27.08.2013 Aufrufe

PDF-Vollversion

PDF-Vollversion

PDF-Vollversion

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

DIE PERSONAL - EXISTENTIELLEN<br />

GRUNDMOTIVATIONEN<br />

UND IHRE KONKRETISIERUNG IN<br />

DER EHEBERATUNG<br />

Abschlussarbeit in existenzanalytischer Beratung und Begleitung - Logotherapie<br />

Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse (GLE)<br />

eingereicht von<br />

Mag. Kurt Reinbacher, Salzburg<br />

Mai 2006


Abstract<br />

Wenn wir von Paarbeziehung sprechen, so<br />

nähern wir uns dem Phänomen Liebe an und<br />

fragen uns, wie sie - trotz vieler<br />

offensichtlicher Schwierigkeiten - gelingen<br />

kann.<br />

Liebe als intentionaler Akt steht in<br />

Zusammenhang mit Werten und hat etwas<br />

mit Begegnung zu tun. Entscheidend ist,<br />

inwieweit es in der Beziehung zur<br />

Begegnung kommt.<br />

Im Lexikon für Existenzanalyse und<br />

Logotherapie findet sich folgende Definition:<br />

„Der Begriff der personalen Begegnung<br />

meint das Erkennen, Verstehen und<br />

Beantworten eines Du (einer anderen<br />

Person) durch ein Ich … Das Mittel der<br />

Begegnung ist der Dialog“ (Längle, Lexikon<br />

2002, 25 ).<br />

Der erste Teil der Arbeit stellt sich somit der<br />

Frage, welche Ebenen der Kommunikation es<br />

gibt und wie im Dialog, im Sinne des<br />

Austausches von Wesentlichem, personale<br />

Begegnung geschehen kann. Die<br />

Grundmotivationen bilden dabei den Rahmen<br />

in der Verdichtung des Persönlichen.<br />

In Kapitel III werden kurz zwei<br />

Konfliktebenen in der Partnerschaft<br />

vorgestellt: horizontale Konflikte auf<br />

interpersonaler Ebene und vertikale<br />

Konflikte, die die intrapsychische Ebene<br />

betreffen.<br />

Den größten Raum vorliegender Arbeit<br />

nimmt naturgemäß das zentrale Anliegen ein:<br />

die Verdeutlichung und systematische<br />

Darstellung der Grundmotivationen als<br />

strukturierende Wirkinhalte in den<br />

verschiedenen Phasen der Paarbeziehung.<br />

Die Grundstrebungen bieten die Möglichkeit,<br />

die Struktur der Paarbeziehung<br />

existenzanalytisch zu diagnostizieren.<br />

Abschließend wird ein stufenförmiges<br />

Modell einer Paarberatung ebenfalls unter<br />

besonderer Berücksichtigung der personalen<br />

Grundmotivationen vorgestellt.<br />

Schlüsselwörter: personal – existentielle<br />

Grundmotivationen, Begegnung, Dialog,<br />

Paarberatung<br />

2<br />

When speaking about relationships of<br />

couples we encounter the phenomenon of<br />

love. The question arises how love and<br />

relationship can be successful despite all the<br />

obvious obstructions along the way.<br />

Love as an intentional act is closely related to<br />

values and somehow to encountering the<br />

other. It hinges on the readiness to meet your<br />

partner.<br />

The encyclopedia of existential analysis and<br />

logotherapy provides us with the following<br />

definition: „Der Begriff der personalen<br />

Begegnung meint das Erkennen, Verstehen<br />

und Beantworten eines Du (einer anderen<br />

Person) durch ein Ich … Das Mittel der<br />

Begegnung ist der Dialog“ (Längle, Lexikon<br />

2002, 25 ).<br />

The first part of the thesis deals with the<br />

different levels/layers of communication and<br />

how interpersonal encounter is facilitated by<br />

exchanging relevant information in dialogue.<br />

Hereby the basic motivational forces form<br />

the frame for the densification of the<br />

personal.<br />

The third chapter briefly introduces two<br />

levels of conflict in a relationship: horizontal<br />

conflicts on an interpersonal level and<br />

vertical conflicts, which occur on an<br />

intrapsychic level.<br />

Evidently the largest part of the thesis<br />

addresses the central concern: the<br />

clarification and systematical illustration of<br />

the basic motivational forces as structuring<br />

power contents during the different stages of<br />

a love relationship. The basic strivings allow<br />

for an existential-analytic diagnosis of the<br />

structure of love relationships.<br />

Finally the author introduces his model of<br />

relationship counselling, which is organised<br />

in steps and is based on the previously<br />

mentioned personal basic motivational<br />

forces.<br />

key words: personal – existential basic<br />

motivational forces, encounter, dialogue,<br />

relationship counselling


INHALTSVERZEICHNIS<br />

I Hinführung…………………………………...………………. . S 3 – 4<br />

II Der persönliche Dialog als Weg zum Verstehen …………… S 5<br />

1. Die Kommunikationspyramide nach Powell………………………........ S 6 - 7<br />

2. Wie geschieht Begegnung im Dialog?....................................................... S 7 - 11<br />

III Zwei Konfliktebenen in der Partnerschaft<br />

1. Horizontale Konflikte (interpersonale Ebene) ……………………… S 12<br />

2. Vertikale Konflikte (intrapsychische Ebene) ……………………….. S 12 - 13<br />

IV Die Grundmotivationen als Strukturdominanten einer Paarbeziehung<br />

1. Der Substanz – Pol: miteinander sein können –<br />

Sachebene – Weltbezug (Da – sein) …………………………………. S 14 – 19<br />

2. Der Nähe – Pol: Gerne miteinander sein mögen<br />

Beziehungsebene – Lebensbezug (Wert – sein) …………………….. S 19 – 24<br />

3. Der Individualitäts – Pol: Im Miteinander eigen sein dürfen<br />

Individualität – Selbstbezug (So – sein) …………………………….. S 24 – 30<br />

4. Sinnhorizont: Unser gemeinsamer Lebensentwurf<br />

Sinnbezug (Sinnvoll leben) …………………………………………... S 30 - 33<br />

V Modell einer Paarberatung – Verlauf in neun Stufen ……… S 34 – 40<br />

VI Schlussbemerkungen ………………………………………… S 41<br />

Literaturverzeichnis …………………………………………….. S 42<br />

3


I Hinführung – eine Annäherung an das Phänomen Liebe<br />

Wenn wir von Paarbeziehung sprechen, so nähern wir uns dem Phänomen Liebe an und<br />

fragen uns, wie sie - trotz vieler offensichtlicher Schwierigkeiten - gelingen kann. Viel ist<br />

geschrieben und gesagt worden über die Liebe, in unzähligen Liedern wird sie besungen. Je<br />

mehr wir über sie nachdenken, desto mehr stellen wir fest, dass wir uns diesem Phänomen nur<br />

beschreibend annähern können, dass die Liebe schwer fassbar ist. Eine letztgültige Definition<br />

der Liebe schlechthin ist nicht möglich.<br />

In jedem Menschen wohnt offensichtlich die Sehnsucht nach Liebe in Form von<br />

Anerkennung, Wärme, Geborgenheit und Zugehörigkeit. Trotzdem erscheint die Liebe<br />

zwischen Mann und Frau – und darum geht es in meiner Arbeit – so ungemein kompliziert<br />

und geradezu zerbrechlich. Wohl auch deshalb, weil wir uns im Reden von der Liebe dem<br />

Geheimnis der Person annähern, die sich im letzten unserem Zugriff entzieht.<br />

Im Rahmen des Herbstsymposiums 2003 der GLE - Österreich mit dem Titel: „Liebe – Eros –<br />

Sexualität“ beleuchteten Referenten verschiedene Aspekte der menschlichen Liebe.<br />

Der Existenzanalytiker und Paartherapeut Christoph Kolbe beschreibt sie in seinem Vortrag<br />

„Was die Liebe so kompliziert macht und wie sie trotzdem gelingen kann“ als intentionalen<br />

Akt. Intentionale Akte stehen im Zusammenhang mit Werten. Auf diese Werte trifft der<br />

Mensch und wird von ihnen berührt, lässt sich in Bewegung setzen und begeistern. „Dort wo<br />

der liebende Mensch der Kostbarkeit und unverwechselbaren Einzigartigkeit eines anderen<br />

Menschen begegnet und von ihr fasziniert wird, dort entflammt die Liebe ohne dass wir dies<br />

letztlich erklären und begründen können“, so Kolbe wörtlich. Eine weitere Vortragende, die<br />

Existenzanalytikerin und Pädagogin Michaela Probst nennt die Liebe in ihrem Beitrag zum<br />

Herbstsymposium ein sinnliches Erlebnis, das sich in der Begegnung ereignet.<br />

Liebe hat also etwas mit Begegnung zu tun, sie lebt geradezu von Begegnung. Entscheidend<br />

ist, inwieweit es in der Beziehung zur Begegnung kommt. Was aber ist mit Begegnung<br />

gemeint? Im Lexikon für Existenzanalyse und Logotherapie findet sich folgende Definition:<br />

„Der Begriff der personalen Begegnung meint das Erkennen, Verstehen und Beantworten<br />

eines Du (einer anderen Person) durch ein Ich … Anthropologisch gesehen geschieht im<br />

Zusammentreffen mit Anderem (Mitwelt, Umwelt) ein Angesprochen – werden im eigenen<br />

Wesenskern, wodurch das Wesentliche des anderen antreffbar wird. Die Begegnungsfähigkeit<br />

der Person beruht auf der Individuation (Abgrenzung des eigenen vom anderen) …Das Mittel<br />

der Begegnung ist der Dialog“ (Längle 2002, 5).<br />

4


In der Realität geht es in vielen Beziehungen vorwiegend um die Funktionalität, um das<br />

Aufrechterhalten von Strukturen und geordneten Abläufen. Es fehlt eben gerade die<br />

Begegnung mit dem Du in seiner Einzigartigkeit und Besonderheit, d.h. mit der Person. Diese<br />

Begegnung wiederum ist nur im zweckfreien Raum möglich, indem ich mein Ich dem Du der<br />

anderen Person öffne. Frankl nennt es sinngemäß so: Lieben heißt, Ja sagen zu einem<br />

Menschen so, wie er ist, und Du – sagen, sich an ihn als Person richten.<br />

Dabei wird auch deutlich, dass die Liebe in all ihren Formen, über uns selbst hinausweist,<br />

indem wir uns etwas (oder jemand) anderem liebend zuwenden. In dieser liebenden<br />

Zuwendung transzendiert sich die Person zugleich selbst. Einfach gesagt: Die Liebe beinhaltet<br />

das Ja zum Du einer anderen Person.<br />

Ein anderer Aspekt, der so noch nicht zur Sprache gekommen ist, wird von Jürg Willi in<br />

seinem Buch „Psychologie der Liebe“ dargestellt, nämlich dass die Liebe eine<br />

Entwicklungsherausforderung für beide Partner darstellt. Er betont, dass Partner sich in der<br />

Regel sehr genau erkennen und auf anstehende Entwicklungsschritte hinweisen. Diese<br />

Entwicklungsschritte werden durch wechselnde Partnerschaften oft verabsäumt (vgl. Willi<br />

2000, 10). Darauf will ich kurz im Kapitel Konfliktebenen in der Partnerschaft eingehen.<br />

Zusammenfassend kann man sagen, dass es in der Liebe wohl um die personale Entfaltung<br />

beider Beteiligten sowie des Paar – Selbst geht. Voraussetzung ist, dass sich ein Mensch für<br />

die Begegnung und damit für den Dialog öffnet. Immer ist die Person frei, sich so oder so zu<br />

verhalten, denn „in der Liebe gibt es kein Recht aufeinander. Es ist freies Geschenk des<br />

anderen. Wer es achtet und schätzt, vertieft die Liebe (Kolbe 2003). Im Buch<br />

„Beziehungscoaching“ wird – in guter Frankl`scher Tradition - betont, dass man die Liebe<br />

selbst nicht wollen kann, sowie man auch nicht glauben wollen, hoffen wollen, oder wollen<br />

wollen kann. Vielmehr „widerfährt (sie) uns als Geschenk und muss dann kontinuierlich<br />

erarbeitet werden“ (Wawra & Lindner 2000, 11)<br />

Faszinierend ist, dass wir im Beschreiben des Phänomens der Liebe von Mann und Frau,<br />

sowie in der Definition der Begegnung dem Konzept der Grundmotivationen begegnen. Die<br />

Grundstrebungen, die sich – nach Alfried Längle – wie Bugwellen durch das menschliche<br />

Leben ziehen (vgl. Längle 1999, 19) haben somit auch in den verschiedenen Phasen der<br />

Paarbeziehung Bedeutung. Sie bilden geradezu die strukturierenden Wirkinhalte der<br />

Paarbeziehung. Das zu entfalten ist zentrales Anliegen der vorliegenden Arbeit. Darüber<br />

hinaus werden im Sinne der Beziehungspflege Aspekte des persönlichen Dialogs und<br />

abschließend das Modell einer Paarberatung dargestellt.<br />

5


II Der persönliche Dialog als Weg zum Verstehen – Beziehungspflege<br />

Christoph Kolbe nennt im oben zitierten Vortrag zwei Bedingungen, damit Begegnung<br />

gelingen kann:<br />

1) Ich muss den Partner als Person sehen. Das heißt, ich begegne seiner Einzigartigkeit,<br />

seinem Wesenskern und frage ihn an. Ich begegne dem Freien im Menschen, das was sich frei<br />

verhalten, somit auch opponieren kann. Ich bleibe im Fragen auch ganz beim anderen: Was<br />

will er? Worum geht es ihm? Was sind seine Intentionen? Die Gefahr in einer Partnerschaft<br />

ist, dass ich den anderen auf mein Bild von ihm festlege. Der andere bemüht sich, diesem Bild<br />

zu entsprechen und vergisst ganz, er selbst zu sein. Ich kann allerdings nur ganz beim andern<br />

sein, wenn ich auch ganz bei mir bleiben kann. Sonst kommt es zur symbiotischen<br />

Verschmelzung.<br />

2) Zur Begegnung gehört weiters die personale Dialogfähigkeit. Dieser ist mehr als ein<br />

Einüben von Kommunikationsstrukturen und regeln. Er lebt vom Interesse und der<br />

Möglichkeit, phänomenologisch mit den Fragen beim anderen bleiben zu können: Was<br />

bewegt dich? Was ist dir wichtig? Was ist gut für dich? Wie ist das für dich?<br />

Leider gleiten wir sehr oft in eigene Betroffenheiten und Sichtweisen hinüber, pflegen unser<br />

Bild vom Ehepartner so dass Kommunikation zum Schlagabtausch verkommt. Ein<br />

Fallbeispiel erhellt das: Franz kommt von der Arbeit nach Hause und erzählt aufgebracht:<br />

„Ich komme so spät, weil heute hat mich einer geschnitten, ich musste zusammenschleifen“<br />

Seine Frau Gerda fällt ihm sofort ins Wort: „Ja, ja natürlich, weil du immer drängelst und zu<br />

schnell fahren musst“. Das heißt, sie hört überhaupt nicht, was er ihr mitteilen will, sondern<br />

wartet nur auf das entsprechende Stichwort für ihren Einsatz, ihren Auftritt. Sie möchte ihr<br />

Bild vom Ehepartner bestätigt wissen.<br />

Max Frisch charakterisiert dieses Loslassen von Bildern und Vorstellungen in einem seiner<br />

Werke als einen wesentlichen Aspekt der Liebe. Er betont: „Die Liebe befreit das Bekannte<br />

aus jeglichem Bildnis. Wenn wir glauben, wir kennen den anderen, ist das das Ende der<br />

Liebe“. Im religiösen Kontext gibt es übrigens das Verbot, sich von Gott ein Bild zu machen,<br />

weil er der ganz Andere ist. Er ist der schlechthin Seiende, der jedes Bild übersteigt. Die<br />

Phänomenologie als Erkenntnishaltung bezieht sich also nicht nur auf den anderen sondern<br />

auch auf Gott selbst: „Schauen wir einmal, dann sehen wir schon“, drückt diese Grundhaltung<br />

wunderbar aus.<br />

6


1. Die Kommunikationspyramide von Powell<br />

Die Kommunikationspyramide von John Powell (vgl. Powell 1969, 54) führt uns deutlich vor<br />

