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Gelingende Existenz in Lerngruppen<br />

Die vier Grundmotivationen der Existenzanalyse<br />

und der gruppendynamische Raum<br />

Abschlussarbeit für die Ausbildung in Logotherapie<br />

und existenzanalytischer Begleitung und Beratung<br />

August 2011<br />

Eingereicht von:<br />

Gerhard Friedl<br />

Wässermattweg 6<br />

5036 Oberentfelden<br />

Eingereicht bei:<br />

Brigitte Heitger, Mezenerweg 12, 3013 Bern<br />

und<br />

Therese Jones, Kappelenring 54d, 3032 Hiterkappelen<br />

Angenommen am 27.10.2011 von:<br />

Brigitte Heitger Therese Jones


Zusammenfassung<br />

In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie die vier Grundmotivationen der Existenz-<br />

analyse mittels Interventionen in den gruppendynamischen Raum einer Aus- oder Weiterbil-<br />

dungssituation der Berufs- und Erwachsenenbildung integriert werden können. Das Ziel der<br />

Arbeit ist, einen Beitrag zu leisten, der aufzeigt, wie Elemente der Existenzanalyse in die Bil-<br />

dungsarbeit mit Erwachsenen integriert werden können.<br />

Zuerst wird definiert, was eine Gruppe ist und was unter Gruppendynamik verstanden werden<br />

kann. Danach wird der gruppendynamische Raum mit seinen Dimensionen Zugehörigkeit,<br />

Macht und Intimität beschrieben. Weiter wird aufgezeigt, um was es in der Existenzanalyse<br />

geht und was die vier Grundmotivationen sind. Ein Aspekt aus der 2. Grundmotivation wird<br />

vertieft aufgenommen. Dabei geht es um die Wertberührung. In dieser Arbeit wird davon<br />

ausgegangen, dass die Werte- und Emotionstheorie der Existenzanalyse eine besondere Be-<br />

deutung für das Lernen hat. Nach der Betrachtung, was eine Intervention genau ist, schliesst<br />

die Arbeit mit einem handlungsorientierten Teil ab, in dem konkret aufgezeigt wird, was<br />

Ausbilder und Ausbilderinnen tun können.<br />

Schlüsselwörter<br />

Gruppendynamik, Existenzanalyse, 4 Grundmotivationen.<br />

Summary<br />

This paper will pursue the question of how the four fundamental motivations of existential<br />

analysis can be integrated via interventions in the area of group dynamics in the context of<br />

vocational or adult education or further education. The aim of the paper is to provide an article<br />

that demonstrates how elements of existential analysis can be integrated into educational<br />

work with adults.<br />

It will firstly define what a group is and what can be understood by dynamics. It will then<br />

describe the area of group dynamics with its dimensions of belonging, power and intimacy.<br />

Furthermore, it will demonstrate what is involved in existential analysis and what the four<br />

fundamental motivations are. One aspect of the second fundamental motivation will be included<br />

in greater depth. This is the question of feeling value. In this paper, it is assumed that<br />

the value and emotional theory of existential analysis has a special meaning for learning.<br />

Following discussion of exactly what an intervention is, the paper concludes with an activitybased<br />

section, in which it demonstrates what teachers can do in practice.<br />

Key words:<br />

Group dynamics, existential analysis, four fundamental motivations.<br />

2


Inhaltsverzeichnis<br />

1. Gruppe, Dynamik und gruppendynamischer Raum ......................................................... 4<br />

1.1 Definition von Gruppe ............................................................................................. 4<br />

1.2 Beschreibung der Dynamik ..................................................................................... 5<br />

1.3 Der gruppendynamische Raum ............................................................................... 6<br />

1.3.1 Herkunft und Bedeutung .............................................................................. 6<br />

1.3.2 Dimension Zugehörigkeit ............................................................................ 7<br />

1.3.3 Dimension Macht ......................................................................................... 8<br />

1.3.4 Dimension Intimität ..................................................................................... 9<br />

2. Logotherapie, Existenzanalyse und die vier Grundmotivationen ................................... 10<br />

2.1 Existenzanalyse und Logotherapie ........................................................................ 10<br />

2.2 Die Grundmotivationen der Existenzanalyse ........................................................ 11<br />

2.2.1 Herkunft und Bedeutung ............................................................................ 11<br />

2.2.2 1. Grundmotivation – Dasein-Können ....................................................... 12<br />

2.2.3 2. Grundmotivation – Leben-Mögen ......................................................... 13<br />

2.2.4 3. Grundmotivation – Selbst-Sein-Dürfen ................................................. 14<br />

2.2.5 4. Grundmotivation – Sinnvolles Wollen .................................................. 15<br />

3. Werte und Emotionen beim Lernen ................................................................................ 16<br />

4. Intervention ..................................................................................................................... 18<br />

5. Integration der Grundmotivationen in den gruppendynamischen Raum ........................ 19<br />

5.1 Wirkungen ............................................................................................................. 19<br />

5.2 Handlungsmöglichkeiten für Ausbildende für die Integration der<br />

Grundmotivationen ................................................................................................ 21<br />

6. Förderung der Wertberührung im Unterricht .................................................................. 23<br />

7. Rückblick, Weiterentwicklung, kritische Stellungnahme............................................... 26<br />

Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 28<br />

3


Gelingende Existenz in Lerngruppen<br />

Die vier Grundmotivationen der Existenzanalyse<br />

Beweggründe für diese Arbeit<br />

und der gruppendynamische Raum<br />

Bei dieser Arbeit steht ein Thema aus der Berufs- und Erwachsenenbildung in Zentrum und<br />

nicht ein beraterisches und therapeutisches. Meine berufliche Haupttätigkeit ist die Berufs-<br />

und Erwachsenenbildung. Meine Beratungstätigkeit ist eher eine Nebentätigkeit. Für mich<br />

war von Anfang der Ausbildung an klar, dass ich mit meiner Abschlussarbeit eine pädagogi-<br />

sche Arbeit machen will. Durch die ganze Ausbildung hindurch bin ich für die eigentliche<br />

Beratertätigkeit gut ausgerüstet worden. Mein Bedürfnis nach Vertiefung im pädagogischen<br />

Bereich konnte ich in den Präsenzzeiten der Ausbildung nicht befriedigen. Ich habe das teil-<br />

weise während der Ausbildung nebenbei gemacht. Ich habe mich gegen den Schluss der Aus-<br />

bildung denn auch sehr gefreut, mit der Abschlussarbeit meinem Bedürfnis noch vertieft nach-<br />

gehen zu können.<br />

Im Rahmen meiner beruflichen Haupttätigkeit leite ich auch gruppendynamische Selbsterfah-<br />

rungswochen. Schon früh in der Ausbildung habe ich den Eindruck bekommen, dass man<br />

Elemente der Grundmotivationen im Rahmen von gruppendynamischen Prozessen von Lern-<br />

gruppen bewusst fördern könnte. So ist schon bald die Lust entstanden, diesem Thema und<br />

einer damit verbundenen Frage nachzugehen. So ist es zu dieser Arbeit gekommen.<br />

1. Gruppe, Dynamik und gruppendynamischer Raum<br />

1.1 Definition von Gruppe<br />

Aus der Kleingruppenforschung gibt es eine formale Definition von Gruppe. König/Schatten-<br />

hofer (2010, S. 15) definieren Gruppe wie folgt (Darstellung der Autoren übernommen):<br />

„Demnach haben Gruppen<br />

• 3 bis ca. 20 Mitglieder (von Grossgruppen spricht man ab ca. 20 Mitgliedern)<br />

• eine gemeinsame Aufgabe oder ein gemeinsames Ziel<br />

• die Möglichkeit der direkten (Face-to-Face) Kommunikation<br />

• eine gewisse zeitliche Dauer, von 3 Stunden (der durchschnittlichen Lebensdauer<br />

vieler Gruppen aus der experimentellen Psychologie) bis zu vielen Jahren.<br />

4


Darüber hinaus entwickeln Gruppen mit der Zeit<br />

• ein Wir-Gefühl der Gruppenzugehörigkeit und des Gruppenzusammenhalts<br />

• ein System gemeinsamer Normen und Werte als Grundlage der Kommunikations-<br />

und Interaktionsprozesse<br />

• ein Geflecht aufeinander bezogener sozialer Rollen, die auf das Gruppenziel gerichtet<br />

sind.“<br />

Schattenhofer (2009) orientiert sich an einem systemtheoretischen Verständnis: „Zentral für<br />

den Begriff der sozialen Gruppe ist die innere Bezogenheit der Mitglieder aufeinander und auf<br />

die Gruppe: Eine Gruppe ist vielleicht nicht mehr [Hervorhebung d. Verf.] als die Summe der<br />

Gefühle, Kognitionen und Verhaltensweisen der einzelnen Individuen, aber sie ist etwas an-<br />

deres.“ (S. 18).<br />

1.2 Beschreibung der Gruppendynamik<br />

Im Folgenden wird der Begriff Gruppendynamik beschrieben. Für diese Beschreibung wird<br />

das Eisbergmodell hinzugezogen. Vorgänge in Gruppen können unterschiedlichen Ebenen<br />

zugeteilt werden. Dazu dient das Eisbergmodell, das Sigmund Freud zum Aufbau des Men-<br />

schen gebraucht hat (Schattenhofer, 2009). „Weil man bei einem Eisberg nur 1/8 der Eismas-<br />

se über der Wasseroberfläche sieht, können die Lage und das Verhalten des Berges nur dann<br />

verstanden werden, wenn man die 7/8 des Berges, die verborgen sind, mit in die eigenen<br />

Überlegungen einbezieht, diese gleichsam hochrechnet.“ (Schattenhofer, 2009, S. 24). Dieses<br />

Bild kann nun auf die Gruppe übertragen werden. Auch hier kann Verhalten einzelner Mit-<br />

glieder und das der Gruppe nur verstanden werden, wenn „die Wirksamkeit von Wünschen<br />

und Ängsten“ (Schattenhofer, 2009, S. 24) angenommen wird, die verborgen sind. Allerdings<br />

ist der Eisberg nur eine Metapher, der für die Beobachter von Gruppen hilfreich ist: „Es wird<br />

nicht behauptet, dass es wirklich verborgene Schichten gibt, das Eisbergmodell stellt vielmehr<br />

ein Beobachtungsschema zur Verfügung, das sich zum Verständnis von Gruppenprozessen als<br />

sinnvoll und hilfreich erwiesen hat.“ (König/Schattenhofer, 2010, S. 28).<br />

Das Gemeinsame bei den beiden oben aufgeführten Definitionen von Gruppen ist, das sich<br />

die einzelnen Mitglieder auf einander beziehen. Für die Erklärung des Begriffs Gruppendy-<br />

namik sind die Beziehungen unter den Gruppenmitgliedern entscheidend. Die Dynamik ent-<br />

steht aus diesen Beziehungen. Wenn Menschen in Gruppen zusammen kommen, lassen sich<br />

