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Das Evangelium nach Johannes - Offenbarung.ch

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Adolf S<strong>ch</strong>laffer<br />

<strong>Das</strong> <strong>Evangelium</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>Johannes</strong>


S<strong>ch</strong>latters Erläuterungen %um Neuen Testament<br />

Bandß ,


ADOLF SCHLATTER<br />

<strong>Das</strong> <strong>Evangelium</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>Johannes</strong><br />

Ausgelegt für Bibelleser<br />

Evangelis<strong>ch</strong>e Verlagsanstalt Berlin


Lizenzausgabe für die Deuts<strong>ch</strong>e Demokratis<strong>ch</strong>e Republik<br />

Vertrieb in Westdeuts<strong>ch</strong>land und Westberlin ni<strong>ch</strong>t gestattet<br />

Professor D. Dr. Adolf S<strong>ch</strong>latter. Geboren am x6. 8.1852 in St. Gallen<br />

Pfarrer in KeBwil (Thurgau). Privatdozent in Bern. Professor der Theologie in Greifswald (1888)<br />

Berlin (1893) und Tübingen (1898). Gestorben in Tübingen 1938<br />

Evangelis<strong>ch</strong>e Verlagsanstalt GmbH. Berlin 1952<br />

Lizenzausgabe des Calwer Verlages Stuttgart<br />

Veröffentli<strong>ch</strong>t unter Lizenz Nr. 420 des Amtes für Literatur und Verlagswesen<br />

der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en Republik. 205-38-52<br />

Satz und Druck: Bu<strong>ch</strong>druckerei Frankenstein GmbH.<br />

Leipzig III-18-127<br />

hg


<strong>Das</strong> <strong>Evangelium</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>Johannes</strong><br />

Kapitel I,I—I8<br />

<strong>Johannes</strong> spri<strong>ch</strong>t aus, was uns in Jesus gegeben ist<br />

1,1 : Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort<br />

war Gott. <strong>Das</strong> Wort* hat <strong>Johannes</strong> von Jesus empfangen; er gab ihm, als er<br />

ihn zum Apostel ma<strong>ch</strong>te, nidits anderes mit. Mit dem Worte sammelte und<br />

führte er die Christenheit. Au<strong>ch</strong> jetzt, indem <strong>Johannes</strong> das <strong>Evangelium</strong><br />

s<strong>ch</strong>reibt, verkündigt er ihr wieder das "Wort. "Was haben wir von diesem "Wort<br />

zu halten? Woher stammt es? Es mo<strong>ch</strong>ten etwa fünfzig Jahre verstri<strong>ch</strong>en sein,<br />

seit es die Apostel aus Jesu Mund vernommen hatten. Es ist aber ni<strong>ch</strong>t damals<br />

erst entstanden, sondern war im Anfang. Es ist ni<strong>ch</strong>ts Spätes, Neues, in der Zeit<br />

Gewordenes, auf Erden Gewa<strong>ch</strong>senes, steht vielmehr über dem Anfang des<br />

Weltlaufs und hat an der Ewigkeit teil. So fi<strong>ch</strong>t es au<strong>ch</strong> keine Vergängli<strong>ch</strong>keit<br />

an, und es veraltet ni<strong>ch</strong>t, als wäre es nur für eine gewisse Zeit oder ein einzelnes<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t gesagt, sondern es bleibt in Unvergängli<strong>ch</strong>keit fris<strong>ch</strong> und<br />

kräftig, und statt selbst zu veralten, hebt es uns aus der Zeitli<strong>ch</strong>keit und Vergängli<strong>ch</strong>keit<br />

in das ewige Leben empor.<br />

Wieso hat das Wort ni<strong>ch</strong>t erst im Lauf der Weltges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te den Ursprung bekommen,<br />

sondern ist älter, wesenhafter, lebendiger als die ganze himmlis<strong>ch</strong>e<br />

und irdis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfung? Weil es bei Gott war. GottesJWort ist Gottes figp.npf<br />

Sinnjm¿Wjllej_peshalb WäT-es_s<strong>ch</strong>on.da, ehe alles wurde, und hat Ewigkeit<br />

zur Eigens<strong>ch</strong>aft. Darum ist es au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts Anderes, Geringeres, S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>eres<br />

als er selbst, sondern ihm glei<strong>ch</strong> und mit ihm eins: das Wort war Gott. Er ist<br />

selbst ohne Verwandlung und Minderung in seinem Worte gegenwärtig mit<br />

seiner ganzen Lebendigkeit, Herrli<strong>ch</strong>keit und Ma<strong>ch</strong>t. Was das Wort tut, tut<br />

Gott; wo das Wort ist, ist Gott, ni<strong>ch</strong>t bloß ein Teil von ihm — ajsj*äbe^es<br />

• Über die göttli<strong>ch</strong>e Vernunft und das göttli<strong>ch</strong>e Wort haben die zeitgenössis<strong>ch</strong>en Lehrer der Judens<strong>ch</strong>aft,<br />

angeregt dur<strong>ch</strong> die grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Philosophen und ihre Sätze über den Ursprung der Dinge aus dem<br />

Denken, allerlei Lehrsätze aufgestellt. Es ist lei<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, daß <strong>Johannes</strong> auf diese Bezug nimmt. Was er<br />

aber mit diesen Versen sagen will, haben wir ni<strong>ch</strong>t aus ihm fremden Meinungen und Bü<strong>ch</strong>ern, sondern aus<br />

dem <strong>Evangelium</strong> selber zu entnehmen.


6 <strong>Johannes</strong> spri<strong>ch</strong>t aus, was uns in Jesus gegeben ist<br />

Stücke Gottes! —, sondern er selbst, ganz, vollständig, unverkürzt, wesenhaft.<br />

Es geht aus von ihm, do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t weg von ihm, ist unters<strong>ch</strong>ieden von ihm, aber<br />

ni<strong>ch</strong>t los von ihm, ist sein Erzeugnis, das er vor si<strong>ch</strong> stellt, sein Eigentum, das<br />

er si<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t, sein Glanz, in dem er leu<strong>ch</strong>tet, dies alles aber in jener herrli<strong>ch</strong>en<br />

Vollkommenheit, die alle Ähnli<strong>ch</strong>keit mit unserem Spre<strong>ch</strong>en, Bilden, Erzeugen<br />

übersteigt, weil sie mit unserem Stückwerk und Vielerlei ni<strong>ch</strong>ts gemein hat,<br />

sondern im Wort si<strong>ch</strong> selbst ganz gibt und si<strong>ch</strong> selbst ganz hat. Alles, was er<br />

ist, geht ein in das Wort; so ma<strong>ch</strong>t er es si<strong>ch</strong> selber glei<strong>ch</strong> und wohnt in ihm mit<br />

jener wunderbaren Einheit, die das Merkmal des einigen Gottes ist.<br />

1,2: Dieses war im Anfang bei Gott, und alles, was wir sonst* als Gottes<br />

Rei<strong>ch</strong>tum, <strong>Offenbarung</strong> und Ruhm erkennen, steht unter ihm. Im Wort haben<br />

wir Gottes erste <strong>Offenbarung</strong> und vollkommene Gegenwart.<br />

<strong>Johannes</strong> sieht deutli<strong>ch</strong> auf den Anfang der Bibel zurück, auf i.Mose 1,1<br />

und zuglei<strong>ch</strong> auf das, was <strong>na<strong>ch</strong></strong> Spru<strong>ch</strong> 8,30 die s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>e Weisheit, die<br />

bei Gott war, von si<strong>ch</strong> sagt. Er redet aber ni<strong>ch</strong>t von demjenigen göttli<strong>ch</strong>en<br />

\ Wort, das die Zahl und Bahn der Sterne ordnet und die Figur und Eigens<strong>ch</strong>aft<br />

\ der irdis<strong>ch</strong>en Gebilde bestimmt, ni<strong>ch</strong>t von dem Wort, das der Natur ihr Gesetz<br />

I und ihre Kraft verleiht. Vielmehr s<strong>ch</strong>aut er vom Anfang der Bibel sofort zu<br />

• Jesus hinüber und hat glei<strong>ch</strong> mit diesem ersten Satz a<br />

bar er Jesus ist. Bei ihmhat^er Gottes^Wort so gefunden, daß er es vernehmen<br />

den. <strong>Johannes</strong> begehrt ni<strong>ch</strong>ts anderes als das Wort, als gäbe es über ihm etwas<br />

Größeres, Mä<strong>ch</strong>tigeres, Göttli<strong>ch</strong>eres; denn mit dem Worte ist Gott bei uns.<br />

Freili<strong>ch</strong> hat au<strong>ch</strong> das, was die S<strong>ch</strong>rift über die Wirksamkeit des Worts am<br />

S<strong>ch</strong>öpfungstage sagt, große Wi<strong>ch</strong>tigkeit. Es kommt dadur<strong>ch</strong> in unsere Stellung<br />

zur Welt Klarheit und Si<strong>ch</strong>erheit hinein. Mä<strong>ch</strong>tig umfaßt uns die Welt, füllt<br />

unser Auge als die si<strong>ch</strong>tbare Realität, die zunä<strong>ch</strong>st bei uns ist, und zwingt uns<br />

ihre Meinung und ihren Willen auf. Mit dem Wort, das bei Gott war, ist uns<br />

jedo<strong>ch</strong> alles gegeben, was wir der Welt gegenüber nötig haben, weil dieses<br />

Wort die Ma<strong>ch</strong>t ist, die alles s<strong>ch</strong>uf. 1,3: Alles wurde dur<strong>ch</strong> es, und ohne es<br />

wurde ni<strong>ch</strong>ts von dem, was geworden ist. Denn dur<strong>ch</strong> das Wort ges<strong>ch</strong>ah und<br />

ges<strong>ch</strong>ieht jede S<strong>ch</strong>öpfungstat. Jenes Wunder, wodur<strong>ch</strong> wird, was vorher ni<strong>ch</strong>t<br />

war, tut das Wort. Ni<strong>ch</strong>ts unter all dem, sagt <strong>Johannes</strong>, was geworden und ges<strong>ch</strong>ehen<br />

ist, ward und ges<strong>ch</strong>ah getrennt und abseits vom Wort. Immer und<br />

überall ist es dabei, ni<strong>ch</strong>t nur im Bau der Natur, sondern au<strong>ch</strong> bei allem, was<br />

im Mens<strong>ch</strong>enleben ges<strong>ch</strong>ieht. Es versteht allein die Kunst, dem zu rufen, was<br />

ni<strong>ch</strong>t ist, daß es sei, gibt jedem seinen Ort, bestimmt jedem seine Bahn und<br />

stellt alles dahin, wo es dem göttli<strong>ch</strong>en Willen dient. Weil es Gottes Ma<strong>ch</strong>t in


. <strong>Johannes</strong> 1,2—4 7<br />

si<strong>ch</strong> trägt, gegen die es keine Auflehnung und keinen Widerstand gibt, bedürfen<br />

wir au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts mehr als des Wortes; dieses kann uns wohl bes<strong>ch</strong>irmen, erhalten<br />

und vollenden, ist der Aufgang unserer Freiheit, das Ende allen Streites<br />

und aller Not, Sieg, Ruhe und Seligkeit.<br />

1,4: In ihm war Leben, und das Leben war das Li<strong>ch</strong>t der Menseben.JLeben<br />

ist das Haupt- und K^mwo^ in das <strong>Johannes</strong> die ganze Bots<strong>ch</strong>aft Jesu faßt..<br />

Während das, was der Mens<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>t lebt, hat das, was vom lebendigen<br />


$ <strong>Johannes</strong> spri<strong>ch</strong>t ans, was uns in Jesus gegeben ist<br />

Li<strong>ch</strong>t bezeugt es si<strong>ch</strong> rings um si<strong>ch</strong> und beruft alle zu si<strong>ch</strong>. Darum ents<strong>ch</strong>eidet<br />

si<strong>ch</strong> an unserem Verhalten gegen das Li<strong>ch</strong>t, ob wir das Leben finden oder ni<strong>ch</strong>t.<br />

"Wer si<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>ließt, hat si<strong>ch</strong> dem Leben vers<strong>ch</strong>lossen; wer das Li<strong>ch</strong>t<br />

aufnimmt, erlebt des Lebens belebende Ma<strong>ch</strong>t. <strong>Johannes</strong> verkündigt uns Jesus<br />

als den, der mit e<strong>ch</strong>tem, wahrhaftem Leben lebendig war, darum selbst inwendig<br />

der Klare gewesen ist und in alles Klarheit bra<strong>ch</strong>te, was si<strong>ch</strong> ihm<br />

näherte. S<strong>ch</strong>ein und Lüge zerstoben; um ihn her wurde es hell, und dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß er li<strong>ch</strong>t gab, ergriff er die Mens<strong>ch</strong>en, zog sie zu si<strong>ch</strong> und gab ihnen an<br />

seinem Leben teil. •<br />

Daß uns Li<strong>ch</strong>t gegeben wird und wir ins Helle versetzt werden, ist Gnade,<br />

ni<strong>ch</strong>t nur deswegen, weil wir es ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> uns selbst hervorbringen, sondern<br />

empfangen müssen, sondern no<strong>ch</strong> mehr deswegen, weil ein Hindernis in uns<br />

ist, das das Li<strong>ch</strong>t abwehrt und uns unfähig ma<strong>ch</strong>t, es bei uns aufzunehmen.<br />

<strong>Das</strong> Li<strong>ch</strong>t meidet jedo<strong>ch</strong> die Finsternis der Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t, kommt vielmehr zu<br />

ihr, dringt in sie ein und läßt in ihr seine Strahlen leu<strong>ch</strong>ten. 1,5: <strong>Das</strong> Li<strong>ch</strong>t<br />

s<strong>ch</strong>eint in der Finsternis, und die Finsternis nahm es ni<strong>ch</strong>t an. <strong>Das</strong> Li<strong>ch</strong>t vertreibt<br />

sie ni<strong>ch</strong>t mit Allgewalt, s<strong>ch</strong>eu<strong>ch</strong>t sie ni<strong>ch</strong>t weg mit der rä<strong>ch</strong>enden Ma<strong>ch</strong>t<br />

des Blitzes, läßt si<strong>ch</strong> aber von ihr au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t überwältigen und dämpfen; sondern<br />

es stellt si<strong>ch</strong> an den dunklen Ort, offenbart dort seine Helligkeit und bewährt<br />

si<strong>ch</strong> unüberwindbar als Li<strong>ch</strong>t mitten in der Dunkelheit ringsum. Wenn<br />

uns <strong>Johannes</strong> Jesus bes<strong>ch</strong>reibt, so kann er ni<strong>ch</strong>t nur von Gottes herrli<strong>ch</strong>en<br />

Gaben reden, ni<strong>ch</strong>t nur vom Wort und Leben und Li<strong>ch</strong>t, die von Gott her zu<br />

uns kamen, sondern muß au<strong>ch</strong> den Fall des Mens<strong>ch</strong>en bezeugen und von der<br />

Bosheit, die gegen Jesus streitet, reden. <strong>Johannes</strong> hat es erlebt, wie das Li<strong>ch</strong>t in<br />

die Welt kam und es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verdrießen ließ, in der Finsternis zu s<strong>ch</strong>einen,<br />

wie aber das, was finster war, finster blieb mit Absi<strong>ch</strong>t und Willen und den<br />

Dienst, den ihm das Li<strong>ch</strong>t anbot, vers<strong>ch</strong>mähte und froh war, als es wieder ging<br />

und vers<strong>ch</strong>wand und die Dunkelheit wieder ungestört regierte und alles deckte<br />

und pflegte, was das Li<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t erträgt. Statt aufzujau<strong>ch</strong>zen, als das Li<strong>ch</strong>t zu<br />

ihm kam, weil ihm Erlösung komme, gefiel si<strong>ch</strong> das Finstere in seiner Finsternis<br />

und verteidigte diese als ein kostbares Heiligtum, und dem Li<strong>ch</strong>t ward kein<br />

Dank dafür, daß es hell s<strong>ch</strong>ien.<br />

Finster blieb es rings um Jesus her, obwohl Gottes gnädige Fügung den Anfang<br />

Jesu,so geordnet hat, daß der Zugang zu ihm lei<strong>ch</strong>t wurde. Denn er hat<br />

Jesus einen Zeugen beigegeben, der den Anfang des Li<strong>ch</strong>ts verkündigt hat. 1,6<br />

bis 8: Es kam ein Mens<strong>ch</strong> von Gott gesandt mit Namen <strong>Johannes</strong>. Dieser kam<br />

zum Zeugnis, um vom Li<strong>ch</strong>t 2u zeugen, damit alle dur<strong>ch</strong> ihn glauben. Ni<strong>ch</strong>t<br />

er war das Li<strong>ch</strong>t, sondern er war da, um vom Li<strong>ch</strong>t zu zeugen. Als Gottes


<strong>Johannes</strong> 1,5—g ' 9<br />

Bote mit der Sendung von oben kam der Täufer, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst das Li<strong>ch</strong>t<br />

und denno<strong>ch</strong> mit einem hohen Beruf. Er wußte, daß es komme und dur<strong>ch</strong> wen<br />

es komme, mit einer Gewißheit, die in Gott begründet war und ihn deshalb<br />

zum Zeugen ma<strong>ch</strong>te, wodur<strong>ch</strong> allen der Glaube ermögli<strong>ch</strong>t war. <strong>Das</strong> Zeugnis<br />

und der Glaube gehören zusammen. Wer Zeuge ist, hat ein Re<strong>ch</strong>t daran, daß<br />

ihm geglaubt werde. Er spri<strong>ch</strong>t als der "Wissende von dem, was der andere ni<strong>ch</strong>t<br />

weiß und ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> selber wissen kann; er sagt es ihm aber dazu, damit er<br />

an seinem Wissen au<strong>ch</strong> Gewißheit gewinne. Antwortet dem Wort des Zeugen<br />

der Glaube, der es faßt und bejaht, dann ist das Li<strong>ch</strong>t in uns hineingetreten. Ob<br />

es zum Glauben kommt oder ni<strong>ch</strong>t, daran wird si<strong>ch</strong>tbar, ob das Li<strong>ch</strong>t den Sieg<br />

gewann oder vergebli<strong>ch</strong> in der Finsternis s<strong>ch</strong>ien, ob sie blieb oder wi<strong>ch</strong>.<br />

Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur der Bote kam, der von ihm spra<strong>ch</strong>, sondern 1,9: Da war das<br />

wahrhaftige Li<strong>ch</strong>t, das jeden Mens<strong>ch</strong>en erleu<strong>ch</strong>tet, der in die Welt kommt. Es<br />

war da, weil ni<strong>ch</strong>t nur <strong>Johannes</strong>, sondern au<strong>ch</strong> Jesus kam, und er erwies si<strong>ch</strong><br />

als das e<strong>ch</strong>te Li<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong>, daß er allen das Auge öffnet und jeden in die Klarheit<br />

stellt, so daß er seines Lebens Grund und Ziel erkennen kann. <strong>Das</strong> ist Jesu<br />

Beweis, Sieg und Ruhm. Sein Li<strong>ch</strong>t faßt ni<strong>ch</strong>t nur besonders befähigte Augen,<br />

hier oder dort einige Mens<strong>ch</strong>en mit eigentümli<strong>ch</strong>en Neigungen, sondern er säubert<br />

jedem, der zur Welt gehört, das Auge von der Finsternis und setzt seine<br />

Seele in die Wahrheit. Jeder, der in die Welt kommt, ist des Li<strong>ch</strong>tes bedürftig,<br />

da er damit, daß er in die Welt kommt, au<strong>ch</strong> in die Finsternis kommt, die auf<br />

ihr liegt; an jedem, der in die Welt kommt, tut aber au<strong>ch</strong> Jesus seinen Dienst<br />

und gewährt ihm, was er selbst ni<strong>ch</strong>t hat und die Welt ihm ni<strong>ch</strong>t geben kann:<br />

Li<strong>ch</strong>t.<br />

Ni<strong>ch</strong>t das sagt der Evangelist, daß jeder von Jesus zum Glauben gebra<strong>ch</strong>t<br />

werde. li<strong>ch</strong>t erhalten und gläubig sein ist ni<strong>ch</strong>t dasselbe. Glauben heißt das<br />

Li<strong>ch</strong>t in si<strong>ch</strong> haben und behalten, ni<strong>ch</strong>t nur Wahrheit kennen, sondern in ihr<br />

sein, in ihr denken und wollen. Im Glauben ergibt si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>t,<br />

läßt es in sein Inneres dringen und wird von ihm gefaßt und bewegt. Aber<br />

dadur<strong>ch</strong>, daß wir alle aus dem Dunklen herausgeholt und unter den hellen<br />

S<strong>ch</strong>ein Christi gesetzt sind, ergeht an uns allé die Berufung zum Glauben. Dabei<br />

wird er uns inwendig zugängli<strong>ch</strong> und faßli<strong>ch</strong>, und wenn nun do<strong>ch</strong> der<br />

Glaube ni<strong>ch</strong>t entsteht und die Finsternis das Li<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t annimmt, so ist sol<strong>ch</strong>er<br />

Unglaube in denen, die erleu<strong>ch</strong>tet wurden, ni<strong>ch</strong>t mehr bloß ein Unglück, sondern<br />

eine S<strong>ch</strong>uld und ein Geri<strong>ch</strong>t. Daß si<strong>ch</strong> Jesus an jedem Mens<strong>ch</strong>en als Li<strong>ch</strong>t<br />

erweist, war die Erfahrung des Apostels im Verlauf seiner ganzen Arbeit. Keinem<br />

hätte er zugestanden, daß Christus unfähig sei, au<strong>ch</strong> ihn aus der Finsternis<br />

emporzuheben. Und dies ist ni<strong>ch</strong>t minder die Erfahrung der Kir<strong>ch</strong>e zu jeder


Io <strong>Johannes</strong> spri<strong>ch</strong>t aus, was uns in Jesus gegeben ist<br />

Zeit. Uns allen, wer und was wir seien, ist dur<strong>ch</strong> Jesus über unser Ziel und unseren<br />

"Weg Klarheit ges<strong>ch</strong>enkt. Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>aut <strong>Johannes</strong> bei diesem Vers<br />

zuglei<strong>ch</strong> auf die verborgene Regierung Gottes, ni<strong>ch</strong>t nur auf denjenigen Teil<br />

der Mens<strong>ch</strong>heit, den Jesu "Wort erleu<strong>ch</strong>tet. Weil Gottes Wort bei Gott ist und<br />

alle Dinge dur<strong>ch</strong> dasselbe wurden, sind dur<strong>ch</strong> dasselbe alle Mens<strong>ch</strong>engeister<br />

offen, und alle liegen in seiner Hand. Keiner von ihnen entbehrt aber das li<strong>ch</strong>t<br />

ganz und gar. Au<strong>ch</strong> die vielen, die in der Na<strong>ch</strong>t des Götzendienstes und des<br />

Lasters aufwu<strong>ch</strong>sen und abwelkten, wurden immer no<strong>ch</strong> von man<strong>ch</strong>em Strahl<br />

heiliger Wahrheit berührt und sind nie in demselben Sinne unwissend wie ein<br />

Tier; au<strong>ch</strong> ihnen spendet, was sie an Li<strong>ch</strong>t besitzen, das göttli<strong>ch</strong>e Wort.<br />

Damals aber, als der Täufer sein Zeugnis ausri<strong>ch</strong>tete, war das Li<strong>ch</strong>t da. 1,10:<br />

Er war in der Welt, und die Welt wurde dur<strong>ch</strong> ihn, und die Welt erkannte ihn<br />

ni<strong>ch</strong>t. Er war ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ieden von der Mens<strong>ch</strong>heit, ni<strong>ch</strong>t fern von uns, sondern<br />

lebte bei uns als einer, der au<strong>ch</strong> zur Welt gehörte und ein Glied der Mens<strong>ch</strong>heit<br />

war. Zeigt das, wie nahe das Li<strong>ch</strong>t an die Welt herankommt, so spri<strong>ch</strong>t<br />

<strong>Johannes</strong> weiter aus, wie eng au<strong>ch</strong> die Welt ihm verbunden ist, da sie aus ihm<br />

ihr <strong>Das</strong>ein hat. Uns Mens<strong>ch</strong>en, zu denen er kam, hat Gottes Wort das Leben<br />

ges<strong>ch</strong>enkt, so gewiß wir es der S<strong>ch</strong>öpferma<strong>ch</strong>t Gottes verdanken. So sollte man<br />

denken, wir hingen an ihm, faßten ihn, da er do<strong>ch</strong> unser Grund und S<strong>ch</strong>öpfer<br />

ist, und wären zu ihm gezogen mit einem unzerreißbaren Band. Do<strong>ch</strong> das<br />

Gegenteil trat ein: die Mens<strong>ch</strong>en merkten ni<strong>ch</strong>t, was er ihnen bra<strong>ch</strong>te, und<br />

sahen ni<strong>ch</strong>t ein, daß ihnen hier das Li<strong>ch</strong>t aufging, das sie zum Leben leitete, und<br />

Gottes Wort hier bei ihnen war, des eigen sie von ihrem Ursprung her sind. So<br />

blind ist die Mens<strong>ch</strong>heit, so unfähig das Li<strong>ch</strong>t in si<strong>ch</strong> zu fassen, und so ernst<br />

gilt das Wort: <strong>Das</strong> Li<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>eint in der Finsternis. Weil das Wort dem Mens<strong>ch</strong>en<br />

das Leben gegeben hat und seine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te dur<strong>ch</strong> dasselbe regiert ist und<br />

zumal Israel alles, was es an Wahrheit und göttli<strong>ch</strong>er Gabe besaß, vom Worte<br />

hat, so gilt 1,11: In sein Eigentum kam er, und die ihm Eigenen nahmen ihn<br />

ni<strong>ch</strong>t an. Unter die trat er, die ihm gehörten, ni<strong>ch</strong>t zu Fremden, sondern zu<br />

denen, an die er das Königsre<strong>ch</strong>t besaß, und sie wiesen ihn ab. Hier ges<strong>ch</strong>ah der<br />

s<strong>ch</strong>werste Treubru<strong>ch</strong>, der in der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te je vorkam. Die tiefste<br />

Abhängigkeit ward hier zerrissen, der s<strong>ch</strong>uldigste Gehorsam versagt.<br />

Do<strong>ch</strong> er kam ni<strong>ch</strong>t umsonst; neben denen, die ihn ni<strong>ch</strong>t annehmen, stehen<br />

die, die ihn annehmen. Er s<strong>ch</strong>afft si<strong>ch</strong> in der Welt seine Gemeinde. 1,12: Allen<br />

aber, die ihn annahmen, gab er die Vollma<strong>ch</strong>t, Kinder Gottes zu werden,<br />

denen, die an seinen Namen glauben. Weil uns sein Name ansagt, daß er gekommen<br />

ist und was er für uns tut, dürfen wir seinen Namen ni<strong>ch</strong>t verwerfen<br />

und bestreiten, haben vielmehr seinen Namen als wahr und gewiß zu bewàh-


<strong>Johannes</strong> 1,10—140 11<br />

ren und es ihm zuzutrauen, daß er uns ni<strong>ch</strong>t wie ein leeres Wort täus<strong>ch</strong>e. Alle,<br />

die zu seinem Namen die Zuversi<strong>ch</strong>t haben, daß er das von Gott ihm gegebene<br />

Zei<strong>ch</strong>en seiner Sendung sei, nimmt er in seine Gemeins<strong>ch</strong>aft auf und übt an<br />

ihnen sein Geben, weshalb dur<strong>ch</strong> den Glauben an seinen Namen die Kinds<strong>ch</strong>aft<br />

aus Gott empfangen wird. *<br />

"Was heißt ein „Kind Gottes" sein? Bei der Kinds<strong>ch</strong>aft kommt es auf den<br />

Grund an, aus dem unser Leben erwä<strong>ch</strong>st. Vater ist uns der, der uns das Leben<br />

gibt. Aus dem Ursprung desselben ergibt si<strong>ch</strong> sodann au<strong>ch</strong> seine Art. Darum<br />

sind diejenigen Kinder Gottes 1,13: die ni<strong>ch</strong>t aus Blut und ni<strong>ch</strong>t aus dem Willen<br />

des Fleis<strong>ch</strong>es und nidot aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren<br />

wurden. Für das, was wir als natürli<strong>ch</strong>es Leben besitzen, sind das Blut<br />

und die im Fleis<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> regende Begehrung und der Wille eines Mannes die<br />

zeugenden Mä<strong>ch</strong>te gewesen. Wer ni<strong>ch</strong>ts anderes hat, als was so entsteht, ist<br />

ni<strong>ch</strong>t Kind Gottes. Es gibt aber Mens<strong>ch</strong>en, die den Grund ihres Lebens in Gott<br />

haben, denen Gott das gab, was sie inwendig bestimmt und füllt, bei denen<br />

das, was sie denken und wollen, ni<strong>ch</strong>t aus dem Blute oder dem Triebe des<br />

Fleis<strong>ch</strong>es, sondern aus göttli<strong>ch</strong>er Wurzel wä<strong>ch</strong>st. Den Anteil an Gottes s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>em<br />

Geben, das Mens<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>t, die sein eigenes Werk sind, kann si<strong>ch</strong><br />

der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst bereiten. <strong>Das</strong> ist Gnade, die uns gegeben wird, eine Ermä<strong>ch</strong>tigung,<br />

die uns ges<strong>ch</strong>enkt wird, und diese uns zu geben ist Christi Tat. Sein<br />

Werk in der Welt war, uns Mens<strong>ch</strong>en in dasjenige Verhältnis zu Gott zu bringen,<br />

in dem Gott der Erzeuger unseres Lebens wird.<br />

Jesu Vollma<strong>ch</strong>t, aus Mens<strong>ch</strong>en, die aus dem Blut und Trieb des Fleis<strong>ch</strong>es entstanden<br />

sind, Kinder Gottes zu ma<strong>ch</strong>en, stellt uns no<strong>ch</strong>mals vor die Frage, wer<br />

er selbst gewesen sei. 1,14a: Und das Wort ward Fleis<strong>ch</strong> und wohnte unter uns.<br />

Oben hieß es: Es war in der Welt; damit war bereits gesagt, daß das Wort ein<br />

Glied der Mens<strong>ch</strong>heit wurde und in die Gemeins<strong>ch</strong>aft glei<strong>ch</strong>en Wesens mit uns<br />

trat. <strong>Das</strong> unseren Lebensstand bestimmende Merkmal ist das Fleis<strong>ch</strong>. Deshalb<br />

sagt <strong>Johannes</strong> mit aller Deutli<strong>ch</strong>keit: <strong>Das</strong> Wort wurde Fleis<strong>ch</strong>. Ein Mens<strong>ch</strong><br />

entstand aus dem Wort, der ganz und gar das Werk und Gebilde des Wortes<br />

war; ein e<strong>ch</strong>ter, re<strong>ch</strong>ter Mens<strong>ch</strong> war er, war Fleis<strong>ch</strong> und Blut wie wir und war<br />

do<strong>ch</strong> ganz dur<strong>ch</strong> das Wort gema<strong>ch</strong>t und vom Wort erfüllt und regiert, so daß<br />

er dem Worte zur <strong>Offenbarung</strong> dient. AH das, was unser mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Leben<br />

im Unters<strong>ch</strong>ied von der göttli<strong>ch</strong>en Art und vom himmlis<strong>ch</strong>en Wesen kennzei<strong>ch</strong>net<br />

— und diesen Unters<strong>ch</strong>ied hebt das Wort Fleis<strong>ch</strong> kräftig hervor —,<br />

hatte au<strong>ch</strong> er und nahm wahrhaft und ganz an unserem Lebenslauf teil, und in<br />

dieser seiner mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Art war er das Gebilde des göttli<strong>ch</strong>en Worts und<br />

das Werkzeug und Mittel, wodur<strong>ch</strong> diese in der Welt gegenwärtig, wirksam


12 <strong>Johannes</strong> spri<strong>ch</strong>t aus, was uns in Jesus gegeben ist<br />

und offenbar ist. Vielerlei hoffte Israel vom göttli<strong>ch</strong>en Wort, daß es einen<br />

neuen Himmel und eine neue Erde s<strong>ch</strong>affe, ein goldenes Jerusalem, die Gemeinde<br />

der mit verklärten Leibern Auferstehenden und vieles mehr. Aber das<br />

Wort s<strong>ch</strong>uf ni<strong>ch</strong>t man<strong>ch</strong>erlei Dinge, seien sie no<strong>ch</strong> so herrli<strong>ch</strong>, sondern einen<br />

Mens<strong>ch</strong>en, mit dem es eins war, und wurde Fleis<strong>ch</strong>, und das war die große<br />

Gottestat; denn so kam es dazu, daß unter den Mens<strong>ch</strong>en Kinder Gottes entstanden<br />

sind.<br />

Es wohnte bei uns und hatte unter uns sein Zelt. Einst s<strong>ch</strong>uf das Gesetz in<br />

Israel als "Wohnung Gottes ein heiliges Zelt; jetzt ist etwas Neues und Höheres<br />

an dessen Stelle getreten und Gottes Gegenwart uns in Jesus gegeben, da in<br />

ihm das ewige Wort in der Zeit und auf Erden ers<strong>ch</strong>ienen ist. An jene Zeit, als<br />

Jesus mit ihnen lebte, denkt <strong>Johannes</strong> als an die hö<strong>ch</strong>ste und heiligste Periode<br />

seines Lebens. Damals befand si<strong>ch</strong> Gottes Heiligtum bei ihnen, und die lebendige<br />

Hütte, in der das Wort wohnte, begleitete sie.<br />

1,14b: Und wir sahen seine Herrli<strong>ch</strong>keit, eine Herrli<strong>ch</strong>keit, wie sie der ein-<br />

2ige Sohn vom Vater hat, voll Gnade und Wahrheit. Jesus ma<strong>ch</strong>te es wahrnehmbar,<br />

daß er vom ewigen Wort sein Leben empfing. Freili<strong>ch</strong> war sein<br />

Fleis<strong>ch</strong> eine Hülle über dem göttli<strong>ch</strong>en Wort und Leben, dodi ni<strong>ch</strong>t deshalb,<br />

weil es versteckt bleiben wollte; vielmehr hat es diesen Mens<strong>ch</strong>en dazu erzeugt<br />

und erfüllt, damit es offenbar werde, und deshalb glänzte aus seinem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Lebenslauf die Herrli<strong>ch</strong>keit Gottes hervor, und <strong>Johannes</strong> bezeugt es:<br />

Wir sahen sie, und spri<strong>ch</strong>t damit aus, was die besondere Kraft und Gabe des<br />

apostolis<strong>ch</strong>en Amtes ist. Er kann zur Gemeinde spre<strong>ch</strong>en als der, der Christi<br />

Herrli<strong>ch</strong>keit gesehen hat; das gibt ihm die Stellung dessen, der ihr aus eigenem<br />

Wissen und Erleben das <strong>Evangelium</strong> zu sagen vermag.<br />

Dem dur<strong>ch</strong> das Wort gewordenen Mensdien ist Gott der Vater, und er ist<br />

sein Sohn, und zwar der einzige. Es gibt ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> andere, ihm glei<strong>ch</strong>gestellte<br />

Kinder Gottes, die, wie er, aus Gott und seinem Worte lebten und leu<strong>ch</strong>teten.<br />

Einmal, ni<strong>ch</strong>t hin und her oftmals, wurde das Wort Fleis<strong>ch</strong> und ma<strong>ch</strong>te da-,<br />

dur<strong>ch</strong> denjenigen Sohn, der keinen Genossen hat, dem Gottes Liebe ganz gehört,<br />

den er ganz an si<strong>ch</strong> zieht zur Einheit und Gemeins<strong>ch</strong>aft, die niemand mit<br />

ihm teilt, und aus diesem ungeteilten Besitz der göttli<strong>ch</strong>en Liebe und Gabe floß<br />

die Herrli<strong>ch</strong>keit, die Jesu Lebenslauf dur<strong>ch</strong>zieht. Was wir von ihm sahen, sagt<br />

<strong>Johannes</strong>, das entspra<strong>ch</strong> der Weise, wie si<strong>ch</strong> ein Vater zu seinem einzigen Sohn<br />

verhält.<br />

<strong>Das</strong> Gut, das ihm vom Vater her als seine Herrli<strong>ch</strong>keit gegeben ward, bestand<br />

ni<strong>ch</strong>t nur darin, daß er an der Ma<strong>ch</strong>t des Vaters si<strong>ch</strong>tbaren Anteil hatte,,<br />

sondern vor allem in dem, was sein inwendiges, geistiges Wesen war, darin.


