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Was ist denn los?<br />

Logotherapeutische und<br />

existenzanalytische Konzepte<br />

in der physiotherapeutischen Praxis<br />

Abschlussarbeit für die Ausbildung in Logotherapie und<br />

existenzanalytischer Beratung und Begleitung<br />

September 2011<br />

Eingereicht von: Claudine Yvonne Romann<br />

Eingereicht bei: lic.phil. Brigitte Heitger und Dr. med Erika Luginbühl<br />

Angenommmen am .........................................<br />

von: ................................................................<br />

................................................................<br />

Diese Arbeit ist eine überarbeitete Fassung der Bachelorarbeit in Physiotherapie,<br />

Berner Fachhochschule BFH, Bern 2009.<br />

Betreuerin: Dörte Watzek, Dipl. Psych., Dozentin Physiotherapie


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zusammenfassung<br />

In der Physiotherapie gewinnen die Themen Kommunikation und Beratung zunehmend an<br />

Bedeutung. Eine theoretisch fundierte Beratungsmethode, welche für verschiedene<br />

Disziplinen belegt ist, ist die personale Existenzanalyse/ Logotherapie (EA/LT) mit dem<br />

Konzept der vier Grundmotivationen (GM). Diese wurde für die Physiotherapie noch nicht<br />

erforscht. Vorliegende Arbeit untersucht, ob und welche GM im physiotherapeutischen<br />

Setting sichtbar sind. Es wurde eine qualitative Video-Analyse durchgeführt mit zwei<br />

Videos von physiotherapeutischen Behandlungssituationen aus Kommunikationstrainings<br />

mit standardisierten Patienten. Die Videos wurden mittels gezielter Auswahl ausgewählt,<br />

sequenziert und die ersten 10 Minuten der Videos transkribiert. Anhand der Literatur<br />

wurden die GM nach EA/LT identifiziert. Die GM waren in den Video-Sequenzen deutlich<br />

sichtbar und zwar vorwiegend die 1. GM mit den Themen: Können, Raum, Schutz und<br />

Halt. Für die Umsetzung in die Praxis werden Vorschläge für GM-geleitete Fragen<br />

gemacht. Es wird vermutet, dass die GM auch in der Physiotherapie ein Instrument sein<br />

können, um Potenziale und Schwierigkeiten zu erkennen und anzugehen.<br />

Abstract<br />

What’s the matter? Concepts of Logotherapy and Existential Analysis in<br />

Physiotherapeutic Practice. Background: Communication and counselling have become<br />

an important issue within physiotherapy. Personal Existence Analysis/ Logotherapy<br />

(EA/LT) with its concept of four Fundamental Motivations (GM) is a means which has<br />

been proven beneficial in a variety of disciplines. Up to date, EA/LT has not been studied<br />

for physiotherapeutic purposes. Objective: The objective of this study is to investigate<br />

whether the GM can be observed in a physiotherapeutic setting and if, which ones.<br />

Methods: Two 10 minute videos of a physiotherapeutic treatment session from a<br />

communication training with standardised patients who were chosen by purposive<br />

sampling, subdivided into sequences, transcribed and then analysed qualitatively by<br />

identifying the four GM according to EA/LT-references. Results: The GM were to be<br />

found in all video-sequences, the 1. GM being predominate with its aspects of: ability,<br />

space, protection, support. Conclusion: The four GM according to EA/LT can clearly be<br />

found in a physiotherapeutic setting. GM-specific questions are suggested for practical use<br />

in physiotherapy. It is postulated that the 4 GM could be a means to perceive and manage<br />

potentials and difficulties met in physiotherapeutic practice. Keywords: Communication,<br />

Counselling, Motivation, Psychology.<br />

Seite 1


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

1 Inhaltsverzeichnis<br />

1 Inhaltsverzeichnis 2<br />

2 Vorwort und Dank 4<br />

3 Einführung in das Thema 5<br />

3.1 Ausgangslage 5<br />

3.2 Zielsetzung der Arbeit 6<br />

4 Theoretische Grundlagen 7<br />

4.1 Existenzanalyse und Logotherapie 7<br />

4.2 Wichtige Definitionen, Inhalte und Methoden der EA/LT 8<br />

4.2.1 Existenzieller Sinn 8<br />

4.2.2 Erlebniswert – Schöpferischer Wert – Einstellungswert 8<br />

4.2.3 Existenz 9<br />

4.2.4 Existenzielle Wende 9<br />

4.2.5 Existenzskala 9<br />

4.2.6 Phänomenologische Haltung 10<br />

4.2.7 Person 10<br />

4.2.8 Die vier personal-existenziellen Grundmotivationen 10<br />

4.2.8.1 1. Grundmotivation 12<br />

4.2.8.2 2. Grundmotivation 13<br />

4.2.8.3 3. Grundmotivation 14<br />

4.2.8.4 4. Grundmotivation 15<br />

4.2.9 Coping-Reaktionen 16<br />

4.3 Forschungsstand 17<br />

4.3.1 Kommunikation in der Physiotherapie 18<br />

4.3.2 Diplomarbeiten an der Berner Fachhochschule Gesundheit 18<br />

4.3.3 EA/LT in der Physiotherapie 19<br />

4.3.4 EA/LT in der Medizin und Psychotherapie 19<br />

4.3.5 Therapie von chronischem Schmerz 23<br />

4.3.6 Salutogenese 25<br />

4.4 Zusammenfassung Forschungsstand 27<br />

5 Fragestellung 27<br />

5.1 Eingrenzung 28<br />

6 Methodik 28<br />

6.1 Literaturrecherche 28<br />

6.2 Untersuchungsmethode: Video-Analyse 29<br />

Seite 2


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

6.3 Auswahl der Videos 29<br />

6.3.1 Fallbeschreibung Video 1: Terminaler Tumorpatient 30<br />

6.3.2 Fallbeschreibung Video 2: Patient nach CVI mit Aphasie 30<br />

6.4 Auswertung der Videos 31<br />

7 Ergebnisse 33<br />

7.1 Phänomenologische Betrachtung (Frage 1) 33<br />

7.2 Die Grundmotivationen im physiotherapeutischen Setting (Fragen 2.1 und 2.2) 33<br />

7.2.1 Die Grundmotivationen in Video 1 (Tumorpatient) 34<br />

7.2.1.1 Die 1. Grundmotivation 34<br />

7.2.1.2 Die 2. Grundmotivation 36<br />

7.2.1.3 Die 3. Grundmotivation 37<br />

7.2.1.4 Die 4. Grundmotivation 38<br />

7.2.2 Die Grundmotivationen in Video 2 (Patient nach CVI) 39<br />

7.2.2.1 Die 1. Grundmotivation 39<br />

7.2.2.2 Die 2. Grundmotivation 41<br />

7.2.2.3 Die 3. Grundmotivation 42<br />

7.2.2.4 Die 4. Grundmotivation 43<br />

8 Diskussion 43<br />

8.1 Die phänomenologische Betrachtungsweise (Frage 1) 43<br />

8.2 Die Grundmotivationen im physiotherapeutischen Setting (Frage 2.1) 43<br />

8.3 Die Grundmotivationen in der Video-Analyse (Frage 2.2) 44<br />

8.4 Methodenkritik 45<br />

9 Schlussfolgerungen 46<br />

10 Weitere Forschungsansätze und Ausblick 49<br />

11 Abkürzungsverzeichnis 51<br />

12 Literaturverzeichnis 52<br />

13 Anhang 61<br />

13.1 Literaturrecherche Pubmed (2008) 61<br />

13.2 Fallbeschreibung Video 1 (Tumorpatient) 63<br />

13.3 Transkription Video 1 (Tumorpatient) 64<br />

13.4 Analyse Video 1 (Tumorpatient) 71<br />

13.5 Fallbeschreibung Video 2 (Patient nach CVI mit Aphasie) 80<br />

13.6 Transkription Video 2 (Patient nach CVI mit Aphasie) 81<br />

13.7 Analyse Video 2 (Patient nach CVI mit Aphasie) 89<br />

13.8 Checkliste Kommunikationstraining und Poster 98<br />

Seite 3


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

2 Vorwort und Dank<br />

Ich hatte von 2005-2008 die Möglichkeit, nebenberuflich eine zweieinhalbjährige<br />

Weiterbildung in Existenzanalyse/ Logotherapie 1 (= EA/LT) zu absolvieren, zwei<br />

Methoden für Beratung und Therapie, welche unter anderem in Medizin, Psychologie und<br />

Pädagogik eingesetzt werden und auf den Arzt Viktor E. Frankl (1905-1997) zurückgehen.<br />

Aufgrund dieser Weiterbildung interessierte es mich, die Möglichkeiten der Anwendung<br />

der Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie eingehender und systematischer<br />

zu erforschen, woraus diese Bachelor-Arbeit entstanden ist.<br />

Die Weiterbildung umfasste Theorie und Supervisionen und war interdisziplinär für<br />

Berufsleute konzipiert: Physiotherapeutinnen, Ärzte, eine Krankenschwester,<br />

Psychologinnen, Lehrerinnen und eine Berufsberaterin nahmen u.a. daran Teil und<br />

ermöglichten einen Austausch über Fachgrenzen hinweg. Es zeigte sich, dass die<br />

Interventionen und der Einsatz der EA/LT je nach Berufsgattung sehr unterschiedlich sind:<br />

Bei einer Berufsberaterin geht es um ein einstündiges Beratungsgespräch, in der<br />

Physiotherapie z.B. um eine Kürzestintervention innerhalb einer praktischen Behandlung.<br />

Das Curriculum der Weiterbildung entsprach den Anforderungen der <strong>GLE</strong>, der<br />

<strong>International</strong>en Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse mit Sitz in Wien und<br />

wurde von der IGEAP angeboten (<strong>International</strong>e Gesellschaft für existenzanalytische<br />

Psychotherapie – Schweiz) 2 .<br />

Ich danke herzlich Frau lic. phil. Brigitte Heitger-Giger, Präsidentin der IGEAP und<br />

Ausbildnerin sowie Frau Dr. med. Erika Luginbühl, Supervisorin und Ausbildnerin für die<br />

Unterstützung, Besprechungen und die Stellungnahme zur Arbeit, Prof. Dr. Alfried Längle,<br />

Präsident sowie Frau Dr. Silvia Längle, Vorstand <strong>GLE</strong>- <strong>International</strong> und dem <strong>GLE</strong>-<br />

Sekretariat Wien für wertvolle Literaturhinweise, Frau dipl. psych. Dörte Watzek,<br />

Dozentin für Physiotherapie BFH für die Betreuung der Arbeit, meinen Kolleginnen von<br />

der logotherapeutischen Ausbildung und jenen der Physiotherapiestudiums für<br />

Unterstützung und Austausch.<br />

1 „Logotherapie“ – die Beratungsmethode, die Grundlage dieser Arbeit ist - ist nicht zu verwechseln mit<br />

„Logopädie“, der Sprachheiltherapie, welche von Logopädinnen angewandt wird.<br />

2 Neben der <strong>GLE</strong> existieren weitere Gesellschaften für EA/LT, vgl. Raskob (2005). Differenzen und<br />

Gemeinsamkeiten der verschiedenen Richtungen sind nicht Gegenstand dieser Arbeit.<br />

Seite 4


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

3 Einführung in das Thema<br />

3.1 Ausgangslage<br />

Das beratende Gespräch, Kommunikation und Motivation sind zentrale Themen sowohl in<br />

der Physiotherapie als auch in der Existenzanalyse und Logotherapie. In der<br />

physiotherapeutischen Praxis scheint die Kommunikation mit den Patienten/ -innen sogar<br />

zunehmend an Bedeutung zu gewinnen (Hoos-Leistner & Balk 2008).<br />

Diese Gewichtung der Kommunikation äussert sich darin, dass dem Thema in der<br />

Ausbildung zur Physiotherapeutin an der Fachhochschule ein bedeutender Raum<br />

zugestanden wird 3 . Neben Vorlesungen und Übungen werden auch personalintensivere<br />

Unterrichtsformen eingesetzt: Die sogenannten „Kommunikationstrainings“ mit<br />

Schauspielern als „standardisierten Patienten“, wo einzeln unter Videoaufnahme<br />

exemplarische Situationen aus dem Physiotherapiealltag geübt werden (vgl. Berner<br />

Fachhochschule Gesundheit 2006). Diese Videoaufnahmen dienen als Grundlage dieser<br />

Bachelor-Arbeit, vgl. Kapitel 6.<br />

Neben diesem expliziten Kommunikationsunterricht werden in diversen Fächern integriert<br />

Fragen der Kommunikation und des Umgangs mit Patienten behandelt (vgl. z.B. Bechter<br />

2007, Reusser 2007, Röthlin 2007). So z.B. im Unterricht in den Gebieten<br />

Physiotherapeutische Anamnese, Motorisches Lernen/ Trainingslehre, Mentales Training/<br />

Motivationslehre, Neurologie, Chronischer Schmerz oder Multimorbidität.<br />

Bei der EA/ LT handelt es sich um therapeutische bzw. beraterische Interventionen, deren<br />

Absicht es z.B. sein kann, die Ziele, Motivation und Einstellungen des Patienten/ der<br />

Klientin bezüglich einer Frage zu klären, herauszufinden, welche Werte der Person wichtig<br />

sind, wie sie ihr Handeln mit diesen in Übereinstimmung bringen und tatsächlich umsetzen<br />

kann, wodurch Sinn erlebt wird (Längle, Bauer et al 2005). Die EA/LT verfügt über ein<br />

spezifisches Motivationskonzept („vier Grundmotivationen“ vgl. Kapitel 4.2.8) und<br />

verschiedene Methoden bzw. Grundhaltungen, welche bereits in verschiedenen Kontexten<br />

in- und ausserhalb der Medizin eingesetzt und wissenschaftlich erforscht werden.<br />

In <strong>GLE</strong> (2009) finden sich Hinweise über den Einsatz in der Körpertherapie, im Sport, bei<br />

körperbehinderten Menschen und der Heilpädagogik, bei Patienten mit Schädel-Hirn-<br />

3 In 3 Jahren wurden 11 Sequenzen zum Thema Kommunikation unterrichtet, pro Schulsemester fanden<br />

zwischen 1-3 Kommunikationstrainings statt.<br />

Seite 5


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Traumata, in der Krankenpflege allgemein und der Palliativpflege, der Geriatrie,<br />

Logopädie, Suchttherapie, im Management und Coaching (zu den Einsatzgebieten siehe<br />

Aigner 2003, Bai 2008, <strong>GLE</strong> 2006, Habich 2006, Jones & Luginbühl 2002, Längle 2001,<br />

Raskob 2005, Romanos-Hofer 1996). Die Arbeiten sind jedoch zu einem beträchtlichen<br />

Teil nicht elektronisch greifbar und unterschiedlicher wissenschaftlicher Relevanz.<br />

Die Physiotherapie wird gemäss den Recherchen für diese Arbeit nirgends explizit<br />

untersucht oder erwähnt (vgl. Kapitel 4.3).<br />

Interessant und überraschend ist, dass der Begriff des Sinns, der grundlegend ist für die<br />

Existenzanalyse (vgl.. Kapitel 4.2.1), auch in der Physiotherapie einen zentralen Platz<br />

einnimmt, wenn auch philosophisch nicht weiter definiert und meist eher implizit Teil der<br />

Therapie. So schreibt der Schweizer Physiotherapie Verband über das Ziel der<br />

Physiotherapie (physioswiss 2009):<br />

„Die Physiotherapie bietet den Menschen Lösungsansätze, mit denen Einschränkungen und<br />

Beeinträchtigungen der Bewegungs- und Funktionsfähigkeit sinnvoll und<br />

funktionsorientiert behandelt (...) werden können.“<br />

So ergeben sich Überschneidungen in der Zielsetzung des physio- und logotherapeutischen<br />

Intervenierens.<br />

3.2 Zielsetzung der Arbeit<br />

Da bisher keine Studien zur Anwendung der EA/LT in der physiotherapeutischen Praxis<br />

vorliegen (vgl. Kapitel 4.3), soll die vorliegende Arbeit eine erste Untersuchung zum<br />

Einsatz dieser Methoden leisten. Dabei wird Bezug genommen auf die Theorie der EA/LT<br />

(Kapitel 4.1 und 4.2), auf Forschungsergebnisse (Kapitel 4.3) sowie auf eine eigene<br />

Untersuchung (Kapitel 5 bis 7).<br />

Seite 6


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

4 Theoretische Grundlagen<br />

4.1 Existenzanalyse und Logotherapie<br />

Die EA/LT wurde anfangs der 1930-er Jahre von Viktor Frankl (1905-1997), einem<br />

Wiener Mediziner und Psychiater entwickelt. Frankl erlebte und überlebte während des<br />

2. Weltkriegs mehrere Konzentrationslager. Dabei bestätigte sich seine früher gemachte<br />

Beobachtung, dass der Mensch die Fähigkeit besitzt, von sich abrücken zu können<br />

(Selbstdistanzierung) und sich geistig auf jemanden oder etwas einzulassen (Selbst-<br />

Transzendenz), was die Überlebenschancen auch unter extremsten Bedingungen<br />

entscheidend verbesserte (vgl. Frankl 2007, Heitger et al 2006, Längle 2001).<br />

Dies führte ihn zur Frage, was die Menschen überleben, bzw. später im Klinikalltag gesund<br />

werden liess (Längle 2001), eine Fragestellung, die in den 1970-er Jahren unter anderem<br />

vom Sozialwissenschafter Aaron Antonovsky in einer Untersuchung zu Shoa-<br />

Überlebenden aufgegriffen wurde und zu dessen Konzept der Salutogenese führte (vgl.<br />

Kapitel 4.3.6).<br />

Die Therapiemethoden und Fragestellungen der EA/LT wurden verschiedentlich erweitert,<br />

unter anderem durch Alfried Längle, welcher die dieser Arbeit zugrunde liegende<br />

personale Existenzanalyse entwickelte (Heitger 2006, Raskob 2005). Längle definiert<br />

Logotherapie und Existenzanalyse folgendermassen:<br />

Die Logotherapie ist eine Beratungsmethode die davon ausgeht, dass die grundlegendste<br />

Motivation des Menschen, etwas zu tun, das Streben nach Sinn ist 4 , von Frankl auch der<br />

„Wille zum Sinn“ genannt (Längle et al 2000a).<br />

Existenzanalyse wird verstanden als Analyse auf Existenz hin (vgl. Kapitel 4.2.3), d.h.<br />

inwiefern eine Person ihre Existenz vollziehen kann (Längle 2005b) und bezeichnet die<br />

psychotherapeutische Richtung, die eben dieses Bestreben unterstützt (Längle 2000a).<br />

4 Logos (griech.) bedeutet u.a. „Sinn“.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

4.2 Wichtige Definitionen, Inhalte und Methoden der EA/LT<br />

Im Folgenden werden einige wichtige Themen der EA/LT in Kurzfassung dargestellt, die<br />

für die vorliegende Arbeit Bedeutung haben.<br />

4.2.1 Existenzieller Sinn<br />

Der existenzielle Sinn ist die für die jeweilige Person wertvollste Handlungs-,<br />

Einstellungs- oder Erlebnismöglichkeit in einer konkreten Situation und daher<br />

grundsätzlich in jeder Lebenssituation auffindbar (Heitger et al 2006, Längle et al 2000a).<br />

Tutsch et al (2000) bezeichnen die Sinnfrage als Orientierungsdimension, auf die hin der<br />

Mensch mehr oder weniger bewusst alle seine Handlungen entwirft. Auf die<br />

Physiotherapie übertragen 5 kann z.B. das Gehen-Können nach einer Hüftoperation, damit<br />

man wieder Freunde besuchen kann, „existenzieller Sinn“ bedeuten 6 .<br />

4.2.2 Erlebniswert – Schöpferischer Wert – Einstellungswert<br />

Drei Wertekategorien werden von Frankl als „Wege zum Sinn“ beschrieben (Frankl 2007a,<br />

Frankl 1985 und Längle et al 2000a). Das heisst, wenn ein Mensch diese Werte<br />

verwirklicht, erlebt er „Sinn“:<br />

Erlebniswerte<br />

Schöpferische Werte<br />

Einstellungswerte<br />

Alle drei sind in der physiotherapeutischen Praxis auffindbar. Zu den Erlebniswerten<br />

gehören nach obigen Autoren jene, wo für die jeweilige Person Wertvolles aus der Welt<br />

aufgenommen und erlebt wird, als Beispiel aus der Physiotherapie: schmerzfrei eine<br />

Bewegung ausführen, nach einer Verletzung wieder joggen oder velofahren, und dieses<br />

Erlebnis geniessen können.<br />

Wo Wertvolles durch eine eigene Handlung umgesetzt, „in die Welt gesetzt“ wird, handelt<br />

es sich nach obigen Autoren um einen schöpferischen Wert. Bezogen auf die<br />

Physiotherapie zum Beispiel wieder knieen können, um mit den Enkeln zu spielen oder<br />

Treppe gehen können, um die Einkäufe selber zu tätigen.<br />

Einstellungswerte kommen gemäss Frankl (2007a und 1985) bei „unabänderlichem<br />

Schicksal“ zum Tragen, wie bei schweren, progredienten, zum Tode führenden<br />

Krankheiten und Behinderungen, welche einen Einschnitt in der bisherigen Lebensführung<br />

5 Die aufgeführten Beispiele stammen aus der eigenen Erfahrung mit Patienten in Schule und Praktika.<br />

6 Dem gegenüber steht der ontologische Sinn, welches der umfassende Sinn ist, der Antwort gibt auf die<br />

Frage nach den letzten Dingen, „dem Sinn des Lebens“. Dieser ist nicht Inhalt der EA/LT.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

bedeuten. In der Physiotherapie ist das anzutreffen z.B. bei Paraplegie, Mutlipler Sklerose,<br />

Krebserkrankungen oder schweren Unfallverletzungen. Der Wert gemäss Frankl (1985,<br />

2007a) liegt in der Haltung, die der Patient gegenüber der Situation einnimmt, weil darin<br />

eine letzte Möglichkeit der Gestaltung der Situation besteht.<br />

4.2.3 Existenz<br />

Zentral für die Existenzanalyse ist der Begriff der Existenz. Sie wird definiert als<br />

„sinnvolles, in Freiheit und Verantwortung gestaltetes Leben in der je eigenen Welt“ (nach<br />

Heitger et al 2006). Voraussetzung für den Vollzug der Existenz sind die Offenheit der<br />

Person und die Dialogfähigkeit nach innen und aussen. Diese ist gemäss EA nicht auf das<br />

Verbale beschränkt sondern wird verstanden als „ständiges ‚In-Frage-Stehen’, Angefragt-<br />

Sein von erlebten und gespürten Werten wie z.B. Beziehungen ode Aufgaben. Längle<br />

(2006a) bezeichnet es als zentralen Wirkfaktor der Existenzanalyse, dass der Mensch in<br />

den Dialog mit seiner Welt und mit sich selber gebracht wird.<br />

4.2.4 Existenzielle Wende<br />

Von Frankl wurde der Begriff der existenziellen Wende eingeführt: Der Mensch wird<br />

demnach nicht primär Fragender und Fordernder: „Wozu ist das gut?“ – sondern als<br />

Angesprochener, Gestaltender, aufgerufen, Antwort zu geben und Stellung zu nehmen:<br />

„Was will ich in der jetzigen Situation tun?“ (vgl. Frankl 2007a, Frankl 1985, Heitger et al<br />

2006).<br />

4.2.5 Existenzskala<br />

Inwieweit Existenz realisiert und damit als erfüllt erlebt wird, kann mit der „Existenzskala“<br />

erfasst werden, einem psychometrischen Test, der eigens für die Existenzanalyse<br />

entwickelt wurde und in der Literatur zitiert wird (vgl. Kapitel 4.3). Die vier Subskalen des<br />

Tests messen die Selbst-Distanzierung (SD), die Selbst-Transzendenz (ST), die Freiheit (F)<br />

und die Verantwortung (V).<br />

Die Selbst-Distanzierung beschreibt die Fähigkeit der Person, von sich Abstand nehmen zu<br />

können. Selbst-Distanzierung ist die Voraussetzung zur Selbstbetrachtung, der<br />

Auseinandersetzung mit sich selbst und der Stellungnahme zu sich selbst. Die Selbst-<br />

Transzendenz bedeutet das Ausgerichtetsein und Sich-Einlassen der Person auf etwas, was<br />

nicht wieder sie selbst ist.<br />

Die SD und ST zusammen ergeben die personalen Voraussetzungen (P), die F und V<br />

zusammen den existenziellen Vollzug an den Möglichkeiten der Welt, als Gesamtwert<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

resultiert die existentielle Erfülltheit als subjektives Empfinden (Längle & Orgler 1996,<br />

Längle et al 2000a, Längle, Bauer et al 2005, Orgler 2000).<br />

4.2.6 Phänomenologische Haltung<br />

Darunter wird eine unvoreingenommene Haltung der Offenheit verstanden, die das<br />

Gegenüber in seiner Eigenart belässt und die sich ihrer Grenzen bewusst ist 7 . Ziel ist dabei<br />

das „Ansichtigwerden des Patienten von ihm selbst her“ und das Verstehen der Person<br />

(Längle et al 2000a).<br />

4.2.7 Person<br />

Die „Person“ wird gemäss Längle et al (2000a) von Frankl definiert als „geistige<br />

Dimension“, „das Freie im Menschen“ und bildet den Gegensatz zu den psychischen und<br />

physischen kausal-determinierenden Faktoren. Die Person kann Stellung nehmen, auch zu<br />

sich selber und vollzieht damit die erwähnte Selbst-Distanzierung (Längle 2006).<br />

4.2.8 Die vier personal-existenziellen Grundmotivationen<br />

Die vier personal-existenziellen Grundmotivationen (GM) werden als zentrales Kriterium<br />

zur Analyse in dieser Arbeit beigezogen (Kapitel 6.4) und werden hier daher ausführlich<br />

behandelt.<br />

Die vier personal-existenziellen Grundmotivationen wurden von A. Längle in die EA<br />

eingeführt. Sie werden als grundlegende Motivationen des Menschseins verstanden und<br />

bezeichnen die Motivationen, welche die Person bei ihrem Streben nach erfüllter Existenz<br />

bewegen. Dabei bilden die 1.-3. GM die Basis für die 4. GM. Ist eine Person behindert<br />

oder blockiert in ihrem Bestreben, die Grundmotivationen zu verwirklichen, wird gemäss<br />

Längle et al (2000a) die Existenz als defizitär erlebt.<br />

Die EA hat zum Ziel, den Menschen zu befähigen, mit innerer Zustimmung zum eigenen<br />

Handeln und Dasein leben zu können, was als „existenzanalytisches Prinzip der<br />

Lebensaffirmation“ bezeichnet wird. Entsprechend den vier Grundmotivationen geht es um<br />

vier verschiedene Ebenen der Zustimmung, denen vier Grundfragen zugeordnet werden,<br />

vgl. Tabelle 1. Diese Grundfragen sind nicht nur in der Psychotherapie sondern auch für<br />

7 Eine Haltung der Offenheit ist auch in anderen Methoden wesentlich, z.B. bei Rogers vgl. Hoos-Leistner<br />

& Balk (2008).<br />

Seite 10


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

die Beratung in verschiedenen Berufsfeldern von praktischer Bedeutung (Längle, Bauer et<br />

al 2005), indem diese Fragen direkt oder indirekt gestellt werden können.<br />

Dabei ist anzumerken, dass in der Psychotherapie und Beratung die Grundmotivationen<br />

und –fragen vor allem – aber nicht ausschliesslich – verbal ergründet, erarbeitet und<br />

bearbeitet werden. Es gibt aber auch averbale Vorgehensweisen, die diese Themen<br />

berühren, bewegen und ausdrücken – diese sind in der Physiotherapie, welche nicht primär<br />

verbal ausgerichtet ist, umso wichtiger. Die Grundfragen bleiben sich aber gleich.<br />

Tabelle 1: Vierfache Zustimmung und vier Grundfragen der Person (nach Heitger et al 2006)<br />

Vierfache Zustimmung Grundfragen<br />

1. GM Zustimmung zur Welt Kann ich (so) leben?<br />

2. GM Zustimmung zum Leben Mag ich (so) leben?<br />

3. GM Zustimmung zu sich als Person Darf ich (so) leben?<br />

4. GM Zustimmung zur sinnvollen Tat Will ich/ soll ich so leben?<br />

Um ein Ja zur Welt (1. GM), zum Leben (2. GM), zu sich (3. GM) und zum Sinn (4. GM)<br />

finden zu können, braucht es nach existenzanalytischer Theorie folgende Voraussetzungen<br />

