
Seite 39
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
ist dem Aufrichten und damit dem Raum-Einnehmen in der Vertikalen gewidmet (10:24,<br />
11:27).<br />
Halt<br />
Die Physiotherapeutin unterstützt den Patienten beim Heranrücken an den Tisch (6:21) und<br />
Platzieren der Füsse im Sitz (10:44).Der Patient sucht Halt am Tisch beim Aufstehen sowie<br />
am Bett beim Gehen (9:37) und stützt sich auf beim Sitzen (10:33). Die Physiotherapeutin<br />
gibt Erklärungen ab, wie der Arm geschützt werden kann, erklärt, was gut wäre, was in<br />
übertragenem Sinn „Halt“ bedeutet (5:08).<br />
Schutz<br />
Das Handhaben des gelähmten Armes zum Schutz vor Verletzungen – in der<br />
Physiotherapie explizit „Instruktion Armschutz“ genannt – ist über eine längere Strecke<br />
der Behandlung ein Thema (5:08-9:11, vgl. Tabelle 14).<br />
Klärung der Bedingungen<br />
Zur Klärung des Settings stellt sich die Physiotherapeutin vor (1:45) und erklärt, warum sie<br />
da ist (2:54). Der Patient will verstehen, warum die fremde Physiotherapeutin da ist (2:33)<br />
und wie sie heisst (3:27). Auf physischer Ebene spielt diese Klärung ebenfalls eine<br />
wichtige Rolle, indem in der physischen Untersuchung evaluiert wird, was der Patient<br />
spürt (4:14, 10:56) und was er kann (z.B. 2:22, 5:34, 8:15, 9:15).<br />
Können und Nicht-Können<br />
Dieses Thema nimmt viel Raum ein, einerseits durch die Haltung der Physiotherapeutin,<br />
indem sie soviel Selbstständigkeit und eigenes Tun wie möglich (=Können) beim Patienten<br />
lässt und ihn oft erst unterstützt, wenn er es selber versucht hat. So überlässt sie es dem<br />
Patienten, das Radio auszuschalten (2:22) und an den Tisch zu rücken (6:17). Andererseits<br />
wird das Können sichtbar, indem der Patient zeigt, welche Fähigkeiten er bereits<br />
beherrscht und kennt, z.B. das Umgehen mit Hand und Arm (5:34, 6:02, 6:26, 8:31, vgl.<br />
Tabelle 14), das Aufstehen und Gehen (9:37), das Vermögen, sich aufzurichten (10:33,<br />
11:38). Bei all diesen Handlungen und bei zwei Momenten, wo der Patient über seine<br />
Sprachbehinderung stolpert (2:49, 7:36) zeigt sich jeweils auch seine Behinderung, d.h.<br />
existenzanalytisch gesprochen das „Nicht-Können“ oder das behinderte Können.<br />
Seite 40
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
7.2.2.2 Die 2. Grundmotivation<br />
Die zugewandte Haltung (2. GM), welche die Grundlage der therapeutischen Beziehung<br />
bildet, ist auch in Video 2 als Hintergrund feststellbar (vgl. Video 1). Fünfmal, verteilt auf<br />
alle drei Sequenzen, rückt die 2. GM zusätzlich besonders ins Zentrum mit den Themen<br />
Zuwendung, Beziehung und Berührung, z.B. beim Testen der Sensibilität, vgl. Tabelle 15.<br />
Tabelle 15: Beispiel für die 2. GM (Auszug aus der Transkription von Video 2, Anhang 13.6)<br />
Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />
10:56 PT berührt das gesunde Bein „Spüren Sie dieses Bein?“<br />
10:57 Pat. nickt „Ja.“<br />
11:58 PT berührt das betroffene Bein.<br />
„Wie ist es mit diesem?“<br />
11:00 Pat. wiegt den Kopf hin und her, brummt.<br />
11:03 PT „(Sie spüren dieses Bein) weniger?“<br />
11:09 PT „Also.“ PT steht auf.<br />
11:16 Pat. „Ja, das ist schwierig.“<br />
Folgende Einzelthemen der 2. GM zeigen sich hierbei in Video 2:<br />
Zuwendung<br />
Wie erwähnt wendet sich die Physiotherapeutin grundsätzlich für die Therapie dem<br />
Patienten zu und schafft den Raum dazu (2:05). Sie schüttelt ohne Kommentar die linke<br />
Hand, die der Patient ihr entgegenstreckt und besteht nicht auf der üblichen rechten Hand<br />
(1:47).<br />
Beziehung<br />
Der Patient gestaltet aktiv die Beziehung, als er genau wissen will, wie die Therapeutin<br />
heisst (3:27). Ausserdem will er erfahren, was für eine Zeichnung die Physiotherapeutin in<br />
ihren Unterlagen hat, fragt danach, will es verstehen und nimmt damit Beziehung auf zu<br />
seiner Umgebung (7:21).<br />
Berührung/ Berührt sein<br />
Bei der physischen Untersuchung testet die Physiotherapeutin die Oberflächensensibilität<br />
des Patienten und streicht dabei über verschiedene Zonen seines Arms und des Beins (4:24,<br />
11:58). Dies bedeutet Berührt-Sein auf der physischen Ebene und ist vom Patienten auf der<br />
Seite 41
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
betroffenen Körperseite nicht wahrnehmbar wegen des Sensibilitätsausfalls (4:31, 11:00,<br />
vgl. Tabelle 15).<br />
7.2.2.3 Die 3. Grundmotivation<br />
Die 3. GM ist fünfmal zu beobachten verteilt auf die Sequenzen Beginn des Gesprächs und<br />
Informationen geben. Sowohl Anerkennung als auch Ärger, die Coping-Reaktion der<br />
3. GM, sind bestimmend. Ein Beispiel zur 3. GM ist in Tabelle 16 aufgeführt.<br />
Tabelle 16: Beispiel für die 3. GM (Auszug aus der Transkription von Video 2, Anhang 13.6)<br />
Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />
2:32 Pat. versucht Worte zu finden.<br />
2:33 Pat. „Frau Nehmer?“<br />
2:34 PT „Frau Nehmer.“<br />
2:39 Pat. brummt etwas, versucht, sich zu äussern.<br />
2:43 Pat. „Frau Nehmer....“<br />
Pat. gestikuliert dazu, will etwas erklären.<br />
2:49 Pat. versucht vergeblich, die Worte zu finden, schlägt mit der Faust auf den Tisch.<br />
2:50 Pat. „Was, was, was ist? Warum?“<br />
Pat. zeigt auf die PT.<br />
2:54 PT „Frau Nehmer ist krank. Also Frau Nehmer, Ihre Physiotherapeutin. Verstehen<br />
Sie?“<br />
3:00 Pat. „Ja, ja, ja.“<br />
Folgende Einzelthemen der 3. GM lassen sich in Video 2 identifizieren:<br />
Anerkennung - Beachtung<br />
Gleich zu Beginn bei der Begrüssung streckt der Patient seine gesunde linke Hand der<br />
Physiotherapeutin entgegen, welche sie ohne zu zögern mit ihrer rechten schüttelt (1:47).<br />
In dieser Handlung anerkennt sie sein So-Sein und akzeptiert, dass er nicht die behinderte<br />
rechte Hand einsetzen will.<br />
Abgrenzung<br />
Als der Patient an den Tisch rücken will, bemerkt die Physiotherapeutin, dass es schwierig<br />
sei (6:21). Der Patient findet hingegen, es gehe, d.h. er besteht auf seiner eigenen<br />
Einschätzung.<br />
Seite 42
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Personsein<br />
Der Patient besteht darauf, den Namen der Physiotherapeutin nochmals zu erfahren.<br />
Dahinter ist die Frage „Wer bist Du?“, die Frage nach der Person und auch das Abgrenzen<br />
des Eigenen vom Andern.<br />
Ärger<br />
Der Patient stolpert zweimal über seine Sprachbehinderung, will etwas sagen, kann es<br />
nicht und schlägt mit der Faust auf den Tisch (2:49, 7:36, vgl. Tabelle 16). Dies kann<br />
gedeutet werden als Ärger über seine eigenen Grenzen.<br />
7.2.2.4 Die 4. Grundmotivation<br />
Die 4. GM, bei der es darum geht, das gemäss eigenem Empfinden wert- und sinnerfüllte<br />
Leben zu verwirklichen, wurde im untersuchten Video nicht angetroffen.<br />
8 Diskussion<br />
„Welche Methoden und Haltungen der EA/LT lassen sich im physiotherapeutischen<br />
Setting konkret einsetzen?“ lautet die Grundfrage dieser Arbeit, vgl. Kapitel 5. Sie wurde<br />
untersucht anhand einer ersten phänomenologischen Betrachtung zweier Videos (Frage 1),<br />
sowie der Analyse der Videos mit der Frage, ob die vier Grundmotivationen der EA/LT im<br />
physiotherapeutischen Setting überhaupt vorkommen (Frage 2.1) bzw. welche betroffen<br />
sind (Frage 2.2).<br />
8.1 Die phänomenologische Betrachtungsweise (Frage 1)<br />
Die phänomenologische Betrachtungsweise eignete sich zur Sequenzierung und die<br />
Sequenzen konnten für die weitere Analyse verwendet werden. Die Grundmotivationen<br />
konnten in einem ersten Durchgang ebenfalls gut wahrgenommen werden.<br />
8.2 Die Grundmotivationen im physiotherapeutischen Setting (Frage<br />
2.1)<br />
Die in Kapitel 4.2.8 beschriebenen Grundmotivationen in ihren verschiedenen Aspekten<br />
konnten gemäss der Video-Analyse auch im physiotherapeutischen Setting gefunden<br />
werden.<br />
Seite 43
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
8.3 Die Grundmotivationen in der Video-Analyse (Frage 2.2)<br />
In der vorliegenden qualitativen Studie wurden Äusserungen bzw. Handlungen auf der<br />
Ebene der 1., 2., und 3. GM und eine einzelne auf der Ebene der 4. GM gefunden. Dabei<br />
war die 1. GM auffallend häufig anzutreffen. Auch Tätigkeiten, die durchaus auf der<br />
emotionalen Ebene stattfinden können wie z.B. „Halt finden“ (1. GM) oder „Zuwendung<br />
erfahren“ und „berührt sein“ (beide 2. GM) fanden Ausdruck auf der körperlichen Ebene<br />
als Halt-Finden am Tisch und am Bett, Zuwendung zum plegischen Arm, Berührt-Sein im<br />
Sensibilitätstest.<br />
Möglich ist, dass dies mit der Therapieform Physiotherapie zusammenhängt, welche den<br />
Körper als zentrales Wirkungsgebiet hat. Denkbar ist auch, dass es von der schweren<br />
physischen Beeinträchtigung des Tumor- und des CVI-Patienten abhing, bei denen es<br />
zuerst einmal darum ging im schwer betroffenen Körper – existenzanalytisch gesprochen –<br />
wieder „sein zu können“. Inwiefern diese Häufung des Auftretens der 1. GM mit<br />
verwandten Arbeitsbereichen, z.B. der Pflege, übereinstimmt, konnte nicht eruiert werden,<br />
da entsprechende Literatur fehlt.<br />
Die 2. GM war als Hintergrund der Therapie in der zugewandten Haltung der<br />
Physiotherapeutin durchgängig erkennbar. Als explizites Thema und als Motivation vom<br />
Patienten her tauchte die 2. GM daneben vereinzelt auf. Dies, z.B. wo der Patient selber die<br />
Beziehung gestaltete, im oben erwähnten physischen Berührt-Sein oder in der Negation als<br />
Nicht-Leben-Mögen.<br />
Die 3. GM war vereinzelt beobachtbar, z.B. in der Abgrenzung des Patienten, im<br />
Anerkannt-Werden in seinem So-Sein durch die Therapeutin und in der Coping-Reaktion<br />
als Ärger.<br />
Die 4. GM mit dem Motiv „Sinnvolles wollen“ und „Verantwortung übernehmen“ für das<br />
als sinnvoll Erkannte wurde nur in Video 1 implizit sichtbar, wo der Patient die<br />
Physiotherapie ablehnte. „Wozu denn noch Physiotherapie in meinem Zustand?“, lautete<br />
vermutlich die Frage im Hintergrund.<br />
Es kann etwas erstaunen, dass die 2., 3. und 4. GM in den beiden Videos weniger im<br />
Vordergrund stehen, zumal die Fragen „Mag ich leben?“ (2. GM) und „Darf ich so sein?“<br />
und die Frage nach dem Selbstwert (3. GM) bei so schweren Beeinträchtigungen<br />
keineswegs abwegig sind. Die 4. GM mit der Sinnfrage („Wozu?“) ist bei irreversiblen<br />
Krankheiten ebenfalls wesentlich (vgl. Kapitel 4.3). Abgesehen davon, dass die Häufigkeit<br />
Seite 44
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
des Auftretens einer Grundmotivation bei dieser qualitativen Studie nur als Tendenz<br />
gedeutet werden kann, kann das verminderte Vorkommen der 2., 3. und 4. GM mehrere<br />
Gründe haben:<br />
Wegen des klar funktionell formulierten Auftrags der Physiotherapeutin stand wie<br />
erwähnt die physische Ebene (1. GM) im Vordergrund.<br />
Aufgrund der schwer beeinträchtigenden Pathologien standen das Können,<br />
Wiedererlangen der Fähigkeiten und Aushalten der Situation (1. GM) im Fokus.<br />
Bei einer länger dauernden Therapie könnte es möglich und nötig werden, die<br />
Themen der 2. und 3. GM besser auszuleuchten. Das Erleben und Mögen könnte<br />
angefragt werden („Wie fühlt es sich an, aufrecht zu sitzen? Mögen Sie das?“) und<br />
bewusst als Therapiemotivation integriert werden. Die Zuwendung könnte angefragt<br />
und nach Möglichkeit unterstützt werden, damit der Patient zu sich und seiner<br />
gelähmten Hand schaut (2. GM) und für sich selber Verantwortung übernimmt<br />
(3. GM). Bei länger bestehender therapeutischer Beziehung kämen eventuell sowohl<br />
2. (Beziehung) als auch 3. GM (Personsein, Selbstwert) stärker zum Zug.<br />
Die 4. GM könnte in einem anderen Stadium der Therapie aktuell werden, z.B. beim<br />
CVI-Patienten, wenn es um den Austritt, die Konfrontation mit der Aussenwelt geht,<br />
wenn deutlicher wird, welche früheren Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt werden<br />
können und wenn der Patient neu herausfinden muss, was er will.<br />
8.4 Methodenkritik<br />
Aus Zeitgründen wurde die phänomenologische Betrachtung lediglich als Mittel zum<br />
Zweck der Sequenzierung und Zuordnung der Grundmotivationen einbezogen. Es ist zu<br />