Augen, wie selten in Beziehungen auch Begegnung geschieht im Sinne des Angesprochen-<br />

Werdens im eigenen Wesenskern:<br />

1.<br />

Ober -<br />

flächliches<br />

Gespräch<br />

2. Informationen<br />

und Nachrichten<br />

3. Ideen, Meinungen und<br />

Absichten<br />

4. Emotionen, Gefühle,<br />

das Gespräch „aus dem Bauch heraus“<br />

5. Kommunikation auf tiefster Ebene,<br />

Offenheit, Ehrlichkeit, ohne Masken<br />

In der Darstellung wird deutlich, dass Qualität und Quantität der Gespräche sich gegenläufig<br />

zueinander verhalten. Normalerweise – so Powell - bleiben viele Gespräche im Austausch<br />

von Unverbindlichkeiten stehen. Wir nennen es „small talk“. Typische Ausdrücke dafür sind:<br />

Wie geht`s? Schönes Wetter heute, oder das englische: How are you? Wir erwarten keine<br />

Antwort und lassen den anderen auch an unserem Innenleben nicht teilhaben. Es geht nur<br />

darum, miteinander in Kontakt zu kommen. Viel wird auch noch über Organisatorisches und<br />

Alltäglichkeiten gesprochen. Das ist der Bereich der Funktionalität. Man spricht über etwas<br />

oder über jemand (z.B. Termine, die Kinder, anstehende Aufgaben, den Beruf, Neuigkeiten<br />

aus Dorf und Stadt). Man tauscht sich vielleicht über andere aus, gibt aber von sich selbst<br />

nichts preis.<br />

Auf der dritten Ebene ist die Berichtssprache angesiedelt. Gesprochen wird, insofern es Neues<br />

zu vermitteln gibt (Sport, Beruf…). Andernfalls besteht kein guter Grund, sich mitzuteilen.<br />

Ein Fallbeispiel dazu. Wolfgang sagt: „Ich verstehe meine Frau nicht. Ständig will sie von mir<br />

hören, dass ich sie liebe. Ich habe es ihr doch schon gesagt, bei unserer Hochzeit, und das gilt<br />

für mich“. Negativ formuliert ist auf dieser Ebene auch der Tratsch angesiedelt. Es kann<br />

schon verbindend sein, jemand „auszurichten“ (etwa in kleineren Dörfern, wo jeder jeden<br />

kennt: „Hast schon gehört, die Maier …?). Seltener sind Gespräche, in denen wir unsere<br />

7


Werte, unsere Einstellungen, oder unsere persönlichen Meinungen mitteilen (ich finde gut, es<br />

ärgert mich, es freut mich usw.). Das ist die Ebene, wo in Ansätzen etwas von der<br />

Einzigartigkeit der Person sichtbar wird, sich zeigt. Nach den Erkenntnissen von Powell hört<br />

es in vielen Ehen hier auf. Auf diese Ebene stellt er auch Wünsche, Erwartungen und<br />

Absichten der Person dar. Es kann durchaus hilfreich sein, sich zu fragen: Kenne ich<br />

eigentlich Wünsche oder Erwartungen meines Ehepartners an unser Zusammenleben? Weiß<br />

ich, welche Erwartungen er hat?<br />

Die Ebenen vier und fünf bei Powell betreffen schließlich aus existenzanalytischer Sicht den<br />

Kern unserer Person. Ich teile etwas mit, was nur zu mir gehört. Meinungen kann ich mit<br />

anderen teilen aber die Gefühle dahinter sind etwas Ureigenes, sie sind wie Fingerabdrücke,<br />

etwas Einmaliges. Es gibt keinen anderen Menschen, der sie so erlebt wie ich. Gefühle sind<br />

auch nicht richtig oder falsch, sie sind einfach. Sie zu äußern macht uns lebendig. Emotion<br />

heißt ja übersetzt: von innen heraus in Bewegung gesetzt. Auf dieser Ebene beginnt der<br />

persönliche Dialog. Powell unterscheidet dann noch eine Ebene der persönlichen Gespräche.<br />

Das ist die Ebene, wo sich Partner einander alles mitteilen, was sie zuinnerst bewegt. Die<br />

tiefsten Gedanken, insgeheimen Wünsche, Gefühle, Nöte oder Sehnsüchte. Diese Momente<br />

der Begegnung nennt er „Sternstunden einer Ehe“. Untersuchungen zufolge, sollen Gespräche<br />

auf dieser personalen Ebene durchschnittlich vier Minuten pro Tag dauern. Die übrige Zeit<br />

wir für Funktionales verwendet.<br />

2) Wie geschieht Begegnung im Dialog?<br />

Die zentrale Frage ist: Wie spreche ich die Person an? Wie finde ich zu ihr hin? Wie geschieht<br />

Begegnung? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit stelle ich im Folgenden exemplarisch einige<br />

Voraussetzungen und Haltungen für einen gelingenden Dialog vor. Dialog meint in diesem<br />

Sinne nicht Gerede, Gespräch, sondern Austausch von Wesentlichem, von Person zu Person.<br />

Das bedarf der Begegnungsbereitschaft. Auch hier schaffen die vier Grundmotivationen den<br />

Rahmen, dass es zu dieser Verdichtung des Persönlichen kommen kann.<br />

• Wir nehmen unseren Raum ein (1. Grundmotivation – ich kann mit dir da sein) –<br />

Vertrauen<br />

Wichtig ist es, eine Atmosphäre, einen Rahmen zu schaffen, wo es beiden möglich ist, offen<br />

zu reden. Es bedeutet aber auch, den Raum tatsächlich einzunehmen, in dem das Paar<br />

einander wirklich begegnen und beieinander verweilen kann. Es entsteht eine entspannte<br />

8


Atmosphäre, in der jeder gut da sein kann. Das Paar überlegt gemeinsam: Wo können wir gut<br />

sein? Wo fühlen wir uns geborgen? Für gläubige Menschen kann das in einer Gebetsecke<br />

sein, in der man innerlich zur Ruhe kommt und einander nahe ist. Es kann aber auch bei<br />

einem Glas Wein, bei Kerzenlicht, beim Autofahren, bei der gemeinsamen Hausarbeit, bei<br />

einem Spaziergang oder im Bett sein.<br />

Auf personaler Ebene ist das der Raum, wo ich jemandem vertrauen, etwas anvertrauen kann,<br />

den anderen an-nehmen kann.<br />

Es sollte eine Zeit sein, die frei ist von äußeren Störungen (Besuche, Telefonate). Diese<br />

Stunde gehört dem Paar allein. Selbst dem Arbeitgeber kann man signalisieren: Heute Abend<br />

habe ich einen Termin mit meiner Frau bzw. mit meinem Mann.<br />

• Gespräch ist Begegnung (2. Grundmotivation – ich lasse mich von Dir berühren) –<br />

Zuwendung, Beziehung, Zeit, Nähe<br />

Wo Begegnung ist, findet Dialog statt. Es geht darum, dass ich meinem Partner meine<br />

Gefühle, mein Innerstes mitteile. Nicht der sachlich-organisatorische Austausch von<br />

Information steht im Vordergrund, sondern unsere Beziehung. Wir sprechen nicht über etwas,<br />

sondern miteinander übereinander. Es geht darum, was mich und was dich bewegt. Die<br />

Haltung ist: Ich bin interessiert an dir. Ich möchte dich besser verstehen, mehr von dir<br />

entdecken, ich möchte das Schöne und Große in dir entdecken. Ich will an deiner Welt Anteil<br />

haben. Das ist besonders wichtig, wenn Paare durch den Beruf lange getrennt sind. Dazu<br />

braucht es Zeit. Ausgedrückt ist damit: Du bist mir jetzt wichtig. Ich nehme dich als Person in<br />

deiner Einzigartigkeit wahr. Nicht selten hört man die Entgegnung: Ich habe einfach keine<br />

Zeit, dieses und jenes ist noch zu tun. Zumeist ist es nicht eine Frage des Zeithabens sondern<br />

der Priorität. Es erfordert manchmal Mut, andere scheinbare Notwendigkeiten (Pflichten)<br />

einfach unerledigt zu lassen. Es geht um Beziehung und dafür braucht es Zeit. Zeit ist<br />

geschenktes Leben. Im Übrigen betrifft das nicht nur die Beziehung miteinander, sondern<br />

auch die Beziehung zu Gott. Auch dafür braucht es Zeit. In den Evangelien findet sich ein<br />

schönes Beispiel beim Evangelisten Lukas (vgl. Lk 10, 38–42). Dort heißt es sinngemäß, dass<br />

Martha – eine der beiden Schwestern bei denen Jesus zu Besuch war - ganz davon in<br />

Anspruch genommen war, für Jesus zu sorgen. Maria aber setzte sich zu seinen Füßen und<br />

hörte ihm zu. Martha beschwert sich über die „Untätigkeit“ ihrer Schwester beim Herrn. Jesus<br />

erwidert: „Maria hat das bessere gewählt und das soll ihr nicht genommen werden“. Sie ist<br />

offensichtlich ganz bei sich selbst und kann daher auch ganz beim Anderen sein.<br />

Einige weitere Aspekte des Dialoges auf der Ebene der zweiten Grundmotivation<br />

9


Zuhören und ganz beim anderen verweilen: Wesentlich (aber nicht selbstverständlich) ist,<br />

dass einer spricht oder erzählt, und der andere hört zu. Nicht wenige sammeln - während der<br />

andere redet - Gegenargumente und Verteidigungsstrategien. Sie warten sozusagen auf das<br />

entsprechende Stichwort für den eigenen Einsatz um ihre Gedanken dann darzulegen. Ein<br />

beliebter Einsatz ist dann: Ja, aber... Was der andere zu sagen hat, ist nicht wichtig, wichtig ist<br />

das, was ich ihm sagen will, wie es häufig bei narzisstischen Persönlichkeiten beobachtbar ist.<br />

Dagegen ist anzustreben: Ich nehme das, was der andere mir sagt wirklich auf. Ich bleibe bei<br />

ihm. Ich suche den anderen zu verstehen und gehe nicht davon aus, dass ich ihn schon<br />

verstanden habe (phänomenologische Grundhaltung in der Partnerschaft). Hören meint<br />

sozusagen von sich selber weghören, auf die Werte, Sorgen oder Ängste des anderen<br />

hinhören. Frankl beschreibt diesen Vorgang treffend mit dem Bild eines Auges. Sinngemäß<br />

betont er, dass ein Auge, das sich nur selber sieht krank ist.<br />

Wie geht das praktisch? Ich bin bereit, geduldig zuzuhören, auch wenn der Partner lang und<br />

umschweifend erzählt. Ich gebe ihm Raum, sich auszusprechen, seinen Gefühlen Ausdruck zu<br />

verleihen. Für manche mag es eine erstmalige Erfahrung sein, dass sich ein anderer für seine<br />

Gefühle interessiert. Aufmerksames zuhören meint auch, gesammelt beim anderen zu bleiben,<br />

selbst wenn es Kraft kostet. Zuhören ist nicht möglich, wenn man nebenher fernsieht, oder<br />

Zeitung liest. Hinhören kann auch bedeuten, tatsächliche oder vermeintliche<br />

Nebenbotschaften herauszuhören und anzufragen: „Was möchtest du mir eigentlich mitteilen?<br />

Kannst Du mir das näher beschreiben? Was ist es? Im Sinne der Personalen Existenzanalyse<br />

(Längle 1993) geht es darum, zu sehen, was ist, die Realität in den Blick zu nehmen und nicht<br />

gleich zu werten.<br />

Hinter den Worten verbirgt sich oft unausgesprochen, was den Partner wirklich bewegt.<br />

Dieselben Worte können verschiedenes bedeuten. Wir müssen zuhören und unterscheiden<br />

lernen. Der erste Schritt, der in vielen Beziehungen übergangen wird, ist schlicht und einfach<br />

zu sehen, was ist, es einfach wahrzunehmen. Viel zu schnell befinden sich Paare in der<br />

Kampfarena und beginnen zu werten oder hören die Worte gegen sich gerichtet. Nachfragen<br />

ist daher erlaubt und sogar notwendig: Verstehe ich dich richtig, du willst sagen...? Wie siehst<br />

du das? Erzähl mir mehr davon. Was möchtest du mir mitteilen? Was ist dir wichtig? Es geht<br />

nicht um mein Bild von dir, meine Vorstellungen und Gedanken, sondern ich frage nach, um<br />

dich zu verstehen.<br />

Hilfen für gelingende Gespräche:<br />

• Schweigend zuhören kann den anderen ermutigen fortzufahren.<br />

• Bestätigende Reaktionen zeigen Aufmerksamkeit (Augenkontakt, Nicken, Lächeln)<br />

10


• Dem Partner „Türöffner“ anbieten: Möchtest du darüber sprechen? Ich würde gerne hören,<br />

was du meinst? Wie siehst du, erlebst du das? Wie ist das für dich?<br />

• Eine Form des aktiven Zuhörens ist, Verstandenes mit eigenen Worten zurückzumelden.<br />

Zuwendung<br />

Ich halte mit dem Partner Blickkontakt, lasse auf mich wirken, was und wie er spricht und bin<br />

bereit, mich als Person zu zeigen. Es geht also um meine Offenheit und<br />

Begegnungsbereitschaft.<br />

Gespräch ist keine Diskussion<br />

In der Diskussion wird über etwas gesprochen. Es geht sozusagen um die Welt der Dinge,<br />

Sachen oder Positionen. Man spricht über Sachlichkeiten und Objektivitäten, nicht wie man<br />

damit in Beziehung steht, darin lebt. Es geht im Dialog nicht darum, wer Recht behält, oder<br />

herauszufinden, was objektiv richtig oder falsch ist. Es geht auch nicht darum, eine Sache bis<br />

zur Neige auszudiskutieren, im Sinne des sachlichen Forschens. Man könnte auch sagen, es<br />

geht nicht um die ES-Welt, sondern die DU-Welt. Wir bewegen uns vielmehr auf der Ebene<br />

der Beweggründe und Stellungnahmen. Persönlich wird ein Dialog, wenn ich offen bin und<br />

mich zeige: das, was mir wichtig ist, was mich berührt, was mich bewegt, eine eigene<br />

Erfahrung, ein Umgehen mit dem Erfahrenen und dem Erlebten. Im gelingenden Dialog wird<br />

sichtbar, was mich betrifft und mich beschäftigt und dies wird verbunden mit der Einladung<br />

an den anderen, sein Erleben dazuzugeben. Es ist also wichtig, im Gespräch und Erzählen bei<br />

sich zu bleiben: Was bewegt, was ärgert, was freut mich? Der Dialog ist dann nicht leeres<br />

Gerede, sondern Austausch von Wesentlichem. Es geschieht eine Wesensverdichtung. Das<br />

heißt, wir sprechen über das, was uns wirklich innerlich bewegt. Es geht um einen Austausch<br />

auf persönlicher Ebene, um unsere Erfahrungen und Erlebnisse: Was war schön, was ist uns<br />

gelungen, wo haben wir uns verstanden oder missverstanden gefühlt? Allzuschnell ist man<br />

wieder auf der sachlichen Ebene, beim Austausch von Information oder beim Reden über<br />

andere Menschen.<br />

• Anerkennung für das Eigene (3. Grundmotivation – ich darf so sein wie ich bin) -<br />

Wertschätzung<br />

Eröffnet wird die Begegnung mit dem Ansprechen: Du und den Namen nennen. Du meint den<br />

anderen in seiner Unverwechselbarkeit, in seiner Autonomie. Der Name kennzeichnet die<br />

Unverwechselbarkeit der Person. In einer Beziehung sind es oft Spitznamen oder Kosenamen.<br />

Das heißt, ich werde vom Partner in meiner Unverwechselbarkeit gesehen, wahrgenommen.<br />

11


Die Eigenart des anderen zu respektieren bedeutet aber auch, dass ich das, was mein<br />

Ehepartner mir sagt, behutsam annehme, selbst wenn ich es anders empfinde. Ich könnte<br />

erwidern: „Für dich ist das so. Danke, dass du mir das gesagt und anvertraut hast“. Ich fühle<br />

anders als du, aber ich respektiere und glaube, dass es für dich so ist. Damit wächst der<br />