<strong>Johannes</strong> 1,14b—15 13<br />

daß er voll von Gnade und Wahrheit war. Der Evangelist erneuert dadur<strong>ch</strong><br />

ein Wort der S<strong>ch</strong>rift, 2. Mose 34,6. „Groß an Gnade und Wahrheit" nannte<br />

si<strong>ch</strong> Gott vor Mose, als er ihn etwas von seiner Herrli<strong>ch</strong>keit s<strong>ch</strong>auen ließ. Wie<br />

si<strong>ch</strong> Gott Mose kundtat, so war er in Jesus offenbar. Wenn <strong>Johannes</strong> auf seinen<br />

Umgang mit Jesus zurückblickt, sagt er: In seinem Lebenslauf war ununterbro<strong>ch</strong>en<br />

ohne Flecken und Lücken Wahrheit und Gnade zu sehen. Für<br />

Lüge, Härte und Haß hatte er bei si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Raum. Im hellen Li<strong>ch</strong>te der Wahrheit<br />

stand er mit seinem ganzen Denken und Reden, und aus der Gnade floß<br />

all sein Wollen und Handeln. Beide, die Gnade und die Wahrheit, gehören<br />

untrennbar zusammen. Die Gnade ma<strong>ch</strong>t aus der Wahrheit eine Wohltat für<br />

uns, daß sie uns hilft, ni<strong>ch</strong>t uns erniedrigt und vers<strong>ch</strong>eu<strong>ch</strong>t, sondern hebt und<br />

belebt, und die Wahrheit gibt der Gnade den Ernst und die Kraft, daß aus<br />

ihrer Liebli<strong>ch</strong>keit keine S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit und aus ihrer Güte kein Spiel wird, daß<br />

sie ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> das Böse hegt und nährt, sondern es sieghaft überwindet und<br />

Gott offenbart. Beide sind beisammen wie das Leben und das Li<strong>ch</strong>t. Die Gnade<br />

gibt, nimmt den Tod von uns weg und verleiht das Leben; die Wahrheit erleu<strong>ch</strong>tet,<br />

ma<strong>ch</strong>t die Gnade si<strong>ch</strong>tbar und uns ihrer gewiß.<br />

Dadur<strong>ch</strong> hat <strong>Johannes</strong> ausgespro<strong>ch</strong>en, daß Jesus in der Gottheit steht. Wie<br />

ho<strong>ch</strong> er deshalb alle überragt, wie er von allen unters<strong>ch</strong>ieden ist, vom Täufer,<br />

von den Aposteln, von Mose, von jedermann, wer er sei, ma<strong>ch</strong>en die vier folgenden<br />

Worte klar/An diesem Unters<strong>ch</strong>ied, der alle anderen unter ihn setzt,<br />

erkennen wir ihn als den einzigen Sohn und Gottes ewiges Wort.<br />

1,15: <strong>Johannes</strong> zeugt von ihm und ruft: Dieser war der, von dem id) sagte:<br />

Der <strong>na<strong>ch</strong></strong> mir Kommende ist vor mir geworden. Denn er ist der Erste über mir.<br />

Der Täufer hat mit voller Offenheit und ernstem Na<strong>ch</strong>druck ihn als den bezei<strong>ch</strong>net,<br />

der aus der Ewigkeit kommt. Auf zwei Dinge legt der Evangelist<br />

dabei Na<strong>ch</strong>druck, einmal auf die Weise, wie <strong>Johannes</strong> Christus bes<strong>ch</strong>rieb, sodann<br />

darauf, daß er das, was er von Christus sagte, ausdrückli<strong>ch</strong> und unzweideutig<br />

auf diesen Mann Jesus übertrug. Auf ihn hat er hingezeigt als auf den,<br />

der das habe und sei, was vom Christus gilt. Ni<strong>ch</strong>t das hebt der Evangelist hervor,<br />

daß der Täufer das Kommen des Verheißenen weissagte. Von seinem<br />

Kommen war in der S<strong>ch</strong>rift deutli<strong>ch</strong> geredet, und weil Israel damals die<br />

S<strong>ch</strong>rift eifrig las, hatte es eine gewisse und feste Hoffnung, daß er komme.<br />

Dagegen bezog si<strong>ch</strong> das prophetis<strong>ch</strong>e Wort des Täufers auf das, was ihm Gott<br />

als seine Eigens<strong>ch</strong>aft und Herrli<strong>ch</strong>keit gebe. <strong>Das</strong> hatte die Gemeinde neu zu<br />

lernen, da ihre Gedanken über den Kommenden vielfa<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>em<br />

Maß dunkel und niedrig waren. Dei* Täufer dagegen hat die Ewigkeit des<br />

Christus bezeugt, ihn als von oben stammend geweissagt und si<strong>ch</strong> deshalb als


14 <strong>Johannes</strong> spri<strong>ch</strong>t aus, was uns in Jesus gegeben ist<br />

seinen Diener unter ihn gestellt und si<strong>ch</strong> zu seinem Zeugen gema<strong>ch</strong>t. Er hatte<br />

dazu besonderen Anlaß, weil er vor ihm sein Werk in Israel begonnen und als<br />

Prophet die Gemeinde um si<strong>ch</strong> gesammelt hatte, ehe Jesus hervorgetreten war.<br />

Er wehrte den S<strong>ch</strong>ein ab, als sei der,' der dur<strong>ch</strong> Gottes Regierung sein Na<strong>ch</strong>folger<br />

geworden war, au<strong>ch</strong> der Jüngere und Spätere, während do<strong>ch</strong> sein Verhältnis<br />

zu Gott ni<strong>ch</strong>t im Lauf der Zeit und Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te geworden ist. Darum<br />

ist Jesus zwar mit seinem irdis<strong>ch</strong>en Dienst der Na<strong>ch</strong>folger des Täufers, in<br />

Wahrheit aber dieser Christi Na<strong>ch</strong>folger und deshalb zu seinem prophetis<strong>ch</strong>en<br />

Amte berufen, weil Christus als der Erste beim Vater war. Je höher aber das<br />

Bild des Kommenden stieg, um so größer war der S<strong>ch</strong>ritt, wenn es galt, in<br />

einem Mens<strong>ch</strong>en, der wie wir alle im selben Maß mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit<br />

auf Erden stand, den zu erkennen, in dem die Verheißung erfüllt sei. Darum<br />

erinnert der Evangelist ni<strong>ch</strong>t nur an das Zeugnis des Täufers über Christus<br />

im allgemeinen, sondern daran, daß er auf diesen Mann, auf Jesus, hingezeigt<br />

und von ihm gesagt hat: Dieser Mens<strong>ch</strong> sei jener Erste, vor dem er si<strong>ch</strong> beuge,<br />

weil sein Leben in Gottes Ewigkeit entsprungen sei.<br />

Der zweite Beweis für die Herrli<strong>ch</strong>keit des Christus ist das, was seine Jünger,<br />

die sie sahen und ihn in ihrer Mitte hatten, erlebt haben. 1,16: Denn aus<br />

seiner Fülle haben wir alle genommen, nämli<strong>ch</strong> Gnade für Gnade. Dadur<strong>ch</strong>"<br />

werden die Apostel und weiterhin die ganze Gemeinde eine Bestätigung zum<br />

prophetis<strong>ch</strong>en Wort des Täufers und ein neues Zeugnis für die Herrli<strong>ch</strong>keit des<br />

Christus. Denn was sie haben, stammt ni<strong>ch</strong>t aus ihnen. Was Jesu Eigentum<br />

war, das hat sie erleu<strong>ch</strong>tet, geheiligt, zu ihrem Werk in der Welt ausgerüstet<br />

und zu Gottes Boten an die Gemeinde gema<strong>ch</strong>t; Wir alle nahmen es von ihm.<br />

Jeder hat wieder seine besondere Art, seinen eigentümli<strong>ch</strong>en Beruf und dient<br />

dem' Christus anders als die anderen, Petrus anders als <strong>Johannes</strong>, Paulus anders<br />

als Petrus. <strong>Das</strong> aber war ihnen allen gemeinsam, daß sie was sie waren<br />

und hatten, Jesus verdankten und dur<strong>ch</strong> ihn zu dem geworden sind, was die<br />

Gemeinde an ihnen hat.<br />

Nun, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem der Evangelist zuerst kräftig ausgespro<strong>ch</strong>en hat, daß sie die<br />

Empfangenden, Begabten gewesen sind, nun sagt er, was sie von ihm erhielten.<br />

Gnade in herrli<strong>ch</strong>er Vollkommenheit ist das gewesen, was die Jünger zu Jesus<br />

gebra<strong>ch</strong>t und bei ihm erhalten hat. Lauter Güte und Hilfe, tragendes Verzeihen,<br />

zu ihm sie emporhebende Liebe hat ihnen Jesus erwiesen in einer Kette,<br />

die nie endete. Von einer Gnade ging es zur anderen. Um der Gabe willen, die<br />

sie empfangen hatten, s<strong>ch</strong>enkte er ihnen neues Gut; weil er sie zu den Seinen<br />

gema<strong>ch</strong>t hatte, zog er sie immer mehr und mehr an si<strong>ch</strong>. Sie hatten ihm ni<strong>ch</strong>ts<br />

zu bringen, als was sie von ihm selbst empfangen hatten. Aber eben dies war


<strong>Johannes</strong> I,i6—i8 ' 15<br />

für ihn der Grund, sie neu seine Gnade erleben zu lassen. So taus<strong>ch</strong>ten sie<br />

Gnade gegen Gnade ein.<br />

Der Täufer und die Apostel waren Jesu Mitarbeiter, die mit ihm der "Welt<br />

das <strong>Evangelium</strong> bra<strong>ch</strong>ten. Unter denen, die vor ihm mit Gottes Sendung kamen,<br />

ragt Mose über alle empor; dur<strong>ch</strong> ihn war diejenige Gemeinde Gottes<br />

entstanden, in der Jesus geboren ward und seine Arbeit tat, und auf sein "Wort<br />

war ihr gan2er Gottesdienst gestellt. Darum bes<strong>ch</strong>reibt <strong>Johannes</strong> no<strong>ch</strong> mit<br />

einem mä<strong>ch</strong>tigen Spru<strong>ch</strong>, wie si<strong>ch</strong> Moses "Werk zu Jesus verhält, und bestimme<br />

dadur<strong>ch</strong> den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en dem alten und dem neuen Bund, zwis<strong>ch</strong>en<br />

Israel und der Christenheit. 1,17: Denn das Gesetz wurde dur<strong>ch</strong> Mose gegeben;<br />

die Gnade und die Wahrheit wurde dur<strong>ch</strong> Jesus Christus. Die Gabe, die Israel<br />

dur<strong>ch</strong> Mose dereinst von Gott empfangen hat, war das Gesetz; darauf ist Israel<br />

gegründet, und sein ganzer Gottesdienst ist dadur<strong>ch</strong> ums<strong>ch</strong>rieben; es dient<br />

dem Gesetz und steht unter des Gesetzes Regiment. Jetzt sind die Gnade und<br />

die Wahrheit entstanden. <strong>Das</strong> ergibt den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en der alten und<br />

der neuen Zeit. Jetzt regiert die Gnade, die verzeihende, helfende, gebende,<br />

was alles das Gesetz ni<strong>ch</strong>t kann, das befiehlt, was dur<strong>ch</strong> den Mens<strong>ch</strong>en ges<strong>ch</strong>ehen<br />

soll, und ihn bei dem faßt, was er tutj und jetzt ist die "Wahrheit da,<br />

die das Gesetz no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hat mit seinem figürli<strong>ch</strong>en Gottesdienst und seinen<br />

bildli<strong>ch</strong>en Heiligtümern, mit seiner Bots<strong>ch</strong>aft vom fernen und verborgenen<br />

Gott und seiner Verheißung eines Künftigen, das no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t war. Sind au<strong>ch</strong><br />

die Gnade und die "Wahrheit ewigli<strong>ch</strong> Gottes Eigentum, bei dem sein "Wort<br />

immer war, immer der Gnade und "Wahrheit voll, so sind sie do<strong>ch</strong> im "Weltlauf<br />

unter uns Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t anders offenbar, gegenwärtig und wirksam geworden<br />

als dur<strong>ch</strong> Jesus, dem hier <strong>Johannes</strong> mit Beda<strong>ch</strong>t seinen vollen Namen<br />

„Jesus Christus" gibt. Auf den Mens<strong>ch</strong>en Jesus zeigt er hin und auf seine Sendung,<br />

die ihn zum Christus ma<strong>ch</strong>t. Er vermittelt in seinem Sohnesleben die<br />

Geltung der Gnade für uns und das Regiment der "Wahrheit in uns, so daß sie<br />

mit ihm bei uns einkehren und als seine Gabe bei uns sind.<br />

Gnade und "Wahrheit sind aber das, was Gottes ist, und mit ihnen ist er<br />

wirkli<strong>ch</strong> von uns erkannt. Der letzte Satz gibt darum no<strong>ch</strong> ein abs<strong>ch</strong>ließendes<br />

"Wort, das den Unters<strong>ch</strong>ied Jesu von allen Mens<strong>ch</strong>en ausspri<strong>ch</strong>t und dadur<strong>ch</strong><br />

zeigt, weshalb wir alle seiner bedürfen. 1,18: Keiner hat Gott je gesehen. Der<br />

einzige Sohn, der ari der Brust des Vaters ist, er hat ihn verkündigt. Für das<br />

Auge jedes Mens<strong>ch</strong>en ist Gott der Verborgene. "Wir finden ihn dadur<strong>ch</strong>, daß<br />

uns das "Wort gebra<strong>ch</strong>t wird, das ihn uns verkündigt. "Wir können uns dieses<br />

ni<strong>ch</strong>t selbst vers<strong>ch</strong>affen; wohl aber hat es uns der gebra<strong>ch</strong>t, der mit Gott ohne<br />

Trennung zur vollen Gemeins<strong>ch</strong>aft vereinigt war. Wird das Kind vom Vater


*« Jesus offenbart die göttli<strong>ch</strong>e Gnade<br />

getragen, so ist es an seiner Brust; ebenso hat bei der Mahlzeit oder sonst beim<br />

Ruhen auf den Polstern der Sohn seinen Platz an der Brust des Vaters. In<br />

dieser Stellung ließ si<strong>ch</strong> offen ohne Rückhalt spre<strong>ch</strong>en; sie ist das Zei<strong>ch</strong>en für<br />

die innigste, trauli<strong>ch</strong>ste Weise des Beisammenseins. <strong>Johannes</strong> brau<strong>ch</strong>t das Bild,<br />

um uns einen Eindruck zu geben von der Wahrheit und Tiefe des Umgangs, in<br />

dem Jesus mit dem Vater stand. <strong>Das</strong> ma<strong>ch</strong>t sein Wort für uns unersetzli<strong>ch</strong> und<br />

uns<strong>ch</strong>ätzbar. Was er aus seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater uns sagt, das enthüllt<br />

uns Gottes Sinn und Willen, führt uns vor Gottes Thron und in sein<br />

Rei<strong>ch</strong>.<br />

Mit dem Wort begann <strong>Johannes</strong>; mit dem Wort des einigen Sohns endet er<br />

diese erste Spru<strong>ch</strong>reihe. Wie uns das Wort zu Gott bringt, ist uns nun dur<strong>ch</strong> den<br />

Blick auf den Sohn und seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater erläutert. Damit ist<br />

uns das Wesen und der Zweck Jesu kurz und do<strong>ch</strong> unverglei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> tief nahe gebra<strong>ch</strong>t.<br />

Wir haben nun den S<strong>ch</strong>lüssel zu allem, was er sagte und tat.<br />

Kapitel 1,19—4,54<br />

Jesus offenbart die göttli<strong>ch</strong>e Gnade<br />

Kapitel 1,19—34<br />

Der Täufer ma<strong>ch</strong>t Jesus Israel bekannt<br />

Wie der Täufer vor das jüdis<strong>ch</strong>e Volk trat, ihm Gottes königli<strong>ch</strong>es Werk<br />

ansagte, seine Sünde ihm vorhielt, es zur Umkehr trieb, seine Heiligen demütigte,<br />

seine Gefallenen aufri<strong>ch</strong>tete und allen, die das Böse haßten, in der<br />

Taufe Gottes Vergebung gab, davon spri<strong>ch</strong>t <strong>Johannes</strong> ni<strong>ch</strong>t. Er wendet unseren<br />

Blick einzig darauf, wie der Täufer Jesus offenbarte und Israel zu Jesus<br />

wies. <strong>Das</strong> ist das Ziel, das er im ganzen Bu<strong>ch</strong>e ohne Abs<strong>ch</strong>weifung und Zerstreuung<br />

festhält. Aus der Menge der Ereignisse und aus der Fülle der Worte<br />

Jesu erwähnt er nur sol<strong>ch</strong>e, die uns unmittelbar zu ihm selbst hinführen und<br />

uns den Anblick seiner Wahrheit und Gnade geben.<br />

1,19: Und dies ist das Zeugnis des <strong>Johannes</strong>, als die Juden aus Jerusalem<br />

Priester und Leviten zu ihm s<strong>ch</strong>ickten, um ihn zu fragen: Wer bist du? Als der<br />

Einfluß des Täufers auf die Gemeinde groß geworden war und diese si<strong>ch</strong> um<br />

ihn zu sammeln begann als um den Propheten, den Gott ihr gegeben habe, verhörten<br />

ihn Abgeordnete der in Jerusalem regierenden Männer über seine Absi<strong>ch</strong>ten.<br />

Da er ni<strong>ch</strong>t zu ihnen kam, sondern in der Wüste blieb, kamen sie zu<br />

ihm. Es waren hierzu Glieder des priesterli<strong>ch</strong>en Standes in seinen beiden Abteilungen,<br />

Priester und Leviten, gewählt worden, Männer, deren göttli<strong>ch</strong>e Be-


<strong>Johannes</strong> 1,19—21 17<br />

rufung in die heiligen Ämter von jedermann, au<strong>ch</strong> vom Täufer, ehrfur<strong>ch</strong>tsvoll<br />

anzuerkennen war. <strong>Das</strong> alte, längst eingesetzte und geheiligte Amt trat vor<br />

den Neuling, der es gewagt hatte, mit einer neuen, geheimnisvollen Sendung<br />

vor die Gemeinde zu treten und sie zu ers<strong>ch</strong>üttern. Sie wollten wissen, dur<strong>ch</strong><br />

wel<strong>ch</strong>en Namen er seine Sendung bes<strong>ch</strong>reibe.<br />

i,2o:Und er bekannte und leugnete ni<strong>ch</strong>t und bekannte:I<strong>ch</strong> bin derChristus<br />

ni<strong>ch</strong>t. Dem Evangelisten ist es von Wi<strong>ch</strong>tigkeit, daß der Täufer rund und ents<strong>ch</strong>ieden<br />

das Amt des Verheißenen von si<strong>ch</strong> abgelehnt hat. Es waren ihm große<br />

Dinge gegeben, ein "Wort, wie es in Israel seit Jahrhunderten ni<strong>ch</strong>t mehr gehört<br />

war, erleu<strong>ch</strong>tete Gewißheit des Himmelrei<strong>ch</strong>s, ein flammender Haß gegen das<br />

Böse und ein starkes Erbarmen, das die Gefallenen ni<strong>ch</strong>t vera<strong>ch</strong>tete. Aber daß<br />

er si<strong>ch</strong> als den hätte bezei<strong>ch</strong>nen wollen, der die Verheißung erfüllt, den ganzen<br />

Willen Gottes vollbringt, seine vollkommene Gnade offenbart und darum für<br />

immer der König und Führer seiner Gemeinde ist, das kam nie in seinen Sinn.<br />

<strong>Das</strong> Amt des Christus reißt man ni<strong>ch</strong>t an si<strong>ch</strong> in eigenmä<strong>ch</strong>tiger Erhebung; ihn<br />

setzt Gott ein. Daß die Predigt des Täufers die Leute an den Christus denken<br />

ließ, war wohlbegründet. Er sagte ja, bald greife Gott königli<strong>ch</strong> in den Bestand<br />

der Gemeinde ein mit jener Tat, die ihr die Vollendung bereiten werde.<br />

Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft kommt aber dadur<strong>ch</strong>, daß der von ihm bestellte König<br />

kommt. So waren freili<strong>ch</strong> aller Augen auf den Christus geri<strong>ch</strong>tet, und da no<strong>ch</strong><br />

niemand neben dem Täufer stand, der irgendwie die Erwartung hätte begründen<br />

können, daß er der Christus sei, ri<strong>ch</strong>tete si<strong>ch</strong> im stillen die Frage an ihn:<br />

Sollte er etwa die Verheißung auf si<strong>ch</strong> beziehen und si<strong>ch</strong> selber als den vor uns<br />

stellen, dur<strong>ch</strong> den Gottes herrli<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aft bei uns beginnt? Auf sol<strong>ch</strong>e Gedanken<br />

antwortet der Täufer rund und klar: Nein! Nun kamen aber in der<br />

Weissagung no<strong>ch</strong> andere Männer vor, deren Sendung dem Volke verheißen<br />

war. Malea<strong>ch</strong>i hat ihm die Ankunft Elias zugesagt, der die Gemeinde zum<br />

großen Tage Gottes rüsten wird, Malea<strong>ch</strong>i 4,5 und Mose hatte vom Propheten<br />

wie er selbst gespro<strong>ch</strong>en, den Gott später senden werde, y. Mose 18,15. Darum<br />

fragen die Priester weiter. 1,21: Und sie fragten ihn: Wie nun: bist du Elia?<br />

Und er sagt: I<strong>ch</strong> bin es ni<strong>ch</strong>t. Bist du der Prophet? Und er antwortete: Nein.<br />

Und do<strong>ch</strong> hat Jesus von ihm gesagt: Er ist Elia, wenn ihr es annehmen wollt,<br />

Matthäus 11,14, und von seiner Geburt an leitete ihn die Verheißung: Im<br />

Geiste und in der Ma<strong>ch</strong>t Elias wird er vor ihm hergehen, Lukas 1,17. Allein<br />

der Täufer hätte seinen Beruf s<strong>ch</strong>wer ges<strong>ch</strong>ädigt, wenn er si<strong>ch</strong> dem Volke als<br />

Elia vorgestellt hätte. Ihm lag es an seinem Wort, an der dur<strong>ch</strong>dringenden<br />

Wirkung des Bußrufs, an der inneren Zurüstung der Gemeinde, daß Christus,<br />

wenn er komme, sie aufnehmen könne in sein Rei<strong>ch</strong> und ni<strong>ch</strong>t dem Feuer über-


!8 Jesus offenbart die göttli<strong>ch</strong>e Gnade<br />

antworten müsse wie die Spreu. Sprä<strong>ch</strong>e er dagegen von Elia, so dä<strong>ch</strong>ten sie<br />

nur an die wunderbare Rückkehr des Thesbithers und hätten ihm alsdann geantwortet:<br />

„Du bist Za<strong>ch</strong>arias Sohn und willst Elia sein! Ihn hat Gott im<br />

Himmel verborgen, und von dorther kommt er am Ende der Tage wieder." So<br />

wäre der Anstoß an seiner Sendung mä<strong>ch</strong>tig und sein "Wort vergebli<strong>ch</strong> geworden.<br />

Als die Frager mit der Reihe der Namen zu Ende waren, die ihnen die Bibel<br />

darbot, fordern sie den Täufer auf, si<strong>ch</strong> selbst zu "erklären; er dürfe sie ni<strong>ch</strong>t<br />

ohne Antwort gehen lassen, da sie ihn im Namen derer verhören, die die heiligen<br />

Ämter verwalten und Gottes Gemeinde regieren. 1,22. 23: Nun sagten<br />

sie zu ihm: Wer bist du? Damit wir denen Antwort geben, die uns sandten.<br />

Was sagst du über di<strong>ch</strong>? Er sagte: I<strong>ch</strong> bin die Stimme dessen, der in der Wüste<br />

ruft: Bereitet den Weg des Herrn, wie der Prophet Jesaja gesagt hat (Jesaja<br />

40,3). Der Täufer nennt ihnen ein Wort des Propheten, an das sie ni<strong>ch</strong>t da<strong>ch</strong>ten,<br />

das ihren Blick ni<strong>ch</strong>t auf seine Person lenkte und sie ni<strong>ch</strong>t veranlaßte, mit<br />

neugierigem Staunen si<strong>ch</strong> an ihn zu hängen, dagegen sein ernstes Ziel ihnen<br />

in aller Deutli<strong>ch</strong>keit bes<strong>ch</strong>rieb und ihnen klar ma<strong>ch</strong>te, um was sie si<strong>ch</strong> zu kümmern<br />

haben und was den tiefen Ernst in jene Tage bra<strong>ch</strong>te. Er ist die verheißene<br />

Stimme in der Wüste, die verlangt, daß si<strong>ch</strong> das Volk für Gott bereit<br />

halte.<br />

<strong>Das</strong> hat wenig Eindruck auf sie gema<strong>ch</strong>t; es s<strong>ch</strong>ien ihnen ni<strong>ch</strong>t greifbar genug<br />

und traf mit ihren Wüns<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t zusammen. Sie hielten si<strong>ch</strong> daran, daß er<br />

weder der Christus no<strong>ch</strong> Elia no<strong>ch</strong> der wie Mose zu ehrende Prophet sei, also<br />

keiner von denen, auf die die Weissagung Israel mit Namen hingewiesen hatte,<br />

und verlangen deshalb von ihm Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aft, warum er dem Volk die Taufe<br />

auflege. 1,24. 25: Und abgesandt waren sie aus der Zahl der Pharisäer. Und<br />

sie befragten ihn und sagten zu ihm: Warum taufst du denn, wenn du ni<strong>ch</strong>t<br />

der Christus und ni<strong>ch</strong>t Elia und ni<strong>ch</strong>t der Prophet bist? Diejenigen Männer,<br />

die auf die Erfüllung des Gesetzes ihren Eifer ri<strong>ch</strong>teten, hatten zu diesem Verhör<br />

des Täufers den Anstoß gegeben und dafür gesorgt, daß sol<strong>ch</strong>e Priester<br />

und Leviten diesen Auftrag erhielten, die zu ihrer Gemeins<strong>ch</strong>aft gehörten. So<br />

stand es-damals in Jerusalem: das Ges<strong>ch</strong>ick des Volks lag in den Händen der<br />

Pharisäer, und von ihnen ging von Anfang an der Widerstand gegen <strong>Johannes</strong><br />

und gegen Jesus aus. Ni<strong>ch</strong>t nur der unfromme Teil des Volks, der si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t um<br />

Gott kümmerte, widerstrebte ihnen, sondern eine inwendig kranke, verfäls<strong>ch</strong>te<br />

Frömmigkeit vertrat ihnen den Weg. Der eingebildete Gottesdienst der geltenden<br />

Frommen behauptete si<strong>ch</strong> gegen die, die Gott in Wahrheit dienten. Den<br />

Pharisäern war nun das Taufen des Täufers besonders anstößig, ni<strong>ch</strong>t deshalb.


<strong>Johannes</strong> 1,22—29 19<br />

weil ihnen die Reinheit vor Gott glei<strong>ch</strong>gültig gewesen wäre, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t deshalb,<br />

weil sie am Wasserbad si<strong>ch</strong> gestoßen hätten; vielmehr erstrebten sie mit<br />

großem Eifer einen ununterbro<strong>ch</strong>en reinen Zustand ihrer Person und- tauften<br />

si<strong>ch</strong> dazu mit Pünktli<strong>ch</strong>keit unzähligemal. Gerade deshalb war ihnen aber<br />

diese neue Taufe anstößig, in der ein Zeugnis gegen ihre Gere<strong>ch</strong>tigkeit lag.<br />

<strong>Johannes</strong> behandelte damit au<strong>ch</strong> sie als die Unreinen, die si<strong>ch</strong> was<strong>ch</strong>en müssen,<br />

als die Verirrten, die in Gefahr stehen, Gottes Rei<strong>ch</strong> zu verlieren, und ma<strong>ch</strong>te<br />

dur<strong>ch</strong> seine neue Taufe ihre Taufen alt und unnütz. Sie wollten si<strong>ch</strong> das nur<br />

gefallen lassen, wenn er ein deutli<strong>ch</strong>es, von der S<strong>ch</strong>rift verbrieftes Re<strong>ch</strong>t dazu<br />

hätte. <strong>Das</strong> fehlte ihm jedo<strong>ch</strong>. Sie haben Jesajas "Wort s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t verstanden:<br />

Ma<strong>ch</strong>t den Weg des Herrn bereit! Dazu taufte <strong>Johannes</strong> ja, um dem Herrn die<br />

Gemeinde zu bereiten, die er in Gnade mit seiner himmlis<strong>ch</strong>en Gabe zu si<strong>ch</strong><br />

rufen könnte und ni<strong>ch</strong>t verstoßen und ri<strong>ch</strong>ten müßte. Darum ma<strong>ch</strong>t er ihnen<br />

deutli<strong>ch</strong>, wie sie si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> hier nur an Kleines halten und in ihrem Eifer um<br />

Nebensa<strong>ch</strong>en blind für das Wi<strong>ch</strong>tige werden, was eben jetzt ges<strong>ch</strong>ieht.<br />

1,26—28: <strong>Johannes</strong> antwortete ihnen und spra<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> taufe mit Wasser;<br />

mitten unter eu<strong>ch</strong> steht der, den ihr ni<strong>ch</strong>t kennt, der, der <strong>na<strong>ch</strong></strong> mir kommt, vor<br />

dem i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t würdig bin, den Riemen seines S<strong>ch</strong>uhs aufzuknüpfen. <strong>Das</strong> ges<strong>ch</strong>ah<br />

in Bethanien* jenseits vom Jordan, wo <strong>Johannes</strong> tauftje. <strong>Das</strong> Wasser<br />

s<strong>ch</strong>afft ni<strong>ch</strong>t die innerli<strong>ch</strong>e und wesentli<strong>ch</strong>e Erneuerung des Mens<strong>ch</strong>en zum<br />

ewigen Leben. Aber was er ni<strong>ch</strong>t kann, tut ein anderer, der s<strong>ch</strong>on gegenwärtig<br />

ist, wennglei<strong>ch</strong> ihnen no<strong>ch</strong> unbekannt, der, der ihn so ho<strong>ch</strong> überragt, daß er,<br />

wenn er kommt, mit seinem Dienst zu Ende ist, weil er ihm ni<strong>ch</strong>t helfen und<br />

ni<strong>ch</strong>t mit ihm zusammenwirken kann. Ni<strong>ch</strong>t den Riemen seines S<strong>ch</strong>uhs kann<br />

er ihm lösen; so ho<strong>ch</strong> steht er über ihm. Ausgerüstet mit Gottes Geist und<br />

Ma<strong>ch</strong>t treibt er sein Heilandswerk allein. Nun wußten sie, warum er tauft:<br />

weil der allein Große s<strong>ch</strong>on bei ihnen ist und es nun gilt, ihn zu erkennen, zu<br />

ihm zu kommen und ihren bösen Weg zu lassen, weil das ans Böse gebundene<br />

Herz ihn ni<strong>ch</strong>t erkennt und der stolze Sinn ihn vera<strong>ch</strong>tet.<br />

So zogen denn die Frager <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem mit dem Bes<strong>ch</strong>eid, daß keiner der<br />

Namen, auf die sie warteten, von <strong>Johannes</strong> als für ihn ges<strong>ch</strong>rieben in Anspru<strong>ch</strong><br />

genommen werde, sondern daß er nur von einem no<strong>ch</strong> größeren Boten Gottes<br />

gespro<strong>ch</strong>en habe, der nä<strong>ch</strong>stens ers<strong>ch</strong>einen werde, der aber no<strong>ch</strong> unbekannt sei.<br />

S<strong>ch</strong>on am nä<strong>ch</strong>sten Tage ges<strong>ch</strong>ah das Große, daß Jesus zu <strong>Johannes</strong> kam.<br />

1,29: Am nä<strong>ch</strong>sten Tage sieht er Jesus zu ihm kommen und sagt: Sieh! das<br />

Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt. Der Täufer lag mit der<br />

Sünde Israels in hartem Streit. Sie trieb ihn ins Fasten und Beten, ma<strong>ch</strong>te ihn<br />

• Da der Name sonst nirgends verkommt, ist die Lage des Orts unbekannt


20 Jesus offenbart die göttli<strong>ch</strong>e Gnade<br />

hart gegen die Trotzigen, beladen mit dem Geständnis vieler, immer neu zum<br />

Verkündiger der göttli<strong>ch</strong>en Vergebung für jeden, dem er die Taufe gab. Nun<br />

hat er den vor si<strong>ch</strong>, von dem er gewiß ist: dieser wird mit der Sünde der Mens<strong>ch</strong>en<br />

fertig. Er hebt sie weg, s<strong>ch</strong>ließt die dunkle, unheilvolle Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ab, in<br />

der Sünde an Sünde si<strong>ch</strong> heftet, weil er iri~rGottes Vollma<strong>ch</strong>t so zu vergeben<br />

vermag, daß vergeben ist, und die geheiligte Gemeinde s<strong>ch</strong>afft. Wel<strong>ch</strong> eine<br />

Aussi<strong>ch</strong>t! Niemand ermißt die Seligkeit, die in jener Stunde im Herzen des<br />

Täufers glühte: der ist da, der die "Welt von ihrer Sünde befreit!<br />

"Wie kann er dies? Als Gottes Lamm. Wie tägli<strong>ch</strong> zweimal das Lamm auf<br />

dem Altar zu_Gotte_s Eigentum gema<strong>ch</strong>twIrcT, so gibt er si<strong>ch</strong> hin in Gottes<br />

Dienst und ma<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> selber das vollkommene Opfer. Dann steht seine<br />

Ma<strong>ch</strong>t zu vergeben, und darum ist seine Gnade das Ende für die Sünde der<br />

Welt. Weil er si<strong>ch</strong> selbst in ganzer Liebe und vollem Gehorsam Gott dargibt,<br />

darum verzeiht er so, daß sein Verzeihen Reinheit und Gere<strong>ch</strong>tigkeit gewährt.<br />

S<strong>ch</strong>aut der Täufer s<strong>ch</strong>on auf das Kreuzj^ Der Evangelist blickt zweifellos<br />

dorthin, und au<strong>ch</strong> wir haben auf das Kreuz zu sehen; denn die Kreuzestat Jesu<br />

ist die Erfüllung dieses Worts. Dort hat er si<strong>ch</strong> vollends und für immer als<br />

Gottes Lamm bewährt. Wie weit aber das Auge des Täufers geöffnet war und<br />

mit prophetis<strong>ch</strong>er Klarheit das Kommende s<strong>ch</strong>on damals übersah, können wir<br />

ni<strong>ch</strong>t ermessen. Ausgespro<strong>ch</strong>en hat der Täufer dies und es Jesus als die heilige<br />

Regel für sein Werk mitgegeben, daß er deshalb zur Befreiung der Mens<strong>ch</strong>heit<br />

von ihrer Sünde und S<strong>ch</strong>uld berufen ist, weil er si<strong>ch</strong> selbstlos und gehorsam<br />

Gott zum Eigentum ergibt.<br />

Wenn der Täufer mit dem bösen Willen Israels stritt, bes<strong>ch</strong>rieb er den Kommenden<br />

als den Verwalter der ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t, der die Axt handhabt und<br />

die unfru<strong>ch</strong>tbaren Bäume beseitigt und wie der Worfelnde Spreu und Weizen<br />

s<strong>ch</strong>eidet, jene verbrennt, diesen in seine S<strong>ch</strong>eune bringt, Matthäus 3,10—12. Da<br />

weissagte er einen Christus voller Ma<strong>ch</strong>t, vor dem si<strong>ch</strong> der Sünder für<strong>ch</strong>ten<br />

muß. Hier aber nennt er ihn Gottes Lamm; denn hier spra<strong>ch</strong> er ni<strong>ch</strong>t zu den<br />

boshaften Gere<strong>ch</strong>ten und stolzen Heiligen, sondern redet in Jesu eigener<br />