vermuten, dass dieser methodische Punkt ausgebaut werden könnte, indem die<br />
betrachtende Person vertiefter gemäss der phänomenologischen Betrachtungsweise als<br />
Resonanzraum fungiert und detaillierter wahrnimmt. Möglicherweise ergäbe sich daraus<br />
ein noch detaillierteres Bild der vorherrschenden Themen.<br />
Was aus dieser Untersuchung nicht klar wurde, ist, ob es Handlungen oder Äusserungen<br />
gibt, die nicht im Zusammenhang mit einer Grundmotivation stehen. Vermutlich ist dies<br />
eine Frage der Sequenzierung: Wenn die Grenzen enger gesetzt werden, welche Dialoge zu<br />
einem Thema dazugezählt werden, ergeben sich vielleicht auch „Zwischenstücke“, ohne<br />
besondere Zuordnung.<br />
Seite 45
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Es zeigte sich, dass die Zuordnung der Grundmotivationen nicht immer eindeutig war.<br />
Ursache dafür war, dass in der Situation zuwenig nachgefragt werden konnte oder vom<br />
Patienten zuwenig Informationen kamen, wie er etwas erlebt (2. GM) oder wie er sich dazu<br />
stellt (3. GM). Dies einerseits aufgrund der Ausdrucksbehinderungen der Patienten,<br />
andererseits wegen des Fokus, der mehr auf den physiotherapeutischen Auftrag<br />
(Mobilisierung etc.) als auf die Grundmotivationen gerichtet war.<br />
Es wurden nur die ersten 10 Minuten des Videos analysiert. Bei einer Analyse der ganzen<br />
Therapie, wo auch die Zielsetzung für das nächste Mal einbezogen wäre, würden ev.<br />
Themen der 2. GM („Was mag ich nächstes Mal tun?“) oder der 4. GM („Was ist das<br />
Ziel?“) wichtiger.<br />
9 Schlussfolgerungen<br />
Die Grundmotivationen aus der EA/LT lassen sich in einer physiotherapeutischen<br />
Behandlung wiederfinden, wie diese Untersuchung gezeigt hat. Wie lassen sich die<br />
Erkenntnisse nun nutzen für die Physiotherapie, die nicht eine primär verbal arbeitende<br />
Therapie ist, wie andere Berufsfelder, wo die EA/LT häufig eingesetzt wird?<br />
Entscheidend scheint die Frage nach der Motivation und Kooperation in der Therapie,<br />
insbesondere bei auftretenden Widerständen. Die Analyse der Grundmotivationen und<br />
detaillierte Motivationslehre der EA/LT erlauben einen erweiterten Blick auf das Verhalten<br />
des Patienten in einer physiotherapeutischen Behandlung und können Hilfe bieten beim<br />
Verstehen, Nachfragen und Intervenieren für weitere Behandlungen:<br />
1. Zur Analyse könnten konkrete Fragen, die bereits in anderen Berufsfeldern erprobt<br />
sind, eingesetzt und spezifisch für die Physiotherapie angepasst werden, vgl. Tabelle<br />
17 (s.a. Kapitel 4.2.8, sowie IGEAP 2008 und Jones & Luginbühl 2002).<br />
Tabelle 17: Fragen für die physiotherapeutische Praxis, gegliedert nach Grundmotivationen<br />
GM Frage für die physiotherapeutische Praxis<br />
1. GM „Was hilft Ihnen, diese Tätigkeit zu tun oder die Schmerzen auszuhalten?“<br />
2. GM „Was tun Sie gern? Wie haben Sie es erlebt, als Sie wieder Velo fuhren?“<br />
3. GM „Wenn Sie nur auf sich hören, wofür würden Sie sich entscheiden z.B.<br />
bezüglich eines Aufenthaltes im Rehabilitationszentrum?“<br />
4.GM „Was ist Ihnen jetzt wichtig, wofür wollen Sie das wieder können?“<br />
Seite 46
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Die Wichtigkeit von Halt, Raum und Schutz (1. GM) in der physio-therapeutischen<br />
Praxis kommt in der vorliegenden Analyse und Diskussion deutlich zum Ausdruck<br />
(vgl. Kapitel 7.2 und 8.3). Mit Fragen, wie sie in Tabelle 17 dargestellt sind, könnten<br />
auch die Grundmotivationen 2-4, die in der vorliegenden Video-Analyse weniger<br />
zum Zuge kommen, bewusster angefragt und integriert werden, sofern es der<br />
physiotherapeutischen Behandlung dient. So ist das Erleben (2. GM) eines Patienten<br />
nicht nur nicht nur für das Leben-Mögen relevant, sondern auch für die<br />
Therapiemotivation, das eigenverantwortliche Üben und damit den<br />
Behandlungserfolg (vgl. Kapitel 4.2.8.2 und 4.3.1). Die Selbstakzeptanz (3 GM)<br />
z.B. mit einer sichtbaren Behinderung entscheidet darüber, ob der Patient aktiv bleibt<br />
oder es wieder vermehrt wird (vgl. Ziele der Physiotherapie nach physioswiss 2009).<br />
Die Sinn- und Zukunftsperspektive (4. GM) sind – je nach Beeinträchtigung in<br />
unterschiedlicher Ausprägung – wesentlich für die Frage auch nach Sinn und<br />
Ausrichtung der physiotherapeutischen Behandlung.<br />
2. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie haben gezeigt, dass die Physiotherapeutin bei<br />
der therapeutischen Intervention die Grundmotivationen einbeziehen und z.B.<br />
gezielt die unterstützenden Bedingungen fördern kann, wie Halt, Raum oder<br />
Aushalten-Können (1. GM). Sei es indem die Physiotherapeutin die entsprechende<br />
Haltung einnimmt oder den Patienten dazu einlädt, selber aktiv zu werden. (Die<br />
Wichtigkeit des Vermittelns von Halt durch Information wird bei Längle (2005)<br />
postuliert sowie bei Müller & Lühmann (2005) für Patienten mit chronischem<br />
Schemerz.). In den Videos zeigt sich, dass viel existenzanalytisch Wichtiges averbal<br />
geschieht. Je nach Situation könnte es daher hilfreich sein, wenn die<br />
Physiotherapeutin das Wahrgenommene im Verhalten des Patienten vermehrt<br />
verbalisiert.<br />
3. Die Physiotherapeutin kann sich – wie diese Arbeit zeigt – durch den Einbezug<br />
existenzanalytischer Gesichtspunkte bewusst werden, auf welcher Ebene die<br />
Schwierigkeiten und Möglichkeiten eines Patienten liegen, und verfügt mit dem<br />
Konzept der Grundmotivationen über ein spezifisches Instrument zur<br />
Wahrnehmung und Analyse.<br />
4. Existenzanalytische Fragestellungen können voraussichtlich auch bei der<br />
Selbstreflexion dienlich sein. Die Reflexion kann dabei z.B. helfen, nicht von einer<br />
Dynamik des Patienten (depressive Verstimmung, Ärger..) mitgezogen zu werden.<br />
Seite 47
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
5. In der Praxis könnte eine eingehendere phänomenologische Betrachtung<br />
insbesondere bei einer länger dauernden Therapie angebracht sein, z.B. wenn sich<br />
Widerstände beim Patienten oder der Physiotherapeutin zeigen oder wenn ein Thema<br />
immer wieder auftaucht. Möglicherweise würde das bedingen, dass genauer beim<br />
Patienten nachgefragt würde nach dessen Empfindung oder Einstellung. Dabei wäre<br />
abzuwägen, inwiefern weiteres Fragen mit den physiotherapeutischen Zielen zu<br />
vereinbaren ist und diese fördert.<br />
Der Einbezug existenzanalytischer und logotherapeutischer Elemente in die<br />
physiotherapeutische Behandlungspraxis ist möglich, wie diese Studie gezeigt hat (s.o.<br />
Punkt 1.-5.). Es ist zu vermuten, dass dies die Kommunikation zwischen Therapeutin und<br />
Patient fördert, weil ein tieferes Verständnis der Beweggründe möglich wird. Damit könnte<br />
die EA/LT einen Beitrag leisten zur Verbesserung der Kommunikation in der<br />
Physiotherapie, wie das zunehmend gefordert wird (Betz et al 2006, Friedel 2008, Gifford<br />
2005, Hoos-Leistner & Balk 2008, Jeffels & Forster 2003, Klenger 2008, Schneider 2008,<br />
Silvermann et al 2007).<br />
Zudem kann angenommen werden, dass der Blick auf die Grundmotivationen<br />
Möglichkeiten schafft, anders mit der körperlichen Beeinträchtigung umzugehen, indem<br />
der Patient als aktiver Beteiligter gesehen wird. Dies könnte in positivem Sinne wirksam<br />
sein auf die Haltung zur Krankheit und die Eigenaktivität, was Mehnert (2006) als<br />
entscheidend für Krankheitsverlauf und den Umgang damit identifiziert hat und was von<br />
verschiedenen Autoren am Beispiel der Therapie chronischer Schmerzpatienten unterstützt<br />
wird (vgl. insbesondere Mannion 2004, Schug & Grape 2009).<br />
Wie die Video-Analyse in dieser Arbeit zeigt, war die 1. Grundmotivation besonders im<br />
Fokus in der physiotherapeutischen Behandlung. Wenn dies der Therapeutin bewusst ist,<br />
kann sie diese gezielt anfragen und unterstützen (s.o. Punkt 1 und 2). Sie kann damit einen<br />
Beitrag leisten an die Verstehbarkeit und Handhabbarkeit der Situation, welche zwei<br />
Elemente des Kohärenzgefühls und damit zwei Postulate der salutogenetischen<br />
Vorgehensweise sind (vgl. Kapitel 4.3.6; Hengeveld 2006). Da das Kohärenzgefühl stark<br />
mit Gesundheit und Erhaltung der Gesundheit korreliert (Lindström & Eriksson 2005a,<br />
Eriksson & Lindström 2005b, Eriksson & Lindström 2006), könnte ein<br />
existenzanalytischer Ansatz in der Physiotherapie über die Stärkung der<br />
1. Grundmotivation gesundheitsfördernd wirken.<br />
Seite 48
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
10 Weitere Forschungsansätze und Ausblick<br />
Die vorliegende Untersuchung war qualitativ konzipiert und auf die Grundmotivationen<br />
fokussiert. Im Anschluss an diese Studie ergeben sich eine Reihe interessanter<br />
Fragestellungen:<br />
Gibt es spezielle Sequenzen oder Situationen innerhalb der physiotherapeutischen<br />
Behandlung, wo Elemente aus der EA/LT besonders gewinnbringend eingesetzt<br />
werden können?<br />
Lässt sich etwas darüber sagen, wie sich die EA/LT-Intervention im untersuchten<br />
Kontext auf physiotherapeutische Ziele auswirkt (Tonus, Angst, Therapiemotivation,<br />
Wahrnehmung des Symptoms, symptomfreier Zonen)?<br />
Lassen sich Schlüsse ziehen, für welche Patientengruppen in der Physiotherapie die<br />
EA/LT besonders geeignet sein könnte? Dies z.B. im Vergleich von akut versus<br />
chronisch Kranken, Patienten mit relativ geringfügigen Beeinträchtigungen versus<br />
solche mit erheblicher Einschränkung im Alltag.<br />
In dieser Untersuchung wurde auf die Grundmotivationen der EA/LT fokussiert. Die<br />
EA/LT verfügt aber über eine Reihe anderer Konzepte und Methoden wie z.B. die<br />
Schritte der Personalen Existenzanalyse (PEA), die Personale Positionsfindung (PP),<br />
die Einstellungsänderung, oder die Willensstärkungsmethode. Es wäre zu<br />
untersuchen, welche davon in der physiotherapeutischen Praxis anwendbar sind.<br />
Interessant wären auch Methodenvergleiche mit bereits in der Physiotherapie<br />
bekannten Kommunikationsmethoden wie Transaktionsanalyse, Methode nach Carl<br />
Rogers oder Salutogenese: Inwiefern unterscheiden sich Haltungen, Wahrnehmung<br />
und Interventionen und wie wirkt sich das auf die Physiotherapie aus?<br />
Zur Untersuchungsmethodik: Für die vorliegende Untersuchung werden Videos aus<br />
den Kommunikationstrainings eingesetzt. Es wird davon ausgegangen, dass diese<br />
realen physiotherapeutischen Situationen entsprechen, vgl. Kapitel 6. Gibt es<br />
dennoch Unterschiede zwischen „gespielter“ und realer Situation bei<br />
logotherapeutischen Interventionen im echten Patientensetting?<br />
Tendenziell zeigte sich in der Untersuchung ein Vorherrschen von Themen der<br />
1. GM, was jedoch nicht statistisch belegt ist aufgrund der gewählten Methode der<br />
qualitativen Analyse. Eine quantitative Untersuchung würde Vergleiche mit anderen<br />
Berufsgattungen zulassen und Aufschluss darüber geben, worauf beim<br />
therapeutischen Umgang besonderes Augenmerk gelegt werden soll.<br />
Seite 49
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Brennpunkt all dieser Forschungsfragen ist das eingangs erwähnte Ziel der Physiotherapie<br />
(vgl. Kapitel 3.1):<br />
„Die Physiotherapie bietet den Menschen Lösungsansätze, mit denen Einschränkungen und<br />
Beeinträchtigungen der Bewegungs- und Funktionsfähigkeit sinnvoll und<br />
funktionsorientiert behandelt (...) werden können.“ (physioswiss 2009).<br />
„Sinnvoll“ könnte in existenzanalytischer Erweiterung bedeuten, Patientinnen und<br />
Patienten in der Physiotherapie darin zu unterstützen, dass sie mit den vorhandenen<br />
Bedingungen „da sein können“ (1. GM), „leben mögen“ (2. GM), „so sein dürfen“ (3. GM)<br />
und gemäss ihren eigenen Zielen „Sinnvolles wollen“ (4. GM) und verwirklichen können.<br />
Seite 50
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
11 Abkürzungsverzeichnis<br />
Abkürzung Bedeutung<br />
CVI Cerebrovaskulärer Insult (dt. „Hirnschlag“)<br />
EA Existenzanalyse<br />
F Freiheit<br />
<strong>GLE</strong> Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse<br />
GM Grundmotivation<br />