Verhaltensweisen beobachten, die scheinbar nicht immer sinnvoll in Hinblick auf die Errei-<br />

chung eines Gruppenzieles sind (Schattenhofer, 2009). Jemand macht ständig Witze, jemand<br />

anders verstummt völlig, wieder ein anderes Mitglied wird zu einem Vielredner und noch<br />

jemand zeigt sich aggressiv und angriffig.<br />

5


„Um solche Verhaltensweisen verstehen und einordnen zu können, wird auf dieser<br />

Ebene das (sichtbare!) [Hervorhebung d. Verf.] Geschehen in der Gruppe vor dem<br />

Hintergrund der Annahme gedeutet, dass durch die Beteiligung an der Gruppe bei allen<br />

Mitgliedern latente, unbewusste Wünsche und Ängste, intrapsychische Konflikte<br />

und die individuellen Muster der Beziehungsaufnahme aktualisiert werden.“ (Schattenhofer,<br />

2009, S. 27)<br />

Die Dynamik in einer Gruppe wird von Verhalten geprägt, das auf unbewusste Motive zu-<br />

rückgeht. König/Schattenhofer (2010) schreiben dabei von der psychodynamischen Ebene:<br />

„Der psychodynamischen Ebene kommt gruppendynamisch dann eine besondere Bedeutung<br />

zu, wenn das Verhalten der Gruppenmitglieder nicht zur aktuellen Situation der Gruppe zu<br />

passen scheint, also in gewisser Weise unverständlich ist und aus dem Rahmen fällt“ (S. 31).<br />

Die Gruppendynamik ist die Gesamtheit aller Prozesse, die in einer Gruppe ablaufen. Krainz<br />

(2008, S. 17) beschreibt das in Zusammenhang mit Teams wie folgt:<br />

„Das Ganze einer Gruppe konstituiert sich durch die Beziehung der Teilnehmer zueinander.<br />

Aus diesem Grund kann man die ‚Teamfähigkeit‘ einer Gruppe niemals prognostisch<br />

aus der Qualifikationsbeschreibung der einzelnen Gruppenmitglieder vorhersagen.<br />

Vielmehr sind in Gruppen hohe Interdependenzen beobachtbar, weshalb sich<br />

auch das Wort Dynamik rechtfertigt.“<br />

Jede Gruppe hat, unabhängig von ihrem Ziel oder ihrer Aufgabe, Konflikte, Spannungen und<br />

Themen zu regeln und zu bearbeiten, damit sie eine tragfähige innere Ordnung herstellen<br />

kann, um für ihre Mitglieder eine orientierende Funktion zu übernehmen (König/Schatten-<br />

hofer, 2010). Hier mündet nun die Beschreibung der Dynamik einer Gruppe in den gruppen-<br />

dynamischen Raum:<br />

„Um die Dynamik einer Gruppe zu beschreiben, unterscheiden wir drei Dimensionen<br />

des gruppendynamischen Prozesses und damit drei notwendige Aufgaben, auf die jede<br />

Gruppe eine Antwort finden muss: Zugehörigkeit, Macht und Intimität.“ (König/<br />

Schattenhofer, 2010, S. 34).<br />

1.3 Der gruppendynamische Raum<br />

In diesem Abschnitt wird der gruppendynamische Raum beschrieben. Seine Herkunft wird<br />

geklärt und dessen Dimensionen Zugehörigkeit, Macht und Intimität werden beschrieben.<br />

1.3.1 Herkunft und Bedeutung<br />

Das Konzept des gruppendynamischen Raumes geht auf William C. Schutz aus dem Jahr<br />

1958 zurück (Antons, Amann, Clausen, König & Schattenhofer, 2004). Schutz schreibt in<br />

einem später auf Deutsch erschienenen Buch (1973): „Nach meiner Theorie entfalten sich<br />

Freude und Leid vor allem in den von zwischenmenschlichen Bedürfnissen – Zugehörigkeit,<br />

6


Steuerung und Zuneigung – [Hervorhebung d. Verf.] bestimmten Bereichen“ (S. 97). Schutz<br />

schreibt nicht von Macht. Aber aus seiner Beschreibung von Steuerung geht es um Einfluss.<br />

Steuerung meint, welche Möglichkeiten Gruppenmitglieder haben, den Prozess der Gruppe zu<br />

steuern.<br />

Warum ist dieser gruppendynamische Raum überhaupt so wichtig? Damit eine Gruppe gut<br />

funktionieren kann, müssen in drei Bereichen Klärungen vorgenommen werden: Inhalt,<br />

Gruppe, Individuum (Geramanis, 2007). Dem Bereich Inhalt schreibt Geramanis Leitbild,<br />

Auftrag und Ziele zu. Die Elemente Normen, Rolle und Status sind der Gruppen-Ebene zuge-<br />

hörig. Schliesslich definiert er die Ebene des Individuums mit dem gruppendynamischen<br />

Raum, dessen Dimensionen Zugehörigkeit, Macht und Intimität sind. Nur wenn eine Gruppe<br />

auf allen drei Ebenen sich Klarheit verschafft hat, erreicht sie eine gute Arbeitsfähigkeit. Zum<br />

Bereich des gruppendynamischen Raumes betont er die Wichtigkeit der individuellen Ebene<br />

der Gruppenarbeit. „So sehr sich Gruppen auch mit Inhalt und Auftrag sowie mit der grup-<br />

peninternen Dynamik beschäftigen, so wenig werden sie wirksam sein, wenn nicht auf die<br />

individuelle Befindlichkeit der Mitglieder hinreichend Rücksicht genommen wird.“ (Gerama-<br />

nis, 2007, S. 24) Daher ist dieser gruppendynamische Raum genauso wichtig, wie die beiden<br />

anderen Elemente Inhalt und Gruppe.<br />

1.3.2 Dimension Zugehörigkeit<br />

In jeder Gruppe muss geklärt werden, wer dazu gehört und wer nicht. Darüber hinaus geht es<br />

auch um die Frage, wer im Zentrum der Gruppe ist und wer eher am Rand ist (König/<br />

Schattenhofer, 2010). Schutz (1973) schreibt zur Zugehörigkeit, dass sie sich auf die mensch-<br />

lichen Bindungen bezieht: „Ob man ausgeschlossen oder einbezogen ist, ob man jemandem<br />

angehört, ob man zusammengehört“ (S. 97).<br />

Die Gruppe muss eine Grenzziehung machen und sich von der Umwelt abgrenzen. „Eine<br />

Gruppe bildet sich in Abgrenzung zu anderen Gruppen und Individuen“ (König/<br />

Schattenhofer, 2010, S. 35). So wird die Zugehörigkeit geklärt. Im alltäglichen Kursgesche-<br />

hen bilden sich die Gruppen dadurch, in dem sich Individuen für einen Kurs oder Ausbil-<br />

dungsgang anmelden. Am Starttag sind diese Individuen dann da und finden sich in einer<br />

Gruppe wieder. Auf der Ebene über der Wasserlinie, um wieder auf das Eisberg-Modell zu-<br />

rückzugreifen, will diese Gruppe ein Arbeitsziel erreichen. Das Arbeitsziel kann z. B. das<br />

ausgeschriebene Kursziel sein. König/Schattenhofer (2010) weisen nun aber darauf hin, dass<br />

es „... um viel mehr als um das gemeinsame Erreichen eines (Arbeits-)Zieles“ (S. 36) geht.<br />

7


„Die emotionale Spannung, die wir gerade bei Gruppenanfängen spüren – auch wenn<br />

wir schon viele Erfahrungen mit Gruppen gemacht haben –, verweist uns auf die<br />

Chancen und Risiken, die jedem Anfang innewohnen, auf das Bedürfnis nach Zugehörigkeit<br />

und auf die Angst vor Ausschluss. In jeder Gruppe werden die damit verbundenen<br />

existenziellen Fragen angestossen: Gehöre ich dazu oder nicht? Schaffe ich es<br />

hineinzukommen? Werde ich mit meinen Besonderheiten akzeptiert? Kann ich dazugehören,<br />

ohne mich (völlig) anpassen zu müssen?“ (König/Schattenhofer, 2010,<br />

S. 36).<br />

An diese von König/Schattenhofer aufgeworfenen existenziellen Fragen können die folgen-<br />

den Ausführungen von Schutz (1973) angefügt werden. Er betont, damit man zugehörig wird,<br />

braucht es eine ausgeprägte Persönlichkeit und damit eine klare Identität. „Eine entscheidende<br />

Voraussetzung für Anerkennung und Aufmerksamkeit ist, dass sich der einzelne Mensch von<br />

andern Menschen unterscheidet“ (S. 97). Dass sich ein Mensch vom anderen unterscheiden<br />

kann, geschieht mittels Persönlichkeit und unverwechselbarer Identität. Die Auswirkung von<br />

Anerkennung und Aufmerksamkeit erhalten ist Zugehörigkeit. Dabei ist darauf zu achten,<br />

dass es nicht nur um Aufmerksamkeit erhalten geht, sondern gerade auch um Anerkennung.<br />

Denn Aufmerksamkeit kann auch mit Verhalten erlangt werden, das von anderen Gruppen-<br />

mitgliedern als störend empfunden wird. Da hat man zwar die Aufmerksamkeit, aber nicht die<br />

Anerkennung. Solches Verhalten beschreibt Schutz (1973) mit dem Beispiel des schwarzen<br />

Schafs, das in einer Klassengemeinschaft mit Radiergummis wirft und damit Aufmerksamkeit<br />

erlangen will. Es wird zwar mit seinem Verhalten abgelehnt, erhält aber Aufmerksamkeit.<br />

Die Dimension Zugehörigkeit wird auch mit drinnen/draussen beschrieben (König/<br />

Schattenhofer, 2010).<br />

1.3.3 Dimension Macht<br />

Eine weitere Dimension, die zum gruppendynamischen Raum gehört, ist die Macht. Macht ist<br />

ein Begriff der selten positiv besetzt ist, schnell wird er mit Machtmissbrauch assoziiert (Ge-<br />

ramanis, 2007). Schutz (1973) braucht den Begriff Steuerung und beschreibt ihn wie folgt:<br />

„Steuerungsverhalten bezieht sich auf den Prozess, im Bereich der zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen Entscheidungen zu treffen und Macht, Einfluss und Autorität auszuüben“(S.<br />