Gegenwart, um ihm die zuzuführen, die bußfertig auf ihn warten. Immer hat<br />

er Christus als den Sieger über die Sünde bes<strong>ch</strong>rieben, immer ni<strong>ch</strong>t nur als den<br />

Verdammenden, sondern au<strong>ch</strong> als den Vergebenden, der den Weizen in seine<br />

S<strong>ch</strong>eune sammelt und die Gemeinde der Erlösten regiert. Die Ma<strong>ch</strong>t, die er von<br />

ihm weissagt, ist aus Gott ges<strong>ch</strong>öpft, und darum bildet sie keinen Gegensatz<br />

zum Weg des Lammes, das si<strong>ch</strong> selbst Gott dargibt und gerade dadur<strong>ch</strong> seine<br />

Ma<strong>ch</strong>t und seinen Sieg empfängt, daß es si<strong>ch</strong> Gott zum Opfer heiligt. Vor Gott


<strong>Johannes</strong> i,30. 31 21<br />

das Lamm, vor der "Welt und dem Teufel der Held mit der Axt, unter deren<br />

Strei<strong>ch</strong> das Unfru<strong>ch</strong>tbare fällt: so sah der Christus des Täufers aus.<br />

Hebt er die Sünde der "Welt fort, so ist ihm damit die herrli<strong>ch</strong>ste Ma<strong>ch</strong>t und<br />

Majestät zugeteilt. Diese Last zu heben ist nur Gottes Arm stark genug. Der<br />

Täufer spra<strong>ch</strong> aus, warum Jesus hierzu .die Ma<strong>ch</strong>t hat. 1,30: Dieser ist der,<br />

über den i<strong>ch</strong> sagte: Na<strong>ch</strong> mir kommt ein Mann, der vor mir geworden ist; denn<br />

er ist der Erste über mir. Dieser trat aus der Ewigkeit, aus Gottes Allerheiligstem<br />

hervor. Es war eine große Stunde, als im irdis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en der ewige<br />

Gott gegenwärtig, in dem in der Zeit Geborenen und Lebenden der über aller<br />

Zeit Lebendige, in dem uns Glei<strong>ch</strong>en der mit Gott Geeinte erkannt und bezeugt<br />

worden ist.<br />

£u einem sol<strong>ch</strong>en "Wort bedarf es göttli<strong>ch</strong>er Gewißheit. Eigenes Vermuten<br />

und Hoffen kann einen sol<strong>ch</strong>en Satz ni<strong>ch</strong>t tragen. Darum hat au<strong>ch</strong> der Täufer<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong> ausgespro<strong>ch</strong>en, daß er dur<strong>ch</strong> besondere "Weisung Gottes zu seiner<br />

Gewißheit gekommen ist. 1,31: Und i<strong>ch</strong> kannte ihn ni<strong>ch</strong>t, sondern damit er<br />

Israel geoffenbart werde, deshalb kam i<strong>ch</strong> als der, der mit Wasser tauft.<br />

Im Blick auf die Weih<strong>na<strong>ch</strong></strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, in der die göttli<strong>ch</strong>en Zei<strong>ch</strong>en den<br />

Lebenslauf des Täufers von seiner Geburt an mit dem Kommen Jesu verknüpfen,<br />

würden wir freili<strong>ch</strong> erwarten, daß, sowie die Knaben heranwu<strong>ch</strong>sen,<br />

beide die engste Verbindung vereint hätte, wie man s<strong>ch</strong>on lange in der Kir<strong>ch</strong>e<br />

gern beide Knaben nebeneinander malt. Um unserer Vermutungen willen, die<br />

uns hübs<strong>ch</strong> und wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>einen, dürfen wir aber die Angabe des Evangelisten<br />

ni<strong>ch</strong>t bezweifeln. Den Täufer stellte Gottes Führung von frühe an in<br />

die "Wüste, Lukas 1,80; Jesus dagegen zog mit seinen Eltern <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Heimkehr<br />

aus Ägypten <strong>na<strong>ch</strong></strong> Nazareth, und es gehört mit zu ihrer ernsten, gehorsamen<br />

Unterordnung unter Gottes Führung, daß weder von <strong>Johannes</strong> no<strong>ch</strong><br />

von Jesus eigenmä<strong>ch</strong>tige S<strong>ch</strong>ritte und ungeduldige Unternehmungen versu<strong>ch</strong>t<br />

worden sind. "Wie Jesus der Zimmermann blieb, bis ihn Gott berufe, so wartete<br />

<strong>Johannes</strong> in der "Wüste, bis ihn Gott sende, und beide warteten ni<strong>ch</strong>t umsonst.<br />

Jetzt liegt für den Täufer auf seinem Lebenswege volle Klarheit. Warum<br />

die Jahre si<strong>ch</strong> dehnten, in denen er ni<strong>ch</strong>t wußte, wo und wer der sei, dem die<br />

Engel sangen, warum er sodann die Weisung erhielt: Auf zum Jordan! Taufe<br />

Israel! das ist ihm nun alles klar. <strong>Das</strong> Ziel seiner Führung war, daß Jesus geoffenbart<br />

werde, und um so gewisser bezeugt er ihn nun, weil er ihm unbekannt<br />

geblieben war und sein eigenes Meinen und Wüns<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> gar ni<strong>ch</strong>t einzumis<strong>ch</strong>en<br />

vermo<strong>ch</strong>t hat. Einzig auf Gottes Zei<strong>ch</strong>en gestellt und dur<strong>ch</strong> dieses<br />

gewiß gema<strong>ch</strong>t, redet er und erfüllt dadur<strong>ch</strong>, daß er jetzt den zeigen kann,<br />

der das Lamm Gottes ist, seinen ganzen Dienst.


22 Jesus empfängt die ersten Jünger<br />

1,32—34: Und <strong>Johannes</strong> gab Zeugnis und sagte: I<strong>ch</strong> sah den Geist wie eine<br />

Taube aus dem Himmel herabkommen, und er blieb auf ihm. Und i<strong>ch</strong> kannte<br />

ihn ni<strong>ch</strong>t, sondern er, der mi<strong>ch</strong> sandte, damit i<strong>ch</strong> mit Wasser taufe, sagte zu<br />

mir: Der, auf den du den Geist herabkommen und auf dem du ihn bleiben<br />

siehst, ist der, der mit heiligem Geist tauft. Und i<strong>ch</strong> habe gesehen und Zeugnis<br />

gegeben, daß dieser der Sohn Gottes ist. Dieses "Wort zeigt deutli<strong>ch</strong>, daß die<br />

Taufe Jesu vor diesem Tage ges<strong>ch</strong>ehen ist, da <strong>Johannes</strong> sagt, daß er deshalb<br />

mit "Wasser habe taufen müssen, damit Jesus Israel offenbar werde. Darum<br />

sagt er au<strong>ch</strong>, der Anblick des Geists, der wie eine Taube auf Jesus kam und bei<br />

ihm blieb, sei das Zei<strong>ch</strong>en gewesen, an dem er <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem ihm gegebenen göttli<strong>ch</strong>en<br />

"Wort den Christus erkennen sollte. <strong>Das</strong>selbe war ni<strong>ch</strong>t willkürli<strong>ch</strong> gewählt.<br />

Im Namen Gottes sollte der Verheißene regieren, Gottes Werk ausri<strong>ch</strong>ten,<br />

Gottes "Willen tun. Dazu ma<strong>ch</strong>t allein Gottes Geist fähig. Inwendig in<br />

seiner eigenen Person muß er Gott bei si<strong>ch</strong> haben als den, der ihn innerli<strong>ch</strong><br />

hält, formt und lenkt. Darum ist der der Christus, dem der Geist gegeben ist,<br />

und offenbar wird er dadur<strong>ch</strong>, daß das Auge des Propheten geöffnet wird für<br />

den auf ihn kommenden Geist.<br />

Zwar war der Täufer dur<strong>ch</strong> ein göttli<strong>ch</strong>es "Wort ges<strong>ch</strong>ickt worden, um Israel<br />

im "Wasser zu taufen, und er wußte mit heller Gewißheit, daß er das im<br />

Auftrag Gottes tue. Ebenso gewiß war es ihm aber, daß kein "Wasser die<br />

Sünde der Welt wegnimmt. Darum sagte ihm derselbe Gott, der ihn sandte:<br />

"Was du mit deinem Wasser anstrebst, darstellst und verheißest, das s<strong>ch</strong>afft<br />

her<strong>na<strong>ch</strong></strong> der, der zu seinem Werk mit dem heiligen Geiste ausgerüstet ist. Mit<br />

dem Geist vermag er wahrhaft zu taufen, Buße zu wirken, Vergebung zu<br />

geben, neuen Willen zu wecken, S<strong>ch</strong>uldige zu heiligen, Gefallene aufzuri<strong>ch</strong>ten<br />

und aus einer Sünderwelt Gottes Gemeinde zu s<strong>ch</strong>affen. Dur<strong>ch</strong> den Geist hat<br />

er die Ma<strong>ch</strong>t, die Sünde der Welt fortzutun. Der kann das, auf den du im<br />

si<strong>ch</strong>tbaren Zei<strong>ch</strong>en den Geist kommen siehst.<br />

Wer Gottes Geist in si<strong>ch</strong> hat, der ist aber Gottes Sohn. Darum lautet die<br />

Bots<strong>ch</strong>aft, die der Täufer jetzt Israel zu sagen hat, daß Jesus der Sohn Gottes<br />

sei. <strong>Das</strong> sagt er, weil er es gesehen hat, weshalb sein Wort den Wert eines Zeugnisses<br />

besitzt.<br />

Kapitel 1,35—52<br />

Jesus empfängt die ersten Jünger<br />

Au<strong>ch</strong> den nä<strong>ch</strong>sten Tag hebt <strong>Johannes</strong> hervor; denn das ist der Tag, an dem<br />

er selbst zu Jesus kam. Er erzählt uns die große Wendung in seinem eigenen


<strong>Johannes</strong> 1,32-39b . 23<br />

Leben, die ihn zu Jesus führte und jene Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm begründete, die<br />

ihm alles, was er war, gab, sowohl seinen Anteil an Gott als seine Arbeit in<br />

der Welt.<br />

1,3 j. 36: Am nä<strong>ch</strong>sten Tage stand <strong>Johannes</strong> wieder da und von seinen Jüngern<br />

zwei, und er sah auf Jesus, der wanderte, und sagt: Sieh! das Lamm<br />

Gottes. Jesus war no<strong>ch</strong> beim Täufer. Was zwis<strong>ch</strong>en ihnen gespro<strong>ch</strong>en wurde,<br />

hat uns <strong>Johannes</strong> ni<strong>ch</strong>t erzählt, nur das eine, daß der Täufer, als Jesus wegging,<br />

ihm no<strong>ch</strong>mals den Namen „Gottes Lamm" gegeben hat. Er hatte kein<br />

besseres Wort, um kurz und deutli<strong>ch</strong> zu sagen, wie si<strong>ch</strong> ihm Jesu Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

mit Gott, sein Beruf und sein Unters<strong>ch</strong>ied von allen anderen darstellte. 1,37:<br />

Und es hörten die beiden Jünger ihn reden und gingen Jesus nado. Dieses Wort<br />

ergriff sie; sie wollten Gottes Lamm ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>eiden lassen, wollten zu denen ge^<br />

hören, deren Sünde er wegnimmt. Für <strong>Johannes</strong> war es ein guter Anfang seines<br />

Christenstandes, daß er von Anfang an deshalb zu Jesus kam, weil er<br />

Gottes Lamm in ihm sah. Di<strong>ch</strong>te Wolken von Mißverstand, sündli<strong>ch</strong>er Frömmigkeit<br />

und fals<strong>ch</strong>er Theologie haben Jesu Arbeit an den Mens<strong>ch</strong>en, au<strong>ch</strong> an<br />

seinen Jüngern, ers<strong>ch</strong>wert. Aber au<strong>ch</strong> dafür hat Gottes Regierung immer wieder<br />

gesorgt, daß der Nebel zerriß und der Blick der Mens<strong>ch</strong>en für das erwa<strong>ch</strong>te,<br />

was die Gnade s<strong>ch</strong>uf, so daß sie mit dem Verlangen zu Jesus kamen, das er erfüllen<br />

konnte. Weil <strong>Johannes</strong> von Anfang an zum Lamm Gottes kam, deshalb<br />

lag er au<strong>ch</strong> in detXeidens<strong>na<strong>ch</strong></strong>t anjes.u, BnistL.uniLstancLujiter^euiein.-KEeuz.<br />

S<strong>ch</strong>weigend gingen <strong>ch</strong>'e beiden Männer Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong>; es war ni<strong>ch</strong>t ihre Sa<strong>ch</strong>e,<br />

si<strong>ch</strong> ihm anzubieten. 1,38a: Aber Jesus wandte si<strong>ch</strong> um und sah sie ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>gehen<br />

und sagt zu ihnen: Was su<strong>ch</strong>t ihr? <strong>Das</strong> ist das erste Wort Jesu, das uns •<br />

der Evangelist beri<strong>ch</strong>tet, zuglei<strong>ch</strong> das erste, das Jesus an ihn selbst geri<strong>ch</strong>tet hat. I<br />

Es hat un<strong>na<strong>ch</strong></strong>ahmli<strong>ch</strong>e Einfalt und Natürli<strong>ch</strong>keit. Was su<strong>ch</strong>t ihr? Ja, wenn sie<br />

das nur selber gewußt hätten! Der Täufer hatte ihn als den Christus gepriesen,<br />

dur<strong>ch</strong> den Gott seine Gemeinde vollendet, als Gottes Lamm, das er für si<strong>ch</strong> geheiligt<br />

hat und das si<strong>ch</strong> ihm ergibt, so daß die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Sünde dur<strong>ch</strong> ihn beseitigt<br />

wird. Aber wie nun dies ges<strong>ch</strong>ehe, auf wel<strong>ch</strong>em Wege er sein Ziel herstelle,<br />

was er ihnen gewähren wolle und wie er sie brau<strong>ch</strong>en könne, was konnten<br />

sie damals darüber sagen? 1,38b: Sie aber sagten zu ihm: Rabbi (das heißt<br />

übersetzt: Lehrer), wo bleibst du? <strong>Das</strong> su<strong>ch</strong>en sie zunä<strong>ch</strong>st; sie mö<strong>ch</strong>ten wissen,<br />

wo sie ihn finden, mö<strong>ch</strong>ten verhüten, daß er ihnen unerrei<strong>ch</strong>bar wird, mö<strong>ch</strong>ten<br />

den Zugang zu ihm behalten, zu ihm, über dem ja das offene Himmelrei<strong>ch</strong><br />

glänzt. 1,39a: Er sagt zu ihnen: Kommt, und ihr werdet es sehen, und<br />

lädt sie dadur<strong>ch</strong> freundli<strong>ch</strong> zu si<strong>ch</strong> ein. 1,39b: Darum kamen sie, und sie sahen,<br />

wo er blieb, und blieben jenen Tag bei ihm. Es war aber etwa die zehnte


2 4 Jesus empfängt die ersten Jünger<br />

Stunde. So ward <strong>Johannes</strong> Jesu Eigentum, und er blieb es. Er wußte no<strong>ch</strong>, wie<br />

spät es ungefähr war, als er zum erstenmal bei Jesus einkehrte. "Wenn es au<strong>ch</strong><br />

nur no<strong>ch</strong> zwei Stunden bis zum Sonnenuntergang war, so rei<strong>ch</strong>ten diese Stunden<br />

do<strong>ch</strong> aus, um ihnen den Einblick in Jesu Ziel zu geben.<br />

1,40.41: Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer von den beiden,<br />

die es von <strong>Johannes</strong> gehört hatten und Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong>gegangen waren. Dieser findet<br />

zuerst seinen Bruder Simon und sagt zu ihm: Wir haben den Messias gefunden<br />

(das heißt übersetzt: Christus, Gesalbter). BeideMänner hatten Brüder,<br />

und ihnen bra<strong>ch</strong>ten sie das gewaltige Wort, das ihnen nun Gewißheit geworden<br />

war, der Verheißene sei da und ihnen bekannt. Der eine der beiden war<br />

Andreas, der seinen Bruder Simon zu Jesus holte. Do<strong>ch</strong> der andere hatte au<strong>ch</strong><br />

einen Bruder; denn der Evangelist sagt: Dieser findet zuerst den eigenen<br />

Bruder Simon; später fand au<strong>ch</strong> <strong>Johannes</strong> seinen Bruder Jakobus. Wir hören,<br />

wie der erste Ans<strong>ch</strong>luß der vier Hauptjünger an Jesus ges<strong>ch</strong>ehen ist.<br />

1,42: Er führte ihn zu Jesus. Jesus sah ihn an und sagte: Du bist Simon, der<br />

Sohn des <strong>Johannes</strong>. Du wirst Kephas heißen (das wird übersetzt: Petrus, Fels).<br />

Jesu erstes und wi<strong>ch</strong>tigstes Anliegen war die Sammlung und Berufung seiner<br />

Jünger, weil er an sie zur Ausri<strong>ch</strong>tung seines Werks gewiesen war. Dur<strong>ch</strong> ihren<br />

Dienst wird Gottes Wort und Gnade zur Mens<strong>ch</strong>heit kommen und die Gemeinde<br />

entstehen, die mit Jesus verbunden ist und dur<strong>ch</strong> ihn ihr Leben in Gott<br />

hat. Dadur<strong>ch</strong>, daß ihm Gott Jünger zuführte, bekam das Wort die Hörer,<br />

die es aufnahmen, und die Liebe die Empfänger ihrer Gabe, denen sie si<strong>ch</strong> mit<br />

allen ihren Gütern s<strong>ch</strong>enken konnte. Mit ihnen war Jesus au<strong>ch</strong> für später das<br />

Werkzeug gegeben, dur<strong>ch</strong> das seine Sendung zu ihrem Ziel gelangen wird,<br />

der Mund, dur<strong>ch</strong> den er Gottes Wort in die Welt hinaus spre<strong>ch</strong>en kann, die<br />

Hand, dur<strong>ch</strong> die er die Mens<strong>ch</strong>heit zu si<strong>ch</strong> zieht, die Reben, die der Weinstock<br />

aus si<strong>ch</strong> erzeugt, an denen seine Fru<strong>ch</strong>t her<strong>na<strong>ch</strong></strong> wa<strong>ch</strong>sen wird. Deshalb<br />

gab es für Jesus kein göttli<strong>ch</strong>es Ges<strong>ch</strong>enk, das er dem glei<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ätzte, daß Gott<br />

ihm Jünger gab. Darum hat er au<strong>ch</strong> ihre Berufung mit dem Vater bespro<strong>ch</strong>en,<br />

ihn um seine Leitung bei ihr gebeten und sie au<strong>ch</strong> empfangen. Darum wußte<br />

er, als Simon zu ihm kam: mit diesem ist dir der feste Grund zur Gemeinde<br />

gegeben; dieser wird dein Gehilfe und Genosse und dir als dein Bote dienen;<br />

keine Ma<strong>ch</strong>t der Welt wird dir den wieder rauben, sondern mit fester Kraft<br />

wird er den Kreis der Deinen halten und tragen, wie der Fels den Bau trägt,<br />

der auf ihm steht.<br />

Ni<strong>ch</strong>t ein Lob Simons ist damit ausgespro<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t eine Bes<strong>ch</strong>reibung seiner<br />

natürli<strong>ch</strong>en Art und Eigens<strong>ch</strong>aft damit gegeben; auf die natürli<strong>ch</strong>e Art<br />

und das Temperament der Mens<strong>ch</strong>en hat Jesus ni<strong>ch</strong>ts gebaut. Au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bloß


<strong>Johannes</strong> 1,40—46 25<br />

ein neuer Name ist ihm damit beigelegt, der an die Stelle seines alten Namens<br />

treten sollte; vielmehr erhält er zu seinem alten Namen „Simon" einen neuen,<br />

der das ausdrückt, wozu ihn Gott brau<strong>ch</strong>t, was er unter Jesu Führung in seinem<br />

Dienst vollbringen darf. Wie Jesus der Name Christus gegeben ist, der<br />

ihn zum Herrn der Gemeinde bestellt, so gibt er Simon den Namen „Petrus",<br />

der ihn zu dem bestellt, der die Kir<strong>ch</strong>e sammeln, halten und stärken wird.<br />

S<strong>ch</strong>on hier ist das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en <strong>Johannes</strong> und Petrus in derselben Weise<br />

bes<strong>ch</strong>rieben, wie es später im Eyangelium öfter wieder zum Vors<strong>ch</strong>ein kommt.<br />

Beiden war ein besondrer Vorzug gegeben. <strong>Johannes</strong> war der erste, der zu<br />

Jesus kam, hat den hellsten Blick für ihn und steht ihm bleibend am nä<strong>ch</strong>sten.<br />

Petrus aber hat vor ihm die <strong>na<strong>ch</strong></strong> außen dur<strong>ch</strong>bre<strong>ch</strong>ende Tat und den wirksamen<br />

Dienst Jesu voraus. Ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on in <strong>Johannes</strong>, sondern in Simon hat<br />

Jesus den erkannt, auf den er seine Gemeinde stellen wird.<br />

1,43.44: Am nädosten Tage wollte er <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa weggehen und findet<br />

Philippus. Und Jesus sagt zu ihm: Folge mir! Philippus war aber aus Bethsaida,<br />

aus der Stadt des Andreas und Petrus. Jeder der Jünger findet den Zugang<br />

zu Jesus in besonderer Weise. Die beiden ersten führte das Wort des<br />

Täufers zu ihm; den Simon holt Andreas; den Philippus fordert Jesus selber<br />

auf, mit ihm zu ziehen; Nathanael kommt als Zweifelnder und bleibt, weil<br />

Jesus seinen Zweifel niederwirft. Do<strong>ch</strong> hat es der Evangelist au<strong>ch</strong> bei Philippus<br />

hervorgehoben, daß es ni<strong>ch</strong>t an einer natürli<strong>ch</strong>en Beziehung fehlte, die<br />

seinen Zutritt zum Jüngerkreis erlei<strong>ch</strong>terte. Er war wie Petrus und Andreas<br />

aus Bethsaida, kannte sie also s<strong>ch</strong>on längst. Daß diese ihm bekannten Männer<br />

si<strong>ch</strong> zu Jesus hielten, gab au<strong>ch</strong> ihm zum Glauben Mut.<br />

Mit der Bots<strong>ch</strong>aft vom Kommen des Verheißenen überras<strong>ch</strong>t Philippus<br />

Nathanael*. 1,45.46: Philippus findet Nathanael und sagt zu ihm: Den, von<br />

dem Mose im Gesetz und die Propheten s<strong>ch</strong>rieben, haben wir gefunden, Jesus,<br />

den Sohn Josephs, aus Nazareth. Und Nathanael sagte zu ihm: Aus Nazareth<br />

kann es etwas Gutes sein! Philippus sagt zu ihm: Komm und sieh! Da<br />

Philippus Jesus mit demjenigen Namen nennt, mit dem ihn alle seine Zeitgenossen<br />

bezei<strong>ch</strong>neten, so regt si<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> der jüdis<strong>ch</strong>e Anstoß an Jesu Niedrigkeit.<br />

War Nazareth die re<strong>ch</strong>te Heimat des Christus? Aus dem Dörflein in den<br />

galiläis<strong>ch</strong>en Hügeln, das niemand kannte, als wer landeskundig war, stammt<br />

der Herr im Himmelrei<strong>ch</strong>, den Engel und Mens<strong>ch</strong>en ewigli<strong>ch</strong> loben! S<strong>ch</strong>arf<br />

empfindet Nathanael diesen Anstoß. Auf die S<strong>ch</strong>rift hatte si<strong>ch</strong> Philippus berufen<br />

und Jesus den genannt, von dem Mose und die Propheten s<strong>ch</strong>rieben;<br />

• In den Verzei<strong>ch</strong>nissen der zwöli Jünger steht neben Philippus Bartholomäus, d. h. der Sohn des Ptolemäus.<br />

Viellei<strong>ch</strong>t ist Nathanael derselbe wie Bartholomäus und nur daseine Malmitseinein eigenen Namen.<br />

das andere Mal <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Namen des Vaters bezei<strong>ch</strong>net


2 6 Jesus empfängt die ersten Jünger<br />

Nazareth stimmt aber ni<strong>ch</strong>t mit der S<strong>ch</strong>rift. Nathanael lä<strong>ch</strong>elt über den Toren,<br />

der einem Christus aus Nazareth <strong>na<strong>ch</strong></strong>läuft. Derselbe Spott ist no<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

Jahrhunderte hindur<strong>ch</strong> fortgesetzt worden. Die Priester und Lehrer Jerusalems<br />

haben die Christenheit die Nazarener genannt und gemeint, s<strong>ch</strong>on dieser<br />

Name ma<strong>ch</strong>e ihre Torheit offenbar.<br />

Î Philippus gab Nathanael die einzige Antwort, die zu geben war. Komm<br />

ijund sieh! Und er kommt. Er traut dem Christus aus Nazareth ni<strong>ch</strong>t, wagt aber<br />

ni<strong>ch</strong>t, über das Zeugnis derer, die ihn kennen, in blindem Ho<strong>ch</strong>mut abzuspre<strong>ch</strong>en.<br />

1,47: Jesus sah Nathanael zu si<strong>ch</strong> kommen und sagt von ihm: Sieh!<br />

wahrhaftig ein Israelit, in dem ni<strong>ch</strong>t Trug ist. Obglei<strong>ch</strong> Nathanael mit starkem<br />

Argwohn kommt, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als Gläubiger, freut si<strong>ch</strong> Jesus denno<strong>ch</strong> an ihm<br />

seiner Aufri<strong>ch</strong>tigkeit wegen. Er spri<strong>ch</strong>t aus, was- ihn stärkt und was ihn<br />

s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t. Ein e<strong>ch</strong>ter Israelit ist er, wenn er si<strong>ch</strong> an der Niedrigkeit Jesu stößt,<br />

alsbald <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Herrli<strong>ch</strong>keit des Christus verlangt, darum si<strong>ch</strong> gegen Nazareth<br />

sträubt und es ni<strong>ch</strong>t versteht, wie einer aus Nazareth vor die "Welt als<br />

Christus treten könne. Und ein e<strong>ch</strong>ter Israelit ist er au<strong>ch</strong> darum, weil ihn denno<strong>ch</strong><br />

die Bots<strong>ch</strong>aft von der Ankunft des Verheißenen ni<strong>ch</strong>t ruhen läßt, sondern<br />

die Hoffnung Israels ihn treibt, si<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem umzusehen, der sie zu erfüllen<br />

verspri<strong>ch</strong>t.<br />

In diesem freudigen "Worte liegt zuglei<strong>ch</strong> ein tiefer S<strong>ch</strong>merz. Ein Israelit<br />

ohne Lug und Trug! Jesus bezei<strong>ch</strong>net das als eine große Sa<strong>ch</strong>e und ma<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong><br />

si<strong>ch</strong>tbar, wie sehr er unter der Heu<strong>ch</strong>elei und Unredli<strong>ch</strong>keit Israels gelitten<br />

hat, wie tief ihm all die frommen Lügen und Listen desselben die<br />

Seele verwundeten. Hier trifft er do<strong>ch</strong> einen, der redli<strong>ch</strong> ist; so nimmt er ihn<br />

freudig auf als Bürgs<strong>ch</strong>aft, daß, wo nur Redli<strong>ch</strong>keit sei, au<strong>ch</strong> der Jude den<br />

"Weg zu ihm finden wird.<br />

1,48: Nathanael sagt zu ihm: Woher kennst du mi<strong>ch</strong>? Jesus antwortete und<br />

spra<strong>ch</strong> zu ihm: Bevor di<strong>ch</strong> Philippus rief, als du unter dem Feigenbaum warst,<br />

sah i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong>. Au<strong>ch</strong> dieses "Wort entsprang der Zwiespra<strong>ch</strong>e Jesu mit dem Vater,<br />

die seine Auswahl der Jünger begleitete und regelte. Er war auf Nathanaels<br />

Kommen vorbereitet. Der Vater hatte ihn ihm gezeigt, ehe er kam. "Wenn wir<br />

vermuteten, daß Nathanael unter dem Feigenbaum etwas erlebt oder beda<strong>ch</strong>t<br />

habe, was für sein inneres Leben von Bedeutung war, würden wir s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong><br />

fehlgreifen. Do<strong>ch</strong> hat uns der Evangelist ni<strong>ch</strong>t gesagt, was dort ges<strong>ch</strong>ehen ist,<br />

sondern legt darauf den Na<strong>ch</strong>druck, daß Jesus Nathanael s<strong>ch</strong>on kannte, als er<br />

zu ihm kam, und Gott ihm einen Blick in sein Herz und Leben vers<strong>ch</strong>afft<br />

hatte, ehe er ihn als seinen Jünger bei si<strong>ch</strong> aufgenommen hat.<br />

Da vergaß Nathanael Nazareth, und die Niedrigkeit Jesu ist dadur<strong>ch</strong> über-


<strong>Johannes</strong> 1,47-51; 2,1-3<br />

strahlt, daß ihm der Blick in sein Herz gegeben war, und er gibt ihm die Namen,<br />

die dem Verheißenen gebühren. 1,49-51: Nathanael antwortete ihm:<br />

Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels. Jesus antwortete<br />

und sagte zu ihm: Weil i<strong>ch</strong> dir sagte, daß i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong> unter dem Feigenbaum sah,<br />

glaubst du. Größeres als dieses wirst du sehen. Und er sagt zu ihm: Wahrli<strong>ch</strong>,<br />

wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Ihr werdet den Himmel offen und die Engel<br />

Gottes hinaufsteigen und auf den Sohn des Mens<strong>ch</strong>en herabsteigen sehen. Sein<br />

Bekenntnis nennt Jesus Glauben und bestätigt es dadur<strong>ch</strong>; er gibt ihm aber<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig die Verheißung, daß er in seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft no<strong>ch</strong> Größeres<br />

sehen und dadur<strong>ch</strong> für seinen Glauben no<strong>ch</strong> einen rei<strong>ch</strong>eren und festeren<br />

Grund empfangen werde. Er wird erleben, in wel<strong>ch</strong>er Gemeins<strong>ch</strong>aft Jesus mit<br />

dem Vater und dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit seinen Engeln steht. Mit dankbarer Freude<br />

nahm er aus der Hand des Vaters die Männer an, die ihm als seine Mitarbeiter<br />

in seinem Heilandsamt dienen werden; es sind jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einzig sie seine<br />

Diener und Gehilfen. Vielmehr ist der Himmel für ihn offen, und seine herrli<strong>ch</strong>en<br />

Geister begleiten ihn, unterstützen ihn bei seinem Werk und gehen darum<br />

als die willigen Boten zwis<strong>ch</strong>en ihm und dem göttli<strong>ch</strong>en Throne auf und<br />

nieder. Davon sollen au<strong>ch</strong> seine Jünger Zeugen sein. Er sagt ihnen zum Trost<br />

und zur Erhebung über alle Verzagtheit am Anfang ihrer Jüngers<strong>ch</strong>aft, daß<br />

ni<strong>ch</strong>t bloß sie, die wenigen und s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Männer, mit ihm Gottes Werk zu<br />

treiben haben, sondern es erleben werden, daß ihm alle Ma<strong>ch</strong>t und Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

des Himmels zur Seite steht.<br />

Kapitel 2,1—11<br />

v. <strong>Das</strong> Zei<strong>ch</strong>en für die Jünger<br />

Am dritten Tag <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Verheißung Jesu an Nathanael, daß er sehen<br />

werde, wie die Engel dem Mens<strong>ch</strong>ensohn dienen, war in seiner Heimat, 21,2,<br />

in Kana, ein Ho<strong>ch</strong>zeitsfest. 2,1—3: Und am dritten Tage fand eine Ho<strong>ch</strong>zeit in<br />

Kana in Galiläa statt, und die Mutter Jesu war dort. Aber au<strong>ch</strong> Jesus und seine<br />

Jünger wurden zur Ho<strong>ch</strong>zeit geladen. Und da es an Wein gebra<strong>ch</strong>, sagte die<br />

Mütter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein. <strong>Das</strong> Haus, in dem Jesus einkehrte,<br />

war ni<strong>ch</strong>t rei<strong>ch</strong>. Der Vorrat an Wein ging zu Ende. Da wendet si<strong>ch</strong><br />

die Mutter an ihn mit der si<strong>ch</strong>eren Erwartung, er werde helfen. Sie drückte<br />

ihre Zuversi<strong>ch</strong>t nur um so bestimmter aus, weil sie ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> bat, sondern<br />

ihm nur sagte, wie es stand. <strong>Das</strong> zeigt uns, mit wel<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t die Bots<strong>ch</strong>aft<br />

in die Herzen der Seinigen fuhr: Gott hat Jesus als den Christus geoffenbart;<br />

der Täufer hat ihn bezeugt; er hat seihe ersten Jünger gesammelt<br />

2 7


2 8 <strong>Das</strong> Zei<strong>ch</strong>en für die Jünger<br />

und tritt seine Herrs<strong>ch</strong>aft nun an. Da streckte si<strong>ch</strong> die Erwartung <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem<br />

Hö<strong>ch</strong>sten: jetzt kommen Gottes große Wunder. Israels Gott war von jeher<br />

ein Gott der Wunder, und wenn sein Königtum si<strong>ch</strong>tbar wird, so ist es voll<br />

von seiner Herrli<strong>ch</strong>keit. Wie sollte es mögli<strong>ch</strong> sein, daß da, wo der König des<br />

Himmelrei<strong>ch</strong>s zu Tis<strong>ch</strong>e sitzt, Mangel eintrete? Es waren festli<strong>ch</strong>e Tage in<br />

Marias Leben, während deren ihr Loblied wieder mä<strong>ch</strong>tig in ihr klang: Meine<br />

Seele erhebt den Herrn! Sollte si<strong>ch</strong> nun an diese Tage ein Mißklang hängen<br />

und sie Jesus ni<strong>ch</strong>t bitten dürfen, jede Störung von diesem Feste abzuwehren?<br />

Es war Jesu ernste Aufgabe, diesen Erwartungen die re<strong>ch</strong>te Gestalt zu<br />

geben. Es lag Glaube in denselben, den er ni<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>ämte. Wie sollte er den<br />

Glauben verderben, da er do<strong>ch</strong> gekommen war, ihn zu erwecken? Allein dieser<br />

Glaube bedurfte der Reinigung; denn es war no<strong>ch</strong> ein eilfertiger Glaube, der<br />

seine Wüns<strong>ch</strong>e aus einer dunklen, geringen Kenntnis Gottes zog und sie trotzdem<br />

Jesus als Gesetz entgegentrug. Er mußte ihn beugen ins stille Warten und<br />

Aufmerken auf Gottes Tat.<br />

2,4: Und Jesus sagt zu ihr: Was habe i<strong>ch</strong> mit dir zu tun, Frau? Meine Stunde<br />

ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gekommen. Es war unerläßli<strong>ch</strong>, daß die Seinigen glei<strong>ch</strong> von Anfang<br />

an si<strong>ch</strong> unter seine Leitung beugten. Darum wies Jesus die Mutter fest<br />

und ernst zurück. S<strong>ch</strong>on der Name, mit dem er sie anredete, erinnerte sie an<br />

ihren Platz. Soll die Frau regieren, den Christus leiten, Gott Stunde und Weg<br />

vors<strong>ch</strong>reiben? Sie hat ni<strong>ch</strong>ts von ihm zu verlangen, und er kann ni<strong>ch</strong>t auf ihre<br />

Wüns<strong>ch</strong>e a<strong>ch</strong>ten. Er tut jede Abhängigkeit ihr gegenüber ab. Die Mutter<br />

meinte freili<strong>ch</strong>, sie habe hier viel zu wüns<strong>ch</strong>en und zu raten; er ist ja ihr Sohn.<br />