IGEAP <strong>International</strong>e Gesellschaft für Existenzanalytische Psychotherapie<br />
LT Logotherapie<br />
Pat. Patient<br />
PEA Personale Existenzanalyse<br />
PT Physiotherapeutin<br />
SD Selbstdistanzierung<br />
ST Selbsttranszendenz<br />
V Verantwortung<br />
Seite 51
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
12 Literaturverzeichnis<br />
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Villinger C und Baumann S, 1997. Welchen Einfluss haben die Beziehung und das Coping<br />
auf die Kooperation zwischen Physiotherapeut und Patient? Bern, Diplomarbeit, Schule für<br />
Physiotherapie Inselspital.<br />
Seite 60
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
13 Anhang<br />
13.1 Literaturrecherche Pubmed (2008)<br />
In Tabelle 18 folgt die Darstellung der Suchwörter bei der Literaturrecherche in Pubmed<br />
(2008) zu den Themen Physiotherapie, Existenzanalyse, Logotherapie, Kommunikation.<br />
Tabelle 18: Literaturrecherche in Pubmed (2008)<br />
Nr. Suchwort Anzahl Hits<br />
#46 Search ((communication skills)) AND (#29) 119<br />
#45 Search (communication skills) AND (#28) 51<br />
#44 Search communication skills 13756<br />
#43 Search ((anamnes*)) AND (#29) 19<br />
#42 Search (anamnes*) AND (#28) 16<br />
#41 Search anamnes* 6695<br />
#40 Search ((#8) ) AND (#29) 0<br />
#39 Search (#8) AND (#28) 0<br />
#38 Search ((#7)) AND (#29) 0<br />
#37 Search (#7) AND (#28) 0<br />
#36 Search existen* analy* 37081<br />
#35 Search (#23) AND (#29) 1<br />
#34 Search (#23) AND (#28) 2<br />
#33 Search (#14) AND (#28) 2<br />
#32 Search (#14) AND (#29) 1<br />
#31 Search (#28) AND (#5) 384<br />
#30 Search (physical therap*) AND (#5) 923<br />
#29 Search physical therap* 35066<br />
#28 Search physiotherap* 14530<br />
#23 Search logotherap* 70<br />
#1 Search Physiotherapy AND Communication 1660<br />
Seite 61
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Forts. Tabelle 18<br />
Nr. Suchwort Anzahl Hits<br />
#20 Search communication AND patient 86185<br />
#21 Search communication AND patient AND physical therapy 1562<br />
#19 Search logotherapy AND nursing 3<br />
#18 Search logotherapie AND nursing 0<br />
#17 Search logotherapie AND physiotherapie 0<br />
#16 Search logotherapy AND physiotherapy 3<br />
#15 Search logotherapy AND physical therapy 2<br />
#14 Search logotherapy 61<br />
#13 Search logotherapie 2<br />
#12 Search existential-analytic AND Physiotherapy 0<br />
#11 Search existential-analysis AND Physiotherapy 0<br />
#10 Search existential-analysis AND physical therapy 0<br />
#9 Search existential-analysis and physical therapy 0<br />
#8 Search existential-analysis 82<br />
#7 Search existential-analytic 17<br />
#6 Search Existenzanalyse 2<br />
#5 Search Communication 360248<br />
#4 Search Physical therapy AND Communication 3029<br />
Seite 62
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
13.2 Fallbeschreibung Video 1 (Tumorpatient)<br />
Die Physiotherapeutin (PT) hat auf der Chefarztvisite im Spital den Auftrag erhalten, den<br />
ihr noch unbekannten Patienten (Pat.) Mario Bodoni unbedingt zu mehr Bewegung<br />
anzuhalten und seine Schulter passiv zu mobilisieren, auch wenn der Patient nicht<br />
motiviert sei. Aus der Krankengeschichte und aus den Angaben des Assistenzarztes sind<br />
folgende Informationen über den Patienten bekannt:<br />
Jahrgang 1963<br />
Diagnose: Glioblastom Grad IV links-parietal<br />
(bösartiger Hirntumor, rechte Hirnhälfte, sehr weit fortgeschritten, inoperabel)<br />
Geschichte/ Symptome: Überweisung ins Zentrumsspital durch Hausarzt vor 6<br />
Wochen wegen starker Kopfschmerzen, Übelkeit, Gefühl, mit dem linken Auge akut<br />
schlechter zu sehen. Rasch zunehmende Funktionsausfälle, Gehen nur mit Rollator<br />
möglich, Schulterschmerz beim Aufstützen.<br />
Therapie: Chemotherapie, hohe Dosen Morphin als Schmerztherapie, Kortison u.a.,<br />
Physiotherapie<br />
Aufgabe im Kommunikationstraining:<br />
Passive Bewegung der Schultern zur Schmerzlinderung und Bewegungserhaltung<br />
Patienten ein-zweimal aufsitzen lassen mit rückenschonender Technik<br />
Seite 63
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
13.3 Transkription Video 1 (Tumorpatient)<br />
Nachstehend folgt die vollständige Transkription der ersten 10 Minuten von Video 1<br />
(Tabelle 20), die Legende und Erläuterungen zur Transkription sind in Tabelle 19<br />
aufgeführt.<br />
Tabelle 19: Legende und allgemeine Erläuterungen zur Transkription von Video 1<br />
PT: Physiotherapeutin (Äusserungen sind blau markiert.)<br />
Pat.: Patient (Äusserungen sind rot markiert.)<br />
Zeit: Notiert wurde jeweils die Zeit des Beginns einer Handlung/ Äusserung in<br />
Minuten gemäss der Angabe der DVD (Bsp. 1:39 = 1 Minute 39 Sekunden).<br />
Sequenz: In dieser Spalte ist die Einteilung nach drei Sequenzen innerhalb des<br />
physiotherapeutischen Gesprächs festgehalten: Beginn des Gesprächs –<br />
Informationen sammeln – Informationen geben und beraten.<br />
(Klammern): Ergänzungen in der Transkription, die nicht wörtlich so ausgesprochen<br />
wurden, um den Sinn verständlich zu machen.<br />
Allgemeines: Das Gespräch enthält viele Pausen.<br />
Tabelle 20: Vollständige Transkription der ersten 10 Minuten von Video 1<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung Sequenz<br />
1:06 Pat. liegt dösend im Bett, gut zugedeckt, trägt eine Mütze<br />
tief in die Stirn gezogen, während grossen Teilen des<br />
Gesprächs bewegt er seinen Mund schmatzend/ saugend<br />
aufgrund der opiatbedingten Mundtrockenheit. Ein<br />
Rollator steht an der Wand. Die PT klopft, tritt ein, geht<br />
ans Patientenbett.<br />
1:11 PT „Grüessech Herr Bodoni. Guten Tag,“ Beginn des Gesprächs<br />
1:15 Pat. mit schwacher Stimme, öffnet kaum die Augen<br />
„Guten Tag.“<br />
1:16 PT gibt dem Pat. die Hand „Mein Name ist Romann,<br />
Physiotherapeutin in Ausbildung.“ Kurze Stille.<br />
1:21 Pat. „Grüessech wohl.“<br />
1:22 PT „Ich komme von der Physiotherapie, um zu schauen,<br />
wie es Ihnen geht.“<br />
Seite 64
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
1:27 Pat. „Da sind Sie wohl falsch bei mir.“<br />
1:28 PT „Haben Sie das Gefühl (ich sei falsch bei Ihnen)?“ PT<br />
nimmt einen Stuhl, setzt sich ans Patientenbett und notiert<br />
jeweils die Antworten des Patienten.<br />
1:30 Pat. brummt „Ja.“<br />
1:41 PT „Warum wäre ich denn falsch bei Ihnen?“<br />
1:44 Pat. „Ich brauche keine Physiotherapie mehr.“<br />
1:47 PT „Sicher?“<br />
1:48 Pat. „Ja.“ Pat. windet sich etwas im Bett.<br />
1:51 PT „Was brauchen Sie denn?“<br />
2:06 Pat. überlegt schweigend: „Verstehen brauche ich.“<br />
2:08 PT nickt „Mm.“ – Pause<br />
2:14 PT „Sie haben eine schwere Diagnose, habe ich gesehen.“<br />
2:17 Pat. zustimmend „Mm. - Mm.“<br />
2:26 PT „Wie geht es mit den Schultern?“ Informationen sammeln<br />
2:30 Pat. „Mit den Schultern? – Die Schultern schmerzen beim<br />
Gehen.“<br />
2:41 PT „Mm. Beide Seiten?“<br />
2:43 Pat. „Ja.“<br />
2:44 PT „Da schien mir grad so, als Sie sich bewegten, Sie<br />
hätten wahrscheinlich Schmerzen.“ PT zeigt Bewegung<br />
des Arm-Hebens.<br />
2:49 Pat. „Ich habe jetzt eigentlich keine (Schmerzen). Es tut<br />
mir weh beim Gehen.“ Pat. hebt den Arm. Pat.“Und<br />
nachher noch. Nach dem Gehen auch noch.“<br />
3:03 PT „Wie gehen Sie denn?“<br />
3:08 Pat. in vorwurfsvollem Tonfall „Wie meinen Sie das? Ich<br />
gehe nicht auf den Händen.“<br />
3:12 PT „ Ja. Sie haben ein Hilfsmittel?“<br />
3:14 Pat. „Den Rollator seit einigen Tagen.“<br />
3:19 PT „Und da stützen Sie sich auf.“<br />
3:21 Pat. nickt „Mm.“<br />
Seite 65
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
3:24 PT „Und da haben Sie nachher Schmerzen.“<br />
3:25 Pat. kurz „Ja. Während (des Gehens) auch schon.“ Pat.<br />
streicht sich über den Kopf.<br />
3:30 PT „Ja. Wie stark denn?“<br />
3:36 Pat. „Einfach so, dass es nicht mehr – Pause – „gäbig“<br />
(praktisch) ist zum Weitergehen.“<br />
3:48 PT „Mm. Wie weit kommen Sie denn?“<br />
3:56 Pat. „Bis zur hinteren Stuhlgruppe.“<br />
4:01 PT nach kurzer Pause „Mm, das ist immerhin ein Stück.“<br />
4:08 Pat. winkt ab.<br />
4:10 PT „Was sind das, 50 Meter?“<br />
4:14 Pat. „Ich glaube nicht.“<br />
4:16 PT „Haben Sie das Gefühl es sei weniger?“<br />
4:17 Pat. „Ja.“<br />
4:25 PT „Sind Sie denn heute schon unterwegs gewesen?“<br />
4:30 Pat. „Nicht weit, nur aufs WC und zum Tisch.“<br />
4:50 PT „Ja, Sie haben vorher etwas gesagt wegen des<br />
Verstehens wegen Ihrer Krankheit. Hätten Sie ein<br />
besonderes Anliegen an mich?“<br />
5:08 Pat. seufzt. „Wieso sind Sie denn jetzt hier?“<br />
5:11 PT „Das sage ich Ihnen (gleich). Der Arzt hat mir<br />
mitgeteilt, ich solle besonders zu Ihrer Schulter schauen...“<br />
Pat. hält den Kopf mit der rechten Hand und wendet sich<br />
der PT zu. ...“also genau zu dem, was Sie jetzt beschrieben<br />
haben, wegen Ihrer Schmerzen. Und zwar wäre das, was<br />
ich gern tun möchte, Ihre Schulter bewegen...“ PT zeigt mit<br />
den Händen, wie sie die Schulter bewegen möchte.<br />
5:27 Pat. „Mm.“ Pat. legt sich wieder auf den Rücken, die<br />
rechte Hand weiterhin über seinem Kopf.<br />
Informationen geben<br />
und beraten<br />
Seite 66
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
5:28 PT ...“ und zwar fein. Sie können einfach gehen lassen und<br />
ich bewege sie. (Ich möchte schauen) in welche<br />
Richtungen es geht. Und zwar damit Sie die Beweglichkeit<br />
behalten können und die Schmerzen weniger auftreten.“<br />
5:43 Pat. „Die Schmerzen treten dadurch weniger auf?“<br />
5:46 PT nickt, deutet zur Schulter. PT „Ja. Es entspannt alles,<br />
also Muskeln und Sehnen und alles was darum herum (um<br />
das Gelenk) ist.“<br />
5:52 Pat. „Mm.“<br />
5:57 PT „Und beim Gehen gibt es dann weniger Schmerzen.“<br />
5:59 Pat. „Mm.“<br />
6:02 PT „Und das andere, was ich mit Ihnen noch anschauen<br />
möchte ist wegen des Aufsitzens.“<br />
6:08 Pat. „Mm. – Ich kann aufsitzen.“<br />
6:13 PT „Sicher?“ Überlegt kurz.<br />
6:14 Pat. „Mm.“<br />
6:18 PT „Also, wenn Sie einverstanden sind, möchte ich gerade<br />
mit dem beginnen, dass Sie aufsitzen und dass ich nachher<br />
einmal die Schulter (durch-) bewegen würde. Pause.<br />
6:31 PT „Haben Sie das Gefühl, das sei möglich?“<br />
6:33 Pat. zustimmend „Mm.“<br />
6:37 PT erhebt sich, stellt ihren Stuhl auf die Seite.<br />
6:44 PT „Können Sie mir einmal zeigen, wie Sie jeweils<br />
aufsitzen?“<br />
6:47 Pat. reibt sich das Gesicht. „Mm. Machen Sie das mit der<br />
Schulter nachher im Liegen oder im Sitzen?“<br />
6:55 PT „Ich würde gerne einen Moment im Sitzen probieren<br />
und schauen, wie lang dass das geht, und sonst können wir<br />
es nachher noch im Liegen machen.“<br />
7:03 Pat. „Mm.“<br />
7:05 PT „Haben Sie das Gefühl, das gehe?“<br />
7:06 Pat. „Wir können es probieren.“<br />
Seite 67
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
7:08 PT „Dann nehme ich Ihnen hier mal die (Bett-) decke weg.<br />
PT schlägt die Decke über das Fussende des Bettes, Pat.<br />
hilft etwas mit.<br />
7:18 Pat. greift zum Bettbügel zieht sich etwas hoch, zieht die<br />
Beine an, dreht sich in Seitlage, zieht die Beine mühsam<br />
mit der Hand über den Bettrand, stösst sich mühselig hoch<br />
zum Sitzen, stützt sich beidhändig auf. PT schaut zu.<br />
7:45 PT „Ist anstrengend, hm?“<br />
7:48 Pat. zustimmend „Mm.“<br />
7:50 PT „Jetzt lassen wir das Bett mal etwas runter.“ PT kauert<br />
vor die Bett-Bedienung, probiert sie aus.<br />
8:01 Pat. „Es ist, glaube ich, schon unten.“<br />
8:02 PT „Ja, es geht nicht mehr.“<br />
8:04 PT „Jetzt können Sie noch ein bischen an den (Bett-) rand<br />
kommen, sodass Sie die Füsse gut auf dem Boden haben.“<br />
PT hilft nach bei der Platzierung der Füsse.<br />
8:15 PT „Können Sie so sein?“<br />
8:16 Pat. nickt.<br />
8:18 PT „Ja? Also.“ PT steht auf.<br />
8:20 PT zum Pat., der im Pyjama da sitzt: „Jetzt – wie ist es mit<br />
der Wärme, haben Sie warm im Moment?<br />
8:24 Pat. „Ja.“<br />
8:26 PT „Dann nehme ich jetzt mal Ihre Schulter.“<br />
PT nimmt die linke Schulter des Pat. in die Hände, beginnt<br />
mit Palpation/ flächigem Bewegen.<br />
8:32 PT beobachtet den Patienten. „Können Sie so sein?“<br />
8:33 Pat. zustimmend „Mm.“<br />