Respekt vor der Person des anderen. Nicht selten entdeckt man Aspekte, die man selbst<br />

zuwenig gesehen hat und erkennt die Ergänzung durch die Sichtweise des Ehepartners.<br />

Längere Pausen und Schweigen, gerade bei den ersten Malen brauchen nicht zu beunruhigen<br />

und sind keine Peinlichkeiten. Es braucht manchmal Zeit, bis ein personaler Dialog in Gang<br />

kommt. Es eröffnet den Raum, damit sich etwas, das tief in der Seele ist, melden kann. Falsch<br />

wäre, darüber hinwegzureden, um die peinlich empfundene Stille zu überbrücken.<br />

Ein wirklich gutes Gespräch gab es, wenn wir am Schluss sagen können: Ich fühle mich von<br />

dir verstanden, oder: Ich habe jetzt ein Stück mehr von dir kennen gelernt. Wir sind uns näher<br />

gekommen.<br />

• Gemeinsamer Lebensentwurf (4. Grundmotivation - Worum geht es uns?) - Sinn<br />

Es braucht Geduld, aber dieser Austausch in der Begegnung ist das Fundament der Ehe. Dafür<br />

braucht es einen regelmäßigen Eheabend. Dieser ist auch nötig, damit sozusagen der Faden<br />

des gemeinsamen Unbewussten nicht verloren geht. Wir können beim nächsten Mal<br />

anknüpfen. Der Gesprächstermin miteinander sollte so wie jeder andere Termin geplant<br />

werden.<br />

Im Dialog müssen nicht immer Probleme gelöst werden. Vielmehr soll es im Gespräch ebenso<br />

um das Verbindende gehen: Was sind unsere Ziele für die nähere und weitere Zukunft? Was<br />

sehen wir als gemeinsame Aufgaben an? Was spüren wir als „An–ruf“ an uns? Gibt es so<br />

etwas wie eine gemeinsame „Berufung“, Vision? Wie können wir das, was wir als Wert<br />

gespürt haben, verwirklichen, umsetzen? (z.B. gemeinsame Theaterbesuche, berufliche<br />

Fortbildung).<br />

12


III Zwei Konfliktebenen in der Partnerschaft<br />

Die Unterscheidungen orientieren sich an Christoph Kolbe (2003).<br />

1) Horizontale Ebene: interpersonale Konflikte<br />

Auf dieser Ebene stehen sich zwei Partner Auge in Auge gegenüber. Jede Liebe stiftet einen<br />

Sinnzusammenhang, in den personale Werte und die gemeinsame Geschichte einfließen. Das<br />

gibt der Beziehung Halt und eine Struktur (Kinder, Haus, Hobbies, Weltanschauungen…).<br />

Dies betrifft vorwiegend die erste Grundmotivation. Konflikte ergeben sich aus<br />

Veränderungskrisen (z.B. Geburt), Reifungskrisen (z.B. Midlife–crisis) oder paarzyklischen<br />

Interferenzen. Das heißt, dass auf der Ebene der ersten Grundmotivation Halt oder Struktur<br />

vorübergehend verloren gehen. Es sind lebensverändernde Krisen, Prozesse der<br />

Persönlichkeitsentwicklung, gekennzeichnet von Orientierungslosigkeit und dem Versagen<br />

üblicher Hilfsmittel. Für den Berater ist wichtig, dass er eine emotionale Beziehung aufbaut<br />

und nicht Ratschläge gibt, sondern sich als Person zur Verfügung stellt. Vorher ist es wichtig,<br />

die eigene Haltung, die eigenen Gefühle die Krise betreffend gut anzuschauen.<br />

Eine zentrale Frage dazu ist: Wenn das, was mir wichtig ist beim anderen gut aufgehoben ist,<br />

warum sollte es mir mit dem Partner dann schlecht gehen?<br />

In weiterer Folge geht es auch darum, wie (neue) Werte miteinander verständigt, gefunden,<br />

geachtet werden können? Darauf wird im letzten Kapitel V, Modell einer Paarberatung,<br />

Bezug genommen werden.<br />

2) Vertikale Ebene: Intrapsychische Konflikte<br />

Nach Kolbe (2003) lassen sich zwei Quellen feststellen.<br />

Zum einen bilden intrapsychische Repräsentanzen Erinnerungsspuren kindlicher<br />

Interaktionserfahrungen in der Herkunftsfamilie ab: Wie haben wir es erlebt, geliebt worden<br />

zu sein? Gab es Zärtlichkeiten? Durfte ich meine Gefühle äußern? Wurden Feste gefeiert?<br />

Fallbeispiel: Elisabeth, frisch verheiratet, hatte eine glückliche Kindheit erlebt und dachte<br />

gern zurück, besonders schön wurde immer ihr Geburtstag gefeiert. Es gab einen festlichen<br />

Rahmen mit Torte, Kerzen und vielen Geschenken. Den ganzen Tag stand sie im Mittelpunkt.<br />

Karl, ihr Mann hat den eigenen Geburtstag ganz anders erlebt. Beim Geburtstag wurde nicht<br />

viel Aufhebens gemacht. Die Eltern wünschten ihm alles Gute und fertig.<br />

Der erste Geburtstag von Elisabeth nach der Hochzeit lief dann so ab: Ihr Mann kommt von<br />

der Firma am Abend nach Hause, wünscht seiner Frau alles Gute zum Geburtstag und geht<br />

den Arbeiten im Haus nach. Als er nachts neben seiner Frau nichts ahnend einschläft, liegt sie<br />

13


noch lange weinend wach. Was war geschehen? Sie war verletzt, aber er hat in völliger<br />

Unwissenheit gehandelt. Es war ja nicht seine Absicht, er wusste es nicht. Seine<br />

Interaktionserfahrungen in der Herkunftsfamilie waren völlig anders. Beide hatten es<br />

verabsäumt über ihre Erwartungen zu sprechen. Jeder glaubte, darüber müsse man nicht<br />

sprechen, weil es für ihn oder sie ohnehin selbstverständlich ist.<br />

Zum anderen entstehen die inneren Überzeugungen aus lebensgeschichtlichen<br />

Traumaerfahrungen samt ihrer Verarbeitung. Unaufgearbeitete eigene Lebensthemen bilden<br />

sich in den intrapsychischen Repräsentanzen der Partner ab. Christoph Kolbe geht hier noch<br />

einen Schritt weiter indem er betont, dass viele Partner zusammenpassen wie Schlüssel und<br />

Schloss (z.B. Ängstliche Frau sucht narzisstischen Beschützer) und erläutert das<br />

Kollusionsprinzip nach Jürg Willi, der von „uneingestandener Komplizenschaft“ spricht, die<br />

der Verwirklichung unreifer Liebessehnsüchte und gleichzeitig der Abwehr von Ängsten<br />

dient (vgl. Willi 2000, 188) Krisenhaft wird es zumeist dann, wenn ein Partner sein<br />

lebensgeschichtliches Problem bearbeitet (z.B. die Ängste). Damit geraten die systemische<br />

Sicherheit und der damit verbundene Halt ins Wanken.<br />

IV Die Grundmotivationen als Strukturdominanten einer Paarbeziehung<br />

Die bisherige Auseinandersetzung mit der Paarbeziehung und zentralen Elementen des<br />

personalen Dialogs führt notgedrungen zur Betrachtung der Strebungen der Person und ihrer<br />

Auswirkung in der Paarbeziehung quasi als Strukturdominanten hin.<br />

Die personalen Grundstrebungen sind Modell jeder Paarbeziehung und bieten auch die<br />

Möglichkeit, die Struktur der Beziehung existenzanalytisch zu diagnostizieren. Ich beschreibe<br />

daher im Folgenden systematisch die einzelnen Grundmotivationen, stelle ihre bedingenden<br />

Faktoren vor, die Ebenen der Bearbeitung als Paar in Form von Fragen, die Pathologie sowie<br />

Ansätze der Beratung. Zumeist geht es darum, in der Beratungssituation einfach die richtigen<br />

Fragen zu stellen. Deshalb biete ich ein Sortiment an Fragen zu den einzelnen<br />

Grundmotivationen an.<br />

In Inhalt und Struktur beziehe ich mich dabei auf den Vortrag von Alfried Längle<br />

„Lebenssinn und Psychofrust“ (1998). Die Analogie zu den ersten drei Grundmotivationen in<br />

der Bezeichnung als Substanzpol, Nähepol und Individualitätspol wurden von Christoph<br />

Kolbe (2003) übernommen.<br />

14


1) Der Substanz – Pol: miteinander sein können –<br />

Sachebene – Weltbezug (Da – sein / Ja zur Welt)<br />

Die erste Grundmotivation (1.GM) bezieht sich auf das Sein in dieser Welt. Es ist das basalste<br />

Können, das Sein–Können. Die Welt gibt dem Menschen den Boden, den Halt und den<br />

Schutz. Zugleich stellt diese Welt ihm auch Bedingungen, stellt ihn vor Ungefragtes,<br />

Unabänderliches. Die Welt ist Ermöglichung und Verhinderung. Sie ist Rahmen der Existenz.<br />

In die „Welt“ der Paarbeziehung gehören auch die äußeren Rahmenbedingungen wie<br />

Wohnung, Finanzen, Essen, Beruf usw.<br />

Die Grundfrage der Existenz lautet: Ich bin – kann ich (in der Partnerschaft) sein? Kann<br />

ich unter diesen Bedingungen, mit diesen Möglichkeiten sein? Kann ich darüber staunen,<br />

mich freuen, dass ich bin?<br />

Die Grundfrage in der Partnerschaft will bedeuten: Will ich da sein für dich? Kann ich und<br />

will ich dir Raum geben, dich sein lassen, dich halten und stützen? Will ich gehalten und<br />

geschützt werden?<br />

3 Faktoren: Um sein zu können gibt es nach Längle (u.a. Längle 2002, 5) – drei Faktoren<br />

oder Voraussetzungen, nämlich Halt, Raum und Schutz. Habe ich genügend Raum in der<br />

Beziehung, um da zu sein? Was gibt mir Halt, Sicherheit, Festigkeit? Erlebe ich in der<br />

Partnerschaft Schutz, Heimat, Zuhause? Schutz ist dort, wo der Mensch sich angenommen<br />

fühlt. Die lebensgeschichtliche Erfahrung ist dabei wichtig, wieweit die Person von<br />

Bezugspersonen angenommen wurde. Raum ist der physische Raum, aber auch der<br />

psychische in der Welt, in der Familie, der geistige Raum für Entwicklung, für Gedanken.<br />

Bewohnter, beschützter Raum wird zur Heimat. Halt kommt aus allem, was sich dem<br />

Menschen entgegenstellt, Widerstand bietet, Festigkeit beinhaltet (z.B. Regelmäßigkeiten,<br />

Naturgesetze). Aber auch Halt in sich, im Körper, bis hin zum letzten Halt im Glauben.<br />

Grundvertrauen: Das Erleben von Halt führt zur persönlichen Antwort, zum Vertrauen.<br />

Vertrauen ist die Einwilligung, sich einer Halt gebenden Struktur zu überlassen, um die<br />

wahrgenommene Unsicherheit zu überbrücken. „Es beruht auf der Wahrnehmung eines tiefen,<br />

letzten Gehaltenseins in der Welt“ (Längle 2002, 5).<br />

Habe ich Vertrauen in die Welt, in mich, in meinen Partner, in Gott? Die Summe dieser<br />

Vertrauenserfahrungen bildet das Grundvertrauen, das was ich als letzten Halt in meinem<br />

Leben verspüre (vgl. Längle 2002, 5).<br />

15


Psychologische Dynamik / Beziehungsdynamik:<br />

angenommen sein / annehmen können - aushalten<br />

Um da sein zu können, genügt es nicht, Halt, Raum, Schutz zu erfahren, ich muss diese<br />

Voraussetzungen ergreifen, mich für sie entscheiden (vgl. Längle 1998, 117 – 118) Mein<br />

aktives Zutun ist das Annehmen des Positiven und Aushalten des Negativen und der<br />

unabänderlichen Bedingtheiten. So heißt annehmen in der Beziehung: einander sein lassen,<br />

weil genügend Raum ist, dass auch ich selber sein kann, weil mich die Umstände, der Partner,<br />

meine persönliche Geschichte nicht mehr bedrohen. Wir können beide sein. Die dahinter<br />

liegende Beziehungsdynamik ist: Ich nehme dich an und kann dich auch lassen, weil ich mich<br />

angenommen weiß. Es ist die Akzeptanz des Daseins des Partners. Aushalten kann bedeuten,<br />

den anderen in seinen Unabänderlichkeiten, Begrenztheiten er–tragen und trotzdem Ja zu<br />

sagen. In den Stufen der Paarberatung (Kapitel V) ist damit die Stufe sieben (Schicksal)<br />

gemeint. Es geht um eine Annahme der faktischen Schranken und der Begrenztheiten des<br />

Partners, die zur Konfliktursache werden können wie beispielsweise körperliche Attribute,<br />

Behinderung, Abstammung, Temperament, Intelligenz oder Begrenztheiten, die sich als<br />

Unarten oder Gewohnheiten des Partners, das Gleichbleiben des Alltags, Krankheiten, die<br />

eine erhebliche Beeinträchtigung darstellen (Brustoperationen, Unfruchtbarkeit des Partners<br />

usw.) zeigen können.<br />

Störung: Gelingt dies nicht, treten psychosomatische Schutzreaktionen so genannte<br />

Copingreaktionen ein (vgl. Längle 2002, 5). Es handelt sich um ein Vermeidungsverhalten,<br />

das sich in der Partnerschaft als Flucht in den Beruf, Hobbies oder Außenbeziehungen<br />

ausdrücken kann. In der Enge kommt es zu Aggression, die in ihrer destruktivsten Form als<br />

Hass mit verbaler oder körperlicher Gewalt einhergehen kann. Dahinter steht oft ein<br />

Ohnmachtsgefühl der Bedrohung „Ich kann es nicht ertragen“. Weitere Copingreaktionen<br />

sind der Aktivismus als eine Form des Ankämpfens. Ich verschaffe mir Platz durch<br />

Verdrängen, Beseitigen des Bedrohlichen. Wenn nichts mehr geht, hole ich mir Verstärkung.<br />

In nicht wenigen Beziehungen werden Eltern oder Freunde als „Kampfgefährten“ gegen den<br />

Ehepartner geholt. Schließlich gibt es noch den Totstellreflex, der basalste und unreifste<br />

Schutzmechanismus: Ich bin nicht da. Ich schaue nicht hin, schließe meine Augen in der<br />

Hoffnung, dass es vorbeigeht. Gelingt die Verarbeitung und der Schutz nicht, kann die<br />

Verunsicherung zu Angststörungen, ja vielleicht sogar zum Ausbruch einer Psychose führen.<br />

Fallbeispiel: Während des Familienurlaubs zieht Hans sich eine Viruserkrankung zu. Er<br />

bleibt anschließend einige Tage im Bett. Um den Säugling nicht anzustecken, zieht er aus<br />

dem gemeinsamen Schlafzimmer in ein Kinderzimmer, das für diese Zwecke hergerichtet<br />

16


wird, um sich auszukurieren. Nach zwei Tagen bessert sich sein Zustand. Er geht zum Arzt.<br />

Seine Frau Maria meint, er wird wieder gesund, zieht sein Bett ab und verlegt seine Wäsche<br />

in das Ehebett. Als er nach Hause kommt, will er seinen Raum einnehmen, merkt, dass er<br />

ausquartiert wurde und auch das andere Bett noch nicht bezogen ist. Er explodiert<br />

(Aggression) und schreit sie an: Ständig nimmst du mir meinen Platz in der Wohnung. Sie<br />

kontert: Aber dein Platz ist doch hier. Er darauf: Aber das will ich selber bestimmen, wann<br />

ich wo meinen Platz habe oder ändere. Bei näherem Nachfragen stellt sich heraus, dass dieses<br />

Gefühl des Unbehaustseins bei ihm tiefer lag und sich immer wieder wiederholte. Im Beruf<br />

etwa hatte er einen Mitarbeiter, der ohne seine Einwilligung sein Büro veränderte, also ihm<br />

seinen Raum streitig machte. Bei einem Blick in die Biographie stellte sich heraus, dass er<br />

zuwenig Raum hatte oder dieser ihm weggenommen wurde. Er lebte mit seinen Geschwistern<br />

zu dritt in einem kleinen Schlafzimmer. „Wir hatten nie genug Platz zum Spielen und wurden<br />

immer wieder vertrieben“, erinnerte er sich im Gespräch. So durfte der Garten nicht als<br />