Aber den Sohn, den sie leiten könnte und dürfte, hat sie verloren. Nun gilt ein<br />

anderer Wille, ni<strong>ch</strong>t mehr ihr Wuns<strong>ch</strong>. Er kann nur handeln, wenn seine<br />

Stunde da ist, und diese führt der Vater herbei, an dessen Leitung er völlig<br />

gebunden ist. Auf seine Stunde hat Maria gewartet, auf die Stunde, in der das<br />

Geheimnis offenbar werde, das von seiner Geburt her in ihm lag, und die ihm<br />

verheißene Herrli<strong>ch</strong>keit ers<strong>ch</strong>eine. Nun s<strong>ch</strong>ien sie gekommen: der Täufer hatte<br />

gespro<strong>ch</strong>en; die Jünger s<strong>ch</strong>auten gläubig zu ihm auf; Jesus selbst stand da,<br />

seiner Sendung gewiß. Nun hört sie no<strong>ch</strong> einmal: Meine Stunde ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

gekommen, Er wartet no<strong>ch</strong> und sieht das, was sie s<strong>ch</strong>on für gekommen hält,<br />

die Befreiung von allem Mangel und jedem Druck, das Si<strong>ch</strong>tbarwerden der<br />

göttli<strong>ch</strong>en Hilfe, den Mitgenuß an Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit und Ma<strong>ch</strong>t, erst in der<br />

Zukunft kommen. Au<strong>ch</strong> sein Gott ist ein Gott der Wunder und sein Rei<strong>ch</strong> voll<br />

Herrli<strong>ch</strong>keit, nur jetzt no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Auf was wartet er no<strong>ch</strong>? „Du Lamm Gottes",<br />

hat ihm der Täufer zugerufen, „das der Welt ihre Sünde nimmt!"<br />

Es ist ein ähnli<strong>ch</strong>er Vorgang wie einst im Tempel zur Zeit, als Jesu selbstän-


<strong>Johannes</strong> 2,4—8 29<br />

dige Teilnahme am Gottesdienst Israels begann. Wie es dort sofort offenbar<br />

wurde, daß die Mutter ihn ni<strong>ch</strong>t verstand und ni<strong>ch</strong>t führen konnte, weil sie<br />

von jener „Notwendigkeit" ni<strong>ch</strong>ts wußte, die ihn im Hause des Vaters festhielt,<br />

vielmehr es für nötig hielt, jetzt <strong>na<strong>ch</strong></strong> Hause zu gehen, so mußte sie, sowie<br />

Jesus mit dem Blick auf das messianis<strong>ch</strong>e Ziel handelte, wieder erkennen,<br />

daß sie ihn ni<strong>ch</strong>t verstehe, seine Stunde ni<strong>ch</strong>t wisse, ihn ni<strong>ch</strong>t anspornen und<br />

ni<strong>ch</strong>ts von ihm fordern dürfe, sondern zu warten habe, bis er frei handle der<br />

Leitung Gottes gewiß. Wie aber dort im Tempel Maria den Sohn ni<strong>ch</strong>t verlor,<br />

sondern Jesus willig mit ihr <strong>na<strong>ch</strong></strong> Nazareth ging, weil er au<strong>ch</strong> dort in der<br />

Unterordnung unter die Eltern „in dem, was des Vaters ist", blieb, so ward<br />

ihr au<strong>ch</strong> diesmal die Erwartung ni<strong>ch</strong>t getäus<strong>ch</strong>t, weil er, obglei<strong>ch</strong> seine Stunde<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gekommen war, au<strong>ch</strong> in der dienenden Haltung des Niedrigen der<br />

unbegrenzten Ma<strong>ch</strong>t des Vaters froh und gewiß war und sie wirksam zu<br />

ma<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> ermä<strong>ch</strong>tigt sah.<br />

Maria beugte si<strong>ch</strong> und ließ ihn frei, hielt aber au<strong>ch</strong> an ihrer Zuversi<strong>ch</strong>t uners<strong>ch</strong>üttert<br />

fest. 2,5: Seine Mutter sagt zu den Dienern: Tut, was er eu<strong>ch</strong> sagt!<br />

Sie bleibt dabei: weil er hier ist, kann es ni<strong>ch</strong>t zur Störung des Festes kommen;<br />

er weiß Rat. Und Jesus selbst hat ebenso geda<strong>ch</strong>t; er gibt den Seinigen<br />

re<strong>ch</strong>t, wenn sie mit der Erwartung auf ihn sehen: Bist du bei uns, so ist jeder<br />

Mangel fern. Weil die Stunde no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gekommen ist, tut er das Wunder<br />

ni<strong>ch</strong>t aus eigenem Antrieb, ni<strong>ch</strong>t von selbst, weil die Zeit no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t da ist, in<br />

der er den Seinen den hellen, vollen Genuß der göttli<strong>ch</strong>en Güte und die wahrhafte<br />

Festfeier in ungestörter Freude bereiten kann. Na<strong>ch</strong>dem er aber um die<br />

Gabe und Hilfe gebeten ist, versagt er sie ni<strong>ch</strong>t. Man darf ni<strong>ch</strong>t sagen, daß es<br />

si<strong>ch</strong> um eine Kleinigkeit gehandelt habe. Es handelte si<strong>ch</strong> um den Glauben der<br />

Seinigen, und den Glauben hat Jesus nie als etwas Geringfügiges behandelt,<br />

unbekümmert, ob er wa<strong>ch</strong>se oder verderbe, wie au<strong>ch</strong> heute no<strong>ch</strong> Gottes Regierung<br />

niemals und nirgends den Glauben übersieht, sondern ihm in der<br />

Leitung der großen und der kleinen Dinge diejenige Erhörung und Erfahrung<br />

gewährt, in der er Grund und Kraft gewinnt.<br />

Was nun ges<strong>ch</strong>ah, entzieht si<strong>ch</strong> der Bes<strong>ch</strong>reibung, weil es ins Geheimnis des<br />

s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en Wirkens fällt. 2,6—8: Es waren dort aber se<strong>ch</strong>s steinerne<br />

Wasserkrüge hingestellt der Reinigung der Juden wegen, die je zwei oder drei<br />

Maß faßten. Jesus sagt zu ihnen: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie ma<strong>ch</strong>ten<br />

sie bis oben voll. Und er sagt zu ihnen: S<strong>ch</strong>öpft jetzt, und bringt es dem<br />

Vorsteher'des Mahls! Sie aber bra<strong>ch</strong>ten es ihm. <strong>Das</strong> Zei<strong>ch</strong>en bekam dadur<strong>ch</strong><br />

seine besondere Bedeutsamkeit, daß Jesus hier ni<strong>ch</strong>t, wie später so oft, aus Erbarmen<br />

mit großer Not, die ein Mens<strong>ch</strong>enleben zerrüttete, sondern als der


3° <strong>Das</strong> Zei<strong>ch</strong>en für die Jünger<br />

Diener der Freude an den Seinen handelte und einem ho<strong>ch</strong>zeitli<strong>ch</strong>en Feste die<br />

Vollendung gab. So wurde dieses Zei<strong>ch</strong>en ein bedeutsamer Ausdruck für das,<br />

was mit ihm der "Welt gegeben ist. Er kam ja mit seinen Jüngern soeben vom<br />

Jordan, wo der Täufer den tiefen Ernst der Buße und Fur<strong>ch</strong>t Gottes in die<br />

Seele der Ers<strong>ch</strong>ütterten legte und ihnen zu zeigen vermo<strong>ch</strong>te, daß es zu ringen<br />

gelte, um dur<strong>ch</strong> die enge Pforte einzugehen. Diese Fur<strong>ch</strong>t und dieses Ringen<br />

waren das ri<strong>ch</strong>tige und nötige Ergebnis des ganzen bisherigen Gottesdienstes<br />

unter dem Gesetz; au<strong>ch</strong> beim ho<strong>ch</strong>zeitli<strong>ch</strong>en Feste fehlten ja die großen Wasserkrüge<br />

ni<strong>ch</strong>t, die der steten peinli<strong>ch</strong>en Sorge für die Reinheit dienten und<br />

die Jesus nun zu seinem Zweck verwendete. Jetzt bri<strong>ch</strong>t etwas Neues an: die<br />

dankbare Freude im Genuß der göttli<strong>ch</strong>en Gabe beginnt; Jesu Beruf ist es, die,<br />

denen ihr Gottesdienst nur Mühsal und Belastung bra<strong>ch</strong>te, zu erquicken, und<br />

eben da, wo der eigene Vorrat zu Ende ist, füllt seine Gabe allen Mangel aus.<br />

Zur eigenen Verherrli<strong>ch</strong>ung hat Jesus seine Zei<strong>ch</strong>en nie gebrau<strong>ch</strong>t. Er ma<strong>ch</strong>t<br />

au<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t selber offenbar, was er getan hat. 2,9.10: Als aber derVorsteher<br />

des Mahls das Wasser kostete, das Wein geworden war, und ni<strong>ch</strong>t wußte, woher<br />

er sei, die Diener aber wußten es, die das Wasser ges<strong>ch</strong>öpft hatten, ruft der<br />

Vorsteher des Mahls den Bräutigam an und sagt zu ihm: Jeder Mens<strong>ch</strong> stellt<br />

den guten Wein zuerst auf, und wenn sie trunken sind, den geringeren. Du<br />

hast den guten Wein bis jetzt aufgespart. So wurde Jesu Gabe offenbar.<br />

2,11: Damit ma<strong>ch</strong>te Jesus den Anfang der Zei<strong>ch</strong>en in Kana in Galiläa, und<br />

er ma<strong>ch</strong>te seine Herrli<strong>ch</strong>keit si<strong>ch</strong>tbar, und seine Jünger glaubten an ihn/K\s<br />

Zei<strong>ch</strong>en wollte Jesus sol<strong>ch</strong>e Taten verstanden wissen, ni<strong>ch</strong>t als seine wesentli<strong>ch</strong>e<br />

Gabe und sein eigentli<strong>ch</strong>es "Werk, sondern als Merkzei<strong>ch</strong>en und Fingerzeige,<br />

an denen seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater erkennbar wurde, wie voll,<br />

wahr und kräftig sie war. Darum ma<strong>ch</strong>ten diese Taten, die er in der Ma<strong>ch</strong>t<br />

Gottes tat, seine Herrli<strong>ch</strong>keit si<strong>ch</strong>tbar, und deshalb hatten sie au<strong>ch</strong> für die<br />

Stellung der Jünger zu ihm eine innerli<strong>ch</strong>e und wi<strong>ch</strong>tige Bedeutung. Zum Bekenntnis,<br />

daß er Gottes Sohn und König Israels sei, hatte sie s<strong>ch</strong>on das Wort<br />

des Täufers und ihr erster Verkehr mit Jesus bewogen. Als sie ihn aber wirken<br />

sahen, was nur Gottes S<strong>ch</strong>öpferma<strong>ch</strong>t vermag, da s<strong>ch</strong>ätzten sie ihn in neuer<br />

Weise. Jetzt hingen sie fest an ihm und hielten si<strong>ch</strong> in fröhli<strong>ch</strong>er Zuversi<strong>ch</strong>t<br />

ganz an ihn. Nun glaubten sie an ihn.


<strong>Johannes</strong> 2,9—16 31<br />

Kapitel 2,12—22<br />

Den Bru<strong>ch</strong> mit den Hütern des Tempels<br />

Jesus blieb ni<strong>ch</strong>t in seinem Heimatdorf oder dessen Umgebung, zu der Kana<br />

nodi gehörte, sondern ma<strong>ch</strong>te Kapernaum zu seiner Stadt. 2,12.13: Her<strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

ging er <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kapernaum hinab, er und seine Mutter und seine Brüder und<br />

seine Jünger, und sie blieben dort nur wenige Tage. Und das Pas<strong>ch</strong>a der Juden<br />

kam, und Jesus ging <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem hinauf. In der Judens<strong>ch</strong>aft war damals<br />

das gesamte Leben darauf geri<strong>ch</strong>tet, Gott Dienst zu erzeigen; hinter diesem<br />

hö<strong>ch</strong>sten Gebot wurden alle anderen Anliegen kräftig zurückgesetzt. Darum<br />

standen au<strong>ch</strong> die vom Tempel entfernten Gemeinden Galiläas mit diesem in<br />

beständigem Verkehr. Au<strong>ch</strong> Jesus hat si<strong>ch</strong> von der ins Heiligtum pilgernden<br />

Gemeinde ni<strong>ch</strong>t getrennt. Keinen knüpfte ein so starkes Band an den Tempel<br />

wie ihn: ihm war er seines Vaters Haus.<br />

Die besondere Weise, wie <strong>Johannes</strong> auf Jesus s<strong>ch</strong>aut, wird darin si<strong>ch</strong>tbar,<br />

daß er uns erzählt, wie Jesus die Feste, das häusli<strong>ch</strong>e Fest seiner Bekannten<br />

und die allgemeinen Feste der Gemeinde, gegen Störung und Befleckung ges<strong>ch</strong>ützt<br />

und dur<strong>ch</strong> seine Taten verherrli<strong>ch</strong>t hat. Matthäus stellt Jesus neben<br />

den mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Jammer und zeigt uns, wie ihn seine Barmherzigkeit zum<br />

Helfer ma<strong>ch</strong>te in jeder Not. <strong>Johannes</strong> zeigt uns an den Höhepunkten unseres<br />

Lebens, an den festli<strong>ch</strong>en Zeiten, unser Unvermögen, so zu feiern, daß si<strong>ch</strong><br />

keine Störung und Befleckung daran hängt, und ma<strong>ch</strong>t uns Jesus als den si<strong>ch</strong>tbar,<br />

der aus unserem Leben die reine, ganze Festfeier ma<strong>ch</strong>t.<br />

Still hatte si<strong>ch</strong> Jesus bisher in alle Unordnung im Tempel gefügt, so daß die<br />

priesterli<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>thaber dort regieren konnten, wie sie es in ihrem irdis<strong>ch</strong>en<br />

und gottlosen Sinn für gut hielten. Diesmal handelte er aber als der, der die<br />

Pfli<strong>ch</strong>t hat, das Haus seines Vaters gegen Mißbrau<strong>ch</strong> zu s<strong>ch</strong>ützen und Israel<br />

dazu anzuleiten, im Tempel so zu handeln, wie es Gottes würdig ist. Er jagte<br />

den Markt aus dem Tempelhof.*<br />

2,14—16: Und er fand im Tempel die, die Rinder und S<strong>ch</strong>afe und Tauben<br />

verkauften, und die We<strong>ch</strong>sler sitzen, und er ma<strong>ch</strong>te eine Geißel aus Stricken<br />

und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus samt den S<strong>ch</strong>afen und Rindern und<br />

• Matthäus erzählt dieselbe Tat Jesu <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem feierli<strong>ch</strong>en Einzug zum letzten Pas<strong>ch</strong>a, 2r,iaff. Die<br />

lehrhafte Absi<strong>ch</strong>t ist bei beiden Aposteln dieselbe, deutli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en, was Jesus ein- für allemal von den<br />

Riestern s<strong>ch</strong>ied und diese gegen ihn erbitterte. Beide Apostel erzählen darum Jesu Angriff auf den jüdis<strong>ch</strong>en<br />

Betrieb des Gottesdienstes da, wo er zum erstenmal d?n Tempel betritt. Die Rücksi<strong>ch</strong>t auf die Chronologie<br />

tritt bei briden in derselben Weise zurück. Es läßt si<strong>ch</strong> deshalb ni<strong>ch</strong>t mit Si<strong>ch</strong>erheit sagen, wann die Austreibung<br />

des Marktes stattgefunden hat. Si<strong>ch</strong>er ist dagegen, daß Jesu Urteil über das, was Anbe tung Gottes<br />

sei und in den Tempel gehöre, ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>wankt hat. sondern am Anfang wie am Ende seines Wirkens<br />

dasselbe war. Es ist darum keineswegs unmögli<strong>ch</strong>, daß Jesus seinen Widerspru<strong>ch</strong> gegen die Vermengung<br />

des Gottesdienstes mit dem Ges<strong>ch</strong>äft mehrmals in ähnli<strong>ch</strong>er Weise äußerte.


3 2 Der Bru<strong>ch</strong> mit den Hütern des Tempels<br />

s<strong>ch</strong>üttete das Geld der We<strong>ch</strong>sler fort und warf ihre Tis<strong>ch</strong>e um und sagte denen,<br />

die die Tauben verkauften: Tragt das fort von hier! Ma<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t das Haus<br />

meines Vaters zu einem Kaufhaus! Der äußere Hof, in dem der Markt stattfand,<br />

war <strong>na<strong>ch</strong></strong> der jüdis<strong>ch</strong>en Theorie no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t „heilig"; halb war er ein<br />

Heiligtum, halb war er es ni<strong>ch</strong>t. Auf diese Künsteleien spitzfindiger Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

ließ si<strong>ch</strong> Jesus ni<strong>ch</strong>t ein. Um des Tempels willen war der Hof gebaut<br />

und mit ihm zu einem Ganzen verbunden. So muß au<strong>ch</strong> in ihm gelten,<br />

was für Gottes Haus Ordnung ist, daß dort ni<strong>ch</strong>t der Mens<strong>ch</strong> seinen Eigennutz,<br />

seine habgierigen Geldgedanken, seine Gerings<strong>ch</strong>ätzung Gottes hineintrage<br />

und es dadur<strong>ch</strong> im Hause Gottes selber offenkundig ma<strong>ch</strong>e, daß ihm<br />

Gott mit allem Ewigen und Unsi<strong>ch</strong>tbaren ni<strong>ch</strong>ts gilt neben dem, was Geldeswert<br />

besitzt.<br />

Sein Vater wird entehrt, wenn sein Haus vom S<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>ergeist als Mittel benutzt<br />

wird, dur<strong>ch</strong> das dieser zu seiner Re<strong>ch</strong>nung kommt. Aus dem Gottesdienst<br />

kann ni<strong>ch</strong>t ein Mittel zum Gelderwerb gema<strong>ch</strong>t werden, ohne daß er gründli<strong>ch</strong><br />

entweiht und mißbrau<strong>ch</strong>t ist. Wir kennen aus vielen "Worten Jesu, die uns<br />

Matthäus gibt, seine runde Ents<strong>ch</strong>iedenheit, mit der er den Gottesdienst und<br />

den Mammonsdienst auseinanderhielt. Stellte damals Israel au<strong>ch</strong> kein Götzenbild<br />

mehr in den Tempel, dem Mammon hatte es dort einen großen Altar erri<strong>ch</strong>tet<br />

dur<strong>ch</strong> das ungeheure Ges<strong>ch</strong>äft, das si<strong>ch</strong> an den Tempeldienst anhing.<br />

Diesen Mammonsaltar ertrug Jesus an dem Orte, der den Namen seines Vaters<br />

trug, ni<strong>ch</strong>t. „<strong>Das</strong> Haus meines Vaters", damit hat er ausgespro<strong>ch</strong>en, was ihn<br />

über alle Rücksi<strong>ch</strong>ten hinweghob, ja ihm die Geißel in die Hand gab, wenn sie<br />

sonst ni<strong>ch</strong>t hören wollen. "Was als S<strong>ch</strong>impf und Entehrung auf den Vater fällt,<br />

erträgt er ni<strong>ch</strong>t, obwohl er ertragen konnte, was sonst keiner trug. Für den<br />

Sohn, der für den Vater eifert, verlangt er Gehör; das geht über alle priesterli<strong>ch</strong>en<br />

Ämter und Erlaubnisse.<br />

Au<strong>ch</strong> diese Tat Jesu hatte für die Jünger ihre besondere "Wi<strong>ch</strong>tigkeit. 2,17:<br />

Es da<strong>ch</strong>ten seine Jünger daran, daß ges<strong>ch</strong>rieben ist: Der Eifer für dein Haus<br />

wird mi<strong>ch</strong> verzehren (Psalm 69,10). In Kana hatten sie das freudvolle Fest<br />

mit Jesus begangen, weit über alles, was sie bisher erlebt hatten, weil sie dort,<br />

wie sonst no<strong>ch</strong> nie, die freigebige, hilfrei<strong>ch</strong>e Gnade erfahren hatten, die alles<br />

s<strong>ch</strong>enkt. Nun trat ihnen der Ernst, der im Leben Jesu lag, ergreifend entgegen.<br />

Sie sahen, daß er auf si<strong>ch</strong> und seine Erhaltung keine Rücksi<strong>ch</strong>t nahm. Griff er<br />

das,.was am jüdis<strong>ch</strong>en Gottesdienst sündli<strong>ch</strong> war, mit sol<strong>ch</strong>em Ernst an, so entstand<br />

daraus notwendig ein Kampf, der sein Leben bedrohte. Als er ni<strong>ch</strong>t nur<br />

mit Worten, sondern mit der Tat von den Priestern die Buße und den Gehör-


<strong>Johannes</strong>2,17—19 33<br />

sam forderte im Eifer für Gottes Haus, da bekamen die Psalmen, die vom Leiden<br />

des Gere<strong>ch</strong>ten redeten, für die Jünger ein neues Li<strong>ch</strong>t.<br />

2,18: Nun antworteten die Juden und sagten zu ihm: Was für ein Zei<strong>ch</strong>en<br />

zeigst du uns, da du dies tust? Den inneren Grund, aus dem Jesu Tat erwu<strong>ch</strong>s,<br />

verstanden sie ni<strong>ch</strong>t und sahen ni<strong>ch</strong>t ein, warum ein Haus Gottes kein Kaufhaus<br />

sei. "Was hätten sie no<strong>ch</strong> für Vorteil und Genuß von ihrem Priestertum,<br />

wenn sie den Handel, der aus dem Heiligen Geld und Geldeswert gewann,<br />

lassen sollten? Die Frage stellt si<strong>ch</strong> für sie so: Kann er eine äußere Beglaubigung<br />

aufweisen, ein Zei<strong>ch</strong>en, das sein Re<strong>ch</strong>t zu einem sol<strong>ch</strong>en Widerspru<strong>ch</strong> :<br />

gegen die geltende Ordnung si<strong>ch</strong>erstellt?<br />

So stand Jesus wieder wie in Kana vor der "Wunderfrage; diesmal wurde sie<br />

ihm ni<strong>ch</strong>t von der freudigen Erwartung der Mutter gestellt, die verlangte,<br />

Gottes herrli<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>t an ihm zu sehen, sondern gründli<strong>ch</strong>e Feinds<strong>ch</strong>aft, die<br />

si<strong>ch</strong> nur dann vor ihm beugen will, wenn er mit einem si<strong>ch</strong>tbaren Ma<strong>ch</strong>terweis<br />

ihre Einrede nieders<strong>ch</strong>lägt, fordert jetzt das "Wunder von ihm. 2,19: Jesus antwortete<br />

und sagte zu ihnen: Bre<strong>ch</strong>t diesen Tempel ab, und i<strong>ch</strong> werde ihn in<br />

drei Tagen wieder aufri<strong>ch</strong>ten. Ihm war der Ausgang des begonnenen Kampfes<br />

klar. Da sie ihm ni<strong>ch</strong>t gestatten, den Tempel zu reinigen, und si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von ihm<br />

zeigen lassen, wie man seinen Vater wirkli<strong>ch</strong> ehrt und anbetet, es sei denn, er<br />

zwinge ihnen den Gehorsam mit dem "Wunder auf, so ist damit ein Zwiespalt<br />

gegeben, der sie vorwärts treibt bis dahin, daß sie den Tempel Gottes zerstören.<br />

Tut es nur! ruft ihnen Jesus zu, bre<strong>ch</strong>t ihn ab! Erst dann, ni<strong>ch</strong>t früher,<br />

kommt für ihn die Zeit, da er sein Zei<strong>ch</strong>en tut und sein königli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t offenkundig<br />

ma<strong>ch</strong>t. <strong>Das</strong> Zei<strong>ch</strong>en, das sein Re<strong>ch</strong>t beweist, besteht darin, daß er wieder<br />

baut, was sie zersört haben, den Tempel Gottes aufri<strong>ch</strong>tet, den sie zerbra<strong>ch</strong>en.<br />

Haben sie ihre Feinds<strong>ch</strong>aft bis zum Ende vollbra<strong>ch</strong>t, dann kommt die<br />

Stunde seines Sieges und seiner <strong>Offenbarung</strong>. Als unzerstörbar wird si<strong>ch</strong> der<br />

erweisen, in dem Gott wohnt und gegenwärtig ist. Er kann überwunden und<br />

getötet werden; aber ehe no<strong>ch</strong> die Verwesung ihr Werk an ihm übt, ehe sein<br />

Leib zerfällt, bevor drei Tage verstri<strong>ch</strong>en sind, wird er wieder als Gottes<br />

Tempel in erneuter Herrli<strong>ch</strong>keit offenbar sein.<br />

Er spra<strong>ch</strong>^ sagt <strong>Johannes</strong>, vom Tempel seines Leibes. Denn was wäre das<br />

Haus Gottes ohne den Sohn? Im Sohne kam Gottes gnädige Gegenwart zu<br />

seinem Volke; in ihm waren ihm alle seine Gaben nahe. Er bringt Israel die<br />

Berufung zu Gott, die Vergebung seiner Sünden, das Re<strong>ch</strong>t zum erhörli<strong>ch</strong>en<br />

Gebet, die Versetzung in Gottes Gnade. Er tut ihm in "Wahrheit, was der Tempel<br />

ihm verspra<strong>ch</strong>. Damit verliert aber Jesu Antwort ihre Beziehung auf den<br />

Bestand des Tempels keineswegs. Wird der Sohn von den Priestern getötet,


34 Der Bru<strong>ch</strong> mit den Hütern des Tempels<br />

so wird au<strong>ch</strong> ihr Tempel fallen. Mit der Verwerfung des Sohns bringt si<strong>ch</strong> Israel<br />

um alle seine Heiligtümer, und Gottes Geri<strong>ch</strong>t wird ni<strong>ch</strong>t zögern, das das.<br />

leer und profan gewordene Haus beiseite wirft. Statt desselben s<strong>ch</strong>afft der<br />

Auferstandene die neue Gemeinde und gibt ihr den Zugang zu Gott.<br />

Von der Weise, wie Jesus über si<strong>ch</strong> und das Tempelhaus da<strong>ch</strong>te, waren aber<br />

die Gedanken der Priester über das, was Gottes Tempel und Anbetung sei, so<br />

weit entfernt, daß sie ihn ni<strong>ch</strong>t zu verstehen vermo<strong>ch</strong>ten. Ihnen lag es ganz<br />

fern, an etwas anderes zu denken als an das Haus, das mit seinen mä<strong>ch</strong>tigen<br />

Quadern im strahlenden Golds<strong>ch</strong>muck vor ihnen stand. Daß Jesus etwas anderes<br />

an die Stelle des Tempels setzen könnte und gar si<strong>ch</strong> selber als Gottes-<br />

Tempel darstelle, konnten und wollten sie ni<strong>ch</strong>t verstehen. Bra<strong>ch</strong> der Tempel,.<br />

so bra<strong>ch</strong> ihre Ma<strong>ch</strong>t. Sie hingen mit ihrer ganzen Existenz am irdis<strong>ch</strong>en Heiligtum,<br />

von dem sie ni<strong>ch</strong>t zweifelten, daß Gottes Name für immer mit ihm verbunden<br />

sei. Zuversi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> po<strong>ch</strong>ten sie darauf, daß sie dur<strong>ch</strong> unermüdli<strong>ch</strong>e Arbeit<br />

mit großen Opfern seit Jahren den Tempel in den herrli<strong>ch</strong>en Stand gesetzt<br />

hätten, in dem er si<strong>ch</strong> damals befand. 2,20. 21: Nun sagten die Juden:-<br />

In se<strong>ch</strong>sundvierzig Jahren wurde dieser Tempel gebaut, und du willst ihn in<br />

drei Tagen aufri<strong>ch</strong>ten? Er aber spra<strong>ch</strong> vom Tempel seines Leibes. Se<strong>ch</strong>sundvierzig<br />

Jahre waren verstri<strong>ch</strong>en, seit Herodes die Juden beredet hatte, ihm zu<br />

gestatten, auf das Tempelhaus ein Obergema<strong>ch</strong> zu setzen, das seine Höhe auf<br />

hundert Ellen bra<strong>ch</strong>te, und seinen Rei<strong>ch</strong>tum und seine Baulust an den Höfen, .<br />

Hallen und Toren des Tempels zu betätigen, und seither war die Arbeit am •><br />

Heiligtum immer fortgesetzt worden. Da ers<strong>ch</strong>ienen ihnen die drei Tage, die<br />

Jesus zum Aufbau des neuen Tempels ansetzte, als "Wahnsinn und Überhebung.<br />

Sie wissen besser als er, wieviel Zeit, Arbeit und Geld die Erri<strong>ch</strong>tung<br />

eines so herrli<strong>ch</strong>en Heiligtums kostet, wie es das ihrige ist.<br />

Au<strong>ch</strong> den Jüngern blieb Jesu Wort zunä<strong>ch</strong>st dunkel, und do<strong>ch</strong> war es ni<strong>ch</strong>t<br />

vergebens gespro<strong>ch</strong>en, hat vielmehr seine Zeit gehabt, in der es Li<strong>ch</strong>t und Glauben<br />

in die Jünger pflanzte. 2,22: Als er nun von den Toten auf erweckt wurde,<br />

da da<strong>ch</strong>ten seine Jünger daran, daß er dies gesagt hatte, und glaubten der<br />

S<strong>ch</strong>rift und dem Wort, das Jesus spra<strong>ch</strong>. Nun war es ihnen deutli<strong>ch</strong>, wie Jesus<br />

dadur<strong>ch</strong> seine Sendung erwies, daß er den zerbro<strong>ch</strong>enen Tempel in drei Tagen<br />

wiederherstellte. Als <strong>Johannes</strong> das s<strong>ch</strong>rieb, war die Ma<strong>ch</strong>t und der Stolz der<br />

Priester Jerusalems vergangen, der Tempel, um dessentwillen sie Jesus vera<strong>ch</strong>tet<br />

hatten, vom Feuer verni<strong>ch</strong>tet, er dagegen als Tempel der göttli<strong>ch</strong>en.<br />

Herrli<strong>ch</strong>keit aus dem Tode erstanden und die große Gemeinde auf seinen Na—<br />

mengebaut.


<strong>Johannes</strong> 2,20-25; 3,1. 2a 35<br />

Kapitel 2,23—3, 2I<br />

Jesus beruft den S<strong>ch</strong>riftgelehrten<br />

2,23: Als er aber in Jerusalem beim Pas<strong>ch</strong>a beim Feste war, glaubten viele<br />

an seinen Namen, da sie seine Zei<strong>ch</strong>en sahen, die er tat. Audi in Jerusalem hat<br />

si<strong>ch</strong> Jesu Erbarmen ma<strong>ch</strong>tvoll an vielen Bittenden erwiesen. Es ges<strong>ch</strong>ah dort<br />

Ähnli<strong>ch</strong>es, wie es uns die anderen Evangelisten aus Galiläa beri<strong>ch</strong>ten. So gab<br />

es au<strong>ch</strong> viel Glauben an seinen Namen. Viele hielten ihn für den Christus und<br />

waren bereit, mit ihm zu gehen, weil er so offenkundig in Gottes Ma<strong>ch</strong>t handelte.<br />

2,24.25: Jesus selbst aber vertraute si<strong>ch</strong> ihnen ni<strong>ch</strong>t an, weil er alle<br />

kannte und ni<strong>ch</strong>t nötig hatte, daß jemand über den Mens<strong>ch</strong>en Zeugnis ablege;<br />

denn er selbst erkannte, was im Mens<strong>ch</strong>en war. Trotz der Willigkeit Jesu,<br />

jeden Glauben zu erhören, gab es hier somit Glauben, den er abwies und ni<strong>ch</strong>t<br />

dadur<strong>ch</strong> lohnte und vollendete, daß au<strong>ch</strong> er si<strong>ch</strong> mit den Glaubenden verband.<br />

Daß er si<strong>ch</strong> von ihnen fernhielt, lag an der unreinen Art ihres Glaubens, der<br />

do<strong>ch</strong> nur den Zei<strong>ch</strong>en Jesu galt, ni<strong>ch</strong>t Jesus selbst, nur der Ma<strong>ch</strong>t Gottes, die<br />

dur<strong>ch</strong> ihn si<strong>ch</strong>tbar ward, weshalb er zergehen mußte, sowie etwas anderes als<br />

das Wunder an ihm zu sehen war. Bei sol<strong>ch</strong>em Glauben blieb ihm immer no<strong>ch</strong><br />

das Inwendige der Person vers<strong>ch</strong>lossen. So lebhaft sie seine Taten bewunderten,<br />

so dankbar sie seine Werke priesen, verstanden war er damit no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

und der Blick no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf die Gnade geri<strong>ch</strong>tet, der er diente, und no<strong>ch</strong> kein<br />

Gehorsam gegen ihn da, der si<strong>ch</strong> von ihm leiten ließ. Von sol<strong>ch</strong>en Gläubigen<br />

blieb Jesus fern.<br />

Wie Jesus denen diente, die zwar dur<strong>ch</strong> seine Zei<strong>ch</strong>en bewegt, aber innerli<strong>ch</strong><br />

ihm no<strong>ch</strong> fern waren, zeigt uns <strong>Johannes</strong> an Jesu Gesprä<strong>ch</strong> mit Nikodemus.<br />

3,1.2a: Es war ein Mens<strong>ch</strong> aus den Pharisäern, mit Namen Nikodemus ><br />

ein Oberster der Juden. Dieser kam in der Na<strong>ch</strong>t zu ihm. Da er seiner Frömmigkeit<br />

und Gelehrsamkeit wegen zu den Führern der Gemeinde gehörte,<br />

wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Rat oder Geri<strong>ch</strong>t ein hohes Amt verwaltete; näherte<br />

er si<strong>ch</strong> Jesus nur vorsi<strong>ch</strong>tig. Er wählte die Na<strong>ch</strong>t, weil es vorerst niemand wissen<br />

soll, daß er zu Jesus ging. So hatte ihm Jesus glei<strong>ch</strong> von Anfang an viel zu<br />

vergeben und mußte ihn, damit au<strong>ch</strong> nur der erste Anfang des Glaubens in<br />

ihm entstehe, mit freundli<strong>ch</strong>er Geduld tragen. Denn er hat über sol<strong>ch</strong>es S<strong>ch</strong>ielen<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Urteil der Leute und <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Ehre bei ihnen, das Gott unter<br />

sie herabsetzt, ernst geurteilt. Nikodemus hing no<strong>ch</strong> unfrei an den Mens<strong>ch</strong>en,<br />

weil er selbst no<strong>ch</strong> den Zwiespalt in seinem Innern trug. Es zog ihn zu Jesus,<br />

und do<strong>ch</strong> sträubte si<strong>ch</strong> in ihm no<strong>ch</strong> vieles gegen ihn. Jesus hielt ihm aber das<br />

S<strong>ch</strong>wanken seines zerspalteten Herzens ni<strong>ch</strong>t vor, sondern nahm ihn bei si<strong>ch</strong>


3" Jesus beruft den S<strong>ch</strong>riftgelehrten<br />

auf und gab ihm sein ganzes "Wort. Die erste Rede jesu, die uns <strong>Johannes</strong> gibt,<br />

führt uns glei<strong>ch</strong> in die Tiefe seines "Worts. Sie enthält ni<strong>ch</strong>t ein, sondern das<br />

"Wort Jesu, alles, was er zu sagen hatte; sie spri<strong>ch</strong>t seinen ganzen "Willen aus,<br />

das volle <strong>Evangelium</strong>.<br />

Nikodemus legt ein Bekenntnis ab, warum er kommt. 3,2b: Und er spra<strong>ch</strong><br />

zu. ihm: Rabbi, wir wissen, daß du von Gott als Lehrer kamst. Denn keiner<br />

kann die Zei<strong>ch</strong>en tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Er hält es für<br />

seine Pfli<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> mit Jesus zu bespre<strong>ch</strong>en; sein Gewissen treibt ihn dazu;<br />

denn es ist ihm deutli<strong>ch</strong>: Gott hat Jesus gesandt. So wäre es Gottlosigkeit und<br />