8:34 PT „Ist Ihnen schwindlig?“<br />
8:36 Pat. „Nein.“<br />
8:37 PT „Wenn Ihnen schwindlig werden sollte, würden Sie es<br />
einfach sofort sagen.“<br />
8:39 Pat nickt zustimmend „Mm.“<br />
Seite 68
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
8:45 PT „Sie können einfach hängen lassen.“ PT nimmt den<br />
ganzen Arm in die Hand, beginnt mit der passiven<br />
Beweglichkeit, bewegt bis Minute 9:26 den Arm in<br />
verschiedene Richtungen, spricht dazu mit dem Pat.<br />
8:49 PT hebt den Arm. PT „Geht das?“<br />
8:50 Pat. zustimmend „Mm.“<br />
8:51 PT „Schmerzen?“<br />
8:52 Pat. „Nein.“<br />
8:54 PT „Sie würden es einfach sagen, sobald Sie irgendetwas<br />
spüren.“<br />
8:57 Pat. zustimmend „Mm.“<br />
9:07 PT bewegt Arm endgradig in die Flexion. PT „Da kommen<br />
Sie ja ganz hoch.“ (Oder ähnliche Äusserung. Sie ist im<br />
Video nicht genau verständlich.)<br />
9:08 Pat. „Meinen Sie?“<br />
9:10 PT „Die Beweglichkeit im Gelenk ist gut.“<br />
9:20 PT „Jetzt noch nach hinten.“<br />
PT bewegt den Arm in Extension.<br />
9:26 PT „Wie geht’s?“<br />
9:28 Pat. „Mm.“<br />
9:30 PT steht vor den Pat. hin, beobachtet ihn.<br />
PT „Können Sie so noch sein?“<br />
9:31 Pat. zustimmend „M-m.“<br />
9:32 PT „Jetzt gebe ich Ihnen hier noch Druck auf beide<br />
Schultern und Sie versuchen sich aufzurichten entgegen<br />
diesem Druck.“ PT steht vor Pat. hin, zeigt die Fassung<br />
anhand ihrer eigenen Schultern und gibt dann Druck von<br />
oben auf die Schultern des Pat.<br />
9:41 PT „Versuchen Sie mal, ob Sie ganz gerade sitzen<br />
können.“ Pat. richtet sich auf.<br />
9:45 PT „Und atmen dazu, das ist sehr wichtig.“<br />
9:48 PT „Können Sie einen Moment so bleiben?"<br />
Seite 69
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
9:51 Pat. „Ich kann es versuchen.“<br />
9:54 PT geht auf die rechte Seite des Pat. und nimmt dessen<br />
Arm in ihre Hände, bewegt die Schulter endgradig in<br />
Flexion.<br />
10:04 PT „Geht das so?“<br />
10:05 Pat. zustimmend „M-m.“<br />
10:08 PT „Versuchen Sie nochmals, sich aufzurichten.“ PT<br />
bewegt die Schulter weiter in verschiedene Richtungen bis<br />
Minute 10:31.<br />
10:14 PT „Jetzt noch seitwärts.“<br />
10:22 PT „Wie geht es Ihnen?“<br />
10.23 Pat. „M-m.“<br />
10:32 PT „Jetzt machen wir noch einmal das mit dem<br />
Aufrichten.“ PT steht vor Pat. hin, Hände von oben auf<br />
seinen Schultern, PT gibt Druck, Pat. richtet sich auf.<br />
10:39 PT „Gut.“<br />
10:44 PT „Jetzt können Sie wieder liegen. Ich habe den Eindruck,<br />
Sie seien schon etwas müde.<br />
10:50 Pat. legt sich etwas mühselig, schwer aufstützend in die<br />
Seitlage links, nimmt das obere, rechte Bein hoch aufs<br />
Bett, nimmt das linke Bein mit Hilfe der Hände nach. PT<br />
schaut zu.<br />
11:00 PT „Mit dem (linken Bein) haben Sie Mühe, hm?“<br />
11:03 Pat. „Geht nicht gut.“ (Oder ähnlicher Wortlaut. Äusserung<br />
im Video schwer verständlich.)<br />
11:04 Pat. dreht sich auf den Rücken, hält sich am Bettbügel mit<br />
der rechten Hand, schiebt sich im Bett mit dem rechten<br />
Bein hoch.<br />
Seite 70
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
13.4 Analyse Video 1 (Tumorpatient)<br />
In der nachstehenden Analyse des Videos wurde die Transkription wortgetreu<br />
übernommen, thematisch bezüglich der Grundmotivationen in zusammengehörende<br />
Abschnitte eingeteilt und kommentiert. Wie in der Transkription ist links jeweils die Zeit<br />
in Minuten und Sekunden angegeben, rechts die Situationsbeschreibung bzw. der Wortlaut<br />
des Dialogs.<br />
Tabelle 21: 1.GM- Ausgangssituation<br />
1:06 Pat. (Patient) liegt dösend im Bett, gut zugedeckt, trägt eine Mütze tief in die Stirn<br />
gezogen, während grossen Teilen des Gesprächs bewegt er seinen Mund<br />
schmatzend/ saugend aufgrund der opiatbedingten Mundtrockenheit. Ein Rollator<br />
steht an der Wand. Die PT (Physiotherapeutin) klopft, tritt ein, geht ans<br />
Patientenbett.<br />
Der Patient hat sich in sich selbst zurückgezogen, schafft sich durch Mütze, Decke und<br />
geschlossene Augen einen Schutzraum, geht auf das folgende Angesprochen-Werden<br />
kaum ein, bleibt bei sich: alles Elemente der 1. GM.<br />
Tabelle 22: 1. GM/ 2. GM - Beginn des Gesprächs: Begrüssung<br />
1:11 PT „Grüessech Herr Bodoni. Guten Tag<br />
1:15 Pat. mit schwacher Stimme, öffnet kaum die Augen „Guten Tag.“<br />
1:16 PT gibt dem Pat. die Hand „Mein Name ist Romann, Physiotherapeutin in<br />
Ausbildung. Kurze Stille.<br />
1:21 Pat. „Grüessech wohl.“<br />
1:22 PT „Ich komme von der Physiotherapie, um zu schauen, wie es Ihnen geht.“<br />
Die Physiotherapeutin grüsst, stellt sich vor, eröffnet die Beziehung, der Patient geht zwar<br />
nur minimal darauf ein, reagiert aber doch (2. GM). „Ich komme, um zu schauen, wie es<br />
Ihnen geht“ bedeutet Zuwendung und ist die personale Aktivität auf der Ebene der 2. GM,<br />
gleichzeitig ist es eine Frage nach den Bedingungen des Da-Seins („Wie ist es jetzt?“<br />
1. GM), mit der Ruhe, dem Abwarten der Antwort, die anschliessend folgt, ergibt sich ein<br />
Raum, was der 1. GM zuzuordnen ist.<br />
Seite 71
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Tabelle 23: 3. GM - Zweck des Besuchs der Physiotherapeutin<br />
1:22 PT „Ich komme von der Physiotherapie, um zu schauen, wie es Ihnen geht.“<br />
1:27 Pat. „Da sind Sie wohl falsch bei mir.“<br />
1:28 PT „Haben Sie das Gefühl (ich sei falsch bei Ihnen)?“ PT nimmt einen Stuhl, setzt<br />
sich ans Patientenbett und notiert jeweils die Antworten des Patienten.<br />
1:30 Pat. brummt „Ja.“<br />
„Da sind Sie wohl falsch bei mir.“ Dieser Satz ist als klar abgrenzende Aussage zu<br />
verstehen. Der abweisende Tonfall, die kurz angebundenen Art des Patienten<br />
unterstreichen das noch. „Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe,“ scheint der Patient zu sagen<br />
und geht auf Distanz, eine Coping-Reaktion auf der Ebene der 3. GM.<br />
Tabelle 24: 2. GM/ 3. GM /4. GM - Wozu Physiotherapie?<br />
1:41 PT „Warum wäre ich denn falsch bei Ihnen?“<br />
1:44 Pat. „Ich brauche keine Physiotherapie mehr.“<br />
1:47 PT „Sicher?“<br />
1:48 Pat. „Ja.“ Pat. windet sich etwas im Bett.<br />
1:51 PT „Was brauchen Sie denn?“<br />
2:06 Pat. überlegt schweigend: „Verstehen brauche ich.“<br />
2:08 PT nickt „Mm.“ – Pause<br />
2:14 PT „Sie haben eine schwere Diagnose, habe ich gesehen.“<br />
2:17 Pat. zustimmend „Mm. - Mm.“<br />
„Ich brauche keine Physiotherapie mehr“ scheint der Schlüsselsatz dieses Abschnittes zu<br />
sein. Was schwingt da mit? Vermutlich ist das Nicht-Mehr-Können (1. GM) in diesem<br />
Moment nicht das Vordringliche. Der Patient kann, ja, wie es sich zeigt, noch sitzen,<br />
gehen, sich bewegen. Neben der Abgrenzung, die mitschwingt (s.o.), scheint hier aus dem<br />
Kontext verstanden auch das Leben-Mögen (2. GM) eine Rolle zu spielen. Der Patient<br />
mag nicht mehr, die Medikamente schläfern ihn ein, er hat keine Lebensperspektive mehr<br />
und möglicherweise identifiziert er Physiotherapie mit „Turnen“, was für aktive Leute ist,<br />
die sich bewegen wollen. Von seiner Haltung her (liegend, Augen zu, schwache Stimme)<br />
signalisiert er viel von diesem „Ich mag nicht mehr.“ Darin klingt auch an: „Was hat das<br />
noch für einen Sinn bei so einem Patienten wie mir?“ (4. GM).<br />
Auf die Frage der Physiotherapeutin „Was brauchen Sie denn?“, ein Beziehungsangebot,<br />
geht der Patient nach längerem Überlegen ein. „Verstehen.“ Verstehen ist eine Form der<br />
Seite 72
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zuwendung, des Schaffens von Beziehung, also 2. GM, gleichzeitig bedeutet das<br />
Verstanden-Werden ein Beachtet-Werden im eigenen So-Sein, wie man ist, enthält also ein<br />
Element der 3. GM.<br />
Tabelle 25: 1. GM - Informationen Sammeln: Schulterschmerz<br />
2:26 PT „Wie geht es mit den Schultern?“<br />
2:30 Pat. „Mit den Schultern? – Die Schultern schmerzen beim Gehen.“<br />
2:41 PT „Mm. Beide Seiten?“<br />
2:43 Pat. „Ja.“<br />
2:44 PT „Da schien mir grad so, als Sie sich bewegten, Sie hätten wahrscheinlich<br />
Schmerzen.“ PT zeigt Bewegung des Arm-Hebens.<br />
2:49 Pat. „Ich habe jetzt eigentlich keine (Schmerzen). Es tut mir weh beim Gehen.“ Pat.<br />
hebt den Arm. Pat.“Und nachher noch. Nach dem Gehen auch noch.“<br />
In diesem Abschnitt geht es um den Körper, die Schmerzen, die Beschreibung des jetzigen<br />
Zustandes bzw. des Zustandes beim Gehen, eine Bestandesaufnahme. Die Frage dahinter:<br />
Gibt es etwas, was das Da-Sein beeinträchtigt? Inwiefern? Was kann die Physiotherapie<br />
dafür tun, was tut der Patient? Dies sind alles Elemente bzw. Fragestellungen der 1. GM.<br />
3:03 PT „Wie gehen Sie denn?“<br />
Tabelle 26: 3. GM - Gangabklärung<br />
3:08 Pat. in vorwurfsvollem Tonfall „Wie meinen Sie das? Ich gehe nicht auf den<br />
Händen.“<br />
Die Physiotherapeutin fragt etwas hartnäckig, aber auch unpräzise formuliert nach. Der<br />
Patient grenzt sich wiederum ab (3. GM). Möglicherweise spielt hier wiederum mit, dass<br />
sein jetziger Zustand indem er sich selber vorfindet, schwer zu akzeptieren ist (3. GM).<br />
3:12 PT „ Ja. Sie haben ein Hilfsmittel?“<br />
Tabelle 27: 1. GM - Gehstrecke<br />
3:14 Pat. „Den Rollator seit einigen Tagen.“<br />
3:19 PT „Und da stützen Sie sich auf.“<br />
3:21 Pat. nickt „Mm.“<br />
3:24 PT „Und da haben Sie nachher Schmerzen.“<br />
3:25 Pat. kurz „Ja. Während (des Gehens) auch schon.“ Pat. streicht sich über den Kopf.<br />
Seite 73
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Forts. Tabelle 27: 1. GM - Gehstrecke<br />
3:30 PT „Ja. Wie stark denn?“<br />
3:36 Pat. „Einfach so, dass es nicht mehr – Pause – „gäbig“ (praktisch) ist zum<br />
Weitergehen.“<br />
3:48 PT „Mm. Wie weit kommen Sie denn?“<br />
3:56 Pat. „Bis zur hinteren Stuhlgruppe.“<br />
4:01 PT nach kurzer Pause „Mm, das ist immerhin ein Stück.“<br />
4:08 Pat. winkt ab.<br />
4:10 PT „Was sind das, 50 Meter?“<br />
4:14 Pat. „Ich glaube nicht.“<br />
4:16 PT „Haben Sie das Gefühl es sei weniger?“<br />
4:17 Pat. „Ja.“<br />
4:25 PT „Sind Sie denn heute schon unterwegs gewesen?“<br />
4:30 Pat. „Nicht weit, nur aufs WC und zum Tisch.“<br />
Es folgt wieder eine Sequenz zur Bestandesaufnahme der Tatsachen, die Frage nach<br />
Hilfsmitteln, Schmerzen, Gehstrecke, also die Frage nach dem, was ist: das Thema der<br />
1.GM.<br />
Tabelle 28: 1./ 2. GM - Informationen geben und beraten: Patientenanliegen/ Zweck des Besuchs<br />
4:50 PT „Ja, Sie haben vorher etwas gesagt wegen des Verstehens wegen Ihrer Krankheit.<br />
Hätten Sie ein besonderes Anliegen an mich?“<br />
5:08 Pat. seufzt. „Wieso sind Sie denn jetzt hier?“<br />
5:11 PT „Das sage ich Ihnen (gleich). Der Arzt hat mir mitgeteilt, ich solle besonders zu<br />
Ihrer Schulter schauen...“ Pat. hält den Kopf mit der rechten Hand und wendet sich<br />
der PT zu. ...“also genau zu dem, was Sie jetzt beschrieben haben, wegen Ihrer<br />
Schmerzen. Und zwar wäre das, was ich gern tun möchte, Ihre Schulter bewegen...“<br />
PT zeigt mit den Händen, wie sie die Schulter bewegen möchte.<br />
5:27 Pat. „Mm.“ Pat. legt sich wieder auf den Rücken, die rechte Hand weiterhin über<br />
seinem Kopf.<br />
5:28 PT ...“ und zwar fein. Sie können einfach gehen lassen und ich bewege sie. (Ich<br />
möchte schauen) in welche Richtungen es geht. Und zwar damit Sie die<br />
Beweglichkeit behalten können und die Schmerzen weniger auftreten.“<br />
5:43 Pat. „Die Schmerzen treten dadurch weniger auf?“<br />
Seite 74
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Forts. Tabelle 28: 1./ 2. GM - Informationen geben und beraten: Patientenanliegen/ Zweck des Besuchs<br />
5:46 PT nickt, deutet zur Schulter. PT „Ja. Es entspannt alles, also Muskeln und Sehnen<br />
und alles was darum herum (um das Gelenk) ist.“<br />
5:52 Pat. „Mm.“<br />
5:57 PT „Und beim Gehen gibt es dann weniger Schmerzen.“<br />
5:59 Pat. „Mm.“<br />
Die Physiotherapeutin kommt (etwas spät) nochmals zurück auf das Thema des Anfangs<br />
(Verstehen) und auf Anfrage des Patienten auf den Zweck der Therapie. „Wieso sind Sie<br />
denn jetzt hier?“ Diese Frage des Patienten scheint nicht einer Grundmotivation<br />
zugeordnet werden zu können, sondern genau ebendies klären zu wollen: Geht es um<br />