(in Anlehnung an Tutsch et al 2000 und <strong>GLE</strong> 2008):<br />

1. Halt, Raum und Schutz, um das Dasein annehmen und aushalten zu können. Diese<br />

Voraussetzungen gewährleisten das Sein-Können des Menschen (1. GM).<br />

2. Beziehung, Zeit und Nähe, um sich dem Leben zuwenden zu können und das<br />

Leben als wertvoll zu erleben. Diese Voraussetzungen gewährleisten die<br />

emotionale Wertung des Lebens, d.h. die Lebendigkeit als Leben-Mögen (2. GM).<br />

3. Achtung und Wertschätzung, um sich selbst in seiner Individualität zu erkennen,<br />

anzuerkennen, annehmen und abgrenzen zu können. Diese Voraussetzungen<br />

gewährleisten das Selbstsein-Dürfen (3. GM).<br />

4. ein Tätigkeitsfeld und einen Wert in der Zukunft, der eine Anziehung ausübt, damit<br />

das Wesentliche gefunden und in Übereinstimmung mit sich verwirklicht werden<br />

kann. Diese Voraussetzungen ermöglichen das sinnerfüllte Leben (4. GM).<br />

In Tabelle 2 sind obige vier Punkte nochmals zusammengefasst als Grundmotiv,<br />

Voraussetzungen und als personale Aktivität, die vom Individuum nötig ist, damit die<br />

jeweilige Grundmotivation als erfüllt erlebt werden kann. Therapeutisch wird der Aspekt<br />

unterstützt, der die Erfüllung der Grundmotivation induziert, für die 1. GM beispielsweise<br />

das Aushalten und Annehmen oder das Erfahren von Raum, Schutz und Halt.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Tabelle 2: Elemente der vier personal-existenziellen Grundmotivationen I<br />

(nach Längle et al 2000a und Längle, Bauer et al 2005)<br />

Grundmotiv Voraussetzungen Personale Aktivität<br />

1. GM Dasein können Raum, Schutz, Halt Aushalten, annehmen<br />

2. GM Leben mögen Beziehung, Zeit, Nähe Zuwenden<br />

3. GM Selbstsein dürfen Beachtung, Wertschätzung Anerkennen, abgrenzen<br />

4. GM Sinnvolles wollen Tätigkeitsfeld, Strukturzusam-<br />

menhang, Wert in der Zukunft<br />

Übereinstimmung mit<br />

sich/ der Welt prüfen,<br />

handeln<br />

Untenstehend folgt eine Charakterisierung der einzelnen Grundmotivationen in Anlehnung<br />

an Jones & Luginbühl (2002) mit Zitaten aus deren Untersuchung über das Älterwerden.<br />

Ergänzt werden diese mit Querverweisen zur Physiotherapie, welche von der Autorin<br />

aufgrund der Literatur abgeleitet wurden, da physiotherapeutische Literatur zum Thema<br />

fehlt (vgl. Kapitel 4.3.3). Es wird hierbei vorwiegend vom Körper und Körpererleben<br />

ausgegangen, da der Fokus in der Physiotherapie auf dem Körper und dessen<br />

Behandlung liegt. Zudem werden nach IGEAP (2008) Fragen aufgeführt, welche<br />

verdeutlichen, wie die Themen der jeweiligen Grundmotivation angefragt werden können.<br />

4.2.8.1 1. Grundmotivation<br />

Ein gesunder Körper ermöglicht das Sein, ist verlässlich und gibt Halt. Nach<br />

existenzanalytischer Sichtweise gilt der Körper als Lebensraum erster Ordnung und kann<br />

in dieser Hinsicht der 1. GM zugeordnet werden (Jones & Luginbühl 2002).<br />

In der Physiotherapie ist man oft konkret mit dem Haltverlust, der Erschütterung des sonst<br />

„normalen“ Halts konfrontiert, wenn z.B. nach Operationen des Hüftgelenks Stöcke,<br />

Geländer und andere Hilfsmittel nötig werden oder eine Treppe zum schwer<br />

überwindbaren Hindernis wird. Das Spektrum von Beeinträchtigungen kann dabei von<br />

einer problemlosen Operation des vorderen Kreuzbandes bis zu schwerwiegenden wie der<br />

Amputation eines Beines reichen. Ein anderes Thema, wo die 1. GM betroffen ist, sind<br />

verschiedene schwer oder nicht auszuhaltende Zustände z.B. bei starken oder chronischen<br />

Schmerzen, wo das Da-Sein-Können infrage gestellt ist.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Untenstehend sind Beispiele von Kommentaren zur 1. GM zum Thema Erhaltung der<br />

Gesundheit und Umgang mit körperlichen Einschränkungen aus Jones & Luginbühl (2002,<br />

36-38):<br />

„Man muss früh mit kulturellen und sportlichen Aktivitäten beginnen, nicht erst nach<br />

der Pensionierung.“<br />

„Ich bin nicht besorgt, weil ich alt werde, es ist mehr das Schwachwerden, die<br />

Schmerzen.“<br />

„Ich habe mich schon erkundigt wegen dem Bau eines Treppenliftes, wenn wir<br />

einmal nicht mehr die lange Treppe steigen können.“<br />

Tabelle 3: Themen und Fragen zur 1. GM (IGEAP 2008)<br />

Thema Wie kann der Patient da sein in seiner Welt<br />

Grundfrage Ich bin – kann ich da sein auf dieser Welt?<br />

Konkrete Fragen Kann ich da sein?<br />

4.2.8.2 2. Grundmotivation<br />

Was gibt mir Halt in meinem Leben? Wo erlebe ich Schutz?<br />

Wo habe ich Raum, um da sein zu können?<br />

Was gibt mir Vertrauen?<br />

Kann ich das, was ist, annehmen?<br />

Der Körper ermöglicht es, mit der Welt und anderen Menschen in Beziehung zu treten,<br />

sich ins Leben einzubringen und als lebendig zu erfahren. Dieser Aspekt des<br />

Körpererlebens kann der 2. GM zugeordnet werden (Jones & Luginbühl 2002).<br />

In der Physiotherapie können Patienten erlebt werden, die in dieser Hinsicht eingeschränkt<br />

sind, z.B. weil die Kraft fehlt, irgendwohin zu gehen, um jemanden zu besuchen, bisherige<br />

Tätigkeiten weiter auszuführen oder wo Beeinträchtigungen (Müdigkeit, Schmerz), das<br />

Leben-Mögen in Frage stellen. Dies kann unter Umständen zu einem Verhalten führen,<br />

welches die Umwelt (Pflegende, Angehörige) abstösst, was das Eingehen von Beziehungen<br />

weiter erschwert.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Nachfolgend sind Beispiele aufgeführt von Kommentaren zur 2. GM zum Erleben von<br />

Freude durch körperliche Aktivitäten bzw. zum Leiden an abnehmender Lebensqualität aus<br />

Jones & Luginbühl (2002, 37-38):<br />

„Ich freute mich darauf, Sport zu betreiben.“<br />

„Das Wandern, das Laufen, das brauche ich, das habe ich immer gebraucht, da wäre<br />

ich dann schon unglücklich, wenn ich immer zu Hause sein müsste. Ich leiste mir ab<br />

und zu eine Massage, das geniesse ich sehr.“<br />

„Mit 71 hatte ich beim Langlaufen einen Herzinfarkt. Seither darf ich keinen Sport<br />

mehr treiben. Das war ein Einschnitt, das tut mir heute noch weh.“<br />

Tabelle 4: Themen und Fragen zur 2. GM (IGEAP 2008)<br />

Thema Motivation, Beziehung zum Leben<br />

Grundfrage Ich lebe – mag ich leben?<br />

Konkrete Fragen Was erleben Sie als gut in Ihrem Leben?<br />

4.2.8.3 3. Grundmotivation<br />

Wofür nehmen Sie sich Zeit?<br />

Wo spüren Sie Freude, Lebenslust?<br />

Der Körper ist wesentlich für unsere Identität, unser Selbst-Sein-Können. Zusätzlich<br />

vermittelt ein gesunder, attraktiver Körper soziale Anerkennung, stärkt das<br />

Selbstwertgefühl und trägt zu einer erfüllten 3. GM bei (Jones & Luginbühl 2002).<br />

In der Physiotherapie werden Beeinträchtigungen auf der Ebene der 3. GM z.B. da erlebt,<br />

wo ein Patient nicht ernstgenommen wird vom medizinischen Personal oder wo er nicht zu<br />

sich selber stehen kann mit krankheits- oder unfallbedingten Behinderungen.<br />

Hier folgen Beispiele von Kommentaren zur 3. GM über die Körperliche<br />

Leistungsfähigkeit zur Hebung des Selbstwertes und den entwürdigenden Umgang durch<br />

Pflegepersonal aus Jones & Luginbühl (2002, 37-39):<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

„Im Alter spielt bei der körperlichen Leistungsfähigkeit jeder Monat eine Rolle, wie<br />

im Säuglingsalter. Ich und meine SAC-Kollegen beobachten uns gegenseitig, was wir<br />

noch zu leisten im Stande sind.“<br />

„Sobald ich krank werde, ist das Negative da. Die Gesundheit gibt einem die<br />

Möglichkeit, dass man nicht eingeschränkt ist und man nicht das Gefühl hat, man sei<br />

gefangen in einem Ghetto, aus dem man nicht herauskommt.“<br />

„Ich finde es schrecklich, wenn Pflegerinnen mit alten Leuten wie mit Babys<br />

umgehen und vor ihnen über sie sprechen.“<br />

Thema Selbstakzeptanz<br />

Tabelle 5: Themen und Fragen zur 3. GM (IGEAP 2008)<br />

Grundfrage Ich bin ich – darf ich so sein?<br />

Konkrete Fragen<br />

Thema Selbstwert<br />

Thema Abgrenzung<br />

Was schätzen Sie an sich selbst, was nicht?<br />

Wofür bekommen Sie Anerkennung? Wie finden Sie das selber?<br />

Fühlen Sie sich respektiert?<br />

Können Sie zu sich stehen?<br />

Wie gut können Sie sich von Ansprüchen von aussen abgrenzen?<br />

Thema Authentizität Ist das … so stimmig für Sie?<br />

4.2.8.4 4. Grundmotivation<br />

Wenn Sie nur auf sich hören, wofür würden Sie sich entscheiden?<br />

Über den Körper wird Wertvolles erlebt und erschaffen, wodurch der existenzielle Sinn<br />

verwirklicht wird. Dieser Sachverhalt entspricht der 4. GM (Jones & Luginbühl 2002).<br />

In der Physiotherapie spielt diese Ebene eine grosse Rolle, indem bei der Anamnese nach<br />

Aktivitäten, dem Umfeld, der Partizipation gefragt wird, d.h. nach Bereichen, die dem<br />

Patienten etwas wert sind und für die er seine Funktionsfähigkeit wieder erlangen will.<br />

Diese Aktivitäten werden oft als Ziel formuliert und bilden einen wesentlichen Teil der<br />

Therapiemotivation, u.a. für das selbständige Durchführen des Heimprogramms.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Untenstehend folgen Beispiele von Kommentaren zur 4. GM zu den Themen Gesundheit<br />

als Geschenk bzw. Krankheit als Schicksal, zu dem man eine positive Einstellung findet,<br />

indem man darin einen Sinn findet (Jones & Luginbühl 2002, 37-39):<br />

„Man muss jeden Tag glücklich sein, wenn man gesund aufstehen kann und<br />

geniessen und dem Herrgott dankbar sein, dass man noch zwäg ist.“<br />

„Als Leiter einer Behindertenturngruppe kann ich den Jüngeren aus eigener<br />

Erfahrung sagen, dass diese Krankheit, welch im frühen Stadium sehr schmerzhaft<br />

ist, mit der Zeit weniger schlimm wird und man damit leben kann und ein bischen das<br />

weitergeben, was ich selber erlebt habe.“<br />

Thema Sinnfrage<br />

Tabelle 6: Themen und Fragen zur 4. GM (IGEAP 2008)<br />

Grundfrage Ich bin da – wofür ist es gut?<br />

Konkrete Fragen Worum soll es in dieser Situation gehen?<br />

4.2.9 Coping-Reaktionen<br />

Was erscheint Ihnen jetzt wichtig/ gut?<br />

Wofür wollen Sie das … machen?<br />

In der EA/LT werden gemäss Längle et al (2000a) und Längle (2005a) unter „Coping-<br />

Reaktionen“ reflexartige, automatisch ablaufende Schutz- und situative<br />

Bewältigungsreaktionen verstanden. Sie haben auf der psychischen Ebene eine<br />

Abwehrfunktion und erhalten bzw. schaffen die Voraussetzungen zum Existieren in einer<br />

Bedrohungssituation. Je nachdem, welche Grundmotivation betroffen ist und/ oder je nach<br />

Persönlichkeit, nehmen sie eine andere Form an (vgl. Tabelle 7). Es werden nach Längle<br />

(2000a und 2005a) vier Ausprägungen der Coping-Reaktion unterschieden:<br />

1. die Hauptreaktion/ Grundbewegung, welche einen Vermeidungsversuch darstellt<br />

2. die paradoxe Reaktion/ Aktivismus als Bewältigungsversuch<br />

3. das Aggressionsmuster, wenn der Situation nicht entkommen werden kann<br />

4. der Totstellreflex beim Überwältigungserleben.<br />

Ein Beispiel findet sich in der Videoanalyse beim Tumorpatienten (Kapitel 6.3.1): Die<br />

Physiotherapeutin fragt sehr genau nach, wie er denn gehe, denn der Patient hat seit<br />

einigen Tagen einen Rollator. Der Patient reagiert indigniert „Wie meinen Sie das? Ich<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

gehe nicht auf den Händen“, was eine klare Abgrenzungsreaktion ist. Die 3. GM ist<br />

betroffen, als Reaktion folgt ein Sich-Distanzieren von der Therapeutin.<br />

GM<br />

1. GM<br />

2. GM<br />

3. GM<br />

4. GM<br />

Tabelle 7: Formen der Coping-Reaktionen gegliedert nach Themen der Grundmotivationen<br />

Hauptreaktion<br />

(Vermeidungsversuch)<br />

(nach Längle 2005a und <strong>GLE</strong> 2008)<br />

Paradoxe Reaktion<br />

(Bewältigungsversuch)<br />

Aggressionsmuster Totstellreflex<br />

Fliehen, verleugnen Ankämpfen Destruktiv: Hass Lähmung<br />

Rückzug Leisten, entwerten Beziehungs-<br />

Auf Distanz gehen Rechtfertigen/<br />

Provisorisches<br />

Engagement<br />

4.3 Forschungsstand<br />

Recht geben,<br />

überspielen<br />

Provokation,<br />

Idealisierung,<br />

Fanatismus<br />

suchend: Wut<br />

Abgrenzend:<br />

Zorn/Ärger<br />

kämpferisch:<br />

Zynismus,<br />

Sarkasmus<br />

Erschöpfung,<br />

Resignation<br />

Dissoziation,<br />

Leugnung<br />

Betäubung,<br />

Nihilismus<br />

Bei den Recherchen für diese Arbeit erwies es sich als schwierig, Literatur zum Thema<br />

EA/LT in der Physiotherapie zu finden.<br />

Zur Forschung über EA/LT allgemein existieren – verglichen mit anderen medizinischen<br />

Themen – relativ wenige aktuelle Studien: 70 Hits zur Logotherapie, 80 zur<br />

Existenzanalyse in Pubmed (2008), vgl. Anhang 13.1), sowie 16 zur Logotherapie und 4<br />

zur Existenzanalyse gemäss PsycINFO® (2009). Diverse davon waren mit den<br />

vorhandenen Mitteln nicht greifbar.<br />

Längle, Görtz et al (2005) sowie Längle (2001) erwähnen einen Grund für die relativ<br />

geringe Anzahl von Studien: Die EA/LT arbeite vorwiegend phänomenologisch<br />

individualisierend und üblicherweise ohne Fragebögen, Gruppenstudien seien demnach für<br />

dieses individuelle Verfahren wenig geeignet.<br />

Zu einzelnen Interventionsmethoden der LT, z.B. der „paradoxen Intention“ existieren<br />

gemäss Längle (2001) durchaus Studien, ebenso zu spezifisch existenzanalytischen Tests<br />

wie der Existenzskala von Längle und Orgler (Längle & Orgler 1996, Orgler 2000). Ein<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Systematic Review zur Validität und Reliabilität der Tests konnte nicht gefunden werden,<br />

hingegen existieren Einzeluntersuchungen, welche die Reliabilität bestätigen (z.B.<br />

Noguchi et al 2006).<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Obwohl innerhalb der EA/LT empirische<br />

Forschung zunehmend gefordert wird (Steinert 2001), sind nach wie vor vergleichsweise<br />

wenige Studien vorhanden.<br />

Es wurde daher Literatur aus dem Umkreis des Themas einbezogen: Kommunikation in<br />

der Physiotherapie (Kapitel 4.3.1), Diplomarbeiten an der Berner Fachhochschule<br />

Gesundheit (Kapitel 4.3.2), EA/LT in der Medizin und Psychotherapie (Kapitel 4.3.4), und<br />

als Vergleich mit anderen Therapieansätzen die Therapie mit chronischem Schmerz<br />

(Kapitel 4.3.5) und die Salutogenese (Kapitel 4.3.6). Die Recherche zur EA/LT in der<br />

Physiotherapie ist in Kapitel 4.3.3 ausgeführt.<br />

4.3.1 Kommunikation in der Physiotherapie<br />

Wie in der Einführung erwähnt scheinen die Kommunikation und die therapeutische<br />

Beziehung in der Physiotherapie zunehmend an Beachtung zu gewinnen, unter anderem<br />

auch wegen der Zunahme chronisch kranker und multimorbider Patienten. Wichtig ist das<br />

Gespräch nicht nur für ein angenehmes Therapieklima sondern für die Motivation und<br />

Förderung der Eigenaktivität des Patienten und damit für den ganz konkreten<br />

physiotherapeutischen Therapieerfolg (Betz et al 2006, Friedel 2008, Hoos-Leistner &<br />

Balk 2008, Jeffels & Foster 2003, Klenger 2008, Schneider 2008, Silverman et al 2007).<br />

Die medizinische Datenbank Pubmed bringt unter der Recherche zu „Physical therapy<br />

AND Communication“ über 3000 Hits (Pubmed 2008, vgl. Anhang 13.1), was ebenfalls<br />

auf die Bedeutung des Themas hinweist.<br />

4.3.2 Diplomarbeiten an der Berner Fachhochschule Gesundheit<br />

Kommunikation und Gespräch im weiteren Sinne wurden an Abschlussarbeiten der Berner<br />

Fachhochschule Gesundheit/ Physiotherapie (bzw. an den Vorgängerinstitutionen) bereits<br />

vereinzelt behandelt. Es handelt sich hierbei, wie eine Recherche der bis Dezember 2008<br />

vorliegenden Arbeiten zeigte, um ein Spektrum von Themen wie: Kooperation zwischen<br />

Physiotherapeut und Patient (Villinger & Baumann 1997), Compliance des Patienten<br />

(Abplanalp & Tannast 1999), Nonverbale Kommunikation in der Anamnese (Lüthi et al<br />

Seite 18


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

2002) und verwandte Themen (Linder & Wirth 2000 sowie Barmettler & Graber 2000).<br />

Keine der Arbeiten befasst sich mit Logotherapie/ Existenzanalyse.<br />

4.3.3 EA/LT in der Physiotherapie<br />

Soweit es im Rahmen dieser Bachelor-Arbeit in Erfahrung gebracht werden konnte,<br />

existieren keine Arbeiten zum Einsatz der EA/LT in der Physiotherapie (Pubmed 2008 und<br />

Anhang 13.1; PsycINFO® 2009). Eine Recherche auf der Homepage der Gesellschaft für<br />

Logotherapie und Existenzanalyse (<strong>GLE</strong>) in Wien (<strong>GLE</strong> 2009), sowie eine Mailanfrage bei<br />

der Forschungsverantwortlichen (Dezember 2008) ergaben ebenfalls ein negatives<br />

Resultat. Andere existenzanalytische Richtungen wurden zu dieser Frage nicht explizit<br />

angegangen.<br />

Die EA/LT scheint daher in der Physiotherapie noch nicht untersucht worden zu sein.<br />

4.3.4 EA/LT in der Medizin und Psychotherapie<br />

Aus dem Gebiet der Medizin und Psychotherapie wurden vier Studien beigezogen: Eine<br />

über die Bewältigung der Krankheit bei Patienten mit schweren körperlichen<br />

Erkrankungen (Mehnert 2006) sowie eine über die Anwendung der Existenzskala bei<br />

Dialysepatienten (Schwaiger et al 2007). Beide Studien schienen wegen des<br />

Patientenkollektivs interessant. Zur Effektivität der Existenzanalyse konnten nur Beiträge<br />

aus dem psychotherapeutischen Setting gefunden werden, wovon zwei greifbar waren<br />

(Längle, Görtz et al 2000, Längle, Görtz et al 2005).<br />

Zur Beurteilung der vier erwähnten Studien:<br />

Mehnert (2006)<br />

Gemäss einem Review von Mehnert (2006) ist die Sinnfindung und Beschäftigung mit<br />

existenziellen Themen zur Bewältigung von chronischen und/ oder schweren körperlichen<br />

Erkrankungen essentiell und zwar insbesondere für die Anpassung an die Krankheit, die<br />

Krankheitsverarbeitung („posttraumatic growth“, „benefit finding“) und die<br />

Lebensqualität. Viele der heute eingesetzten Konzeptionen basieren gemäss Mehnert<br />

(2006) auf Viktor E. Frankls Theorien und werden in Erfassung und Therapie v.a im<br />

gesundheitspsychologischen und psychoonkologischen Kontext eingesetzt. Dabei wird die<br />

Logotherapie als ein möglicher erfolgreicher Zugang bezüglich des Umgangs mit<br />

Krankheit erwähnt neben anderen Konzepten wie der Salutogenese.<br />

Seite 19


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Bewertung: Bei dieser Arbeit Mehnerts handelt es sich nicht um ein „systematic“ Review,<br />

und welche Quellen ein- bzw. ausgeschlossen wurden, ist nicht erwähnt. Von den<br />

vorgestellten Konzepten ist jeweils nur die Zielrichtung z.B. „Wiederteilhabe am<br />

alltäglichen Leben“, nicht aber detailliert das methodische Vorgehen beschrieben. Viele<br />

der vorgestellten Ziele entsprechen jenen der EA/LT. Mehnert stellt zudem eine<br />

unbefriedigende Situation fest bezüglich Qualität und Quantität empirischer Studien<br />

(fehlende Längsschnitt- und Interventionsstudien, unzureichende Kontrolle<br />

konfundierender Variabeln u.a.), was nach den bisherigen Erfahrungen im Rahmen dieser<br />

Arbeit bestätigt werden kann. Die beigezogenen Studien sind zu einem grossen Anteil<br />

neueren Datums und aus wissenschaftlich relevanten Publikationen, sodass mit den<br />

erwähnten Einschränkungen die Schlüsse plausibel erscheinen.<br />

Mit Mehnert (2006) kann daher angenommen werden, dass die Haltung gegenüber der<br />

Krankheit, die Möglichkeit, das Leben trotz Behinderung als sinnvoll zu erleben, das<br />

Bestreben, Verantwortung zu übernehmen und innerhalb der begrenzten Möglichkeiten<br />

aktiv zu sein und am Leben teilzuhaben– alles auch Postulate der EA/LT – den Umgang<br />

mit körperlichen Krankheiten und Symptomen wesentlich und positiv beeinflussen.<br />

Für die Physiotherapie ist das insofern relevant, als man den beschriebenen<br />

Krankheitsbildern auch im physiotherapeutischen Kontext begegnet und man als<br />

Physiotherapeutin die entsprechende Haltung, die Aktivität und Eigenverantwortung des<br />

Patienten unterstützen kann (vgl. Hoos-Leistner und Balk 2008).<br />

Schwaiger et al 2007<br />

In einer Pilotstudie von Schwaiger et al (2007) wurde nicht die Wirksamkeit der EA/LT als<br />

Methode, jedoch die Anwendung des existenzanalytischen Testinstruments<br />

„Existenzskala“ bei 52 Dialysepatienten in zwei österreichischen Dialysezentren<br />

untersucht. Dabei ging es darum, anhand der Existenzskala Persönlichkeitsmerkmale zu<br />

erfassen, welche bei der Entscheidungsfindung zwischen Peritonealdialyse und<br />

Hämodialyse von Nutzen sein könnten.<br />

Die Peritonealdialyse wird vom Patienten selbstständig zu Hause durchgeführt und<br />

verlangt tägliche medizinische Entscheidungen durch den Patienten, die Hämodialyse<br />

erfolgt im Spital unter Aufsicht und mit geringerer Selbstverantwortung. Die<br />

Peritonealdialyse-Patienten schnitten in der Existenzskala mit der Subskala<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

„Selbstdistanzierung“ signifikant besser ab, woraus die Autoren schliessen, dass diese<br />

Patientengruppe über personale Fähigkeiten verfügt, welche die Behandlungsmodalität<br />

Peritonealdialyse erleichtert.<br />

Bewertung: Methodisch scheint diese Studie sauber aufgebaut. Ein- und<br />

Ausschlusskriterien für die Patienten sind definiert, die Diagnosen, weitere Kovariablen,<br />

sowie Studienabbrüche festgehalten, Subgruppen und Vorgehen bei der Testung klar<br />

beschrieben und die statistische Auswertung (ANOVA, Mann-Whitney U) entspricht dem<br />

für klinische Studien üblichen Standard. Die Grenzen der Studie werden ebenso erwähnt,<br />

so z.B. die geringe Anzahl Patienten und der fehlende Vergleich mit anderen<br />

Testinstrumenten. Es scheint plausibel, dass Patienten, welche die Peritonealdialyse als<br />

Behandlung wählen, eine grössere Fähigkeit zur Selbstdistanzierung verfügen, da diese<br />

Behandlung mehr Selbständigkeit und verantwortete Entscheidungen verlangt.<br />

Interessant scheint diese Studie, weil sie ein Instrument der EA/LT ausserhalb des<br />

psychotherapeutischen Umfeld einsetzt und zwar in einem Bereich, mit dem auch die<br />

Physiotherapeuten in grösseren Zentrumsspitälern konfrontiert sind: Der Nephrologie und<br />

deren chronisch kranken Patienten. Im Gegensatz zu Mehnert (2006) geht es in dieser<br />

Studie weniger um den Umgang mit der Krankheit als solche, sondern um die<br />

Entscheidungsfindung innerhalb eines Therapieverlaufs.<br />

Dies ist ein Thema, das auch in der Physiotherapie angetroffen wird, z.B. bei der Frage, ob<br />

der Patient/ die Patientin genug Eigenverantwortung für eigenes Üben zu Hause<br />

übernimmt oder ob es mehr Struktur braucht, z.B. durch Mitmachen in einer Gruppe<br />

(Wassertherapie-, Nordic Walkinggruppe u.ä.) oder das Üben an Krafttrainingsgeräten<br />

unter Aufsicht. Inwiefern die Existenzskala in der Physiotherapie eingesetzt werden<br />

könnte, bleibt eine offene Frage.<br />

Längle, Görtz et al 2000<br />

Längle, Görtz et al (2000) untersuchten in ihrer empirischen Studie an über 337 Patienten<br />

(Kontrollgruppe 57) über sieben Jahre (1994-2000) die Anwendung der<br />

existenzanalytischen Vorgehensweise an alkohol- und medikamentenabhängigen Patienten<br />

im achtwöchigen, stationären Setting. Eine Signifikante Wirkung der EA zeigte sich unter<br />

anderem in den Kategorien der Befindlichkeit, Verantwortlichkeit und Selbsttranszendenz.<br />

Eine deutliche Wirkung war ebenso feststellbar bezüglich Selbstdistanzierung und Freiheit,<br />

Selbstwertgefühl, Autonomie. Die Kontrollgruppe (Verhaltenstherapie, systemische<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Therapie u.a.) wies hingegen bessere Werte auf bezüglich Symptomentlastung und<br />