98.) Geramanis (2007) spricht auch von Einfluss oder Steuerung. Es muss in jeder Gruppe<br />

geklärt werden, wer wie viel Einfluss hat und wer wem folgt (Schattenhofer, 2009). Je grösser<br />

eine Gruppe wird, umso mehr Möglichkeiten gibt es, Beziehungen einzugehen. König (2007)<br />

zeigt auf, dass es bei einer Gruppe von 10 Mitgliedern bereits 5110 mögliche Beziehungs-<br />

konstellationen gibt. Das bedeutet eine sehr hohe Komplexität. Daher muss durch gezielte<br />

Beziehungswahlen eine Reduktion von Komplexität vorgenommen werden. Durch diese Be-<br />

8


ziehungswahlen ergeben sich Machtzentren (König, 2007). Denn es wird Gruppenmitglieder<br />

geben, die mehr für Beziehungen ausgewählt werden und solche, die nicht so viel ausgewählt<br />

werden. Damit wird deutlich, dass Macht relativ ist. „Macht existiert nicht ,an sich‘, sondern<br />

sie bedarf der Zustimmung der anderen.“ „Zur Ausübung der Macht gehört immer ein Gegen-<br />

über, das sich auch bemächtigen lässt“ (beide Zitate: Geramanis, 2007, S. 27). Damit eine<br />

Gruppe ihr Ziel erreichen kann, braucht es die Klärung der Machtfrage. „Die in Gruppen und<br />

Teams regelmässig zu beobachtende Rivalität und Konkurrenz um die ,richtigen‘ und ,besten‘<br />

Ideen, Vorschläge und Lösungen, die oberflächlich gesehen auf der Sachebene zu liegen<br />

scheinen, berühren genau diese Dimension“ (König/Schattenhofer, 2010, S. 37). Die Thema-<br />

tik Macht/Einfluss/Steuerung kann sehr unterschiedlich ausgeprägt vorhanden sind. Antons<br />

weist darauf hin in dem er schreibt: „Kann eine Gruppe bestehende Unterschiede mit Gelas-<br />

senheit und relativ ungespannt anschauen und eventuell elegant klären, dann ist diese Dimen-<br />

sion niedrig ausgeprägt“ (Antons et al., 2004, S. 309). Umgekehrt ist die Dimension hoch<br />

ausgeprägt, wenn sich eine Gruppe oft mit Einfluss, Steuerung und Macht auseinandersetzt.<br />

Auch zu dieser Dimension lassen sich Fragen aufwerfen, die das Individuum beschäftigen<br />

können:<br />

„Kann ich persönlich genug Einfluss ausüben, um die eigene Zukunft für mich günstig<br />

mitzubestimmen? Kann ich andere so steuern, dass sie mich innerhalb der Gruppe unterstützen?<br />

Kann ich genug Steuerung preisgeben, um mich auch von anderen unterstützen<br />

und belehren zu lassen?“ (Geramanis, 2007, S. 27).<br />

Die Dimension Macht wird auch mit oben/unten beschrieben (König/Schattenhofer, 2010).<br />

1.3.4 Dimension Intimität<br />

Die dritte Dimension schliesslich ist die Intimität. „Hier geht es um die Differenzierung der<br />

Beziehungen nach ihrem jeweiligen Grad an Nähe und Distanz“ (Schattenhofer, 2009, S. 26).<br />

In dieser Dimension müssen sich die Menschen entscheiden, wie nahe sie anderen Gruppen-<br />

mitgliedern kommen wollen oder wie fern sie ihnen bleiben wollen. Wenn die Zugehörigkeit<br />

geklärt ist und die Einfluss- und Machtfragen so geregelt wurden, dass sich alle Gruppenmit-<br />

glieder damit abfinden können, kommt es zu einer Ruhephase. „Jetzt sind die Gruppenmit-<br />

glieder bereit, ein Wir-Gefühl zu entwickeln und zuzulassen. Jetzt kann dem Bedürfnis nach<br />

Nähe und Übereinstimmung vorrangig Raum gegeben werden“ (Geramanis, 2007, S. 28).<br />

Schutz beschreibt diese Dimension mit dem Begriff Zuneigung und schreibt dazu: „Da Zu-<br />

neigung auf der Festigung emotionaler Bindungen beruht, ist sie – nach Zugehörigkeit und<br />

9


Steuerung – gewöhnlich die letzte Phase, zu der es bei der Entwicklung einer zwischen-<br />

menschlichen Beziehung kommt“ (1973, S. 143).<br />

Antons differenziert die Ausprägung: „Eine Gruppe hat eine niedrige Ausprägung auf dieser<br />

Achse, wenn die ,Angst vor Nähe‘ überwiegt, Beziehungen eher distant, kühl, sachbezogen<br />

und funktionalisierend gehandhabt und vorzugsweise über Sachthemen abgehandelt werden“<br />

(Antons et al., 2004, S. 309). Umgekehrt ist dieser Aspekt ausgeprägt, wenn die Gruppenmit-<br />

glieder in Beziehungsklärungen und Auseinandersetzungen einsteigen „... und im Zweifelsfall<br />

eher in die Umarmung als in die Distanz gehen“ (Antons et al., 2004, S. 309).<br />

Typische Fragen zu dieser Dimension können sein:<br />

„Werde ich in dieser Gruppe als vertrauenswürdiger Mensch akzeptiert sein? Wird<br />

man mich auch dann mögen, wenn ich mich einmal gegen die Gruppe wende? Was ist<br />

der Preis des Zusammenhalts in dieser Gruppe, wird Ausgrenzung nötig sein, damit<br />

Nähe zustande kommen kann?“ (Geramanis, 2007, S. 28).<br />

Die Dimension Intimität wird auch mit nah/fern beschrieben (König/Schattenhofer, 2010).<br />

2. Logotherapie, Existenzanalyse und die vier Grundmotivationen<br />

In diesem Teil der Arbeit wird zuerst beschrieben, was Logotherapie und Existenzanalyse<br />

sind. Danach werden die vier Grundmotivationen beschrieben.<br />

2.1 Existenzanalyse und Logotherapie<br />

Der Gründer der Logotherapie und Existenzanalyse ist Viktor Frankl 1 . Frankl selber hat fast<br />

ausschliesslich den Begriff Logotherapie 2 verwendet. “Die Logotherapie ist eine sinnorien-<br />

tierte Beratungs- und Behandlungsmethode“ (Längle, 2008, S. 75). Die Logotherapie beschäf-<br />

tigt sich mit der Frage, wie der Mensch zu Sinn kommen kann. Eine andere Definition lautet<br />

denn auch: „Logotherapie ist die Begleitung und Mithilfe in der Sinnsuche“ (Längle, 2005,<br />

S. 10). Frankl wollte mit dem Begriff Logotherapie betonen, wie wichtig eine Sinnfindung in<br />

der Psychotherapie ist. Denn „Logo“ bedeutet Sinn (Längle, 2005a). Frankl zeigt mit seinem<br />

Ansatz auf, dass der Mensch nicht allein durch die Befriedigung seiner Triebe zu einem er-<br />

füllten und sinnvollen Leben kommt, sondern dass er darüber hinaus eine Aufgabe hat, die<br />

über die eigene Existenz hinausgeht. „...dass der Mensch letzten Endes nur in dem Masse sich<br />

verwirklichen kann, in dem er einen Sinn erfüllt – draussen in der Welt, aber nicht in sich<br />

selbst“ (Frankl, 2005a, S. 17). Frankl spricht in diesem Zusammenhang von Selbst-<br />

1 Die Logotherapie/Existenzanalyse als Psychotherapierichtung gilt als die 3. Wiener Schule, neben Freud’s<br />

Psychoanalyse und Adler’s Individualpsychologie.<br />

2 Die Logotherapie hat Frankl ab 1926 entwickelt und den Begriff 1938 das erste Mal publiziert (Längle, 2008).<br />

10


Transzendenz: „Darunter verstehe ich den grundlegenden Tatbestand, dass Menschsein über<br />

sich hinaus auf etwas verweist, das nicht wieder es selbst ist, – auf etwas oder jemanden: auf<br />

einen Sinn, den zu erfüllen es gilt, oder auf mitmenschliches Sein, dem es begegnet“ (Frankl,<br />

2005a, S. 17). Frankl zeigt auf, dass der Mensch einen „Willen zum Sinn“ hat (Frankl, 2005a,<br />

S. 17). Das heisst, der Mensch will etwas Sinnvolles in seinem Leben tun, es ist ihm angebo-<br />

ren. Für diese Arbeit bedeutet das, dass in der Berufs- und Erwachsenenbildung ganz wesent-<br />

liche Beiträge geleistet werden können, damit Menschen das finden, was für sie Sinn macht.<br />

Siehe dazu den handlungsorientierten Teil am Schluss der Arbeit.<br />

Die Existenzanalyse 3 beschäftigt sich mit zwei Fragen (Längle, 2005): 1. Was ist ein gutes<br />

Leben? Woran ist ein gutes Leben erkennbar? Hier handelt es sich um eine theoretisch-<br />

inhaltliche Fragestellung. 2. Welche Mittel braucht der Mensch, um zu einem erfüllten und<br />

guten Leben zu kommen? Das ist die praktisch-methodische Fragestellung. „Existenzanalyse<br />

ist ein psychotherapeutisches Verfahren, das zum Ziele hat, den Menschen zu befähigen, mit<br />

innerer Zustimmung [Hervorhebung d. Verf.] zum eigenen Handeln und Dasein leben zu<br />

können“ (Längle, 2005, S. 12). Sie hat das Ziel,<br />

„...der Person zu einem (geistig und emotional) freien Erleben, zu authentischen Stellungnahmen<br />

und zu eigenverantwortlichem Umgang mit ihrem Leben und ihrer Welt<br />

zu verhelfen“ (Längle, 2005, S. 11).<br />

Die Existenzanalyse und Logotherapie haben nicht nur im Bereich der Therapie und Beratung<br />

Verbreitung gefunden, sondern auch in der Pädagogik und Coaching. Stellvertretend dafür sei<br />

Eva Maria Waibel, Professorin an der Pädagogischen Hochschule, Zentralschweiz, erwähnt 4 .<br />

Die Arbeit mit den existenzanalytischen Grundsätzen ist damit nicht auf einen therapeuti-<br />

schen Rahmen beschränkt, sondern kann in allen Bereichen des Alltags eine Rolle spielen.<br />

2.2 Die Grundmotivationen der Existenzanalyse<br />

In diesem Abschnitt wird zuerst die Herkunft und Bedeutung der Grundmotivationen erläu-<br />

tert. Danach werden die vier Grundmotivationen beschrieben.<br />

2.2.1 Herkunft und Bedeutung<br />

Der Begriff Grundmotivationen (GM) wurde 1993 von Alfried Längle eingeführt. Er bezeich-<br />

net damit die tiefste Motivationsstruktur „der Person in ihrem wesensmässigen Streben nach<br />