S<strong>ch</strong>uld, ni<strong>ch</strong>t auf ihn zu hören. Kommt Jesus als Lehrer mit Gottes Auftrag,<br />

so muß sein Wort angenommen sein. Seinen Beruf von oben ma<strong>ch</strong>ten ihm seine<br />

wunderbaren Taten deutli<strong>ch</strong>. Diese sind für ihn ni<strong>ch</strong>t vergebens ges<strong>ch</strong>ehen,<br />

ma<strong>ch</strong>en ihn vielmehr darüber gewiß, daß Gott mit Jesus sei. So hat er <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner<br />

Meinung Jesus die Ehre gegeben, Hie ihm gebührt, und Gott den Dank<br />

und Gehorsam erzeigt, zu dem ihn Jesu Sendung verpfli<strong>ch</strong>tete.<br />

' 3>3: Jesus antwortete und spra<strong>ch</strong> zu ihm: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage dir:<br />

Wenn jemand ni<strong>ch</strong>t von neuem geboren wird, kann er Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft ni<strong>ch</strong>t<br />

sehen. Jesu Antwort kommt aus seinem rei<strong>ch</strong>en Erbarmen. "Während der<br />

S<strong>ch</strong>riftgelehrte meint, Gottes "Willen verstanden und das re<strong>ch</strong>te Verhältnis zu<br />

Jesus gefunden zu haben, muß ihm Jesus sagen: Du weißt no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, was i<strong>ch</strong><br />

will, siehst au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, was dir und allen nötig ist. Um sehen zu können,<br />

was Gott in seiner Herrli<strong>ch</strong>keit und Gnade für die Mens<strong>ch</strong>en tut, muß dir zuerst<br />

eine neue Geburt bereitet sein.<br />

Der Eingang in die ewige Gemeinde, die unter Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft lebt, erfordert<br />

eine Geburtsstunde, eine Stünde, in der der Mens<strong>ch</strong> entsteht, das Leben<br />

in ihm ges<strong>ch</strong>affen wird und seinen Anfang nimmt. Dem, der no<strong>ch</strong> ungeboren<br />

ist, läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts geben, ni<strong>ch</strong>ts zeigen. Sollen ihm die herrli<strong>ch</strong>en Gaben<br />

Gottes zu eigen werden, so. muß ihm zuerst ins Leben geholfen sein. Dieses<br />

kann ihm nur aus Gott kommen. Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft teilt die göttli<strong>ch</strong>en Gaben<br />

denen aus, die Gott lebendig gema<strong>ch</strong>t hat. Niemand kann sie sehen, dessen<br />

Leben anderswoher stammt als aus Gott. Damit ist der tiefe Gegensatz aufgedeckt,<br />

der zwis<strong>ch</strong>en Jesus und Israels Lehrern bestand. Um viele Dinge kümmerten<br />

sie si<strong>ch</strong> und vergaßen, wie es mit ihnen selber stehe, ob es in ihnen zur<br />

Geburt gekommen sei, die e<strong>ch</strong>tes Leben s<strong>ch</strong>afft, ob ihr Leben in Gott seine<br />

Wurzel habe. Jesu Wille und Arbeit zielt dagegen darauf, denjenigen Mens<strong>ch</strong>en<br />

zu bereiten, der in Gottes Gemeins<strong>ch</strong>aft ewig leben kann. An dir, sagt<br />

er Nikodemus, liegt es mir, daran, daß du lebendig werdest. Dazu, daß du<br />

selbst ein neuer, lebendiger Mens<strong>ch</strong> wirst, dazu will i<strong>ch</strong> dir verhelfen. Womit


<strong>Johannes</strong> 3,20—4 37<br />

sollte i<strong>ch</strong> dir sonst helfen können? Seligkeit und Rei<strong>ch</strong>tum können dir ni<strong>ch</strong>t<br />

von außen kommen; was neu werden muß, das bist du selbst. Damit hat Jesus<br />

das Bußwort ausgespro<strong>ch</strong>en. Denn damit ist gesagt, daß das, was der Mens<strong>ch</strong><br />

jetzt ist, in seinen Augen ni<strong>ch</strong>t als Leben gelte und ihn zum Eingang in Gottes'<br />

Rei<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fähig ma<strong>ch</strong>e. Es muß ein neuer Anfang in uns werden, erst<br />

derjenige Mens<strong>ch</strong> in uns zum Vors<strong>ch</strong>ein kommen, der in Gottes Gegenwart<br />

ewig leben kann. Jesu Bußwort ist aber zuglei<strong>ch</strong> die volle Bezeugung der göttli<strong>ch</strong>en<br />

Gnade. Geboren werden ist ni<strong>ch</strong>t unsere Tat; wir sind hierbei die Ge-:<br />

s<strong>ch</strong>affenen, Empfangenden, ni<strong>ch</strong>t die S<strong>ch</strong>affenden. Somit empfangen wir hier<br />

von Jesus die größte Zusage: Gott ma<strong>ch</strong>t aus dem Mens<strong>ch</strong>en sein "Werk und<br />

bereitet ihm no<strong>ch</strong>mals eine Stunde der Geburt, in der er ihm göttli<strong>ch</strong>es Leben<br />

in die Seele legt. Er su<strong>ch</strong>te dadur<strong>ch</strong> den S<strong>ch</strong>riftgelehrten aus seiner Entfremdung<br />

zu si<strong>ch</strong> heranzuziehen. Dieser war no<strong>ch</strong> satt und stolz in dem, was er geworden<br />

war, und wußte darum no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, was er bei Jesus su<strong>ch</strong>en sollte. Sieh<br />

di<strong>ch</strong> selber an, sagt ihm Jesus; du darfst ni<strong>ch</strong>t sagen, was in dir sei, stamme von<br />

Gott. Wie willst du aber in Gottes Rei<strong>ch</strong> gelangen, wenn du inwendig erstorben<br />

bist? Wer fragen lernte: Wie kommt es in mir zur wahrhaften Geburt?<br />

der kommt mit dem re<strong>ch</strong>ten Verlangen zu mir. .<br />

Der Theologe erklärte aber das, wovon Jesus spra<strong>ch</strong>, für unmögli<strong>ch</strong>, da es<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Meinung kein anderes Leben gibt als das, was der Mens<strong>ch</strong> von<br />

Natur besitzt, und darum au<strong>ch</strong> keine andere Geburt als die, mit der unser<br />

natürli<strong>ch</strong>es <strong>Das</strong>ein beginnt. 3,4: Nikodemus sagt zu ihm: Wie kann ein Mens<strong>ch</strong><br />

geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn zum zweitenmal in den S<strong>ch</strong>oß<br />

seiner Mutter eingehen und geboren werden? Er spri<strong>ch</strong>t die Unmögli<strong>ch</strong>keit,<br />

daß si<strong>ch</strong> die Geburt wiederhole, <strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong> aus und begründet dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß er ni<strong>ch</strong>t an einen zweiten Anfang seines Lebens denken mag. Der Grund<br />

seines Widerspru<strong>ch</strong>s lag ni<strong>ch</strong>t nur darin, daß ihm Jesus eine Tat Gottes bezeugt,<br />

die die unerfors<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Wunderbarkeit der s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en Gnade an<br />

si<strong>ch</strong> hat, sondern no<strong>ch</strong> tiefer darin, daß ihn die pharisäis<strong>ch</strong>e Frömmigkeit<br />

dazu angeleitet hat, mit si<strong>ch</strong> selbst zufrieden zu sein. Warum soll aus dem<br />

Leben, wie er es jetzt hat, ni<strong>ch</strong>t ein ewiges <strong>Das</strong>ein im Genuß aller göttli<strong>ch</strong>en<br />

Gaben werden? Daran, daß der Jude zu diesem berufen sei, zumal Männer,<br />

die wie er im Dienste Gottes alt geworden sind und viele unterwiesen haben,<br />

hat er nie gezweifelt. Mo<strong>ch</strong>te er oft bei si<strong>ch</strong> erwägen, wie und wann wohl<br />

Gott seine hö<strong>ch</strong>ste, letzte <strong>Offenbarung</strong> wirke, das stand ihm fest: Für uns<br />

kommt sie, für Männer wie i<strong>ch</strong>. Man<strong>ch</strong>e Frage mag ihn auf seinem Gang zu<br />

Jesus bes<strong>ch</strong>äftigt haben: Was ist Jesu Ziel? Wird er uns Gottes Rei<strong>ch</strong> bringen<br />

und wie? An der Stelle jedo<strong>ch</strong>, auf die Jesu Wort hinzeigt, gab es für ihn keine


3 8 Jesus beruft den S<strong>ch</strong>riftgelehrten<br />

Frage, und als ihm Jesus diese Frage stellte, erwidert er: Ein alter Mann fängt<br />

seinen Lebenslauf ni<strong>ch</strong>t mehr von vorne an!<br />

Jesus zeigt ihm, was die Ma<strong>ch</strong>t wahrhafter Belebung hat. 3,5: Jesus antwortete:<br />

Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage dir: Wenn jemand ni<strong>ch</strong>t aus Wasser<br />

und Geist geboren wird, kann er ni<strong>ch</strong>t in Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft eingehen. Wasser<br />

und Geist müssen den Mens<strong>ch</strong>en erzeugen; dann ist er von neuem geboren und<br />

hat die von Gott ihm bereitete Lebendigkeit. Auf das, was am Jordan ges<strong>ch</strong>ah,<br />

ri<strong>ch</strong>tet Jesus den Blick des Nikodemus hin, wo <strong>Johannes</strong> die Reuigen mit "Wasser<br />

wus<strong>ch</strong>. So werden neue Mens<strong>ch</strong>en geboren, Mens<strong>ch</strong>en, deren Leben aus<br />

Gott stammt, weil es in seiner Gnade seine Wurzel hat. Jenes Wasser, das dem<br />

s<strong>ch</strong>uldig Gewordenen vor Gott die Reinheit zusagt und dem Umkehrenden<br />

verspri<strong>ch</strong>t, daß ihn der Vater bei si<strong>ch</strong> aufnehme, das hat Leben gewährende<br />

Ma<strong>ch</strong>t. Ni<strong>ch</strong>t von der Buße derer, die zur Taufe kamen, hat Jesus geredet,<br />

ni<strong>ch</strong>t vom Ernst ihres Abs<strong>ch</strong>eus vor dem Bösen und von der Bemühung ihres<br />

guten Willens, der zur Buße die Fru<strong>ch</strong>t hinzuzufügen strebt, sondern vom<br />

Wasser, das der Täufer <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Gnade den Reuigen bra<strong>ch</strong>te und das au<strong>ch</strong><br />

für die an Jesus Glaubenden vorhanden ist, weil Nikodemus lernen soll, vom<br />

Mens<strong>ch</strong>en weg aufwärts zu sehen und das zu s<strong>ch</strong>ätzen, was Gott ihm gibt, ni<strong>ch</strong>t<br />

was er selber ma<strong>ch</strong>t. Darum zeigt ihm Jesus in jenem Wasser, das Nikodemus<br />

für wertlos hielt, das ewige Leben einges<strong>ch</strong>lossen, weil si<strong>ch</strong> Gottes Gnade in<br />

diesem Wasser als in ihrem Mittel uns zeigt, zu uns spri<strong>ch</strong>t und uns ergreift.<br />

Hineinversetzt sein in den Berei<strong>ch</strong> der vergebenden und reinigenden Gnade<br />

heißt von neuem geboren sein.<br />

Darum s<strong>ch</strong>afft au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t das Wasser allein, sondern Wasser und Geist die<br />

e<strong>ch</strong>te Geburt in uns. Denn das Wasser tut es ni<strong>ch</strong>t in seiner natürli<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aft,<br />

sondern weil es dem gnädigen Willen Gottes zum Zei<strong>ch</strong>en und Werkzeug<br />

dient. Wenn si<strong>ch</strong> aber Gott mit seiner Gnade zum Mens<strong>ch</strong>en hält, dann<br />

wird er von innen gefaßt, geformt und begabt und Gott ihm im Geiste gegenwärtig<br />

dadur<strong>ch</strong>, daß er seine Gedanken regiert und Li<strong>ch</strong>t in sie gibt — dann<br />

wa<strong>ch</strong>sen sie aus seiner Wahrheit — und sein Empfinden und Wollen erweckt —<br />

dann fließt es aus seiner Liebe.<br />

Weil aber Nikodemus erklärt hat, daß es ni<strong>ch</strong>ts anderes gebe als die natürli<strong>ch</strong>e<br />

Geburt, hält ihm Jesus den Gegensatz vor, der den Mens<strong>ch</strong>en von Gott<br />

trennt. Was wir sind, das ist Fleis<strong>ch</strong>; was Gott uns gibt, das ist Geist. Geist<br />

muß der empfangen, der ewig leben und mit Gott verbunden sein will. Geist<br />

kann er aber nur dadur<strong>ch</strong> erlangen, daß Gott ihm denselben gibt. 3,6: <strong>Das</strong><br />

aus dem Fleis<strong>ch</strong> Geborene ist Fleis<strong>ch</strong>, und das aus dem Geist Geborene ist Geist.<br />

<strong>Das</strong> Fleis<strong>ch</strong> bringt nur das hervor, was seiner Art entspri<strong>ch</strong>t, und ebenso steht


<strong>Johannes</strong> 3t$—8 3 9<br />

«es mit dem Geist. "Weder hier nodi dort löst si<strong>ch</strong> die Fru<strong>ch</strong>t von ihrem Stamme,<br />

sondern behält das als "Wesen und Kraft, was ihr Erzeuger ihr eingepflanzt hat.<br />

Alles, was der Mens<strong>ch</strong> aus si<strong>ch</strong> selber ma<strong>ch</strong>t, behält die Art des Fleis<strong>ch</strong>es.<br />

So weit hat Nikodemus re<strong>ch</strong>t, wenn er von der Unmögli<strong>ch</strong>keit einer neuen<br />


4° Jesus beruft den S<strong>ch</strong>riftgelehrten<br />

eine Stimme hat, die wir hören. So ist au<strong>ch</strong> das Kommen des Geistes ein Geheimnis<br />

und seine Gegenwart uns denno<strong>ch</strong> offenbar. Er bezeugt si<strong>ch</strong> in aller<br />

Deutli<strong>ch</strong>keit, weil es eine klare und erkennbare Sa<strong>ch</strong>e ist, ob ein Mens<strong>ch</strong> im<br />

Geiste oder im Fleis<strong>ch</strong>e das hat, was ihn umfaßt, erfüllt und lenkt.<br />

Die Tiefe dieser "Worte besteht darin, daß sie ni<strong>ch</strong>t nur von einzelnen<br />

Gaben redet, die der Geist zu dem, was wir bei uns selber haben, hinzufüge,<br />

sondern uns die Persönli<strong>ch</strong>keit, den Mens<strong>ch</strong>en in seiner Einheit, als das Werk<br />

des Geistes bes<strong>ch</strong>reiben. Jesus bleibt ni<strong>ch</strong>t dabei stehen, daß wir von Gott<br />

einige Gedanken und Kräfte erhalten, sondern ma<strong>ch</strong>t es zu seinem Ziel, daß<br />

der Mens<strong>ch</strong> in seiner Einheit und Ganzheit ein Werk Gottes sei. Die Bes<strong>ch</strong>reibung<br />

der ewigen Gemeinde, die dur<strong>ch</strong> Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft entsteht, ist damit<br />

s<strong>ch</strong>on sehr hell und voll. Die gehören ihr an, deren Leben in Gott den Ursprung<br />

und die Regel hat, weil sein Geist sie regiert. Dazu ist Jesus gesandt,<br />

damit dur<strong>ch</strong> ihn jene neuen Mens<strong>ch</strong>en werden, dur<strong>ch</strong> die die Stimme des Geistes<br />

vernehmli<strong>ch</strong> wird, die darum au<strong>ch</strong> Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft sehen, weil das, was von<br />

oben kommt, au<strong>ch</strong> wieder in dem, was oben ist, sein Zieljbesitzt.<br />

<strong>Das</strong> alles waren jedo<strong>ch</strong> in den Augen des Lehrers Unmögli<strong>ch</strong>keiten. 3,9:<br />

Nikodemus antwortete und sagte zu ihm: Wie kann dies ges<strong>ch</strong>ehen? Weil er<br />

nur mit dem Mens<strong>ch</strong>en re<strong>ch</strong>net und einen dunklen, abwesenden Gott hat, tönt<br />

ihm, was Jesus sagte, wie ein Traum. Jesus s<strong>ch</strong>merzt Öas, und er ma<strong>ch</strong>t ihm<br />

seinen S<strong>ch</strong>merz au<strong>ch</strong> fühlbar. 3,10: Jesus antwortete und sagte zu ihm: Du bist<br />

der Lehrer Israels und verstehst das ni<strong>ch</strong>t?! Unfähigkeit, Gottes Gnade zu fassen,<br />

tritt ihm hier am Lehrer Israels entgegen, ni<strong>ch</strong>t an einem geringen Mann.<br />

Anklagend hält ihm Jesus vor, daß sein Wort in dem Volk, das Gott zu si<strong>ch</strong><br />

berufen hat, Geltung hat; und denno<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint ihm der, der vom Geiste Gottes<br />

als vom Quell des wahrhaften Lebens spri<strong>ch</strong>t, wie ein Träumender. Wozu<br />

ist denn Gottes Gemeins<strong>ch</strong>aft mit seinem Volk gestiftet, wozu ihm Gesetz und<br />

Verheißung gegeben, wozu ihm eine neue Hoffnung ges<strong>ch</strong>enkt worden, wenn<br />

ni<strong>ch</strong>t dazu, daß Gottes Geist zum Mens<strong>ch</strong>en komme und dieser das Leben finde<br />

als von Gott lebendig gema<strong>ch</strong>t? Weiß Nikodemus au<strong>ch</strong> aus eigener Erfahrung<br />

ni<strong>ch</strong>ts vom Geiste, an Jesus hört er seine Stimme, und er sollte sie erkennen,<br />

wenn er au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t begreift, wie er zu Jesus kam und wohin er ihn führt.<br />

3,11: Wahrli<strong>ch</strong>y wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen,<br />

was wir gesehen haben, und ihr nehmt unser Zeugnis ni<strong>ch</strong>t an. Jesus<br />

ma<strong>ch</strong>t ihm deutli<strong>ch</strong>, daß er mit seinem Wort ni<strong>ch</strong>t lei<strong>ch</strong>tfertig umgehe, sondern<br />

daß es festen Grund habe und deshalb gehört und geglaubt sein will. Von<br />

Nikodemus und seinen Gefährten galt oft, daß sie von dem redeten, was sie<br />

ni<strong>ch</strong>t wußten, zumal dann, wenn sie von Gott spra<strong>ch</strong>en. Jesus will von sol<strong>ch</strong>en


<strong>Johannes</strong> 3,9—12 4 r<br />

eigenmä<strong>ch</strong>tigen und träumeris<strong>ch</strong>en Lehrern unters<strong>ch</strong>ieden sein. "Was er sagt,<br />

weiß er, und was er bezeugt, hat er gesehen. Spri<strong>ch</strong>t er vom Eingang in Gottes<br />

Rei<strong>ch</strong>, so weiß er, wie es si<strong>ch</strong> damit verhält. Redet er vom Geist, so tut er es,<br />

weil er gesehen hat, was er ist. Sein Wort über die göttli<strong>ch</strong>en Dinge ist in seinem<br />

Erlebnis gegründet. Weil er aber als Zeuge spri<strong>ch</strong>t, der aus Erfahrung<br />

weiß, was es heißt, aus dem Geist geboren zu sein und seine Stimme zu hören,<br />

so hat er das Re<strong>ch</strong>t, Glauben zu verlangen. Es ist ein Unre<strong>ch</strong>t, wenn der Unwissende<br />

dem widerspri<strong>ch</strong>t, der die Dinge weiß, und der, der ni<strong>ch</strong>ts erfahren<br />

hat, den einen Lügner s<strong>ch</strong>ilt, der ein Zeuge ist und das Ges<strong>ch</strong>ehene bes<strong>ch</strong>reibt.<br />

Ein sol<strong>ch</strong>es "Widerspre<strong>ch</strong>en, wie es Nikodemus übt, ist ni<strong>ch</strong>t uns<strong>ch</strong>uldig, sondern<br />

nimmt Jesu Vergebung in Anspru<strong>ch</strong>*.<br />

Mit seiner Ausspra<strong>ch</strong>e über sein Zeugenamt bereitet Jesus das zweite Wort<br />

vor, das er Nikodemus sagen wollte. Er ist bereit, ihm zu zeigen, was er selbst,<br />

als seinen von Gott ihm gegebenen Beruf ansieht. Die Frage, die Nikodemus<br />

in si<strong>ch</strong> trägt: Wer bist du? soll ni<strong>ch</strong>t unbeantwortet bleiben, wenn ihm au<strong>ch</strong><br />

Jesus zuerst die Gegenfrage stellen mußte: Wer bist du, Nikodemus, und wie<br />

kommst du in die Gemeins<strong>ch</strong>aft mit Gott? Dazu bereiten ihn Jesu Worte über<br />

sein Lehramt vor. Weil der Mens<strong>ch</strong> von den Dingen des Geistes ni<strong>ch</strong>ts vernimmt,<br />

darum ist uns Jesus als der Zeuge gegeben, der dur<strong>ch</strong> sein Wort zum<br />

Glauben führt und dem Glaubenden Gottes Gabe gibt.<br />

Daraus ergab si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st die bes<strong>ch</strong>eidene, uns<strong>ch</strong>einbare Art der Worte<br />

Jesu. Er hat mit den Leuten über das gespro<strong>ch</strong>en, was aus ihnen selber werden<br />

muß, wofür ihm weder Nikodemus no<strong>ch</strong> die anderen Juden dankbar<br />

waren. Dagegen hätten sie ihm eifrig zugehört, wenn er ihnen die himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Dinge bes<strong>ch</strong>riebe. Da Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft den Himmel öffnet, muß <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer<br />

Meinung der, der es verkündigt, von den himmlis<strong>ch</strong>en Dingen reden können,<br />

und sol<strong>ch</strong>es zu hören wäre ihr Wuns<strong>ch</strong>. Nikodemus sieht nun aber, daß Jesus<br />

si<strong>ch</strong> in seinem Lehramt auf das bes<strong>ch</strong>ränken muß, was Gottes Werk auf der<br />

Erde ist. 3,12: Wenn i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> das sagte y was au] der Erde ges<strong>ch</strong>ieht, und ihr<br />

ni<strong>ch</strong>t glaubt, wie würdet ihr glauben, wenn i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> das Himmlis<strong>ch</strong>e sagte?<br />

<strong>Das</strong>, worauf Jesus jetzt Nikodemus hingewiesen hat, waren ni<strong>ch</strong>t Dinge, die<br />

im Himmel, sondern die auf Erden ges<strong>ch</strong>ehen. Hier auf Erden ges<strong>ch</strong>ieht die<br />

Geburt, die uns zu etwas anderem ma<strong>ch</strong>t als zu einem Kind des Fleis<strong>ch</strong>es; das<br />

s<strong>ch</strong>afft diejenige Gnade Gottes, die unseren irdis<strong>ch</strong>en Lebenslauf dur<strong>ch</strong>zieht.<br />

• „Wir" reden, was wir wissen. Viellei<strong>ch</strong>t soll dieses „wir" ausdrücken, daß ni<strong>ch</strong>t Jesus allein Israel<br />

und seinem Lehrstand gegenübersteht. Ein Zeugenamt, das dem verglei<strong>ch</strong>bar war, das Jesus übte, hatte<br />

zunä<strong>ch</strong>st der Täufer, der ja au<strong>ch</strong> als Zeuge redete und den Geist gesehen hat, 1,19.32. Do<strong>ch</strong> hat Jesus<br />

au<strong>ch</strong> seine Jünger dsshalb zu si<strong>ch</strong> berufen, damit sie mit ihm Zeugen werden für den Geist, dur<strong>ch</strong> den Gott<br />

Mens<strong>ch</strong>en für sein Rei<strong>ch</strong> lebendig ma<strong>ch</strong>t. . -


4 2 Jesus beruft den S<strong>ch</strong>riftgelehrten<br />

Und dennodi sdieint das Nikodemus über alles Glauben hinaus wunderbar. So<br />

wird die Torheit jenes Verlangens offenbar, das sidi daran ergötzen mö<strong>ch</strong>te,<br />

Jesus über Himmlis<strong>ch</strong>es reden zu hören. Oft genug hat zwar jeder Lehrer<br />

Israels träumend seine Gedanken in den Himmel gesandt und sie auf Engel<br />

und Throne, auf Gottes Herrli<strong>ch</strong>keiten und den Ablauf seiner Zeiten geri<strong>ch</strong>tet,<br />

ohne zu wissen, was ihn jetzt auf Erden zu Gott hinbringt, und nun, da es ihm<br />

verkündigt wird, glaubt er es ni<strong>ch</strong>t einmal. Jesus redet ni<strong>ch</strong>t zum Spiel und<br />

S<strong>ch</strong>erz, sondern dazu, damit sein Wort uns fasse und bei uns bleibe dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß wir es glauben. Darum redet er au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von dem, was im Himmel ist,<br />

sondern von dem, was Gott auf Erden tut.<br />

Er ist zwar der, der über die himmlis<strong>ch</strong>en Dinge spre<strong>ch</strong>en kann, und er allein<br />

kann dies. 3,13: Und keiner ist in den Himmel emporgestiegen außer dem, der<br />

aus dem Himmel herab gekommen ist, dem Sohn des Mens<strong>ch</strong>en, der im Himmel<br />

ist. <strong>Das</strong> Himmlis<strong>ch</strong>e sieht nur der, der dorthin aufgefahren und in den himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Ort erhoben ist. <strong>Das</strong> ist aber keinem mögli<strong>ch</strong> außer dem, der aus dem<br />

Himmel herunterkam, und das ist der Mens<strong>ch</strong>ensohn, dem darum der Himmel<br />

offen ist, weil er ihn verlassen hat. So ma<strong>ch</strong>t Jesus dem Nikodemus mit einem<br />

und demselben Wort sowohl seine Erniedrigung in unsere Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit<br />

hinab als die Herrli<strong>ch</strong>keit seines Verkehrs mit dem Vater si<strong>ch</strong>tbar. Nikodemus<br />

hat freili<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>t, wenn er <strong>na<strong>ch</strong></strong> Himmlis<strong>ch</strong>em begehrt, und Jesus kann und will<br />

ihm au<strong>ch</strong> etwas zeigen, was im Himmel ist. <strong>Das</strong> ist er selbst in seiner vollen<br />

Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit; er ist der, der ni<strong>ch</strong>t nur später wieder im Himmel sein wird,<br />

sondern jetzt s<strong>ch</strong>on in ihn eingegangen und dort heimis<strong>ch</strong> ist*; dies ist er aber<br />

nur deshalb, weil er zuerst aus dem Himmel herniederkam zu uns herab. So<br />

vorbehaltlos, ganz, innig und unges<strong>ch</strong>ieden weiß er si<strong>ch</strong> dem Vater verbunden,<br />

daß er, der Mens<strong>ch</strong>, in seiner irdis<strong>ch</strong>en, mit uns glei<strong>ch</strong>förmigen Art von si<strong>ch</strong><br />

sagt: I<strong>ch</strong> war droben beim Vater und komme von dort zu eu<strong>ch</strong>, wobei er freili<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t an die Glieder denkt, die Nikodemus an ihm sieht, und ni<strong>ch</strong>t die natürli<strong>ch</strong>e<br />

Art preist, in der er jetzt lebt, sondern das, was ihm inwendig das<br />

Leben gibt, im Sinne hat. Wie er von dem aus dem Geist Geborenen sagt, daß<br />

das, was Gott ihm gebe, sein Selbst in ihm sei, ni<strong>ch</strong>t über ihm s<strong>ch</strong>webe und ihm<br />

fremd bleibe, sondern sein eigenes persönli<strong>ch</strong>es Denken, Wollen und Sein ausma<strong>ch</strong>e,<br />

so s<strong>ch</strong>ließt er no<strong>ch</strong> tiefer und vollständiger, was er selbst inwendig ist,<br />

mit Gott zusammen und sagt von dem, was sein persönli<strong>ch</strong>es Leben bildet und<br />

erfüllt, daß es aus dem Himmel herniederkam. Darum ist ihm au<strong>ch</strong> der Weg<br />

in den Himmel beständig aufgetan. Obglei<strong>ch</strong> sein Herabsteigen ihm auf der<br />

* Die letzten Worte des Verses „der im Himmel ist" werden dur<strong>ch</strong> die Texte ni<strong>ch</strong>t einstimmig gegeben;<br />

sie erläutern aber sehr s<strong>ch</strong>ön, was Jesu Wort: I<strong>ch</strong> bin hinaufgefahren! meint.


<strong>Johannes</strong> 3,13-^5 45<br />

Erde den Ort gibt und ihn jedem Gesetz des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en <strong>Das</strong>eins unterwirft,<br />

hat es ihn denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vom Himmel ges<strong>ch</strong>ieden, als hätte es zwis<strong>ch</strong>en ihm<br />

und Gott einen Riß herbeigeführt; er lebt au<strong>ch</strong> jetzt in Gott und ist darum<br />

der, der s<strong>ch</strong>on jetzt in den Himmel eingegangen ist. Jesus hat hier Daniels<br />

Wort, 7,13, vom Mens<strong>ch</strong>ensohn benutzt, um Nikodemus zu erläutern, was ihm<br />

Gottes Gnade dur<strong>ch</strong> Jesu Gegenwart s<strong>ch</strong>enkt. Dort sieht der Prophet den Mens<strong>ch</strong>ensohn<br />

im Himmel; Jesus bezeugt dies als in ihm erfüllt und zur Wahrheit<br />

geworden.<br />

Weil er aber nur dadur<strong>ch</strong> den offenen Himmel über si<strong>ch</strong> hat, daß er mit<br />

ernster, voller Erniedrigung in die Welt herabkam, haben hier jene fals<strong>ch</strong>en<br />

Träume keinen Platz, die der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Sinn mit dem Blick auf Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

verknüpft. Jesus ma<strong>ch</strong>t deshalb Nikodemus einigermaßen erkennbar,<br />

wie ernst gemeint seine Erniedrigung ist und wie nur dur<strong>ch</strong> sie seine Erhöhung<br />

erfolgt. 3,14'. 15: Und wie Mose die S<strong>ch</strong>lange in der Wüste erhöhte, so muß<br />

der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en erhöht werden, damit jeder Glaubende in ihm ewiges<br />

Leben habe. Dadur<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tet er sein Amt aus, und dadur<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>afft er für si<strong>ch</strong><br />

in den Mens<strong>ch</strong>en Glauben, daß ihm das widerfährt, was Mose der S<strong>ch</strong>lange<br />

tat. Jedem si<strong>ch</strong>tbar hing sie an ihrem Pfahl wie ein geri<strong>ch</strong>teter Missetäter.<br />

Daß Nikodemus dies ganz verstehe, war ni<strong>ch</strong>t anzunehmen; glei<strong>ch</strong>wohl lag<br />

s<strong>ch</strong>on in diesem Wink für ihn eine große Gabe. Denn so ward er auf das Geheimnis<br />

in Jesu Lebenslauf aufmerksam, lernte vorwitzigem Urteil entsagen<br />

und fand si<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>ter in Jesu Niedrigkeit. Er merkte, daß er ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on jetzt<br />

verlangen dürfe, daß ni<strong>ch</strong>ts an ihm zu sehen sei als lauter Himmelsglanz, wie<br />

wenn es ein Widerspru<strong>ch</strong> wäre, daß Jesus als der Mens<strong>ch</strong>ensohn vor ihm stand<br />

und denno<strong>ch</strong> von seiner Gegenwart im Himmel spra<strong>ch</strong>. Dieses Rätsel wird<br />

si<strong>ch</strong> lösen, wenn er „erhöht" sein wird.<br />

Dieses Wort zeigt, daß Jesus auf die an den Vater geri<strong>ch</strong>tete Frage: Wie<br />

ri<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> meine Sendung aus? bereits die klare und gewisse Antwort besaß:<br />

Der Kreuzespfahl führt di<strong>ch</strong> ans Ziel. Überall stieß er auf Widerspru<strong>ch</strong>; das<br />

Feld zur Arbeit war für ihn klein; au<strong>ch</strong> der Meister in Israel begehrte ni<strong>ch</strong>t<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> der Geburt aus Gottes Geist. So ward er zu einer niedrigen, armen Gestalt.<br />

<strong>Das</strong> muß si<strong>ch</strong> darin vollenden, daß er wie die S<strong>ch</strong>lange am Pfahle hängt.<br />

Dieser Blick ma<strong>ch</strong>t ihn aber ni<strong>ch</strong>t aufs<strong>ch</strong>reien in S<strong>ch</strong>merz und Zorn; im Gegenteil:<br />

das ist der Weg, auf dem er sein Amt vollführt. Ho<strong>ch</strong> wird er hängen am<br />

Pfahl, ja wahrhaft ho<strong>ch</strong>, erhöht im vollsten Sinn, so ho<strong>ch</strong>, daß er dadur<strong>ch</strong> zum<br />

Vater geht, und dann, wenn er die Kreuzesgestalt erhalten hat, dann werden<br />

si<strong>ch</strong> die Blicke zu ihm wenden; dann werden sie zu ihm kommen, au<strong>ch</strong> die,<br />

die jetzt ferne sind; dann glauben sie ihm.