Aktivierung. Die Autoren halten fest, dass die EA im psychotherapeutischen Setting im<br />

Gegensatz z.B. zur Verhaltenstherapie restrukturierend, problemorientiert und längerfristig<br />

angelegt ist und daher erst nach einer längeren Zeitspanne Wirkung z.B. in der<br />

Symptomentlastung zeigt.<br />

Bewertung: Die Studie weist zahlreiche methodische Mängel auf, welche auch von den<br />

Autoren festgehalten werden, so die unterschiedliche Grösse von Untersuchungs- und<br />

Kontrollgruppe, das Vereinen mehrerer Methoden in der Kontrollgruppe, die nicht<br />

zufällige Zuteilung der Probanden u.a. Die Resultate können daher lediglich als Tendenz<br />

verstanden werden.<br />

Das Kollektiv Suchtpatienten ist eines, das auch in der Physiotherapie anzutreffen ist.<br />

Ebenso sind die in dieser Studie durch die EA erzielten Wirkungen für die<br />

Patientenmotivation in der Physiotherapie relevant. Als Frage bleibt, inwiefern die<br />

Physiotherapie, im durch die Krankenkassen limitierten zeitlichen Rahmen (30 Min.<br />

Therapie, 9 Sitzungen, 2-3x verlängerbar), in die erwähnte Richtung wirken kann, zumal<br />

nicht vorwiegend mit Gesprächen gearbeitet wird.<br />

Längle, Görtz et al 2005:<br />

Die Studie von Längle, Görtz et al (2005) war als prospektive Wirksamkeitsstudie<br />

konzipiert. Therapiert wurden Patienten mit psychiatrischen Diagnosen wie z.B.<br />

Depressionen in der Einzelpraxis. Durch die existenzanalytische Behandlung wurden<br />

hochsignifikante bzw. signifikante Verbesserungen in den Kategorien Selbst-<br />

Distanzierung, Selbst-Transzendenz, Freiheit und Verantwortung erzielt.<br />

Bewertung: Die Studie ist methodisch klar aufgebaut mit mehreren konstant eingehaltenen<br />

Testzeitpunkten. Sie Umfasst 248 Patienten, wovon eine recht hohe Zahl an<br />

Therapieabbrüchen (24%). Sämtliche in einem bestimmten Zeitraum in der Einzelpraxis<br />

behandelten Patienten wurden einbezogen (Vollerhebung), die Therapie erstreckte sich<br />

über durchschnittlich 28 Stunden. Dies scheint für eine Studie im ambulanten Bereich mit<br />

fluktuierenden Patientenzahlen eine akzeptable Konstanz.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Was oben bei der Studie von Längle, Görtz et al (2000) erwähnt ist, gilt auch hier: Das<br />

Patientenkollektiv beansprucht ebenfalls Physiotherapie, wie die Methode<br />

physiotherapeutisch handhabbar gemacht werden kann, ist eine Frage.<br />

4.3.5 Therapie von chronischem Schmerz<br />

Eine interessante Spur zur Wirksamkeit und Anwendung der EA/LT in der Physiotherapie<br />

könnte über die neueren Erkenntnisse in der Behandlung von chronischem Schmerz<br />

führen. Dies, weil die EA/LT auf die Bereiche fokussiert, die nach neuerer Forschung für<br />

eine wirkungsvolle Behandlung von Patienten mit chronischem Schmerz unabdingbar sind.<br />

Wesentlich gemäss Pfingsten (2005) ist das Angst-Vermeidungsverhalten (Fear-<br />

Avoidance) der Patienten mit chronischem Schmerz, welches massgeblich durch die<br />

Haltung des Patienten zu seiner Krankheit bestimmt ist. Diese Einstellung sei oft von<br />

fehlender Selbstwirksamkeit (der Fähigkeit, selber in Bezug auf seine Gesundheit etwas zu<br />

unternehmen), von der Angst vor Schmerzen und zunehmender Angst-Vermeidung<br />

bestimmt und führe zu weiter ansteigendem Beeinträchtigungserleben.<br />

In der Therapie von Patienten mit chronischem Schmerz wird ein Paradigmenwechsel<br />

gefordert hin zur Förderung der Eigenaktivität des Patienten, der als Partner betrachtet und<br />

multimodal sowie multidisziplinär behandelt werden soll (Schug & Grape 2009).<br />

Für den Patienten ist gemäss der Literatur weniger die Art der physiotherapeutischen<br />

Übungen wichtig, sondern, dass der Klient Vertrauen ins Bewegen gewinnt und<br />

selbstständig regelmässige Aktivität in sein Leben integriert (Mannion 2004, Butzlaff et al<br />

2003, European Guidelines 2004 am Beispiel von chronischem Rückenschmerz).<br />

Informationsvermittlung über das Krankheitsgeschehen, der Umgang mit der Krankheit,<br />

das Akzeptieren von Rezidiven (Müller & Lühmann 2005) und generell psychosomatische<br />

Aspekte (Blumenstiel et al 2005) seien für Entstehung und Therapie von chronischen<br />

Schmerzen entscheidend. Zu ähnlichen Resultaten kommen Forschungen zur Therapie der<br />

Fibromyalgie (Aeschlimann & Angst 2007, Beise 2005, Goldenberg et al 2004), wobei<br />

Goldenberg et al (2004) die Beratung als „patient education“ zu den mit grosser Evidenz<br />

wirksamen Therapien zählen.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Gifford (2005) fasst diese neueren Erkenntnisse zu Physiotherapie und Umgang mit<br />

chronischem Schmerz dahingehend zusammen, dass psychosoziale Faktoren den Ausgang<br />

der Therapie weit stärker beeinflussen als biomedizinische/ biomechanische/ patho-<br />

anatomische Faktoren.<br />

Was für Schlüsse lassen sich bezüglich der EA/LT daraus ziehen?<br />

Es zeigen sich zahlreiche Übereinstimmungen zwischen EA/LT und obigen Erkenntnissen:<br />

Einstellungen und Haltungen sind wie bei den oben erwähnten Autoren für die<br />

EA/LT zentral und die Grundlage für Entscheidungen (Längle, Bauer et al 2005).<br />

Die logotherapeutische Intervention umfasst beraterische Elemente und verfügt über<br />

Methoden, die eine Verhaltens- und Einstellungsänderung unterstützen und<br />

Handlungs- sowie ressourcenorientiert sind (Längle 2006a).<br />

Das Vermitteln von Informationen, das Erklären sind wie bei der Schmerztherapie<br />

(s.o.) ein Teil logotherapeutischer Beratung, da sie Halt geben (1. Grundmotivation)<br />

und Distanz schaffen (Längle 2005b, Längle, Bauer et al 2005).<br />

Indem die EA/LT die schöpferischen Werte und die Erlebniswerte erfragt, anspricht<br />

und bei der Umsetzung unterstützt, wird die Eigentätigkeit des Patienten angeregt.<br />

Wiederum eine Parallele zur erwähnten Literatur.<br />

Explizit wird in der EA/LT der Patient als Mitgestalter angesprochen durch das<br />

Konzept der existenziellen Wende (Kapitel 4.2.4): Der Mensch ist nicht nur<br />

Fragender und Fordernder sondern durch die Situation selber angefragt und<br />

aufgefordert zu antworten (Längle, Bauer et al 2005).<br />

Unterschiede zu den zitierten Autoren zum Thema chronischem Schmerz zeigen sich<br />

folgende:<br />

Ein wichtiger Faktor, der von den obigen Autoren nur am Rande angesprochen wird,<br />

ist das Aushalten und das Annehmen, Fähigkeiten, die auf der 1. GM angesiedelt<br />

sind. Für die EA/LT sind diese beiden Aktivitäten grundlegend für weitere Schritte,<br />

inklusive der Einstellungsänderung.<br />

Es geht für die EA/LT nicht primär um das Beseitigen von hinderlichen<br />

Krankheitseinstellungen und Emotionen (Müller & Lühmann 2005) sondern darum,<br />

einen Umgang damit zu finden.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Die EA/LT unterstützt verschiedene Haltungen und Methoden, die gegenwärtig in der<br />

Behandlung von Patienten mit chronischem Schmerz eingesetzt werden und als „state of<br />

the art“ gelten, verfügt aber auch über weitergehende theoretische Konzepte, deren<br />

Anwendung in der Physiotherapie der Untersuchung bedarf.<br />

4.3.6 Salutogenese<br />

Weitere Parallelen finden sich zwischen der EA/LT und dem Konzept der Salutogenese<br />

von Aaron Antonovsky (1923-1994), der wie Frankl der Frage nachging, welche Faktoren<br />

den Menschen gesund erhalten bzw. gesund werden lassen (Hengeveld 2006, Lindström &<br />

Eriksson 2005a). Interessanterweise existiert bereits Literatur über die konkrete Integration<br />

salutogenetischer Konzepte in die Physiotherapie (Hengeveld 2006).<br />

Für die Entwicklung von Gesundheit ist gemäss salutogenetischem Konzept das<br />

sogenannte „Kohärenzgefühl“ von Bedeutung, welches sich bildet aus dem<br />

Gefühl der Verstehbarkeit („sense of comprehensibility“), d.h. dem Vertrauen, dass<br />

Ereignisse im Leben grundsätzlich strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind.<br />

Gefühl der Handhabbarkeit („sense of manageability“), d.h. der Überzeugung, dass<br />

Schwierigkeiten lösbar und Ressourcen gegeben sind, um den Anforderungen des<br />

Lebens zu begegnen.<br />

Gefühl der Sinnhaftigkeit („sense of meaningfulness“): d.h. der Fähigkeit,<br />

Herausforderungen des Lebens als sinnvoll und bedeutungsvoll zu erleben, sodass<br />

man sich für sie einsetzen und engagieren mag (Hengeveld 2006, Lindström &<br />

Eriksson 2005a).<br />

Eine Person mit hohem Kohärenzgefühl bewertet Stressoren als weniger bedrohlich, was<br />

auf die Gesundheit inklusive muskuloskelettaler Beschwerden einen entscheidenden und<br />

positiven Einfluss hat (Antonovsky 1987, Lundberg & Melin 1997).<br />

Eine deskriptiv-analytische Studie über 25 Jahre Forschung zur Salutogenese mit<br />

systematischem Ein-/ Ausschluss von Forschungsresultaten zeigt verschiedene signifikante<br />

Resultate bezüglich des Zusammenhangs zwischen Kohärenzgefühl und Gesundheit<br />

(Lindström & Eriksson 2005a, Eriksson & Lindström 2005b, Eriksson & Lindström 2006):<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Das Kohärenzgefühl korreliert stark mit Gesundheit und Erhaltung von Gesundheit,<br />

wobei der Effekt auf die psychische Gesundheit vermutlich grösser ist.<br />

Weitere wichtige Einflussfaktoren sind Alter, soziale Unterstützung und<br />

Bildungsstand.<br />

Die Autoren postulieren, dass das salutogenetische Konzept vermehrt bei den<br />

Akteuren und Institutionen des Gesundheitswesens Eingang finden sollte.<br />

Eine Parallele zwischen Salutogenese und logotherapeutischer Beratung ist der<br />

ressourcenorientierte Ansatz (Kapitel 4.3.5). Längle (2009) hat zudem eine Zuordnung der<br />

drei Komponenten des Kohärenzgefühls zu den Grundmotivationen versucht, welche in<br />

Tabelle 8 dargestellt ist.<br />

Tabelle 8: Zuordnungen der drei Elemente des Kohärenzgefühls zu den Grundmotivationen<br />

Elemente des<br />

Kohärenzgefühls<br />

Gefühl der<br />

Verstehbarkeit<br />

Gefühl der<br />

Handhabbarkeit<br />

Gefühl der<br />

Sinnhaftigkeit<br />

(Längle 2009)<br />

Zugeordnete Grundmotivationen<br />

- Beruht auf der Erfahrung von Halt Schutz und Raum (1. GM)<br />

- Gibt Gefühl von Eingebettetsein in eine grössere Ordnung (4. GM)<br />

- Beruht auf der Fähigkeit des Könnens (1. GM)<br />

- Ist Folge der erfüllten 4. GM<br />

Differenzen zwischen der EA/LT und dem salutogenetischen Konzept bestehen unter<br />

anderem darin, dass die EA/LT nicht allein ressourcenorientiert arbeitet, sondern auch<br />

nach Hinderungsgründen fragt, weshalb eine Person nicht zum Existenzvollzug kommt.<br />

Ziel ist immer der Dialog mit sich und der Welt und nicht primär Symptombeseitigung<br />

(Längle, Bauer et al 2005).<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Wirkungen der EA/LT auf die<br />

physische und psychische Gesundheit möglicherweise vergleichbar sind mit jenen in der<br />

Literatur zur Salutogenese festgehaltenen (vgl. Lindström &Eriksson 2005a, Eriksson &<br />

Lindström 2005b, Eriksson & Lindström 2006), insofern die EA/LT ähnliche Themen<br />

bearbeitet, die den salutogenetischen nach Antonovsky entsprechen.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

4.4 Zusammenfassung Forschungsstand<br />

Es kann erwartet werden, dass die EA/LT im Bereich von chronischen Krankheiten und in<br />

Palliativsituationen, wo der Umgang mit einer unausweichlichen Situation gefordert ist,<br />

besondere Hilfestellung bietet. Zudem sind für jede physiotherapeutische Behandlung<br />

Motivation, Initiative und die Einstellung des Patienten von Belang, Bereiche die von der<br />

EA/LT angesprochen werden. Eine Frage bleibt, inwiefern die EA/LT geeignet ist für den<br />

Einsatz in der Physiotherapie, wegen der limitierten Zeit für verbale Interventionen,<br />

welche in anderen z.B. psychotherapeutischen Settings vermehrt zum Zuge kommen.<br />

Die diskutierte Literatur legt daher den Schluss nahe, dass die Physiotherapie ein<br />

Anwendungsgebiet der EA/LT sein könnte, inwiefern, ist jedoch noch zu ermitteln.<br />

5 Fragestellung<br />

Aufgrund der bisherigen Recherchen (vgl. Kapitel 4.3) kann Folgendes festgehalten<br />

werden: Die Anwendung der EA/LT in der Physiotherapie wurde noch nicht untersucht, in<br />

verwandten Gebieten hat sich die EA/LT hingegen mit den unter Kapitel 4.3 erwähnten<br />

Einschränkungen als anwendbar und therapeutisch relevant erwiesen. Die Anwendung der<br />

innerhalb des physiotherapeutischen Settings könnte sich daher als interessantes<br />

Forschungsgebiet erweisen. Zur Eingrenzung des Untersuchungsgebietes bietet sich das<br />

Konzept der vier Grundmotivationen an (vgl. Kapitel 4.2.8), welches eine klare<br />

Beobachtungsstruktur vermittelt.<br />

Daraus ergibt sich die Grundfrage: Welche Methoden und Haltungen der EA/LT lassen<br />

sich im physiotherapeutischen Setting konkret einsetzen?<br />

Dieser Frage wird in dieser Arbeit anhand folgender Fragestellungen nachgegangen:<br />

1. Welche Strukturen zeigen sich und welche Eindrücke stellen sich ein bei<br />

phänomenologischer Betrachtung einer physiotherapeutischen<br />

Behandlungssituation anhand einer Video-Analyse?<br />

2. Zu den vier Grundmotivationen der EA/LT:<br />

2.1 Findet man die vier Grundmotivationen der EA/LT als Motivationen im<br />

physiotherapeutischen Setting?<br />

2.2 Welche können betroffen sein?<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

5.1 Eingrenzung<br />

Es gibt verschiedene Aspekte, welche die physiotherapeutische Intervention von anderen<br />

Kontexten (Psychiatrie, Berufsberatung, Pädagogik, Coaching etc.) unterscheiden und dem<br />

Einsatz von verbalen Interventionen Grenzen setzen bzw. die Umstände entscheidend<br />

mitbestimmen.<br />

Physiotherapeutische Therapien sind kurz:<br />

Eine Therapiesequenz dauert ambulant 30 Minuten (in der Neurologie 45 Minuten) und<br />

stationär oft kürzer. Ambulant werden pro Verordnung neun Sitzungen verschrieben<br />

(Krankenpflege-Leistungsverordnung 2009), die sich über einige Wochen erstrecken. Im<br />

Akutspital werden die stationären Aufenthalte aus Kostengründen immer kürzer, d.h. auch<br />

die Physiotherapie umfasst einen Zeitraum von wenigen Tagen bis 1-2 Wochen<br />

(Bundesamt für Statistik 2007a/ 2007b). Die Dauer des Kontaktes mit dem Patienten ist<br />

somit pro Therapiesitzung relativ kurz und die Dauer einer ganzen Behandlungssequenz<br />

ebenso. (Eine Ausnahme bilden Langzeitpatienten, vgl. Bundesamt für Statistik 2007a.)<br />

Verbale Interventionen sind in der Physiotherapie zeitlich beschränkt:<br />

Das Zentrum der physiotherapeutischen Behandlung sind die körperlichen Beschwerden<br />

wie z.B. verminderte Beweglichkeit; primäre Methoden sind manuelle und physikalische<br />

Behandlungen oder Anleitung zum aktiven Üben. Das Anamnesegespräch bei der ersten<br />

Behandlung dauert in der Regel etwa 20 Minuten, in den folgenden Therapiesitzungen<br />

kommen meist kürzere verbale Interventionen zum Zug.<br />

6 Methodik<br />

Wie oben ausgeführt, wurde die EA/LT in der physiotherapeutischen Praxis bisher kaum<br />

erforscht. Es handelt sich bei dieser Bachelor-Arbeit daher um eine Pilot-Untersuchung,<br />

die ein erstes Abschätzen des Einsatzgebietes „Physiotherapie“ ermöglichen soll. Aus<br />

diesem Grund wurde eine qualitative Studie durchgeführt, welche Grundlage sein kann für<br />

spätere, quantitative Untersuchungen.<br />

6.1 Literaturrecherche<br />

Für die Literaturrecherche wurde in einem ersten Schritt ein Überblick zum Thema<br />

Physiotherapie und Kommunikation erarbeitet. Weiter wurden mittels Literaturstudium die<br />

zu untersuchende Methodik, anwendbaren Konzepte, Haltungen und Interventionen der<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

EA/LT genauer eingegrenzt, insbesondere mit Literatur aus Medizin und Pflege und<br />

anderen medizinischen Arbeitsfeldern.<br />

Beigezogen wurden Recherchen<br />

mit PEDro (PEDro 2009)<br />

mit Pubmed (Pubmed 2008), vgl. Anhang 13.1<br />

mit PsycINFO® (PsycINFO® 2009).<br />

bei der <strong>GLE</strong> Österreich online (<strong>GLE</strong> 2009) und in Korrespondenz<br />

bei der IGEAP (u.a. Heitger et al 2006, IGEAP 2008)<br />

unter den Diplomarbeiten der Berner Fachhochschule Gesundheit<br />

zum Thema Kommunikation und Physiotherapie allgemein.<br />

6.2 Untersuchungsmethode: Video-Analyse<br />

Als Untersuchungsgegenstand wurden Videos aus 20-minütigen Kommunikationstrainings<br />

für Physiotherapiestudierende verwendet, welche praxistypische Situationen abbilden, vgl.<br />

Kapitel 3.1 8 . Dabei spielten Schauspieler/ -innen sogenannte standardisierte Patienten/ -<br />

innen, die Autorin war die Physiotherapeutin, eine Mitstudierende war Beobachterin und<br />

die Szene wurde auf Video aufgezeichnet. 10 Minuten vor Beginn des Trainings erhielt die<br />

Autorin Angaben zur Situation und zum Patienten sowie einen physiotherapeutischen<br />

Auftrag. In der anschliessenden Besprechung wurde das Training evaluiert und benotet<br />

anhand einer Checkliste (Anhang 13.8).<br />

6.3 Auswahl der Videos<br />

Zur Verfügung standen 9 Videos der Autorin aus zweieinhalb Jahren<br />

Physiotherapiestudium. Zwei der Videos betrafen keine Patientensituationen und wurden<br />

ausgeschlossen. Ebenfalls ausgeschlossen wurden zwei Kommunikationstrainings des<br />

ersten Studienhalbjahres, da sowohl die Physiotherapie als auch die EA/LT für die Autorin<br />

neu waren. Es wurde ausserdem darauf geachtet, dass die Kommunikation vom Gegenüber<br />

als positiv und in den beurteilten Kriterien mit „gut“ und „sehr gut“ bewertet wurde.<br />

Aus den verbliebenen fünf Videos wurden zwei ausgewählt, eine aus dem Bereich<br />

Palliativmedizin sowie eine über einen Patienten mit chronischem Leiden. Beides gemäss<br />

8 Die Relevanz der Trainings für die Praxis und die Übertragbarkeit in reale Situationen wurde<br />

nachgewiesen (Luck & Peabody 2002, Van Zanten et al 2005) bzw. wird vermutet, je nach Qualität der<br />

Standardisierung und Faktoren, die untersucht wurden (Howley et al 2008, Rieber 2009). Eine<br />

Aufzeichnung von echten Therapiesituationen mit realen Patienten wurde in Erwägung gezogen, schien<br />

aber für diese Bachelor-Arbeit aus organisatorischen Gründen zu aufwendig.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Literatur bereits Einsatzgebiete der EA/LT (Kapitel 4.3.4). Bei beiden Settings handelt es<br />

sich um Situationen, wo die Aktivierung der Person und der Ressourcen für die<br />

physiotherapeutische Behandlung relevant ist, ein Aspekt, der auch von der EA/LT<br />

unterstützt wird. Es handelt sich nach Lamnek (2005) hiermit um eine „gezielte Auswahl“<br />

aufgrund theoretischer Vorüberlegungen, deren Zweck Patton (2002) wie folgt umschreibt:<br />

„Purposive sampling is used in an effort to select participants who can provide<br />

information-rich data regarding the area of interest“ (vgl. dazu auch Janelle et al 2004). Bei<br />

kleinen Stichproben ist diese laut Lamnek 2005 nicht ungenauer als eine Zufallsauswahl.<br />

Ausgewählt wurden eine Physiotherapiesequenz mit<br />

Video 1: einem terminalen Tumorpatienten<br />

Video 2: einem Patienten nach cerebrovaskulärem Insult (CVI) mit Aphasie<br />

6.3.1 Fallbeschreibung Video 1: Terminaler Tumorpatient<br />

Die Physiotherapeutin (PT) soll den ihr unbekannten Patienten (Pat.) Mario Bodoni<br />

(Jahrgang 1963) zu mehr Bewegung anhalten und seine Schulter passiv mobilisieren, auch<br />

wenn der Patient nicht motiviert sei. Folgende Informationen über den Patienten sind<br />

bekannt (vgl. detaillierte Fallbeschreibung unter 13.2):<br />

Diagnose: Glioblastom Grad IV links-parietal<br />

Geschichte/ Symptome: Überweisung ins Zentrumsspital durch Hausarzt vor 6<br />

Wochen, starke Kopfschmerzen, Zunehmende Funktionsausfälle, Gehen nur mit<br />

Rollator möglich, Schulterschmerz beim Aufstützen.<br />

Therapie: Chemotherapie, hohe Dosen Morphin, Physiotherapie<br />

Aufgabe im Kommunikationstraining:<br />

Passive Bewegung der Schultern zur Schmerzlinderung und Bewegungserhaltung<br />

Patienten ein-zweimal aufsitzen lassen mit rückenschonender Technik<br />

6.3.2 Fallbeschreibung Video 2: Patient nach CVI mit Aphasie<br />

Auf der Rehabilitationsabteilung übernimmt die Physiotherapeutin den ihr unbekannten<br />

Patienten Herrn M. Friederich von der erkrankten Kollegin B. Nehmer. Zum Verlauf<br />

bestehen folgende Angaben (vgl. detaillierte Fallbeschreibung unter 13.5):<br />

Status nach CVI links mit Hemiparese rechts armbetont vor 4 Wochen<br />

Verständigung schwierig (Aphasie), Tonus tief, Arm +/- schlaff<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Aufgabe im Kommunikationstraining:<br />

Die PT soll dem Pat. erklären, dass sie für die kranke Kollegin einspringt.<br />

Es soll auf den Armschutz geachtet und der Pat. entsprechend instruiert werden.<br />

Mit dem Patienten soll die Gewichtsverlagerung geübt werden.<br />

6.4 Auswertung der Videos<br />

Die Auswertung der Videos erfolgte in vier Schritten:<br />

1. Phänomenologische Betrachtung und Festhalten erster Eindrücke<br />

2. Einteilung des Videos in Sequenzen<br />

3. Transkription<br />

4. Identifizieren der Grundmotivationen nach EA/LT<br />

Die einzelnen Schritte gestalteten sich wie folgt:<br />

1. Phänomenologische Betrachtung und Festhalten erster Eindrücke<br />

Die Videos wurden in phänomenologisch-offener Haltung angeschaut (Kapitel 4.2.6), erste<br />

Eindrücke bezüglich Sequenzen und Grundmotivationen notiert und diese in Schritt 2 und<br />

Schritt 4 einbezogen. Abbildung 1 und 2 zeigen zwei Fotos aus den Videos.<br />

2. Einteilung des Videos in Sequenzen<br />

Beide auf Video aufgenommenen Behandlungen wurden gemäss Checkliste in Sequenzen<br />

eingeteilt (Berner Fachhochschule 2008, Anhang 13.8):<br />

- Beginn des Gesprächs (Begrüssung und Information über Ablauf und Zeitrahmen)<br />

- Informationen sammeln (Anamnese und Befund)<br />

- Informationen geben und beraten (Beratung und Übungen) 9<br />

Diese Sequenzierung schien die Vernetzung der EA/LT mit physiotherapeutischen<br />

Gegebenheiten am besten zu ermöglichen, da die Wechsel zwischen den Sequenzen<br />

deutlich sichtbar und ein Raster für die Zuordnung der Grundmotivationen gegeben waren.<br />

Transkription<br />

Die ersten 10 Minuten jedes Videos wurden lückenlos transkribiert (Anhang 13.3, 13.6) 10 .<br />

Diese zeitliche Begrenzung garantierte, dass einerseits ein Teil mit verbaler Intervention<br />

9<br />

Die Sequenz „Ende des Gesprächs“ nach Checkliste kommt in den ersten 10 Minuten der transkribierten<br />

Gespräche nicht vor.<br />

10<br />

Eine Transkription/ Analyse der gesamten Videos hätte den Rahmen der Bachelor-Arbeit überstiegen.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

(Beginn/ Informationen sammeln) und andererseits auch ein praktischer Teil<br />

(Informationen geben und beraten im Rahmen einer Übung) analysiert werden konnte.<br />

Sprache: Die Dialoge auf den Videos sind im Dialekt geführt und wurden bei der<br />

Transkription möglichst originalgetreu ins Hochdeutsche übertragen. Öfters sind die Sätze<br />

im Video unvollständig, der Sinn ergibt sich jeweils aus Wort, Situation innerhalb des<br />

Gesprächs, Tonfall, Mimik etc. gemeinsam. Um den Sinn unvollständiger Äusserungen<br />

verständlich zu machen, wurden einzelne Sätze in der Transkription ergänzt und die<br />

Ergänzungen mit Klammern gekennzeichnet.<br />

Zeitangabe: Zur zeitlichen Orientierung innerhalb der Transkriptionen wurde jeweils der<br />

Zeitpunkt des Beginns einer Handlung oder Äusserung in Minuten und Sekunden<br />

festgehalten, gemäss der Zeitangabe des Computers beim Abspielen.<br />

4. Identifizieren der Grundmotivationen nach EA/LT<br />

Für jeden Abschnitt wurden die betroffenen Grundmotivationen und deren Bedeutung in<br />

der Situation identifiziert. Beachtet wurden Haltung, Stimmung, Handlung und Inhalt des<br />

Wortlauts. Die Zuordnung erfolgte aufgrund der Theorie (Kapitel 4.2.8), d.h. entsprechend<br />

den spezifischen Arten der Zustimmung, der Grundfragen, Grundmotive und personalen<br />

Aktivitäten, welche für eine Grundmotivation kennzeichnend sind. Diese Zuordnung<br />

verlangte einen Interpretationsschritt und ergab Zweifelsfälle, welche festgehalten wurden<br />