Existenz“ (Längle, 2007a, S. 25). Mit den GM erweitert Längle die Franklsche Motivations-<br />

3 Auch dieser Begriff wurde von Frankl in den 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt.<br />

4 Eva Maria Waibel hat zwei Bücher geschrieben, in denen sie Bezug auf die Existenzanalyse nimmt. Es<br />

handelt sich um „Erziehung zum Selbstwert“, (2002) und „Erziehung zum Sinn“, (2011).<br />

11


theorie des Willens zum Sinn. Sie sind eine Grundvoraussetzung, damit der Mensch zu einer<br />

erfüllten Existenz gelangen kann und auch seinen Willen zum Sinn leben kann.<br />

„Die GM greifen die Grundfragen auf, vor die der Mensch in seiner Existenz gestellt<br />

ist und die als Grundbedingungen ganzheitlichen Existierens [Hervorhebungen d.<br />

Verf.] erfahrbar werden (,existenzielles Erlebnis‘) und die Bewältigungsbereiche der<br />

Existenz abstecken“ (Längle, 2007a, S. 25).<br />

Die GM sind eine Bedingung, um die oben beschriebene erfüllte Existenz zu erlangen.<br />

2.2.2 1. Grundmotivation – Dasein-Können<br />

In der 1. GM geht es um das Dasein-Können in dieser Welt. Es handelt sich um die Motivati-<br />

on zum physischen Überleben und zur geistigen Daseinsbewältigung (Längle, 2008). Ein<br />

zentraler Begriff ist das Können: leben können. Hier sein können. In dieser Welt sein können.<br />

Oder im Zusammenhang mit dieser Arbeit: in einem Kurs sein können, in einer Gruppe sein<br />

können. Damit der Mensch sein kann muss er annehmen und aushalten. Der Mensch drückt<br />

seine Bereitschaft und Fähigkeit, da zu sein und nicht zu weichen, mit dem Aushalten aus.<br />

„Das bedeutet, die Kraft zu haben, dem Schweren, Ängstigenden, Problematischen usw. einen<br />

Widerstand entgegenstellen zu können; zu ,tragen‘ was (noch) nicht zu ändern ist, z. B. einen<br />

Schmerz, eine Unsicherheit“ (Längle, 2008, S. 35). Oben haben wir gesehen, dass eine An-<br />

fangssituation in einem Kurs schwierig sein und Unsicherheiten auslösen kann. Hier müssen<br />

Lernende aushalten können.<br />

Annehmen bedeutet eine explizitere Handlung gegenüber dem was ist. Wir sagen doch ab und<br />

zu: damit kann ich leben. Wenn der Mensch selber sein kann und sich nicht bedroht fühlt,<br />

dann kann er annehmen was ist (Längle, 2007b). Im Hinblick auf das Kursgeschehen ist wich-<br />

tig, dass Lernende sich nicht bedroht fühlen, damit sie das, was im Kurs geschieht oder ver-<br />

mittelt wird, annehmen können.<br />

Grundvoraussetzungen, damit der Mensch da sein kann sind die Faktoren Schutz, Raum und<br />

Halt (Längle, 2007b). „Psychischer Schutz kommt uns vor allem durch das Angenommensein<br />

zu. Sich vom Gesprächspartner angenommen zu fühlen, gibt Schutz“ (Längle, 2008, S. 37).<br />

Jeder Mensch braucht auch psychisch und physisch Raum. Es sind Orte, an denen er sich<br />

wohl fühlt, sich entfalten und wirken kann. Der Mensch braucht Distanz, um sich bewegen zu<br />

können und so ist es möglich, dass sich das Können entfalten kann. Durch Distanz nehmen<br />

schafft er sich auch Raum. Er braucht Raum, um frei atmen zu können (Längle, 2007b). Halt<br />

bekommt der Mensch einerseits durch viele Erfahrungen. Die Welt hält und bricht nicht aus-<br />

einander, wenn etwas schief läuft (Längle, 2007b). Anderseits kann Halt „... aus dem Weltbe-<br />

12


zug stammen, z. B. Ordnung, Struktur, Regelmässigkeiten, Gesetze; auch Traditionen, Rituale<br />

oder der Beruf, die Wohnung, der Sessel, auf dem man sitzt ...“ (Längle, 2008, S. 37). Damit<br />

bekommt das Programm, das zu Beginn eines Kurses bekannt gegeben wird, noch einmal<br />

tiefere Bedeutung: es gibt existenziellen Halt.<br />

2.2.3 2. Grundmotivation – Leben-Mögen<br />

In der zweiten GM geht es darum, das Leben als gut zu erfahren. Es genügt nicht, bloss ein-<br />

fach da zu sein. Das Leben zu geniessen und sich an ihm erfreuen zu können ist ein angebore-<br />

nes Verlangen (Längle, 2008). Ein zentraler Begriff ist das Mögen. Einerseits mag ich etwas<br />

tun, ich habe die innere Kraft dazu, anderseits mag ich das, was ich tue, im Sinne von gern<br />

tun. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit heisst das, das was ein Mensch in einem Kurs lernt,<br />

soll wirklich gemocht werden, soll Freude machen. Der Kursinhalt wird als gut erlebt. „Zu-<br />

wendung ist eine Entscheidung der Person, mit ihrem Leben für diese Zeit dabei zu sein, sich<br />

zu beteiligen und bereit zu sein, Wirkung in Empfang zu nehmen, sich berühren zulassen“<br />

(Längle, 2008, S. 41). Hinter der Zuwendung ist eine emotionale Kraft. Längle (2002, S.4)<br />

zeigt auf, dass diese emotionale Kraft durch drei Faktoren freigesetzt wird: 1. Durch äussere<br />

Reize „... die auf Bedürfnisse stossen und daher auf der Lust-Unlust-Ebene empfunden wer-<br />

den“. 2. Gibt es eine innere Kraft, als Lust erlebt, die einen zum Sein bringt oder einen Drang<br />

zur Aktivität entfaltet. Und 3. schliesslich braucht es eine gute Beziehung zu sich selber „... so<br />

dass man sich bei sich selbst wohlfühlt“.<br />

Grundvoraussetzungen damit der Mensch leben mag sind die Faktoren Beziehung, Zeit und<br />

Nähe (Längle, 2002). „Beziehung schafft eine Zugänglichkeit zu Menschen und Objekten“<br />

(Längle, 2008, S. 42). Durch die Zu-Wendung erleben wir ob es für mich ein Wert ist. In der<br />

Beziehung zu einem Menschen oder einer Sache kann ein Wert erlebt werden, der einem<br />

wichtig ist. Werte erleben wir emotional. Wir Menschen nehmen uns dann für etwas Zeit,<br />

wenn es uns wichtig ist. „Leben findet in der Zeit statt – so kommt das Lebensgefühl dort auf,<br />

wo man Zeit hat“ (Längle, 2008, S. 42). In dem wir bei jemandem oder bei etwas verweilen,<br />

gewinnen Gefühle in uns Raum, es kann eine emotionale Schwingung entstehen. Dies ge-<br />

schieht, wenn wir Zuwendung geben (Längle, 2008). Auch beim Faktor Nähe ist die Zuwen-<br />

dung eminent. Denn wenn wir Zuwendung geben, nehmen wir Nähe auf. „Nähe bewirkt ein<br />

Berührtwerden, wodurch Gefühle geweckt werden“ (Längle, 2008, S. 43). Diese können ent-<br />

weder angenehm oder unangenehm sein. Aus diesen Schilderungen wird ersichtlich, wie zent-<br />

ral wichtig die Zuwendung und Emotionen in der zweiten GM sind. Analog dazu können wir<br />

13


das auch für das Lernen übertragen. Wenn wir wollen, dass Lernende sich dem Lerninhalt<br />

zuwenden, brauchen sie positive emotionale Erfahrungen.<br />

2.2.4 3. Grundmotivation – Selbst-Sein-Dürfen<br />

In der 3. GM geht es darum, so sein zu dürfen wie man eben ist. Das Ich ist in den Mittel-<br />

punkt. Es geht um die Einzigartigkeit. „Jeder Mensch ist einzigartig, unverwechselbar, ver-<br />

schieden von den anderen“ (Längle, 2008, S. 46). Ein wichtiger Begriff in dieser GM ist das<br />

Dürfen. Das tun dürfen, was dem eigenen Ich entspricht, was aus der persönlichen Einmalig-<br />

keit herauskommt. In Bezug auf diese Arbeit kann das heissen, dass Kursleitende jeden Ler-<br />

nenden und jede Lernende in ihrer Einmaligkeit wahrnehmen und sie in ihrem persönlichen<br />

Lernen unterstützen. Denn es geht um die Frage, ob Menschen so sein dürfen wie sie sind.<br />

Tagtäglich werden wir Menschen mit unzähligen Dingen konfrontiert. Da ist es wichtig, zu<br />

einem Standpunkt zu kommen, der der eigenen Person entspricht: „Soll die Person in der<br />

Existenz ihren Platz finden, ist es wichtig, dass sie zu dem, womit sie konfrontiert ist, ihre<br />

Position [Hervorhebung d. Verf.] findet“ (Längle, 2008, S. 47). Damit der Mensch selbst sein<br />

darf, braucht es die Faktoren Beachtung, Gerechtigkeit und Wertschätzung. „Sich selbst ken-<br />

nen und behaupten können, beginnt mit der Beachtung durch andere, an die sich die Beach-<br />

tung durch sich selbst anschliesst“ (Längle, 2008, S. 47). Hier geht es also auch darum, zu<br />

sich selber schauen, sich selber achten – nebst der Beachtung durch andere Menschen. Für die<br />

eigene Entwicklung ist Aufmerksamkeit von anderen zu erhalten, notwendig (Längle, 2008).<br />

Wenn wir Menschen uns ungerecht behandelt fühlen, dann spüren wir Schmerz, vielleicht<br />

auch Ärger. Daher ist das Erfahren von Gerechtigkeit wichtig für das Selbst-Sein-Dürfen:<br />

„Um sich selbst finden zu können, bedarf es weiters einer gerechten Behandlung durch ande-<br />

re, die dann auch durch sich selbst fortgeführt wird“ (Längle, 2008, S. 49). Längle beschreibt,<br />

wie wichtig die Beachtung durch andere für das Selbstsein ist:<br />

„Zu sehen, dass man anderen etwas bedeutet, dass man ein Recht hat auf sein Dasein,<br />

auf seine Wünsche und Bedürfnisse, auf seinen Willen und sein Sosein, erweckt die<br />