Spielplatz benutzt werden, weil der Vater Angst um den schönen Rasen hatte. Weiters<br />

bemerkte Hans: Meine Eltern haben nach meinem Auszug alle meine persönlichen<br />

Spielsachen verschenkt oder weggegeben und ich habe auch kein Zimmer mehr, wenn ich auf<br />

Besuch komme. Das hat mich sehr gekränkt.<br />

Bearbeitung als Paar / Fragen:<br />

Es kann hilfreich für die Beziehung sein, wenn der Partner durch das Anfragen auch über<br />

intrapsychische Konflikte beispielsweise aus der Herkunftsfamilie des Partners Bescheid weiß<br />

und dies zu einem tieferen Verstehen führt Dies ist jedoch nicht sinnvoll bei<br />

Persönlichkeitsstörungen und bei akuten Paarkonflikten. Dort ist Einzelberatung angezeigt.<br />

Dies betrifft alle vier Grundmotivationen. Wawra und Lindner beschreiben den Fall, dass<br />

Einzelarbeit im Beisein des anderen als Interventionstechnik möglich ist. „Indem jeder<br />

genügend Raum erhält, um seine Beweggründe aggressionsfrei darzulegen, entsteht<br />

Verständnis für die Situation des anderen.“ (Wawra & Lindner 2000, 110). Dies ist auch<br />

gängige Praxis in der Mediation.<br />

Wie kann die Person auf der 1. GM angefragt werden? (vgl. dazu auch Längle 1997, 157 –<br />

159).<br />

RAUM:<br />

Wo kann ich gut sein? Wo gibt es Orte für mich, wo ich ruhig werden kann, wo ich mich<br />

sicher fühle, geschützt bin? Wo gehe ich da hin?<br />

Habe ich einen Ort, Raum, der mir gehört? Wo ist mein „Revier“ in meinem täglichen Leben?<br />

17


Nehme ich meinen Raum ein? Bin ich wirklich ganz da in meiner Welt, oder wünsche ich mir<br />

woanders zu sein? Bin ich da in meiner Welt in der Familie, bei meinem Partner, den<br />

Kindern, im Beruf? Fülle ich diesen Raum aus? Nehme ich mir den Raum um da zu sein in<br />

der Partnerschaft, im Beruf, unter den Kollegen, bei Freunden? Nehme ich mir den Raum für<br />

mich selbst? Nehmen wir uns Raum zu zweit? Nehme ich mir den Raum für das was mir<br />

wichtig ist, oder bin ich eher beschäftigt mit dem, was getan werden muss?<br />

Beziehungsraum:<br />

Kann ich in der Partnerschaft sein? Habe ich dort den Raum, den ich brauche? Kann ich dich<br />

sein lassen – lässt du mich sein?<br />

Gebe ich mir Raum für das, was ich fühle?<br />

Verteidige ich meinen Raum für meine Meinung, meine Überzeugung, meine Wahrheit,<br />

meine Liebe?<br />

Wie verschaffe ich mir Raum, wie gewinne ich Abstand etwa von Problemen beispielsweise<br />

durch Tagebuchschreiben, darüber schlafen, Musik hören, darüber sprechen usw. Das sind<br />

Formen der Selbst – Distanzierung?<br />

Wie viel Raum trage ich in mir, fülle ich meinen inneren Raum? (Atmung, Lunge)<br />

Fühle ich mich dort zuhause, wo ich lebe, oder fühle ich mich unbehaust, ist mir der Raum<br />

unheimlich?<br />

BIOGRAPHISCH:<br />

Wer oder was in meinem Leben hat mir Raum gegeben? Wie habe ich das erlebt? Wer oder<br />

was hat mir Raum genommen? Wie habe ich das erlebt?<br />

Wo konnte ich früher sein und mich aufhalten? Elternhaus, Stätten der Kindheit, Ferienorte<br />

In welchen Orten meiner Kindheit habe ich mich heimelig gefühlt, Geborgenheit erlebt?<br />

SCHUTZ:<br />

Was gibt mir Schutz in meinem Leben?<br />

Wo schütze ich dich?<br />

Wie schützen wir unser Eigenes als Paar? (z.B. gegen Übergriffe von anderen: Eltern,<br />

Schwiegereltern, …)<br />

Wo fühle ich mich schutzlos, ausgeliefert?<br />

Fühle ich mich von dir angenommen? Von wem sonst? Wie geht es mir dabei?<br />

Wie intensiv ist unser Kontakt?<br />

Wo bin ich geborgen? Wie fühlt sich das an?<br />

Wo ist meine Heimat? Wo dagegen fühle ich mich „unbehaust“? Kenne ich solche<br />

Situationen?<br />

18


BIOGRAPHISCH:<br />

Durch wen in meiner Familie, in meinem Freundeskreis habe ich mich angenommen gefühlt?<br />

Wie war das für mich? Bin ich meistens selbstverständlich angenommen worden oder musste<br />

ich darum kämpfen bzw. war es an Bedingungen geknüpft?<br />

HALT:<br />

Was kann ich als Halt spüren? Was gibt mir Halt in meinem Leben? Körper, Aufgaben,<br />

Beruf, Glaube, Beziehungen, regelmäßiges Einkommen, Gesundheit.<br />

Spüre ich den Halt in unserer Beziehung? Wo erlebe ich ihn?<br />

Habe ich schon erlebt, dass mir Halt verloren gegangen ist durch Verlust oder Trennung? Was<br />

hat mir da Halt gegeben? Gibt es Regelmäßigkeiten, Strukturen in meinem Leben?<br />

Gibt es Regelmäßigkeiten, Rituale in unserer Partnerschaft? Wie erlebe ich das?<br />

Habe ich Menschen, denen ich vertrauen kann, auf die ich mich verlassen kann?<br />

Kann ich dir vertrauen? Wann, in welchen Situationen habe ich das schon erlebt? (Beispiel:<br />

Fallübung – Rückwärts und mit geschlossenen Augen in die Arme des Partners fallen lassen)<br />

Was hat es mir ermöglicht, mich fallen zu lassen? Was erlebe ich, wenn ich Vertrauen gebe?<br />

Welche Menschen kann ich annehmen?<br />

Was in meinem Leben, in unserer Beziehung kann ich gut annehmen?<br />

Kann ich von anderen / von dir Lob, Geschenke oder Hilfeleistung annehmen?<br />

Bei welchen Aufgaben, Handlungen habe ich das Gefühl, dass ich für sie geeignet bin und<br />

Fähigkeiten habe?<br />

BIOGRAPHISCH: Erinnere ich mich an jemand, der es mit mir aus–gehalten hat, der mich<br />

ausgehalten hat?<br />

Biographische Entwicklung des Vertrauens: Habe ich erste Erlebnisse, die bestimmend waren<br />

für mein Vertrauen? In wen habe ich vertraut – und wie ging es aus? Wer war für mich da?<br />

Es geht um die Präsenz, um das Dasein, das Halt gibt<br />

Existenzanalytisches Verständnis: Sein lassen – ich kann sein, du kannst sein, wir beide<br />

können sein.<br />

SEINSGRUND / GRUNDVERTRAUEN:<br />

Es ist die tiefste und letzte Erfahrung von Gehaltensein, die es mir erlaubt, ein „Ja zur Welt“<br />

zu geben.<br />

Wenn ich tief in mich hineinhorche: Welche Antwort kommt bei mir auf, wenn ich mich<br />

frage: „Fühle ich mich getragen und gehalten in dieser Welt?“ Wenn alles brechen sollte,<br />

worauf ich vertraue (Partnerschaft, Beruf, Gesundheit), welchen Halt hätte ich da noch? Hätte<br />

ich da noch so etwas wie ein letztes Vertrauen?<br />

19


Beratung:<br />

Prophylaxe: Hilfreich für das Einnehmen des eigenen Lebensraumes ist es, wenn wir bei<br />

anderen Menschen oder beim Ehepartner Raum haben. Es ersetzt allerdings nicht die eigene<br />

Entscheidung, die eigene „Landnahme“. Hat der Mensch sein Stück Land zum Leben, kann er<br />

sich und andere sein lassen. Wie kann ich meinen Raum in Besitz nehmen? Wo kann ich dir<br />

Raum für dein Eigenes geben? (vgl. Längle 1998, 117)<br />

Mittel um Halt zu finden sind: wahrnehmen, was ist (realisieren) und das, was ist bestehen<br />

lassen. Das ist auch ein Schutz gegen die Psychose.<br />

In der Beratung beleuchten wir die Pathologie und sprechen Ängste an (evtl. in<br />

Einzelberatung fortführen): Kenne ich Ängste? Welche? Wie oft? Beschleichen mich oft tiefe<br />

Ängste? Verspüre ich Haltlosigkeit? Darf ich überhaupt sein? Wäre es nicht besser, ich wäre<br />

nicht? Was ist meine größte Angst?<br />

Die Methoden der Angsttherapie kommen zur Anwendung. Die Grundangst verlangt<br />

Anwesenheit, Halt, Struktur: Ist da jemand, der es aushält, der es mit mir aushält und mit mir<br />

durchgeht?<br />

Erwartungsangst verlangt Angstkonfrontation: Was würde passieren, wenn das befürchtete<br />

einträte? Was wäre dann? Was würde ich dann tun? (vgl. Längle 1997, 159)<br />

2) Der Nähe – Pol: Gerne miteinander sein mögen<br />

Beziehungsebene – Lebensbezug (Wert – sein / Ja zum Leben)<br />

Die zweite Grundmotivation bezieht sich auf das Leben. Es genügt nicht einfach da zu sein,<br />

das Dasein soll auch gut sein. Das Leben gibt dem Sein des Menschen Kraft, Vitalität. Dank<br />

dessen ist es dem Menschen möglich, Nähe, Wärme und Werte, Beziehungen emotional zu<br />

empfinden. Zugleich bringt die Lebendigkeit auch das Empfinden von Leid, Schmerz,<br />

Schwere mit sich. Das stellt den Menschen vor Wertloses, Verluste, Belastungen. Das Leben<br />

ist Bereicherung und Belastung. Die 2. GM ist Kraftquelle für Erleben und Handeln, sie<br />

bildet den Rahmen der Emotionalität. Zur Ruhe des Seins kommt damit als Prinzip die<br />

Bewegung, das Fließen hinein.<br />

Die Grundfrage des Lebens lautet: Ich lebe – mag ich aber (in der Beziehung) leben? Ist es<br />

gut da zu sein? Ist es gut, dass es mich gibt? Ist es gut, miteinander zu sein? Oft ist es die<br />

Flachheit des Alltags, die Unachtsamkeit im Umgang miteinander, die die Freude nehmen. Ist<br />

da genügend Wertvolles, dass es auch geborgen ist im Leben? Was macht es „warm“? Gibt es<br />

gemeinsame Interessen, Werte? Gibt es die Lust am Sein miteinander, die Sehnsucht nach<br />

Nähe?<br />

20


Die Grundfrage in der Partnerschaft: Will ich dir Gutes wollen, es mir nahe gehen lassen, wie<br />

du bist, was du tust, Interesse haben für dein Wohlbefinden? Will ich deine Nähe, Zärtlichkeit<br />

und Wärme bekommen?<br />

3 Faktoren: Um leben zu mögen gibt es nach Längle (vgl. 2002, 5–6) wieder drei<br />

Voraussetzungen, nämlich Nähe, Zeit, Beziehung. Kann ich Nähe zu Dingen, Pflanzen,<br />

Tieren, Menschen aufnehmen und halten? Kann ich deine Nähe zulassen? Wofür nehme ich<br />

mir Zeit? Zeit haben heißt Leben schenken. Habe ich Beziehungen, in denen ich Nähe fühle?<br />

Beziehung entsteht aus der Wahrnehmung des anderen. Diese Gemeinsamkeit schafft eine<br />

Brücke, ist Keimpunkt des Interesses. Aus dem Bezogensein entsteht Zeit. Sie ist Nahrung, ist<br />

der Raum für die Beziehung. „Durch die Nähe drückt sich der Gegenstand in das eigene<br />

Erleben ein“ (Längle 2002, 6). Die drei Faktoren schaffen die Basis für Zuwendung.<br />

Zuwendung passiert durch Zeit nehmen. Ich muss verweilen können. Es hört die Liebe auf,<br />

wenn man keine Zeit füreinander hat.<br />

Grundwert: Es ist die Zuwendung zum Leben, der erlebte Wert des eigenen Lebens: Es ist<br />

gut. Ich erlebe ein Schwingen mit der Welt und mit mir, in der die Tiefe des Lebens spürbar<br />

wird. Diese Erfahrungen bilden den Grundwert, das tiefste Gefühl für den Wert des Lebens,<br />

das tiefste Berührtsein vom Leben selbst (vgl. Längle 1998, 118)<br />

Damit ich ihn spüre, braucht es andere Menschen, die mich gewollt haben (Mutter und Vater<br />

als erste Bezugspersonen). Sie vermitteln mir die Erfahrung: „Es ist gut, dass es dich gibt“.<br />

Die Zuwendung durch andere ist der Funke an dem sich die eigene Liebe entzündet. Wir<br />

erleben schon ein Ja zu unserem Leben, ehe wir es uns selbst geben können.<br />

Psychologische Dynamik / Beziehungsdynamik:<br />

Zuwendung erhalten / mögen<br />

Es genügt nicht, Nähe, Zeit und Beziehung zu erhalten. Es ist mein aktives Zutun verlangt.<br />

Das Ja zum Leben habe ich selbst zu sprechen. (vgl. Längle 1998, 118 – 119). Ich ergreife das<br />

Leben, die Beziehung zum Partner, lasse mich darauf ein, wenn ich mich anderen Menschen<br />

(meinem Partner), Sachen, Tieren, mir selber zuwende, mich hin–wende (hingebe), auf es<br />

zugehe, es berühre, an mich ziehe. Damit es mich bewegen kann, ist die Einwilligung in das<br />

Sich–berühren–Lassen vorausgesetzt. In der Partnerschaft vermittle ich dem anderen durch<br />

meine Zuwendung: Es ist gut, dass es dich gibt, ich mag dich, ich freue mich auf dich. Ich<br />

wende mich also dem Partner zu. Es ist ein Wechselspiel: Ich erfahre auch durch meinen<br />

Partner: Es ist gut, dass es mich gibt.<br />

Störung: Fehlen mir Nähe, Zeit und Beziehungen, dann entsteht Sehnsucht, Kälte, schließlich<br />

Depression. Das führt zu spontanen Schutzreaktionen (Copingreaktionen) auf eine drohende<br />

21


Lebenswertminderung und den Verlust von Leben (vgl. Längle 2002, 6). Die Grundbewegung<br />

ist innerer Rückzug und Abwendung (Schneckenhaus), d.h. sich aus Beziehungen<br />

herausnehmen oder hinter „wichtigeren“ Tätigkeiten verstecken. Ein paradoxer Mechanismus<br />

ist der Aktivismus, d.h. sich zu definieren über die Leistung (z.B. Überfürsorglichkeit als<br />

beziehungssuchende Leistung) bei gleichzeitiger Abwertung („das ist nichts Besonderes, das<br />

kann jeder“). Die Aggression ist hier beziehungssuchend. Die Wut ist eine innere Aufwallung<br />

des Lebens. Wenn sie keinen Ausdruck findet, kommt es zur Resignation. Der Totstellreflex<br />

ist eher ein Abschalten durch Erschöpfung. Man fühlt sich kräftemäßig wie tot. Die<br />

Verarbeitung geschieht über den Prozess der Trauer. Es ist der heilende Umgang mit dem<br />

Verlust von Leben. Gelingt dies nicht, führt die fehlende Zustimmung zum eigenen Leben in<br />

die depressive Erlebniswelt. (vgl. Längle 2002, 6). „Wer das „Ja zum Leben“ nicht spüren<br />

kann (was nicht heißt, daß es bewusst sein muß), leidet am Unwert des Daseins“ (Längle<br />