(Anhang 13.4, 13.7). Es wurde auch untersucht, ob es Abschnitte im Gespräch gab, denen<br />

keine Grundmotivation zugeordnet werden konnte.<br />

Abbildung 1: Video 1, Schultermobilisation<br />

Abbildung 2: Video 2, Füsse aufstellen für<br />

guten Bodenkontakt<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

7 Ergebnisse<br />

7.1 Phänomenologische Betrachtung (Frage 1)<br />

Die untersuchten 10-minütigen Videosequenzen folgten dem standardisierten Ablauf einer<br />

physiotherapeutischen Behandlung ohne Sprünge (Begrüssung – Informationen sammeln –<br />

Informationen geben und beraten). Die Grundmotivationen waren sichtbar und es zeigte<br />

sich, dass die 1. GM vorherrschte. Diese Eindrücke wurden direkt in die Sequenzierung<br />

sowie die Bestimmung der Grundmotivationen einbezogen (Kapitel 7.2) und in der<br />

Transkription integriert (Anhänge 13.3, 13.6).<br />

7.2 Die Grundmotivationen im physiotherapeutischen Setting<br />

(Fragen 2.1 und 2.2)<br />

Es zeigte sich, dass die Grundmotivationen sich auch in der physiotherapeutischen<br />

Behandlung ausmachen lassen. Hauptsächlich gefunden wurden Themen der 1. GM und<br />

vereinzelt auch der 2. und 3. GM, kaum jedoch jene der 4. GM. Die angetroffenen<br />

Einzelthemen der Grundmotivationen sind in Tabelle 9 zusammengefasst.<br />

Tabelle 9: Einzelthemen innerhalb der Grundmotivationen (Zusammenfassung aus Video 1 und 2)<br />

GM Einzelthemen innerhalb der Grundmotivationen<br />

1. GM Raum, Halt, Schutz, Klärung der Bedingungen, Können – Nicht-Können<br />

2. GM Zuwendung, Beziehung, Leben mögen, Berührung – Berührt-Sein<br />

3. GM Anerkennung – Beachtung, Abgrenzung, Personsein, Ärger<br />

4. GM Sinnvolles wollen<br />

In Kapitel 7.2.1 und 7.2.2 sind die angetroffenen Grundmotivationen eingehender erläutert,<br />

jeweils strukturiert nach folgendem Schema:<br />

1. Kurze allgemeine Erläuterung zur betreffenden Grundmotivation im Video<br />

2. Exemplarisch ein zur Grundmotivation passendes Transskript aus Anhang 13.3/ 13.6<br />

3. Erläuterung zu Einzelthemen der jeweiligen Grundmotivation<br />

Die Transkriptionen der Videos sowie die kompletten Analysen der Grundmotivationen<br />

sind im Anhang unter 13.3 bis 13.7 festgehalten.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

7.2.1 Die Grundmotivationen in Video 1 (Tumorpatient)<br />

7.2.1.1 Die 1. Grundmotivation<br />

Die 1. GM kommt als durchtragende Grundmotivation in allen drei Sequenzen des<br />

Gesprächs vor, d.h. zu Beginn des Gesprächs (Minute 1:06 11 ), beim Informationen-<br />

Sammeln (2:26) und beim Informationen-Geben (5:11). Die 1. GM tritt 7-mal für sich<br />

alleine und viermal mit anderen Grundmotivationen kombiniert auf. Nur kurze Abschnitte<br />

sind nicht von der 1. GM bestimmt (1:22-2:17 und 3:03-3:08). Das Können und Da-Sein-<br />

Können treten besonders in den Vordergrund; Raum, Halt, Schutz und die Klärung der<br />

Bedingungen sind weitere sichtbare Themen. Ein Beispiel zur 1. GM ist in Tabelle 10<br />

festgehalten.<br />

Tabelle 10: Beispiel für die 1. GM (Auszug aus der Transkription von Video 1, Anhang 13.3)<br />

Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />

9:32 PT „Jetzt gebe ich Ihnen hier noch Druck auf beide Schultern und Sie versuchen sich<br />

aufzurichten entgegen diesem Druck.“ PT steht vor Pat. hin, zeigt die Fassung anhand<br />

ihrer eigenen Schultern und gibt dann Druck von oben auf die Schultern des Pat.<br />

9:41 PT „Versuchen Sie mal, ob Sie ganz gerade sitzen können.“ Pat. richtet sich auf.<br />

9:45 PT „Und atmen dazu, das ist sehr wichtig.“<br />

9:48 PT „Können Sie einen Moment so bleiben?“<br />

9:51 Pat. „Ich kann es versuchen.“<br />

9:54 PT geht auf die rechte Seite des Pat. und nimmt dessen Arm in ihre Hände, bewegt<br />

die Schulter endgradig in Flexion.<br />

10:04 PT „Geht das so?“<br />

10:05 Pat. zustimmend „M-m.“<br />

Folgende Einzelthemen der 1. GM sind in Video 1 beobachtbar:<br />

Raum<br />

Der Patient braucht öfters Zeit, bis er antwortet. Die Physiotherapeutin wartet mehrmals<br />

ab, lässt die Stille zu, wodurch sich im Gespräch ein Raum eröffnet, d.h. Raum ist hier im<br />

übertragenen Sinn gemeint (1:16). Die Physiotherapeutin bittet den Patienten sich<br />

aufzurichten in der Vertikalen gegen den Druck ihrer Hände (9:32, 10:32, vgl. Tabelle 10)<br />

oder allein (10:08), wodurch er mehr Raum einnimmt.<br />

11 Im Folgenden sind die Minuten gemäss Videozählung in Klammern angegeben (jeweils Beginn der<br />

Handlung/ Äusserung).<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Halt<br />

Die Physiotherapeutin sorgt dafür, dass der Patient guten Halt hat, indem sie ihn weiter an<br />

den Bettrand rücken lässt und die Füsse stabil platziert (8:04).<br />

Schutz<br />

Der Patient wird dösend angetroffen (1:06), tief unter der Bettdecke, die Mütze in die Stirn<br />

gezogen, die Augen geschlossen. All diese Faktoren schirmen ihn ab von der Aussenwelt<br />

und bieten daher Schutz. (Ev. bedeuten sie auch Abgrenzung von seiner Umwelt, was zur<br />

3. GM gehören würde.) Die Physiotherapeutin sorgt ihrerseits für den Schutz des<br />

Patienten, indem sie dem Patienten die Decke für die ganze erste Gesprächssequenz belässt<br />

bis sie das Einverständnis zum Aufsitzen einholt (bis 7:06) und indem sie flächig greift,<br />

sorgfältig den Arm bewegt und nach Rückmeldung fragt (insbesondere 8:26, 8:45, 8:54).<br />

Klärung der Bedingungen<br />

Die Physiotherapeutin will schauen, wie es dem Patienten geht (1:22). Dies beinhaltet die<br />

Frage „Wie ist es jetzt?“ und bedeutet existenzanalytisch gesprochen eine Anfrage zu den<br />

Bedingungen des Da-Seins. Später geht es um eine Bestandesaufnahme bezüglich der<br />

Schultern (2:26), der Schmerzen (2:30, 3:24, 3:30), des Hilfsmittels (3:12), der Gehstrecke<br />

(3:48), der Wärme (8:20), des Schwindlig-Seins (8:34), der Beweglichkeit (8:26, 8:45). Es<br />

wird eine Bestandesaufnahme des Zustandes gemacht, um die Bedingungen zu eruieren,<br />

die das Da-Sein-Können ermöglichen oder beeinträchtigen. Da die Physiotherapeutin<br />

länger nicht darauf zu sprechen kommt, fragt der Patient von sich aus danach, weshalb sie<br />

überhaupt hier sei (5:08) und, ob die Therapie im Liegen oder Sitzen stattfinde (6:47),<br />

beides Versuche, die Bedingungen der Therapie klarzustellen.<br />

Können und Nicht-Können<br />

Wie bei Video 2 (Kapitel 7.2.2) nimmt das Können beträchtlichen Raum ein und wird<br />

meist direkt verbal als Können benannt. Der Patient bemerkt, er „könne“ sich aufsetzen<br />

(6:08), die Physiotherapeutin will es genau beobachten (6:44) und der Patient kann es<br />

tatsächlich, aber mit einiger Mühe, ebenso das spätere wieder Sich-Hinlegen (7:18, 11:03).<br />

Seine Einschränkungen des Könnens zeigen sich damit. Weiter geht es um die Frage, ob<br />

der Patient so lange aufrecht sitzen kann und die Therapie noch aushält und ob er<br />

überhaupt aufrecht sitzen könne (6:55, 8:15, 9:30, 9:41). Damit ist eine besondere Form<br />

des Könnens angefragt, nämlich das Aushalten- und das Sein-Können. Der Patient aktiviert<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

zusätzlich probeweise sein Können, indem er meint, er könne es versuchen (9:51, vgl.<br />

Tabelle 10).<br />

7.2.1.2 Die 2. Grundmotivation<br />

Die 2. GM, bei der es um Zuwendung, Nähe, Berührung und Beziehungsaufnahme geht, ist<br />

der Hintergrund, auf der sich die ganze Therapie abspielt. Die Physiotherapeutin ist<br />

grundsätzlich in einer zugewandten Haltung und geht auf den Patienten ein.<br />

Auftragsbedingt arbeitet sie mit Berührung und geht immer wieder eine Nähe ein, die der<br />

Patient zulässt (Bsp. Testen der Schulterbeweglichkeit). Abgesehen von diesem<br />

Hintergrund, der von der 2. GM bestimmt ist, tritt die 2. GM viermal zusätzlich als eigenes<br />

Thema auf. Dies verteilt sich auf die drei Sequenzen Beginn des Gesprächs (1:41) –<br />

Informationen sammeln (5:08) – Informationen geben (8:01). Zuwendung und Leben<br />

mögen sind vorherrschende Einzelthemen ( Tabelle 11).<br />

Tabelle 11: Beispiel für die 2. GM (Auszug aus der Transkription von Video 1, Anhang 13.3)<br />

Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />

1:11 PT „Grüessech Herr Bodoni. Guten Tag.“<br />

1:15 Pat. mit schwacher Stimme, öffnet kaum die Augen „Guten Tag.“<br />

1:16 PT gibt dem Pat. die Hand „Mein Name ist Romann, Physiotherapeutin in<br />

Ausbildung.“ Kurze Stille.<br />

1:21 Pat. „Grüessech wohl.“<br />

1:22 PT „Ich komme von der Physiotherapie, um zu schauen, wie es Ihnen geht.“<br />

Folgende Einzelthemen der 2. GM treten in Video 1 auf:<br />

Zuwendung<br />

Wie oben erwähnt, arbeitet die Physiotherapeutin grundsätzlich in einer zugewandten<br />

Haltung. Besonders augenfällig wird dies bei der Begrüssung „Ich komme (...), um zu<br />

schauen, wie es Ihnen geht. (1:22, vgl. Tabelle 11). Auf die Frage, was er denn brauche,<br />

antwortet der Patient „Verstehen.“ (2:06). Verstehen ist eine Form der Zuwendung und des<br />

Schaffens von Beziehung.<br />

Beziehung<br />

Mit der Begrüssung beginnt auch die Beziehung. Der Patient geht zwar anfangs nur<br />

minimal darauf ein, reagiert aber doch (1:15, vgl. Tabelle 11).<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Leben mögen<br />

Der Patient grenzt sich mehrmals klar ab von der Physiotherapeutin (vgl. Kapitel 7.2.1.3).<br />

„Ich brauche keine Physiotherapie mehr“ ist eine seiner Äusserungen (1:44, vgl. Tabelle<br />

13). Der Patient sagt es liegend, die Augen zu, mit schwacher Stimme, offenbar aus einer<br />

(ev. opiatbedingten) grossen Müdigkeit heraus. Darin klingt an: „Ich mag nicht mehr.“<br />

7.2.1.3 Die 3. Grundmotivation<br />

Themen der 3. GM treten fünfmal auf, dreimal in der Sequenz Beginn des Gesprächs<br />

(1:27) und je einmal unter Informationen sammeln (3:08) und Informationen geben (6:08).<br />

Dabei zeigt sich die 3. GM viermal in einer abgrenzenden Reaktion, wovon ein Beispiel in<br />

Tabelle 12 aufgeführt ist.<br />

Tabelle 12: Beispiel für die 3. GM (Auszug aus der Transkription von Video 1, Anhang 13.3)<br />

Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />

1:22 PT „Ich komme von der Physiotherapie, um zu schauen, wie es Ihnen geht.“<br />

1:27 Pat. „Da sind Sie wohl falsch bei mir.“<br />

1:28 PT „Haben Sie das Gefühl (ich sei falsch bei Ihnen)?“ PT nimmt einen Stuhl, setzt<br />

sich ans Patientenbett und notiert jeweils die Antworten des Patienten.<br />

1:30 Pat. brummt „Ja.“<br />

Die 3. GM zeigt sich in Video 1 folgendermassen:<br />

Abgrenzung<br />

„Da sind Sie wohl falsch bei mir.“ (1:27, vgl. Tabelle 12): Dieser Satz erscheint als klar<br />

abgrenzende Aussage und wird zusätzlich unterstrichen durch einen abweisenden Tonfall<br />

und die kurz angebundene Art des Patienten. Er bekräftigt seine Abgrenzung kurz darauf<br />

nochmals („Ich brauche keine Physiotherapie mehr“, 1:44, vgl. Tabelle 13). Eine ähnliche,<br />

leicht ärgerlich klingende Reaktion folgt später, als die Physiotherapeutin etwas unpräzise<br />

nachfragt, wie er denn gehe – „Nicht auf den Händen.“ lautet die Antwort (3:08). Die<br />

Physiotherapeutin will schliesslich die Technik des Aufsitzens verifizieren. Wiederum<br />

folgt eine etwas barsche Antwort, er könne sich aufsetzen (6:08).<br />

Anerkennung - Beachtung<br />

Auf die Frage, was er brauche, antwortet der Patient „Verstehen“ (2:06, vgl. Tabelle 13).<br />

Das Verstanden-Werden beinhaltet ein Beachtet-Werden im eigenen So-Sein und enthält<br />

so ein Element der 3 GM.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

7.2.1.4 Die 4. Grundmotivation<br />

Die 4. GM kommt einmal vor in der Sequenz „Beginn des Gesprächs“. Die Frage nach<br />

dem wert- und sinnerfüllten Leben steht dabei im Zentrum, vgl. Beispiel in Tabelle 13.<br />

Tabelle 13: Beispiel für die 4. GM (Auszug aus der Transkription von Video 1, Anhang 13.3)<br />

Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />

1:41 PT „Warum wäre ich denn falsch bei Ihnen?“<br />

1:44 Pat. „Ich brauche keine Physiotherapie mehr.“<br />

1:47 PT „Sicher?“<br />

1:48 Pat. „Ja.“ Pat. windet sich etwas im Bett.<br />

1:51 PT „Was brauchen Sie denn?“<br />

2:06 Pat. überlegt schweigend: „Verstehen brauche ich.“<br />

2:08 PT nickt „Mm.“ – Pause<br />

2:14 PT „Sie haben eine schwere Diagnose, habe ich gesehen.“<br />

2:17 Pat. zustimmend „Mm. - Mm.“<br />

Die 4. GM wird in Video 1 in folgender Weise sichtbar:<br />

Sinnvolles wollen<br />

Der Patient fragt sich, was die Physiotherapie soll und äussert sich abwehrend (1:27, 1:44,<br />

vgl. Tabelle 12 und Tabelle 13). Neben dem Nicht-Mehr-Mögen klingt die Frage mit an:<br />

„Was hat die Physiotherapie noch für einen Sinn bei einem Patienten wie mir?“. Dies<br />

entspricht der Grundfrage der 4. GM „Ich bin da – wofür ist es gut?“ (s. Tabelle 6).<br />

Seite 38


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

7.2.2 Die Grundmotivationen in Video 2 (Patient nach CVI)<br />

7.2.2.1 Die 1. Grundmotivation<br />

Die 1. GM kommt in allen Sequenzen des Gesprächs vor, insgesamt 12-mal. Nur ein<br />

kurzer Moment ist nicht von der 1. GM bestimmt (7:11-8:12). Raum, Schutz und Halt sind<br />

das Thema der 1. GM, welche das Sein-Können und das Können ermöglichen und im<br />

Video gut sichtbar sind. Ein Beispiel findet sich in Tabelle 14.<br />

Tabelle 14: Beispiel für die 1. GM (Auszug aus der Transkription von Video 2, Anhang 13.6)<br />

Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />

6.25 PT „Und jetzt den Arm nochmals hochnehmen.“<br />

PT macht es gleichzeitig vor.<br />

6.26 Pat. legt die Hand korrekt geführt auf den Tisch.<br />

6:31 PT „Ich helfe Ihnen noch mit dem Bein.“ PT führt das betroffene Bein nach. PT ...<br />

„damit Sie es gut aufstellen können.“<br />

6:40 Pat. hat die Handfläche flach auf die Tischplatte gelegt und streicht sich über den<br />

Arm.<br />

6:41 PT „Ja, das ist sehr gut. Wenn Sie am Tisch sind“ ...<br />

6:43 Pat. schiebt die Gegenstände auf dem Tisch (Radio, Äpfel, Zeitschrift) aus dem Weg.<br />

6:45 PT „Ja, danke.“<br />

6:48 Pat. „Jaa, mm, Platz braucht’s.“ Legt Unterarme auf dem Tisch ab.<br />

6:51 PT „Ja, das braucht’s, merci.“<br />

6:54 PT „Wenn Sie am Tisch sitzen und lesen, ist es gut, wenn Sie den Arm auf den Tisch<br />

nehmen.“<br />

7:05 Pat. „Ja.“<br />

Folgende Einzelthemen der 1. GM sind in Video 2 sichtbar:<br />

Raum<br />

Die Physiotherapeutin schafft akustisch Raum, indem sie dafür sorgt, dass das Radio<br />

abgestellt wird (2:05). Der Patient räumt die Gegenstände auf dem Tisch weg, als sie ihm<br />

in die Quere kommen (6:43, vgl. Tabelle 14). Die Physiotherapeutin bittet den Patienten,<br />

sich in die Mitte des Bettes zu setzen, damit er Platz hat (10:01). Eine Übung des Patienten<br />

Seite 39


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

ist dem Aufrichten und damit dem Raum-Einnehmen in der Vertikalen gewidmet (10:24,<br />

11:27).<br />

Halt<br />

Die Physiotherapeutin unterstützt den Patienten beim Heranrücken an den Tisch (6:21) und<br />

Platzieren der Füsse im Sitz (10:44).Der Patient sucht Halt am Tisch beim Aufstehen sowie<br />

am Bett beim Gehen (9:37) und stützt sich auf beim Sitzen (10:33). Die Physiotherapeutin<br />

gibt Erklärungen ab, wie der Arm geschützt werden kann, erklärt, was gut wäre, was in<br />

übertragenem Sinn „Halt“ bedeutet (5:08).<br />

Schutz<br />

Das Handhaben des gelähmten Armes zum Schutz vor Verletzungen – in der<br />

Physiotherapie explizit „Instruktion Armschutz“ genannt – ist über eine längere Strecke<br />

der Behandlung ein Thema (5:08-9:11, vgl. Tabelle 14).<br />

Klärung der Bedingungen<br />

Zur Klärung des Settings stellt sich die Physiotherapeutin vor (1:45) und erklärt, warum sie<br />

da ist (2:54). Der Patient will verstehen, warum die fremde Physiotherapeutin da ist (2:33)<br />

und wie sie heisst (3:27). Auf physischer Ebene spielt diese Klärung ebenfalls eine<br />

wichtige Rolle, indem in der physischen Untersuchung evaluiert wird, was der Patient<br />

spürt (4:14, 10:56) und was er kann (z.B. 2:22, 5:34, 8:15, 9:15).<br />

Können und Nicht-Können<br />

Dieses Thema nimmt viel Raum ein, einerseits durch die Haltung der Physiotherapeutin,<br />

indem sie soviel Selbstständigkeit und eigenes Tun wie möglich (=Können) beim Patienten<br />

lässt und ihn oft erst unterstützt, wenn er es selber versucht hat. So überlässt sie es dem<br />

Patienten, das Radio auszuschalten (2:22) und an den Tisch zu rücken (6:17). Andererseits<br />

wird das Können sichtbar, indem der Patient zeigt, welche Fähigkeiten er bereits<br />

beherrscht und kennt, z.B. das Umgehen mit Hand und Arm (5:34, 6:02, 6:26, 8:31, vgl.<br />

Tabelle 14), das Aufstehen und Gehen (9:37), das Vermögen, sich aufzurichten (10:33,<br />

11:38). Bei all diesen Handlungen und bei zwei Momenten, wo der Patient über seine<br />

Sprachbehinderung stolpert (2:49, 7:36) zeigt sich jeweils auch seine Behinderung, d.h.<br />

existenzanalytisch gesprochen das „Nicht-Können“ oder das behinderte Können.<br />

Seite 40


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

7.2.2.2 Die 2. Grundmotivation<br />

Die zugewandte Haltung (2. GM), welche die Grundlage der therapeutischen Beziehung<br />

bildet, ist auch in Video 2 als Hintergrund feststellbar (vgl. Video 1). Fünfmal, verteilt auf<br />

alle drei Sequenzen, rückt die 2. GM zusätzlich besonders ins Zentrum mit den Themen<br />

Zuwendung, Beziehung und Berührung, z.B. beim Testen der Sensibilität, vgl. Tabelle 15.<br />

Tabelle 15: Beispiel für die 2. GM (Auszug aus der Transkription von Video 2, Anhang 13.6)<br />

Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />

10:56 PT berührt das gesunde Bein „Spüren Sie dieses Bein?“<br />

10:57 Pat. nickt „Ja.“<br />

11:58 PT berührt das betroffene Bein.<br />

„Wie ist es mit diesem?“<br />

11:00 Pat. wiegt den Kopf hin und her, brummt.<br />

11:03 PT „(Sie spüren dieses Bein) weniger?“<br />

11:09 PT „Also.“ PT steht auf.<br />

11:16 Pat. „Ja, das ist schwierig.“<br />

Folgende Einzelthemen der 2. GM zeigen sich hierbei in Video 2:<br />

Zuwendung<br />

Wie erwähnt wendet sich die Physiotherapeutin grundsätzlich für die Therapie dem<br />

Patienten zu und schafft den Raum dazu (2:05). Sie schüttelt ohne Kommentar die linke<br />

Hand, die der Patient ihr entgegenstreckt und besteht nicht auf der üblichen rechten Hand<br />

(1:47).<br />

Beziehung<br />

Der Patient gestaltet aktiv die Beziehung, als er genau wissen will, wie die Therapeutin<br />

heisst (3:27). Ausserdem will er erfahren, was für eine Zeichnung die Physiotherapeutin in<br />

ihren Unterlagen hat, fragt danach, will es verstehen und nimmt damit Beziehung auf zu<br />

seiner Umgebung (7:21).<br />

Berührung/ Berührt sein<br />

Bei der physischen Untersuchung testet die Physiotherapeutin die Oberflächensensibilität<br />

des Patienten und streicht dabei über verschiedene Zonen seines Arms und des Beins (4:24,<br />

11:58). Dies bedeutet Berührt-Sein auf der physischen Ebene und ist vom Patienten auf der<br />

Seite 41


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

betroffenen Körperseite nicht wahrnehmbar wegen des Sensibilitätsausfalls (4:31, 11:00,<br />

vgl. Tabelle 15).<br />

7.2.2.3 Die 3. Grundmotivation<br />

Die 3. GM ist fünfmal zu beobachten verteilt auf die Sequenzen Beginn des Gesprächs und<br />

Informationen geben. Sowohl Anerkennung als auch Ärger, die Coping-Reaktion der<br />

3. GM, sind bestimmend. Ein Beispiel zur 3. GM ist in Tabelle 16 aufgeführt.<br />

Tabelle 16: Beispiel für die 3. GM (Auszug aus der Transkription von Video 2, Anhang 13.6)<br />

Zeit Wortlaut/ Handlungen<br />

2:32 Pat. versucht Worte zu finden.<br />

2:33 Pat. „Frau Nehmer?“<br />

2:34 PT „Frau Nehmer.“<br />

2:39 Pat. brummt etwas, versucht, sich zu äussern.<br />

2:43 Pat. „Frau Nehmer....“<br />

Pat. gestikuliert dazu, will etwas erklären.<br />

2:49 Pat. versucht vergeblich, die Worte zu finden, schlägt mit der Faust auf den Tisch.<br />

2:50 Pat. „Was, was, was ist? Warum?“<br />

Pat. zeigt auf die PT.<br />

2:54 PT „Frau Nehmer ist krank. Also Frau Nehmer, Ihre Physiotherapeutin. Verstehen<br />

Sie?“<br />

3:00 Pat. „Ja, ja, ja.“<br />

Folgende Einzelthemen der 3. GM lassen sich in Video 2 identifizieren:<br />

Anerkennung - Beachtung<br />

Gleich zu Beginn bei der Begrüssung streckt der Patient seine gesunde linke Hand der<br />

Physiotherapeutin entgegen, welche sie ohne zu zögern mit ihrer rechten schüttelt (1:47).<br />

In dieser Handlung anerkennt sie sein So-Sein und akzeptiert, dass er nicht die behinderte<br />

rechte Hand einsetzen will.<br />

Abgrenzung<br />

Als der Patient an den Tisch rücken will, bemerkt die Physiotherapeutin, dass es schwierig<br />

sei (6:21). Der Patient findet hingegen, es gehe, d.h. er besteht auf seiner eigenen<br />

Einschätzung.<br />

Seite 42


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Personsein<br />

Der Patient besteht darauf, den Namen der Physiotherapeutin nochmals zu erfahren.<br />

Dahinter ist die Frage „Wer bist Du?“, die Frage nach der Person und auch das Abgrenzen<br />

des Eigenen vom Andern.<br />

Ärger<br />

Der Patient stolpert zweimal über seine Sprachbehinderung, will etwas sagen, kann es<br />

nicht und schlägt mit der Faust auf den Tisch (2:49, 7:36, vgl. Tabelle 16). Dies kann<br />

gedeutet werden als Ärger über seine eigenen Grenzen.<br />

7.2.2.4 Die 4. Grundmotivation<br />

Die 4. GM, bei der es darum geht, das gemäss eigenem Empfinden wert- und sinnerfüllte<br />

Leben zu verwirklichen, wurde im untersuchten Video nicht angetroffen.<br />

8 Diskussion<br />

„Welche Methoden und Haltungen der EA/LT lassen sich im physiotherapeutischen<br />

Setting konkret einsetzen?“ lautet die Grundfrage dieser Arbeit, vgl. Kapitel 5. Sie wurde<br />

untersucht anhand einer ersten phänomenologischen Betrachtung zweier Videos (Frage 1),<br />

sowie der Analyse der Videos mit der Frage, ob die vier Grundmotivationen der EA/LT im<br />

physiotherapeutischen Setting überhaupt vorkommen (Frage 2.1) bzw. welche betroffen<br />

sind (Frage 2.2).<br />

8.1 Die phänomenologische Betrachtungsweise (Frage 1)<br />

Die phänomenologische Betrachtungsweise eignete sich zur Sequenzierung und die<br />

Sequenzen konnten für die weitere Analyse verwendet werden. Die Grundmotivationen<br />

konnten in einem ersten Durchgang ebenfalls gut wahrgenommen werden.<br />

8.2 Die Grundmotivationen im physiotherapeutischen Setting (Frage<br />

2.1)<br />

Die in Kapitel 4.2.8 beschriebenen Grundmotivationen in ihren verschiedenen Aspekten<br />

konnten gemäss der Video-Analyse auch im physiotherapeutischen Setting gefunden<br />

werden.<br />

Seite 43


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

8.3 Die Grundmotivationen in der Video-Analyse (Frage 2.2)<br />

In der vorliegenden qualitativen Studie wurden Äusserungen bzw. Handlungen auf der<br />

Ebene der 1., 2., und 3. GM und eine einzelne auf der Ebene der 4. GM gefunden. Dabei<br />

war die 1. GM auffallend häufig anzutreffen. Auch Tätigkeiten, die durchaus auf der<br />

emotionalen Ebene stattfinden können wie z.B. „Halt finden“ (1. GM) oder „Zuwendung<br />

erfahren“ und „berührt sein“ (beide 2. GM) fanden Ausdruck auf der körperlichen Ebene<br />

als Halt-Finden am Tisch und am Bett, Zuwendung zum plegischen Arm, Berührt-Sein im<br />