Person zum ,Leben‘“ (Längle, 2008, S. 49).<br />

Als dritter Faktor schliesslich ist es die Wertschätzung, die für das Selbst-Sein-Dürfen von<br />

grosser Bedeutung ist. Wenn Menschen Wertschätzung erhalten, wird das Ich gestärkt. Das ist<br />

entscheidend wichtig für die Entwicklung von Selbstwert: „Selbstwert entsteht erst auf der<br />

Basis von Wertschätzung“ (Längle, 2008, S. 49). Diese drei soeben beschriebenen Faktoren<br />

können für das Lernen von Menschen eine sehr grosse Bedeutung haben. So kann ein Selbst-<br />

wert entwickelt werden, der auch zu einem guten Lernergebnis führt.<br />

14


2.2.5 4. Grundmotivation – Sinnvolles Wollen<br />

In der 4. GM schliesslich geht es um eine sinnvolle Lebensgestaltung. „Wenn man da sein<br />

kann, das Leben mag und sich selbst darin finden kann, dann fehlt zur Erfüllung der Existenz<br />

noch eines: das Erkennen dessen, worum es im Leben gehen soll“ (Längle, 2008, S. 52). Ein<br />

wichtiger Begriff für diese GM ist das Wollen. Etwas tun wollen, was der eigenen Person<br />

entspricht. Menschen sollen für sich ein Lernprojekt finden, das Sinn macht und im Lernen<br />

Schwerpunkte festsetzen können, die für sie relevant sind.<br />

Schlussendlich geht es hier um die Frage nach dem Sinn. Wofür mache ich das alles? Was ist<br />

meine Aufgabe? Welchen Sinn hat mein Dasein? Es geht hier um die entscheidende existen-<br />

zielle Frage, die Längle wie folgt herbeiführt:<br />

„Durch die Vergänglichkeit des Daseins und durch die Kontexte, in denen es sich abspielt,<br />

bleibt dem Menschen nicht ewig Zeit und findet sein Leben nicht in einem beliebigen<br />

Gefüge statt. Das fordert von ihm eine Stellungnahme, will er in seinem Leben<br />

aktiv partizipieren: Was ist heute zu tun, was fordert der Tag, die Situation? Für<br />

wen oder was will er sich einsetzen, die Zeit aufbringen? In welchen Zusammenhang<br />

will er sich mit seinem Handeln bringen? – Er steht vor der Sinnfrage der Existenz:<br />

,Ich bin da – wofür ist es gut?‘“ (Längle, 2008, S. 53).<br />

Diese Frage kann der Mensch nur für sich selber beantworten. Hier fliessen nun die Voraus-<br />

setzungen der drei vorherigen GM zusammen. Denn der Mensch muss sich in Anbetracht<br />

vieler möglicher Angebote, die das Leben bietet, in Übereinstimmung bringen mit seinem<br />

eigenen Können, Mögen und Dürfen. Das ist die Übereinstimmung nach innen. Es braucht<br />

auch eine Übereinstimmung nach aussen: ist das Vorhaben auch gut für andere, für die Zu-<br />

kunft, für die Welt – im weitesten Sinn (Längle, 2008).<br />

Längle (2008) beschreibt, was der Mensch braucht damit er sinnvoll handeln kann. Es sind<br />

die drei Faktoren Tätigkeitsfeld, Strukturzusammenhang und einen Wert in der Zukunft. Als<br />

Tätigkeitsfeld braucht der Mensch ein Gebiet für das er sich zuständig fühlt. „Als existenziell<br />

kann man ein Tätigkeitsfeld bezeichnen, wenn man sich dort einlässt, wo man sieht, dass man<br />

selbst etwas zum Besseren beitragen kann, zum Vorteil anderer wie auch zum eigenen Ge-<br />

winn“ (Längle, 2008, S. 54). Alles Tun geschieht in einem Rahmen, in einem Strukturzu-<br />

sammenhang. Strukturelle Zusammenhänge geben Orientierung und motivieren. „Sieht man<br />

die Wichtigkeit oder Notwendigkeit einer Tätigkeit in ihrer Kontexteingebundenheit, [Her-<br />

vorhebung d. Verf.] wird sie subjektiv zur Aufgabe“ (Längle, 2008, S. 55). Eine solche Ein-<br />

gebundenheit kann z. B. durch die Arbeit vorgegeben sein, oder man findet sich darin vor, in<br />

dem man etwas für einen geliebten Menschen tun will (Längle, 2008). Entscheidend für das<br />

Sinnempfinden wird nun, ob das was man im Rahmen eines Strukturzusammenhanges tut,<br />

15


auch wirklich einen Wert in der Zukunft darstellt: „Aber als sinnvoll wird die Aktivität erst<br />

dann empfunden, wenn einem der Strukturzusammenhang so viel wert ist, dass man dafür<br />

seine Kraft und Zeit einsetzen mag. Es soll durch den Einsatz etwas Wertvolles entstehen ...“<br />

(Längle, 2008, S. 55).<br />

3. Werte und Emotionen beim Lernen<br />

In diesem Abschnitt soll auf einen weiteren Aspekt der Existenzanalyse eingegangen werden,<br />

der für das Lernen, bzw. für gelingendes Lernen, wie es im Titel dieser Arbeit verkündet<br />

wird, von Bedeutung ist. Es geht um die Werte und Emotionen.<br />

Die Werte spielen in der Logotherapie und Existenzanalyse eine zentrale Rolle. Frankl (2007)<br />

beschreibt drei Wertkategorien: schöpferische Werte, Erlebniswerte und Einstellungswerte.<br />

Schöpferische Werte realisieren wir eventuell mit unserer Arbeit, einem Hobby, Mitarbeit in<br />

einem Verein u.a.m. Erlebniswerte sind Dinge, die wir ganz für uns tun, sie sind eine Sinn-<br />

verwirklichung durch Geniessen und Erleben (Natur, Kultur, zwischenmenschlichen Bezie-<br />

hungen). Die Einstellungswerte schliesslich werden dann wichtig, wenn wir mit einem unab-<br />

änderlichen schweren Schicksal konfrontiert sind, um Beispiel einer tödlichen Krankheitsdi-<br />

agnose. Da kann der Mensch noch mit seiner Haltung zu dieser Krankheit frei entscheiden,<br />

wie er sich zu ihr stellen will. Die Haltung ist der Raum der Freiheit. Frankl bringt die Bedeu-<br />

tung der Werte an anderer Stelle sehr markant auf den Punkt: „Den Sinn des Daseins erfüllen<br />

wir – unser Dasein erfüllen wir mit Sinn – allemal dadurch, dass wir Werte verwirklichen“<br />

(Frankl, 2005b, S. 202).<br />

Längle schreibt zu den Werten: „Logotherapie und Existenzanalyse gehen von der These aus,<br />

dass jede sinnvolle Lebensgestaltung unbedingt an das Auffinden und Umsetzen von Werten<br />

gebunden ist“ (2003, S. 49). Man beachte, dass Längle hier sehr explizit formuliert: „jede<br />

sinnvolle Lebensgestaltung“. So formuliert betrifft das jeden Aspekt des Lebens. Für die Er-<br />

wachsenen- und Berufsbildung ist dieser Aspekt genau so zentral wie für die Therapiearbeit.<br />

Bevor das nun begründet wird, wenden wir uns zuerst der Beschreibung des Begriffs Werte<br />

zu.<br />

Was ist unter Wert zu verstehen? Dabei geht es nicht um allgemeine moralische Vorstellun-<br />

gen in einer Gesellschaft oder Werte aus einem Leitbild einer Firma und auch nicht um Um-<br />

satzzahlen in der Buchhaltung. Es geht hier um eine Lebensqualität, die Längle mit „Wert-<br />

Berührung“ (Längle, 2003, S. 51) beschreibt. Der Mensch wird von etwas berührt, das er un-<br />

mittelbar als „gut“ erlebt (Längle, 2003). Er führt weiter aus: „... denn Werte zeichnen sich<br />

16


durch ihre besondere Eigenschaft aus, die Person innerlich zu berühren und ihre nachzuge-<br />

hen“ (2003, S. 51). Er bringt es mit dem Kürzestsatz „Wert ist, was nahe geht“ (2003, S. 51)<br />

auf den Punkt. Werte können nicht gedacht oder irgendwie ausstudiert werden, sondern sie<br />

müssen vor allem gefühlt werden (Längle, 2003). Da ist also ein Objekt ausserhalb von mir<br />

selber, zum Beispiel ein Bergpanorama im Lichte der aufgehenden Sonne, und ich fühle mich<br />

berührt – es beginnt etwas in mir zu schwingen. Dieses Erlebnis sagt mir, dass in mir ein Wert<br />

berührt worden ist, z. B. Erhabenheit der Berge, oder die Wärme des Lichts der aufgehenden<br />

Sonne, oder überraschende Lichteffekte, oder einfach das Unterwegssein in der Früh, alleine<br />

oder mit jemandem zusammen.<br />

Längle stellt nun einen Zusammenhang zwischen Werten und Gefühlen her.<br />

„Werte sind Wirkungen von Gegenständen und geistigen Gehalten, die den Menschen<br />

gefühlsmässig bewegen und Emotionen auslösen. Jedem wahrgenommenen Wert entspricht<br />

ein Gefühl“ (Längle, 2003, S. 51).<br />

Werte haben eine sehr wichtige Funktion im Leben, denn sie richten uns auf etwas aus. Läng-<br />

le umschreibt das mit dem Begriff „Wert – Brennglas der Lebenskraft“ (2003, S. 51). Damit<br />

soll zum Ausdruck gebracht werden, dass Werte uns auf etwas fokussieren lassen, dass wir<br />

Menschen zielgerichtet zu handeln beginnen. Werte können nicht von uns gezeugt werden,<br />

sondern sie zeugen sich in uns (Längle, 2003).<br />

„Werte – und das ist ihre tiefe Bedeutung für den Menschen – bewirken im Menschen<br />

eine Veränderung [Hervorhebung d. Verf.]: ein Stück Welt ist in sein Leben getreten,<br />

ist Wirklichkeit seiner Welt geworden. Werte sind der geistige Nährstoff der Person,<br />

sind das Bewegende im Leben, sind das, was das Herz zu wärmen vermag“ (Längle,<br />

2003, S. 52).<br />

In Bezug auf das Lernen in der Erwachsenen- und Berufsbildung heisst das, wenn es gelingt,<br />

dass sie den Stoff wertvoll erleben, sie 1. mit grösserer Motivation lernen und 2. Etwas für sie<br />

wirklich Bedeutsames lernen.<br />

Wir haben oben gesehen, dass Werte immer mit einer Emotion verbunden sind. Emotionen<br />

sind bei Prozessen der Informationsverarbeitung und damit beim Lernen von zentraler Bedeu-<br />

tung. „Beim Prozess der Informationsverarbeitung handelt es sich eigentlich immer um ein<br />