Verstanden-Werden und Beziehung (2. GM) oder um das vorher Besprochene wie<br />
Schmerzen/ Gehen-Können etc., die Bedingungen des Da-Sein-Könnens (1. GM)? Die<br />
Physiotherapeutin geht auf letzteres ein und führt aus, wie die Physiotherapie dazu<br />
beitragen kann.<br />
Tabelle 29: 1. GM/ 3. GM - Aufsitzen<br />
6:02 PT „Und das andere, was ich mit Ihnen noch anschauen möchte ist wegen des<br />
Aufsitzens.“<br />
6:08 Pat. „Mm. – Ich kann aufsitzen.“<br />
6:13 PT „Sicher?“ Überlegt kurz.<br />
6:14 Pat. „Mm.“<br />
6:18 PT „Also, wenn Sie einverstanden sind, möchte ich gerade mit dem beginnen, dass<br />
Sie aufsitzen und dass ich nachher einmal die Schulter (durch-) bewegen würde.<br />
Pause.<br />
6:31 PT „Haben Sie das Gefühl, das sei möglich?“<br />
6:33 Pat. zustimmend „Mm.“<br />
6:37 PT erhebt sich, stellt ihren Stuhl auf die Seite.<br />
6:44 PT „Können Sie mir einmal zeigen, wie Sie jeweils aufsitzen?“<br />
Die Physiotherapeutin fragt – gemäss der Aufgabe im Kommunikationstraining – nach<br />
dem Aufsitzen-Können, d.h. nach einem Können, einer Fähigkeit auf der Ebene der<br />
1. GM. Der Patient bejaht, dass er allein Aufsitzen kann, dem Ton nach scheint er sich<br />
wiederum abzugrenzen. Er will gesehen werden in dem, was er kann und nicht für<br />
unfähiger gehalten werden, als er ist, was Themen der 3. GM berührt.<br />
Seite 75
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Tabelle 30: 1. GM - Transfer vom Liegen zum Sitzen<br />
6:47 Pat. reibt sich das Gesicht. „Mm. Machen Sie das mit der Schulter nachher im Liegen<br />
oder im Sitzen?“<br />
6:55 PT „Ich würde gerne einen Moment im Sitzen probieren und schauen, wie lang dass<br />
das geht, und sonst können wir es nachher noch im Liegen machen.“<br />
7:03 Pat. „Mm.“<br />
7:05 PT „Haben Sie das Gefühl, das gehe?“<br />
7:06 Pat. „Wir können es probieren.“<br />
7:08 PT „Dann nehme ich Ihnen hier mal die (Bett-) decke weg. PT schlägt die Decke über<br />
das Fussende des Bettes, Pat. hilft etwas mit.<br />
7:18 Pat. greift zum Bettbügel zieht sich etwas hoch, zieht die Beine an, dreht sich in<br />
Seitlage, zieht die Beine mühsam mit der Hand über den Bettrand, stösst sich<br />
mühselig hoch zum Sitzen, stützt sich beidhändig auf. PT schaut zu.<br />
7:45 PT „Ist anstrengend, hm?“<br />
7:48 Pat. zustimmend „Mm.“<br />
Der Patient setzt sich ins Bild über das, was die Physiotherapeutin vorhat: „Machen Sie das<br />
mit der Schulter nachher im Liegen oder im Sitzen?“ D.h. er wird aktiv, will vermutlich<br />
abschätzen und mitentscheiden, ob es sinnvoll ist, jetzt aufzusitzen und auch, ob seine<br />
Kräfte reichen zu dem, was noch folgen wird. Die Antwort befriedigt ihn so weit, dass er<br />
bereit ist, zu kooperieren und auch, etwas Anstrengung auszuhalten. Dieser Abschnitt hat<br />
wiederum mit dem Können zu tun, mit der Frage, ob der Patient vertrauen kann,<br />
insbesondere, ob er sich darauf verlassen kann, dass die folgende Übung seinen Kräften<br />
angepasst ist und ihm damit seinen physischen Halt belässt. Ebenso gefragt ist die<br />
Tätigkeit des Aushaltens. Dies sind Themen der 1. GM.<br />
Tabelle 31: 1./ 2. GM - Sitzen am Bettrand – Vorbereiten der Übung<br />
7:50 PT „Jetzt lassen wir das Bett mal etwas runter.“ PT kauert vor die Bett-Bedienung,<br />
probiert sie aus.<br />
8:01 Pat. „Es ist, glaube ich, schon unten.“<br />
8:02 PT „Ja, es geht nicht mehr.“<br />
8:04 PT „Jetzt können Sie noch ein bischen an den (Bett-) rand kommen, sodass Sie die<br />
Füsse gut auf dem Boden haben.“ PT hilft nach bei der Platzierung der Füsse.<br />
8:15 PT „Können Sie so sein?“<br />
Seite 76
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Forts. Tabelle 31: 1./ 2. GM - Sitzen am Bettrand – Vorbereiten der Übung<br />
8:16 Pat. nickt.<br />
8:18 PT „Ja? Also.“ PT steht auf.<br />
8:20 PT zum Pat., der im Pyjama da sitzt: „Jetzt – wie ist es mit der Wärme, haben Sie<br />
warm im Moment?<br />
8:24 Pat. „Ja.“<br />
Die Physiotherapeutin probiert die Bett-Bedienung aus und hat etwas Mühe damit. Der<br />
Patient ist soweit wach dabei, dass er das kommentiert und in der Interaktion bleibt, wenn<br />
auch mit schwacher Stimme und im Aushalten der aufrechten Sitzposition, die ihn<br />
anstrengt. Möglicherweise ist darin etwas von der 2. GM, dem Zuwenden darin, vielleicht<br />
auch nur das Aushalten (1. GM) in der Hoffnung, die Übung werde jetzt gemacht und sei<br />
bald fertig. Anschliessend folgt wieder das Klären des physischen Sein-Könnens: Wie ist<br />
es in der aufrechten Position, mit der Platzierung der Füsse, mit der Wärme? Diese<br />
Bedingungen sind wiederum der 1. GM zugehörig.<br />
Tabelle 32: 1. GM - Durchbewegen der Schulter<br />
8:26 PT „Dann nehme ich jetzt mal Ihre Schulter.“<br />
PT nimmt die linke Schulter des Pat. in die Hände, beginnt mit Palpation/ flächigem<br />
Bewegen.<br />
8:32 PT beobachtet den Patienten. „Können Sie so sein?“<br />
8:33 Pat. zustimmend „Mm.“<br />
8:34 PT „Ist Ihnen schwindlig?“<br />
8:36 Pat. „Nein.“<br />
8:37 PT „Wenn Ihnen schwindlig werden sollte, würden Sie es einfach sofort sagen.“<br />
8:39 Pat nickt zustimmend „Mm.“<br />
8:45 PT „Sie können einfach hängen lassen.“ PT nimmt den ganzen Arm in die Hand,<br />
beginnt mit der passiven Beweglichkeit, bewegt bis Minute 9:26 den Arm in<br />
verschiedene Richtungen, spricht dazu mit dem Pat.<br />
8:49 PT hebt den Arm. PT „Geht das?“<br />
8:50 Pat. zustimmend „Mm.“<br />
8:51 PT „Schmerzen?“<br />
8:52 Pat. „Nein.“<br />
8:54 PT „Sie würden es einfach sagen, sobald Sie irgendetwas spüren.“<br />
8:57 Pat. zustimmend „Mm.“<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Forts. Tabelle 32: 1. GM - Durchbewegen der Schulter<br />
9:07 PT bewegt Arm endgradig in die Flexion. PT „Da kommen Sie ja ganz hoch.“ (Oder<br />
ähnliche Äusserung. Sie ist im Video nicht genau verständlich.)<br />
9:08 Pat. „Meinen Sie?“<br />
9:10 PT „Die Beweglichkeit im Gelenk ist gut.“<br />
9:20 PT „Jetzt noch nach hinten.“<br />
PT bewegt den Arm in Extension.<br />
9:26 PT „Wie geht’s?“<br />
9:28 Pat. „Mm.“<br />
9:30 PT steht vor den Pat. hin, beobachtet ihn.<br />
PT „Können Sie so noch sein?“<br />
9:31 Pat. zustimmend „M-m.“<br />
In diesem Gesprächsabschnitt wird die Schulter des Patienten gemäss Auftrag passiv<br />
durchbewegt. Der Patient ist entsprechend selber passiver, lässt es geschehen. Themen sind<br />
die Beweglichkeit, der Schmerz, das Nachfragen, ob es (noch) geht, der Patient „noch sein<br />
kann“: Elemente der 1. GM.<br />
Tabelle 33: 1. GM - Aufrichten –Durchbewegen der Schulter<br />
9:32 PT „Jetzt gebe ich Ihnen hier noch Druck auf beide Schultern und Sie versuchen sich<br />
aufzurichten entgegen diesem Druck.“ PT steht vor Pat. hin, zeigt die Fassung anhand<br />
ihrer eigenen Schultern und gibt dann Druck von oben auf die Schultern des Pat.<br />
9:41 PT „Versuchen Sie mal, ob Sie ganz gerade sitzen können.“ Pat richtet sich auf.<br />
9:45 PT „Und atmen dazu, das ist sehr wichtig.“<br />
9:48 PT „Können Sie einen Moment so bleiben?<br />
9:51 Pat. „Ich kann es versuchen.“<br />
9:54 PT geht auf die rechte Seite des Pat. und nimmt dessen Arm in ihre Hände, bewegt<br />
die Schulter endgradig in Flexion.<br />
10:04 PT „Geht das so?“<br />
10:05 Pat. zustimmend „M-m.“<br />
10:08 PT „Versuchen Sie nochmals, sich aufzurichten.“ PT bewegt die Schulter weiter in<br />
verschiedene Richtungen bis Minute 10:31.<br />
10:14 PT „Jetzt noch seitwärts.“<br />
10:22 PT „Wie geht es Ihnen?“<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Forts. Tabelle 33: 1. GM - Aufrichten –Durchbewegen der Schulter<br />
10.23 Pat. „M-m.“<br />
10:32 PT „Jetzt machen wir noch einmal das mit dem Aufrichten.“ PT steht vor Pat. hin,<br />
Hände von oben auf seinen Schultern, PT gibt Druck, Pat. richtet sich auf.<br />
10:39 PT „Gut.“<br />
Es folgt eine weitere Übung, das Aufrichten gegen den Druck der Physiotherapeutin. Dies<br />
führt dazu, dass der Patient seine Körperachse spürt, grösser wird, mehr Raum einnimmt.<br />
Weiterhin wird der Patient gefragt, ob es noch geht, ob er in der Position bleiben kann. Der<br />
Patient aktiviert probeweise sein Können: „Ich kann es versuchen.“ Raum einnehmen,<br />
noch aushalten, aufgerichtet bleiben können sind Themen der 1. GM.<br />
Tabelle 34: 1. GM - Transfer Sitz – Rückenlage<br />
10:44 PT „Jetzt können Sie wieder liegen. Ich habe den Eindruck, Sie seien schon etwas<br />
müde.<br />
10:50 Pat. legt sich etwas mühselig, schwer aufstützend in die Seitlage links, nimmt das<br />
obere, rechte Bein hoch aufs Bett, nimmt das linke Bein mit Hilfe der Hände nach. PT<br />
schaut zu.<br />
11:00 PT „Mit dem (linken Bein) haben Sie Mühe, hm?“<br />
11:03 Pat. „Geht nicht gut.“ (Oder ähnlicher Wortlaut. Äusserung im Video schwer<br />
verständlich.)<br />
11:04 Pat. dreht sich auf den Rücken, hält sich am Bettbügel mit der rechten Hand, schiebt<br />
sich im Bett mit dem rechten Bein hoch.<br />
Der Patient erfährt hier wieder, dass einfachste Bewegungen mühselig geworden sind, dass<br />
er nicht einfach abliegen kann sondern erst das Bein nachschieben muss und er äussert sich<br />
dementsprechend. Das Nicht-Mehr-Können, 1. GM, wird damit zum Thema.<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
13.5 Fallbeschreibung Video 2 (Patient nach CVI mit Aphasie)<br />
Die Physiotherapeutin arbeitet auf der Rehabilitationsabteilung im örtlichen<br />
Regionalspital. Sie übernimmt heute den ihr noch unbekannten Patienten Herrn<br />
M. Friederich von der plötzlich erkrankten Physiotherapie-Kollegin Britta Nehmer. In den<br />
Unterlagen ist der Verlauf, aber nicht der Befund auffindbar. Zum Verlauf bestehen<br />
folgende Angaben<br />
Status nach CVI (Cerebrovaskulärer Insult) links mit Hemiparese rechts armbetont<br />
vor 4 Wochen<br />
Verständigung schwierig (Aphasie)<br />
Tonus tief, Arm +/- schlaff<br />
Ziele der letzten Woche: Armschutz, Gewichtsverlagerung<br />
Ab übermorgen: Teilnahme in Rehabilitationsgruppe geplant, Patient ist noch nicht<br />
informiert<br />
Mit der Chefin wird vereinbart, dass an den gleichen Zielen wie letzte Woche gearbeitet<br />
und das Einverständnis für die Gruppentherapie eingeholt werden soll.<br />
Aufgabe im Kommunikationstraining:<br />
Die PT soll dem Pat. erklären, dass sie für die erkrankte Kollegin B. Nehmer die<br />
Therapie übernimmt, bis die Kollegin gesund ist.<br />
Es soll auf den Armschutz geachtet und der Pat. instruiert werden, dass er seinen<br />
betroffenen (schlaff-gelähmten) Arm nicht in gefährdende Situationen bringt.<br />
Mit dem Patienten soll die Gewichtsverlagerung geübt werden.<br />
(Der Pat. soll über die geplante Gruppentherapie informiert und sein Einverständnis<br />
eingeholt werden. Dieser Teil fällt nicht in die transkribierte Sequenz.)<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
13.6 Transkription Video 2 (Patient nach CVI mit Aphasie)<br />
Nachstehend folgt die vollständige Transkription der ersten 10 Minuten von Video 2<br />
(Tabelle 36), die Legende und Erläuterungen zur Transkription sind in Tabelle 35<br />
aufgeführt.<br />
Tabelle 35: Legende und allgemeine Erläuterungen zur Transkription von Video 2<br />
PT: Physiotherapeutin (Äusserungen sind blau markiert.)<br />
Pat.: Patient (Äusserungen sind rot markiert.)<br />
Zeit: Notiert wurde jeweils die Zeit des Beginns einer Handlung/ Äusserung in<br />
Minuten gemäss der Angabe der DVD (Bsp. 1:39 = 1 Minute 39 Sekunden).<br />
Sequenz: In dieser Spalte ist die Einteilung nach drei Sequenzen innerhalb des<br />
physiotherapeutischen Gesprächs festgehalten: Beginn des Gesprächs –<br />
Informationen sammeln – Informationen geben und beraten.<br />
(Klammern): Ergänzungen in der Transkription, die nicht wörtlich so ausgesprochen<br />
wurden, um den Sinn verständlich zu machen.<br />
Allgemeines: Die PT spricht sehr langsam, macht viele Pausen und verdeutlicht ihre<br />
Worte durch Handbewegungen und Vormachen.<br />
Tabelle 36: Vollständige Transkription der ersten 10 Minuten von Video 2<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung Sequenz<br />
1:39 Pat. sitzt im Patientenzimmer am Tisch, blättert in einer<br />
Zeitschrift, der betroffene Arm hängt herunter und das<br />