1999, 25).<br />

Fallbeispiel:<br />

Als Karl die Matura bestand, sagte sein Vater zu ihm: „Ich bin stolz auf dich!“ Leider konnte<br />

dieses Wort, das eines der wenigen positiven Wörter war, die er je vom Vater gehört hatte, all<br />

die anderen nicht auslöschen. Wenn man von seinem Vater immer wieder hört: „Du wirst nie<br />

etwas Positives zustande bringen. Alles, was ich tue, ist für dich, und du bemerkst es nicht<br />

einmal! Ich arbeite mich zu Tode, um dein Studium zu bezahlen!“<br />

Er wurde gefüttert mit solchen Worten und versuchte ständig, das Böse, das er getan zu haben<br />

meinte, wieder gutzumachen. Schuldgefühle waren sein ständiger Begleiter.<br />

Jahrelang aß Karl mit seiner Nase im Teller, um nicht dem Blick und der Entwertung seines<br />

Vaters zu begegnen. Dieses Gefühl führte zur Verheimlichung und manchmal zur Lüge, um<br />

weitere Vorwürfe oder Strafen zu vermeiden.<br />

Jahrelang war die Beziehung zu seinem Vater von Misstrauen und seelischer Erpressung<br />

geprägt. Durch die Gespräche mit einem Seelsorger, die auf Vertrauen und kostenlose<br />

Zuwendung basierten, konnte Karl erstmalig die Erfahrung machen, gemocht zu sein.<br />

In einem Augenblick der Entmutigung in dem es ihn wieder einmal vor sich selbst ekelte,<br />

sagte dieser Seelsorger zu ihm: „Aber ich bin stolz auf dich“. Die Erfahrung von Nähe, Zeit<br />

und Beziehung war für ihn ein erster Schritt. Es bedurfte allerdings noch vieler Gespräche, bis<br />

das Ja zu seinem Leben für ihn selbst evident und spürbar wurde und er sagen konnte: Ja, es<br />

ist gut, dass es mich gibt.<br />

22


Bearbeitung als Paar / Fragen (vgl. Längle 1997, 160 – 162)<br />

NÄHE:<br />

Was mag ich an mir? Was mag ich an dir?<br />

Habe ich es bei mir gut? Habe ich es bei dir gut?<br />

Was macht es warm, heimelig in meinem Leben? Wo wird es mir warm ums Herz?<br />

Worauf freue ich mich in nächster Zeit? Pflege ich die Freude?<br />

Kann ich deine Nähe zulassen? Halte ich sie aus?<br />

Kann ich Nähe schenken? Wie geht es mir dabei?<br />

Gibt es Zärtlichkeit in unserer Beziehung? Wie drücke ich sie aus?<br />

Wer mag mich gerne bei sich? Von wem erhalte ich Zuwendung?<br />

Wem kann ich problemlos Nähe, Zuwendung schenken?<br />

Was an mir mag ich (Körper, Gefühle, Verhalten), was nicht?<br />

Mag ich eigentlich leben? (Ja zum Leben)<br />

Bei welchen Aufgaben, Handlungen habe ich das Gefühl, dass ich sie mag, dass sie mir<br />

wichtig sind? Wie sehr achte ich darauf?<br />

ZEIT:<br />

Wie viel Zeit nehme ich mir für mich? Wofür?<br />

Nehmen wir uns Zeit füreinander? Wie oft? Wofür?<br />

Kann ich Ruhe haben, mir eine Freude gönnen, genießen, Feierabend machen?<br />

Können wir gemeinsam uns etwas gönnen, genießen (Theaterbesuche, Essen gehen, …)?<br />

Welche Werte sind uns wichtig? Wie kultivieren wir sie? (Erlebniswerte, schöpferische<br />

Werte, Einstellungswerte)?<br />

Gibt es bei uns eine Kultur der Zärtlichkeit, Erotik?<br />

BIOGRAPHIE:<br />

Habe ich dieses Ja über meinem Leben erfahren: Es ist gut, dass es dich gibt? Wie? Durch<br />

wen? Spüre ich für jemanden Dankbarkeit?<br />

Was hat in unserer Familie gezählt? Was hat Wert gehabt? (Motto: zuerst die Arbeit, dann das<br />

Vergnügen)<br />

Habe ich das Trauma der Abwendung, der Entwertung erlebt? (So wie du bist, ist es nicht<br />

gut)? Durch wen? Fallen mir dazu Situationen, Ereignisse, Worte ein?<br />

Habe ich in meiner Familie Nähe, Zärtlichkeiten erlebt, gab es Berührungen, Zuwendung oder<br />

war ich nur Last, wurde abgewertet durch Worte, Gestik, …?<br />

Was dominiert bei mir das Thema Beziehung: Enttäuschungen? Resignation? Bitterkeit?<br />

Einsamkeit? Sehnsucht? Schmerz? Oder Wärme? Geborgenheit? Vertrauen? Freude?<br />

23


Existenzanalytisches Verständnis: Ja zum Leben – Ich spüre, dass es gut ist, dass es mich<br />

gibt, daher kann ich auch dir diesen Wert zusprechen, dich spüren lassen: Es ist gut, dass es<br />

dich gibt.<br />

GRUNDWERT:<br />

Wenn ich ganz tief in mich hineinhorche, welche Antwort kommt mir da: „Ist es gut, dass<br />

es mich gibt? Wie fühlt sich mein Leben an, das ich bisher hatte? Wie ist meine Beziehung<br />

zum Leben? (vgl. Längle 1997, 162)<br />

Beratung<br />

Prophylaxe: Es handelt sich dabei um die Schritte der Depressions-Prophylaxe.<br />

Kräftepflege: Abgrenzen, Strukturen schaffen, auch in der Partnerschaft, in der Familie.<br />

Wofür bin ich verantwortlich, wofür fühle ich mich nur verantwortlich?<br />

Authentizität: Sich hüten, das Leben zu delegieren, Verantwortung an den Partner<br />

überzuwälzen (Er kann viel besser mit anderen reden, ich bleibe in meinem<br />

„Schneckenhaus“).<br />

Loslassen: Muss ich das unbedingt tun, oder kann ich mir gönnen, es einmal zu lassen?<br />

(Verpflichtung: z.B. zu einer beruflichen „Pflichtveranstaltung“ zu gehen)<br />

Wertepflege: Dafür Zeit nehmen, was mir wichtig ist und es wichtig nehmen?<br />

(Stellungnahme) Wofür wollen wir uns Zeit nehmen? Was ist uns (gemeinsam) wichtig?<br />

Dinge, die uns wertvoll sind, als kostbar behandeln.<br />

Normen hinterfragen: Wo ist reine Verpflichtung? Wo zwingt mich etwas?<br />

Lebenshindernissen zuwenden: Wo gab es Enttäuschungen, Verluste, die noch nicht betrauert<br />

wurden in unserer Beziehung? (z.B. Kind stirbt während der Schwangerschaft ab). Es<br />

geschieht Beziehungsaufnahme zu sich und zum verlorenen Wert. Ich kann ihn sein lassen.<br />

Achten auf den Zeiteinsatz: Das tun, was mir wichtig ist. Gestehe ich mir zu, Zeit für mich zu<br />

nehmen, einfach zu genießen, „nichts“ zu tun? Wo „vertue“ ich Zeit?<br />

In der Beratung die Pathologie ansprechen und das depressive Verstimmtsein erhellen<br />

(evtl. Fortführung in Einzeltherapie).<br />

Kenne ich bei mir dieses schwere Gefühl? Wie oft? Wie gehe ich damit um? Gibt es das<br />

Gefühl, dass mir Leben verloren geht, dass es an mir vorbeigeht? Kenne ich dieses Gefühl,<br />

nicht nein sagen zu können, mich aus Rücksicht auf den anderen, die Familie, aufgeben zu<br />

müssen? Fühle ich mich allein für die Beziehung, die Kinder, verantwortlich?<br />

Fallbeispiele:<br />

1) Mein Mann hatte nie Zeit für mich, ich hatte immer Zeit. Ich habe das nicht<br />

24


gemocht, aber ich habe ihn gelassen. Und dann lebten er in seiner Welt und ich in meiner<br />

Welt. So sind wir auseinander gekommen, weil ich nicht auf mich hörte.<br />

2) Ich mag nicht, wenn Mutter auf Besuch kommt und ewig bleibt. Sie stiehlt mir die Zeit. Ich<br />

kann nur reagieren, indem ich blass und zittrig werde und mich hinlegen muss. Das Gefühl<br />

ist: Das Leben geht ohne mich weiter. Ich werde alt und grau. Es ist ein bisschen wie tot sein.<br />

Habe ich mich schon ganz niedergedrückt, ohnmächtig gefühlt?<br />

Kann ich den Wertverlust anfühlen, über ihn trauern?<br />

Methode zur Erlangung der inneren Beziehung:<br />

1) Zeit für sich nehmen<br />

2) Innerer Dialog: Verständiges im Gespräch mit sich sein, warmherzige verständige<br />

Annahme (z.B. muss die Abweisung wirklich Abkehr bedeuten?)<br />

3) Sorgsamer Umgang mit sich selbst: gut auf sich schauen<br />

4) Pflege der Außenbeziehungen: zur Natur, zu anderen Menschen<br />

Therapie der Depression (in Schlagworten): Empathische Anwesenheit, Zuwendung zur<br />

Gegenwart, Arbeit an kognitiven Strukturen, Einüben der Stellungnahme, Konkretisierung der<br />

Verantwortung, Arbeit an der Wertbeziehung, Behandlung der Grundwertstörung.<br />

3) Individualitäts – Pol: Im Miteinander eigen sein dürfen<br />

Individualität – Selbstbezug (So – sein / Ja zur Person)<br />

Sie bezieht sich auf die Person, die der Mensch ist. Bei aller Verbundenheit mit der Welt, mit<br />

dem Partner und dem Leben, empfinde ich mich auch anders, verschieden. Es ist da eine<br />

Einzigartigkeit, die mich zum „Ich“ macht und von allen anderen abgrenzt. Ich erfahre, dass<br />

ich auf mich gestellt bin, sogar einsam sein kann. Daneben existiert viel anderes, das ebenso<br />

einzigartig ist. Ich empfinde Respekt. Die Person gibt dem Menschen unverwechselbare<br />

Identität und Dank dieser Einmaligkeit die Möglichkeit, dem anderen als Person zu begegnen.<br />

Zugleich führt das Personsein aber auch in die Vereinzelung, Abgrenzung. Sie erlebt<br />

Vereinsamung, Rivalität, Verletztheit, Verlassensein. „Personsein ist die Fähigkeit zum<br />

Antwortgeben … und bedeutet zugleich auch verletzbare Ich–Identität“ (Längle 1997, 163).<br />

Die 3. GM erschließt dem Menschen die Tiefe seiner selbst. Es ist die Ebene der<br />

Identifikation und Selbstfindung.<br />

Es geht um die Anerkennung der spezifischen Art des Erlebens, Fühlens. Das heißt um die<br />

Achtung der Person in ihrer Würde und Unantastbarkeit (vgl. Längle 1999, 27). Romano<br />

Guardini bringt einen interessanten Aspekt zur Person, mit den Augen des Glaubens<br />

betrachtet. „Am Anfang meiner Existenz – den „Anfang“ nicht nur zeitlich, sondern auch<br />

25


wesentlich; als ihre Wurzel und ihren Grund verstanden – steht nicht ein Entschluss von mir<br />

selbst, zu sein. Noch weniger bin ich einfachhin da, keines Werde – Entschlusses bedürftig.<br />

Das alles ist nur in Gott so. Sondern am Anfang meiner Existenz steht eine Initiative, ein<br />

Jemand, der mich mir gegeben hat. …. Und näherhin zur Person: „Damit ist aber zugleich<br />

eine Aufgabe gestellt. … Ich soll sein wollen, der ich bin; wirklich ich sein wollen, und nur<br />

ich. Ich soll mich in mein Selbst stellen, wie es ist, und die Aufgabe übernehmen, die mir<br />

dadurch in der Welt zugewiesen ist. Die Grundform alles dessen, was „Beruf“ heißt; denn<br />

von hierher trete ich an die Dinge heran, und hierhinein nehme ich die Dinge auf. Drücken<br />

wir es negativ aus: Ich darf diesem Zugewiesenen nicht ausweichen; etwa in die Phantasie,<br />

und mich in einen anderen hineinträumen ... spiele solche und solche Rolle … Bis zu einem<br />

gewissen Punkt ist das alles ja unschuldig; man erholt sich darin vom Selber – sein. Von da<br />

ab wird es aber zur Gefahr, sich selber wegzulaufen“ (Guardini 1999, 15 f).<br />

Es ist also die Dimension der Individualität, Unverwechselbarkeit, Abgegrenztheit und<br />

Unterschiedlichkeit, der Wert des sich – selber – seins.<br />

Die Grundfrage des Personseins lautet: Ich bin ich – darf ich (in der Beziehung) so sein?<br />

Habe ich – trotz aller Nähe in der Partnerschaft – das Recht, so zu sein, wie ich bin, mich so<br />

zu verhalten, wie ich mich verhalte? (vgl. Längle 1998, 119)<br />

Kann ich zu mir und meinen Handlungen stehen, kann ich das „Ja zu mir“ selber sprechen?<br />

Die Grundfrage in der Partnerschaft: Zeige ich Interesse dafür, wie du bist, wie du denkst,<br />

fühlst? Will ich jemanden, der mich in der Tiefe sieht, will ich gesehen werden, als der, der<br />

ich bin? Will ich von dir Achtung, Respekt für das Meinige?<br />

3 Faktoren: Nach Längle gibt es wiederum drei Voraussetzungen, um zu dieser Erfahrung<br />

der Einmaligkeit, dem So-sein-Dürfen vorzudringen (vgl. Längle 2002, 6). Der Mensch<br />

braucht Beachtung, Wertschätzung und Rechtfertigung. Es sind die Voraussetzungen für die<br />

Selbstwertbildung.<br />

Von wem werde ich an–gesehen, beachtet? Finde ich bei dir Be–achtung? Wofür erhalte ich<br />

Wertschätzung? Kann ich mir mein Eigenes anerkennen? Kann ich zu meinem Verhalten<br />

stehen oder vergleiche ich mich ständig mit anderen, definiere mich durch andere, durch<br />

meinen Partner?<br />

Aufgrund seiner Individualität ist es dem Menschen wichtig, gerecht behandelt zu werden<br />

(Rechtfertigung). Durch die Rechtfertigung, wird der Raum der Beachtung aufgetan, der Ich –<br />

Findung durch das interessierte Hinsehen zur Person, das Ansehen. Sich selbst zu sehen und<br />

gesehen zu werden hilft, das Eigene zu finden und es abzugrenzen. Angesehen – werden so,<br />

wie man ist, ist der unerlässliche Anfang des Selbstwertes. Die dafür erforderliche Distanz<br />

26


(um das Eigene zu sehen), ist die Grundlage des Respekts, der Wertschätzung vor der<br />

Einzigartigkeit der Person. Anders gesagt: Aus der gelungenen Abgrenzung des Eigenen<br />

entwickelt der Mensch die Fähigkeit zur Toleranz, zur Anerkennung der Würde des anderen.<br />

Wird das Wesen sichtbar, kann in weiterer Folge der Person auch Wertschätzung<br />

entgegengebracht werden.<br />

Selbstwert: Selbstwert ist Wertschätzung für sich selbst: „Ich bin wer, weil ich Wertvolles<br />

erleben und bewirken kann“. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, entsteht das Gefühl, sich<br />

selbst zu sein, wodurch personale Begegnung möglich wird: nämlich auch den Partner in<br />

seinem So–sein in Empfang zu nehmen, sich dabei aktiv einzubringen. An–sehen, ernst–<br />

nehmen, sich–abgrenzen fundiert und fördert den Selbstwert, der sich in der Authentizität<br />

entfaltet. Es geht in der Beziehung somit um die Anerkennung der Eigenart und Würde des<br />

anderen, ohne das eigene Selbstsein aufgeben zu müssen.<br />

Psychologische Dynamik / Beziehungsdynamik:<br />

Wertschätzung erhalten / Wert schätzen<br />

Es genügt nicht, Beachtung, Wertschätzung, Bestätigung zu erhalten, ich muss das „Ja zu<br />

mir“ selber sprechen. Dafür kann ich aktiv etwas tun: andere (den Partner) ansehen, ihm<br />

gegenübertreten, mich abgrenzen, zum Eigenen stehen. „Abgrenzung und Begegnung sind die<br />

beiden Mittel mit denen wir unser Selbstsein leben können, ohne dabei zu vereinsamen“<br />