Zusammenwirken kognitiver und emotionaler Prozesse“ (Edelmann, 2000, S. 242). Vor dem<br />

Hintergrund der existenzanalytischen Wertetheorie kann in Lernprozessen mit Erwachsenen<br />

der Werteaspekt fokussiert eingebracht werden. Da soll versucht werden, mit den Lernenden<br />

herauszufinden, was für sie am Lernstoff wirklich bedeutsam ist. Leuchtturmfunktion in die-<br />

sem Suchprozess haben dabei die Emotionen. Wenn eine Emotion vorhanden ist, die vom<br />

17


Lernenden als „gut“ empfunden wird, lässt sich auf einen Wert schliessen, der im gegenwär-<br />

tigen Lernprozess eine Bedeutung hat.<br />

„Die Gefühle einer Person wirken bei der Informationsverarbeitung als selektiver Filter.<br />

Der Filter ist durchlässig für Material, das mit der Stimmung des Wahrnehmenden<br />

übereinstimmt, nicht aber für inkongruentes Material. Wichtige Faktoren für die Gedächtnisleistung<br />

sind ein intensives Gefühl bei der Informationsaufnahme und ein hoher<br />

Grad an Bedeutsamkeit des Lernmaterials“ (Edelmann, 2000, S. 242).<br />

Wenn die Lernenden etwas lernen können, das ihren Werten entspricht, wird auch ihre Stim-<br />

mung positiv sein. Das Lernmaterial muss dann entweder den Werten der Lernenden entspre-<br />

chend zur Verfügung gestellt werden, oder den Lernenden muss Gelegenheit gegeben werden,<br />

im Lernmaterial für sie Bedeutsames zu entdecken. Das hat dann mit methodischen Settings<br />

zu tun, die im handlungsorientierten Teil beschrieben werden.<br />

4. Intervention<br />

In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, was eine Intervention ist.<br />

Vieles was eine Lehrperson macht ist eine Intervention. Sei es einen Vortrag halten, eine Ler-<br />

nende auf das Zu-spät-kommen ansprechen oder einen Konflikt in der gesamten Lerngruppe<br />

ansprechen – das sind Intervention. Der Begriff Intervention lässt sich auf das lateinische „in-<br />

ter veniere, dazwischen treten“, zurückführen. Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass die<br />

Leitung mit Absicht etwas tut. Antons/Voigt definieren Intervention wie folgt (1987, S. 30):<br />

„Eine Gruppenleiterintervention ist ein theorie- und interaktionsbezogenes, absichtsvolles<br />

Verhalten, das darauf gerichtet ist, Veränderungen im Prozess einer Gruppe<br />

oder ihrer Mitglieder zu bewirken.“<br />

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei allem was Ausbildende tun, es immer auch Aus-<br />

wirkungen hat, die nicht absehbar sind. „Jede Intervention hat neben den beabsichtigten im-<br />

mer auch ungewollte Folgen.“ (König/Schattenhofer, 2010, S. 19) Im Weiteren gilt es zu be-<br />

rücksichtigen, dass in einer Lerngruppe auch die Lernenden selber Leitungs- und Führungs-<br />

funktionen übernehmen und damit intervenieren (Antons/Voigt, 1987). Dies geschieht, in<br />

dem sie selber Vorschläge für die Weiterarbeit einbringen, sich den Anordnungen der Leitung<br />

widersetzen oder ihnen folgen, inhaltliche Beiträge anbringen etc.<br />

In dieser Arbeit bedeutet theoriegeleitet, dass Leitende mit Kenntnis der Grundmotivationen<br />

und des gruppendynamischen Raumes Interventionen vornehmen. Absichtsvoll bedeutet hier<br />

die Integration der Grundmotivationen in den gruppendynamischen Raum. Veränderungen zu<br />

bewirken heisst hier, mit den Interventionen soll für die Lernenden ermöglicht werden, ein<br />

18


Verhalten zu verändern. „So ist dabei auch gemeint, dass der Gruppenleiter lediglich eine<br />

Veränderung ermöglicht, [Hervorhebung d. Verf.] die die Gruppe dann selbst vornimmt“ (An-<br />

tons/Voigt, 1987, S. 31). Dabei geht es nicht nur um die Gruppe, wie Antons und Voigt<br />

schreiben, sondern auch um die einzelne Person. Es muss nicht immer die ganze Gruppe eine<br />

Intervention der Leitung aufnehmen, das kann sich auch auf einzelne Personen beschränken.<br />

An dieser Stelle soll folgendes betont werden: 1. Die Wirkung einer Intervention kann nicht<br />

vorherbestimmt werden, und 2. Die Lernenden entscheiden über ihr Verhalten. Damit ist die<br />

Wirkung der Lehrpersonen sehr relativ. Sich das vor Augen zu führen ist wichtig für das<br />

handlungsorientierte Kapitel. Es wäre naiv anzunehmen, dass Lehrende Lernende wirklich<br />

steuern können. Lernenden entscheiden sich schlussendlich selber für oder gegen etwas.<br />

5. Integration der Grundmotivationen in den gruppendynamischen<br />

Raum<br />

5.1 Wirkungen<br />

In diesem Teil der Arbeit wird nun aufgezeigt, was Ausbildende machen können, um Aspekte<br />

aus den vier Grundmotivationen zu integrieren und welche Wirkungen damit erzielt werden<br />

können. Die beschriebenen Tätigkeiten gründen auf dem Fundus der Erfahrungen des Autors<br />

dieser Arbeit. Die Aufzählung ist nicht abschliessend, sondern beispielhaft und soll die Le-<br />

senden anregen, sich weiterführende Gedanken zu machen, neue Ideen zu kreieren.<br />

Hypothesenartig soll aufgezeigt werden, welche Wirkungen erzielt werden können:<br />

• Wenn Ausbildende den Fokus darauf legen, Elemente der vier GM bewusst umzuset-<br />

zen, wird ein Beitrag zur Klärung des gruppendynamischen Raumes geleistet, wie es in<br />

Kapitel 1.2 beschrieben wurde und die jede Gruppe leisten muss. Damit wird die Klä-<br />

rung aller drei Dimensionen des gruppendynamischen Raumes gefördert.<br />

• Wenn es gelingt, die Lernenden im Sinne der GM zu aktivieren, kann die individuelle<br />

Befindlichkeit hinreichend berücksichtig werden, wie es in Kapitel 1.3.1 aufgezeigt<br />

wurde.<br />

• Gleichzeitig ist es auch möglich, dass die Lernenden zu einer inneren Zustimmung, zu<br />

einem freien Erleben, zu authentischen Stellungnahmen und zu eigenverantwortlichem<br />

Handeln kommen können, wie es in Kapitel 2.1 beschrieben worden ist.<br />

• Zugleich kann auch der Wille zum Sinn (Kapitel 2.1) von den Lernenden gelebt werden.<br />

19


• Und schlussendlich ist es möglich, dass die Lernenden im Rahmen eines Lernprojektes<br />

einen Teil ihrer Existenz als erfüllend und gelingend erleben können (Kapitel 2.2.1).<br />

Damit wird der Kreis zum Titel dieser Arbeit geschlossen.<br />

Die nun folgende tabellarische Aufstellung ist wie folgt gegliedert: In der ersten Kolonne ist<br />

die Dimension des gruppendynamischen Raumes. In der zweiten Kolonne erfolgt die Tätig-<br />

keit der Ausbildenden. In der nächsten Kolonne folgen die Aspekte der Grundmotivationen.<br />

In der vierten Kolonne schliesslich geht es um die mögliche Wirkung, die auf Grund der Tä-<br />

tigkeiten der zweiten Kolonne erzielt werden können. Es wird der Begriff Teilnehmende bzw.<br />