Sensibilitätstest.<br />

Möglich ist, dass dies mit der Therapieform Physiotherapie zusammenhängt, welche den<br />

Körper als zentrales Wirkungsgebiet hat. Denkbar ist auch, dass es von der schweren<br />

physischen Beeinträchtigung des Tumor- und des CVI-Patienten abhing, bei denen es<br />

zuerst einmal darum ging im schwer betroffenen Körper – existenzanalytisch gesprochen –<br />

wieder „sein zu können“. Inwiefern diese Häufung des Auftretens der 1. GM mit<br />

verwandten Arbeitsbereichen, z.B. der Pflege, übereinstimmt, konnte nicht eruiert werden,<br />

da entsprechende Literatur fehlt.<br />

Die 2. GM war als Hintergrund der Therapie in der zugewandten Haltung der<br />

Physiotherapeutin durchgängig erkennbar. Als explizites Thema und als Motivation vom<br />

Patienten her tauchte die 2. GM daneben vereinzelt auf. Dies, z.B. wo der Patient selber die<br />

Beziehung gestaltete, im oben erwähnten physischen Berührt-Sein oder in der Negation als<br />

Nicht-Leben-Mögen.<br />

Die 3. GM war vereinzelt beobachtbar, z.B. in der Abgrenzung des Patienten, im<br />

Anerkannt-Werden in seinem So-Sein durch die Therapeutin und in der Coping-Reaktion<br />

als Ärger.<br />

Die 4. GM mit dem Motiv „Sinnvolles wollen“ und „Verantwortung übernehmen“ für das<br />

als sinnvoll Erkannte wurde nur in Video 1 implizit sichtbar, wo der Patient die<br />

Physiotherapie ablehnte. „Wozu denn noch Physiotherapie in meinem Zustand?“, lautete<br />

vermutlich die Frage im Hintergrund.<br />

Es kann etwas erstaunen, dass die 2., 3. und 4. GM in den beiden Videos weniger im<br />

Vordergrund stehen, zumal die Fragen „Mag ich leben?“ (2. GM) und „Darf ich so sein?“<br />

und die Frage nach dem Selbstwert (3. GM) bei so schweren Beeinträchtigungen<br />

keineswegs abwegig sind. Die 4. GM mit der Sinnfrage („Wozu?“) ist bei irreversiblen<br />

Krankheiten ebenfalls wesentlich (vgl. Kapitel 4.3). Abgesehen davon, dass die Häufigkeit<br />

Seite 44


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

des Auftretens einer Grundmotivation bei dieser qualitativen Studie nur als Tendenz<br />

gedeutet werden kann, kann das verminderte Vorkommen der 2., 3. und 4. GM mehrere<br />

Gründe haben:<br />

Wegen des klar funktionell formulierten Auftrags der Physiotherapeutin stand wie<br />

erwähnt die physische Ebene (1. GM) im Vordergrund.<br />

Aufgrund der schwer beeinträchtigenden Pathologien standen das Können,<br />

Wiedererlangen der Fähigkeiten und Aushalten der Situation (1. GM) im Fokus.<br />

Bei einer länger dauernden Therapie könnte es möglich und nötig werden, die<br />

Themen der 2. und 3. GM besser auszuleuchten. Das Erleben und Mögen könnte<br />

angefragt werden („Wie fühlt es sich an, aufrecht zu sitzen? Mögen Sie das?“) und<br />

bewusst als Therapiemotivation integriert werden. Die Zuwendung könnte angefragt<br />

und nach Möglichkeit unterstützt werden, damit der Patient zu sich und seiner<br />

gelähmten Hand schaut (2. GM) und für sich selber Verantwortung übernimmt<br />

(3. GM). Bei länger bestehender therapeutischer Beziehung kämen eventuell sowohl<br />

2. (Beziehung) als auch 3. GM (Personsein, Selbstwert) stärker zum Zug.<br />

Die 4. GM könnte in einem anderen Stadium der Therapie aktuell werden, z.B. beim<br />

CVI-Patienten, wenn es um den Austritt, die Konfrontation mit der Aussenwelt geht,<br />

wenn deutlicher wird, welche früheren Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt werden<br />

können und wenn der Patient neu herausfinden muss, was er will.<br />

8.4 Methodenkritik<br />

Aus Zeitgründen wurde die phänomenologische Betrachtung lediglich als Mittel zum<br />

Zweck der Sequenzierung und Zuordnung der Grundmotivationen einbezogen. Es ist zu<br />

vermuten, dass dieser methodische Punkt ausgebaut werden könnte, indem die<br />

betrachtende Person vertiefter gemäss der phänomenologischen Betrachtungsweise als<br />

Resonanzraum fungiert und detaillierter wahrnimmt. Möglicherweise ergäbe sich daraus<br />

ein noch detaillierteres Bild der vorherrschenden Themen.<br />

Was aus dieser Untersuchung nicht klar wurde, ist, ob es Handlungen oder Äusserungen<br />

gibt, die nicht im Zusammenhang mit einer Grundmotivation stehen. Vermutlich ist dies<br />

eine Frage der Sequenzierung: Wenn die Grenzen enger gesetzt werden, welche Dialoge zu<br />

einem Thema dazugezählt werden, ergeben sich vielleicht auch „Zwischenstücke“, ohne<br />

besondere Zuordnung.<br />

Seite 45


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Es zeigte sich, dass die Zuordnung der Grundmotivationen nicht immer eindeutig war.<br />

Ursache dafür war, dass in der Situation zuwenig nachgefragt werden konnte oder vom<br />

Patienten zuwenig Informationen kamen, wie er etwas erlebt (2. GM) oder wie er sich dazu<br />

stellt (3. GM). Dies einerseits aufgrund der Ausdrucksbehinderungen der Patienten,<br />

andererseits wegen des Fokus, der mehr auf den physiotherapeutischen Auftrag<br />

(Mobilisierung etc.) als auf die Grundmotivationen gerichtet war.<br />

Es wurden nur die ersten 10 Minuten des Videos analysiert. Bei einer Analyse der ganzen<br />

Therapie, wo auch die Zielsetzung für das nächste Mal einbezogen wäre, würden ev.<br />

Themen der 2. GM („Was mag ich nächstes Mal tun?“) oder der 4. GM („Was ist das<br />

Ziel?“) wichtiger.<br />

9 Schlussfolgerungen<br />

Die Grundmotivationen aus der EA/LT lassen sich in einer physiotherapeutischen<br />

Behandlung wiederfinden, wie diese Untersuchung gezeigt hat. Wie lassen sich die<br />

Erkenntnisse nun nutzen für die Physiotherapie, die nicht eine primär verbal arbeitende<br />

Therapie ist, wie andere Berufsfelder, wo die EA/LT häufig eingesetzt wird?<br />

Entscheidend scheint die Frage nach der Motivation und Kooperation in der Therapie,<br />

insbesondere bei auftretenden Widerständen. Die Analyse der Grundmotivationen und<br />

detaillierte Motivationslehre der EA/LT erlauben einen erweiterten Blick auf das Verhalten<br />

des Patienten in einer physiotherapeutischen Behandlung und können Hilfe bieten beim<br />

Verstehen, Nachfragen und Intervenieren für weitere Behandlungen:<br />

1. Zur Analyse könnten konkrete Fragen, die bereits in anderen Berufsfeldern erprobt<br />

sind, eingesetzt und spezifisch für die Physiotherapie angepasst werden, vgl. Tabelle<br />

17 (s.a. Kapitel 4.2.8, sowie IGEAP 2008 und Jones & Luginbühl 2002).<br />

Tabelle 17: Fragen für die physiotherapeutische Praxis, gegliedert nach Grundmotivationen<br />

GM Frage für die physiotherapeutische Praxis<br />

1. GM „Was hilft Ihnen, diese Tätigkeit zu tun oder die Schmerzen auszuhalten?“<br />

2. GM „Was tun Sie gern? Wie haben Sie es erlebt, als Sie wieder Velo fuhren?“<br />

3. GM „Wenn Sie nur auf sich hören, wofür würden Sie sich entscheiden z.B.<br />

bezüglich eines Aufenthaltes im Rehabilitationszentrum?“<br />

4.GM „Was ist Ihnen jetzt wichtig, wofür wollen Sie das wieder können?“<br />

Seite 46


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Die Wichtigkeit von Halt, Raum und Schutz (1. GM) in der physio-therapeutischen<br />

Praxis kommt in der vorliegenden Analyse und Diskussion deutlich zum Ausdruck<br />

(vgl. Kapitel 7.2 und 8.3). Mit Fragen, wie sie in Tabelle 17 dargestellt sind, könnten<br />

auch die Grundmotivationen 2-4, die in der vorliegenden Video-Analyse weniger<br />

zum Zuge kommen, bewusster angefragt und integriert werden, sofern es der<br />

physiotherapeutischen Behandlung dient. So ist das Erleben (2. GM) eines Patienten<br />

nicht nur nicht nur für das Leben-Mögen relevant, sondern auch für die<br />

Therapiemotivation, das eigenverantwortliche Üben und damit den<br />

Behandlungserfolg (vgl. Kapitel 4.2.8.2 und 4.3.1). Die Selbstakzeptanz (3 GM)<br />

z.B. mit einer sichtbaren Behinderung entscheidet darüber, ob der Patient aktiv bleibt<br />

oder es wieder vermehrt wird (vgl. Ziele der Physiotherapie nach physioswiss 2009).<br />

Die Sinn- und Zukunftsperspektive (4. GM) sind – je nach Beeinträchtigung in<br />

unterschiedlicher Ausprägung – wesentlich für die Frage auch nach Sinn und<br />

Ausrichtung der physiotherapeutischen Behandlung.<br />

2. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie haben gezeigt, dass die Physiotherapeutin bei<br />

der therapeutischen Intervention die Grundmotivationen einbeziehen und z.B.<br />

gezielt die unterstützenden Bedingungen fördern kann, wie Halt, Raum oder<br />

Aushalten-Können (1. GM). Sei es indem die Physiotherapeutin die entsprechende<br />

Haltung einnimmt oder den Patienten dazu einlädt, selber aktiv zu werden. (Die<br />

Wichtigkeit des Vermittelns von Halt durch Information wird bei Längle (2005)<br />

postuliert sowie bei Müller & Lühmann (2005) für Patienten mit chronischem<br />

Schemerz.). In den Videos zeigt sich, dass viel existenzanalytisch Wichtiges averbal<br />

geschieht. Je nach Situation könnte es daher hilfreich sein, wenn die<br />

Physiotherapeutin das Wahrgenommene im Verhalten des Patienten vermehrt<br />

verbalisiert.<br />

3. Die Physiotherapeutin kann sich – wie diese Arbeit zeigt – durch den Einbezug<br />

existenzanalytischer Gesichtspunkte bewusst werden, auf welcher Ebene die<br />

Schwierigkeiten und Möglichkeiten eines Patienten liegen, und verfügt mit dem<br />

Konzept der Grundmotivationen über ein spezifisches Instrument zur<br />

Wahrnehmung und Analyse.<br />

4. Existenzanalytische Fragestellungen können voraussichtlich auch bei der<br />

Selbstreflexion dienlich sein. Die Reflexion kann dabei z.B. helfen, nicht von einer<br />

Dynamik des Patienten (depressive Verstimmung, Ärger..) mitgezogen zu werden.<br />

Seite 47


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

5. In der Praxis könnte eine eingehendere phänomenologische Betrachtung<br />

insbesondere bei einer länger dauernden Therapie angebracht sein, z.B. wenn sich<br />

Widerstände beim Patienten oder der Physiotherapeutin zeigen oder wenn ein Thema<br />

immer wieder auftaucht. Möglicherweise würde das bedingen, dass genauer beim<br />

Patienten nachgefragt würde nach dessen Empfindung oder Einstellung. Dabei wäre<br />

abzuwägen, inwiefern weiteres Fragen mit den physiotherapeutischen Zielen zu<br />

vereinbaren ist und diese fördert.<br />

Der Einbezug existenzanalytischer und logotherapeutischer Elemente in die<br />

physiotherapeutische Behandlungspraxis ist möglich, wie diese Studie gezeigt hat (s.o.<br />

Punkt 1.-5.). Es ist zu vermuten, dass dies die Kommunikation zwischen Therapeutin und<br />

Patient fördert, weil ein tieferes Verständnis der Beweggründe möglich wird. Damit könnte<br />

die EA/LT einen Beitrag leisten zur Verbesserung der Kommunikation in der<br />

Physiotherapie, wie das zunehmend gefordert wird (Betz et al 2006, Friedel 2008, Gifford<br />

2005, Hoos-Leistner & Balk 2008, Jeffels & Forster 2003, Klenger 2008, Schneider 2008,<br />

Silvermann et al 2007).<br />

Zudem kann angenommen werden, dass der Blick auf die Grundmotivationen<br />

Möglichkeiten schafft, anders mit der körperlichen Beeinträchtigung umzugehen, indem<br />

der Patient als aktiver Beteiligter gesehen wird. Dies könnte in positivem Sinne wirksam<br />

sein auf die Haltung zur Krankheit und die Eigenaktivität, was Mehnert (2006) als<br />

entscheidend für Krankheitsverlauf und den Umgang damit identifiziert hat und was von<br />

verschiedenen Autoren am Beispiel der Therapie chronischer Schmerzpatienten unterstützt<br />

wird (vgl. insbesondere Mannion 2004, Schug & Grape 2009).<br />

Wie die Video-Analyse in dieser Arbeit zeigt, war die 1. Grundmotivation besonders im<br />

Fokus in der physiotherapeutischen Behandlung. Wenn dies der Therapeutin bewusst ist,<br />

kann sie diese gezielt anfragen und unterstützen (s.o. Punkt 1 und 2). Sie kann damit einen<br />

Beitrag leisten an die Verstehbarkeit und Handhabbarkeit der Situation, welche zwei<br />

Elemente des Kohärenzgefühls und damit zwei Postulate der salutogenetischen<br />

Vorgehensweise sind (vgl. Kapitel 4.3.6; Hengeveld 2006). Da das Kohärenzgefühl stark<br />

mit Gesundheit und Erhaltung der Gesundheit korreliert (Lindström & Eriksson 2005a,<br />

Eriksson & Lindström 2005b, Eriksson & Lindström 2006), könnte ein<br />

existenzanalytischer Ansatz in der Physiotherapie über die Stärkung der<br />

1. Grundmotivation gesundheitsfördernd wirken.<br />

Seite 48


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

10 Weitere Forschungsansätze und Ausblick<br />

Die vorliegende Untersuchung war qualitativ konzipiert und auf die Grundmotivationen<br />

fokussiert. Im Anschluss an diese Studie ergeben sich eine Reihe interessanter<br />

Fragestellungen:<br />

Gibt es spezielle Sequenzen oder Situationen innerhalb der physiotherapeutischen<br />

Behandlung, wo Elemente aus der EA/LT besonders gewinnbringend eingesetzt<br />

werden können?<br />

Lässt sich etwas darüber sagen, wie sich die EA/LT-Intervention im untersuchten<br />

Kontext auf physiotherapeutische Ziele auswirkt (Tonus, Angst, Therapiemotivation,<br />

Wahrnehmung des Symptoms, symptomfreier Zonen)?<br />

Lassen sich Schlüsse ziehen, für welche Patientengruppen in der Physiotherapie die<br />

EA/LT besonders geeignet sein könnte? Dies z.B. im Vergleich von akut versus<br />

chronisch Kranken, Patienten mit relativ geringfügigen Beeinträchtigungen versus<br />

solche mit erheblicher Einschränkung im Alltag.<br />

In dieser Untersuchung wurde auf die Grundmotivationen der EA/LT fokussiert. Die<br />

EA/LT verfügt aber über eine Reihe anderer Konzepte und Methoden wie z.B. die<br />

Schritte der Personalen Existenzanalyse (PEA), die Personale Positionsfindung (PP),<br />

die Einstellungsänderung, oder die Willensstärkungsmethode. Es wäre zu<br />

untersuchen, welche davon in der physiotherapeutischen Praxis anwendbar sind.<br />

Interessant wären auch Methodenvergleiche mit bereits in der Physiotherapie<br />

bekannten Kommunikationsmethoden wie Transaktionsanalyse, Methode nach Carl<br />

Rogers oder Salutogenese: Inwiefern unterscheiden sich Haltungen, Wahrnehmung<br />

und Interventionen und wie wirkt sich das auf die Physiotherapie aus?<br />

Zur Untersuchungsmethodik: Für die vorliegende Untersuchung werden Videos aus<br />

den Kommunikationstrainings eingesetzt. Es wird davon ausgegangen, dass diese<br />

realen physiotherapeutischen Situationen entsprechen, vgl. Kapitel 6. Gibt es<br />

dennoch Unterschiede zwischen „gespielter“ und realer Situation bei<br />

logotherapeutischen Interventionen im echten Patientensetting?<br />

Tendenziell zeigte sich in der Untersuchung ein Vorherrschen von Themen der<br />

1. GM, was jedoch nicht statistisch belegt ist aufgrund der gewählten Methode der<br />

qualitativen Analyse. Eine quantitative Untersuchung würde Vergleiche mit anderen<br />

Berufsgattungen zulassen und Aufschluss darüber geben, worauf beim<br />

therapeutischen Umgang besonderes Augenmerk gelegt werden soll.<br />

Seite 49


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Brennpunkt all dieser Forschungsfragen ist das eingangs erwähnte Ziel der Physiotherapie<br />

(vgl. Kapitel 3.1):<br />

„Die Physiotherapie bietet den Menschen Lösungsansätze, mit denen Einschränkungen und<br />

Beeinträchtigungen der Bewegungs- und Funktionsfähigkeit sinnvoll und<br />

funktionsorientiert behandelt (...) werden können.“ (physioswiss 2009).<br />

„Sinnvoll“ könnte in existenzanalytischer Erweiterung bedeuten, Patientinnen und<br />

Patienten in der Physiotherapie darin zu unterstützen, dass sie mit den vorhandenen<br />

Bedingungen „da sein können“ (1. GM), „leben mögen“ (2. GM), „so sein dürfen“ (3. GM)<br />

und gemäss ihren eigenen Zielen „Sinnvolles wollen“ (4. GM) und verwirklichen können.<br />

Seite 50


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

11 Abkürzungsverzeichnis<br />

Abkürzung Bedeutung<br />

CVI Cerebrovaskulärer Insult (dt. „Hirnschlag“)<br />

EA Existenzanalyse<br />

F Freiheit<br />

<strong>GLE</strong> Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse<br />

GM Grundmotivation<br />

IGEAP <strong>International</strong>e Gesellschaft für Existenzanalytische Psychotherapie<br />

LT Logotherapie<br />

Pat. Patient<br />

PEA Personale Existenzanalyse<br />

PT Physiotherapeutin<br />

SD Selbstdistanzierung<br />

ST Selbsttranszendenz<br />

V Verantwortung<br />

Seite 51


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

12 Literaturverzeichnis<br />

Abplanalp C und Tannast C, 1999. Compliance. Selbstverantwortung des Patinten, seine<br />

Gesundheit wiederherzustellen, zu verbessern und aufrechtzuerhalten integriert in und<br />

unterstützt durch die Physiotherapie. Bern, Diplomarbeit, Schule für Physiotherapie,<br />

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der <strong>GLE</strong>/ Wien.<br />

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Villinger C und Baumann S, 1997. Welchen Einfluss haben die Beziehung und das Coping<br />

auf die Kooperation zwischen Physiotherapeut und Patient? Bern, Diplomarbeit, Schule für<br />

Physiotherapie Inselspital.<br />

Seite 60


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

13 Anhang<br />

13.1 Literaturrecherche Pubmed (2008)<br />

In Tabelle 18 folgt die Darstellung der Suchwörter bei der Literaturrecherche in Pubmed<br />

(2008) zu den Themen Physiotherapie, Existenzanalyse, Logotherapie, Kommunikation.<br />

Tabelle 18: Literaturrecherche in Pubmed (2008)<br />

Nr. Suchwort Anzahl Hits<br />

#46 Search ((communication skills)) AND (#29) 119<br />

#45 Search (communication skills) AND (#28) 51<br />

#44 Search communication skills 13756<br />

#43 Search ((anamnes*)) AND (#29) 19<br />

#42 Search (anamnes*) AND (#28) 16<br />

#41 Search anamnes* 6695<br />

#40 Search ((#8) ) AND (#29) 0<br />

#39 Search (#8) AND (#28) 0<br />

#38 Search ((#7)) AND (#29) 0<br />

#37 Search (#7) AND (#28) 0<br />

#36 Search existen* analy* 37081<br />

#35 Search (#23) AND (#29) 1<br />

#34 Search (#23) AND (#28) 2<br />

#33 Search (#14) AND (#28) 2<br />

#32 Search (#14) AND (#29) 1<br />

#31 Search (#28) AND (#5) 384<br />

#30 Search (physical therap*) AND (#5) 923<br />

#29 Search physical therap* 35066<br />

#28 Search physiotherap* 14530<br />

#23 Search logotherap* 70<br />

#1 Search Physiotherapy AND Communication 1660<br />

Seite 61


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Forts. Tabelle 18<br />

Nr. Suchwort Anzahl Hits<br />

#20 Search communication AND patient 86185<br />

#21 Search communication AND patient AND physical therapy 1562<br />

#19 Search logotherapy AND nursing 3<br />

#18 Search logotherapie AND nursing 0<br />

#17 Search logotherapie AND physiotherapie 0<br />

#16 Search logotherapy AND physiotherapy 3<br />

#15 Search logotherapy AND physical therapy 2<br />

#14 Search logotherapy 61<br />

#13 Search logotherapie 2<br />

#12 Search existential-analytic AND Physiotherapy 0<br />

#11 Search existential-analysis AND Physiotherapy 0<br />

#10 Search existential-analysis AND physical therapy 0<br />

#9 Search existential-analysis and physical therapy 0<br />

#8 Search existential-analysis 82<br />

#7 Search existential-analytic 17<br />

#6 Search Existenzanalyse 2<br />

#5 Search Communication 360248<br />

#4 Search Physical therapy AND Communication 3029<br />

Seite 62


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

13.2 Fallbeschreibung Video 1 (Tumorpatient)<br />

Die Physiotherapeutin (PT) hat auf der Chefarztvisite im Spital den Auftrag erhalten, den<br />

ihr noch unbekannten Patienten (Pat.) Mario Bodoni unbedingt zu mehr Bewegung<br />

anzuhalten und seine Schulter passiv zu mobilisieren, auch wenn der Patient nicht<br />

motiviert sei. Aus der Krankengeschichte und aus den Angaben des Assistenzarztes sind<br />

folgende Informationen über den Patienten bekannt:<br />

Jahrgang 1963<br />

Diagnose: Glioblastom Grad IV links-parietal<br />

(bösartiger Hirntumor, rechte Hirnhälfte, sehr weit fortgeschritten, inoperabel)<br />

Geschichte/ Symptome: Überweisung ins Zentrumsspital durch Hausarzt vor 6<br />

Wochen wegen starker Kopfschmerzen, Übelkeit, Gefühl, mit dem linken Auge akut<br />

schlechter zu sehen. Rasch zunehmende Funktionsausfälle, Gehen nur mit Rollator<br />

möglich, Schulterschmerz beim Aufstützen.<br />

Therapie: Chemotherapie, hohe Dosen Morphin als Schmerztherapie, Kortison u.a.,<br />

Physiotherapie<br />

Aufgabe im Kommunikationstraining:<br />

Passive Bewegung der Schultern zur Schmerzlinderung und Bewegungserhaltung<br />

Patienten ein-zweimal aufsitzen lassen mit rückenschonender Technik<br />

Seite 63


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

13.3 Transkription Video 1 (Tumorpatient)<br />

Nachstehend folgt die vollständige Transkription der ersten 10 Minuten von Video 1<br />

(Tabelle 20), die Legende und Erläuterungen zur Transkription sind in Tabelle 19<br />

aufgeführt.<br />

Tabelle 19: Legende und allgemeine Erläuterungen zur Transkription von Video 1<br />

PT: Physiotherapeutin (Äusserungen sind blau markiert.)<br />

Pat.: Patient (Äusserungen sind rot markiert.)<br />

Zeit: Notiert wurde jeweils die Zeit des Beginns einer Handlung/ Äusserung in<br />

Minuten gemäss der Angabe der DVD (Bsp. 1:39 = 1 Minute 39 Sekunden).<br />

Sequenz: In dieser Spalte ist die Einteilung nach drei Sequenzen innerhalb des<br />

physiotherapeutischen Gesprächs festgehalten: Beginn des Gesprächs –<br />

Informationen sammeln – Informationen geben und beraten.<br />

(Klammern): Ergänzungen in der Transkription, die nicht wörtlich so ausgesprochen<br />

wurden, um den Sinn verständlich zu machen.<br />

Allgemeines: Das Gespräch enthält viele Pausen.<br />

Tabelle 20: Vollständige Transkription der ersten 10 Minuten von Video 1<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung Sequenz<br />