44 Jesus beruft den S<strong>ch</strong>riftgelehrten<br />

Jésus a<strong>ch</strong>tet bei jener Erzählung ni<strong>ch</strong>t nur darauf, daß die'S<strong>ch</strong>lange an<br />

ihrem Pfahl ho<strong>ch</strong> vor aller Augen hing, sondern weiter darauf, daß sie bewirkte,<br />

was niemand in Israel und au<strong>ch</strong> Mose ni<strong>ch</strong>t vermo<strong>ch</strong>te: daß der gläubige<br />

Blick auf sie den Sterbenden Leben gab. <strong>Das</strong> wird au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> sein Kreuz<br />

in der hö<strong>ch</strong>sten Weise ges<strong>ch</strong>ehen, und deshalb geht er ihm mit einem festen,<br />

ganzen Willen zu, weil er so errei<strong>ch</strong>t, daß er den Glaubenden ins ewige Leben<br />

zu führen vermag. Zu diesem herrli<strong>ch</strong>sten Ziel der Gnade, bei dem sie si<strong>ch</strong> bedingungslos<br />

jedem darbietet, der si<strong>ch</strong> ihr zuwendet, und si<strong>ch</strong> jedem s<strong>ch</strong>enkt,<br />

der sie begehrt, führt er sie eben dur<strong>ch</strong> die Kreuzestat hinauf. Vom Kreuze aus<br />

wird er ein sol<strong>ch</strong>es Vergeben und ein sol<strong>ch</strong>es Geben üben, daß er jeden, der<br />

ihn anruft, erhört, jedem, der ihm vertraut, hilft und jeden Glaubenden in den<br />

Besitz des ewigen Lebens stellt. .<br />

Ewiges Leben, das erläutert das erste Wort von der dur<strong>ch</strong> den Geist gewirkten<br />

Geburt. Wer aus dem Geist geboren ist, hat ewiges Leben; es entsteht dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß der Geist uns faßt und formt. Hier bes<strong>ch</strong>reibt Jesus das Leben als<br />

seine Gabe, dort als das Werk des Geistes, und er ma<strong>ch</strong>t mit dem einen Wort<br />

das andere klar. An der Sendung und dem Kreuz des Sohnes lernen wir, wodur<strong>ch</strong><br />

der Geist zu uns kommt und wie die neue, im Geist lebendige Mens<strong>ch</strong>heit<br />

wird. Wer dem Sohn glaubt, in dem wirkt der Geist die Erneuerung.<br />

Jesus kam herab und wird der erhöhten S<strong>ch</strong>lange glei<strong>ch</strong>, weil ihn der Vater<br />

zu den Mens<strong>ch</strong>en ges<strong>ch</strong>ickt und in die Welt hineingestellt hat, damit er für sie<br />

zum Geber des ewigen Lebens werde. Deshalb hat ihn Gott auf den Kreuzesweg<br />

gestellt. Diese seine Stellung in der Welt erläutert nun Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrem<br />

göttli<strong>ch</strong>en Grund. 3,16: Denn Gott hat die Welt so geliebt, daß er den einzigen<br />

Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, ni<strong>ch</strong>t verderbe, sondern<br />

ewiges Leben habe. Wie einen si<strong>ch</strong> die beiden Worte, die Jesus bisher Nikodemus<br />

gab, von denen das eine ihn in den Himmel, das andere an den Kreuzespfahl<br />

versetzt? In der Liebe Gottes liegt der S<strong>ch</strong>lüssel seines Geheimnisses.<br />

Gottes Liebe gilt ni<strong>ch</strong>t dem Sohne allein, sondern au<strong>ch</strong> der Welt, und das bemißt<br />

die Stellung des Sohnes in der Welt. Weil Gott die Mens<strong>ch</strong>heit liebhat,<br />

ihr ewiges Leben s<strong>ch</strong>enken und sie vom Verderben erlösen will, darum hielt<br />

er seinen Sohn ni<strong>ch</strong>t bei si<strong>ch</strong> zurück, daß er nur dem Vater lebe und des Vaters<br />

Herrli<strong>ch</strong>keit an si<strong>ch</strong> offenbare, sondern setzte ihn in das Mens<strong>ch</strong>enleben hinein,<br />

daß er der Mens<strong>ch</strong>heit eigen sei, ihr glei<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t und unter ihr Gesetz<br />

getan. Daraus fließt, daß der Sohn ni<strong>ch</strong>t Gottes, sondern der Welt natürli<strong>ch</strong>e<br />

Art an si<strong>ch</strong> hat, ni<strong>ch</strong>t im Ebenbilde Gottes strahlt, sondern das Mens<strong>ch</strong>enbild<br />

an si<strong>ch</strong> trägt, darum au<strong>ch</strong> der Welt preisgegeben ist und von ihr an das Kreuz<br />

gehängt werden kann. Darum liegt in der Erniedrigung Jesu das Maß und die


• <strong>Johannes</strong> 3,16.17 45<br />

<strong>Offenbarung</strong> der göttli<strong>ch</strong>en Liebe. So sehr hat Gott die Mens<strong>ch</strong>en lieb, so ho<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>ätzt er sie, daß er den einigen Sohn ihnen hingegeben hat!<br />

Jesus will diesen Auftrag ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>lagen und der Liebe des Vaters seinen<br />

Dienst ni<strong>ch</strong>t entziehen. Es ist die Freude des Sohnes, sol<strong>ch</strong>er Liebe des Vaters<br />

zum "Werkzeug und Mittler zu dienen. Er könnte der Welt seine Liebe nur<br />

dann versagen, wenn er si<strong>ch</strong> selber vom Vater s<strong>ch</strong>iede. <strong>Das</strong> ist die helle, herrli<strong>ch</strong>e<br />

Freude im Kreuzesweg Jesu, daß die Wurzel des Kreuzes die Liebe des<br />

Vaters zur Welt ist. Weil diese ihn zu seinem Gang beruft, geht er ihn als<br />

Held und verkündigt es als ein <strong>Evangelium</strong>, daß des Mens<strong>ch</strong>en Sohn wie einst<br />

die S<strong>ch</strong>lange erhöht werden soll. So errei<strong>ch</strong>t er, daß keiner, der an ihn glaubt,<br />

verlorengeht. Uns ist das Verderben nahe; darum lebt und leidet Jesus in der<br />

Welt, um dieses von uns abzuwehren und statt desselben uns das ewige Leben<br />

zu geben. <strong>Das</strong> ma<strong>ch</strong>t er dadur<strong>ch</strong>, daß er unseren Glauben auf si<strong>ch</strong> lenkt, und<br />

sowie wir mit ihm inwendig verbunden sind, ma<strong>ch</strong>t er unseren Ans<strong>ch</strong>luß an<br />

ihn zu unserem Eins<strong>ch</strong>luß in das ewige Leben und wird dadur<strong>ch</strong> zum Retter<br />


46 Jesus beruft den S<strong>ch</strong>riftgelehrten<br />

ben, als si<strong>ch</strong> Nikodemus dieselbe je geda<strong>ch</strong>t hat. Es liegt ihm aber zuglei<strong>ch</strong><br />

daran, ihm den Ernst der Gnade si<strong>ch</strong>tbar zu ma<strong>ch</strong>en. "Würde dieser verdunkelt,<br />

so wäre die Gnade ni<strong>ch</strong>t mehr Gnade. Darum spri<strong>ch</strong>t Jesus aus, wie gerade<br />

dadur<strong>ch</strong>, daß die Liebe des Vaters ihn zum Heiland der Welt bestellt hat, au<strong>ch</strong><br />

Gottes Ri<strong>ch</strong>ten in "Wirksamkeit tritt und sein ganzes "Wirken begleitet, wenn<br />

es au<strong>ch</strong> vom stumpfen mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Auge ni<strong>ch</strong>t bemerkt wird. 0<br />

3,18: Wer an ihn glaubt, wird ni<strong>ch</strong>t geri<strong>ch</strong>tet. Wer ni<strong>ch</strong>t glaubt, ist s<strong>ch</strong>on<br />

geri<strong>ch</strong>tet, weil er ni<strong>ch</strong>t an den Namen des einzigen Sohnes Gottes geglaubt hat*<br />

Wer si<strong>ch</strong> mit Glauben zu ihm wendet, der steht, weil er mit dem Christus ver^<br />

bunden ist, unter Gottes vergebender Gnade, wird also ni<strong>ch</strong>t unter das ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>e<br />

Urteil Gottes gestellt, weil ihm seine Sünde ni<strong>ch</strong>t vergolten, sondern vergeben<br />

wird. Gott handelt an ihm ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Bosheit, der das Verderben<br />

gebührt, sondern <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem Glauben, der das ewige Leben bei Christus su<strong>ch</strong>t<br />

und erhält. Wer aber ni<strong>ch</strong>t glaubt, über den ist dadur<strong>ch</strong>, daß er ni<strong>ch</strong>t zum<br />

Glauben an den Namen des Christus gekommen ist, das Urteil Gottes s<strong>ch</strong>on<br />

ergangen. Es hat ihn s<strong>ch</strong>on aus der Gnade herausgesetzt, ihm das Leben entzogen<br />

und ihn dem Verderben überantwortet.<br />

Jesus droht ni<strong>ch</strong>t nur mit dem künftigen Vollzug des Geri<strong>ch</strong>ts; es tritt unmittelbar<br />

in Kraft dur<strong>ch</strong> die Weise, wie wir uns zu ihm halten, ob wir im<br />

Glauben zu ihm treten oder ohne Glauben ihm ferne bleiben. Denn für Jesus<br />

ist der Glaube kein unerfüllt bleibender Wuns<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>t nur eine in die Ferne<br />

blickende Sehnsu<strong>ch</strong>t; vielmehr bestätigt und erfüllt er die auf ihn geri<strong>ch</strong>tete<br />

Zuversi<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong>, daß er den Glaubenden in seine Liebe und Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

aufnimmt und ihm seine Gabe gibt. Darum hat der Glaubende das ewige<br />

Leben; er ist all dessen teilhaft geworden, was uns Christus bringt. Und der<br />

ni<strong>ch</strong>t Glaubende hat das alles verloren, ist von Christus ges<strong>ch</strong>ieden, hat keinen<br />

Anteil an Gottes Gnade und ist um das ewige Leben gekommen. Dadur<strong>ch</strong> hat<br />

er bereits Gottes Geri<strong>ch</strong>t an si<strong>ch</strong> erlebt. Er wird ni<strong>ch</strong>t nur gestraft werden,<br />

sondern er ist s<strong>ch</strong>on gestraft; eben dadur<strong>ch</strong>, daß ihm der Glaube fehlt, ist er<br />

in das ganze Elend seiner Sünde hinabgesunken. <strong>Das</strong> wirkt der Glaube nur<br />

deshalb, weil er auf den geri<strong>ch</strong>tet ist, der der einzige Sohn Gottes ist, neben<br />

dem es ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> einen anderen gibt. Wer si<strong>ch</strong> von ihm trennt, ist von Gott<br />

ges<strong>ch</strong>ieden.<br />

<strong>Das</strong> Geri<strong>ch</strong>t ist Gottes Antwort auf das böse Handeln des Mens<strong>ch</strong>en, Vergeltung<br />

für sein Übeltun. Denn es ist kein Zufall, wenn uns der Name des<br />

Sohnes Gottes ni<strong>ch</strong>t zum Glauben bewegt. Darin offenbart si<strong>ch</strong>, wohin si<strong>ch</strong><br />

unsere liebe streckt, ob wir die Finsternis oder das Li<strong>ch</strong>t vorziehen. 3,19: <strong>Das</strong><br />

ist das Geri<strong>ch</strong>t, daß das Li<strong>ch</strong>t in die Welt gekommen ist, und die Mens<strong>ch</strong>en


<strong>Johannes</strong> 3,18—20 Al<br />

liebten die Finsternis mehr als das Li<strong>ch</strong>t. Denn ihre Werke waren böse. Solange<br />

den Mens<strong>ch</strong>en nur Dunkelheit umgibt, kommt es no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zur Ents<strong>ch</strong>eidung,<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zum Vollzug des göttli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts. Nun stellt aber Jesu Gegenwart<br />

den Mens<strong>ch</strong>en in das Li<strong>ch</strong>t. Sie zeigt ihm Gott und ma<strong>ch</strong>t ihm au<strong>ch</strong> des Mens<strong>ch</strong>en<br />

eigenes Bild deutli<strong>ch</strong> und seine Sünde wahrnehmbar. Nun wird es si<strong>ch</strong><br />

zeigen, wem seine Liebe gilt, ob er für das Li<strong>ch</strong>t dankt und si<strong>ch</strong> in dasselbe<br />

stellt oder ob er si<strong>ch</strong> ins Dunkle flü<strong>ch</strong>tet, lieber im Finsteren existiert, lieber<br />

ni<strong>ch</strong>ts sieht, weder was Gott no<strong>ch</strong> was der Mens<strong>ch</strong> ist, und auf die Wahrheit<br />

verzi<strong>ch</strong>tet, weil sie ihn s<strong>ch</strong>merzt. Glei<strong>ch</strong> im Eingang zum <strong>Evangelium</strong> hat uns<br />

<strong>Johannes</strong> als die Hauptsa<strong>ch</strong>e an Jesus das genannt: In ihm war Leben, und<br />

das Leben war das Li<strong>ch</strong>t der Mens<strong>ch</strong>en. Vom Leben spra<strong>ch</strong> Jesu erstes Wort;<br />

denn das Geborenwerden ist des Lebens Anfang und ergibt die Stunde, in der<br />

es in uns entsteht. <strong>Das</strong> Leben tritt aber als das Li<strong>ch</strong>t an den Mens<strong>ch</strong>en heran.<br />

In seiner leu<strong>ch</strong>tenden Kraft betätigt es seine Gnade; denn dadur<strong>ch</strong> faßt es und<br />

zieht es ihn. Daraus, aus Jesu leu<strong>ch</strong>tender Kraft, erwä<strong>ch</strong>st aber das Geri<strong>ch</strong>t in<br />

seiner ernsten Majestät.<br />

Jesus spri<strong>ch</strong>t den S<strong>ch</strong>merz aus, der sein ganzes "Wirken dur<strong>ch</strong>zieht: Den Mens<strong>ch</strong>en<br />

ist es im Dunklen wohl. Sie danken für die "Wahrheit ni<strong>ch</strong>t und wollen<br />

kein offenes Auge empfangen. Darum glauben sie ni<strong>ch</strong>t, können es au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t,<br />

da sie ja im Glauben dem Li<strong>ch</strong>t, das Christus gibt, si<strong>ch</strong> aufs<strong>ch</strong>lössen und es in<br />

si<strong>ch</strong> aufnähmen. Daß sie ni<strong>ch</strong>t glauben, rührt daher, daß sie si<strong>ch</strong> der Finsternis<br />

zukehren und dort si<strong>ch</strong> ihr Versteck su<strong>ch</strong>en. Darum ist der Unglaube S<strong>ch</strong>uld,<br />

und der Verlust des Lebens, der ihm folgt, ist Gottes gere<strong>ch</strong>te Vergeltung und<br />

Geri<strong>ch</strong>t.<br />

"Wie kommt es dazu, daß Mens<strong>ch</strong>en glauben, nur im Finsteren leben zu<br />

können, das Lügen ni<strong>ch</strong>t entbehren und àie "Wahrheit ni<strong>ch</strong>t ertragen zu können?<br />

Daraus, daß sie Böses tun, entsteht der Drang vom Li<strong>ch</strong>t weg, vom Christus<br />

fort, von Gott fort, der Dunkelheit zu. 3,20: Denn jeder, der S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes<br />

treibt, haßt das Li<strong>ch</strong>t und kommt ni<strong>ch</strong>t zum Li<strong>ch</strong>t, damit ihm seine Werke<br />

ni<strong>ch</strong>t vorgehalten werden. Böses kann kein Li<strong>ch</strong>t ertragen; denn es wird am<br />

Li<strong>ch</strong>t in seiner Verdorbenheit und Häßli<strong>ch</strong>keit offenbar. Es haftet am Bösen<br />

unmittelbar die Gewißheit, daß es uns Ehre und Re<strong>ch</strong>t nimmt, die liebe des<br />

anderen von uns treibt und uns aller Güte unwürdig ma<strong>ch</strong>t. Darum versteckt<br />

es si<strong>ch</strong> und erzeugt das Bedürfnis <strong>na<strong>ch</strong></strong> Dunkelheit und treibt den, der es tut,<br />

ins Finstere. Deshalb sagt Jesus allen, die ihn meiden und ihm mißtrauen: Ihr<br />

erntet die s<strong>ch</strong>limme Fru<strong>ch</strong>t eurer bösen Tat; das ist der Lohn für eure Sünde.<br />

I<strong>ch</strong> bin als euer Heiland da; warum kommt ihr ni<strong>ch</strong>t zu mir: Darum, weil<br />

eure bösen Taten eu<strong>ch</strong> den Mut nehmen, im Li<strong>ch</strong>t zu stehen, weil ihr dur<strong>ch</strong>


48 Jesus beruft den S<strong>ch</strong>riftgelehrten<br />

eure Sünde die Kraft verloren habt, die "Wahrheit als Wahrheit zu s<strong>ch</strong>ätzen<br />

dadur<strong>ch</strong>, daß ihr sie glaubt, und die Güte als Güte zu erfassen dadur<strong>ch</strong>, daß<br />

ihr derselben traut. Darum ist euer Unglaube Gottes gere<strong>ch</strong>te Vergeltung, die<br />

eu<strong>ch</strong> straft; denn er ist die Fru<strong>ch</strong>t eurer eigenen bösen Tat.<br />

Dieses Geri<strong>ch</strong>t, das mit seinem ganzen Wirken verbunden ist, kann und<br />

will Jesus ni<strong>ch</strong>t hindern, vielmehr üben, weil ohne dasselbe die Gnade entheiligt<br />

und zerstört wäre. Er kann der Liebe, mit der der Vater die Welt liebt,<br />

nur dadur<strong>ch</strong> dienen, daß er dem Mens<strong>ch</strong>en Li<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>afft. Spra<strong>ch</strong> er von der<br />

neuen Geburt, so bes<strong>ch</strong>rieb er damit die göttli<strong>ch</strong>e Gnade in ihrer S<strong>ch</strong>öpferma<strong>ch</strong>t,<br />

die uns ins reine Empfangen setzt und ohne uns ihr Werk in uns tut.<br />

Da aber Gott dem Mens<strong>ch</strong>en ein eigenes, persönli<strong>ch</strong>es Leben verliehen hat, so<br />

daß er einen eigenen Willen besitzt, darum kommt Jesus als das Li<strong>ch</strong>t zum<br />

.Mens<strong>ch</strong>en und bringt ihm die Klarheit über si<strong>ch</strong> selbst. Nun muß er es freili<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> hinnehmen, wenn er si<strong>ch</strong> vor dem Li<strong>ch</strong>t verbirgt. Darum jedo<strong>ch</strong>, weil er<br />

jetzt ni<strong>ch</strong>t anders als so, daß er uns Li<strong>ch</strong>t gibt, das Geri<strong>ch</strong>t übt, ist seiner Gnade<br />

die freie Bahn gegeben, so daß sie jeden, der zu ihm kommt, aufnehmen und<br />

-jeden, der ihm glaubt, ins ewige Leben emporheben kann, und es bleibt ohne<br />

Minderung und Abzug wahr: I<strong>ch</strong> bin ni<strong>ch</strong>t gekommen zu ri<strong>ch</strong>ten, sondern zu<br />

retten jeden, der zu mir kommt.<br />

Damit hat Jesus Nikodemus den Weg gezeigt, wie er ihn finden kann. Er<br />

soll erwägen, was ihm lieber ist, pb er die Finsternis ni<strong>ch</strong>t lassen kann oder<br />

ob er das Li<strong>ch</strong>t als Gottes herrli<strong>ch</strong>e Gabe s<strong>ch</strong>ätzt und su<strong>ch</strong>t. Je <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem geht<br />

er von Jesus weg und ri<strong>ch</strong>tet zwis<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> und ihm die Trennung auf oder<br />

stellt si<strong>ch</strong> glaubend unter seine Führung. Deswegen bes<strong>ch</strong>reibt das letzte Wort<br />

no<strong>ch</strong>mals mit aller Deutli<strong>ch</strong>keit, wie man zum Glauben und zu Christus<br />

kommt. 3,21: Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Li<strong>ch</strong>t, damit seine<br />

Werke offenbar werden; denn sie sind in Gott getan. Nun weiß Nikodemus,<br />

was ihm weiter hilft. Viel Wahrheit hat er gelernt, erkannt, gepredigt, gelehrt.<br />

Tust du sie? fragt ihn Jesus. Daran wird es si<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>eiden, ob er das<br />

Li<strong>ch</strong>t erträgt. Ist unser Handeln der Wahrheit Untertan, lassen wir uns von<br />

ihr regieren, haben wir in ihr unsere Regel ni<strong>ch</strong>t bloß für das, was wir sagen,<br />

sondern au<strong>ch</strong> für das, was wir tun, dann ist uns das Li<strong>ch</strong>t erwüns<strong>ch</strong>t; denn ein<br />

sol<strong>ch</strong>es Werk vermag offenbar zu werden, weil es in der Gemeins<strong>ch</strong>aft mit<br />

Gott vollbra<strong>ch</strong>t worden ist. Aus der Wahrheit heraus ist es gewa<strong>ch</strong>sen, also<br />

von Gott uns gewährt. Hat es die Wahrheit zum Grund und zum Ziel, so<br />

wurde es <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Willen und unter seiner Leitung getan, weil die Wahrheit<br />

ni<strong>ch</strong>t das Erzeugnis des Mens<strong>ch</strong>en, sondern Gottes Eigentum ist und dies<br />

auf allen ihren Stufen, au<strong>ch</strong> in ihrer einfa<strong>ch</strong>sten Erstlingsgestalt. Somit ist der


<strong>Johannes</strong> 3,21.22 x 49<br />

"Weg, den Jesus Nikodemus zeigt, der: Tue deine "Werke in Gott; das ges<strong>ch</strong>ieht<br />

dadur<strong>ch</strong>, daß sie aus der "Wahrheit kommen und ihr Untertan sind. Versteht er<br />

au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, wie ein Mens<strong>ch</strong> aus Gottes Geist neues Leben erhält, au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t, wie der Mens<strong>ch</strong> Jesus im Himmel sein kann und dur<strong>ch</strong> die Kreuzestat<br />

sein Heilandsamt vollführt, das versteht er, claß die Lüge sein "Werk befleckt<br />

und ihn selbst verdirbt, daß die "Wahrheit ihn zu regieren hat. Hier wird si<strong>ch</strong><br />

sein Weg ents<strong>ch</strong>eiden. Tut er sein "Werk in Gott, so wird der Glaube an Christus<br />

in ihm erwa<strong>ch</strong>sen und das belebende "Werk des Geistes in ihm ges<strong>ch</strong>ehen.<br />

Die erste Rede Jesu, die uns <strong>Johannes</strong> gibt, legt uns somit sein ganzes Wort<br />

vor. Sie spri<strong>ch</strong>t vom Werk des Geistes, von der Sendung des Sohnes und von<br />

der Gegenwart des Vaters, der dur<strong>ch</strong> die Wahrheit uns inwendig nahe ist. Der<br />

Blick erfaßt den dreieinigen Gott und dadur<strong>ch</strong> die Fülle seiner Gabe. Jedes<br />

Stück der Rede erläutert das andere. Wie es zur Geburt aus dem Geiste kommt,<br />

sagt uns das zweite Stück: dur<strong>ch</strong> den Glauben an den Sohn. Wie es zum Glauben<br />

an Christus kommt, sagt das dritte Stück: dur<strong>ch</strong> das in Gott getane Werk.<br />

Vom Geheimnis des Himmelrei<strong>ch</strong>s führt Jesus Nikodemus zu der Stelle hinab,<br />

wo er unmittelbar mit redli<strong>ch</strong>em Willen anfangen und einsetzen kann: Tue<br />

die Wahrheit! Ebenso s<strong>ch</strong>afft, weil bei Gottes Werken jedes Glied das andere<br />

trägt, die Geburt aus dem Geist in uns den Glauben an den Sohn> und der<br />

Glaube an den Sohn erzeugt das in Gott getane Werk. <strong>Das</strong> Werk des Geistes,<br />

des Sohnes und des Vaters sind stets>einträ<strong>ch</strong>tig beisammen. Darum finden wir<br />

im Geist den Sohn und den Vater und im Vater den Sohn und den Geist.<br />

Kapitel 3,22—36<br />

Der Täufer beruft seine Jünger zu Jesus<br />

Es gab ni<strong>ch</strong>t nur sol<strong>ch</strong>e Pharisäer und Obersten Israels in Jerusalem, wie es<br />

Nikodemus war, den der Zug zum Li<strong>ch</strong>t wenigstens heimli<strong>ch</strong> zu Jesus gebra<strong>ch</strong>t<br />

und zum Hörer seines Wortes gema<strong>ch</strong>t hatte. Daneben standen viele andere,<br />

denen Jesu Klage galt: Sie begehren kein Li<strong>ch</strong>t, wollen ihrer bösen Werke<br />

wegen vielmehr im Finstern sein. Darum ging Jesus aus Jerusalem weg. 3,22:<br />

Darauf ging Jesus und seine Jünger^ in die Lands<strong>ch</strong>aft von Judäa und verweilte<br />

dort mit ihnen und taufte. Er blieb also no<strong>ch</strong> in der Nähe der heiligen<br />

Stadt, in dem Teil des Landes, der rings um sie her von zahlrei<strong>ch</strong>en und großen<br />

jüdis<strong>ch</strong>en Gemeinden bewohnt war. Wer sein Jünger geworden war, zog mit<br />

ihm, so daß si<strong>ch</strong> um ihn her eine Gemeinde sammelte, und wer weiter <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm<br />

begehrte und ihn hören wollte, zog zu ihm hinaus. Der Zugang zu ihm war<br />

man<strong>ch</strong>em dadur<strong>ch</strong> erlei<strong>ch</strong>tert, daß er ni<strong>ch</strong>t mehr in Jerusalem war, wo die bös-


5 ° Der Täufer beruft seine Jünger zu Jesus<br />

willigen Augen der geistli<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>thaber jeden überwa<strong>ch</strong>ten, der si<strong>ch</strong> ihm<br />

näherte. Hier hat man<strong>ch</strong>er, der si<strong>ch</strong> an ihn wandte, die Taufe empfangen, wozu<br />

<strong>Johannes</strong> 4,2 die Erläuterung gibt, daß ni<strong>ch</strong>t Jesus selbst, sondern die Jünger<br />

die zu Jesus Kommenden zum Taufwasser geführt haben.<br />

Jesus hat si<strong>ch</strong> stets zum Bußwort des Täufers als zu Gottes "Wort bekannt<br />

und seine Taufe als Gottes Gabe geehrt, dur<strong>ch</strong> die Gott den Reuigen die Vergebung<br />

gewährt und sein Rei<strong>ch</strong> ihnen zugesagt habe, vgl. 1,33. Darum bedarf<br />

es keiner weiteren Erläuterung, daß Jesus niemand wehrte, die Taufe zu empfangen,<br />

und es au<strong>ch</strong> seinen Jüngern ni<strong>ch</strong>t wehrte, sie denen zu geben, die si<strong>ch</strong><br />

an ihn gewandt hatten. Er hatte Israel keinen anderen Heilsweg zu verkünden<br />

als den, den ihm s<strong>ch</strong>on der Täufer in Gottes Auftrag gesagt hatte: Kehrt um!<br />

denn Gott handelt nun königli<strong>ch</strong> an eu<strong>ch</strong>, und er bot ihm dieselbe Gnade an,<br />

die der Täufer allen dur<strong>ch</strong> die Taufe vorgehalten hat. Darum hat er au<strong>ch</strong><br />

Nikodemus gesagt, daß Gott si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> "Wasser und Geist die Mens<strong>ch</strong>en bereite,<br />

die in seinem Rei<strong>ch</strong>e ewig leben. Glei<strong>ch</strong>wohl ist es ni<strong>ch</strong>t rätselhaft, daß<br />

Jesus ni<strong>ch</strong>t selbst das "Wasser als das Mittel benutzte, in das er die göttli<strong>ch</strong>e<br />

Gnade faßte und dem Glaubenden zueignete. Es entspra<strong>ch</strong> dem, was sein Amt<br />

war, ni<strong>ch</strong>t ganz. S<strong>ch</strong>on der Täufer hat es ausgespro<strong>ch</strong>en: Mir gehört das "Wasser<br />

zu, ni<strong>ch</strong>t ihm; er tauft im heiligen Geist und im Feuer. Denn das "Wasser<br />

bleibt ein Zei<strong>ch</strong>en, das der Ergänzung dur<strong>ch</strong> den bedarf, der uns von innen her<br />

reinigt und belebt. Es paßt deshalb zu dem, der von si<strong>ch</strong> selber wegweisen<br />

muß auf den hin, der stärker ist als er, sowohl zum Propheten, der auf den<br />

Kommenden hinzeigt, als zu den Jüngern Jesu, die zum Gekommenen hinführen.<br />

"Weil aber das Taufen der Jünger <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu Willen und im Hinweis<br />

auf ihn ges<strong>ch</strong>ah, deshalb, weil er gekommen war und allen Glaubenden das<br />

ewige Leben aus dem Geiste verheißt, darum sagt <strong>Johannes</strong> hier ohne Eins<strong>ch</strong>ränkung:<br />

Jesus taufte, im Unters<strong>ch</strong>ied vom Täufer, der seinen Dienst an<br />

Israel no<strong>ch</strong> fortsetzte und au<strong>ch</strong> jetzt no<strong>ch</strong> denen, die zu ihm kamen, die<br />

Taufe gab.<br />

3,23. 24: Aber au<strong>ch</strong> <strong>Johannes</strong> taufte in Änon nahe bei Salem, weil dort viel<br />

Wasser war, und sie zogen zu ihm und wurden getauft. Denn <strong>Johannes</strong> war<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in das Gefängnis gelegt. Ein Salem lag am Jordan südli<strong>ch</strong> von der<br />

alten Stadt Bethsean, die in dieser Zeit eine große, überwiegend von Heiden<br />

bewohnte und <strong>na<strong>ch</strong></strong> grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er "Weise eingeri<strong>ch</strong>tete Stadt gewesen und Skythopolis<br />

genannt worden ist. Redet <strong>Johannes</strong> von diesem Salem, so hat si<strong>ch</strong><br />

der Täufer damals an einen Ort gestellt, wo er den Galiläern und den Gemeinden<br />

auf der Ostseite des Jordans ebenso nahe war als den Bewohnern<br />

Judäas. Dadur<strong>ch</strong> war er von der Umgegend Jerusalems, in der Jesus glei<strong>ch</strong>-


<strong>Johannes</strong> 3,23—26 5 *<br />

zeitig seine Arbeit tat, beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> entfernt. Au<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem ihm Jesus geoffenbart<br />

ward, beharrte er in seinem "Werk, weil er auf Gottes Führung wartete.<br />

Wenn er kommt, hatte er gesagt, bedarf er meiner Hilfe ni<strong>ch</strong>t, sondern ist<br />

stärker als i<strong>ch</strong> und handelt in Gottes Ma<strong>ch</strong>t. Allein die Stunde des Christus<br />

zur <strong>Offenbarung</strong> seiner Ma<strong>ch</strong>t war no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t da. Vorerst war es no<strong>ch</strong> immer<br />

so, daß Israel zur Umkehr eingeladen werden konnte und mußte, und nie<br />

waren ihm das Bußwort und die Taufe nötiger als eben jetzt, da es in Jesus<br />

den Christus erkennen und an ihn glauben sollte. So fährt der Täufer in seinem<br />

Dienst fort und wartet, wohin si<strong>ch</strong> Gottes "Weg weiter wenden wird.<br />

Jesus störte ihn dabei ni<strong>ch</strong>t nur ni<strong>ch</strong>t, sondern ma<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> zu seinem Gehilfen,<br />

da au<strong>ch</strong> er Israel von seinem bösen Weg wegrief mit demselben Wort und<br />

demselben Sakrament, das s<strong>ch</strong>on <strong>Johannes</strong> verwendet hatte.<br />

Der Evangelist erinnert kurz daran, daß dem Täufer später die Gelegenheit<br />

genommen ward, seinen Botendienst für Jesus auszuri<strong>ch</strong>ten, weil er dur<strong>ch</strong> den<br />

Vierfürsten Antipas ins Gefängnis gebra<strong>ch</strong>t wurde und dort sein Leben lassen<br />

mußte. Do<strong>ch</strong> war er ni<strong>ch</strong>t nur darin Jesus ähnli<strong>ch</strong>, daß ihm das Ende seines<br />

Wirkens dur<strong>ch</strong> das Leiden kam, sondern au<strong>ch</strong> darin, daß er vor diesem seinen<br />

Jüngern den ganzen Heilsweg kundtun konnte und ni<strong>ch</strong>t an seinem Dienst<br />

gehindert wurde, ehe er ihnen das volle <strong>Evangelium</strong> mit der hellen Bezeugung<br />

Jesu gegeben hat.<br />

<strong>Das</strong> glei<strong>ch</strong>zeitige und glei<strong>ch</strong>artige Wirken der beiden Männer hatte eine<br />

aufweckende Kraft, die zum Na<strong>ch</strong>denken trieb, wie es si<strong>ch</strong> denn mit ihrem<br />

Beruf verhalte. 3,25: Darum gab es bei den Jüngern des <strong>Johannes</strong> eine Erörterung<br />

mit einem Juden über die Reinigung. Dabei war si<strong>ch</strong>er au<strong>ch</strong> von der<br />

Taufe die Rede als dem re<strong>ch</strong>ten Mittel, die Reinheit, die vor Gott besteht, zu<br />

empfangen, im Gegensatz zu Israels vergebli<strong>ch</strong>en Bemühungen. Da es aber<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr bloß eine einzige Taufe gab, sondern hier der Täufer, dort Jesus<br />

taufte, so befragten die Jünger des Täufers ihren Meister um sein Urteil über<br />

Jesus. 3,26: Und sie kamen zu <strong>Johannes</strong> und sagten zu ihm: Rabbi, der, der<br />

jenseits vom Jordan bei dir war, für den du Zeugnis abgelegt hast, sieh! der<br />

tauft, und alle kommen zu ihm. Sie erinnern ihn an die Gemeins<strong>ch</strong>aft, die zwis<strong>ch</strong>en<br />

beiden bestand, wie Jesus den Täufer in seiner Sendung anerkannt habe<br />

dadur<strong>ch</strong>, daß er zu ihm kam, und der Täufer Jesus dadur<strong>ch</strong>, daß er für ihn als<br />

Zeuge eintrat, und melden ihm, daß Jesus dieselbe Arbeit tue wie er und dies<br />

mit großem Erfolg. So hat uns der Evangelist kurz und do<strong>ch</strong> ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> die<br />

merkwürdige Lage bes<strong>ch</strong>rieben, in der der Täufer sein Bekenntnis ausgespro<strong>ch</strong>en<br />

hat. Auf der einen Seite steht der Jude mißtrauis<strong>ch</strong> gegen <strong>Johannes</strong> und<br />

gegen Jesus und eifert gegen beide für seine eigene Weise; auf der anderen


5 2 Der Täufer beruft seine Jünger zu Jesus<br />

Seite stehen die beiden Boten Gottes verbunden, weil Jesus den Täufer, der<br />

Täufer Jesus in seiner Stellung bestätigt hatte, und do<strong>ch</strong> wieder getrennt, der<br />

eine hier, der andere dort Israel dienend, jeder von seiner eigenen Gemeinde<br />

umgeben, do<strong>ch</strong> so, daß Jesus über den Täufer emporzuwa<strong>ch</strong>sen begann. Was<br />

in dieser Lage das Bekenntnis des Täufers war, darauf ri<strong>ch</strong>tet der Evangelist<br />

unseren Blick.<br />

Wie es dagegen im Herzen der Jünger des Täufers stand, läßt si<strong>ch</strong> weniger<br />

deutli<strong>ch</strong> erkennen. Hat Eifersu<strong>ch</strong>t sie gequält, die das Werk Jesu als eine S<strong>ch</strong>ädigung<br />

ihres eigenen Meisters betra<strong>ch</strong>tete und es wie Undank empfand, daß<br />

er si<strong>ch</strong> zwar von ihm das Zeugnis geben ließ, womit er si<strong>ch</strong> die Anfänge seiner<br />

Arbeit erlei<strong>ch</strong>terte, dann aber selbständig auftrat und das Volk vom Täufer<br />

weg zu si<strong>ch</strong> hinüberzog? Oder war es Freude am Erfolg Jesu, der das, was<br />

<strong>Johannes</strong> tat, fortsetzte und dadur<strong>ch</strong> das Zeugnis bewährte, das dieser für ihn<br />

abgelegt hatte? Dem Evangelisten liegt es nur daran, uns zu zeigen, wie der<br />

Täufer Israel auf Jesus hingewiesen und ihm Jesu königli<strong>ch</strong>es Amt mit voller<br />

Deutli<strong>ch</strong>keit verkündigt hat.<br />

Er spra<strong>ch</strong> zuerst aus, daß, wer im Dienste Gottes steht, ni<strong>ch</strong>t mit Willkür<br />

und Gewalt das Maß und die Art seines Dienstes bestimmen kann. 3,27: Jobannes<br />

antwortete und spra<strong>ch</strong>: Ein Mensò kann ni<strong>ch</strong>ts nehmen, es sei ihm<br />

denn vom Himmel her gegeben. Der Dienst entsteht dur<strong>ch</strong> die Gabe, und diese<br />

wird ni<strong>ch</strong>t genommen, sondern gegeben, womit alles eitle Streben und jede<br />

hoffärtige Selbstcrhöhung ausges<strong>ch</strong>lossen ist. Der Dienst der göttli<strong>ch</strong>en Boten<br />

ges<strong>ch</strong>ieht im Gehorsam gegen den, der sie berief, und besteht in ni<strong>ch</strong>ts anderem<br />

als in der treuen Verwertung der Gabe, die ihnen gegeben ward. Der Täufer<br />

kann si<strong>ch</strong> darauf berufen, daß er die S<strong>ch</strong>ranke, die seinem Wirken gezogen<br />

war, immer ausgespro<strong>ch</strong>en hat und nie undeutli<strong>ch</strong> werden ließ. 3,28: Ihr selbst<br />

seid meine Zeugen, daß i<strong>ch</strong> sagte: I<strong>ch</strong> bin ni<strong>ch</strong>t der Christus, sondern vor jenem<br />

her gesandt. Er hat zwar den Anbru<strong>ch</strong> des göttli<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>s verkündigt und<br />

Israel zu ihm berufen, niemals jedo<strong>ch</strong> so, als wäre er selbst dessen S<strong>ch</strong>öpfer und<br />