abgekürzt Tn verwendet.<br />

20


5.2 Handlungsmöglichkeiten für Ausbildende für die Integration der Grundmotivationen<br />

Dimension des gruppendynamischen<br />

Raumes<br />

Zugehörigkeit<br />

drinnen - draussen<br />

Macht<br />

oben - unten<br />

Tätigkeit der Ausbildenden Aspekte der Grundmotivationen Mögliche Wirkung<br />

Tn mit Handschlag begrüssen.<br />

Programm und Lernziele bekannt geben.<br />

Bei Konflikten intervenieren, moderieren; Aussenseiterprobleme<br />

thematisieren.<br />

Haltung der Offenheit und Toleranz gegenüber<br />

individuellen Merkmalen; das Anderssein der Tn<br />

respektieren.<br />

Die Tn sich vorstellen lassen.<br />

Die Tn dabei in Paaren oder Kleingruppen ins<br />

Gespräch kommen lassen, die Interaktion gleich<br />

zu Beginn stark fördern. Die Tn profilieren lassen.<br />

Sich als Persönlichkeit zeigen können. Auch<br />

eine Plenumsrunde machen.<br />

Die Tn eigene Entwicklungsziele formulieren<br />

lassen. Verbindung zu den gegebenen Zielen der<br />

Bildungsveranstaltung herstellen.<br />

Konflikte austragen lassen und nicht unterdrücken<br />

oder darüber hinweggehen.<br />

Gruppenarbeiten (GA) initiieren, selbstständigkeitsfördernde<br />

und kooperative Lernformen<br />

einsetzen. Evtl. Aufgaben an Gruppenmitglieder<br />

erteilen (Präsentation im Plenum, Protokoll<br />

führen etc.) Die GA so gestalten, dass die Tn<br />

Transferüberlegungen machen können.<br />

Darauf achten wie viel Raum der Einzelne<br />

braucht. Auf Ausgleich achten.<br />

1. GM, ganz basales Dasein-Können und aushalten,<br />

annehmen<br />

4. GM Sinnhorizont<br />

1. GM: Schutz, Raum, Halt<br />

2. GM, dabei sein mögen<br />

3. GM: Selbst-Sein-Dürfen und Wertschätzung<br />

1. GM, Schutz<br />

3. GM, Wertschätzung<br />

1. GM, Raum und Halt<br />

1. GM, Schutz und Halt<br />

3. GM, Position in der Gruppe finden; sich<br />

zeigen dürfen<br />

3. GM, sich selber sein, Position gegenüber<br />

Lernthema<br />

4. GM, Sinnvolles Wollen, Kontexteingebundenheit<br />

und Wert für die Zukunft schaffen.<br />

2. GM, Beziehung, Nähe, Werte klären<br />

3. GM, die eigene Position finden; Anerkennung<br />

für das Eigene<br />

2. GM, Zeit und Nähe<br />

3. GM, das Eigene finden und einbringen in die<br />

Gruppe; Gerechtigkeit<br />

4. GM, Tätigkeitsfeld, Strukturzusammenhang,<br />

Wert für die Zukunft<br />

21<br />

Sich willkommen fühlen, Hiersein dürfen.<br />

Gibt Halt, den Tn Gelegenheit geben anzunehmen,<br />

was auf sie zukommt.<br />

Schutz erhalten, wenn man in einer Aussenseiterrolle<br />

ist. Mobbing verhindern. Wegnahme<br />

von Bedrohungsgefühlen. Es wird ersichtlich,<br />

dass man auch anders sein darf, als der grössere<br />

Teil der Gruppe es ist.<br />

Das Annehmen der Tn so wie sie sind, gibt ihnen<br />

Schutz. Wenn sie sich geschätzt fühlen, können<br />

sie sich auf das Lernen besser einlassen.<br />

Platz finden in der Gruppe. Den eigenen Platz in<br />

der Gruppe haben gibt Halt.<br />

Zugehörigkeit wird entwickelt, die anderen<br />

kennen lernen gibt Schutz und Halt. Ihre Unverwechselbarkeit<br />

wird sichtbar. Wenn sich die Tn<br />

im Plenum selber gehört haben, fühlen sie sich<br />

sicherer.<br />

Die Tn alleine wissen, wie sie den Lernstoff<br />

optimal in ihren Kontext einbinden können. Mit<br />

der Integration von eigenen Lernzielen wird auch<br />

die Zugehörigkeit gestärkt.<br />

In den Konflikt gehen bedeutet in die Beziehung<br />

gehen und Nähe herstellen. Gleichzeitig wird<br />

auch die eigene Position geklärt. Klären, worum<br />

es geht<br />

In den GA klären sich Positionen und Rollen, die<br />

Arbeit da kann verbindlicher werden. GA können<br />

viel zu einem persönlichen sinnvollen Lernen<br />

beitragen, wenn die Tn ihre Themen einbringen<br />

können. Sich mit eigenen Themen einbringen<br />

können, trägt auch zu einem Status in der Gruppe<br />

bei, von dem dann wiederum Einfluss (Macht)<br />

ausgeht.


Macht<br />

Dimension des gruppendynamischen<br />

Raumes<br />

Intimität<br />

nahe - fern<br />

Tätigkeit der Ausbildenden Aspekte der Grundmotivationen Mögliche Wirkung<br />

Zu Beginn des Kurses Regeln des Verhaltens, der<br />

Kommunikation, Zusammenarbeit mit Tn zusammen<br />

aushandeln (Contracting). Kursleitung<br />

nicht stur auf eigene Vorstellungen beharren,<br />

sondern verhandeln.<br />

Verletzungen der Regeln ansprechen.<br />

Aussenseiterprobleme ansprechen, in Rücksprache<br />

mit den Betroffenen. Die Werte, die<br />

Aussenseiter verkörpern implizit oder explizit<br />

integrieren.<br />

Nachvollziehbare, transparente Beurteilungskriterien<br />

bei Prüfungen erstellen. Noten/Bewertungen<br />

erklären.<br />

Tn sich vorstellen lassen.<br />

Gruppeneinteilungen auch nach Sympathien<br />

zulassen<br />

Wenn die Gruppe sehr gut zusammenarbeitet,<br />

längere Gruppenarbeiten ermöglichen. Zeit für<br />

Pausen, Pflege von informellen Kontakten ermöglichen.<br />

Transfergruppen, Lerngruppen, Lernpartnerschaften<br />

bilden und entsprechende, verbindliche<br />

Aufträge erteilen.<br />

Gruppen-/Klassengespräche führen, z.B. über<br />

Inhalte, Umgang mit den Inhalten, Relevanz für<br />

das eigene Leben, Erleben des Unterrichts usw.<br />

1. GM, Halt, annehmen<br />

2. GM, mögen, Beziehung<br />

3. GM, sich selber sein, Position finden; Gerechtigkeit<br />

4. GM, worum es uns geht<br />

1. GM, Schutz<br />

3. GM, Einzigartigkeit des Einzelnen<br />

1. GM, Schutz, Halt<br />

3. GM, Gerechtigkeit<br />

2. GM, Beziehung, Nähe<br />

3. GM, Eigenes zeigen dürfen<br />

2. GM, Beziehung, Nähe<br />

3. GM, Position gegenüber anderen<br />

2. GM, Beziehung, Nähe<br />

4. GM, Strukturzusammenhang, Wert für die<br />

Zukunft<br />

2. GM, Beziehung, Nähe<br />

2. GM, Beziehung, Nähe<br />

3. GM, Selbstsein, Position in der Gruppe<br />

4. Wert für die Gegenwart und Zukunft<br />

22<br />

Gemeinsam ausgehandelte Regeln geben Halt.<br />

Man mag dann auch lieber dabei sein. Das Verhandeln<br />

stärkt die Beziehung zur Leitung. Tn<br />

können durch das Sich-Einbringen sich selber<br />

sein und ihre Position wird klarer.<br />

Verhindern, dass jemand aus der Gruppe ausgeschlossen<br />

wird. Gruppe macht dann eine Entwicklung,<br />

wenn Randthemen integriert werden.<br />

Tn wissen woran sie sind. Können sich daran<br />

halten. Sie fühlen sich ernst genommen in möglichen<br />

Prüfungsängsten.<br />

Zu Beginn des Kurses werden damit erste Annäherungen<br />

möglich.<br />

Mit den Personen zusammen sein können, die<br />

man mag. Ermöglicht ev. mehr Offenheit und<br />

Vertrauen<br />

Dadurch erleben die Tn Nähe, was das Mögen<br />

stärkt.<br />

Lerngefässe ausserhalb der normalen Kurszeiten<br />

ermöglichen intensives, transferorientiertes<br />

Lernen. Damit kann die Sinnhaftigkeit stark<br />

gefördert werden. Der Wille zum Sinn kann<br />

gelebt werden. Zusätzlich sind intensivere Beziehungen<br />

möglich.<br />

Regelmässiges Gespräch darüber, wie es in der<br />

Lerngruppe läuft. Befindlichkeiten, Unstimmigkeiten<br />

und das was gut läuft wird geklärt.<br />

Gibt Klärung, Klarheit. Betrifft auch Zugehörigkeit<br />

und Macht in grossem Mass.


6. Förderung der Wertberührung im Unterricht<br />

In diesem Abschnitt werden mögliche Vorgehensweisen beschrieben, die den Lernenden er-<br />

möglichen sollen, mit ihren persönlichen Werten im Zusammenhang mit dem Lernstoff in<br />

Berührung zu kommen.<br />

Viele der in der obigen Tabelle gemachten Ausführungen können auch zu Wertberührungen<br />

führen. Wenn die Kursleitung hilft, Konflikte auszutragen und die Lernenden dazu gebracht<br />

werden Stellung zu beziehen, dann kann das auch ganz viel mit persönlichen Werten zu tun<br />

haben. Überall dort, wo es darum geht, persönlich Stellung zu beziehen, geht es im Idealfall<br />

um die eigenen Werte. Denn eine Stellungnahme, z. B. in einem Plenumsgespräch, findet auf<br />

Grund von persönlichen Werten statt. Oder wenn die Lehrperson offene Lernformen in den<br />

Unterricht einplant, sind die Lernenden immer wieder mit Fragen konfrontiert, was für sie<br />

jetzt wichtig ist, was sie wirklich lernen wollen. Auch da sind sie herausgefordert, Stellung zu<br />

beziehen und sich zu entscheiden. Auch dies geschieht idealerweise auf Grund von persönli-<br />

chen Werten.<br />

Prinzip der Teilnehmendenorientierung<br />

Dieses didaktische Prinzip besagt, dass Lehrende ihre Lerngruppe analysieren auf verschiede-<br />

ne Punkte hin. Folgende Leitfragen können bei der Teilnehmendenanalyse hilfreich sein: Aus<br />

welcher Lernkultur kommen sie? Welches Vorwissen bringen sie mit? Welche Erfahrungen<br />

zum Thema bringen sie mit? Welche Erwartungen haben sie? Welche Einstellungen und Hal-<br />

tungen haben sie zum Thema? In der Regel kann man die genauen Antworten nicht wissen.<br />

Aber mit der Zeit ergeben sich Erfahrungen mit dem Zielpublikum und dann kann die Lehr-<br />

person auch Vermutungen anstellen. Das Ziel der Teilnehmendenorientierung ist die Passung<br />

herzustellen. Also den Punkt zu finden, an dem die Lerngruppe steht und sie mit dem Lernin-<br />

halt dort abzuholen. Das bedeutet, sich auf die Lernenden einstellen. Wenn sich die Lehrper-<br />

son mit diesem Prinzip auf die Lernenden einstellt, ist die Chance grösser, dass die Lernenden<br />

mehr für sich wichtige Themen erleben. Damit ist auch eher eine Wertberührung möglich.<br />

Wenn die Lernenden ihre Werte in ihr Lernen einbringen können, wirkt sich das günstig auf<br />

das individuelle Lernen aus und auf das Lernklima in der Gruppe.<br />

Führen eines Lernportfolios<br />

Hinter der Idee des Lernportfolios steht u. a. die Förderung von Kompetenzen. Da geht es also<br />

nicht mehr einfach darum, ganz bestimmte Lernziele zu erreichen, sondern Kompetenzen zu<br />

entwickeln, die für das eigene Arbeitsfeld von Bedeutung sind. Das Lernportfolio ist ein ge-<br />

23


eignetes Instrument, um das Lernen selber zu steuern und zu dokumentieren. Denn das Lern-<br />

portfolio nimmt nicht nur Endergebnisse eines Lernprozesses auf, sondern Lernende können<br />

damit auch einen Lernprozess dokumentieren, ihre Fortschritte und Schwierigkeiten, ihre Er-<br />

folge und Fehler. Von der Form her kann das Portfolio sehr unterschiedlich geführt werden.<br />

Es kann ein ausschliessliches Electornic-Portfolio (E-Portfolio) sein, das von Lernenden aus-<br />

schliesslich mit Daten im Computer geführt wird. Oder es kann ein Buch sein. Oder eine<br />

Mappe, in der ganz verschiedene Dokumente zusammengetragen sind. Zum Beispiel Kursun-<br />

terlagen, Prüfungen und Proben, die eigenen Notizen zum Unterricht, eigene Buchzusammen-<br />

fassungen, Fotoprotokolle aus dem Unterricht usw. Was genau in einem Lernportfolio zu-<br />

sammen getragen wird, hängt auch davon ab, was für den Lernenden wichtig ist. Bei einem<br />

Portfolio werden nicht nur die Lernergebnisse zusammengetragen, sondern es enthält auch<br />