1:06 Pat. liegt dösend im Bett, gut zugedeckt, trägt eine Mütze<br />

tief in die Stirn gezogen, während grossen Teilen des<br />

Gesprächs bewegt er seinen Mund schmatzend/ saugend<br />

aufgrund der opiatbedingten Mundtrockenheit. Ein<br />

Rollator steht an der Wand. Die PT klopft, tritt ein, geht<br />

ans Patientenbett.<br />

1:11 PT „Grüessech Herr Bodoni. Guten Tag,“ Beginn des Gesprächs<br />

1:15 Pat. mit schwacher Stimme, öffnet kaum die Augen<br />

„Guten Tag.“<br />

1:16 PT gibt dem Pat. die Hand „Mein Name ist Romann,<br />

Physiotherapeutin in Ausbildung.“ Kurze Stille.<br />

1:21 Pat. „Grüessech wohl.“<br />

1:22 PT „Ich komme von der Physiotherapie, um zu schauen,<br />

wie es Ihnen geht.“<br />

Seite 64


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

1:27 Pat. „Da sind Sie wohl falsch bei mir.“<br />

1:28 PT „Haben Sie das Gefühl (ich sei falsch bei Ihnen)?“ PT<br />

nimmt einen Stuhl, setzt sich ans Patientenbett und notiert<br />

jeweils die Antworten des Patienten.<br />

1:30 Pat. brummt „Ja.“<br />

1:41 PT „Warum wäre ich denn falsch bei Ihnen?“<br />

1:44 Pat. „Ich brauche keine Physiotherapie mehr.“<br />

1:47 PT „Sicher?“<br />

1:48 Pat. „Ja.“ Pat. windet sich etwas im Bett.<br />

1:51 PT „Was brauchen Sie denn?“<br />

2:06 Pat. überlegt schweigend: „Verstehen brauche ich.“<br />

2:08 PT nickt „Mm.“ – Pause<br />

2:14 PT „Sie haben eine schwere Diagnose, habe ich gesehen.“<br />

2:17 Pat. zustimmend „Mm. - Mm.“<br />

2:26 PT „Wie geht es mit den Schultern?“ Informationen sammeln<br />

2:30 Pat. „Mit den Schultern? – Die Schultern schmerzen beim<br />

Gehen.“<br />

2:41 PT „Mm. Beide Seiten?“<br />

2:43 Pat. „Ja.“<br />

2:44 PT „Da schien mir grad so, als Sie sich bewegten, Sie<br />

hätten wahrscheinlich Schmerzen.“ PT zeigt Bewegung<br />

des Arm-Hebens.<br />

2:49 Pat. „Ich habe jetzt eigentlich keine (Schmerzen). Es tut<br />

mir weh beim Gehen.“ Pat. hebt den Arm. Pat.“Und<br />

nachher noch. Nach dem Gehen auch noch.“<br />

3:03 PT „Wie gehen Sie denn?“<br />

3:08 Pat. in vorwurfsvollem Tonfall „Wie meinen Sie das? Ich<br />

gehe nicht auf den Händen.“<br />

3:12 PT „ Ja. Sie haben ein Hilfsmittel?“<br />

3:14 Pat. „Den Rollator seit einigen Tagen.“<br />

3:19 PT „Und da stützen Sie sich auf.“<br />

3:21 Pat. nickt „Mm.“<br />

Seite 65


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

3:24 PT „Und da haben Sie nachher Schmerzen.“<br />

3:25 Pat. kurz „Ja. Während (des Gehens) auch schon.“ Pat.<br />

streicht sich über den Kopf.<br />

3:30 PT „Ja. Wie stark denn?“<br />

3:36 Pat. „Einfach so, dass es nicht mehr – Pause – „gäbig“<br />

(praktisch) ist zum Weitergehen.“<br />

3:48 PT „Mm. Wie weit kommen Sie denn?“<br />

3:56 Pat. „Bis zur hinteren Stuhlgruppe.“<br />

4:01 PT nach kurzer Pause „Mm, das ist immerhin ein Stück.“<br />

4:08 Pat. winkt ab.<br />

4:10 PT „Was sind das, 50 Meter?“<br />

4:14 Pat. „Ich glaube nicht.“<br />

4:16 PT „Haben Sie das Gefühl es sei weniger?“<br />

4:17 Pat. „Ja.“<br />

4:25 PT „Sind Sie denn heute schon unterwegs gewesen?“<br />

4:30 Pat. „Nicht weit, nur aufs WC und zum Tisch.“<br />

4:50 PT „Ja, Sie haben vorher etwas gesagt wegen des<br />

Verstehens wegen Ihrer Krankheit. Hätten Sie ein<br />

besonderes Anliegen an mich?“<br />

5:08 Pat. seufzt. „Wieso sind Sie denn jetzt hier?“<br />

5:11 PT „Das sage ich Ihnen (gleich). Der Arzt hat mir<br />

mitgeteilt, ich solle besonders zu Ihrer Schulter schauen...“<br />

Pat. hält den Kopf mit der rechten Hand und wendet sich<br />

der PT zu. ...“also genau zu dem, was Sie jetzt beschrieben<br />

haben, wegen Ihrer Schmerzen. Und zwar wäre das, was<br />

ich gern tun möchte, Ihre Schulter bewegen...“ PT zeigt mit<br />

den Händen, wie sie die Schulter bewegen möchte.<br />

5:27 Pat. „Mm.“ Pat. legt sich wieder auf den Rücken, die<br />

rechte Hand weiterhin über seinem Kopf.<br />

Informationen geben<br />

und beraten<br />

Seite 66


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

5:28 PT ...“ und zwar fein. Sie können einfach gehen lassen und<br />

ich bewege sie. (Ich möchte schauen) in welche<br />

Richtungen es geht. Und zwar damit Sie die Beweglichkeit<br />

behalten können und die Schmerzen weniger auftreten.“<br />

5:43 Pat. „Die Schmerzen treten dadurch weniger auf?“<br />

5:46 PT nickt, deutet zur Schulter. PT „Ja. Es entspannt alles,<br />

also Muskeln und Sehnen und alles was darum herum (um<br />

das Gelenk) ist.“<br />

5:52 Pat. „Mm.“<br />

5:57 PT „Und beim Gehen gibt es dann weniger Schmerzen.“<br />

5:59 Pat. „Mm.“<br />

6:02 PT „Und das andere, was ich mit Ihnen noch anschauen<br />

möchte ist wegen des Aufsitzens.“<br />

6:08 Pat. „Mm. – Ich kann aufsitzen.“<br />

6:13 PT „Sicher?“ Überlegt kurz.<br />

6:14 Pat. „Mm.“<br />

6:18 PT „Also, wenn Sie einverstanden sind, möchte ich gerade<br />

mit dem beginnen, dass Sie aufsitzen und dass ich nachher<br />

einmal die Schulter (durch-) bewegen würde. Pause.<br />

6:31 PT „Haben Sie das Gefühl, das sei möglich?“<br />

6:33 Pat. zustimmend „Mm.“<br />

6:37 PT erhebt sich, stellt ihren Stuhl auf die Seite.<br />

6:44 PT „Können Sie mir einmal zeigen, wie Sie jeweils<br />

aufsitzen?“<br />

6:47 Pat. reibt sich das Gesicht. „Mm. Machen Sie das mit der<br />

Schulter nachher im Liegen oder im Sitzen?“<br />

6:55 PT „Ich würde gerne einen Moment im Sitzen probieren<br />

und schauen, wie lang dass das geht, und sonst können wir<br />

es nachher noch im Liegen machen.“<br />

7:03 Pat. „Mm.“<br />

7:05 PT „Haben Sie das Gefühl, das gehe?“<br />

7:06 Pat. „Wir können es probieren.“<br />

Seite 67


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

7:08 PT „Dann nehme ich Ihnen hier mal die (Bett-) decke weg.<br />

PT schlägt die Decke über das Fussende des Bettes, Pat.<br />

hilft etwas mit.<br />

7:18 Pat. greift zum Bettbügel zieht sich etwas hoch, zieht die<br />

Beine an, dreht sich in Seitlage, zieht die Beine mühsam<br />

mit der Hand über den Bettrand, stösst sich mühselig hoch<br />

zum Sitzen, stützt sich beidhändig auf. PT schaut zu.<br />

7:45 PT „Ist anstrengend, hm?“<br />

7:48 Pat. zustimmend „Mm.“<br />

7:50 PT „Jetzt lassen wir das Bett mal etwas runter.“ PT kauert<br />

vor die Bett-Bedienung, probiert sie aus.<br />

8:01 Pat. „Es ist, glaube ich, schon unten.“<br />

8:02 PT „Ja, es geht nicht mehr.“<br />

8:04 PT „Jetzt können Sie noch ein bischen an den (Bett-) rand<br />

kommen, sodass Sie die Füsse gut auf dem Boden haben.“<br />

PT hilft nach bei der Platzierung der Füsse.<br />

8:15 PT „Können Sie so sein?“<br />

8:16 Pat. nickt.<br />

8:18 PT „Ja? Also.“ PT steht auf.<br />

8:20 PT zum Pat., der im Pyjama da sitzt: „Jetzt – wie ist es mit<br />

der Wärme, haben Sie warm im Moment?<br />

8:24 Pat. „Ja.“<br />

8:26 PT „Dann nehme ich jetzt mal Ihre Schulter.“<br />

PT nimmt die linke Schulter des Pat. in die Hände, beginnt<br />

mit Palpation/ flächigem Bewegen.<br />

8:32 PT beobachtet den Patienten. „Können Sie so sein?“<br />

8:33 Pat. zustimmend „Mm.“<br />

8:34 PT „Ist Ihnen schwindlig?“<br />

8:36 Pat. „Nein.“<br />

8:37 PT „Wenn Ihnen schwindlig werden sollte, würden Sie es<br />

einfach sofort sagen.“<br />

8:39 Pat nickt zustimmend „Mm.“<br />

Seite 68


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

8:45 PT „Sie können einfach hängen lassen.“ PT nimmt den<br />

ganzen Arm in die Hand, beginnt mit der passiven<br />

Beweglichkeit, bewegt bis Minute 9:26 den Arm in<br />

verschiedene Richtungen, spricht dazu mit dem Pat.<br />

8:49 PT hebt den Arm. PT „Geht das?“<br />

8:50 Pat. zustimmend „Mm.“<br />

8:51 PT „Schmerzen?“<br />

8:52 Pat. „Nein.“<br />

8:54 PT „Sie würden es einfach sagen, sobald Sie irgendetwas<br />

spüren.“<br />

8:57 Pat. zustimmend „Mm.“<br />

9:07 PT bewegt Arm endgradig in die Flexion. PT „Da kommen<br />

Sie ja ganz hoch.“ (Oder ähnliche Äusserung. Sie ist im<br />

Video nicht genau verständlich.)<br />

9:08 Pat. „Meinen Sie?“<br />

9:10 PT „Die Beweglichkeit im Gelenk ist gut.“<br />

9:20 PT „Jetzt noch nach hinten.“<br />

PT bewegt den Arm in Extension.<br />

9:26 PT „Wie geht’s?“<br />

9:28 Pat. „Mm.“<br />

9:30 PT steht vor den Pat. hin, beobachtet ihn.<br />

PT „Können Sie so noch sein?“<br />

9:31 Pat. zustimmend „M-m.“<br />

9:32 PT „Jetzt gebe ich Ihnen hier noch Druck auf beide<br />

Schultern und Sie versuchen sich aufzurichten entgegen<br />

diesem Druck.“ PT steht vor Pat. hin, zeigt die Fassung<br />

anhand ihrer eigenen Schultern und gibt dann Druck von<br />

oben auf die Schultern des Pat.<br />

9:41 PT „Versuchen Sie mal, ob Sie ganz gerade sitzen<br />

können.“ Pat. richtet sich auf.<br />

9:45 PT „Und atmen dazu, das ist sehr wichtig.“<br />

9:48 PT „Können Sie einen Moment so bleiben?"<br />

Seite 69


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

9:51 Pat. „Ich kann es versuchen.“<br />

9:54 PT geht auf die rechte Seite des Pat. und nimmt dessen<br />

Arm in ihre Hände, bewegt die Schulter endgradig in<br />

Flexion.<br />

10:04 PT „Geht das so?“<br />

10:05 Pat. zustimmend „M-m.“<br />

10:08 PT „Versuchen Sie nochmals, sich aufzurichten.“ PT<br />

bewegt die Schulter weiter in verschiedene Richtungen bis<br />

Minute 10:31.<br />

10:14 PT „Jetzt noch seitwärts.“<br />

10:22 PT „Wie geht es Ihnen?“<br />

10.23 Pat. „M-m.“<br />

10:32 PT „Jetzt machen wir noch einmal das mit dem<br />

Aufrichten.“ PT steht vor Pat. hin, Hände von oben auf<br />

seinen Schultern, PT gibt Druck, Pat. richtet sich auf.<br />

10:39 PT „Gut.“<br />

10:44 PT „Jetzt können Sie wieder liegen. Ich habe den Eindruck,<br />

Sie seien schon etwas müde.<br />

10:50 Pat. legt sich etwas mühselig, schwer aufstützend in die<br />

Seitlage links, nimmt das obere, rechte Bein hoch aufs<br />

Bett, nimmt das linke Bein mit Hilfe der Hände nach. PT<br />

schaut zu.<br />

11:00 PT „Mit dem (linken Bein) haben Sie Mühe, hm?“<br />

11:03 Pat. „Geht nicht gut.“ (Oder ähnlicher Wortlaut. Äusserung<br />

im Video schwer verständlich.)<br />

11:04 Pat. dreht sich auf den Rücken, hält sich am Bettbügel mit<br />

der rechten Hand, schiebt sich im Bett mit dem rechten<br />

Bein hoch.<br />

Seite 70


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

13.4 Analyse Video 1 (Tumorpatient)<br />

In der nachstehenden Analyse des Videos wurde die Transkription wortgetreu<br />

übernommen, thematisch bezüglich der Grundmotivationen in zusammengehörende<br />

Abschnitte eingeteilt und kommentiert. Wie in der Transkription ist links jeweils die Zeit<br />

in Minuten und Sekunden angegeben, rechts die Situationsbeschreibung bzw. der Wortlaut<br />

des Dialogs.<br />

Tabelle 21: 1.GM- Ausgangssituation<br />

1:06 Pat. (Patient) liegt dösend im Bett, gut zugedeckt, trägt eine Mütze tief in die Stirn<br />

gezogen, während grossen Teilen des Gesprächs bewegt er seinen Mund<br />

schmatzend/ saugend aufgrund der opiatbedingten Mundtrockenheit. Ein Rollator<br />

steht an der Wand. Die PT (Physiotherapeutin) klopft, tritt ein, geht ans<br />

Patientenbett.<br />

Der Patient hat sich in sich selbst zurückgezogen, schafft sich durch Mütze, Decke und<br />

geschlossene Augen einen Schutzraum, geht auf das folgende Angesprochen-Werden<br />

kaum ein, bleibt bei sich: alles Elemente der 1. GM.<br />

Tabelle 22: 1. GM/ 2. GM - Beginn des Gesprächs: Begrüssung<br />

1:11 PT „Grüessech Herr Bodoni. Guten Tag<br />

1:15 Pat. mit schwacher Stimme, öffnet kaum die Augen „Guten Tag.“<br />

1:16 PT gibt dem Pat. die Hand „Mein Name ist Romann, Physiotherapeutin in<br />

Ausbildung. Kurze Stille.<br />

1:21 Pat. „Grüessech wohl.“<br />

1:22 PT „Ich komme von der Physiotherapie, um zu schauen, wie es Ihnen geht.“<br />

Die Physiotherapeutin grüsst, stellt sich vor, eröffnet die Beziehung, der Patient geht zwar<br />

nur minimal darauf ein, reagiert aber doch (2. GM). „Ich komme, um zu schauen, wie es<br />

Ihnen geht“ bedeutet Zuwendung und ist die personale Aktivität auf der Ebene der 2. GM,<br />

gleichzeitig ist es eine Frage nach den Bedingungen des Da-Seins („Wie ist es jetzt?“<br />

1. GM), mit der Ruhe, dem Abwarten der Antwort, die anschliessend folgt, ergibt sich ein<br />

Raum, was der 1. GM zuzuordnen ist.<br />

Seite 71


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Tabelle 23: 3. GM - Zweck des Besuchs der Physiotherapeutin<br />

1:22 PT „Ich komme von der Physiotherapie, um zu schauen, wie es Ihnen geht.“<br />

1:27 Pat. „Da sind Sie wohl falsch bei mir.“<br />

1:28 PT „Haben Sie das Gefühl (ich sei falsch bei Ihnen)?“ PT nimmt einen Stuhl, setzt<br />

sich ans Patientenbett und notiert jeweils die Antworten des Patienten.<br />

1:30 Pat. brummt „Ja.“<br />

„Da sind Sie wohl falsch bei mir.“ Dieser Satz ist als klar abgrenzende Aussage zu<br />

verstehen. Der abweisende Tonfall, die kurz angebundenen Art des Patienten<br />

unterstreichen das noch. „Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe,“ scheint der Patient zu sagen<br />

und geht auf Distanz, eine Coping-Reaktion auf der Ebene der 3. GM.<br />

Tabelle 24: 2. GM/ 3. GM /4. GM - Wozu Physiotherapie?<br />

1:41 PT „Warum wäre ich denn falsch bei Ihnen?“<br />

1:44 Pat. „Ich brauche keine Physiotherapie mehr.“<br />

1:47 PT „Sicher?“<br />

1:48 Pat. „Ja.“ Pat. windet sich etwas im Bett.<br />

1:51 PT „Was brauchen Sie denn?“<br />

2:06 Pat. überlegt schweigend: „Verstehen brauche ich.“<br />

2:08 PT nickt „Mm.“ – Pause<br />

2:14 PT „Sie haben eine schwere Diagnose, habe ich gesehen.“<br />

2:17 Pat. zustimmend „Mm. - Mm.“<br />

„Ich brauche keine Physiotherapie mehr“ scheint der Schlüsselsatz dieses Abschnittes zu<br />

sein. Was schwingt da mit? Vermutlich ist das Nicht-Mehr-Können (1. GM) in diesem<br />

Moment nicht das Vordringliche. Der Patient kann, ja, wie es sich zeigt, noch sitzen,<br />

gehen, sich bewegen. Neben der Abgrenzung, die mitschwingt (s.o.), scheint hier aus dem<br />

Kontext verstanden auch das Leben-Mögen (2. GM) eine Rolle zu spielen. Der Patient<br />

mag nicht mehr, die Medikamente schläfern ihn ein, er hat keine Lebensperspektive mehr<br />

und möglicherweise identifiziert er Physiotherapie mit „Turnen“, was für aktive Leute ist,<br />

die sich bewegen wollen. Von seiner Haltung her (liegend, Augen zu, schwache Stimme)<br />

signalisiert er viel von diesem „Ich mag nicht mehr.“ Darin klingt auch an: „Was hat das<br />

noch für einen Sinn bei so einem Patienten wie mir?“ (4. GM).<br />

Auf die Frage der Physiotherapeutin „Was brauchen Sie denn?“, ein Beziehungsangebot,<br />

geht der Patient nach längerem Überlegen ein. „Verstehen.“ Verstehen ist eine Form der<br />

Seite 72


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zuwendung, des Schaffens von Beziehung, also 2. GM, gleichzeitig bedeutet das<br />

Verstanden-Werden ein Beachtet-Werden im eigenen So-Sein, wie man ist, enthält also ein<br />

Element der 3. GM.<br />

Tabelle 25: 1. GM - Informationen Sammeln: Schulterschmerz<br />

2:26 PT „Wie geht es mit den Schultern?“<br />

2:30 Pat. „Mit den Schultern? – Die Schultern schmerzen beim Gehen.“<br />

2:41 PT „Mm. Beide Seiten?“<br />

2:43 Pat. „Ja.“<br />

2:44 PT „Da schien mir grad so, als Sie sich bewegten, Sie hätten wahrscheinlich<br />

Schmerzen.“ PT zeigt Bewegung des Arm-Hebens.<br />

2:49 Pat. „Ich habe jetzt eigentlich keine (Schmerzen). Es tut mir weh beim Gehen.“ Pat.<br />

hebt den Arm. Pat.“Und nachher noch. Nach dem Gehen auch noch.“<br />

In diesem Abschnitt geht es um den Körper, die Schmerzen, die Beschreibung des jetzigen<br />

Zustandes bzw. des Zustandes beim Gehen, eine Bestandesaufnahme. Die Frage dahinter:<br />

Gibt es etwas, was das Da-Sein beeinträchtigt? Inwiefern? Was kann die Physiotherapie<br />

dafür tun, was tut der Patient? Dies sind alles Elemente bzw. Fragestellungen der 1. GM.<br />

3:03 PT „Wie gehen Sie denn?“<br />

Tabelle 26: 3. GM - Gangabklärung<br />

3:08 Pat. in vorwurfsvollem Tonfall „Wie meinen Sie das? Ich gehe nicht auf den<br />

Händen.“<br />

Die Physiotherapeutin fragt etwas hartnäckig, aber auch unpräzise formuliert nach. Der<br />

Patient grenzt sich wiederum ab (3. GM). Möglicherweise spielt hier wiederum mit, dass<br />

sein jetziger Zustand indem er sich selber vorfindet, schwer zu akzeptieren ist (3. GM).<br />

3:12 PT „ Ja. Sie haben ein Hilfsmittel?“<br />

Tabelle 27: 1. GM - Gehstrecke<br />

3:14 Pat. „Den Rollator seit einigen Tagen.“<br />

3:19 PT „Und da stützen Sie sich auf.“<br />

3:21 Pat. nickt „Mm.“<br />

3:24 PT „Und da haben Sie nachher Schmerzen.“<br />

3:25 Pat. kurz „Ja. Während (des Gehens) auch schon.“ Pat. streicht sich über den Kopf.<br />

Seite 73


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Forts. Tabelle 27: 1. GM - Gehstrecke<br />

3:30 PT „Ja. Wie stark denn?“<br />

3:36 Pat. „Einfach so, dass es nicht mehr – Pause – „gäbig“ (praktisch) ist zum<br />

Weitergehen.“<br />

3:48 PT „Mm. Wie weit kommen Sie denn?“<br />

3:56 Pat. „Bis zur hinteren Stuhlgruppe.“<br />

4:01 PT nach kurzer Pause „Mm, das ist immerhin ein Stück.“<br />

4:08 Pat. winkt ab.<br />

4:10 PT „Was sind das, 50 Meter?“<br />

4:14 Pat. „Ich glaube nicht.“<br />

4:16 PT „Haben Sie das Gefühl es sei weniger?“<br />

4:17 Pat. „Ja.“<br />

4:25 PT „Sind Sie denn heute schon unterwegs gewesen?“<br />

4:30 Pat. „Nicht weit, nur aufs WC und zum Tisch.“<br />

Es folgt wieder eine Sequenz zur Bestandesaufnahme der Tatsachen, die Frage nach<br />

Hilfsmitteln, Schmerzen, Gehstrecke, also die Frage nach dem, was ist: das Thema der<br />

1.GM.<br />

Tabelle 28: 1./ 2. GM - Informationen geben und beraten: Patientenanliegen/ Zweck des Besuchs<br />

4:50 PT „Ja, Sie haben vorher etwas gesagt wegen des Verstehens wegen Ihrer Krankheit.<br />

Hätten Sie ein besonderes Anliegen an mich?“<br />

5:08 Pat. seufzt. „Wieso sind Sie denn jetzt hier?“<br />

5:11 PT „Das sage ich Ihnen (gleich). Der Arzt hat mir mitgeteilt, ich solle besonders zu<br />

Ihrer Schulter schauen...“ Pat. hält den Kopf mit der rechten Hand und wendet sich<br />

der PT zu. ...“also genau zu dem, was Sie jetzt beschrieben haben, wegen Ihrer<br />

Schmerzen. Und zwar wäre das, was ich gern tun möchte, Ihre Schulter bewegen...“<br />

PT zeigt mit den Händen, wie sie die Schulter bewegen möchte.<br />

5:27 Pat. „Mm.“ Pat. legt sich wieder auf den Rücken, die rechte Hand weiterhin über<br />

seinem Kopf.<br />

5:28 PT ...“ und zwar fein. Sie können einfach gehen lassen und ich bewege sie. (Ich<br />

möchte schauen) in welche Richtungen es geht. Und zwar damit Sie die<br />

Beweglichkeit behalten können und die Schmerzen weniger auftreten.“<br />

5:43 Pat. „Die Schmerzen treten dadurch weniger auf?“<br />

Seite 74


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Forts. Tabelle 28: 1./ 2. GM - Informationen geben und beraten: Patientenanliegen/ Zweck des Besuchs<br />

5:46 PT nickt, deutet zur Schulter. PT „Ja. Es entspannt alles, also Muskeln und Sehnen<br />

und alles was darum herum (um das Gelenk) ist.“<br />

5:52 Pat. „Mm.“<br />

5:57 PT „Und beim Gehen gibt es dann weniger Schmerzen.“<br />

5:59 Pat. „Mm.“<br />

Die Physiotherapeutin kommt (etwas spät) nochmals zurück auf das Thema des Anfangs<br />

(Verstehen) und auf Anfrage des Patienten auf den Zweck der Therapie. „Wieso sind Sie<br />

denn jetzt hier?“ Diese Frage des Patienten scheint nicht einer Grundmotivation<br />

zugeordnet werden zu können, sondern genau ebendies klären zu wollen: Geht es um<br />

Verstanden-Werden und Beziehung (2. GM) oder um das vorher Besprochene wie<br />

Schmerzen/ Gehen-Können etc., die Bedingungen des Da-Sein-Könnens (1. GM)? Die<br />

Physiotherapeutin geht auf letzteres ein und führt aus, wie die Physiotherapie dazu<br />

beitragen kann.<br />

Tabelle 29: 1. GM/ 3. GM - Aufsitzen<br />

6:02 PT „Und das andere, was ich mit Ihnen noch anschauen möchte ist wegen des<br />

Aufsitzens.“<br />

6:08 Pat. „Mm. – Ich kann aufsitzen.“<br />

6:13 PT „Sicher?“ Überlegt kurz.<br />

6:14 Pat. „Mm.“<br />

6:18 PT „Also, wenn Sie einverstanden sind, möchte ich gerade mit dem beginnen, dass<br />

Sie aufsitzen und dass ich nachher einmal die Schulter (durch-) bewegen würde.<br />

Pause.<br />

6:31 PT „Haben Sie das Gefühl, das sei möglich?“<br />

6:33 Pat. zustimmend „Mm.“<br />

6:37 PT erhebt sich, stellt ihren Stuhl auf die Seite.<br />

6:44 PT „Können Sie mir einmal zeigen, wie Sie jeweils aufsitzen?“<br />

Die Physiotherapeutin fragt – gemäss der Aufgabe im Kommunikationstraining – nach<br />

dem Aufsitzen-Können, d.h. nach einem Können, einer Fähigkeit auf der Ebene der<br />

1. GM. Der Patient bejaht, dass er allein Aufsitzen kann, dem Ton nach scheint er sich<br />

wiederum abzugrenzen. Er will gesehen werden in dem, was er kann und nicht für<br />

unfähiger gehalten werden, als er ist, was Themen der 3. GM berührt.<br />

Seite 75


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Tabelle 30: 1. GM - Transfer vom Liegen zum Sitzen<br />

6:47 Pat. reibt sich das Gesicht. „Mm. Machen Sie das mit der Schulter nachher im Liegen<br />

oder im Sitzen?“<br />

6:55 PT „Ich würde gerne einen Moment im Sitzen probieren und schauen, wie lang dass<br />

das geht, und sonst können wir es nachher noch im Liegen machen.“<br />

7:03 Pat. „Mm.“<br />

7:05 PT „Haben Sie das Gefühl, das gehe?“<br />

7:06 Pat. „Wir können es probieren.“<br />

7:08 PT „Dann nehme ich Ihnen hier mal die (Bett-) decke weg. PT schlägt die Decke über<br />

das Fussende des Bettes, Pat. hilft etwas mit.<br />

7:18 Pat. greift zum Bettbügel zieht sich etwas hoch, zieht die Beine an, dreht sich in<br />

Seitlage, zieht die Beine mühsam mit der Hand über den Bettrand, stösst sich<br />

mühselig hoch zum Sitzen, stützt sich beidhändig auf. PT schaut zu.<br />

7:45 PT „Ist anstrengend, hm?“<br />

7:48 Pat. zustimmend „Mm.“<br />

Der Patient setzt sich ins Bild über das, was die Physiotherapeutin vorhat: „Machen Sie das<br />

mit der Schulter nachher im Liegen oder im Sitzen?“ D.h. er wird aktiv, will vermutlich<br />

abschätzen und mitentscheiden, ob es sinnvoll ist, jetzt aufzusitzen und auch, ob seine<br />

Kräfte reichen zu dem, was noch folgen wird. Die Antwort befriedigt ihn so weit, dass er<br />

bereit ist, zu kooperieren und auch, etwas Anstrengung auszuhalten. Dieser Abschnitt hat<br />

wiederum mit dem Können zu tun, mit der Frage, ob der Patient vertrauen kann,<br />

insbesondere, ob er sich darauf verlassen kann, dass die folgende Übung seinen Kräften<br />

angepasst ist und ihm damit seinen physischen Halt belässt. Ebenso gefragt ist die<br />

Tätigkeit des Aushaltens. Dies sind Themen der 1. GM.<br />

Tabelle 31: 1./ 2. GM - Sitzen am Bettrand – Vorbereiten der Übung<br />

7:50 PT „Jetzt lassen wir das Bett mal etwas runter.“ PT kauert vor die Bett-Bedienung,<br />

probiert sie aus.<br />

8:01 Pat. „Es ist, glaube ich, schon unten.“<br />

8:02 PT „Ja, es geht nicht mehr.“<br />

8:04 PT „Jetzt können Sie noch ein bischen an den (Bett-) rand kommen, sodass Sie die<br />

Füsse gut auf dem Boden haben.“ PT hilft nach bei der Platzierung der Füsse.<br />

8:15 PT „Können Sie so sein?“<br />

Seite 76


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Forts. Tabelle 31: 1./ 2. GM - Sitzen am Bettrand – Vorbereiten der Übung<br />

8:16 Pat. nickt.<br />

8:18 PT „Ja? Also.“ PT steht auf.<br />

8:20 PT zum Pat., der im Pyjama da sitzt: „Jetzt – wie ist es mit der Wärme, haben Sie<br />

warm im Moment?<br />

8:24 Pat. „Ja.“<br />

Die Physiotherapeutin probiert die Bett-Bedienung aus und hat etwas Mühe damit. Der<br />

Patient ist soweit wach dabei, dass er das kommentiert und in der Interaktion bleibt, wenn<br />

auch mit schwacher Stimme und im Aushalten der aufrechten Sitzposition, die ihn<br />

anstrengt. Möglicherweise ist darin etwas von der 2. GM, dem Zuwenden darin, vielleicht<br />

auch nur das Aushalten (1. GM) in der Hoffnung, die Übung werde jetzt gemacht und sei<br />

bald fertig. Anschliessend folgt wieder das Klären des physischen Sein-Könnens: Wie ist<br />

es in der aufrechten Position, mit der Platzierung der Füsse, mit der Wärme? Diese<br />

Bedingungen sind wiederum der 1. GM zugehörig.<br />

Tabelle 32: 1. GM - Durchbewegen der Schulter<br />

8:26 PT „Dann nehme ich jetzt mal Ihre Schulter.“<br />

PT nimmt die linke Schulter des Pat. in die Hände, beginnt mit Palpation/ flächigem<br />