(Längle 1998, 119). Begegnung überbrückt die Grenze und lässt mich im Du mein Ich wieder<br />

finden. Das ist für die Partnerschaft fundamental, zwischen Nähe und Distanz eine Balance zu<br />

finden. Beziehung ist nicht Verschmelzung oder Symbiose, d.h. ich verliere mein Ich nicht in<br />

der Beziehung. Michaela Probst (2003) betont in ihrem Vortrag, dass selbstlos lieben<br />

eigentlich hieße, sich selbst nicht zu lieben. In diesem Sinne wäre dann, sich selbst zu<br />

übergehen auch eine Form sich dem anderen vorzuenthalten. Vielmehr geht es darum, in der<br />

Anerkennung des Eigenen, die Besonderheit des Partners wertzuschätzen. Erfahrungsgemäß<br />

tut sich derjenige schwer mit der Achtung der Individualität, des eigenen Erlebens, des<br />

Denkens des anderen, der die Wertschätzung dafür nicht erfahren hat.<br />

Störung (vgl. dazu Längle 2002, 6–7). Fehlen mir Beachtung, Wertschätzung, Respekt, so<br />

entsteht Einsamkeit, ein Verstecken hinter der Scham und histrionische Verhaltensmuster.<br />

Fehlen die Voraussetzungen führt dies zu spontanen Schutzreaktionen (Copingreaktionen)<br />

wie auf Distanz zu gehen. Ausdrucksformen sind weggehen (ich kann ohne dich leben), sich<br />

rausnehmen, witzeln, schnippisch werden, formalistisch werden (Beziehungsebene wird<br />

ausgeschlossen). Es kann auch zu Aktivismen kommen. Es ist gleichsam die Flucht nach<br />

vorne. Ausdrucksformen sind funktionieren, ständiges rechtfertigen, Identifikation mit<br />

27


äußeren Objekten durch Recht geben (schmeicheln), Anpassung (nicht verletzen um selbst<br />

nicht verletzt zu werden), Besserwisserei, auf sich aufmerksam machen oder die Definition<br />

über Leistung. Es kann auch zu Aggressionen kommen. Es ist der unduldsame, aufbrausende,<br />

trotzige Typ, verbunden mit Ärger und Zorn. Ziel ist: Ich will gesehen werden, um nicht<br />

weiter verletzt zu werden. Es kann auch hier zum Totstellreflex kommen in Form der<br />

Spaltung und Dissoziation. Es wird überhört, nicht realisiert. Die Empfindung ist abgespalten.<br />

Grund ist oft eine frühkindliche Verletzung. Wenn diese Schutzreaktionen nicht ausreichen,<br />

kommt es wie gesagt zum Selbstverlust, zur Selbstentfremdung, zur Scham oder zur Hysterie.<br />

Sie tritt als Folge ein, wenn ich das Eigene nicht leben kann und keine Beziehung zum<br />

Eigenen mehr habe (z.B. bei Mobbing – Opfern).<br />

Fallbeispiel: Konrad, verheiratet, in mittleren Jahren (45) im Beruf erfolgreich, kam nach<br />

stationärem Aufenthalt (Magengeschwüre). Die Ärzte sagten, es sei psychosomatisch bedingt<br />

und er solle Psychotherapie machen. In den Gesprächen stellte sich heraus, dass der Klient<br />

ständig Erwartungshaltungen anderer erfüllte, sowohl beruflich als auch familiär, und damit<br />

zunehmend unter Druck geriet. Er übernahm immer noch mehr Aufgabengebiete und fühlte<br />

sich für alles verantwortlich, wiewohl sein realer Verantwortungsbereich relativ begrenzt war.<br />

Es war ihm nicht möglich, sich abzugrenzen, oder nein zu sagen. In seiner Vorstellung<br />

entstand dann der Eindruck, nicht mehr geliebt, geachtet zu sein oder gar den Arbeitsplatz zu<br />

verlieren. Verstärkt wurde dieses Gefühl, durch Aussagen von Kollegen, die meinten: „Du<br />

kannst froh sein, dass Du hier arbeiten darfst“. Trotz hohen Leistungsniveaus hatte er<br />

beständig das Gefühl, nichts zustande zu bringen, ersetzbar, unnütz zu sein. Im Zuge der<br />

Gespräche, in denen auch biographische Arbeit stattfand, gelang es ihm allmählich, sein<br />

Eigenes zu erspüren, wahrzunehmen und dann auch – sowohl in der Firma als auch in der<br />

Familie – seinen Verantwortungsbereich zu erkennen und wahrzunehmen. Er lernte, sich von<br />

Personen und Erwartungshaltungen anderer abzugrenzen und loszulassen. Der Klient spürte<br />

auch, dass das so sein darf, gut ist und er sich nicht schuldig zu fühlen braucht. Diese Grenze<br />

vom Ich zur Außenwelt wurde für ihn erlebbar.<br />

Typisch reaktive Begleitgefühle der verletzten 3. GM: Ekel (es graust mir), Neid (Angst vor<br />

Selbstwertverlust), beleidigt sein, Ärger, Eifersucht (sie will besitzen und lässt nicht frei).<br />

Personale Verarbeitung des Verletztseins ist möglich durch das Verzeihen, indem ich jemand<br />

aus der Schuld entlasse.<br />

Bearbeitung als Paar / Fragen (vgl. Längle 1997, 163 – 165)<br />

BEACHTUNG:<br />

In welchen Beziehungen werde ich gesehen und beachtet?<br />

28


Wie erlebe ich die Achtung in unserer Beziehung? Kannst du mich in meiner Andersartigkeit<br />

achten? Kann ich dich in deiner Besonderheit achten?<br />

Gibt es Menschen, Begegnungen, wo es mir möglich ist, so zu sein, wie ich bin? Kenne ich<br />

Begegnungen, wo dies erlaubt ist?<br />

Ist das in unserer Partnerschaft möglich?<br />

Habe ich Menschen, die für mich eintreten, die zu mir stehen? (Aspekt der Freundschaft)<br />

Pflege ich diese Begegnungen?<br />

WERTSCHÄTZUNG / RESPEKT:<br />

Kenne ich mein Eigenes? Wie gut kann ich mein Eigenes tun, mich abgrenzen? Wo fällt es<br />

mir schwerer, leichter, mich abzugrenzen?<br />

Was – von dem was ich tue – ist tatsächlich Meines?<br />

Erlauben wir uns in unserem Miteinander auch das Eigene leben zu dürfen?<br />

Kann ich auch Kritisches, Peinliches aussprechen? Was macht mich zurückhaltend? (Angst<br />

vor Beziehungsverlust, Verlust der Anerkennung, …)<br />

Bei wem erlebe ich Wertschätzung (gesehen werden, Achtung bekommen, Begegnung<br />

von Person zu Person)? Ist das in unserer Beziehung möglich? Wann?<br />

Was ist für mich Achtung der Person?<br />

Welche Menschen schätze ich?<br />

Was schätze ich an mir? (Körper, Gefühle, Verhalten)<br />

Was schätze ich an Dir? (Charaktereigenschaften, „Besonderheiten“, Talente)<br />

Kann ich mich respektieren, wie ich bin, wie ich mit meinen Stärken und Schwächen<br />

umgehe?<br />

Kann ich dich respektieren, wie du bist, wie du mit Stärken und Schwächen umgehst?<br />

RECHTFERTIGUNG<br />

Bei welchen Aufgaben und Handlungen habe ich das Gefühl, dass sie ganz meine sind?<br />

Kann ich Geschenke, Lob anderer annehmen oder muss ich sie mir erst verdienen?<br />

Darf ich auch Schwächen haben?<br />

Ertrage ich es anders zu sein als die anderen oder drängt es mich zur Anpassung, zum<br />

dauernden Vergleichen?<br />

BIOGRAPHIE:<br />

Habe ich Achtung für mein Erleben, Fühlen und Wollen erfahren? Durch wen? Durch wen<br />

nicht? War die Liebe an Bedingungen geknüpft? Wir mögen dich, aber nur wenn du brav bist.<br />

(„Solange du von meinem Brot isst, bestimme ich was daheim geschieht“)<br />

29


War die Liebe „zweckfrei“ oder musste ich meine Daseinsberechtigung durch Leistung<br />

erkaufen? Wie sehr habe ich mein Eigenes leben dürfen, wo wurde ich übergangen<br />

(missachtet), verletzt?<br />

Wo begann bei mir das verstummen, das nicht mehr „sich gemäß“ zu leben und sich<br />

abdrängen lassen?<br />

Existenzanalytisches Verständnis: Sosein dürfen – geschieht durch an–sehen und hinspüren<br />

auf das Wesen, durch Respekt vor der Einzigartigkeit der Person und ihren Entscheidungen<br />

(Würde). „Es bleibt letztlich an mir und stellt eine ganz persönliche Leistung in meinem<br />

Leben dar, dieses „Ja zu mir“ als Person hervorzubringen und in der Treue zu sich zu<br />

halten“ (Längle 1999, 29). Es scheint paradox, aber das innere Ja kann im äußeren Nein<br />

durchgehalten werden, indem die Abgrenzung einen Wert schützt und bejaht.<br />

SELBSTWERT:<br />

Wenn ich ganz tief in mich hineinhorche, welche Antwort kommt mir da: „Ist es recht so, wie<br />

ich bin und wie ich lebe? Was halte ich von mir selbst, wenn ich dieses oder jenes tue?<br />

(Authentizität).<br />

Beratung<br />

Prophylaxe:<br />

Aktive Verarbeitung geschieht durch Begegnen des anderen in seinem Eigenen und die<br />

Abgrenzung des Eigenen. Dies bedeutet, die eigenen Empfindungen ernst zu nehmen und zu<br />

sich und seinen Entscheidungen zu stehen.<br />

Frage zur Förderung des Selbstwertes: Was müsste ich tun, um mich selbst besser achten zu<br />

können? Was kann ich heute tun?<br />

Wenn ich dies erfahren habe, kann ich auch dem Partner diesen Raum geben.<br />

„Im Miteinander eigen sein dürfen“, d.h. ich gestehe Dir zu, dein Eigenes zu entfalten. Ich<br />

gebe dir Wertschätzung und Respekt für deinen Weg innerhalb der Beziehung.<br />

In der Beratung ist es nötig, die Pathologie zu beleuchten, und Verletzungen des Selbstwertes<br />

anzusprechen (evtl. Fortführung in Einzeltherapie). Einige exemplarische Fragen:<br />

Habe ich oft das Gefühl, nicht gut genug zu sein? Ist das Gefühl da: Es ist zuwenig? Kenne<br />

ich das Gefühl, dass es mir eng wird (in der Beziehung, in mir selbst)? Wie oft? Wie gehe ich<br />

damit um?<br />

Habe ich mich schon einmal ganz einsam, verlassen, verloren, trostlos gefühlt?<br />

Habe ich das Gefühl, mich selbst zu verlieren? (z.B. in der Partnerschaft das Eigene<br />

zu verlieren)?<br />

Kenne ich das Gefühl der inneren Leere, Verlust der sozialen Integration?<br />

30


Kenne ich die „Nettigkeit“, die anderen ständig Recht gibt, um die Geltung nicht zu verlieren,<br />

oder aus Angst nicht ernst genommen zu werden?<br />

Kenne ich den Hang Druck auszuüben, zur Ungeduld, autoritär Macht auszuüben?<br />

Neige ich zu großer und ständig wechselnder Anpassung?<br />

Neige ich dazu, mich in Szene zu setzen, im Mittelpunkt stehen zu müssen?<br />

Therapie der Hysterie: Personal begegnende Haltung, hinführen zur Konkretheit (konkrete<br />

Erlebnisse), Ernstnehmen, Sachlichkeit, Annäherung an die kausale Leere der inneren Mitte,<br />

Halten / Festhalten, Konfrontation. Durcharbeiten mit Hilfe der personalen Existenzanalyse,<br />

evtl. biographische Vertiefung.<br />

4) Sinnhorizont: Unser gemeinsamer Lebensentwurf<br />

Sinnbezug (Sinnvoll leben / Ja zum Sinn)<br />

Der Sinnhorizont bezieht sich auf den Anruf der Situation und auf das Verständnis der<br />

Zusammenhänge. Der vernommene und verstandene Anspruch gibt eine Sinnvorgabe,<br />

verleiht der Handlungsfähigkeit eine Richtung (intentional). Das persönliche Dasein erhält<br />

dadurch Erfüllung. Es geht um das Erkennen dessen, worum es in meinem, in unserem Leben<br />

gehen soll. Wir müssen uns in gewisser Weise übersteigen, wollen wir in etwas aufgehen,<br />

fruchtbar werden. „In allen ihren Formen führt uns die Liebe über uns selbst hinaus, indem<br />

wir uns etwas anderem liebend zuwenden“, charakterisieren Wawra und Lindner (2000, 14)<br />

das Wesen der Liebe.<br />

Mit der Sinndimension einher geht die Lebenscharakteristik des Ungeplanten, der<br />

Abgründigkeit der Leere, der Handlungsunfähigkeit, des Scheiterns des Daseins, der<br />

Verzweiflung an der Sinnlosigkeit. Der Anruf der Situation ist einerseits Orientierung<br />

(Sinnangebot), andererseits Beunruhigung und Forderung („Schuld“ bei Nichteinlösung). Die<br />

vierte Grundmotivation erschließt dem Menschen die Zukünftigkeit seiner Existenz aus dem<br />

Verständnis des Woraufhin des Daseins und der Welt. Das Dasein ist somit in einem größeren<br />

geistigen Zusammenhang eingebettet (vgl. Längle 1997, 166).<br />

Die existentielle Frage nach dem Sinn lautet: Ich bin da – aber wofür ist es gut? (bezogen<br />

auf die Partnerschaft: Wofür gibt es uns?) Haben wir ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame<br />

Aufgabe für die es lohnt, sich einzusetzen? Gibt es ein „woraufhin“ wir leben?<br />

Die Grundfrage der Partnerschaft: Will ich für dich leben, mich einsetzen, mit dir das<br />

Wichtige im Leben tun wollen? Will ich mit dir in eine gemeinsame Aufgabe hineinwachsen?<br />

Wo werde ich gebraucht?<br />

31


3 Faktoren: Dafür brauche ich nach Längle (vgl. 1998, 120) wiederum dreierlei – ein<br />

Tätigkeitsfeld, einen Strukturzusammenhang und einen Wert in der Zukunft. Habe ich etwas,<br />

wo ich benötigt werde, wo ich produktiv sein kann? Sehe und erlebe ich mich in einem<br />

größeren Zusammenhang, der meinem Leben Struktur, Orientierung gibt? Gibt es etwas, was<br />

in meinem Leben noch werden soll? – Die gleichen Fragen können auf die Partnerschaft hin<br />

formuliert werden. Es geht um die gemeinsame Lebensperspektive, im religiösen Kontext<br />

würde man vielleicht von Berufung sprechen, das was als Anfrage an uns herantritt und<br />

worauf wir antwortend unser Leben verantworten.<br />

Strukturzusammenhänge wie Familie, Arbeitsplatz oder Natur, erzeugen eine Vernetzung<br />

menschlichen Daseins, wodurch es ungefragt Wert und Bedeutung für andere hat. Dies zu<br />

sehen, hebt das Dasein auf eine integrierte Stufe und löst es aus reiner Individualität. Diese<br />

Eingebundenheit eröffnet ein Tätigkeitsfeld, das mit Verantwortung verbunden ist, Aufgaben<br />

stellt, Erlebnismöglichkeiten bietet und Einstellungen abverlangt. Aus dem Handeln kann in<br />

weiterer Folge ein Werk oder eine Tat werden. Dies erlaubt dem Menschen eine<br />

kontinuierliche Entwicklung in der Ausrichtung auf eine Zukunft. Das Ergreifen des noch<br />

offenen und ausständigen geschieht im dialogischen Austausch mit dem, was jede Situation<br />

als Aufgabe erfordert.<br />

Sinn der Lebens: Sind diese Voraussetzungen erfüllt, finde ich zu einer Hingabe und zum<br />