Radio läuft in beträchtlicher Lautstärke. Die PT klopft und<br />
tritt ein, geht auf den Pat. zu und bleibt stehen.<br />
1.45 PT „Grüessech, guten Tag, Romann von der<br />
Physiotherapie - grüessech wohl.“<br />
1:47 Pat. hält der PT die linke Hand hin, PT schüttelt diese.<br />
1:53 PT „Ich bin Physiotherapeutin in Ausbildung und komme<br />
für Frau Nehmer.“<br />
2:00 Pat. brummt etwas vor sich hin.<br />
2:05 PT „Darf ich das Radio mal ausschalten?“<br />
2:10 Pat wiegt den Kopf hin und her, bewegt die Lippen.<br />
2:11 Pat „Ja. Neh?, Frau Nehmer?“<br />
Beginn des<br />
Gesprächs<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
2:15 PT „Ja. Ich schalte das Radio schnell aus, damit wir uns<br />
besser verstehen.“<br />
2:20 Pat. deutet fragend zum Radio<br />
2:22 PT „Oder können Sie grad? Das ist noch besser.“<br />
2:26 Pat. schaltet das Radio aus.<br />
2:27 PT „Ja, merci vielmals, sehr gut.“<br />
2:32 PT setzt sich.<br />
2:32 Pat. versucht Worte zu finden.<br />
2:33 Pat. „Frau Nehmer?“<br />
2:34 PT „Frau Nehmer.“<br />
2:39 Pat. brummt etwas, versucht, sich zu äussern.<br />
2:43 Pat. „Frau Nehmer....“<br />
Pat. gestikuliert dazu, will etwas erklären.<br />
2:49 Pat. versucht vergeblich, die Worte zu finden, schlägt mit<br />
der Faust auf den Tisch.<br />
2:50 Pat. „Was, was, was ist? Warum?“<br />
Pat. zeigt auf die PT.<br />
2:54 PT „Frau Nehmer ist krank. Also Frau Nehmer, Ihre<br />
Physiotherapeutin. Verstehen Sie?“<br />
3:00 Pat. „Ja, ja, ja.“<br />
3:05 PT ... „ist krank. Sie hat eine Magendarmgrippe.“<br />
3:08 Pat. „Ah, ja, ja, ich verstehe.“<br />
Pat. reibt sich das Gesicht.<br />
3:13 PT „Jetzt komme ich mit Ihnen Physiotherapie<br />
durchführen für Ihren Arm.“<br />
3:20 Pat. „Ja.“<br />
3:25 Zeigt auf die PT, will sich äussern, sucht Worte.<br />
3:27 Pat. „Mm, mm, wie heissen Sie?“<br />
3:28 PT „Romann. Ja, Romann.“<br />
3:33 Pat. nickt „Ja.“<br />
3:35 PT „Ist das gut?“<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
3:38 PT „Dann habe ich mir einige Dinge aufgeschrieben. Ich<br />
habe von Frau Nehmer Notizen bekommen, über das, was<br />
wir hier zusammen machen. Wir machen jetzt zusammen<br />
mit der Physiotherapie weiter, bis sie dann wieder kommt.<br />
Jetzt möchte ich gern – ich muss grad schnell schauen,<br />
was wir wollten.“ Schaut in den Unterlagen nach. „Genau,<br />
ich möchte zuerst mit Ihrem Arm schauen. Wie geht das?“<br />
4:08 Pat. deutet auf seinen herunterhängenden Arm, legt die<br />
gelähmte Hand mit der nicht betroffenen Hand in seinen<br />
Schoss und hält sie fest.<br />
4:10 Pat. „Ja.“<br />
4:14 PT wartet zuerst ab, dann „Haben Sie Gefühl (in der<br />
Hand)?“<br />
4.18 Pat. mit Kopfschütteln „Nein.“<br />
4.20 PT „Darf ich einmal schauen? - Ich habe noch etwas kalte<br />
Hände, wie Sie merken werden.“<br />
4:24 PT streicht über den betroffenen Arm vom Oberarm bis<br />
zur Hand.<br />
4:26 PT „Spüren Sie das?“<br />
4:31 Pat. schaut zu, brummt.<br />
4:36 PT hält ihre offene Hand hin.<br />
„Können Sie mir einmal Ihre Hand geben?“<br />
4:38 Pat. reicht seine gesunde Hand.<br />
4:39 PT „Ja, die andere.“<br />
4.42 Pat. transferiert mit der gesunden Hand die betroffene in<br />
die Hand der PT.<br />
4.43 PT „Ja, genau, merci.“<br />
4.45 PT untersucht die Beweglichkeit, nimmt dann einzelne<br />
Finger.<br />
4.50 PT „Wie ist das?“<br />
4.55 Pat. zuckt leicht mit den Schultern.<br />
4.56 PT „Schwierig zu sagen?“<br />
Informationen<br />
Sammeln<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
4.59 PT „So. Jetzt, weil Sie den Arm noch nicht spüren“ ... Informationen geben<br />
5:05 Pat. massiert sich Handrücken<br />
5:08 PT ... „ist es wichtig, dass Sie den Arm immer mitnehmen,<br />
dass er nicht irgendwo – dass Sie nicht aus Versehen<br />
draufsitzen oder ihn einklemmen.“<br />
5:21 Pat. „Ja.“<br />
5:23 PT „Und jetzt möchte ich Ihnen zeigen, was da gut wäre.“<br />
PT macht es gleichzeitig vor: „Jetzt nehmen Sie den Arm<br />
(die Hand) und gehen mit dem Daumen so hinein (in die<br />
Handfläche).<br />
5:34 Pat. macht es sofort korrekt nach.<br />
5:35 PT „Haben Sie das schon geübt?“<br />
5:37 Pat. „Ja.“<br />
5:38 PT „Ja, das sehe ich.“<br />
5:39 Pat. „Frau Nehmer.“ Pat. brummt.<br />
5:44 PT „Mit Frau Nehmer haben Sie das schon gemacht.“<br />
5:48 PT „Also. Jetzt, wenn Sie so sitzen und lesen, ist es gut,<br />
wenn Sie den Arm auf den Tisch legen. Also dieser (Arm)<br />
hier.“ PT berührt den rechten Arm des Patienten.<br />
6:02 PT „Wenn Sie diesen (Arm) nun nehmen (können)“.<br />
PT assistiert beim Bewegen von Hand/ Arm vom Schoss<br />
auf den Tisch. Der Pat. macht die Bewegung weitgehend<br />
selbstständig.<br />
6:05 PT „Jetzt können Sie den Arm nochmals runter nehmen,<br />
den Arm nochmals zurücknehmen.“<br />
PT initiiert die Bewegung,<br />
6:11 Pat. nimmt den Arm zurück –<br />
6:12 PT ... „und jetzt mit dem Stuhl nochmals näher (an den<br />
Tisch) rücken.“<br />
6:16 Pat. „Ja.“<br />
6:17 Pat. versucht erfolglos, näher an den Tisch zu rücken.<br />
und beraten<br />
Seite 84
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
6:21 PT unterstützt den Pat. „Schwierig, hm?“<br />
6:22 Pat. „Geht.“<br />
6.25 PT „Und jetzt den Arm nochmals hochnehmen.“<br />
PT macht es gleichzeitig vor.<br />
6.26 Pat. legt die Hand korrekt geführt auf den Tisch.<br />
6:31 PT „Ich helfe Ihnen noch mit dem Bein.“ PT führt das<br />
betroffene Bein nach. PT ... „damit Sie es gut aufstellen<br />
können.“<br />
6:40 Pat. hat die Handfläche flach auf die Tischplatte gelegt<br />
und streicht sich über den Arm.<br />
6:41 PT „Ja, das ist sehr gut. Wenn Sie am Tisch sind“ ...<br />
6:43 Pat. schiebt die Gegenstände auf dem Tisch (Radio, Äpfel,<br />
Zeitschrift) aus dem Weg.<br />
6:45 PT „Ja, danke.“<br />
6:48 Pat. „Jaa, mm, Platz braucht’s.“ Legt Unterarme auf dem<br />
Tisch ab.<br />
6:51 PT „Ja, das braucht’s, merci.“<br />
6:54 PT „Wenn Sie am Tisch sitzen und lesen, ist es gut, wenn<br />
Sie den Arm auf den Tisch nehmen.“<br />
7:05 Pat. „Ja.“<br />
7:06 PT „Damit der (Arm) nicht einfach runterbaumelt, dass<br />
der (Arm) immer dabei ist.“<br />
7:11 Pat. brummt, wirkt abwesend, fixiert längere Zeit<br />
unbeweglich das Blatt der PT auf dem Tisch.<br />
7:21 Pat. „Was ist das?“ Pat. weist auf die Notizen der PT.<br />
7:23 PT „Das da?“<br />
7:24 Pat. legt seinen Zeigefinger auf ein Mindmap auf dem<br />
Blatt der PT.<br />
7:25 PT „Das? Das sieht aus wie eine Spinne, nicht? Da habe<br />
ich mir aufgeschrieben, was ich mit Ihnen alles machen<br />
möchte und habe das gezeichnet.“<br />
Seite 85
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
7:36 Pat. „Mm. Sp -“ Pat. versucht vergeblich das Wort zu<br />
finden, schlägt mit der Faust auf den Tisch, stützt den<br />
Kopf auf, verdeckt sich die Augen.<br />
7:45 PT „Spinne?“<br />
7:46 Pat. „Ja, ah, Spinne, mm, acht Beine.“<br />
7:52 PT „Ja, genau. Ja, so meinen Sie, nicht? Zeichnet Spinne<br />
mit acht Beinen: „Eins, zwei, drei vier, eins, zwei, drei<br />
vier.“<br />
8:00 Pat. „Ja, da, und da“, schaut auf, verweist auf das<br />
Mindmap in den Notizen der PT<br />
8:02 PT „und diese (Zeichnung) hat...“<br />
8:03 Pat. „Ja, mm...“<br />
8:06 PT „Ja, das ist so.“ Pause.<br />
8:12 PT „Also, mit dem Arm“...<br />
8:14 Pat. „Ja.“<br />
8:15 PT „Können Sie es mir nochmals sagen, damit ich weiss,<br />
dass Sie verstanden haben, was ich gemeint habe, wenn<br />
Sie am Tisch sind.“<br />
8:31 Pat. „Ja. Da.“ Klopft auf den Arm, der auf dem Tisch liegt,<br />
nimmt ihn zurück in den Schoss, umfasst die Hand. „So.<br />
Immer aufpassen.“<br />
8:53 PT „Genau.“<br />
9:00 Pat. führt die Hand und legt Arm auf dem Tisch ab.<br />
9:01 PT „Ja. Sehr gut. – Dann nehmen Sie ihn (den Arm) hoch,<br />
und machen die Finger flach.“<br />
9:08 Pat. „Mm, verstehe.“<br />
9:09 PT “Ja, genau. Das kennen Sie schon, nicht?“<br />
9:11 Pat. „Ja.“<br />
9:15 PT „Ja. Also, jetzt möchte ich gern noch etwas mit Ihnen<br />
versuchen und zwar – wie ist das mit Gehen?“ PT schaut<br />
im Raum herum, schätzt Distanzen und<br />
Haltemöglichkeiten ab.<br />
Seite 86
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
9:28 PT „Können Sie gehen?“<br />
9:29 Pat. „Ja.“<br />
9:30 PT „Dann gehen wir einmal zum Bett rüber.“<br />
9:37 PT steht auf. Pat. führt den gelähmten Arm vom Tisch,<br />
hängt sich mit dem gesunden Arm an die Tischkante, lehnt<br />
weit über den Tisch und steht nach mehrmaligem<br />
Schwung-Holen auf. PT steht dabei in der Nähe. Pat.<br />
schlurft begleitet von PT vom Tisch zum Bett, der<br />
betroffene Arm hängt herunter, mit der gesunden Hand<br />
sucht der Pat. so bald wie möglich Halt am Bett. Pat. setzt<br />
sich ans Fussende des Bettes.<br />
10:01 PT „Excusez, Sie können sich grad noch etwas in die<br />
Mitte setzen, noch ein bischen rüber.“<br />
10:05 Pat. „Da?“ Pat. weist dabei auf die Mitte des Bettes,<br />
deplaziert sich.<br />
10:09 PT „Noch etwas – so ist es gut.“<br />
10:12 PT „Jetzt hänge ich diesen (Bett-)bügel noch etwas weg,<br />
damit Sie den Kopf nicht anschlagen.“ Hängt den<br />
Haltebügel etwas höher, versucht den Bügel wegzudrehen,<br />
was nicht geht. „Ja, wir lassen es grad so.“<br />
10:24 PT „Jetzt setzen Sie sich bitte einmal ganz gerade hin. So<br />
gerade, wie es geht.“<br />
10:32 Pat. schaut fragend auf. „Gerade?“<br />
10:33 PT „Ja.“<br />
10:33 Pat. stützt mit der gesunden Hand auf und rückt sich<br />
zurecht, die gelähmte liegt auf seinem Oberschenkel.<br />
10:41 PT „Ist es so gut?“<br />
10:43 Pat. „Ja.“<br />
10:44 PT „Gut. Jetzt stelle ich Ihnen die Füsse hin, damit Sie<br />
guten Bodenkontakt haben.“ PT kauert vor den Pat., stellt<br />
seine Füsse fest auf.<br />
10:56 PT berührt das gesunde Bein „Spüren Sie dieses Bein?“<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />
10:57 Pat. nickt „Ja.“<br />
11:58 PT berührt das betroffene Bein.<br />
„Wie ist es mit diesem?“<br />
11:00 Pat. wiegt den Kopf hin und her, brummt.<br />
11:03 PT „(Sie spüren dieses Bein) weniger?“<br />
11:09 PT „Also.“ PT steht auf.<br />
11:16 Pat. „Ja, das ist schwierig.“<br />
11:17 PT „Ja, das ist schwierig.“ Pause<br />
11:22 PT „Es ist jetzt auch erst vier Wochen her.“<br />
11:27 PT „Jetzt, können Sie sitzen, ohne zu stützen? Jetzt<br />
nehmen Sie diese (rechte, gesunde) Hand mal vor (auf den<br />
Oberschenkel).<br />
11:33 Pat. legt seine rechte Hand auf den Oberschenkel<br />
11:35 PT „Ja, sehr gut.“<br />
11:37 PT gibt von oben leichten Druck auf die Schultern<br />
11:38 PT „Können Sie sich da (im Sitzen) einmal aufrichten<br />
gegen (den Druck) meiner Hände. Jawohl.“ Pat. richtet<br />
sich auf.<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
13.7 Analyse Video 2 (Patient nach CVI mit Aphasie)<br />
In der nachstehenden Analyse des Videos wurde die Transkription wortgetreu<br />
übernommen, thematisch bezüglich der Grundmotivationen in zusammengehörende<br />
Abschnitte eingeteilt und kommentiert. Wie in der Transkription ist links jeweils die Zeit<br />
in Minuten und Sekunden angegeben, rechts die Situationsbeschreibung bzw. der Wortlaut<br />
des Dialogs.<br />
Tabelle 37: 1./2./3. GM - Beginn des Gesprächs<br />
1:39 Der Patient (Pat.) sitzt im Patientenzimmer am Tisch, blättert in einer Zeitschrift, der<br />
betroffene Arm hängt herunter und das Radio läuft in beträchtlicher Lautstärke. Die<br />
Physiotherapeutin (PT) klopft und tritt ein, geht auf den Pat. zu und bleibt stehen.<br />
1.45 PT „Grüessech, guten Tag, Romann von der Physiotherapie - grüessech wohl.“<br />
1:47 Pat. hält der PT die linke Hand hin, PT schüttelt diese.<br />
1:53 PT „Ich bin Physiotherapeutin in Ausbildung und komme für Frau Nehmer.“<br />
2:00 Pat. brummt etwas vor sich hin.<br />
2:05 PT „Darf ich das Radio mal ausschalten?“<br />
2:10 Pat wiegt den Kopf hin und her, bewegt die Lippen.<br />
2:11 Pat „Ja. Neh?, Frau Nehmer?“<br />
2:15 PT „Ja. Ich schalte das Radio schnell aus, damit wir uns besser verstehen.“<br />
2:20 Pat. deutet fragend zum Radio<br />
2:22 PT „Oder können Sie grad? Das ist noch besser.“<br />
2:26 Pat. schaltet das Radio aus.<br />
2:27 PT „Ja, merci vielmals, sehr gut.“<br />
Die Physiotherapeutin und der Patient nehmen Beziehung auf durch das Vorstellen der<br />