Bewegen.<br />

8:32 PT beobachtet den Patienten. „Können Sie so sein?“<br />

8:33 Pat. zustimmend „Mm.“<br />

8:34 PT „Ist Ihnen schwindlig?“<br />

8:36 Pat. „Nein.“<br />

8:37 PT „Wenn Ihnen schwindlig werden sollte, würden Sie es einfach sofort sagen.“<br />

8:39 Pat nickt zustimmend „Mm.“<br />

8:45 PT „Sie können einfach hängen lassen.“ PT nimmt den ganzen Arm in die Hand,<br />

beginnt mit der passiven Beweglichkeit, bewegt bis Minute 9:26 den Arm in<br />

verschiedene Richtungen, spricht dazu mit dem Pat.<br />

8:49 PT hebt den Arm. PT „Geht das?“<br />

8:50 Pat. zustimmend „Mm.“<br />

8:51 PT „Schmerzen?“<br />

8:52 Pat. „Nein.“<br />

8:54 PT „Sie würden es einfach sagen, sobald Sie irgendetwas spüren.“<br />

8:57 Pat. zustimmend „Mm.“<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Forts. Tabelle 32: 1. GM - Durchbewegen der Schulter<br />

9:07 PT bewegt Arm endgradig in die Flexion. PT „Da kommen Sie ja ganz hoch.“ (Oder<br />

ähnliche Äusserung. Sie ist im Video nicht genau verständlich.)<br />

9:08 Pat. „Meinen Sie?“<br />

9:10 PT „Die Beweglichkeit im Gelenk ist gut.“<br />

9:20 PT „Jetzt noch nach hinten.“<br />

PT bewegt den Arm in Extension.<br />

9:26 PT „Wie geht’s?“<br />

9:28 Pat. „Mm.“<br />

9:30 PT steht vor den Pat. hin, beobachtet ihn.<br />

PT „Können Sie so noch sein?“<br />

9:31 Pat. zustimmend „M-m.“<br />

In diesem Gesprächsabschnitt wird die Schulter des Patienten gemäss Auftrag passiv<br />

durchbewegt. Der Patient ist entsprechend selber passiver, lässt es geschehen. Themen sind<br />

die Beweglichkeit, der Schmerz, das Nachfragen, ob es (noch) geht, der Patient „noch sein<br />

kann“: Elemente der 1. GM.<br />

Tabelle 33: 1. GM - Aufrichten –Durchbewegen der Schulter<br />

9:32 PT „Jetzt gebe ich Ihnen hier noch Druck auf beide Schultern und Sie versuchen sich<br />

aufzurichten entgegen diesem Druck.“ PT steht vor Pat. hin, zeigt die Fassung anhand<br />

ihrer eigenen Schultern und gibt dann Druck von oben auf die Schultern des Pat.<br />

9:41 PT „Versuchen Sie mal, ob Sie ganz gerade sitzen können.“ Pat richtet sich auf.<br />

9:45 PT „Und atmen dazu, das ist sehr wichtig.“<br />

9:48 PT „Können Sie einen Moment so bleiben?<br />

9:51 Pat. „Ich kann es versuchen.“<br />

9:54 PT geht auf die rechte Seite des Pat. und nimmt dessen Arm in ihre Hände, bewegt<br />

die Schulter endgradig in Flexion.<br />

10:04 PT „Geht das so?“<br />

10:05 Pat. zustimmend „M-m.“<br />

10:08 PT „Versuchen Sie nochmals, sich aufzurichten.“ PT bewegt die Schulter weiter in<br />

verschiedene Richtungen bis Minute 10:31.<br />

10:14 PT „Jetzt noch seitwärts.“<br />

10:22 PT „Wie geht es Ihnen?“<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Forts. Tabelle 33: 1. GM - Aufrichten –Durchbewegen der Schulter<br />

10.23 Pat. „M-m.“<br />

10:32 PT „Jetzt machen wir noch einmal das mit dem Aufrichten.“ PT steht vor Pat. hin,<br />

Hände von oben auf seinen Schultern, PT gibt Druck, Pat. richtet sich auf.<br />

10:39 PT „Gut.“<br />

Es folgt eine weitere Übung, das Aufrichten gegen den Druck der Physiotherapeutin. Dies<br />

führt dazu, dass der Patient seine Körperachse spürt, grösser wird, mehr Raum einnimmt.<br />

Weiterhin wird der Patient gefragt, ob es noch geht, ob er in der Position bleiben kann. Der<br />

Patient aktiviert probeweise sein Können: „Ich kann es versuchen.“ Raum einnehmen,<br />

noch aushalten, aufgerichtet bleiben können sind Themen der 1. GM.<br />

Tabelle 34: 1. GM - Transfer Sitz – Rückenlage<br />

10:44 PT „Jetzt können Sie wieder liegen. Ich habe den Eindruck, Sie seien schon etwas<br />

müde.<br />

10:50 Pat. legt sich etwas mühselig, schwer aufstützend in die Seitlage links, nimmt das<br />

obere, rechte Bein hoch aufs Bett, nimmt das linke Bein mit Hilfe der Hände nach. PT<br />

schaut zu.<br />

11:00 PT „Mit dem (linken Bein) haben Sie Mühe, hm?“<br />

11:03 Pat. „Geht nicht gut.“ (Oder ähnlicher Wortlaut. Äusserung im Video schwer<br />

verständlich.)<br />

11:04 Pat. dreht sich auf den Rücken, hält sich am Bettbügel mit der rechten Hand, schiebt<br />

sich im Bett mit dem rechten Bein hoch.<br />

Der Patient erfährt hier wieder, dass einfachste Bewegungen mühselig geworden sind, dass<br />

er nicht einfach abliegen kann sondern erst das Bein nachschieben muss und er äussert sich<br />

dementsprechend. Das Nicht-Mehr-Können, 1. GM, wird damit zum Thema.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

13.5 Fallbeschreibung Video 2 (Patient nach CVI mit Aphasie)<br />

Die Physiotherapeutin arbeitet auf der Rehabilitationsabteilung im örtlichen<br />

Regionalspital. Sie übernimmt heute den ihr noch unbekannten Patienten Herrn<br />

M. Friederich von der plötzlich erkrankten Physiotherapie-Kollegin Britta Nehmer. In den<br />

Unterlagen ist der Verlauf, aber nicht der Befund auffindbar. Zum Verlauf bestehen<br />

folgende Angaben<br />

Status nach CVI (Cerebrovaskulärer Insult) links mit Hemiparese rechts armbetont<br />

vor 4 Wochen<br />

Verständigung schwierig (Aphasie)<br />

Tonus tief, Arm +/- schlaff<br />

Ziele der letzten Woche: Armschutz, Gewichtsverlagerung<br />

Ab übermorgen: Teilnahme in Rehabilitationsgruppe geplant, Patient ist noch nicht<br />

informiert<br />

Mit der Chefin wird vereinbart, dass an den gleichen Zielen wie letzte Woche gearbeitet<br />

und das Einverständnis für die Gruppentherapie eingeholt werden soll.<br />

Aufgabe im Kommunikationstraining:<br />

Die PT soll dem Pat. erklären, dass sie für die erkrankte Kollegin B. Nehmer die<br />

Therapie übernimmt, bis die Kollegin gesund ist.<br />

Es soll auf den Armschutz geachtet und der Pat. instruiert werden, dass er seinen<br />

betroffenen (schlaff-gelähmten) Arm nicht in gefährdende Situationen bringt.<br />

Mit dem Patienten soll die Gewichtsverlagerung geübt werden.<br />

(Der Pat. soll über die geplante Gruppentherapie informiert und sein Einverständnis<br />

eingeholt werden. Dieser Teil fällt nicht in die transkribierte Sequenz.)<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

13.6 Transkription Video 2 (Patient nach CVI mit Aphasie)<br />

Nachstehend folgt die vollständige Transkription der ersten 10 Minuten von Video 2<br />

(Tabelle 36), die Legende und Erläuterungen zur Transkription sind in Tabelle 35<br />

aufgeführt.<br />

Tabelle 35: Legende und allgemeine Erläuterungen zur Transkription von Video 2<br />

PT: Physiotherapeutin (Äusserungen sind blau markiert.)<br />

Pat.: Patient (Äusserungen sind rot markiert.)<br />

Zeit: Notiert wurde jeweils die Zeit des Beginns einer Handlung/ Äusserung in<br />

Minuten gemäss der Angabe der DVD (Bsp. 1:39 = 1 Minute 39 Sekunden).<br />

Sequenz: In dieser Spalte ist die Einteilung nach drei Sequenzen innerhalb des<br />

physiotherapeutischen Gesprächs festgehalten: Beginn des Gesprächs –<br />

Informationen sammeln – Informationen geben und beraten.<br />

(Klammern): Ergänzungen in der Transkription, die nicht wörtlich so ausgesprochen<br />

wurden, um den Sinn verständlich zu machen.<br />

Allgemeines: Die PT spricht sehr langsam, macht viele Pausen und verdeutlicht ihre<br />

Worte durch Handbewegungen und Vormachen.<br />

Tabelle 36: Vollständige Transkription der ersten 10 Minuten von Video 2<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung Sequenz<br />

1:39 Pat. sitzt im Patientenzimmer am Tisch, blättert in einer<br />

Zeitschrift, der betroffene Arm hängt herunter und das<br />

Radio läuft in beträchtlicher Lautstärke. Die PT klopft und<br />

tritt ein, geht auf den Pat. zu und bleibt stehen.<br />

1.45 PT „Grüessech, guten Tag, Romann von der<br />

Physiotherapie - grüessech wohl.“<br />

1:47 Pat. hält der PT die linke Hand hin, PT schüttelt diese.<br />

1:53 PT „Ich bin Physiotherapeutin in Ausbildung und komme<br />

für Frau Nehmer.“<br />

2:00 Pat. brummt etwas vor sich hin.<br />

2:05 PT „Darf ich das Radio mal ausschalten?“<br />

2:10 Pat wiegt den Kopf hin und her, bewegt die Lippen.<br />

2:11 Pat „Ja. Neh?, Frau Nehmer?“<br />

Beginn des<br />

Gesprächs<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

2:15 PT „Ja. Ich schalte das Radio schnell aus, damit wir uns<br />

besser verstehen.“<br />

2:20 Pat. deutet fragend zum Radio<br />

2:22 PT „Oder können Sie grad? Das ist noch besser.“<br />

2:26 Pat. schaltet das Radio aus.<br />

2:27 PT „Ja, merci vielmals, sehr gut.“<br />

2:32 PT setzt sich.<br />

2:32 Pat. versucht Worte zu finden.<br />

2:33 Pat. „Frau Nehmer?“<br />

2:34 PT „Frau Nehmer.“<br />

2:39 Pat. brummt etwas, versucht, sich zu äussern.<br />

2:43 Pat. „Frau Nehmer....“<br />

Pat. gestikuliert dazu, will etwas erklären.<br />

2:49 Pat. versucht vergeblich, die Worte zu finden, schlägt mit<br />

der Faust auf den Tisch.<br />

2:50 Pat. „Was, was, was ist? Warum?“<br />

Pat. zeigt auf die PT.<br />

2:54 PT „Frau Nehmer ist krank. Also Frau Nehmer, Ihre<br />

Physiotherapeutin. Verstehen Sie?“<br />

3:00 Pat. „Ja, ja, ja.“<br />

3:05 PT ... „ist krank. Sie hat eine Magendarmgrippe.“<br />

3:08 Pat. „Ah, ja, ja, ich verstehe.“<br />

Pat. reibt sich das Gesicht.<br />

3:13 PT „Jetzt komme ich mit Ihnen Physiotherapie<br />

durchführen für Ihren Arm.“<br />

3:20 Pat. „Ja.“<br />

3:25 Zeigt auf die PT, will sich äussern, sucht Worte.<br />

3:27 Pat. „Mm, mm, wie heissen Sie?“<br />

3:28 PT „Romann. Ja, Romann.“<br />

3:33 Pat. nickt „Ja.“<br />

3:35 PT „Ist das gut?“<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

3:38 PT „Dann habe ich mir einige Dinge aufgeschrieben. Ich<br />

habe von Frau Nehmer Notizen bekommen, über das, was<br />

wir hier zusammen machen. Wir machen jetzt zusammen<br />

mit der Physiotherapie weiter, bis sie dann wieder kommt.<br />

Jetzt möchte ich gern – ich muss grad schnell schauen,<br />

was wir wollten.“ Schaut in den Unterlagen nach. „Genau,<br />

ich möchte zuerst mit Ihrem Arm schauen. Wie geht das?“<br />

4:08 Pat. deutet auf seinen herunterhängenden Arm, legt die<br />

gelähmte Hand mit der nicht betroffenen Hand in seinen<br />

Schoss und hält sie fest.<br />

4:10 Pat. „Ja.“<br />

4:14 PT wartet zuerst ab, dann „Haben Sie Gefühl (in der<br />

Hand)?“<br />

4.18 Pat. mit Kopfschütteln „Nein.“<br />

4.20 PT „Darf ich einmal schauen? - Ich habe noch etwas kalte<br />

Hände, wie Sie merken werden.“<br />

4:24 PT streicht über den betroffenen Arm vom Oberarm bis<br />

zur Hand.<br />

4:26 PT „Spüren Sie das?“<br />

4:31 Pat. schaut zu, brummt.<br />

4:36 PT hält ihre offene Hand hin.<br />

„Können Sie mir einmal Ihre Hand geben?“<br />

4:38 Pat. reicht seine gesunde Hand.<br />

4:39 PT „Ja, die andere.“<br />

4.42 Pat. transferiert mit der gesunden Hand die betroffene in<br />

die Hand der PT.<br />

4.43 PT „Ja, genau, merci.“<br />

4.45 PT untersucht die Beweglichkeit, nimmt dann einzelne<br />

Finger.<br />

4.50 PT „Wie ist das?“<br />

4.55 Pat. zuckt leicht mit den Schultern.<br />

4.56 PT „Schwierig zu sagen?“<br />

Informationen<br />

Sammeln<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

4.59 PT „So. Jetzt, weil Sie den Arm noch nicht spüren“ ... Informationen geben<br />

5:05 Pat. massiert sich Handrücken<br />

5:08 PT ... „ist es wichtig, dass Sie den Arm immer mitnehmen,<br />

dass er nicht irgendwo – dass Sie nicht aus Versehen<br />

draufsitzen oder ihn einklemmen.“<br />

5:21 Pat. „Ja.“<br />

5:23 PT „Und jetzt möchte ich Ihnen zeigen, was da gut wäre.“<br />

PT macht es gleichzeitig vor: „Jetzt nehmen Sie den Arm<br />

(die Hand) und gehen mit dem Daumen so hinein (in die<br />

Handfläche).<br />

5:34 Pat. macht es sofort korrekt nach.<br />

5:35 PT „Haben Sie das schon geübt?“<br />

5:37 Pat. „Ja.“<br />

5:38 PT „Ja, das sehe ich.“<br />

5:39 Pat. „Frau Nehmer.“ Pat. brummt.<br />

5:44 PT „Mit Frau Nehmer haben Sie das schon gemacht.“<br />

5:48 PT „Also. Jetzt, wenn Sie so sitzen und lesen, ist es gut,<br />

wenn Sie den Arm auf den Tisch legen. Also dieser (Arm)<br />

hier.“ PT berührt den rechten Arm des Patienten.<br />

6:02 PT „Wenn Sie diesen (Arm) nun nehmen (können)“.<br />

PT assistiert beim Bewegen von Hand/ Arm vom Schoss<br />

auf den Tisch. Der Pat. macht die Bewegung weitgehend<br />

selbstständig.<br />

6:05 PT „Jetzt können Sie den Arm nochmals runter nehmen,<br />

den Arm nochmals zurücknehmen.“<br />

PT initiiert die Bewegung,<br />

6:11 Pat. nimmt den Arm zurück –<br />

6:12 PT ... „und jetzt mit dem Stuhl nochmals näher (an den<br />

Tisch) rücken.“<br />

6:16 Pat. „Ja.“<br />

6:17 Pat. versucht erfolglos, näher an den Tisch zu rücken.<br />

und beraten<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

6:21 PT unterstützt den Pat. „Schwierig, hm?“<br />

6:22 Pat. „Geht.“<br />

6.25 PT „Und jetzt den Arm nochmals hochnehmen.“<br />

PT macht es gleichzeitig vor.<br />

6.26 Pat. legt die Hand korrekt geführt auf den Tisch.<br />

6:31 PT „Ich helfe Ihnen noch mit dem Bein.“ PT führt das<br />

betroffene Bein nach. PT ... „damit Sie es gut aufstellen<br />

können.“<br />

6:40 Pat. hat die Handfläche flach auf die Tischplatte gelegt<br />

und streicht sich über den Arm.<br />

6:41 PT „Ja, das ist sehr gut. Wenn Sie am Tisch sind“ ...<br />

6:43 Pat. schiebt die Gegenstände auf dem Tisch (Radio, Äpfel,<br />

Zeitschrift) aus dem Weg.<br />

6:45 PT „Ja, danke.“<br />

6:48 Pat. „Jaa, mm, Platz braucht’s.“ Legt Unterarme auf dem<br />

Tisch ab.<br />

6:51 PT „Ja, das braucht’s, merci.“<br />

6:54 PT „Wenn Sie am Tisch sitzen und lesen, ist es gut, wenn<br />

Sie den Arm auf den Tisch nehmen.“<br />

7:05 Pat. „Ja.“<br />

7:06 PT „Damit der (Arm) nicht einfach runterbaumelt, dass<br />

der (Arm) immer dabei ist.“<br />

7:11 Pat. brummt, wirkt abwesend, fixiert längere Zeit<br />

unbeweglich das Blatt der PT auf dem Tisch.<br />

7:21 Pat. „Was ist das?“ Pat. weist auf die Notizen der PT.<br />

7:23 PT „Das da?“<br />

7:24 Pat. legt seinen Zeigefinger auf ein Mindmap auf dem<br />

Blatt der PT.<br />

7:25 PT „Das? Das sieht aus wie eine Spinne, nicht? Da habe<br />

ich mir aufgeschrieben, was ich mit Ihnen alles machen<br />

möchte und habe das gezeichnet.“<br />

Seite 85


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

7:36 Pat. „Mm. Sp -“ Pat. versucht vergeblich das Wort zu<br />

finden, schlägt mit der Faust auf den Tisch, stützt den<br />

Kopf auf, verdeckt sich die Augen.<br />

7:45 PT „Spinne?“<br />

7:46 Pat. „Ja, ah, Spinne, mm, acht Beine.“<br />

7:52 PT „Ja, genau. Ja, so meinen Sie, nicht? Zeichnet Spinne<br />

mit acht Beinen: „Eins, zwei, drei vier, eins, zwei, drei<br />

vier.“<br />

8:00 Pat. „Ja, da, und da“, schaut auf, verweist auf das<br />

Mindmap in den Notizen der PT<br />

8:02 PT „und diese (Zeichnung) hat...“<br />

8:03 Pat. „Ja, mm...“<br />

8:06 PT „Ja, das ist so.“ Pause.<br />

8:12 PT „Also, mit dem Arm“...<br />

8:14 Pat. „Ja.“<br />

8:15 PT „Können Sie es mir nochmals sagen, damit ich weiss,<br />

dass Sie verstanden haben, was ich gemeint habe, wenn<br />

Sie am Tisch sind.“<br />

8:31 Pat. „Ja. Da.“ Klopft auf den Arm, der auf dem Tisch liegt,<br />

nimmt ihn zurück in den Schoss, umfasst die Hand. „So.<br />

Immer aufpassen.“<br />

8:53 PT „Genau.“<br />

9:00 Pat. führt die Hand und legt Arm auf dem Tisch ab.<br />

9:01 PT „Ja. Sehr gut. – Dann nehmen Sie ihn (den Arm) hoch,<br />

und machen die Finger flach.“<br />

9:08 Pat. „Mm, verstehe.“<br />

9:09 PT “Ja, genau. Das kennen Sie schon, nicht?“<br />

9:11 Pat. „Ja.“<br />

9:15 PT „Ja. Also, jetzt möchte ich gern noch etwas mit Ihnen<br />

versuchen und zwar – wie ist das mit Gehen?“ PT schaut<br />

im Raum herum, schätzt Distanzen und<br />

Haltemöglichkeiten ab.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

9:28 PT „Können Sie gehen?“<br />

9:29 Pat. „Ja.“<br />

9:30 PT „Dann gehen wir einmal zum Bett rüber.“<br />

9:37 PT steht auf. Pat. führt den gelähmten Arm vom Tisch,<br />

hängt sich mit dem gesunden Arm an die Tischkante, lehnt<br />

weit über den Tisch und steht nach mehrmaligem<br />

Schwung-Holen auf. PT steht dabei in der Nähe. Pat.<br />

schlurft begleitet von PT vom Tisch zum Bett, der<br />

betroffene Arm hängt herunter, mit der gesunden Hand<br />

sucht der Pat. so bald wie möglich Halt am Bett. Pat. setzt<br />

sich ans Fussende des Bettes.<br />

10:01 PT „Excusez, Sie können sich grad noch etwas in die<br />

Mitte setzen, noch ein bischen rüber.“<br />

10:05 Pat. „Da?“ Pat. weist dabei auf die Mitte des Bettes,<br />

deplaziert sich.<br />

10:09 PT „Noch etwas – so ist es gut.“<br />

10:12 PT „Jetzt hänge ich diesen (Bett-)bügel noch etwas weg,<br />

damit Sie den Kopf nicht anschlagen.“ Hängt den<br />

Haltebügel etwas höher, versucht den Bügel wegzudrehen,<br />

was nicht geht. „Ja, wir lassen es grad so.“<br />

10:24 PT „Jetzt setzen Sie sich bitte einmal ganz gerade hin. So<br />

gerade, wie es geht.“<br />

10:32 Pat. schaut fragend auf. „Gerade?“<br />

10:33 PT „Ja.“<br />

10:33 Pat. stützt mit der gesunden Hand auf und rückt sich<br />

zurecht, die gelähmte liegt auf seinem Oberschenkel.<br />

10:41 PT „Ist es so gut?“<br />

10:43 Pat. „Ja.“<br />

10:44 PT „Gut. Jetzt stelle ich Ihnen die Füsse hin, damit Sie<br />

guten Bodenkontakt haben.“ PT kauert vor den Pat., stellt<br />

seine Füsse fest auf.<br />

10:56 PT berührt das gesunde Bein „Spüren Sie dieses Bein?“<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Zeit Wortlaut/ Situationsbeschreibung (Forts.) Sequenz<br />

10:57 Pat. nickt „Ja.“<br />

11:58 PT berührt das betroffene Bein.<br />

„Wie ist es mit diesem?“<br />

11:00 Pat. wiegt den Kopf hin und her, brummt.<br />

11:03 PT „(Sie spüren dieses Bein) weniger?“<br />

11:09 PT „Also.“ PT steht auf.<br />

11:16 Pat. „Ja, das ist schwierig.“<br />

11:17 PT „Ja, das ist schwierig.“ Pause<br />

11:22 PT „Es ist jetzt auch erst vier Wochen her.“<br />

11:27 PT „Jetzt, können Sie sitzen, ohne zu stützen? Jetzt<br />

nehmen Sie diese (rechte, gesunde) Hand mal vor (auf den<br />

Oberschenkel).<br />

11:33 Pat. legt seine rechte Hand auf den Oberschenkel<br />

11:35 PT „Ja, sehr gut.“<br />

11:37 PT gibt von oben leichten Druck auf die Schultern<br />

11:38 PT „Können Sie sich da (im Sitzen) einmal aufrichten<br />

gegen (den Druck) meiner Hände. Jawohl.“ Pat. richtet<br />

sich auf.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

13.7 Analyse Video 2 (Patient nach CVI mit Aphasie)<br />

In der nachstehenden Analyse des Videos wurde die Transkription wortgetreu<br />

übernommen, thematisch bezüglich der Grundmotivationen in zusammengehörende<br />

Abschnitte eingeteilt und kommentiert. Wie in der Transkription ist links jeweils die Zeit<br />

in Minuten und Sekunden angegeben, rechts die Situationsbeschreibung bzw. der Wortlaut<br />

des Dialogs.<br />

Tabelle 37: 1./2./3. GM - Beginn des Gesprächs<br />

1:39 Der Patient (Pat.) sitzt im Patientenzimmer am Tisch, blättert in einer Zeitschrift, der<br />

betroffene Arm hängt herunter und das Radio läuft in beträchtlicher Lautstärke. Die<br />

Physiotherapeutin (PT) klopft und tritt ein, geht auf den Pat. zu und bleibt stehen.<br />

1.45 PT „Grüessech, guten Tag, Romann von der Physiotherapie - grüessech wohl.“<br />

1:47 Pat. hält der PT die linke Hand hin, PT schüttelt diese.<br />

1:53 PT „Ich bin Physiotherapeutin in Ausbildung und komme für Frau Nehmer.“<br />

2:00 Pat. brummt etwas vor sich hin.<br />

2:05 PT „Darf ich das Radio mal ausschalten?“<br />

2:10 Pat wiegt den Kopf hin und her, bewegt die Lippen.<br />

2:11 Pat „Ja. Neh?, Frau Nehmer?“<br />

2:15 PT „Ja. Ich schalte das Radio schnell aus, damit wir uns besser verstehen.“<br />

2:20 Pat. deutet fragend zum Radio<br />

2:22 PT „Oder können Sie grad? Das ist noch besser.“<br />

2:26 Pat. schaltet das Radio aus.<br />

2:27 PT „Ja, merci vielmals, sehr gut.“<br />

Die Physiotherapeutin und der Patient nehmen Beziehung auf durch das Vorstellen der<br />

Physiotherapeutin und Händeschütteln. Der Patient hält seine linke, gesunde Hand hin. Die<br />

Physiotherapeutin geht ohne Kommentar darauf ein, schüttelt die Linke des Patienten und<br />

besteht bei diesem Erstkontakt nicht auf der rechten Hand. Die Physiotherapeutin<br />

respektiert das So-Sein des Patienten (3. GM), wendet sich dem Patienten zu und<br />

ermöglicht unmittelbarer die Beziehungsaufnahme (2. GM) 12 .<br />

12 Kommentar aus physiotherapeutischer Sicht: Für einen Erstkontakt scheint das Akzeptieren der<br />

gesunden Hand legitim und wurde vom Schauspieler-Patienten begrüsst. Zur Vorbeugung eines<br />

Neglects muss die betroffene Hand selbstverständlich so oft wie möglich einbezogen sein.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Das Ausschalten des Radios schafft akustisch Raum und damit die Bedingung für eine<br />

ungestörte Therapie (1. GM) und die Begegnung (2. GM). Die Physiotherapeutin, die erst<br />

das Radio selber schnell ausschalten will, bemerkt, dass der Patient es tun kann und<br />

überlässt es dem Patienten. Damit respektiert sie ihn (3. GM). Der Patient nimmt das<br />

Radio selber in die Hand, wird damit selber tätig und übt sein Können aus (1. GM).<br />

2:32 PT setzt sich.<br />

Tabelle 38: 1./3. GM - Erklärung bezüglich der erkrankten Physiotherapeutin<br />

2:32 Pat. versucht Worte zu finden.<br />

2:33 Pat. „Frau Nehmer?“<br />

2:34 PT „Frau Nehmer.“<br />

2:39 Pat. brummt etwas, versucht, sich zu äussern.<br />

2:43 Pat. „Frau Nehmer....“<br />

Pat. gestikuliert dazu, will etwas erklären.<br />

2:49 Pat. versucht vergeblich, die Worte zu finden, schlägt mit der Faust auf den Tisch.<br />

2:50 Pat. „Was, was, was ist? Warum?“<br />

Pat. zeigt auf die PT.<br />

2:54 PT „Frau Nehmer ist krank. Also Frau Nehmer, Ihre Physiotherapeutin. Verstehen<br />

Sie?“<br />

3:00 Pat. „Ja, ja, ja.“<br />

3:05 PT ... „ist krank. Sie hat eine Magendarmgrippe.“<br />

3:08 Pat. „Ah, ja, ja, ich verstehe.“<br />

Pat. reibt sich das Gesicht.<br />

Der Patient ergreift wiederum Initiative und will klären, was mit seiner Therapeutin los ist.<br />

Die Frage des Patienten klärt die Bedingungen der Therapie und ist damit der 1. GM<br />

zugehörig: „Was ist los? Warum ist diese fremde Person jetzt hier und nicht die bekannte<br />