Handeln, schließlich zu meiner Form der Religiosität. Die Summe dieser Erfahrungen macht<br />

den Sinn des Lebens aus, führt zur Lebenserfüllung. In der Beziehung geht es ebenso um die<br />

Hingabe aneinander, an eine gemeinsame Aufgabe, ein gemeinsames Ziel (z.B. Familie), dies<br />

führt zur Aktivität im Handeln, zur Tat und ermöglicht in Summe eine Lebenserfüllung,<br />

sinnvolles Leben.<br />

Psychologische Dynamik / Beziehungsdynamik:<br />

Sinnvolles wollen / verantwortetes Handeln (Hingabe)<br />

Es genügt nicht, in einem Tätigkeitsfeld zu stehen, sich in einem Zusammenhang zu wissen,<br />

und Werte in der Zukunft zu haben, es braucht dazu eine phänomenologische Haltung. Es<br />

geht dabei um ein Erfassen des Eigentlichen, um eine Wesensschau. Sie ist existentieller<br />

Zugang zum Dasein: die Haltung der Offenheit, in der es darum geht sich anfragen, auf sich<br />

wirken zu lassen von der Situation, wie es Viktor Frankl ausgedrückt hat. „Was will diese<br />

Stunde von mir, worauf soll ich antworten?“ Es geht nicht nur darum, was ich, was wir vom<br />

Leben erwarten, sondern getreu dem dialogischen Grundmuster der Existenz, was das Leben<br />

von mir / von uns will, was die Situation von mir / von uns erwartet, was ich jetzt tun kann<br />

und soll für andere und für mich. „Mein aktives Zutun ist in dieser Haltung der Offenheit:<br />

32


mich in Übereinstimmung zu bringen mit der Situation, zu prüfen, ob es auch gut ist, was ich<br />

tue: für die anderen, für mich, für die Zukunft, für die Welt in der ich stehe“ (Längle 1998,<br />

120).<br />

Viktor Frankl nennt den Sinn als eine „Möglichkeit vor dem Hintergrund der Wirklichkeit“<br />

(Frankl 1987, 315). Existentieller Sinn ist was hier und jetzt auf dem Boden der Tatsachen,<br />

der Realität möglich ist, was von mir / von uns jetzt gebraucht wird, das Dringlichste,<br />

Wertvollste, Interessanteste. Das zu finden ist eine äußerst komplexe Aufgabe, für die wir ein<br />

inneres Gespür haben.<br />

Neben diesem existentiellen, gibt es den ontologischen Sinn, den Sinn des Ganzen. Es ist der<br />

philosophische und religiöse Sinn.<br />

Störung: Fehlen diese Voraussetzungen entsteht Leere, Lebensfrustration, Verzweiflung, oft<br />

sogar Sucht. Es treten Schutzreaktionen auf wie provisorische Daseinshaltung, aktivistische<br />

Sinnschaffung durch Idealisierung, Fanatismus, Zielfixierung oder Aggressionen wie<br />

Zynismus, sowie geistige Totstellreflexe wie der Nihilismus.<br />

Gelingt auch die Verarbeitung nicht, entsteht Orientierungslosigkeit, Leere, existentielles<br />

Vakuum, Verzweiflung, Sucht (vgl. Längle 2002, 7).<br />

Bearbeitung als Paar / Fragen (vgl. dazu: Längle 1997, 166 – 168).<br />

EXISTENTIELLE WENDE:<br />

Wo spüre ich, dass ich gefragt bin? In der Partnerschaft, in der Familie, in der Arbeit?<br />

Was erlebe ich als sinnvoll? Für wen ist mein Dasein sinnvoll? Wie pflege ich diese<br />

Erfahrungen?<br />

Was gibt meinem Leben heute Sinn? Was könnten Aufgaben sein, auf die ich mich<br />

einlassen will? Was könnten gemeinsame Aufgaben in der Partnerschaft sein?<br />

Was könnte der Sinn unseres Lebens, unserer Beziehung sein?<br />

VERANTWORTETES HANDELN:<br />

Was sind die Fragen, die mir / uns das Leben zurzeit stellt?<br />

Welche dieser Lebensfragen beantworte ich, beantworten wir mit unserem Handeln?<br />

Bringe ich mich in Übereinstimmung mit dem Anruf von außen? Übe ich Offenheit und<br />

Hingabebereitschaft?<br />

Welche Aufgaben und Handlungen sehe ich als sinnvoll an?<br />

Wie ist es für mich: Will ich das sinnvollste tun? Strebe ich danach?<br />

BIOGRAPHIE:<br />

Kenne ich Leere, Sinnlosigkeit?<br />

Kannte ich das innere Gespür, jetzt und hier gefragt zu sein? Wurde es angenommen?<br />

33


Gab es einen Sinnbezug in meinem persönlichen Kontext oder verharrte ich in der<br />

Zuständlichkeit, im Wünschen – Wie habe ich das bei meinen Eltern erlebt?<br />

Kenne ich Langeweile, Frustration? In welchen Situationen?<br />

Existenzanalytisches Verständnis: In Freiheit und Verantwortung sich mit dem Anruf der<br />

Situation abstimmen und handeln (existentieller Sinn). Sich in einem religiösen Verständnis<br />

in den Zusammenhang des Ganzen bringen (ontologischer Sinn).<br />

LEBENSSINN:<br />

Was halte ich im Innersten für die Bestimmung meines Lebens, wofür bin ich auf die Welt<br />

gekommen? Was sehe ich als den Sinn meines Lebens an?<br />

Beratung<br />

Prophylaxe:<br />

Wertepflege, Suche nach der besten, wertvollsten Möglichkeit vor dem Hintergrund der<br />

Wirklichkeit.<br />

Wie und in welchen Bereichen kann ich Offenheit und Hingabebereitschaft üben? Wo ist<br />

Hingabe möglich im Alltag, in der Partnerschaft, in der Familie?<br />

Persönliche und gemeinsame Verarbeitung geschieht durch Suche nach Sinn, auch im<br />

religiösen Kontext. In der Partnerschaft geht es nicht nur darum, Probleme zu lösen, sondern<br />

sich gemeinsam auf Zukunft auszurichten, in phänomenologischer Haltung den Anspruch der<br />

Stunde zu ergreifen und handelnd zu gestalten – Pflege des „Sinnorgans“: Den Anspruch der<br />

Situation beantworten durch den Willen zur Tat.<br />

Pathologie ansprechen (evtl. Fortführung in Einzeltherapie). Einige exemplarische Fragen:<br />

Kenne ich das Gefühl der Leere, Sinnlosigkeit?<br />

Wie gehe ich damit um? Wie oft tue ich Dinge, die ich als sinnlos empfinde?<br />

Habe ich manchmal tiefe, hoffnungslose, lähmende Verzweiflung?<br />

Was kann, was konnte Hoffnung geben?<br />

Wo ist Hingabe möglich?<br />

Was ist der äußerste religiöse Horizont, in dem ich mein Leben eingebettet glaube? (vgl.<br />

Längle 1997, 168)<br />

Therapie: Methode der Sinnerfassung (nach Längle 1988):<br />

1)Wahrnehmen – wertfreies Hinschauen: worum geht es?<br />

2) Fühlen, Werten: in Beziehung treten<br />

3) Urteilen, Wählen: sich dazu stellen<br />

4) Wahrmachen, Handeln: Verantwortung und Aktivität<br />

34


V Modell einer Paarberatung – Verlauf in neun Stufen<br />

Als Modell einer Paarberatung stelle ich jetzt die 9 Stufen von Elisabeth Lindner und Kurt<br />

Wawra, entnommen dem Buch „Beziehungscoaching“ (Lindner & Wawra 2000) vor. Ich<br />

habe es im Wesentlichen übernommen und in einigen Punkten mit den Grundmotivationen als<br />

Wirkinhalte in Verbindung gebracht.<br />

Als Setting kann sowohl die Beratung als Einzelperson, aber auch die Paar-Beratung (Berater<br />

und Beraterin) gewählt werden. Der Vorteil der Paarberatung ist, dass Berater und Beraterin<br />

im Dialog Stellung zueinander beziehen, was beispielhafte Wirkung auf die Klienten hat.<br />

Nachteil sind die Kosten und mögliche auftretende Beziehungsprobleme zwischen den<br />

Beratern.<br />

Ebenso kann die Beratung mit einem Klienten-Paar oder als Einzelberatung erfolgen. Es muss<br />

überprüft werden, ob die Schwierigkeiten des Paares tatsächlich innerhalb der Beziehung<br />

liegen. Paarberatung ist nämlich nur gerechtfertigt, wenn ein gemeinsames Problem in der<br />

Kommunikation des Paares erkennbar ist. Bei intrapsychischen Konflikten und tiefer<br />

liegenden Persönlichkeitsstörungen, ist es nötig, mit einer Person allein zu arbeiten. Wird eine<br />

Person beraten, so soll die Haltung dem Abwesenden gegenüber von Verständnis und<br />

Akzeptanz geprägt sein. Er kann zu einem späteren Zeitpunkt wieder miteinbezogen werden.<br />

Unbedingt sollte die Frage vorab geklärt werden: Wollen sie, dass ihr Partner mitkommt?<br />

Die Beratung ist lösungsorientiert und das Beratungsziel ist erreicht, wenn das Paar – über die<br />

Beratungssituation hinaus – wieder miteinander kommunizieren kann.<br />

Die Stufen im Einzelnen:<br />

1. Aktuelle Problemstellung<br />

Im Erstgespräch geht es um Beziehungsaufnahme (Dasein, Führen, Struktur bieten) und um<br />

die Problemanalyse: Klärung des Sachverhalts und Informationsgewinnung. Es geht darum,<br />

die Realität in den Blick zu nehmen Was ist die aktuelle Lebenssituation der Klienten, wo<br />

sind vorhandene Ressourcen? In diesem Modell geht es besonders um die Qualität der<br />

Kommunikation und um Lösungskompetenz: Welche Lösungsversuche gab es bisher?<br />

Worum geht es jedem einzelnen? Worum geht es dem Paar? Dabei ist auch zu klären, ob die<br />

Schwierigkeiten aus der Paardynamik kommen oder aus persönlichen Schwierigkeiten<br />

resultieren?<br />

Fallbeispiel: Frau M. ersucht telefonisch um ein beratendes Gespräch, da sie sich an ihrer<br />

äußersten Belastungsgrenze befinde. Als Hauptgrund ihrer Überforderung nennt sie ihren<br />

Gatten. Beim ersten gemeinsamen Gespräch gibt Frau M. an, dass sie ihr Mann in familiären<br />

Belangen nicht unterstützt, kaum Zeit für sie hat. Er sei nicht zärtlich und es gebe kaum<br />

35


sexuelle Beziehungen. Er sei nicht an ihr als Person interessiert. Herr M. gibt an, dass seine<br />

Frau nur noch aggressiv und unfreundlich sei. Wörtlich sagte er: Sie ist eine lebendige<br />

„Zeitbombe“. Sie tue zwar alles für die Kinder und den Haushalt, habe aber für ihn keine Zeit.<br />

Übereinstimmend wird festgestellt, dass dieser Zustand schon eineinhalb Jahre andauere und<br />

es nur noch ein Nebeneinanderleben wäre. Er engagiert sich mehr und mehr im Beruf, sie<br />

gehe auf in der Hausarbeit und Kindererziehung.<br />

Die persönlichen Daten werden exploriert. Frau M. ist 34 Jahre alt, von Beruf medizinisch<br />

technische Assistentin und befindet sich derzeit in Karenz.<br />

Herr M. ist 39 Jahre alt, leitender Angestellter einer Handelsfirma. Sie lernten einander vor 10<br />

Jahren kennen, heirateten vor 7 Jahren und haben zwei gemeinsame Kinder im Alter von<br />

sechs und drei Jahren. Wichtig ist auch, dass Herr M. zur Zeit enorme Schwierigkeiten in<br />

seinem beruflichen Alltag hatte, die alle seine Kräfte in Anspruch nahmen, wodurch sich<br />

seine Frau vernachlässigt, mit der Kindererziehung alleingelassen und zurückgestoßen fühlte.<br />

In Krisensituationen ist es gut, Nähe aufkommen zu lassen, Gefühlen Ausdruck zu verleihen<br />

(sich mit seinen Gefühlen zur Verfügung zu stellen), Kränkung anzufühlen, sich Wertvollem<br />

zuzuwenden, das verloren ging und stellvertretend Hoffnung anzubieten: Ich sehe etwas, das<br />

sie noch nicht sehen.<br />

2. Zieldefinition<br />

Vertreten wird ein phänomenologischer Ansatz, der auf Lösung hin orientiert ist. Wichtig ist<br />

eine gemeinsame Zieldefinition, der viel Platz eingeräumt wird. Im akuten Konflikt ist dies<br />

oft nicht möglich. Modifikation des Zieles im Laufe der Beratung ist möglich. Die Beratung<br />

beginnt erst, wenn ein konkretes, positiv geäußertes Ziel formuliert ist.<br />

Fallbeispiel: Im vorliegenden Fall stand die Trennungsdrohung im Raum. Das Paar einigte<br />

sich jedoch nach einigen Stunden auf eine Verbesserung der Beziehung und Beendigung der<br />

zermürbenden Streitigkeiten. Der gemeinsame Wunsch nach Fortbestand der Ehe bildete<br />

somit Grundlage der gemeinsamen Arbeit.<br />

3. Standortbestimmung<br />

In dieser Phase wurde geklärt, ob die Schwierigkeiten tatsächlich aus der Paardynamik und<br />

nicht aus persönlichen Schwierigkeiten eines der Beteiligten herrühren. Eine<br />

existenzanalytische Diagnostik auf Basis der Grundmotivationen ist in diesem Fall angezeigt.<br />

Der Fragenkatalog der Grundmotivationen kann angewandt werden. Im Modell werden unter<br />

anderem folgende erwähnt:<br />

36


a) Standort des Paares<br />

Fragen öffnen den Blick auf die Gesamtsituation des Paares. Sie geben Aufschluss über die<br />

Qualität der Beziehung:<br />

+ Wo stehen wir als Paar? Was sind unsere Rahmenbedingungen, unser Raum? (1. GM)<br />

+ Geben wir einander Raum? Inwieweit halten und stützen wir einander? (können, 1. GM)<br />

+ Was ist unsere gemeinsame Welt? (können, 1. GM)<br />

+ Was gibt unserer Beziehung Halt? (können, 1. GM)<br />

+ Wie sieht unser Alltag aus? (da sein, 1. GM)<br />

+ Was gefällt uns an unserer Beziehung? Was macht es warm, „heimelig“? (mögen, 2. GM)<br />

+ Können wir uns gemeinsam etwas gönnen, genießen? (mögen, 2. GM)<br />

+ Gibt es Zärtlichkeiten? Wie drücken wir sie aus? (mögen, 2. GM)<br />

+ In welcher Hinsicht fördern wir uns gegenseitig, wo blockieren wir einander?<br />

(dürfen, 3. GM)<br />

+ Würden wir heute einander noch einmal wählen?<br />

+ Sehen wir gemeinsame Aufgaben, Ziele? (sollen, 4. GM)<br />

+Auf welchen Ebenen können wir gut / nicht gut kommunizieren? (im Blick auf die<br />

Kommunikationspyramide)<br />

b) Die persönliche Situation des Einzelnen in der Beziehung<br />

+ Habe ich in der Beziehung Raum? Kann ich da sein? (können, 1. GM)<br />

+ Wo ist mein „Revier“ im alltäglichen Leben? (können, 1. GM)<br />

+ Wo fühle ich mich gestärkt, unterstützt? (können, 1. GM)<br />

+ Fühle ich mich wohl in deiner Gegenwart? Kann ich deine Nähe zulassen? (mögen, 2. GM)<br />

+ Fühle ich mich in meinen Möglichkeiten eingeschränkt oder von dir unterstützt? (dürfen, 3.<br />

GM)<br />

+ Spüre ich in mir ein Potential, das ich in der Beziehung nicht leben kann? (dürfen, 3. GM)<br />

+ Wo fühle ich mich abhängig, alleingelassen, ausgenützt? (dürfen, 3. GM)<br />

+ Kann ich dich respektieren, wie du mit deinen Stärken und Schwächen umgehst?<br />

(dürfen, 3. GM)<br />

+ Ertrage ich es anders zu sein als du, oder drängt es mich zur Anpassung? (dürfen, 3. GM)<br />