Regierer, sondern nur darum, weil ihm Christus folge und er vor ihm hergesandt<br />

sei. Darum s<strong>ch</strong>merzt es den Täufer ni<strong>ch</strong>t, wenn er selbst jetzt vom<br />

Größeren abgelöst wird und sein Dienst zu Ende geht. <strong>Das</strong> entspri<strong>ch</strong>t vielmehr<br />

vollständig seiner Weissagung und ist das Ziel, das er immer für si<strong>ch</strong><br />

selbst in Aussi<strong>ch</strong>t nahm. 3,29.30: Wer die Braut hat, ist Bräutigam. Aber der<br />

Freund des Bräutigams, der dabeisteht und ihn hört, freut si<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong> an der<br />

Stimme des Bräutigams. Diese meine Freude ist vollständig geworden. Er muß<br />

wa<strong>ch</strong>sen, i<strong>ch</strong> aber abnehmen. Er gibt si<strong>ch</strong> das Glei<strong>ch</strong>nis im Freunde des Bräutigams,<br />

in dem der jubelnde Ruf des Bräutigams die volle Freude erweckt, der


<strong>Johannes</strong> 3,27—310 5 3<br />

aber nie au<strong>ch</strong> nur von ferne den Gedanken in si<strong>ch</strong> hegen kann, si<strong>ch</strong> an die Stelle<br />

âes Bräutigams zu setzen. Hat der Freund die Braut für ihn geworben und<br />

ihm als sein Bote gedient, so hat er sie do<strong>ch</strong> für ihn geworben, ni<strong>ch</strong>t für si<strong>ch</strong><br />

selbst, und ihm gedient, ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> selbst. Darum ist au<strong>ch</strong> sein "Wuns<strong>ch</strong> völlig<br />

erfüllt und seine Freude ohne Lücke und S<strong>ch</strong>atten vollkommen, wenn er des<br />

Bräutigams Stimme hört.<br />

<strong>Johannes</strong> spri<strong>ch</strong>t hier dasselbe aus, was Jesus selbst den Jüngern des Täufers<br />

sagte, als sie si<strong>ch</strong> über die Freiheit und Freude der Jünger Jesu verwunderten,<br />

Matthäus 9,15. Die Genossen des Bräutigams müssen si<strong>ch</strong> an seiner Gegenwart<br />

freuen. An dieser seligen Freude hatte au<strong>ch</strong> der Täufer teil. Freili<strong>ch</strong> war er der<br />

fastende Mann, der weder aß no<strong>ch</strong> trank, der wegen Israels S<strong>ch</strong>uld Bebende<br />

und gegen die S<strong>ch</strong>langenbrut unerbittli<strong>ch</strong> Eifernde. So hat er viel gelitten, tiefer<br />

gelitten als die anderen Glieder der Gemeinde, aber au<strong>ch</strong> an si<strong>ch</strong> erlebt,<br />

daß die Leidtragenden selig sind. Jetzt hat er eine volle, ganze Freude in si<strong>ch</strong>.<br />

Nun s<strong>ch</strong>aut er Christus gegenwärtig, und die Ho<strong>ch</strong>zeitsfeier hat begonnen; die<br />

Hoffnung und Sehnsu<strong>ch</strong>t haben ihre Erfüllung gefunden; zur Gemeinde ist ihr<br />

Herr und Führer gekommen, zu den Verlorenen der Helfer, zu den Reuigen<br />

der, der sie aufnimmt, und der ganze Rei<strong>ch</strong>tum der göttli<strong>ch</strong>en Gnade geht der<br />

Welt in ihm auf. <strong>Das</strong> sieht der Täufer und empfängt damit die volle Freude,<br />

die dadur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gestört werden kann, daß er mit seinem Dienst hinter ihm<br />

zurückzutreten hat. So muß es sein.<br />

Daß er abnehmen, Jesus dagegen wa<strong>ch</strong>sen muß, das ergibt si<strong>ch</strong> aus Jesu<br />

Wesen, daraus, daß er von oben kam. 3,31a: Der, der von oben kommt, ist<br />

über allen; der, der von der Erde ist, ist von der Erde und redet von der Erde<br />

aus. Dur<strong>ch</strong> seinen Ursprung aus Gott ist Jesus über alle erhöht. Si<strong>ch</strong> über ihn<br />

oder au<strong>ch</strong> nur neben ihn zu stellen wäre Lüge, Hoffart, Streit mit Gott. Obglei<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> der Täufer einen Beruf hatte, der von oben kam, und Erleu<strong>ch</strong>tung<br />

und Kraft von oben erhielt, sieht er denno<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> und Jesus einen<br />

gänzli<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ied; denn si<strong>ch</strong> selbst re<strong>ch</strong>net er der Erde zu; Jesus dagegen<br />

ehrt er als himmlis<strong>ch</strong>, göttli<strong>ch</strong>, der Erde fremd, als aus Gott hervor- und in die<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Weise eingegangen. Darum ist er der Herr über alle, uncj der Täufer<br />

gibt si<strong>ch</strong> seinen Platz mit Freuden unter ihm.<br />

Was dieser Unters<strong>ch</strong>ied bedeutet, zeigt er an der vers<strong>ch</strong>iedenen Art des<br />

Wortes, das beide darbieten. Beide lehrten Israel, und es konnte s<strong>ch</strong>einen, das<br />

Wort des einen sei so gut wie das des anderen. Für das Auge des Täufers besteht<br />

aber hier ein unverglei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Unters<strong>ch</strong>ied. Wer aus der Erde ist, kann<br />

si<strong>ch</strong> von dem ni<strong>ch</strong>t lösen, was ihm seinen Ursprung gibt. <strong>Das</strong> bestimmt für<br />

immer die Art und das Maß seiner Kraft. Au<strong>ch</strong> sein Wort wird immer zeigen,


54 Der Täufer beruft seine Jünger zu Jesus<br />

woher er kommt; denn es hat die irdis<strong>ch</strong>e Art an si<strong>ch</strong>. Von dort her, wo er<br />

seine Heimat und seinen Standort hat, sieht er alles an. <strong>Das</strong> begrenzt seinen<br />

Blick und gibt der "Wahrheit, die er empfängt, ihr Maß. Au<strong>ch</strong> wenn er Gottes<br />

'Wort redet, tut er es als irdis<strong>ch</strong>er Mens<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Art und in der Spra<strong>ch</strong>e<br />

dessen, der aus der Erde herausgewa<strong>ch</strong>sen ist. 3,3 ib. 32: Der, der aus dem Himmel<br />

kommt, ist über allen; was er gesehen hat und hörte, das bezeugt er, und<br />

sein Zeugnis nimmt niemand an. Er redet seinem himmlis<strong>ch</strong>en Ursprung gemäß<br />

aus der unverglei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft heraus, in der er mit dem Vater steht,<br />

dur<strong>ch</strong> die er in Gottes Dingen der Wissende ist. Darum hat sein Wort eine<br />

Geltung, wie sie keines anderen Mens<strong>ch</strong>en Wort haben kann.<br />

Darum straft der Täufer ebenso ernst wie Jesus selbst Israels Verhalten<br />

gegen ihn. Jesus redet umsonst. Er mußte ja aus dem Tempel wei<strong>ch</strong>en, weil sie<br />

sein Zeugnis ni<strong>ch</strong>t hören mo<strong>ch</strong>ten. Und do<strong>ch</strong> bestimmt si<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Weise, wie<br />

si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> zum Worte Jesu stellt, sein Verhältnis zu Gott. Er tut damit<br />

ni<strong>ch</strong>t nur Jesus, sondern Gott Ehre oder Unehre an. 3,33: Wer sein Zeugnis<br />

annahm, besiegelte, daß Gott wahrhaftig ist. Er hat Gott als glaubwürdig, aufri<strong>ch</strong>tig<br />

und zuverlässig behandelt, indem er Gottes Wort aus Jesu Mund als<br />

wahr und zuverlässig angenommen hat. Wenn aber der Mens<strong>ch</strong> Gott das Zeugnis<br />

versagt, daß er wahrhaftig sei, und si<strong>ch</strong> von Gott wie von einem Lügner<br />

abwendet, so ist das ein tiefer Fall. 3,34: Denn der, den Gott sandte, redet die<br />

Worte Gottes; denn er gibt den Geist ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> einem Maß. Vor Gottes Wort<br />

steht der Mens<strong>ch</strong> bei dem, was ihm Jesus sagt, weil dieser von Gott gesandt ist,<br />

ein Bote aber ni<strong>ch</strong>t sein eigenes Wort redet, sondern dasjenige dessen, der ihn<br />

sendet. Zu sol<strong>ch</strong>em Dienst wird er dadur<strong>ch</strong> ausgerüstet, daß Gott ihm seinen<br />

Geist gibt, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der herrli<strong>ch</strong>en, großen Weise Gottes, ni<strong>ch</strong>t kärgli<strong>ch</strong> und stückweise,<br />

ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> einem Maß abgeteilt und einges<strong>ch</strong>ränkt, ni<strong>ch</strong>t so, daß seine<br />

Gabe ungenügend bliebe und zur Ausri<strong>ch</strong>tung seines Dienstes ni<strong>ch</strong>t hinrei<strong>ch</strong>te,<br />

als wäre Gottes Liebe und Gabe unvollkommen, sondern so, daß ihm der Geist<br />

den Sinn und Willen Gottes wirkli<strong>ch</strong> kundma<strong>ch</strong>t und er an der Wahrheit Gottes<br />

vollen Anteil hat.<br />

Weil er der von oben Gekommene und dur<strong>ch</strong> Gottes volles Geben mit seinem<br />

Geist Erfüllte ist, darum ist er der Sohn. 3,35. 36. Der Vater liebt den<br />

Sohn und hat ihm alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, hat<br />

ewiges Leben. Wer dem Sohn ni<strong>ch</strong>t gehor<strong>ch</strong>t, wird das Leben ni<strong>ch</strong>t sehen, sondern<br />

der Zorn Gottes bleibt auf ihm. So entfaltet der Täufer klar und einfa<strong>ch</strong><br />

den Grundgedanken, auf dem Jesu Amt beruht. Der Streit gegen den Sohn ist<br />

Streit gegen Gott; der Glaube an ihn versetzt in Gottes Rei<strong>ch</strong>. <strong>Das</strong> sollen seine<br />

Jünger bedenken, wenn sie ihn fragen, wie sidi Jesu Amt zum Dienst des


<strong>Johannes</strong> 3,326-36; 4,1-3 5 5<br />

Täufers verhalte, und au<strong>ch</strong> Israel soll dies bedenken, ehe es a<strong>ch</strong>tlos an Jesus<br />

vorübergeht. Gegen den, der si<strong>ch</strong> ihm widersetzt, wendet si<strong>ch</strong> Gottes Zorn und<br />

bleibt über ihm. Er kann si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> kein Mittel von ihm befreien. Da wird die<br />

ernste Bußpredigt des Täufers no<strong>ch</strong>mals hörbar, mit der er dem sündigen Volk<br />

den göttli<strong>ch</strong>en Zorn verkündigt hat. Jetzt kann er ihm au<strong>ch</strong> den Erretter<br />

zeigen, von dem das ewige Leben empfangen wird. Wird er jedo<strong>ch</strong> abgewiesen,<br />

dann tritt das Urteil, das zur S<strong>ch</strong>uld den Zorn fügt, in Kraft und erhält jetzt,<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>dem der Bote der Gnade abgewiesen ist, unaufhebbare Gültigkeit.<br />

So hat der Täufer seinen Jüngern den Rei<strong>ch</strong>tum der Gnade, den Jesu Gegenwart<br />

in si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließt, aber au<strong>ch</strong> den tiefen Ernst, der si<strong>ch</strong> mit ihr verbindet, enthüllt<br />

und si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong>mals als der bewährt, dur<strong>ch</strong> den Jesu Sendung zur <strong>Offenbarung</strong><br />

kam. Es ist das letzte, was uns <strong>Johannes</strong> vom Täufer erzählt. Bei<br />

Matthäus lesen wir no<strong>ch</strong>, wie er im Gefängnis s<strong>ch</strong>wankte und von Jesus gestützt<br />

wird und wie er dort im Kampf für die Heiligkeit des göttli<strong>ch</strong>en Gebots<br />

das Leben ließ. <strong>Johannes</strong> hat nur das Hö<strong>ch</strong>ste hervorgehoben, was er uns<br />

vom Täufer zu beri<strong>ch</strong>ten hat, Worte aus jener Zeit, als er no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gehindert<br />

dur<strong>ch</strong> Herodes im Blick auf das begonnene Werk Jesu in der hellen Klarheit<br />

des gewissen Glaubens seinen Jüngern auslegte, was es bedeute, daß Christus<br />

gegenwärtig sei.<br />

Kapitel 4,1—42"<br />

Jesus beruft die Samariterin<br />

4,1—3: Als nun der Herr erfuhr, daß die Pharisäer gehört hatten, daß Jesus<br />

mehr Jünger madie und taufe als <strong>Johannes</strong>, obglei<strong>ch</strong> Jesus selbst ni<strong>ch</strong>t taufte,<br />

sondern seine Jünger, verließ er Juda'a und ging wieder <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa weg.<br />

Den Lehrern Jerusalems, die die pharisäis<strong>ch</strong>e Regel vertraten, war s<strong>ch</strong>on <strong>Johannes</strong><br />

anstößig gewesen, und Jesus war es no<strong>ch</strong> viel mehr. Sie hatten es ni<strong>ch</strong>t<br />

gern gesehen, daß jener Jünger um si<strong>ch</strong> gesammelt hatte; denn wer si<strong>ch</strong> seiner<br />

Führung untergab, war von ihnen frei geworden. Au<strong>ch</strong> ärgerten sie si<strong>ch</strong> an<br />

seinem Taufen; denn wer zur Taufe trat, wandte si<strong>ch</strong> von ihrer Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

ab und su<strong>ch</strong>te eine bessere. Nun kam das, was sie am Täufer gehaßt hatten,<br />

dur<strong>ch</strong> Jesu Wirksamkeit no<strong>ch</strong> einmal und <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Meinung s<strong>ch</strong>limmer als<br />

früher. Au<strong>ch</strong> er ma<strong>ch</strong>te Jünger und nahm die, die si<strong>ch</strong> an ihn ans<strong>ch</strong>lössen, aus<br />

ihrer Führung heraus, und au<strong>ch</strong> er ließ die Jünger die taufen, die ihm gehorsam<br />

wurden, zum deutli<strong>ch</strong>en Zei<strong>ch</strong>en, daß au<strong>ch</strong> Jesus die Weisung des Täufers:<br />

Tut Buße! als das wahrhafte und e<strong>ch</strong>te Wort Gottes bestätigte. Die Sa<strong>ch</strong>e<br />

war den Pharisäern wi<strong>ch</strong>tig genug, um si<strong>ch</strong> darüber zu beraten, da sie si<strong>ch</strong> als


5 6 Jesus beruft die Samariterin<br />

die berufenen Hüter des Volks betra<strong>ch</strong>teten, die für seinen reinen Wandel und<br />

ri<strong>ch</strong>tigen Gottesdienst verantwortli<strong>ch</strong> seien. Darum rüsteten sie si<strong>ch</strong>, den zur<br />

re<strong>ch</strong>ten Zeit abzuwehren, der Israel von ihnen wegzog. Es handelte si<strong>ch</strong> ja<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Meinung um das Seelenheil derer, die Jesus verführte, um den<br />

S<strong>ch</strong>utz der Gemeinde und die Verteidigung der göttli<strong>ch</strong>en "Wahrheit gegen<br />

Jesu böse Irrtümer. Wie die Pharisäer ents<strong>ch</strong>ieden, das gab für den größten<br />

Teil des Volks den Auss<strong>ch</strong>lag; denn ihr Ansehen war groß. Darum fehlte es<br />

ni<strong>ch</strong>t an Männern, die Jesus bea<strong>ch</strong>teten: Die Pharisäer sind gegen di<strong>ch</strong>!<br />

Den Streit, der si<strong>ch</strong> hier erhob, konnte Jesus ni<strong>ch</strong>t stillen. Er konnte den<br />

Pharisäern ni<strong>ch</strong>t gefällig sein; hätte er sie gelobt und gestärkt, so hätte er den<br />

Vater verleugnet und seinen Willen verworfen und, wenn er es unterlassen<br />

hätte, der Judens<strong>ch</strong>aft die Umkehr zu predigen und die Seinen aus der pharisäis<strong>ch</strong>en<br />

Weise herauszuziehen, sein Heilandswerk aufgegeben. Er selbst hatte<br />

ja diesen Streit dadur<strong>ch</strong> begonnen, daß er die Sünde der Juden als Sünde bes<strong>ch</strong>rieb<br />

und verwarf. Wie wird er ihn führen? Wird er ihrer Gewalt seine<br />

Ma<strong>ch</strong>t entgegensetzen? Jesus wußte, daß ihn der Vater zum Dulden und Leiden<br />

berief. Darum wird er der, der s<strong>ch</strong>einbar unterliegt: er wird Gottes Lamm.<br />

Er geht und läßt den Pharisäern den Ruhm: Wir haben ihn vers<strong>ch</strong>eu<strong>ch</strong>t und<br />

sein Werk gehemmt. Offenkundig trat er s<strong>ch</strong>on jetzt auf den zum Kreuze<br />

führenden Weg.<br />

Es war no<strong>ch</strong> Raum für ihn da, wo er si<strong>ch</strong> der Feinds<strong>ch</strong>aft no<strong>ch</strong> eine Zeitlang<br />

entziehen konnte. In Galiläa war er immer no<strong>ch</strong> auf Israels Boden und do<strong>ch</strong><br />

von Jerusalem entfernt. Wir haben uns hier an das zu erinnern, was uns Matthäus<br />

erzählt. Als der Täufer ins Gefängnis abgeführt war und Israel zwar<br />

darob ers<strong>ch</strong>rak und si<strong>ch</strong> heimli<strong>ch</strong> dagegen ereiferte, aber s<strong>ch</strong>wieg und niemand<br />

da war, der dem Fürsten wehrte, sondern es eine vollendete Tatsa<strong>ch</strong>e war, daß<br />

der Bote Gottes im Gefängnis vers<strong>ch</strong>wand, da zog Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa und<br />

faßte den Ents<strong>ch</strong>luß, die Zeit, die ihm für seine Jünger und sein Volk gegeben<br />

war, in der Ferne von Jerusalem im S<strong>ch</strong>utz der Verborgenheit zuzubringen.<br />

Umso besser verstehen wir, daß uns <strong>Johannes</strong> daran erinnert, Jesus sei bereits<br />

über den Täufer hinausgewa<strong>ch</strong>sen und habe im Blick auf die Zahl seiner Jünger<br />

den Pharisäern no<strong>ch</strong> ernstere Sorge gema<strong>ch</strong>t, als es <strong>Johannes</strong> tat. Na<strong>ch</strong>dem<br />

der S<strong>ch</strong>lag gegen den Täufer gefallen war, war es Zeit, daß der, der no<strong>ch</strong> gefährdeter<br />

als der Täufer war, <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa in die Stille ging.<br />

4,4: Er mußte aber dur<strong>ch</strong> Samaria wandern, dur<strong>ch</strong> jenen Landstri<strong>ch</strong>, der<br />

zwis<strong>ch</strong>en Judäa und Galiläa lag, in dem sidi unter der Führung von Hohenpriestern,<br />

Aarons Söhnen, die aus Jerusalem geflohen waren, eine Gemeinde<br />

gebildet hatte, die si<strong>ch</strong> eifersü<strong>ch</strong>tig von der Judens<strong>ch</strong>aft getrennt hielt und si<strong>ch</strong>


<strong>Johannes</strong> 4,4—6 5 7<br />

selber als das e<strong>ch</strong>te Israel pries. Ihr Hauptort war die Stadt Si<strong>ch</strong>ern, die einst<br />

der Hauptsitz Ephraims und von Abraham her ein geheiligter Ort gewesen<br />

war. Auf dem Berge über Si<strong>ch</strong>ern hatten sie si<strong>ch</strong> einen Tempel gebaut, der<br />

ihnen als die von Gott verordnete Fortsetzung der Stiftshütte Moses galt. Ihr<br />

Tempel war freili<strong>ch</strong>, als die Juden <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Siege über die syris<strong>ch</strong>en Könige<br />

ihre Kriegszüge über das ganze Palästina ausdehnten, von diesen zerstört worden;<br />

do<strong>ch</strong> galt der Gemeinde der Platz auf dem Berge immer no<strong>ch</strong> als das<br />

Heiligtum, wohin sie pilgerte. "Weil au<strong>ch</strong> ihre Frömmigkeit auf den fünf<br />

Bü<strong>ch</strong>ern Moses ruhte, hatte au<strong>ch</strong> sie einen gewissen Anteil an der Erkenntnis<br />

Gottes, die Israel gegeben war. Götterbilder und die wilden Versu<strong>ch</strong>e, mit<br />

vielen Altären und Opfern Gottesdienst zu treiben, gab es hier so wenig wie in<br />

Judäa. Allein die samaritis<strong>ch</strong>e Gemeinde war no<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>werer krank als die von<br />

Jerusalem. Wo gehässige Eifersu<strong>ch</strong>t die ganze Frömmigkeit dur<strong>ch</strong>dringt und<br />

alles darauf geri<strong>ch</strong>tet ist, die eigene Gemeinde als das einzige, wahre Volk-<br />

Gottes zu verteidigen, da verdirbt' der ganze Gottesdienst. Da wird Gott<br />

zum Mittel erniedrigt, womit der Mens<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> selbst erhöht und seine eigenen<br />

Absi<strong>ch</strong>ten stärkt, und mit der Liebe wei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> die Wahrheit. Allen s<strong>ch</strong>limmen<br />

Dingen ist der Raum bereitet, wenn die Lüge und der Haß zu einem Stück<br />

des Gottesdienstes geworden sind.<br />

4, j. 6: Nun kommt er zu einer Stadt Samarías mit Namen Sy<strong>ch</strong>ar nahe an<br />

dem Feld, das Jakob seinem Sohn Joseph gab. Es war aber dort der Brunnen<br />

Jakobs. Jesus setzte si<strong>ch</strong> ermüdet von der Wanderung, so wie er war, an den<br />

Brunnen. Es war ungefähr die se<strong>ch</strong>ste Stunde. <strong>Johannes</strong> erinnert an die besondere<br />

Bes<strong>ch</strong>affenheit des Ortes, wo Jesu Begegnung mit der samaritis<strong>ch</strong>en Frau<br />

si<strong>ch</strong> zugetragen hat, weil sie für den Verlauf des Gesprä<strong>ch</strong>s Bedeutung hat. Es<br />

fand in der Nähe Si<strong>ch</strong>ems statt* in der herrli<strong>ch</strong>en Ebene auf der Ostseite der<br />

Stadt, wo si<strong>ch</strong> die Reliquien aus der Zeit der Patriar<strong>ch</strong>en befanden, die dis<br />

Samariter ho<strong>ch</strong> verehrten. <strong>Das</strong> gehörte mit zu ihrem Streit gegen die Judens<strong>ch</strong>aft,<br />

daß sie si<strong>ch</strong> Denkmäler der Patriar<strong>ch</strong>en herri<strong>ch</strong>teten und sie eifrig verehrten,<br />

da sie ihnen zum Beweise dienten, daß sie die e<strong>ch</strong>ten Kinder Jakobs<br />

und das wahre Israel seien. Dort wurde der Acker gezeigt, der s<strong>ch</strong>on Jakobs<br />

Eigentum war, als das Land no<strong>ch</strong> den Kananitern gehörte, auf dem Joseph<br />

begraben sei, dessen Grab heute no<strong>ch</strong> dort zu sehen ist. Südli<strong>ch</strong> von ihm unmittelbar<br />

unter dem steilen Absturz des Garizim wurde ein .tiefer Brunnen<br />

als von Jakob gegraben verehrt, neben dem, wie wir aus anderen Erzählungen<br />

wissen, ein heiliger Baum stand, der als Jakobs Terebinthe galt.<br />

* Mit dem Ort Sy<strong>ch</strong>ar ist ni<strong>ch</strong>t das alte Si<strong>ch</strong>ern, die große Stadt am Fuß des Garizün, gemeint, sonderndas<br />

am südöstli<strong>ch</strong>en Fuß des Ebal liegende Dorf, das heute Askar heißt. Es liegt dem Jakobsbrunnen und<br />

dem Grabe Josephs direkt gegenüber am Nordrand des zwis<strong>ch</strong>en beiden Bergen liegenden Tals.


5 8 Jesus beruß die Samarilerin<br />

Hier hielt Jesus ermüdet von der Wanderung um die Mittagsstunde Rast.<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> war er mit den Jüngern am frühen Morgen aus einem der nördli<strong>ch</strong>en<br />

Dörfer Judäas aufgebro<strong>ch</strong>en wohl in der Absi<strong>ch</strong>t, das samaritis<strong>ch</strong>e Gebiet<br />

no<strong>ch</strong> ganz zu dur<strong>ch</strong>wandern und am südli<strong>ch</strong>en Rand der Jesreelebene zu<br />

über<strong>na<strong>ch</strong></strong>ten. Er war allein am Brunnen zurückgeblieben, da die Jünger in die<br />

Stadt hineingegangen waren, um si<strong>ch</strong> Lebensmittel zu vers<strong>ch</strong>affen.<br />

Jesus blieb am Brunnen ni<strong>ch</strong>t allein. 4,7a: Es kommt eine Frau aus Samaria,<br />

um Wasser zu s<strong>ch</strong>öpfen. An Wasser ist im Tal von Si<strong>ch</strong>ern kein Mangel; rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

sprudeln aus dem Fuße der Berge die Quellen. Sie mag somit aus einem<br />

ähnli<strong>ch</strong>en Grunde zum Brunnen gekommen sein, wie der war, der Jesus bewogen<br />

hat, gerade hier zu rasten, weil die Erinnerung an die Väter an dieser<br />

Stelle haftete. Um aus dem Brunnen Jakobs das Wasser zu s<strong>ch</strong>öpfen, war einer<br />

Samariterin der Gang ni<strong>ch</strong>t zu bes<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong>; au<strong>ch</strong> war das Wasser aus dem<br />

tiefen Brunnen kühl.<br />

In s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ter Natürli<strong>ch</strong>keit beginnt Jesus mit ihr den Verkehr. 4,70—9: Jesus<br />

sagt zu ihr: Gib mir zu trinken. Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen,<br />

um Speise zu kaufen. Nun sagt die samaritis<strong>ch</strong>e Frau zu ihm: Wie bittest<br />

du, der du Jude bist, midi, die i<strong>ch</strong> ein samarilis<strong>ch</strong>es Weib bin, daß io di<strong>ch</strong><br />

trinken lasse? Denn die Juden gehen mit den Samaritern keine Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

ein. Na<strong>ch</strong> der langen Wanderung wäre ein Trunk Wasser zur Mittagszeit eine<br />

Wohltat für ihn. Die Frau fand jedo<strong>ch</strong> diese Bitte keineswegs natürli<strong>ch</strong>; denn<br />

zwis<strong>ch</strong>en ihr und ihm liegt die tiefe Kluft, die die Samariter und Juden voneinander<br />

trennt. Er redet ja, als berührte ihn dieser Streit ni<strong>ch</strong>t, als wäre sie<br />

ni<strong>ch</strong>t eine Samariterin und er ni<strong>ch</strong>t ein Jude, die ni<strong>ch</strong>t dasselbe Gefäß an die<br />

Lippen setzen, in keinerlei Form Gemeins<strong>ch</strong>aft pflegen und si<strong>ch</strong> gegenseitig<br />

keine Wohltat erweisen.<br />

<strong>Johannes</strong> will uns hier zeigen, wie s<strong>ch</strong>wer die Mens<strong>ch</strong>en Jesus seinen Beruf<br />

gema<strong>ch</strong>t haben. Er will lieben und geben und su<strong>ch</strong>t den Zugang zu ihnen, stößt<br />

aber überall auf eine Mauer, die ihm zuerst den Zugang verwehrt. In Judäa<br />

sagen sie: Wir sind die Kinder Abrahams und Moses Jünger; was bedürfen wir<br />

deiner? in Samaria: Wir sind Samariter und du ein Jude; was ma<strong>ch</strong>st du dir<br />

mit uns zu s<strong>ch</strong>affen? Überall muß er zuerst einen heftigen Widerstand überwinden,<br />

bis er au<strong>ch</strong> nur das Ohr der Mens<strong>ch</strong>en hat.<br />

Jesus wi<strong>ch</strong> vor dem Mißtrauen der Frau ni<strong>ch</strong>t zurück, sondern überwand es,<br />

indem er ihr seinen hilfsbereiten Heilandssinn zeigt. 4,10: Jesus antwortet:<br />

und sagte zu ihr: Würdest du Gottes Gabe kennen und wissen, wer der ist,<br />

der zu dir sagt: Gib mir zu trinken, so bätest du ihn und er gäbe dir lebendiges<br />

Wasser. Jetzt bittet er sie, und sie besinnt si<strong>ch</strong>, ob sie seine Bitte erfüllen soll;


<strong>Johannes</strong> 4,7a—12 59<br />

"wie wenig entspri<strong>ch</strong>t dies aber der wirkli<strong>ch</strong>en Stellung beider! "Wüßte sie, was<br />

Gott den Mens<strong>ch</strong>en gibt und was Jesu Sendung ist, so würde sie die Rollen<br />

taus<strong>ch</strong>en und bäte ihn und er würde ihr ni<strong>ch</strong>t antworten: Du bist eine Samariterin,<br />

mit der i<strong>ch</strong> keine Gemeins<strong>ch</strong>aft habe! Ihn bäte sie ni<strong>ch</strong>t vergebens, und<br />

was er ihr gäbe, wäre unverglei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> größer als das, was sie ihm darrei<strong>ch</strong>en<br />

kann. Es wäre au<strong>ch</strong> Wasser, aber lebendiges, derjenige Trank, der sie wirkli<strong>ch</strong><br />

belebt.<br />

<strong>Johannes</strong> hat uns mit diesem Wort den Sinn Jesu tief ers<strong>ch</strong>lossen. Ni<strong>ch</strong>t daß<br />

er vergebens bat, war sein S<strong>ch</strong>merz, sondern daß sie ihn ni<strong>ch</strong>t bat und er ihr<br />

ni<strong>ch</strong>t geben konnte. Er s<strong>ch</strong>aut mit dem hellen Blick der Wahrheit in die dürstende<br />

Frau hinein. Als die S<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>tende, Verwelkende steht sie vor ihm mit<br />

dem brennenden Durst, der die Erquickung ni<strong>ch</strong>t findet. Er aber hat für sie das<br />

lebendige Wasser und au<strong>ch</strong> den Heilandswillen, es ihr zu geben und ihre<br />

kranke Seele genesen zu ma<strong>ch</strong>en an seiner Gabe. Allein ihre Augen sind geli<br />

alten; sie sieht bloß den Jucjen in ihm und weiß ni<strong>ch</strong>t, wie nahe ihr das ist,<br />

was ihren Durst heilt. Dieser S<strong>ch</strong>merz Jesu hat darin seine Tiefe, daß sein<br />

Blick dabei auf den Vater geri<strong>ch</strong>tet ist: die Gabe Gottes ist ihr nahe, ohne daß<br />

sie es weiß. Wendet sie si<strong>ch</strong> von ihm weg, ohne daß sie es zum Bitten bringt,<br />

so hat sie ni<strong>ch</strong>t nur Jesu, sondern Gottes Liebe ni<strong>ch</strong>t erkannt. Aus sol<strong>ch</strong>em<br />

S<strong>ch</strong>merz ma<strong>ch</strong>t Jesus ein handelndes Erbarmen, das si<strong>ch</strong> bemüht, in der Frau<br />


6o Jesus beruft die Samariterin<br />

ihren neiligen Brunnen und will ihn gegen Jesu Gerings<strong>ch</strong>ätzung s<strong>ch</strong>ützen im<br />

Gefühl, daß seine Verheißung von etwas Höherem spre<strong>ch</strong>e. <strong>Johannes</strong> hat mit<br />

lebendiger Empfindung die Bettelarmut dieses Rei<strong>ch</strong>tums ins Li<strong>ch</strong>t gesetzt.<br />

"Wie groß ist der Brunnen! Jakob hat ni<strong>ch</strong>t nur selbst daraus getrunken, sondern<br />

au<strong>ch</strong> sein ganzer Hausstand, die Söhne und die Herden. Wel<strong>ch</strong> gesegnetes<br />

Wasser, da Jakobs S<strong>ch</strong>afe von ihm tranken. Wie dunkel ist der Blick der Frau<br />

in das, was Gott den Vätern gab und verhieß, wenn sie als den Ertrag der<br />

heiligen Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>ts Besseres zu nennen weiß als diesen Brunnen hier!<br />

Ist es denn dies gewesen, wozu Gott den Vätern ers<strong>ch</strong>ien und sie zu seinem<br />

Volke ma<strong>ch</strong>te? Denno<strong>ch</strong>, so arm sie ist, stellt sie si<strong>ch</strong> mit einem trotzigen Selbstgefühl<br />

vor Jesus und ist zunä<strong>ch</strong>st ni<strong>ch</strong>t zum Bitten willig: Du solltest größer<br />

als Jakob sein?<br />

Jesus enthüllt ihr das Ziel seiner Gnade. 4,13.14: Jesus antwortete und<br />

spra<strong>ch</strong> zu ihr: Jeder, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten. Wer<br />

aber von dem Wasser trinkt, das i<strong>ch</strong> ihm geben werde, wird ewigli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

dürsten; sondern das Wasser, das i<strong>ch</strong> ihm geben werde, wird in ihm eine<br />

Quelle von sprudelndem Wasser zum ewigen Leben werden. Was sie am Brunnen<br />

Jakobs findet, ist eine kleine Hilfe für kurze Zeit; seine Gabe ist dagegen<br />

bleibend das, wessen sie bedarf. Aus dem Wasser, das er dem Mens<strong>ch</strong>en gibt,<br />

wird in ihm selbst ein si<strong>ch</strong> immer erneuernder Quell. Jesu Gabe wird unser<br />

Eigentum; er leiht sie uns ni<strong>ch</strong>t nur, so daß sie uns fremd bliebe, sondern gibt<br />

und hilft wahrhaft, faßt den Mens<strong>ch</strong>en von innen her und ma<strong>ch</strong>t ihn neu. So<br />

pflanzt si<strong>ch</strong> seine Gabe unserem Wesen und Leben ein, veraltet darum ni<strong>ch</strong>t<br />

und wird ni<strong>ch</strong>t aufgezehrt, sondern erneuert si<strong>ch</strong>, bleibt immer fris<strong>ch</strong> und bewahrt<br />

ihre Kraft. Was er s<strong>ch</strong>enkt, ist ewiges Leben. Als den Geber des ewigen<br />

Lebens stellte si<strong>ch</strong> Jesus dem Weibe dar; darum heißt er si<strong>ch</strong> den, der den<br />

Durst stillt und lebendiges Wasser austeilt. Er tut es uns dadur<strong>ch</strong>, daß uns aus<br />

seiner Liebe das ewige Leben erwä<strong>ch</strong>st. Ist dieses im Mens<strong>ch</strong>en begründet, dann<br />

ist er mit lebendigem Wasser getränkt, das ni<strong>ch</strong>t versiegt, sondern einer uners<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en<br />

Quelle glei<strong>ch</strong>t.<br />

4,15: Die Frau sagt zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

dürste und ni<strong>ch</strong>t hierher kommen muß, um hier zu s<strong>ch</strong>öpfen. Mit seiner rei<strong>ch</strong>en<br />

Verheißung zog Jesus die Frau näher an si<strong>ch</strong>; sie bewegte si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> langsam<br />

zu ihm hin. Es waren no<strong>ch</strong> Hindernisse auf ihrem Wege, die no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t überwunden<br />

sind. Sie gibt no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ans li<strong>ch</strong>t, was wirkli<strong>ch</strong> die Not und Sünde<br />

ihres Herzens ist, sondern hält den Blick no<strong>ch</strong> abwärts geri<strong>ch</strong>tet auf die Kleinli<strong>ch</strong>keiten<br />

und Ni<strong>ch</strong>tigkeiten, denen wir in unserem Leben so breiten Raum<br />

gewähren. Wenn kein Durst sie mehr plagte und sie ni<strong>ch</strong>t mehr zum Brunnen