Reflexionsdokumente, mit denen über das eigene Lernen nachgedacht wird und Erkenntnisse<br />

festgehalten werden. Aber auch Lehrende können steuern, was Lernende in ein Lernportfolio<br />

aufnehmen können. Zum Beispiel kann die Lehrperson mehr oder weniger regelmässig Refle-<br />

xionsinstrumente abgeben. Diese nun können Fragestellungen oder Aufgaben beinhalten, die<br />

die Lernenden zu dem führen können, was für sie besonders wichtig ist und welche emotiona-<br />

len Erlebnisse sie im Lernprozess gemacht haben. Das Portfolio kann das festhalten, was<br />

mich persönlich anspricht, berührt und eine besondere Verbundenheit zum Stoff zum Aus-<br />

druck bringt. 5<br />

Formulierung von eigenen Entwicklungszielen<br />

In jedem Lerngeschehen sollen sich die Lernenden nicht nur die offiziell gesetzten Lernziele<br />

aneignen, sondern sollen auch zusätzlich eigene Entwicklungsziele formulieren. Dabei ist<br />

darauf zu achten, dass die Lehrenden eine grosse Ergebnistoleranz haben und das akzeptieren,<br />

was die Lernenden formulieren.<br />

Diese persönlichen Lernziele können mit den Lernenden besprochen werden. Damit die Ver-<br />

bindung mit den Emotionen wirklich hergestellt werden kann, kann im Gespräch auch gefragt<br />

werden: „Wie werden Sie sich fühlen, wenn Sie diese Ziele erreicht haben?“<br />

Durchführung von offenen und selbstständigkeitsfördernden Lernformen<br />

Man spricht hier auch von erweiterten Lernformen, ELF. Damit sind Lernformen gemeint, in<br />

denen die Lernenden über weite Strecken eigenverantwortlich arbeiten. Die Rolle der Lehr-<br />

5 Siehe dazu: Furrer, H., Kompetenzmanagement für Fachleute der Erwachsenenbildung. Aus der Praxis – für<br />

die Praxis Nr. 12, Schriftenreihe der Akademie für Erwachsenenbildung, Luzern (ohne Jahrgangsangabe).<br />

24


person ändert sich in solchen didaktischen Settings. Sie vermitteln nicht mehr Wissen, son-<br />

dern sie begleiten und unterstützen Lernende in einem Prozess. Durch diese offenen Lernfor-<br />

men sind die Lernenden viel mehr gefordert, müssen sich überlegen, wie sie vorgehen wollen,<br />

ihre Lernergebnisse selber überprüfen, gezielt Unterstützung suchen, eigene Prioritäten set-<br />

zen. Damit müssen sie sich viel mehr besinnen, was für sie jetzt relevant ist. Aus Erfahrungen<br />

ist zu beobachten, dass so die eigene Praxis viel mehr einfliesst und transferorientierter ge-<br />

lernt wird. Die Hypothese dazu lautet, dass in diesen Lernformen Lernende das lernen, was<br />

für sie im Moment wichtig und relevant ist. So stützen sie sich auch auf die entsprechenden<br />

Werte ab.<br />

Die Methoden heissen Fallstudie, Werkstatt, Projekt, Wochenplan, Open Space, Leitpro-<br />

gramm, Leittext, Zukunftswerkstatt, Qualitätszirkel, Puzzle-Gruppen u. a. m. 6<br />

Befindlichkeitsrunden<br />

Die Lehrperson führt regelmässig Gespräche zur Befindlichkeit der Lernenden.<br />

Befindlichkeit bei Auswertungen / Evaluationen<br />

Wenn es z. B. um Tagesauswertungen geht, nicht nur das kognitiv Gelernte oder das Organi-<br />

satorische des Kurses abrufen, sondern auch wie man sich jetzt fühlt, oder was man über sich<br />

selber gelernt hat.<br />

Methodenvielfalt im Unterricht<br />

Dabei geht es um Methoden, in denen die Lernenden in einen Austausch mit anderen Lernen-<br />

den kommen. Die Lehrperson wirft Fragen und Aspekte zum Lerninhalt auf, zu denen die<br />

Lernenden diskutieren. Im Gegensatz zu den oben erwähnten erweiterten Lernformen sind das<br />

Methoden, die von sehr kurzer bis mittlerer Dauer sind. Dazu eigenen sich Methoden wie 4-<br />

Ecken-Methode, Fishpool, Kugellager, Methode 66, Bienenkorb, Atom-Molekül-Methode,<br />

Metaper-Meditation, Fantasiereise, Kartenabfrage, Brainstorming u. v. a. m. Die Erfahrung<br />

mit diesen Methoden zeigt, dass sie sich im Unterricht ungemein belebend auswirken. Dazu<br />

sei die Hypthese gewagt, dass in diesem Austausch die Lernenden auf ihre impliziten und<br />

6 Literatur zu den Methoden: Dürrschmidt et al., Methodensammlung für Trainnerinnen und Trainer; Petersen,<br />

Open Space in Aktion; Landwehr, Neue Wege der Wissensvermittlung; Besser, Transfer: Damit Seminare Früchte<br />

tragen; Klein, Kreative Seminarmethoden; Weidenmann, Handbuch Active Training; Knoll, Kurs- und Seminarmethoden;<br />

Albers/Broux, Zukunftswerkstatt und Szenariotechnik; Rabenstein, Lernen kann auch Spass machen;<br />

Pallasch/Reimers, Pädagogischer Werkstattarbeit; Landolt, Erfolgreiches Lernen und Lehren; Wahl, Lernumgebungen<br />

erfolgreich gestalten. Diese Hinweise gelten auch für den Abschnitt „Methodenvielfalt im Unterricht“.<br />

25


expliziten Werte zurückgreifen und daher für sie relevanten Themen zur Sprache kommen.<br />

Diese Methoden und die damit verbundenen Gespräche wirken so emotional belebend.<br />

Einsatz unterschiedlicher Sozialformen<br />

Die Sozialformen sind Einzelarbeit, Paararbeit, Gruppenarbeit, ½-Plenen, Plenum. Der Ein-<br />

satz dieser Sozialformen allein garantiert aber noch keine Wertberührung. Damit müssen ent-<br />

sprechende Aufträge verbunden sein. Diese Aufträge müssen einerseits so formuliert sein,<br />

damit die Themen eine Relevanz für die Lernenden haben, und anderseits eine gewisse Of-<br />

fenheit gewährleisten, damit die Lernenden durch das Thema mäandern können, um das zu<br />

finden, was ihren Werten entsprechend wichtig ist.<br />

7. Rückblick, Weiterentwicklung, kritische Stellungnahme<br />

Diese Arbeit ist ein kleiner Schritt dazu, darüber nachzudenken, wie die Existenzanalyse in<br />

die Erwachsenenbildung integriert werden kann. Dazu wird der gruppendynamische Raum als<br />

Grundlage benutzt. Die Erkenntnis dieser Arbeit ist, dass die Verbindung des gruppendy-<br />

namischen Raumes mit den vier GM sehr gut möglich ist. Wenn damit bewusst gearbeitet<br />

wird, können sowohl auf der individuellen Ebene wie auch auf der Gruppenebene viele Klä-<br />

rungen stattfinden. Eines freilich ist Voraussetzung und wurde noch nicht erwähnt: Die Ler-<br />

nenden müssen sich auf eine solche Art von Arbeit einlassen können. Die Lernenden müssen<br />

bereit sein, sich auf sich selber einzulassen und immer wieder überprüfen, was welche Bedeu-<br />

tung für sie hat. Es braucht persönliche Offenheit. Es braucht auch den Willen zur Reflexion.<br />

Die aufgeführten Ansätze und die damit verbundenen Wirkungen in Kapitel 5.2 sind Hypo-<br />

thesen und müssten genauer untersucht werden. Zum Beispiel mit einem entsprechenden und<br />

gezielten Evaluationsverfahren in ausgewählten Kursen. Das könnte eine mögliche Weiter-<br />

entwicklung dieser Arbeit sein.<br />

Eine weitere Entwicklung liegt in der Vertiefung der Grundmotivationen und den entspre-<br />

chenden Konsequenzen für die Lernenden in der Berufs- und Erwachsenenbildung. Bei den<br />

GM könnte der nächste Schritt sein, die existenzielle Bedeutung der jeweiligen GM im Hin-<br />

blick auf die Bildungsarbeit mit Erwachsenen näher zu untersuchen. Dabei geht es um die<br />

Themen Selbstvertrauen, Selbstsicherheit bei der 1. GM, bei der zweiten geht es um Bezie-<br />

hungsfähigkeit und Werterleben, bei der dritten GM sind Selbstwert und Authentizität die<br />

Themen und bei der 4. und letzten GM geht es um sinnvolles Handeln. Diese Begrifflichkei-<br />

ten näher untersuchen und sich überlegen, wie diese Aspekte des Menschseins didaktisch in-<br />

tegriert werden können, ist eine weitere Herausforderung. Das berührt dann auch Fragestel-<br />

26


lungen wie: Um was geht es ganz grundsätzlich in der Berufs- und Erwachsenbildung: wie<br />

weit werden Lernende vor allem fachlich ausgebildet und wie viel Platz haben die Entwick-<br />

lung von Sozialkompetenzen und Persönlichkeitsentwicklung? Wie ist das Verhältnis von<br />

Fachausbildung und Persönlichkeitsbildung? So tut sich ein Feld nach dem anderen neu auf,<br />

wenn die Gedanken weiter entwickelt werden. Es wäre spannend, sie zu verfolgen.<br />

Wenn ich nun kritisch auf meine Arbeit schaue, dann habe ich den Eindruck, dass die aufge-<br />

führten Handlungsmöglichkeiten in den Kapiteln 5 und 6 nichts Besonderes sind. Das mag<br />

damit zu tun haben, dass ich seit vielen Jahren in der Berufs- und Erwachsenenbildung arbeite<br />

und diese Handlungen für mich selbstverständlich sind. Vielleicht habe ich mir insgeheim<br />

spektakulärere Erkenntnisse erhofft. So würde ich sagen ist es eine solide Arbeit. Der Beginn<br />

der Arbeit war sehr zähflüssig. Für die ersten vier Textseiten habe ich acht volle Arbeitstage<br />

investiert. In dieser Zeit habe ich aber auch sehr viel gelesen. Irgendwann hat es dann plötz-<br />

lich einen emergenten Sprung gegeben und die Arbeit ist mir dann sehr leicht gefallen. Was<br />

ich für mich in Zukunft sicher im Auge behalten werde ist das Anliegen, Lernende in einer<br />

Ausbildung so zu begleiten, dass es zu einer Wertberührung kommt. Den Unterricht so zu<br />

gestalten, dass das möglich ist, betrachte ich als echte Herausforderung.<br />

27


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29

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