+ Fehlt mir etwas, was mir mein Partner geben könnte? (dürfen, 3. GM)<br />

+ Will ich mit dir zusammen mein Leben, meine Zukunft gestalten? (sollen, 4. GM)<br />

+ Sehe ich gemeinsame Aufgaben, Ziele? Was verbindet uns? (sollen, 4. GM)<br />

Fallbeispiel: Es wurde nochmals überprüft, ob die Schwierigkeiten tatsächlich aus der<br />

Paardynamik und nicht aus persönlichen Konflikten stammten und das Interesse an einer<br />

37


Verbesserung der Beziehung bestand. Übereinstimmungen gab es hinsichtlich ihrer<br />

Entscheidung zur Elternschaft. Beide lieben ihre Kinder sehr.<br />

4. Herstellen der Dialogfähigkeit durch Stellungnahme<br />

In der Bearbeitungsphase geht es um die Stärkung des eigenen (3. GM) mit Fokus auf<br />

personalen Ressourcen. Was hilft den Klienten jetzt? Was steht an und was hindert sie daran?<br />

Der Berater hat die Möglichkeit zu bekräftigen, zu ermutigen, Stellung zu nehmen und<br />

Eigeninitiative zu fördern. Er hat in diesem Setting die Rolle eines Mediators.<br />

Durch personales Anfragen und Provokation der Stellungnahme soll die Dialogfähigkeit des<br />

Paares angeregt werden. Die Methode der Personalen Existenzanalyse (nach Längle 2000),<br />

bzw. Einstellungsänderung können zur Anwendung kommen. Neben der Stellungnahme zum<br />

Paar soll Stellung zu sich selbst bezogen werden. Es soll eine existentielle<br />

Auseinandersetzung frei von Schuldzuweisungen entstehen.<br />

Fragen:<br />

+ Was ärgert mich, was stört mich konkret an seinem oder ihrem Verhalten? Was ist es?<br />

+ Wie fühlt sich das an? Was macht es mit mir?<br />

+ Welchen Eindruck macht es in mir?<br />

+ Woran erkenne ich, dass es gegen mich gerichtet ist? Verstehe ich es?<br />

+ Kann ich verstehen, warum sich mein Partner so verhält? Was bewegt ihn dabei?<br />

+ Welchen Ausdruck kann ich meinem Ärger geben? Was will ich tun?<br />

+ Wie könnte ich ihm / ihr begegnen? Was würde ich Dir jetzt am liebsten sagen?<br />

+ Wie will ich mich verhalten? Kann ich mir Alternativen vorstellen (zum Schweigen, zum<br />

Rückzug, zur Aggression)? Was geht mir dadurch verloren?<br />

+ Wenn es Unabänderliches ist: Könnte ich es dieses eine Mal noch ertragen? Kann ich es<br />

aushalten und trotzdem Ja zu ihm / zu ihr sagen? Was würde mir dieses Ja erleichtern?<br />

Fallgeschichte: In Form einer Mediation wurde das Paar ermuntert, Bedürfnisse und<br />

Wünsche in „Ich – Botschaften“ auszudrücken. Der Berater übernimmt auch stellvertretend<br />

für einen der Partner die Rolle des Anfragenden. Durch die Stellungnahme zu sich selbst,<br />

gelang ein Verständnis für die Beweggründe des anderen zu erreichen. Frau M. etwa<br />

erkannte, dass nicht einzig ihr Mann für ihre Anerkennung sorgen muss und wie sehr ihre<br />

Nörgeleien Grund für seinen Rückzug sind.<br />

5. Wertepflege<br />

Verschüttete Werte werden geborgen und eine gemeinsame Wertewelt gefördert.<br />

Auch dabei richtet sich der Blick auf die Grundmotivationen.<br />

38


Fragen:<br />

+ Nehmen wir uns Zeit füreinander? (2. GM)<br />

+ Welche Werte sind uns wichtig? Wie kultivieren wir sie? (2. GM)<br />

+ Wie können wir das als kostbar behandeln, was uns wichtig ist? (2. GM)<br />

+ Wo erfüllen wir Verpflichtungen, wo zwingt uns etwas? (2. GM)<br />

+ Was schätze ich an meinem Partner? Was ist kostbar? (3. GM)<br />

+ Was ist das besondere an unserer Beziehung? (3. GM)<br />

+ Was würde bleiben, wenn mein Partner nicht mehr wäre?<br />

+ Wie spüre ich, dass ich meinen Partner liebe und was liebe ich an ihm / an ihr? (3. GM)<br />

+ Was ist das unverwechselbare an ihm / ihr? (3. GM)<br />

+ Gibt es Bereiche, wo ich mich gerne für Dich einsetze, für Dich da bin? Wie kann ich diese<br />

Bereiche pflegen? (4. GM)<br />

Fallgeschichte: Es zeigte sich, dass sie sich eher über Funktionen als über Personales<br />

definieren. Ausgeprägt ist das Familienbewusstsein, verkümmert ist das Paarbewusstsein. Es<br />

findet zwischen ihnen keine Begegnung statt. Interessant ist auch, dass sie zwar Dinge als<br />

wertvoll erkennen (z.B. regelmäßig einen Abend zu zweit), aber sich diese Zeit nicht gönnen<br />

und diesen Wunsch sofort entwerten: Es gäbe wichtigeres zu erledigen in Beruf und Haushalt.<br />

Es sei doch übertrieben, sich einen Eheabend einzuplanen. Beide waren aber imstande,<br />

hinzuspüren, wo sie den anderen als wertvoll erlebten, was an ihm oder an ihr wertvoll ist.<br />

Frau M. spürte, dass ihr Mann sich für seine Arbeit einsetzt, aber auch dass er damit seine<br />

Sorge für seine Familie ausdrückt. Das gebe ihr ein Gefühl der Sicherheit, des Schutzes. Herr<br />

M. schätze an ihr die Fürsorglichkeit und Bereitschaft ganz für die Familie da zu sein. Das<br />

gebe ihm ein Gefühl der Beheimatung, wenn er nach Hause kommt.<br />

6. Biografie der Partnerschaft<br />

Sie gibt Aufschluss über das Fundament der Beziehung: Warum gerade dieser Partner? Es ist<br />

der Weg an den „Anfang der Liebesgeschichte“ und dient der Vergegenwärtigung von<br />

Gefühlen durch Erinnerung.<br />

+ Was hat mir am Beginn Raum, Halt, Schutz in der Beziehung gegeben? (1. GM)<br />

+ Wo habe ich mich angenommen gefühlt? Wie habe ich dich angenommen? (1. GM)<br />

+ Was hat mich an dir angezogen? (Körper, Aussehen, Eigenschaften, …) (2. GM)<br />

+ Was war das Besondere, Einzigartige an dir? (3. GM)<br />

+ Was hat mich mit dir verbunden, welche gemeinsamen Interessen, Aufgaben haben wir<br />

gehabt? (4. GM)<br />

+ Habe ich mich für dich entschieden oder bin ich in die Beziehung „hineingestolpert“?<br />

39


+ Was war unsere gemeinsame Vision, unser Ziel? (4. GM)<br />

Fallgeschichte: Herr M. schätzt die Verlässlichkeit seiner Frau, und dass er sich am Beginn<br />

der Partnerschaft von ihr sehr oft verstanden und angenommen fühlte. Frau M. schätzt an<br />

ihrem Mann, dass er sehr intensiv auf sie eingegangen ist, und er sie in ihrem Wert gesehen<br />

und geachtet hat. Außerdem hätten sie gut miteinander reden können und viel miteinander<br />

unternommen. An das Aktualisieren dessen, was verbindend gewesen war, konnte das Paar<br />

anknüpfen.<br />

7. „Schicksal“ – unabänderliche Bedingungen<br />

Es geht um das Bewusstmachen der unabänderlichen Bedingtheiten und der Einstellung dazu.<br />

Dies fällt in den Bereich der ersten Grundmotivation. Wenn die Konfliktursache nicht<br />

änderbar ist, wenn Unabänderliches am Partner kritisiert wird wie körperliche Attribute,<br />

Herkunft, Temperament, Behinderungen usw. Die dahinter liegende Dynamik ist: Ich nehme<br />

dich an und kann dich auch lassen. Es geht um ein An–nehmen und Aus –halten des anderen<br />

auch in seinen Begrenztheiten. In manchen Situationen ist nur mehr eine Verwirklichung von<br />

Einstellungswerten möglich.<br />

Fragen:<br />

+ Mit welchen Gegebenheiten muss ich leben? Was ist unabänderlich?<br />

+ Wusste ich diese von Anfang der Beziehung an?<br />

+ Was hat sich verändert, sodass ich nicht mehr damit leben kann, will?<br />

+ Wenn ich tief in mich hineinhorche: Kann ich trotzdem ein Ja zu dir sprechen, es aus –<br />

halten?<br />

Fallgeschichte: Ihr älteres Kind war in den ersten Lebensjahren sehr häufig und schwer<br />

krank und forderte in dieser Zeit all ihre Kräfte. Das kollidierte mit ihren Karrierewünschen,<br />

die sie insgeheim hegte. Er wiederum war beruflich sehr gefordert, eine intensivere Präsenz in<br />

der Familie wäre mit Einbußen im Lebensstandard verbunden gewesen. Das wiederum wollte<br />

sie nicht. Der Blick auf die Realität, dass zur Aufrechterhaltung des Standards großer<br />

persönlicher Einsatz seinerseits als leitender Angestellter nötig war, hatte im vorliegenden<br />

Fall eine de–eskalierende Wirkung.<br />

8. Perspektiven / Sehnsüchte<br />

In dieser Stufe geht es um den gemeinsamen, neuen Sinnhorizont, um eine Neuorientierung<br />

(4. Grundmotivation). Es geht somit um die gemeinsame künftige Wertewelt, die Suche nach<br />

neuen Lösungen. Was steht in unserem Leben jetzt an? Wo sind wir konkret gefragt? Was<br />

40


sind unsere gemeinsamen Ziele? Vielleicht sogar: Was ist der Sinn unseres Lebens, unsere<br />

gemeinsame Berufung?<br />

In diesem Modell werden folgende Fragen vorgeschlagen:<br />

+ Was kann ich noch entdecken beim anderen?<br />

+ Gibt es gemeinsame Aufgaben, denen wir uns widmen sollen?<br />

+ Gibt es Aufgaben des Partners, die mich interessieren?<br />

+ Gibt es gemeinsame Sehnsüchte, die wir verwirklichen wollen?<br />

+ Welche Sehnsüchte sind leicht verwirklichbar?<br />

Fallgeschichte: Beide wünschten sich ein befriedigendes Sexualleben, gemeinsame Abende<br />

und Theaterbesuche.<br />

9. Abschluss / Follow - up<br />

Grundsätzlich ist der Abschluss eine gemeinsame Entscheidung von Beratern und Klienten.<br />

Von Beraterseite ist eine Beendigung angezeigt. wenn das Paar in der Lage ist, auftretende<br />

Konflikte im Sinne beider zu lösen und keine Kommunikationseinschränkung mehr vorliegt.<br />

Nach etwa drei Monaten wird ein Abschlussgespräch vereinbart: Wie kommt jeder mit dem<br />

Leben zurecht? Was hat sich geändert? Vereinbart wurde auch, dass es in größeren Abständen<br />

Reflexionsgespräche gibt und dass der Berater selbstverständlich in besonderen<br />

Belastungssituationen zur Verfügung steht.<br />

Fallgeschichte: Es entstand in der Partnerschaft nach einigen Monaten wieder eine<br />

gemeinsame Gesprächsbasis, die langsam auch außerhalb der Beratung tragfähig wurde.<br />

41


Schlussbemerkungen<br />

Am Schluss meiner Arbeit will ich nochmals in Gedanken den Bogen zum Anfang schlagen,<br />

in dem ich versuchte, das Phänomen Liebe zu umschreiben. Ich denke, dass im Zuge der<br />

Auseinandersetzung deutlich geworden ist, dass in der Liebe die vier Grundmotivationen<br />

integriert sind. Wie drückt sich meine Haltung zum geliebten Menschen aus, wie ist meine<br />

Haltung in der Liebe?<br />

1) Dasein für dich: Offenheit und den anderen sein lassen, ihm Raum geben wollen, ihn<br />

halten und stützen.<br />

2) Dir Gutes wollen, verbunden mit der Bereitschaft, es mir nahe gehen zu lassen, wie du<br />

bist, was du bist, wie es dir geht. Ich habe Interesse für dein Wohlbefinden.<br />

3) Interesse dafür wie du bist, wie du denkst, fühlst, entscheidest. Ich schätze deine Art,<br />

achte dich und will mich dir auch zeigen.<br />

4) Für dich auch leben wollen, mich einsetzen, mit dir zusammen das Wichtige im Leben tun<br />

wollen.<br />

Nochmals einfacher gesagt: Lieben heißt annehmen und angenommen sein, Zuwendung<br />

geben und erhalten, gesehen werden und sehen, tätig werden für den anderen und des anderen<br />

für mich.<br />

Ich habe weiters dargestellt, inwieweit die Grundmotivationen in der Arbeit mit Paaren<br />

wesentliche Wirkinhalte bilden. Sie sind gleichsam der „Nährboden“ auf dem Beziehung<br />

wieder lebendig werden kann. In dieser Hinsicht hat mich auch der Gedanke von Jürg Willi<br />

sehr bewegt, dass Partner einander auf anstehende Entwicklungsschritte hinweisen. Im Blick<br />

auf die Grundmotivationen wird sehr deutlich, wo der Ansatz für die Herausforderung zur<br />

Entwicklung ist und wo Paare dem ausweichen. Selbst wo diese Entwicklung äußerlich nicht<br />

(mehr) möglich ist, besteht durch die Annahme des Unausweichlichen, Unabänderlichem, die<br />

Möglichkeit in der Beziehung zu existentiellem Leben vorzustoßen.<br />

42


Literaturverzeichnis<br />

Frankl Viktor (1987) Ärztliche Seelsorge, Grundlagen der Logotherapie und<br />

Existenzanalyse, Frankfurt: Fischer Verlag<br />

Kolbe Christoph (2003) Vortrag am Herbstsymposium – Thema: Liebe – Eros – Sexualität,<br />

Titel des Vortrages: Was die Liebe kompliziert macht und wie sie trotzdem gelingen kann<br />

Längle Alfried (1997) Modell einer existenzanalytischen Gruppentherapie für die<br />

Suchtbehandlung, in: Längle / Probst (Hg.), Süchtig sein – Entstehung, Formen und<br />

Behandlung von Abhängigkeiten, Erweiterter Tagungsbericht der GLE, Wien: GLE - Verlag,<br />

S 149 - 169<br />

Längle Alfried (1998) Lebenssinn und Psycho-Frust, in: Riedel Lothar (Hrsg.), Sinn und<br />

Unsinn in der Psychotherapie, Rheinfelden: Mandala, S 105 - 123<br />

Längle Alfried (1999) Was bewegt den Menschen? Die existentielle Motivation der Person,<br />

in: Existenzanalyse 3, S 18 – 29<br />

Längle Alfried (2000) (Hrsg.) Praxis der Personalen Existenzanalyse, Wien: Fakultas<br />

Längle Alfried (2002) Die Grundmotivationen menschlicher Existenz als Wirkstruktur<br />

existenzanalytischer Psychotherapie, in: Fundamenta Psychiatrica 1, S 1 – 8<br />

Längle Alfried (2002) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie, Wien: GLE – Verlag<br />

Powell John (1969) Why I am afraid to tell you who I am, Illinois: Argus Communications,<br />

S 54 – 62<br />

Propst Michaela (2003) Vortrag am Herbstsymposium – Thema: Liebe – Eros – Sexualität,<br />

Titel des Vortrages: Wenn die Liebe zur Belastung wird.<br />

Wawra Kurt / Lindner Elisabeth (2000) Beziehungscoaching, Wien: Emilia Verlag<br />

Willi Jürg (2002) Psychologie der Liebe – Persönliche Entwicklung durch<br />

Partnerbeziehungen, Stuttgart: Klett – Cotta<br />

43<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Mag. theol. Kurt Reinbacher<br />

Ernst – Machstrasse 31 / 1<br />

5023 Salzburg

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!