Physiotherapeutin und Händeschütteln. Der Patient hält seine linke, gesunde Hand hin. Die<br />
Physiotherapeutin geht ohne Kommentar darauf ein, schüttelt die Linke des Patienten und<br />
besteht bei diesem Erstkontakt nicht auf der rechten Hand. Die Physiotherapeutin<br />
respektiert das So-Sein des Patienten (3. GM), wendet sich dem Patienten zu und<br />
ermöglicht unmittelbarer die Beziehungsaufnahme (2. GM) 12 .<br />
12 Kommentar aus physiotherapeutischer Sicht: Für einen Erstkontakt scheint das Akzeptieren der<br />
gesunden Hand legitim und wurde vom Schauspieler-Patienten begrüsst. Zur Vorbeugung eines<br />
Neglects muss die betroffene Hand selbstverständlich so oft wie möglich einbezogen sein.<br />
Seite 89
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Das Ausschalten des Radios schafft akustisch Raum und damit die Bedingung für eine<br />
ungestörte Therapie (1. GM) und die Begegnung (2. GM). Die Physiotherapeutin, die erst<br />
das Radio selber schnell ausschalten will, bemerkt, dass der Patient es tun kann und<br />
überlässt es dem Patienten. Damit respektiert sie ihn (3. GM). Der Patient nimmt das<br />
Radio selber in die Hand, wird damit selber tätig und übt sein Können aus (1. GM).<br />
2:32 PT setzt sich.<br />
Tabelle 38: 1./3. GM - Erklärung bezüglich der erkrankten Physiotherapeutin<br />
2:32 Pat. versucht Worte zu finden.<br />
2:33 Pat. „Frau Nehmer?“<br />
2:34 PT „Frau Nehmer.“<br />
2:39 Pat. brummt etwas, versucht, sich zu äussern.<br />
2:43 Pat. „Frau Nehmer....“<br />
Pat. gestikuliert dazu, will etwas erklären.<br />
2:49 Pat. versucht vergeblich, die Worte zu finden, schlägt mit der Faust auf den Tisch.<br />
2:50 Pat. „Was, was, was ist? Warum?“<br />
Pat. zeigt auf die PT.<br />
2:54 PT „Frau Nehmer ist krank. Also Frau Nehmer, Ihre Physiotherapeutin. Verstehen<br />
Sie?“<br />
3:00 Pat. „Ja, ja, ja.“<br />
3:05 PT ... „ist krank. Sie hat eine Magendarmgrippe.“<br />
3:08 Pat. „Ah, ja, ja, ich verstehe.“<br />
Pat. reibt sich das Gesicht.<br />
Der Patient ergreift wiederum Initiative und will klären, was mit seiner Therapeutin los ist.<br />
Die Frage des Patienten klärt die Bedingungen der Therapie und ist damit der 1. GM<br />
zugehörig: „Was ist los? Warum ist diese fremde Person jetzt hier und nicht die bekannte<br />
Physiotherapeutin?“<br />
Der Patient stolpert dann über seine Sprachbehinderung Aphasie, findet die Worte nicht<br />
und zeigt – wie es scheint – Ärger, indem er auf den Tisch schlägt. Vermutlich handelt es<br />
sich um eine Coping-Reaktion auf der Ebene der 3. GM, begründet darin, dass der Patient<br />
mit seinen Grenzen konfrontiert ist. Denkbar wäre auch, dass es sich um Wut handelt, eine<br />
Reaktion der 2. GM, z.B. in der Trauer über den Verlust der Sprach- und<br />
Bewegungsfähigkeit, die Reaktion scheint aber doch kühler, mehr ärgerlich als wütend.<br />
Seite 90
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Möglich wäre auch, dass der Patient Verzweiflung ausdrückt, womit die 4. GM tangiert<br />
wäre. Aber auch hierzu scheint der Ausdruck zu wenig stark.<br />
Tabelle 39: 1./2./3. GM - Vorstellung<br />
3:13 PT „Jetzt komme ich mit Ihnen Physiotherapie durchführen für Ihren Arm.“<br />
3:20 Pat. „Ja.“<br />
3:25 Pat. zeigt auf die PT, will sich äussern, sucht Worte.<br />
3:27 Pat. „Mm, mm, wie heissen Sie?“<br />
3:28 PT „Romann. Ja, Romann.“<br />
3:33 Pat. nickt „Ja.“<br />
Der Patient bleibt Gestaltender, macht wiederum nicht einfach, wozu die Physiotherapeutin<br />
jetzt übergehen will, sondern will den Namen wissen, einerseits ist das weiterhin eine<br />
Klärung der Bedingungen („Wer ist die hier beteiligte Therapeutin?“), andererseits eine<br />
Form der Beziehungsaufnahme, womit sowohl 1. als auch 2. GM angesprochen sind. Da<br />
es um den Namen der Physiotherapeutin geht, ist möglicherweise auch deren Person<br />
angesprochen, was das Thema der 3. GM ist.<br />
Tabelle 40: 1. GM/ 2. GM - Informationen sammeln: Sensibilität im betroffenen Arm<br />
3:35 PT „Ist das gut?“<br />
3:38 PT „Dann habe ich mir einige Dinge aufgeschrieben. Ich habe von Frau Nehmer<br />
Notizen bekommen, über das, was wir hier zusammen machen. Wir machen jetzt<br />
zusammen mit der Physiotherapie weiter, bis sie dann wieder kommt. Jetzt möchte<br />
ich gern – ich muss grad schnell schauen, was wir wollten.“ Schaut in den Unterlagen<br />
nach. „Genau, ich möchte zuerst mit Ihrem Arm schauen. Wie geht das?“<br />
4:08 Pat. deutet auf seinen herunterhängenden Arm, legt die gelähmte Hand mit der nicht<br />
betroffenen Hand in seinen Schoss und hält sie fest.<br />
4:10 Pat. „Ja.“<br />
4:14 PT wartet zuerst ab, dann „Haben Sie Gefühl (in der Hand)?“<br />
4.18 Pat. mit Kopfschütteln „Nein.“<br />
4.20 PT „Darf ich einmal schauen? - Ich habe noch etwas kalte Hände, wie Sie merken<br />
werden.“<br />
4:24 PT streicht über den betroffenen Arm vom Oberarm bis zur Hand.<br />
4:26 PT „Spüren Sie das?“<br />
Seite 91
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Forts. Tabelle 40: 1. GM/ 2. GM - Informationen sammeln: Sensibilität im betroffenen Arm<br />
4:31 Pat. schaut zu, brummt.<br />
4:36 PT hält ihre offene Hand hin.<br />
„Können Sie mir einmal Ihre Hand geben?“<br />
4:38 Pat. reicht seine gesunde Hand.<br />
4:39 PT „Ja, die andere.“<br />
4.42 Pat. transferiert mit der gesunden Hand die betroffene in die Hand der PT.<br />
4.43 PT „Ja, genau, merci.“<br />
4.45 PT untersucht die Beweglichkeit, nimmt dann einzelne Finger.<br />
4.50 PT „Wie ist das?“<br />
4.55 Pat. zuckt leicht mit den Schultern.<br />
4.56 PT „Schwierig zu sagen?“<br />
Hier beginnt der erste Teil der physischen Untersuchung, d.h. die Bedingungen auf der<br />
Körperebene werden evaluiert. Diese ist der 1. GM zugehörig. Aus den Reaktionen des<br />
Patienten wird hingegen nicht klar, ob und wie ihn das betrifft. Die Physiotherapeutin<br />
wendet sich mit der Frage: „Wie ist das?“ dem Arm zu, der Patient hat es schwer, zu sagen,<br />
wie er das empfindet, weil das Gefühl fehlt. Er nimmt die Berührung auf der Haut nicht<br />
wahr. Zuwendung und Berührt-Sein – sowohl auf der äussersten Schicht, der Haut, als<br />
auch emotional - sind der 2. GM zugehörig.<br />
Tabelle 41: 1. GM - Instruktionen geben und beraten: Handling des hemiplegischen Arms<br />
4.59 PT „So. Jetzt, weil Sie den Arm noch nicht spüren“ ...<br />
5:05 Pat. massiert sich Handrücken<br />
5:08 PT ... „ist es wichtig, dass Sie den Arm immer mitnehmen, dass er nicht irgendwo –<br />
dass Sie nicht aus Versehen draufsitzen oder ihn einklemmen.“<br />
5:21 Pat. „Ja.“<br />
5:23 PT „Und jetzt möchte ich Ihnen zeigen, was da gut wäre.“ PT macht es gleichzeitig<br />
vor: „Jetzt nehmen Sie den Arm (die Hand) und gehen mit dem Daumen so hinein (in<br />
die Handfläche).<br />
5:34 Pat. macht es sofort korrekt nach.<br />
5:35 PT „Haben Sie das schon geübt?“<br />
5:37 Pat. „Ja.“<br />
5:38 PT „Ja, das sehe ich.“<br />
Seite 92
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Forts. Tabelle 41: 1. GM - Instruktionen geben und beraten: Handling des hemiplegischen Arms<br />
5:39 Pat. „Frau Nehmer.“ Pat. brummt.<br />
5:44 PT „Mit Frau Nehmer haben Sie das schon gemacht.“<br />
Der Patient wird instruiert, „wie es gut/ richtig wäre“. Er wird dabei nicht gefragt, ob ihm<br />
das passt oder wie es für ihn am besten ginge, da dies möglicherweise bei der schon<br />
erfolgten Erstinstruktion geschehen ist. Informationen, Erklärungen sind Halt gebend,<br />
wenn sie vom Patienten verstanden und akzeptiert werden. Sie können daher der 1. GM<br />
zugeordnet werden. Der Patient zeigt auch, dass er die Handführungstechnik schon<br />
beherrscht, dass er sie kann (1. GM). Welche weiteren Grundmotivationen betroffen sind,<br />
ist schwer zu sagen, weil schwer spürbar ist, wie es dem Patienten geht (2. GM) und<br />
welche Einstellung er zur Übung hat (3. GM).<br />
Tabelle 42: 1. GM/ 3. GM - Handling des hemiplegischen Arms (Forts. 1)<br />
5:48 PT „Also. Jetzt, wenn Sie so sitzen und lesen, ist es gut, wenn Sie den Arm auf den<br />
Tisch legen. Also dieser (Arm) hier.“ PT berührt den rechten Arm des Patienten.<br />
6:02 PT „Wenn Sie diesen (Arm) nun nehmen (können)“.<br />
PT assistiert beim Bewegen von Hand/ Arm vom Schoss auf den Tisch. Der Pat.<br />
macht die Bewegung weitgehend selbstständig.<br />
6:05 PT „Jetzt können Sie den Arm nochmals runter nehmen, den Arm nochmals<br />
zurücknehmen.“<br />
PT initiiert die Bewegung,<br />
6:11 Pat. nimmt den Arm zurück –<br />
6:12 PT ... „und jetzt mit dem Stuhl nochmals näher (an den Tisch) rücken.“<br />
6:16 Pat. „Ja.“<br />
6:17 Pat. versucht erfolglos, näher an den Tisch zu rücken.<br />
6:21 PT unterstützt den Pat. PT „Schwierig, hm?“<br />
6:22 Pat. „Geht.“<br />
Es geht hier nochmals um das Können (1. GM). Der Patient versucht selber, näher zum<br />
Tisch zu rücken. Als die Physiotherapeutin kommentiert, dass es schwierig ist, grenzt er<br />
sich ab und besteht darauf, dass es geht. Das Abgrenzen ist der 3. GM zugehörig.<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Tabelle 43: 1. GM - Handling des hemiplegischen Arms (Forts. 2)<br />
6.25 PT „Und jetzt den Arm nochmals hochnehmen.“<br />
PT macht es gleichzeitig vor.<br />
6.26 Pat. legt die Hand korrekt geführt auf den Tisch.<br />
6:31 PT „Ich helfe Ihnen noch mit dem Bein.“ PT führt das betroffene Bein nach. PT ...<br />
„damit Sie es gut aufstellen können.“<br />
6:40 Pat. hat die Handfläche flach auf die Tischplatte gelegt und streicht sich über den<br />
Arm.<br />
6:41 PT „Ja, das ist sehr gut. Wenn Sie am Tisch sind“ ...<br />
6:43 Pat. schiebt die Gegenstände auf dem Tisch (Radio, Äpfel, Zeitschrift) aus dem Weg.<br />
6:45 PT „Ja, danke.“<br />
6:48 Pat. „Jaa, mm, Platz braucht’s.“ Legt Unterarme auf dem Tisch ab.<br />
6:51 PT „Ja, das braucht’s, merci.“<br />
6:54 PT „Wenn Sie am Tisch sitzen und lesen, ist es gut, wenn Sie den Arm auf den Tisch<br />
nehmen.“<br />
7:05 Pat. „Ja.“<br />
7:06 PT „Damit der (Arm) nicht einfach runterbaumelt, dass der (Arm) immer dabei ist.“<br />
Der Patient befolgt die Anweisung der Therapeutin, ist in der Lage sie auszuführen, wird<br />
dann zusätzlich initiativ und schafft sich auf dem Tisch Platz. Die Tätigkeit und das Sich-<br />
Raum-Schaffen gehören wieder zur 1. GM.<br />
Das Bein braucht Nachhilfe und wird von der Physiotherapeutin nachgeführt. Da erfährt<br />
der Patient seine Behinderung, sein Nicht-Können (1. GM).<br />
Tabelle 44: 2. GM/ 3. GM - Patient ist abgelenkt<br />
7:11 Pat. brummt, wirkt abwesend, fixiert längere Zeit unbeweglich das Blatt der PT auf<br />
dem Tisch.<br />
7:21 Pat. „Was ist das?“ Pat. weist auf die Notizen der PT.<br />
7:23 PT „Das da?“<br />
7:24 Pat. legt seinen Zeigefinger auf ein Mindmap auf dem Blatt der PT.<br />
7:25 PT „Das? Das sieht aus wie eine Spinne, nicht? Da habe ich mir aufgeschrieben, was<br />
ich mit Ihnen alles machen möchte und habe das gezeichnet.“<br />
7:36 Pat. „Mm. Sp -“ Pat. versucht vergeblich das Wort zu finden, schlägt mit der Faust<br />
auf den Tisch, stützt den Kopf auf, verdeckt sich die Augen.<br />
Seite 94
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Forts. Tabelle 44: 2. GM/ 3. GM - Patient ist abgelenkt<br />
7:45 PT „Spinne?“<br />
7:46 Pat. „Ja, ah, Spinne, mm, acht Beine.“<br />
7:52 PT „Ja, genau. Ja, so meinen Sie, nicht? Zeichnet Spinne mit acht Beinen: „Eins,<br />
zwei, drei vier, eins, zwei, drei vier.“<br />
8:00 Pat. „Ja, da, und da“, schaut auf, verweist auf das Mindmap in den Notizen der PT<br />
8:02 PT „und diese (Zeichnung) hat...“<br />
8:03 Pat. „Ja, mm...“<br />
8:06 PT „Ja, das ist so.“ Pause.<br />
8:12 PT „Also, mit dem Arm“...<br />
Es gibt einen kurzen Exkurs, eine Ablenkung von der physiotherapeutischen Übung. Der<br />
Patient versucht, die Skizze zu entziffern, zu verstehen, zu benennen, geht damit auf die<br />
Welt um sich herum ein und schafft Beziehung dazu (2. GM). Das Finden des Wortes<br />
(„Spinne“) scheint ihm wichtig zu sein. Wie bereits früher (Minute 2.49) schlägt er auf den<br />
Tisch, als ihm das Wort nicht einfällt, vermutlich als Ausdruck seines Ärgers, weil er<br />
wieder an seine sprachlichen Grenzen stösst. (3. GM).<br />
8:14 Pat. „Ja.“<br />
Tabelle 45: 1. GM/ 2. GM - Repetition der Instruktion<br />