Physiotherapeutin?“<br />

Der Patient stolpert dann über seine Sprachbehinderung Aphasie, findet die Worte nicht<br />

und zeigt – wie es scheint – Ärger, indem er auf den Tisch schlägt. Vermutlich handelt es<br />

sich um eine Coping-Reaktion auf der Ebene der 3. GM, begründet darin, dass der Patient<br />

mit seinen Grenzen konfrontiert ist. Denkbar wäre auch, dass es sich um Wut handelt, eine<br />

Reaktion der 2. GM, z.B. in der Trauer über den Verlust der Sprach- und<br />

Bewegungsfähigkeit, die Reaktion scheint aber doch kühler, mehr ärgerlich als wütend.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Möglich wäre auch, dass der Patient Verzweiflung ausdrückt, womit die 4. GM tangiert<br />

wäre. Aber auch hierzu scheint der Ausdruck zu wenig stark.<br />

Tabelle 39: 1./2./3. GM - Vorstellung<br />

3:13 PT „Jetzt komme ich mit Ihnen Physiotherapie durchführen für Ihren Arm.“<br />

3:20 Pat. „Ja.“<br />

3:25 Pat. zeigt auf die PT, will sich äussern, sucht Worte.<br />

3:27 Pat. „Mm, mm, wie heissen Sie?“<br />

3:28 PT „Romann. Ja, Romann.“<br />

3:33 Pat. nickt „Ja.“<br />

Der Patient bleibt Gestaltender, macht wiederum nicht einfach, wozu die Physiotherapeutin<br />

jetzt übergehen will, sondern will den Namen wissen, einerseits ist das weiterhin eine<br />

Klärung der Bedingungen („Wer ist die hier beteiligte Therapeutin?“), andererseits eine<br />

Form der Beziehungsaufnahme, womit sowohl 1. als auch 2. GM angesprochen sind. Da<br />

es um den Namen der Physiotherapeutin geht, ist möglicherweise auch deren Person<br />

angesprochen, was das Thema der 3. GM ist.<br />

Tabelle 40: 1. GM/ 2. GM - Informationen sammeln: Sensibilität im betroffenen Arm<br />

3:35 PT „Ist das gut?“<br />

3:38 PT „Dann habe ich mir einige Dinge aufgeschrieben. Ich habe von Frau Nehmer<br />

Notizen bekommen, über das, was wir hier zusammen machen. Wir machen jetzt<br />

zusammen mit der Physiotherapie weiter, bis sie dann wieder kommt. Jetzt möchte<br />

ich gern – ich muss grad schnell schauen, was wir wollten.“ Schaut in den Unterlagen<br />

nach. „Genau, ich möchte zuerst mit Ihrem Arm schauen. Wie geht das?“<br />

4:08 Pat. deutet auf seinen herunterhängenden Arm, legt die gelähmte Hand mit der nicht<br />

betroffenen Hand in seinen Schoss und hält sie fest.<br />

4:10 Pat. „Ja.“<br />

4:14 PT wartet zuerst ab, dann „Haben Sie Gefühl (in der Hand)?“<br />

4.18 Pat. mit Kopfschütteln „Nein.“<br />

4.20 PT „Darf ich einmal schauen? - Ich habe noch etwas kalte Hände, wie Sie merken<br />

werden.“<br />

4:24 PT streicht über den betroffenen Arm vom Oberarm bis zur Hand.<br />

4:26 PT „Spüren Sie das?“<br />

Seite 91


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Forts. Tabelle 40: 1. GM/ 2. GM - Informationen sammeln: Sensibilität im betroffenen Arm<br />

4:31 Pat. schaut zu, brummt.<br />

4:36 PT hält ihre offene Hand hin.<br />

„Können Sie mir einmal Ihre Hand geben?“<br />

4:38 Pat. reicht seine gesunde Hand.<br />

4:39 PT „Ja, die andere.“<br />

4.42 Pat. transferiert mit der gesunden Hand die betroffene in die Hand der PT.<br />

4.43 PT „Ja, genau, merci.“<br />

4.45 PT untersucht die Beweglichkeit, nimmt dann einzelne Finger.<br />

4.50 PT „Wie ist das?“<br />

4.55 Pat. zuckt leicht mit den Schultern.<br />

4.56 PT „Schwierig zu sagen?“<br />

Hier beginnt der erste Teil der physischen Untersuchung, d.h. die Bedingungen auf der<br />

Körperebene werden evaluiert. Diese ist der 1. GM zugehörig. Aus den Reaktionen des<br />

Patienten wird hingegen nicht klar, ob und wie ihn das betrifft. Die Physiotherapeutin<br />

wendet sich mit der Frage: „Wie ist das?“ dem Arm zu, der Patient hat es schwer, zu sagen,<br />

wie er das empfindet, weil das Gefühl fehlt. Er nimmt die Berührung auf der Haut nicht<br />

wahr. Zuwendung und Berührt-Sein – sowohl auf der äussersten Schicht, der Haut, als<br />

auch emotional - sind der 2. GM zugehörig.<br />

Tabelle 41: 1. GM - Instruktionen geben und beraten: Handling des hemiplegischen Arms<br />

4.59 PT „So. Jetzt, weil Sie den Arm noch nicht spüren“ ...<br />

5:05 Pat. massiert sich Handrücken<br />

5:08 PT ... „ist es wichtig, dass Sie den Arm immer mitnehmen, dass er nicht irgendwo –<br />

dass Sie nicht aus Versehen draufsitzen oder ihn einklemmen.“<br />

5:21 Pat. „Ja.“<br />

5:23 PT „Und jetzt möchte ich Ihnen zeigen, was da gut wäre.“ PT macht es gleichzeitig<br />

vor: „Jetzt nehmen Sie den Arm (die Hand) und gehen mit dem Daumen so hinein (in<br />

die Handfläche).<br />

5:34 Pat. macht es sofort korrekt nach.<br />

5:35 PT „Haben Sie das schon geübt?“<br />

5:37 Pat. „Ja.“<br />

5:38 PT „Ja, das sehe ich.“<br />

Seite 92


Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Forts. Tabelle 41: 1. GM - Instruktionen geben und beraten: Handling des hemiplegischen Arms<br />

5:39 Pat. „Frau Nehmer.“ Pat. brummt.<br />

5:44 PT „Mit Frau Nehmer haben Sie das schon gemacht.“<br />

Der Patient wird instruiert, „wie es gut/ richtig wäre“. Er wird dabei nicht gefragt, ob ihm<br />

das passt oder wie es für ihn am besten ginge, da dies möglicherweise bei der schon<br />

erfolgten Erstinstruktion geschehen ist. Informationen, Erklärungen sind Halt gebend,<br />

wenn sie vom Patienten verstanden und akzeptiert werden. Sie können daher der 1. GM<br />

zugeordnet werden. Der Patient zeigt auch, dass er die Handführungstechnik schon<br />

beherrscht, dass er sie kann (1. GM). Welche weiteren Grundmotivationen betroffen sind,<br />

ist schwer zu sagen, weil schwer spürbar ist, wie es dem Patienten geht (2. GM) und<br />

welche Einstellung er zur Übung hat (3. GM).<br />

Tabelle 42: 1. GM/ 3. GM - Handling des hemiplegischen Arms (Forts. 1)<br />

5:48 PT „Also. Jetzt, wenn Sie so sitzen und lesen, ist es gut, wenn Sie den Arm auf den<br />

Tisch legen. Also dieser (Arm) hier.“ PT berührt den rechten Arm des Patienten.<br />

6:02 PT „Wenn Sie diesen (Arm) nun nehmen (können)“.<br />

PT assistiert beim Bewegen von Hand/ Arm vom Schoss auf den Tisch. Der Pat.<br />

macht die Bewegung weitgehend selbstständig.<br />

6:05 PT „Jetzt können Sie den Arm nochmals runter nehmen, den Arm nochmals<br />

zurücknehmen.“<br />

PT initiiert die Bewegung,<br />

6:11 Pat. nimmt den Arm zurück –<br />

6:12 PT ... „und jetzt mit dem Stuhl nochmals näher (an den Tisch) rücken.“<br />

6:16 Pat. „Ja.“<br />

6:17 Pat. versucht erfolglos, näher an den Tisch zu rücken.<br />

6:21 PT unterstützt den Pat. PT „Schwierig, hm?“<br />

6:22 Pat. „Geht.“<br />

Es geht hier nochmals um das Können (1. GM). Der Patient versucht selber, näher zum<br />

Tisch zu rücken. Als die Physiotherapeutin kommentiert, dass es schwierig ist, grenzt er<br />

sich ab und besteht darauf, dass es geht. Das Abgrenzen ist der 3. GM zugehörig.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Tabelle 43: 1. GM - Handling des hemiplegischen Arms (Forts. 2)<br />

6.25 PT „Und jetzt den Arm nochmals hochnehmen.“<br />

PT macht es gleichzeitig vor.<br />

6.26 Pat. legt die Hand korrekt geführt auf den Tisch.<br />

6:31 PT „Ich helfe Ihnen noch mit dem Bein.“ PT führt das betroffene Bein nach. PT ...<br />

„damit Sie es gut aufstellen können.“<br />

6:40 Pat. hat die Handfläche flach auf die Tischplatte gelegt und streicht sich über den<br />

Arm.<br />

6:41 PT „Ja, das ist sehr gut. Wenn Sie am Tisch sind“ ...<br />

6:43 Pat. schiebt die Gegenstände auf dem Tisch (Radio, Äpfel, Zeitschrift) aus dem Weg.<br />

6:45 PT „Ja, danke.“<br />

6:48 Pat. „Jaa, mm, Platz braucht’s.“ Legt Unterarme auf dem Tisch ab.<br />

6:51 PT „Ja, das braucht’s, merci.“<br />

6:54 PT „Wenn Sie am Tisch sitzen und lesen, ist es gut, wenn Sie den Arm auf den Tisch<br />

nehmen.“<br />

7:05 Pat. „Ja.“<br />

7:06 PT „Damit der (Arm) nicht einfach runterbaumelt, dass der (Arm) immer dabei ist.“<br />

Der Patient befolgt die Anweisung der Therapeutin, ist in der Lage sie auszuführen, wird<br />

dann zusätzlich initiativ und schafft sich auf dem Tisch Platz. Die Tätigkeit und das Sich-<br />

Raum-Schaffen gehören wieder zur 1. GM.<br />

Das Bein braucht Nachhilfe und wird von der Physiotherapeutin nachgeführt. Da erfährt<br />

der Patient seine Behinderung, sein Nicht-Können (1. GM).<br />

Tabelle 44: 2. GM/ 3. GM - Patient ist abgelenkt<br />

7:11 Pat. brummt, wirkt abwesend, fixiert längere Zeit unbeweglich das Blatt der PT auf<br />

dem Tisch.<br />

7:21 Pat. „Was ist das?“ Pat. weist auf die Notizen der PT.<br />

7:23 PT „Das da?“<br />

7:24 Pat. legt seinen Zeigefinger auf ein Mindmap auf dem Blatt der PT.<br />

7:25 PT „Das? Das sieht aus wie eine Spinne, nicht? Da habe ich mir aufgeschrieben, was<br />

ich mit Ihnen alles machen möchte und habe das gezeichnet.“<br />

7:36 Pat. „Mm. Sp -“ Pat. versucht vergeblich das Wort zu finden, schlägt mit der Faust<br />

auf den Tisch, stützt den Kopf auf, verdeckt sich die Augen.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Forts. Tabelle 44: 2. GM/ 3. GM - Patient ist abgelenkt<br />

7:45 PT „Spinne?“<br />

7:46 Pat. „Ja, ah, Spinne, mm, acht Beine.“<br />

7:52 PT „Ja, genau. Ja, so meinen Sie, nicht? Zeichnet Spinne mit acht Beinen: „Eins,<br />

zwei, drei vier, eins, zwei, drei vier.“<br />

8:00 Pat. „Ja, da, und da“, schaut auf, verweist auf das Mindmap in den Notizen der PT<br />

8:02 PT „und diese (Zeichnung) hat...“<br />

8:03 Pat. „Ja, mm...“<br />

8:06 PT „Ja, das ist so.“ Pause.<br />

8:12 PT „Also, mit dem Arm“...<br />

Es gibt einen kurzen Exkurs, eine Ablenkung von der physiotherapeutischen Übung. Der<br />

Patient versucht, die Skizze zu entziffern, zu verstehen, zu benennen, geht damit auf die<br />

Welt um sich herum ein und schafft Beziehung dazu (2. GM). Das Finden des Wortes<br />

(„Spinne“) scheint ihm wichtig zu sein. Wie bereits früher (Minute 2.49) schlägt er auf den<br />

Tisch, als ihm das Wort nicht einfällt, vermutlich als Ausdruck seines Ärgers, weil er<br />

wieder an seine sprachlichen Grenzen stösst. (3. GM).<br />

8:14 Pat. „Ja.“<br />

Tabelle 45: 1. GM/ 2. GM - Repetition der Instruktion<br />

8:15 PT „Können Sie es mir nochmals sagen, damit ich weiss, dass Sie verstanden haben,<br />

was ich gemeint habe, wenn Sie am Tisch sind.“<br />

8:31 Pat. „Ja. Da.“ Klopft auf den Arm, der auf dem Tisch liegt, nimmt ihn zurück in den<br />

Schoss, umfasst die Hand. „So. Immer aufpassen.“<br />

8:53 PT „Genau.“<br />

9:00 Pat. führt die Hand und legt Arm auf dem Tisch ab.<br />

9:01 PT „Ja. Sehr gut. – Dann nehmen Sie ihn (den Arm) hoch, und machen die Finger<br />

flach.“<br />

9:08 Pat. „Mm, verstehe.“<br />

9:09 PT “Ja, genau. Das kennen Sie schon, nicht?“<br />

9:11 Pat. „Ja.“<br />

Der Patient bewegt sich auf Anweisung, zeigt, dass er verstanden hat und die Armhaltung<br />

einnehmen kann, d.h. er weiss wie es geht, er kann es und tut es auch (1. GM). Durch das<br />

Glätten der Finger nimmt der Patient in ganz kleinem Massstab mehr Raum ein (1. GM)<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

und kommt gleichzeitig besser in Berührung mit der Umwelt (2. GM). Der Arm ist da, der<br />

Patient kann ihn sein lassen (1. GM) und er wendet sich ihm auch zu (2. GM).<br />

Tabelle 46: 1. GM/ 3. GM - Ganginspektion – Transfer Stuhl - Bett<br />

9:15 PT „Ja. Also, jetzt möchte ich gern noch etwas mit Ihnen versuchen und zwar – wie<br />

ist das mit Gehen?“ PT schaut im Raum herum, schätzt Distanzen und<br />

Haltemöglichkeiten ab.<br />

9:28 PT „Können Sie gehen?“<br />

9:29 Pat. „Ja.“<br />

9:30 PT „Dann gehen wir einmal zum Bett rüber.“<br />

9:37 PT steht auf. Pat. führt den gelähmten Arm vom Tisch, hängt sich mit dem gesunden<br />

Arm an die Tischkante, lehnt weit über den Tisch und steht nach mehrmaligem<br />

Schwung-Holen auf. PT steht dabei in der Nähe. Pat. schlurft begleitet von PT vom<br />

Tisch zum Bett, der betroffene Arm hängt herunter, mit der gesunden Hand sucht der<br />

Pat. so bald wie möglich Halt am Bett. Pat. setzt sich ans Fussende des Bettes.<br />

Der Patient besteht darauf, dass er aufstehen und gehen kann (1. GM), auch wenn es von<br />

aussen gesehen mit viel Anstrengung und Mühe geschieht. Er steht damit für sein Selber-<br />

Tun ein (3. GM). Physisch sucht er Halt, wo er kann: Am Tisch und am Bett und schafft<br />

sich damit die Bedingung, stehend und mobil da sein zu können. (1. GM).<br />

Tabelle 47: 1. GM - Vorbereitung der Übung<br />

10:01 PT „Excusez, Sie können sich grad noch etwas in die Mitte setzen, noch ein bischen<br />

rüber.“<br />

10:05 Pat. „Da?“ Pat. weist dabei auf die Mitte des Bettes, deplaziert sich.<br />

10:09 PT „Noch etwas – so ist es gut.“<br />

10:12 PT „Jetzt hänge ich diesen (Bett-)bügel noch etwas weg, damit Sie den Kopf nicht<br />

anschlagen.“ Hängt den Haltebügel etwas höher, versucht den Bügel wegzudrehen,<br />

was nicht geht. „Ja, wir lassen es grad so.“<br />

In dieser Sequenz werden die Bedingungen geschaffen für die Übung, der Patient nimmt<br />

(auf Anweisung) Platz ein, so, dass er rundum genügend Raum hat. Die Physiotherapeutin<br />

sorgt dafür, dass die 1. GM für diese Übung erfüllt ist.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Tabelle 48: 1./ 2. GM - Sitzhaltung<br />

10:24 PT „Jetzt setzen Sie sich bitte einmal ganz gerade hin. So gerade, wie es geht.“<br />

10:32 Pat. schaut fragend auf. „Gerade?“<br />

10:33 PT „Ja.“<br />

10:33 Pat. stützt mit der gesunden Hand auf und rückt sich zurecht, die gelähmte liegt auf<br />

seinem Oberschenkel.<br />

10:41 PT „Ist es so gut?“<br />

10:43 Pat. „Ja.“<br />

10:44 PT „Gut. Jetzt stelle ich Ihnen die Füsse hin, damit Sie guten Bodenkontakt haben.“<br />

PT kauert vor den Pat., stellt seine Füsse fest auf.<br />

10:56 PT berührt das gesunde Bein „Spüren Sie dieses Bein?“<br />

10:57 Pat. nickt „Ja.“<br />

11:58 PT berührt das betroffene Bein.<br />

„Wie ist es mit diesem?“<br />

11:00 Pat. wiegt den Kopf hin und her, brummt.<br />

11:03 PT „(Sie spüren dieses Bein) weniger?“<br />

11:09 PT „Also.“ PT steht auf.<br />

11:16 Pat. „Ja, das ist schwierig.“<br />

11:17 PT „Ja, das ist schwierig.“ Pause<br />

11:22 PT „Es ist jetzt auch erst vier Wochen her.“<br />

Es geht weiter darum, Raum einzunehmen, diesmal in der Vertikalen und die Körpermitte<br />

zu fühlen. Die Physiotherapeutin fazilitiert einen guten Bodenkontakt (1. GM). Es stellt<br />

sich dann heraus, dass die physische Wahrnehmung der Berührung behindert ist (2. GM),<br />

was der Patient klar bemerkt und mit Zögern kundtut (1. GM). Der Patient tut kund, dass<br />

„es“ schwierig ist, wobei nicht klar ist, was er damit meint. Ist es lediglich das<br />

Wahrnehmen, das nicht so funktioniert oder als Ausdruck der ganzen Situation? Die<br />

Physiotherapeutin verbalisiert die Schwere der Situation, was möglicherweise in dem<br />

Moment nicht dem Empfinden des Patienten entspricht. Beide Interpretationen (das Spüren<br />

ist schwierig oder die Situation ist schwierig) betreffen die Ebene der 1. GM, das Können<br />

bzw. Aushalten.<br />

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Romann Logotherapie/ Existenzanalyse in der Physiotherapie<br />

Tabelle 49: 1. GM - Sitzhaltung (Forts. 1 )<br />

11:27 PT „Jetzt, können Sie sitzen, ohne zu stützen? Jetzt nehmen Sie diese (rechte,<br />

gesunde) Hand mal vor (auf den Oberschenkel).<br />

11:33 Pat. legt seine rechte Hand auf den Oberschenkel<br />

11:35 PT „Ja, sehr gut.“<br />

11:37 PT gibt von oben leichten Druck auf die Schultern<br />

11:38 PT „Können Sie sich da (im Sitzen) einmal aufrichten gegen (den Druck) meiner<br />

Hände. Jawohl.“ Pat. richtet sich auf.<br />

In dieser letzten Sequenz geht es wieder um das Tun, das Können, das Vermögen, sich<br />

aufzurichten und Raum einzunehmen, welches Bedingungen sind für die 1. GM.<br />

13.8 Checkliste Kommunikationstraining und Poster<br />

Auf den folgenden zwei Seiten ist die Checkliste aus den Kommunikationstrainings<br />

beigefügt; anschliessend folgt ein Abdruck des Posters, das für die Posterpräsentation bei<br />

der Vorstellung der Bachelor-Arbeit verwendet wurde.<br />

Seite 98


Einleitung: In der physiotherapeutischen Praxis gewinnen die<br />

Themen Kommunikation und Motivation zunehmend an Bedeutung<br />

[1]. Eine Methode für Therapie und Beratung, die in der<br />

Physiotherapie noch nicht erforscht wurde, ist die Existenzanalyse<br />

und Logotherapie (EA/LT) [4, 5]. In der Medizin, Psychiatrie und<br />

Pflege ist deren Einsatz belegt, bzw. wird eine positive Wirksamkeit<br />

vermutet, insbesondere bei chronischen Krankheiten [2, 3].<br />

Mit der Theorie der vier Grundmotivationen (GM) verfügt die EA/LT<br />

über ein spezifisches Motivationskonzept. Diese vier GM bilden die<br />

Grundlage der Motivierbarkeit, werden aufgeschlüsselt in vier<br />

Grundfragen und sind durch bestimmte Voraussetzungen bedingt<br />

(Tab.1). Können die Grundfragen mit „Ja“ beantwortet werden, wird<br />

gemäss EA/LT das Leben vom Individuum trotz körperlicher<br />

Einschränkungen als sinnvoll erlebt EA/LT [6].<br />

GM Grundmotiv Grundfrage Voraussetzung<br />

1. GM<br />

Methodik: Es wurde eine qualitative Video-Analyse durchgeführt<br />

anhand zweier Videos von Kommunikationstrainings der Physio-<br />

therapieausbildung. Dabei spielten Schauspieler standardisierte<br />

Patienten (Video 1: Tumorpatient; Video 2: Patient mit Hemiplegie<br />

und Aphasie). Die Autorin war die Physiotherapeutin. Das<br />

methodische Vorgehen für Auswahl und Analyse ist in Tab. 2<br />

aufgeführt. Für Schritt 3, Einteilung in Sequenzen, wurde das<br />

Raster der Kommunikationstrainings [7] und für Schritt 4,<br />

Identifizierung der GM, die Definitionen gemäss Literatur [6]<br />

eingesetzt.<br />

Da sein können/<br />

Können<br />

Tab. 1: Die vier Grundmotivationen der EA/LT mit zugehörigem Grundmotiv,<br />

Grundfragen und Voraussetzungen [6]<br />

Schritt Vorgehen<br />

Was ist denn los?<br />

Logotherapeutische und existenzanalytische Konzepte<br />

in der physiotherapeutischen Praxis<br />

Kann ich (so) leben?<br />

1. Gezielte Auswahl von zwei Videos [8]<br />

2. Phänomenologisch-offene Betrachtung eines Videos<br />

3. Einteilung des Videos in Sequenzen<br />

4. Transkription der ersten 10 Min. der Videos<br />

5. Identifizierung der GM nach EA/LT<br />

Claudine Yvonne Romann, Betreuung: Dörte Watzek<br />

Raum,<br />

Schutz, Halt<br />

2. GM Leben mögen Mag ich (so) leben? Zuwendung<br />

3. GM Selbstsein dürfen Darf ich (so) leben? Wertschätzung<br />

4. GM Sinnvolles wollen Will ich (so) leben? Tätigkeitsfeld<br />

Daraus ergaben sich zwei Fragestellungen:<br />

1. Sind die vier Grundmotivationen der EA/LT im<br />

physiotherapeutischen Setting sichtbar?<br />

2. Welche Grundmotivationen können betroffen sein?<br />

Tab. 2: Methodik: Vorgehen bei Auswahl und Analyse der Videos aus<br />

dem Kommunikationstraining<br />

Keywords: Communication, Counseling, Motivation, Psychology<br />

Kontakt: romac1@bfh.ch<br />

Ergebnisse: Die GM nach EA/LT konnten in den Videos<br />

identifiziert werden und zwar vorwiegend Elemente der 1. GM<br />

gemäss Tab. 1: Können (Sitzen, Gehen Transfers), Raum (Sich-<br />

Aufrichten), Schutz (Armschutz), Halt (Plazieren der Füsse) und<br />

Klären der Fakten/ Bedingungen des Daseins (Beweglichkeit,<br />

Schmerzen, Schwindel und Gehhilfsmittel).<br />

Tab. 3 zeigt ein Beispiel eines transkribierten Abschnitts aus<br />

Video 1, woran einige Aspekte der 1. GM sichtbar sind.<br />

Thema Wortlaut/ Handlungen<br />

Raum<br />

(Aufrich-<br />

tung)<br />

Raum,<br />

Können<br />

Diskussion: Die GM als Element der EA/LT lassen sich als<br />

Analyse-Instrument in der Physiotherapie einsetzen. Die Dominanz<br />

der 1. GM hat ev. damit zu tun, dass die Physiotherapie den Körper<br />

als zentrales Wirkungsgebiet hat und dass es bei den schwer<br />

beeinträchtigten Patienten um basale Fähigkeiten ging (Können,<br />

Da-Sein). Diese Patientengruppe wird als Einsatzgebiet der EA/LT<br />

in der Literatur erwähnt [3]. Bei Analyse des gesamten Videos<br />

wären eventuell weitere GM zum Zug gekommen, z.B. „Was ist Ihr<br />

Ziel?“ bei Therapieende (4. GM).<br />

Studiengang Physiotherapie (BSc)<br />

Bachelorarbeit PHY06<br />

PT „Jetzt gebe ich Ihnen Druck auf beide Schultern und Sie<br />

versuchen sich aufzurichten.“ PT steht vor Pat. und gibt Druck<br />

von oben auf die Schultern des Pat.<br />

PT „Versuchen Sie mal, ob Sie ganz gerade sitzen können.“<br />

Pat richtet sich auf.<br />

Können PT „Können Sie einen Moment so bleiben?<br />

Können Pat. „Ich kann es versuchen.“<br />

Klärung d.<br />

Fakten<br />

PT geht auf die rechte Seite des Pat., nimmt dessen Arm,<br />

bewegt die Schulter endgradig in Flexion.<br />

Dto. PT „Geht das so?“<br />

Tab. 3: Themen der 1. GM in Ausschnitt aus Transkription von Video 1,<br />

Physiotherapie mit Tumorpatient (PT = Physiotherapeutin, Pat.= Patient)<br />

Schlussfolgerung: Die Grundmotivationen der EA/LT sind<br />

auch im physiotherapeutischen Setting beobachtbar. Für die<br />

Umsetzung in der Praxis werden Vorschläge für GM-geleitete<br />

Fragen gemacht: „Was hilft Ihnen, diese Tätigkeit zu tun?“ (1. GM);<br />

„Was tun Die gerne?“ (2. GM); Wenn Sie nur auf sich hören, würden<br />

Sie in die Rehabilitation gehen?“ (3. GM). Die Frage nach den GM<br />

kann damit auch in der Physiotherapie ein Instrument sein, um<br />

Potenziale und Schwierigkeiten innerhalb der Therapie zu erkennen<br />

und entsprechend zu intervenieren.<br />

Im Anschluss zu erforschen wäre, inwiefern sich eine von der EA/LT<br />

geleitete Intervention auf physiotherapeutische Parameter auswirkt<br />

(Tonus, Schmerzen, Therapiemotivation) und inwiefern sie sich von<br />

anderen Kommunikationskonzepten [1] unterscheidet.<br />

Literatur: [1] Hoos-Leistner & Balk, Gesprächsführung für Physiotherapeuten.<br />

2008; Thieme-Verlag, Stuttgart. [2] <strong>GLE</strong>, 10.03.2009;<br />

www.gle.at. [3] Mehnert, Bundesgesundheitsblatt. 2006; 49: 780-787. [4]<br />

Pubmed, 03.12.2008; www.ncbi.nlm.nih.gov. [5] PsycINFO®, 05.06.2009;<br />

www.apa.org/psychinfo. [6] Längle et al., Lehrbuch zur Existenzanalyse.<br />

2005; <strong>GLE</strong>-<strong>International</strong>, Wien. [7] Berner Fachhochschule Gesundheit,<br />

Checkliste Kommunikationstraining. 2008; Bern. [8] Patton, Qualitative<br />

Research and Evaluation Methods. 2002; Sage, California.<br />

2009

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