8:15 PT „Können Sie es mir nochmals sagen, damit ich weiss, dass Sie verstanden haben,<br />
was ich gemeint habe, wenn Sie am Tisch sind.“<br />
8:31 Pat. „Ja. Da.“ Klopft auf den Arm, der auf dem Tisch liegt, nimmt ihn zurück in den<br />
Schoss, umfasst die Hand. „So. Immer aufpassen.“<br />
8:53 PT „Genau.“<br />
9:00 Pat. führt die Hand und legt Arm auf dem Tisch ab.<br />
9:01 PT „Ja. Sehr gut. – Dann nehmen Sie ihn (den Arm) hoch, und machen die Finger<br />
flach.“<br />
9:08 Pat. „Mm, verstehe.“<br />
9:09 PT “Ja, genau. Das kennen Sie schon, nicht?“<br />
9:11 Pat. „Ja.“<br />
Der Patient bewegt sich auf Anweisung, zeigt, dass er verstanden hat und die Armhaltung<br />
einnehmen kann, d.h. er weiss wie es geht, er kann es und tut es auch (1. GM). Durch das<br />
Glätten der Finger nimmt der Patient in ganz kleinem Massstab mehr Raum ein (1. GM)<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
und kommt gleichzeitig besser in Berührung mit der Umwelt (2. GM). Der Arm ist da, der<br />
Patient kann ihn sein lassen (1. GM) und er wendet sich ihm auch zu (2. GM).<br />
Tabelle 46: 1. GM/ 3. GM - Ganginspektion – Transfer Stuhl - Bett<br />
9:15 PT „Ja. Also, jetzt möchte ich gern noch etwas mit Ihnen versuchen und zwar – wie<br />
ist das mit Gehen?“ PT schaut im Raum herum, schätzt Distanzen und<br />
Haltemöglichkeiten ab.<br />
9:28 PT „Können Sie gehen?“<br />
9:29 Pat. „Ja.“<br />
9:30 PT „Dann gehen wir einmal zum Bett rüber.“<br />
9:37 PT steht auf. Pat. führt den gelähmten Arm vom Tisch, hängt sich mit dem gesunden<br />
Arm an die Tischkante, lehnt weit über den Tisch und steht nach mehrmaligem<br />
Schwung-Holen auf. PT steht dabei in der Nähe. Pat. schlurft begleitet von PT vom<br />
Tisch zum Bett, der betroffene Arm hängt herunter, mit der gesunden Hand sucht der<br />
Pat. so bald wie möglich Halt am Bett. Pat. setzt sich ans Fussende des Bettes.<br />
Der Patient besteht darauf, dass er aufstehen und gehen kann (1. GM), auch wenn es von<br />
aussen gesehen mit viel Anstrengung und Mühe geschieht. Er steht damit für sein Selber-<br />
Tun ein (3. GM). Physisch sucht er Halt, wo er kann: Am Tisch und am Bett und schafft<br />
sich damit die Bedingung, stehend und mobil da sein zu können. (1. GM).<br />
Tabelle 47: 1. GM - Vorbereitung der Übung<br />
10:01 PT „Excusez, Sie können sich grad noch etwas in die Mitte setzen, noch ein bischen<br />
rüber.“<br />
10:05 Pat. „Da?“ Pat. weist dabei auf die Mitte des Bettes, deplaziert sich.<br />
10:09 PT „Noch etwas – so ist es gut.“<br />
10:12 PT „Jetzt hänge ich diesen (Bett-)bügel noch etwas weg, damit Sie den Kopf nicht<br />
anschlagen.“ Hängt den Haltebügel etwas höher, versucht den Bügel wegzudrehen,<br />
was nicht geht. „Ja, wir lassen es grad so.“<br />
In dieser Sequenz werden die Bedingungen geschaffen für die Übung, der Patient nimmt<br />
(auf Anweisung) Platz ein, so, dass er rundum genügend Raum hat. Die Physiotherapeutin<br />
sorgt dafür, dass die 1. GM für diese Übung erfüllt ist.<br />
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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Tabelle 48: 1./ 2. GM - Sitzhaltung<br />
10:24 PT „Jetzt setzen Sie sich bitte einmal ganz gerade hin. So gerade, wie es geht.“<br />
10:32 Pat. schaut fragend auf. „Gerade?“<br />
10:33 PT „Ja.“<br />
10:33 Pat. stützt mit der gesunden Hand auf und rückt sich zurecht, die gelähmte liegt auf<br />
seinem Oberschenkel.<br />
10:41 PT „Ist es so gut?“<br />
10:43 Pat. „Ja.“<br />
10:44 PT „Gut. Jetzt stelle ich Ihnen die Füsse hin, damit Sie guten Bodenkontakt haben.“<br />
PT kauert vor den Pat., stellt seine Füsse fest auf.<br />
10:56 PT berührt das gesunde Bein „Spüren Sie dieses Bein?“<br />
10:57 Pat. nickt „Ja.“<br />
11:58 PT berührt das betroffene Bein.<br />
„Wie ist es mit diesem?“<br />
11:00 Pat. wiegt den Kopf hin und her, brummt.<br />
11:03 PT „(Sie spüren dieses Bein) weniger?“<br />
11:09 PT „Also.“ PT steht auf.<br />
11:16 Pat. „Ja, das ist schwierig.“<br />
11:17 PT „Ja, das ist schwierig.“ Pause<br />
11:22 PT „Es ist jetzt auch erst vier Wochen her.“<br />
Es geht weiter darum, Raum einzunehmen, diesmal in der Vertikalen und die Körpermitte<br />
zu fühlen. Die Physiotherapeutin fazilitiert einen guten Bodenkontakt (1. GM). Es stellt<br />
sich dann heraus, dass die physische Wahrnehmung der Berührung behindert ist (2. GM),<br />
was der Patient klar bemerkt und mit Zögern kundtut (1. GM). Der Patient tut kund, dass<br />
„es“ schwierig ist, wobei nicht klar ist, was er damit meint. Ist es lediglich das<br />
Wahrnehmen, das nicht so funktioniert oder als Ausdruck der ganzen Situation? Die<br />
Physiotherapeutin verbalisiert die Schwere der Situation, was möglicherweise in dem<br />
Moment nicht dem Empfinden des Patienten entspricht. Beide Interpretationen (das Spüren<br />
ist schwierig oder die Situation ist schwierig) betreffen die Ebene der 1. GM, das Können<br />
bzw. Aushalten.<br />
Seite 97
Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />
Tabelle 49: 1. GM - Sitzhaltung (Forts. 1 )<br />
11:27 PT „Jetzt, können Sie sitzen, ohne zu stützen? Jetzt nehmen Sie diese (rechte,<br />
gesunde) Hand mal vor (auf den Oberschenkel).<br />
11:33 Pat. legt seine rechte Hand auf den Oberschenkel<br />
11:35 PT „Ja, sehr gut.“<br />
11:37 PT gibt von oben leichten Druck auf die Schultern<br />
11:38 PT „Können Sie sich da (im Sitzen) einmal aufrichten gegen (den Druck) meiner<br />
Hände. Jawohl.“ Pat. richtet sich auf.<br />
In dieser letzten Sequenz geht es wieder um das Tun, das Können, das Vermögen, sich<br />
aufzurichten und Raum einzunehmen, welches Bedingungen sind für die 1. GM.<br />
13.8 Checkliste Kommunikationstraining und Poster<br />
Auf den folgenden zwei Seiten ist die Checkliste aus den Kommunikationstrainings<br />
beigefügt; anschliessend folgt ein Abdruck des Posters, das für die Posterpräsentation bei<br />
der Vorstellung der Bachelor-Arbeit verwendet wurde.<br />
Seite 98
Einleitung: In der physiotherapeutischen Praxis gewinnen die<br />
Themen Kommunikation und Motivation zunehmend an Bedeutung<br />
[1]. Eine Methode für Therapie und Beratung, die in der<br />
Physiotherapie noch nicht erforscht wurde, ist die Existenzanalyse<br />
und Logotherapie (EA/LT) [4, 5]. In der Medizin, Psychiatrie und<br />
Pflege ist deren Einsatz belegt, bzw. wird eine positive Wirksamkeit<br />
vermutet, insbesondere bei chronischen Krankheiten [2, 3].<br />
Mit der Theorie der vier Grundmotivationen (GM) verfügt die EA/LT<br />
über ein spezifisches Motivationskonzept. Diese vier GM bilden die<br />
Grundlage der Motivierbarkeit, werden aufgeschlüsselt in vier<br />
Grundfragen und sind durch bestimmte Voraussetzungen bedingt<br />
(Tab.1). Können die Grundfragen mit „Ja“ beantwortet werden, wird<br />
gemäss EA/LT das Leben vom Individuum trotz körperlicher<br />
Einschränkungen als sinnvoll erlebt EA/LT [6].<br />
GM Grundmotiv Grundfrage Voraussetzung<br />
1. GM<br />
Methodik: Es wurde eine qualitative Video-Analyse durchgeführt<br />
anhand zweier Videos von Kommunikationstrainings der Physio-<br />
therapieausbildung. Dabei spielten Schauspieler standardisierte<br />
Patienten (Video 1: Tumorpatient; Video 2: Patient mit Hemiplegie<br />
und Aphasie). Die Autorin war die Physiotherapeutin. Das<br />
methodische Vorgehen für Auswahl und Analyse ist in Tab. 2<br />
aufgeführt. Für Schritt 3, Einteilung in Sequenzen, wurde das<br />
Raster der Kommunikationstrainings [7] und für Schritt 4,<br />
Identifizierung der GM, die Definitionen gemäss Literatur [6]<br />
eingesetzt.<br />
Da sein können/<br />
Können<br />
Tab. 1: Die vier Grundmotivationen der EA/LT mit zugehörigem Grundmotiv,<br />
Grundfragen und Voraussetzungen [6]<br />
Schritt Vorgehen<br />
Was ist denn los?<br />
Logotherapeutische und existenzanalytische Konzepte<br />
in der physiotherapeutischen Praxis<br />
Kann ich (so) leben?<br />
1. Gezielte Auswahl von zwei Videos [8]<br />
2. Phänomenologisch-offene Betrachtung eines Videos<br />
3. Einteilung des Videos in Sequenzen<br />
4. Transkription der ersten 10 Min. der Videos<br />
5. Identifizierung der GM nach EA/LT<br />
Claudine Yvonne Romann, Betreuung: Dörte Watzek<br />
Raum,<br />
Schutz, Halt<br />
2. GM Leben mögen Mag ich (so) leben? Zuwendung<br />
3. GM Selbstsein dürfen Darf ich (so) leben? Wertschätzung<br />
4. GM Sinnvolles wollen Will ich (so) leben? Tätigkeitsfeld<br />
Daraus ergaben sich zwei Fragestellungen:<br />
1. Sind die vier Grundmotivationen der EA/LT im<br />
physiotherapeutischen Setting sichtbar?<br />
2. Welche Grundmotivationen können betroffen sein?<br />
Tab. 2: Methodik: Vorgehen bei Auswahl und Analyse der Videos aus<br />
dem Kommunikationstraining<br />
Keywords: Communication, Counseling, Motivation, Psychology<br />
Kontakt: romac1@bfh.ch<br />
Ergebnisse: Die GM nach EA/LT konnten in den Videos<br />
identifiziert werden und zwar vorwiegend Elemente der 1. GM<br />
gemäss Tab. 1: Können (Sitzen, Gehen Transfers), Raum (Sich-<br />
Aufrichten), Schutz (Armschutz), Halt (Plazieren der Füsse) und<br />
Klären der Fakten/ Bedingungen des Daseins (Beweglichkeit,<br />
Schmerzen, Schwindel und Gehhilfsmittel).<br />
Tab. 3 zeigt ein Beispiel eines transkribierten Abschnitts aus<br />
Video 1, woran einige Aspekte der 1. GM sichtbar sind.<br />
Thema Wortlaut/ Handlungen<br />
Raum<br />
(Aufrich-<br />
tung)<br />
Raum,<br />
Können<br />
Diskussion: Die GM als Element der EA/LT lassen sich als<br />
Analyse-Instrument in der Physiotherapie einsetzen. Die Dominanz<br />
der 1. GM hat ev. damit zu tun, dass die Physiotherapie den Körper<br />
als zentrales Wirkungsgebiet hat und dass es bei den schwer<br />
beeinträchtigten Patienten um basale Fähigkeiten ging (Können,<br />
Da-Sein). Diese Patientengruppe wird als Einsatzgebiet der EA/LT<br />
in der Literatur erwähnt [3]. Bei Analyse des gesamten Videos<br />
wären eventuell weitere GM zum Zug gekommen, z.B. „Was ist Ihr<br />
Ziel?“ bei Therapieende (4. GM).<br />
Studiengang Physiotherapie (BSc)<br />
Bachelorarbeit PHY06<br />
PT „Jetzt gebe ich Ihnen Druck auf beide Schultern und Sie<br />
versuchen sich aufzurichten.“ PT steht vor Pat. und gibt Druck<br />
von oben auf die Schultern des Pat.<br />
PT „Versuchen Sie mal, ob Sie ganz gerade sitzen können.“<br />
Pat richtet sich auf.<br />
Können PT „Können Sie einen Moment so bleiben?<br />
Können Pat. „Ich kann es versuchen.“<br />
Klärung d.<br />
Fakten<br />
PT geht auf die rechte Seite des Pat., nimmt dessen Arm,<br />
bewegt die Schulter endgradig in Flexion.<br />
Dto. PT „Geht das so?“<br />
Tab. 3: Themen der 1. GM in Ausschnitt aus Transkription von Video 1,<br />
Physiotherapie mit Tumorpatient (PT = Physiotherapeutin, Pat.= Patient)<br />
Schlussfolgerung: Die Grundmotivationen der EA/LT sind<br />
auch im physiotherapeutischen Setting beobachtbar. Für die<br />
Umsetzung in der Praxis werden Vorschläge für GM-geleitete<br />
Fragen gemacht: „Was hilft Ihnen, diese Tätigkeit zu tun?“ (1. GM);<br />
„Was tun Die gerne?“ (2. GM); Wenn Sie nur auf sich hören, würden<br />
Sie in die Rehabilitation gehen?“ (3. GM). Die Frage nach den GM<br />
kann damit auch in der Physiotherapie ein Instrument sein, um<br />
Potenziale und Schwierigkeiten innerhalb der Therapie zu erkennen<br />
und entsprechend zu intervenieren.<br />
Im Anschluss zu erforschen wäre, inwiefern sich eine von der EA/LT<br />
geleitete Intervention auf physiotherapeutische Parameter auswirkt<br />
(Tonus, Schmerzen, Therapiemotivation) und inwiefern sie sich von<br />
anderen Kommunikationskonzepten [1] unterscheidet.<br />
Literatur: [1] Hoos-Leistner & Balk, Gesprächsführung für Physiotherapeuten.<br />
2008; Thieme-Verlag, Stuttgart. [2] <strong>GLE</strong>, 10.03.2009;<br />
www.gle.at. [3] Mehnert, Bundesgesundheitsblatt. 2006; 49: 780-787. [4]<br />
Pubmed, 03.12.2008; www.ncbi.nlm.nih.gov. [5] PsycINFO®, 05.06.2009;<br />
www.apa.org/psychinfo. [6] Längle et al., Lehrbuch zur Existenzanalyse.<br />
2005; <strong>GLE</strong>-<strong>International</strong>, Wien. [7] Berner Fachhochschule Gesundheit,<br />
Checkliste Kommunikationstraining. 2008; Bern. [8] Patton, Qualitative<br />
Research and Evaluation Methods. 2002; Sage, California.<br />
2009