-•' <strong>Johannes</strong> 4,13—19 61<br />

gehen müßte, das wäre ihr wohl re<strong>ch</strong>t. Jesus bri<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> das Gewirre dieser<br />

kleinen Anliegen dur<strong>ch</strong> und senkt ihren Blick in die innerste Kammer ihres<br />

Herzens zur dunklen Stelle, an der sie wirkli<strong>ch</strong> arm und elend ist und der<br />

"Wurm sitzt, der sie verwelken ma<strong>ch</strong>t. Er hatte ihr verspro<strong>ch</strong>en: Bitte mi<strong>ch</strong>, so<br />

gebe i<strong>ch</strong> dir. Jetzt bat sie, und er läßt sein Verspre<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t fallen, so wenig<br />

er ihr das, um was sie ihn jetzt no<strong>ch</strong> bittet, gewähren will. Er führt, ehe es zur<br />

Erhörung kommen kann, ihre Bitte zuerst aus der Torheit in die "Wahrheit,<br />

von der eingebildeten Bes<strong>ch</strong>werde zur ernsten Not.<br />

Sie ist eine Frau, steht also, wenn sie in Gottes Ordnung blieb, ni<strong>ch</strong>t allein<br />

im Leben, sondern hat einen Mann. 4,16: Er sagt zu ihr: Geh, rufe deinen<br />

Mann, und komm hieher! Da kommt das Elend der Frau an den Tag. 4,17.18:<br />

Die Frau antwortete und spra<strong>ch</strong>: ido habe keinen Mann. Jesus sagt zu ihr:<br />

Mit Red>t hast du gesagt: Id? habe keinen Mann. Denn fünf Männer hattest<br />

du, und jetzt ist der, den du hast, ni<strong>ch</strong>t dein Mann. Damit hast du die Wahrheit<br />

gesagt. Als sie ihm sagte: I<strong>ch</strong> habe keinen Mann, versteckte sie si<strong>ch</strong> hinter<br />

eine halbe "Wahrheit und eine halbe Unwahrheit. Jesus s<strong>ch</strong>ilt ihr "Wort ni<strong>ch</strong>t<br />

eine Lüge, sondern hebt die "Wahrheit aus ihm heraus. Sie hat re<strong>ch</strong>t, wenn sie<br />

ihren Mann vor ihm verleugnet; denn er gehört ihr ni<strong>ch</strong>t. <strong>Das</strong> heißt umsonst<br />

gelebt haben. Jesu "Wort leu<strong>ch</strong>tet in den tiefen Jammer eines verlorenen Lebens<br />

hinab. "Worauf alle ihre Gedanken und Wüns<strong>ch</strong>e von Jugend an geri<strong>ch</strong>tet<br />

waren, war, einen Mann zu haben. Sie ist in ihrem Bestreben völlig ges<strong>ch</strong>eitert,<br />

hat ihm zwar alles zum Opfer gebra<strong>ch</strong>t, Leib und Seele, Ehre und Gewissen,<br />

hat au<strong>ch</strong> viele Männer gefunden; und das Ende ist do<strong>ch</strong> dies, daß der, den sie<br />

hat, ni<strong>ch</strong>t ihr Mann ist, ihr ni<strong>ch</strong>t gehört und ni<strong>ch</strong>t in wahrer, offener Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

mit ihr verbunden ist. So steht sie mit allem ihrem Bemühen einsam,<br />

entwürdigt, zertreten, arm, ohne Liebe da. Ihr Leben war ein Has<strong>ch</strong>en <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

dem Wind. Was sie gewann, zerrann in ni<strong>ch</strong>ts; was sie hatte, hatte sie do<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t. Warum? Immer war die Sünde als zerstörende Ma<strong>ch</strong>t dabei, an der all<br />

ihr Werben und Su<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>eiterte, weil sie keine Gemeins<strong>ch</strong>aft, in die sie trat,<br />

Bestand gewinnen ließ. So hat es ihr Jesus erläutert, warum sie in seinen Augen<br />

eine Dürstende ist, dem Vers<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>ten nah und des belebenden Wassers bedürftig.<br />

<strong>Das</strong> war der Augenblick, in dem si<strong>ch</strong> die Stellung der Frau zu Jesus ents<strong>ch</strong>ied.<br />

Hier trat sein Bußwort mit seinem ri<strong>ch</strong>tenden Li<strong>ch</strong>t in sie hinein und<br />

erwies si<strong>ch</strong> als die königli<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>t, der sie unterworfen ist und ni<strong>ch</strong>t entrinnen<br />

kann. Wird sie si<strong>ch</strong> beugen, si<strong>ch</strong> der Wahrheit untergeben oder mit Lügen<br />

si<strong>ch</strong> selbst re<strong>ch</strong>tfertigen, andere bes<strong>ch</strong>uldigen und die Dunkelheit liebhaben?<br />

Sie hat si<strong>ch</strong> unter das Buße s<strong>ch</strong>affende Wort Jesu gebeugt. 4,19: Die Frau sagt


6z Jesus beruft die Samariterin<br />

zu ihm: Herr, i<strong>ch</strong> sehe, daß du ein Prophet bist. <strong>Johannes</strong> hat uns hier ein herrli<strong>ch</strong>es<br />

Beispiel der Büßpredigt Jesu gegeben in ihrer Vereinigung von Wahrheit<br />

und Zartheit, von Gnade und Ernst. Er s<strong>ch</strong>afft ganze Offenheit; denn er<br />

ma<strong>ch</strong>t es dem Gefallenen fühlbar, daß er in seiner S<strong>ch</strong>uld und Not erkannt ist<br />

und si<strong>ch</strong> dem göttli<strong>ch</strong>en Urteil ni<strong>ch</strong>t entziehen kann. Sein Bußwort ist aber in<br />

die vollkommene Gnade eingetau<strong>ch</strong>t und dient seiner Verheißung: Bätest du<br />

mi<strong>ch</strong>, so gäbe i<strong>ch</strong> dir. Er heftet au<strong>ch</strong> hier die Ents<strong>ch</strong>eidung, wie er es beständig<br />

tat, an die göttli<strong>ch</strong>en Grundordnungen, die unser Verhältnis zu den Mens<strong>ch</strong>en<br />

regeln. Hier wissen wir in klarer Deutli<strong>ch</strong>keit, was re<strong>ch</strong>t ist vor Gott. Ob wir<br />

ihm hier die Ehre geben oder ni<strong>ch</strong>t, daran ents<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong>, ob uns der Lauf unseres<br />

Lebens abwärts oder aufwärts führt, von Christus weg oder zu ihm hin.<br />

Einen Propheten erkannte die Frau in Jesus, obwohl er ein Jude war, also<br />

ni<strong>ch</strong>t zu ihrer eigenen Gemeinde gehörte. Da tritt ihr sofort wieder der Streit<br />

vor die Seele, der die beiden Gemeinden s<strong>ch</strong>ied. 4,20: Unsere Väter haben auf<br />

diesem Berg angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei der Ort, wo man anbeten<br />

muß. Sie hatten den Garizim bei ihrem Gesprä<strong>ch</strong> unmittelbar vor Augen,<br />

da er di<strong>ch</strong>t neben dem Jakobsbrunnen in die Höhe steigt. Hier wird dieser<br />

Berg, dort Jerusalem als der von Gott gewollte Ort des Heiligtums ges<strong>ch</strong>ätzt.<br />

Sie mö<strong>ch</strong>te wissen, was Jesus zum Streit der beiden Gemeinden sage. <strong>Das</strong>, was<br />

zwis<strong>ch</strong>en ihr und Jesus s<strong>ch</strong>on ges<strong>ch</strong>ehen ist und was er ihr auf ihre Frage antwortete,<br />

läßt s<strong>ch</strong>ließen, daß ein innerli<strong>ch</strong>es, ernstes Verlangen ihr ihre Frage<br />

eingegeben hat. Wenn das Gewissen spri<strong>ch</strong>t, ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> der Blick des Mens<strong>ch</strong>en<br />

immer hilfesu<strong>ch</strong>end auf die Heiligtümer. Wie soll si<strong>ch</strong> Sünde anden<br />

sühnen und tilgen lassen als dur<strong>ch</strong> Gottesdienst, Opfer und Gebet im Heiligtum!<br />

Immer floh der s<strong>ch</strong>uldbeladene Mens<strong>ch</strong> zu den Altären. Aber wohin,<br />

fragt die Frau, soll i<strong>ch</strong> gehen? Wird Jesus ihren Gottesdienst auf dem Garizim<br />

ni<strong>ch</strong>t als unnütz und sündli<strong>ch</strong> verwerfen? Die Lehrer Israels hatten ja für die,<br />

die si<strong>ch</strong> an den Garizim hielten, nur den Flu<strong>ch</strong>.<br />

Sie hört wiederum, was sie ni<strong>ch</strong>t erwartet hat. 4,21: Jesus sagt zu ihr:<br />

Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, daß ihr weder auf diesem Berge nodi in<br />

Jerusalem den Vater anbeten werdet. Spra<strong>ch</strong> ihr Jesus vom lebendigen Wasser,<br />

so war ni<strong>ch</strong>t das seine Meinung, daß sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem pilgern sollte, weil sie<br />

es dort finden würde: „I<strong>ch</strong> werde es dir geben." Dazu, daß das, was er ihr gibt,<br />

Dienst und Anbetung Gottes in ihr s<strong>ch</strong>afft, aus ihr Gottes Dienerin ma<strong>ch</strong>t und<br />

damit ihrem Leben den Zweck, den Frieden, die Kraft, die ewige Lebendigkeit<br />

gibt, bedarf er weder des Garizim no<strong>ch</strong> Jerusalems. Gottes Weg führt an beiden<br />

vorbei zu einem neuen, höheren Stand.<br />

Freili<strong>ch</strong> ist er selbst ni<strong>ch</strong>t Samariter, sondern Jude. 4,22: Ihr betet an, was


<strong>Johannes</strong> 4,20—24 63<br />

ihr niait kennt; wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den<br />

Juden. Für die Samariter ist Gott ein verborgener Gott, ihr Gottesbild wahrheitsleer.<br />

Wenn sie Gott an den Garizim anheften und zum S<strong>ch</strong>utzherrn und<br />

Häuptling der Samariter ma<strong>ch</strong>en, so ist das ni<strong>ch</strong>t der wahrhaftige Gott. Damit<br />

vergli<strong>ch</strong>en ist das, was Israel von seinem Gott weiß, "Wahrheit, die es ni<strong>ch</strong>t<br />

si<strong>ch</strong> selbst verdankt, sondern der Regierung Gottes, die es als ihr Werkzeug<br />

brau<strong>ch</strong>t, für die Welt bei ihm die Hilfe herstellt und die jüdis<strong>ch</strong>e Gemeinde<br />

zur Stätte ma<strong>ch</strong>t, an der sein Rei<strong>ch</strong> beginnt und von wo es si<strong>ch</strong> in die Welt erstreckt.<br />

So wird weder der jüdis<strong>ch</strong>e Übermut no<strong>ch</strong> die samaritis<strong>ch</strong>e Eifersu<strong>ch</strong>t<br />

und Eitelkeit bestärkt. Die Frau kann si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Jesus mit bleibendem Glauben<br />

verbinden, wenn sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aus dem sektenhaften Zank des Samaritertums<br />

herausheben läßt; denn Jesus hat Israel nie verleugnet; er hätte damit<br />

das Werk seines Vaters verleugnet. Denno<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t das sein Ziel, sie zur<br />

Jüdin zu ma<strong>ch</strong>en und zum Tempel auf dem Zion zu bekehren. Etwas Höheres<br />

kommt, und in aller Freudigkeit spri<strong>ch</strong>t es Jesus aus, für die Frau unmittelbar<br />

zur unermeßli<strong>ch</strong> hohen Verheißung. 4,23.24: Es kommt aber die Stunde und<br />

ist jetzt da, daß die wahrhaften Anbeter den Vater mit Geist und Wahrheit<br />

anbeten. Denn au<strong>ch</strong> der Vater will sol<strong>ch</strong>e als seine Anbeter. Gott ist Geist, und<br />

die, die anbeten, müssen mit Geist und Wahrheit anbeten. <strong>Das</strong> ist ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

eine ferne Zukunft; denn die Gabe Gottes ist ja da, und der Quell des lebendigen<br />

Wassers ist entsprungen, dessen Wirkung ewiges Leben ist. <strong>Das</strong> stellt<br />

die Anbetung des Vaters auf einen neuen Grund; jetzt vollbringen der. Geist<br />

und die Wahrheit im Mens<strong>ch</strong>en ihr Werk.<br />

Den Juden wie den Samaritern fehlte bei ihrem Gottesdienst, mo<strong>ch</strong>ten sie<br />

no<strong>ch</strong> so häufig in ihre Tempel oder Synagogen wandern und si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> so eifrig<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>* der Vors<strong>ch</strong>rift ihrer Väter um Gottes Wohlgefallen bemühen, die kräftige<br />

Gegenwart des göttli<strong>ch</strong>en Geistes. Ihr Gottesdienst blieb Form und Figur,<br />

von außen um die Gemeinde herumgelegt, und der Geist war ni<strong>ch</strong>t da, der sie<br />

von innen bewegte, ihren Blick inwendig auf Gott ri<strong>ch</strong>tete, ihren Willen ihm<br />

untergab, seine liebe in ihren Herzen entzündete und sie ihm heiligte. Darum<br />

waren sie an die geheiligten Häuser an ihrem bestimmten Platz gebunden als<br />

an ein Zei<strong>ch</strong>en der Nähe Gottes, die ihnen sonst fehlte, damit sie an diesem<br />

Hilfsmittel von außen her wenigstens einige Erinnerung an Gott und einiges<br />

Vertrauen zu ihm gewännen. Solange jedo<strong>ch</strong> der Gottesdienst ni<strong>ch</strong>t aus dem<br />

Geiste kommt, fehlt ihm au<strong>ch</strong> die Wahrheit no<strong>ch</strong>. Er blieb immer mit S<strong>ch</strong>ein<br />

und Lüge befleckt. Es war ein Gebet der Lippen, wobei der Mens<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong><br />

stumm blieb vor Gott und kein Wort für ihn hatte, das aus seinem Herzen<br />

käme, gläubig seine Gnade anriefe oder dankbar ihm die Ehre gäbe. Sie opfer-


^4 Jesus beruft die Samariterin<br />

ten, was <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Sitte ihrer Gemeinden an Geld, Zeit und Kraft ihm gebührte;<br />

aber lag es ihnen wirkli<strong>ch</strong> an Gott? Hob si<strong>ch</strong> damit ihre Liebe zu Gott<br />

empor, oder su<strong>ch</strong>ten sie bei ihrem Opfer nur ihren eigenen Vorteil? Sie kamen<br />

mit allem, was sie von Gott sagten und für ihn taten, do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aus dem erkünstelten<br />

S<strong>ch</strong>ein und der absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> angenommenen Farbe heraus. E<strong>ch</strong>t,<br />

wahr, auf Gott gegründet und aus Gott ges<strong>ch</strong>öpft, darum au<strong>ch</strong> den Mens<strong>ch</strong>en<br />

zu Gott emporhebend, war dies alles ni<strong>ch</strong>t, so wenig wie das, was die Kir<strong>ch</strong>e<br />

heute tut, solange bloß die Kir<strong>ch</strong>e spri<strong>ch</strong>t und wirkt. "Wenn aber der Geist<br />

den Anbeter s<strong>ch</strong>afft, dann ist sein Gottesdienst "Wahrheit geworden. Denn der<br />

Geist, dur<strong>ch</strong> den Gott selbst sein Werk in uns wirkt, führt uns in "Wahrheit zu<br />

Gott herzu, lehrt uns in "Wahrheit beten, in "Wahrheit" Gott ehren und lieben<br />

und ma<strong>ch</strong>t, daß unser Dienst, den wir Gott darbringen, wirkli<strong>ch</strong> Gottes "Willen<br />

tut und uns darum au<strong>ch</strong> Segnung und Kraft von oben erwirbt.<br />

Damit dem zagenden und bedrückten Gewissen der Frau geholfen sei, das<br />

an die geheiligte Sitte und die <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Meinung vom Gesetz verkündigte<br />

Vors<strong>ch</strong>rift no<strong>ch</strong> gebunden war, zeigt ihr Jesus, daß sein "Wort Gottes Ordnung<br />

ni<strong>ch</strong>t umstößt, weil der, der ihm im Geist und in der "Wahrheit dient, seinem<br />

"Willen ni<strong>ch</strong>t widerstrebt, sondern ihn erfüllt. Sol<strong>ch</strong>e Anbeter su<strong>ch</strong>t der Vater.<br />

Es gibt keinen anderen Gottesdienst, <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem sein Auge sähe und sein Wille<br />

verlangte, als den, den ein Mens<strong>ch</strong>enherz in Gottes Geist und Gottes "Wahrheit<br />

für ihn vollbringt. Die, die ihn anbeten, sollen bedenken, was er ist. "Weil er<br />

Geist ist, so ist er der "Wissende und der Lebendige, vor dem S<strong>ch</strong>ein und Lüge<br />

zerrinnen und nur die "Wahrheit gilt, für den leere Figuren und toter Stoff,<br />

womit der Mens<strong>ch</strong> ihm dienen mö<strong>ch</strong>te, ni<strong>ch</strong>ts bedeuten. Sol<strong>ch</strong>er Gottesdienst<br />

wird ja zu einer Entehrung Gottes, weil er si<strong>ch</strong> stellt, als wäre Gott wie der<br />

Mens<strong>ch</strong>, als wäre er ni<strong>ch</strong>t Geist.<br />

Die Frau ahnte, daß Jesu "Wort über alles hinausführte, was bisher auf dem<br />

Boden Israels gewa<strong>ch</strong>sen war. 4,25: Die Frau, sagt zu ihm: I<strong>ch</strong> weiß, daß der<br />

Messias kommt, der der Christus heißt. Wenn er kommt, wird er uns alles verkündigen.<br />

Auf eine Erneuerung der Anbetung weit über das hinaus, was sie<br />

besaß, war die Gemeinde dur<strong>ch</strong> die Weissagung vorbereitet, die sie auf den<br />

Christus warten ließ, mit dessen Sendung Gott si<strong>ch</strong> neu offenbaren werde.<br />

Au<strong>ch</strong> die Samariter hatten an der auf den Christus blickenden Hoffnung<br />

Israels teil. An diese Verheißung denkt die Frau und hofft von dem, auf den<br />

die Gemeinde wartet, die Anleitung zum re<strong>ch</strong>ten Gottesdienst. Diesem Blick<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Verheißenen gab Jesus sofort die re<strong>ch</strong>te Ri<strong>ch</strong>tung und das deutli<strong>ch</strong>e<br />

Ziel. Sie soll ihn ni<strong>ch</strong>t in der Ferne su<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t von ihm weg zu einem ander<br />

xen blicken, der no<strong>ch</strong> kommen werde. 4,26: Jesus sagt zu ihr: I<strong>ch</strong> bin es, der i<strong>ch</strong>


<strong>Johannes</strong> 4,25—27 65<br />

mit dir rede. Da gab er ihr das lebendige Wasser. Der, der mit sol<strong>ch</strong>er Freundli<strong>ch</strong>keit,<br />

Gnade und Vergebung zu ihr gespro<strong>ch</strong>en und sie zure<strong>ch</strong>tgebra<strong>ch</strong>t<br />

hatte, das war der Christus! das war der, der in Gottes Namen begnadigt und<br />

ewig regiert. So war ja mit einem Male au<strong>ch</strong> ihr, der verlorenen Frau, die<br />

Freundli<strong>ch</strong>keit Gottes ers<strong>ch</strong>ienen! Konnte sie no<strong>ch</strong> dürsten oder je wieder dürsten?<br />

War ihr ni<strong>ch</strong>t eine Freude ges<strong>ch</strong>enkt und eine Kraft verliehen, die ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr zu verlieren war? Der Christus war ihr als Freund genaht.<br />

Si<strong>ch</strong>er s<strong>ch</strong>aut <strong>Johannes</strong>, indem er uns Jesu Gesprä<strong>ch</strong> mit der Samariterin erzählt,<br />

au<strong>ch</strong> auf dasjenige mit Nikodemus zurück. Sie geben, nebeneinander gestellt,<br />

ein helles Bild, wie Jesus seine su<strong>ch</strong>ende Arbeit an den Mens<strong>ch</strong>en tat. Zunä<strong>ch</strong>st<br />

s<strong>ch</strong>eint der ho<strong>ch</strong>stehende Meister Israels vor dem zur samaritis<strong>ch</strong>en<br />

Sekte gehörenden und tief gefallenen Weibe weit im Vorsprung zu sein. Beide<br />

kann aber Jesus nur dur<strong>ch</strong> einen ernsten Kampf mit ihnen fassen. Ähnli<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>wierigkeiten hindern beide. Dort ist es der Stolz des Theologen: „Wir<br />

wissen!", hier der Stolz der Sekte: Wir sind ebenso gut wie ihr! Beide denken<br />

an alles andere, nur ni<strong>ch</strong>t an den Geist. „Geburt aus Gott" tönt Nikodemus<br />

ebenso mär<strong>ch</strong>enhaft wie das „lebendige Wasser" der Samariterin. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

überholt jedo<strong>ch</strong> die Frau den Theologen. Dieser geht ergriffen, aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

überwunden von Jesus weg. Nur den Weg kann ihm Jesus zeigen, auf dem er<br />

si<strong>ch</strong> zu ihm hin oder von ihm weg bewegen wird, weif es si<strong>ch</strong> darum handelt,<br />

ob er das Li<strong>ch</strong>t lieber als die Finsternis hat. Na<strong>ch</strong> derselben heiligen Regel hat<br />

Jesus au<strong>ch</strong> die Frau geführt und sie ins Li<strong>ch</strong>t gestellt. Während si<strong>ch</strong> aber Niko-<br />

. demus no<strong>ch</strong> besinnen muß, ob er kommen will oder ni<strong>ch</strong>t, eilt sie zu Jesus hin<br />

und ergreift seine Hand, und er rei<strong>ch</strong>t sie ihr. Was ma<strong>ch</strong>t den Unters<strong>ch</strong>ied?<br />

Die Sünde, S<strong>ch</strong>ande und Not der Frau war ihre kranke Liebe, des Nikodemus<br />

Sünde, S<strong>ch</strong>ande und Not seine kranke Weisheit. Es sind àie beiden mä<strong>ch</strong>tigsten<br />

Verderber der Mens<strong>ch</strong>heit, mit denen Jesus hier ringt. Aus der fals<strong>ch</strong>en Weisheit<br />

ist jedo<strong>ch</strong> der Rückweg s<strong>ch</strong>werer. Die fals<strong>ch</strong>e Liebe ma<strong>ch</strong>t sinken, tut weh,<br />

erzeugt eine brennende Wunde und ma<strong>ch</strong>t welk. Die fals<strong>ch</strong>e Weisheit sieht<br />

wie Erhebung, Rei<strong>ch</strong>tum, Kraft und Leben aus. Sie erzeugt selbst eine Art<br />

Li<strong>ch</strong>t, einen blendenden S<strong>ch</strong>ein. Die Wendung vom fals<strong>ch</strong>en zum wahren li<strong>ch</strong>t<br />

ist s<strong>ch</strong>werer als die von der Finsternis zum Li<strong>ch</strong>t.<br />

Was Jesus der Frau gegeben hat, trieb glei<strong>ch</strong> Wirkungen in einem weiteren<br />

Kreise hervor. Auf Jesu Seite traten die Jünger dem, was er getan hat, näher;<br />

die Frau holt ihrerseits ihre Landsleute herbei. 4,27: Darauf kamen seine Jünger<br />

und verwunderten sieb, daß er mit einer Frau redete. Keiner sagte jedodj:<br />

Was su<strong>ch</strong>st du, oder warum spri<strong>ch</strong>st du mit ihr? <strong>Johannes</strong> zeigt auf den tiefen<br />

Abstand der Jünger von Jesus hin. Seinen barmherzigen Blick auf die ver-


66 Jesus beruft die Samariterin<br />

welkende Frau kennen und teilen sie ni<strong>ch</strong>t, verstehen es no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß er mit<br />

derselben Liebe, wie dem Mann, so au<strong>ch</strong> der Frau den lebendigen Trank rei<strong>ch</strong>t<br />

und au<strong>ch</strong> ihr zur Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit hilft. Sie<br />

folgen teils dem überlegenen Gefühl des Mannes, der die Frau unter si<strong>ch</strong><br />

sieht, und werden darin no<strong>ch</strong> bestärkt dur<strong>ch</strong> den Ausblick auf das Himmelrei<strong>ch</strong>.<br />

"Was bedeutet eine Frau für Jesu hohes Ziel, was kann sie zum Werk<br />

beitragen, das er auf Erden auszuri<strong>ch</strong>ten hat? Teils bringt die ängstli<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>eu vor den sündli<strong>ch</strong>en Regungen ihre Verwunderung hervor. Am si<strong>ch</strong>ersten<br />

wappnet si<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Meinung der gegen die Versu<strong>ch</strong>ung, der gar ni<strong>ch</strong>t mit<br />

einer Frau spri<strong>ch</strong>t. Je heiliger ein Mann ist, desto weniger Berührung hat er<br />

mit der Frau. Sie verstehen Jesu Reinheit no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, der seinen Blick au<strong>ch</strong> auf<br />

die S<strong>ch</strong>uld und Not des weibli<strong>ch</strong>en Herzens ri<strong>ch</strong>tet, selbst uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong> und<br />

darum ermä<strong>ch</strong>tigt und befähigt, zu tragen, zu helfen, zu verzeihen. Aber au<strong>ch</strong><br />

jetzt, als den Jüngern Jesu Vers<strong>ch</strong>iedenheit von ihnen ins Bewußtsein trat,<br />

spürten sie die Ma<strong>ch</strong>t seiner Leitung. Was sie im Herzen hatten, kam ni<strong>ch</strong>t auf<br />

die Lippen. Sie wagten es ni<strong>ch</strong>t, in einer Frage auszuspre<strong>ch</strong>en, daß si<strong>ch</strong> ein<br />

Zweifel an dem, was er tue, in ihnen regte. Es hielt sie denno<strong>ch</strong> die Gewißheit:<br />

was er tut, ist rein und re<strong>ch</strong>t; ist er anders, als wir da<strong>ch</strong>ten, so ist er größer,<br />

reiner, herrli<strong>ch</strong>er als wir; es steht uns ni<strong>ch</strong>t zu, zu fragen, warum er so handle.<br />

4,28—30: Nun ließ die Frau ihren Wasserkrug stehen, ging in die Stadt und<br />

sagt den Mens<strong>ch</strong>en: Kommt, seht einen Mens<strong>ch</strong>en, der mir alles gesagt hat, was<br />

i<strong>ch</strong> tat, ob ni<strong>ch</strong>t dieser der Christus sei. Sie gingen aus der Stadt heraus und<br />

kamen zu ihm. Daß die Frau, als sie zu den Ihrigen ging, ihren Krug stehen<br />

ließ, hat <strong>Johannes</strong> ni<strong>ch</strong>t unbea<strong>ch</strong>tet gelassen. Dieser stehengebliebene Krug war<br />

das Wahrzei<strong>ch</strong>en, daß sie etwas erlebt hatte, was ihren Gedanken eine völlig<br />

andere Ri<strong>ch</strong>tung gab und alles zurückdrängte, was sie bisher bes<strong>ch</strong>äftigte. Sie<br />

lud ihre Landsleute zu Jesus, damit sie prüften, ob er ni<strong>ch</strong>t der Christus sei,<br />

und der Grund, auf den sie ihre Ladung stellte, war Jesu Blick, der ihr Inneres<br />

dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>aut hatte, mit dem er si<strong>ch</strong> an ihr als den Kenner der Herzen und in<br />

Geri<strong>ch</strong>t und Gnade als den Heiligen bewährt hatte. Es liegt in diesem Bekenntnis<br />

zu Jesus eine ernste Aufri<strong>ch</strong>tigkeit, die sein Bußwort angenommen hak<br />

Eben no<strong>ch</strong> waren die Jünger in der Stadt; sie haben dort ni<strong>ch</strong>ts getan als<br />

Brote eingehandelt. Daß au<strong>ch</strong> in Samaria Glaube erweckt und die Leute zu<br />

Jesus geführt werden könnten, s<strong>ch</strong>ien ihnen undenkbar. Es war au<strong>ch</strong> für sie<br />

unmögli<strong>ch</strong>, da sie das, was die Samariter von ihnen s<strong>ch</strong>ied, ni<strong>ch</strong>t zu überwinden<br />

vermo<strong>ch</strong>ten, weshalb ihr Wort ihnen nur als jüdis<strong>ch</strong>e Fabel ers<strong>ch</strong>ienen<br />

wäre. Dazu standen sie selbst no<strong>ch</strong> unter dem Druck der Spaltung, und ihre<br />

Liebe war no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t klar und stark genug, um hier die.Brücke bauen zu kön-


<strong>Johannes</strong> 4,28—34 67<br />

nen. "Wozu sie ni<strong>ch</strong>t imstande waren, tat dieselbe Frau, von der sie si<strong>ch</strong> verwundert<br />

hatten, daß ihr Jesus überhaupt sein Wort gegönnt habe.<br />

Jesus ma<strong>ch</strong>te inzwis<strong>ch</strong>en den Jüngern deutli<strong>ch</strong>, daß dieses Erlebnis in seinen<br />

Augen etwas Großes war. 4,31. 32: Inzwis<strong>ch</strong>en baten ihn die Jünger: Rabbi,<br />

iß! Er aber sagte zu ihnen: I<strong>ch</strong>t habe eine Speise zu essen, von der ihr ni<strong>ch</strong>ts<br />

wißt. Sie hielten die Begegnung Jesu mit dieser Frau für einen kleinen Zwis<strong>ch</strong>enfall,<br />

der am gewohnten Gang der Dinge ni<strong>ch</strong>ts ändere, und fordern ihn,<br />

da sie ja der Vorräte wegen in die Stadt gegangen und nun mit sol<strong>ch</strong>en zurückgekehrt<br />

waren, zum Essen auf. Ihm lag es aber daran, die Jünger in das, was<br />

er erlebt hatte, hineinzuziehen und ihnen zu zeigen, wie tiefe Bedeutung eine<br />

sol<strong>ch</strong>e Begegnung für ihn hat. <strong>Das</strong> war ihm Speise, von der die Jünger freili<strong>ch</strong><br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts wissen. Dièse Frau hat ihm mehr gebra<strong>ch</strong>t, mehr gegeben, als sie es<br />

mit den Vorräten tun, die sie erhandelt haben. Käme eine "Wahl in Frage, so<br />

griffe er ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem, was sie ihm bieten, sondern <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem, was ihm die<br />

Begegnung mit ihr gab. Dort ist er erquickt und gekräftigt worden; von dort<br />

her strömt ihm Leben zu mit neuer Kraft. Es gehört mit zur Wahrheit und<br />

Vollkommenheit der Liebe Jesu, daß er bei ihr ni<strong>ch</strong>t nur der Gebende, sondern<br />

au<strong>ch</strong> der Empfangende war. Dadur<strong>ch</strong>, daß seine Liebe ni<strong>ch</strong>t abgewiesen und<br />

vereitelt wird, sondern die anderen begaben kann, ist er selbst erquickt, gehoben,<br />

gestärkt und hat daran seine Lust und Seligkeit. Wie seine vergebli<strong>ch</strong>e<br />

Liebe sein Leid ist, das an ihm zehrt, so ist seine von den Mens<strong>ch</strong>en erkannte<br />

und begehrte Liebe seine Freude und die Mehrung seines Lebens, das so zu<br />

seinem Ziele kommt.<br />

Nun zeigen si<strong>ch</strong> die Jünger genau so klug wie die Samariterin. 4,33: Nun<br />

sagen die Jünger zueinander: Hat ihm wohl jemand zu essen gebra<strong>ch</strong>t^ Als er<br />

von seinem Wasser spra<strong>ch</strong>, erwog die Frau, wie tief der Brunnen sei und wie<br />

Jesus wohl das Wasser s<strong>ch</strong>öpfen wolle; als er von seiner Speise spra<strong>ch</strong>, besannen<br />

si<strong>ch</strong> die Jünger, wer ihnen wohl zuvorgekommen sei und ihm Nahrung<br />

gebra<strong>ch</strong>t habe. Die kleinen Dinge, an denen unsere natürli<strong>ch</strong>e Existenz hängt,<br />

liegen dem Mens<strong>ch</strong>en immer zunä<strong>ch</strong>st; an ihnen klebt er mit seinen Gedanken<br />

und hält sie für riesengroß, während Jesu Auge auf das geri<strong>ch</strong>tet ist, was wirkli<strong>ch</strong><br />

das Wesen des Mens<strong>ch</strong>en ausma<strong>ch</strong>t und ihm bleibend das Leben gibt oder<br />

nimmt. Den Jüngern, die nur an irgendwel<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>en denken, die ihm<br />

Speise gebra<strong>ch</strong>t haben könnten, hält er den Vater vor. 4,34: Jesus sagt 2»<br />

ihnen: Meine Speise ist, daß i<strong>ch</strong> den Willen dessen tue, der mi<strong>ch</strong> sandte, und<br />

sein Werk vollende. Als er si<strong>ch</strong> mit seiner Gnade dieser Frau zuwandte, blieb<br />

sein Auge unverwandt auf den Vater geri<strong>ch</strong>tet. Er kennt in seinem Willen und<br />

Wesen die Teilung ni<strong>ch</strong>t, daß si<strong>ch</strong> die Liebe zum Vater und die Liebe zu den


68 • Jesus beruft die Samariterin<br />

Mens<strong>ch</strong>en voneinander s<strong>ch</strong>ieden. Jene erzeugt und umfaßt diese ganz und gar.<br />

Er hat dem elenden Weibe geholfen, weil er den Willen dessen tut, der ihn<br />

sandte, und Gottes Werk vollbra<strong>ch</strong>t, indem er ihr mit Geist und Wahrheit<br />

half. Da liegt ni<strong>ch</strong>t eins außer und neben dem anderen, sondern dies beides ist<br />

in ihm eine herrli<strong>ch</strong>e, ungestörte Einigkeit. Daher fließt die Kraft seiner Liebe<br />

samt ihrer dur<strong>ch</strong>dringenden Rückwirkung auf ihn selbst, sei es ihm zum<br />

S<strong>ch</strong>merz, wenn sie gehemmt bleibt, sei es ihm zur Kraft, wenn sie ihr Werk<br />

ausri<strong>ch</strong>ten kann. In den Willen des Vaters legt er ein ungeteiltes, ganzes Herz.<br />

Er ist das, was ihn völlig beherrs<strong>ch</strong>t und erfüllt. Darum ist es ihm Lebensbedürfnis,<br />

seinen Willen zu tun, und Lebenserhaltung, wenn er ihn zu tun<br />

vermag.<br />

Auf das Tun legt er hier den Na<strong>ch</strong>druck. Inwendig ist er immer mit dem<br />

Willen des Vaters eins, mögen ihn die Mens<strong>ch</strong>en verstehen oder verwerfen,<br />

seine Gabe annehmen oder verstoßen. Von ihrem Verhalten ist jedo<strong>ch</strong> das abr<br />

hängig, was er zu tun vermag, ob er den Willen des Vaters ungetan lassen<br />

muß oder vollführen kann. Diesmal war es ihm gegönnt, zu handeln. Eine<br />

Tat ist ges<strong>ch</strong>ehen, die mit fortwirkender Ma<strong>ch</strong>t den Lebenslauf dieser Frau<br />

und ni<strong>ch</strong>t nur den ihrigen, bestimmt. Sol<strong>ch</strong>es Handeln ist ihm Speise im wahrhaften<br />

Sinn des Worts. Der Wille dessen, der ihn sandte, steht als vollkommene<br />

Gnade vor seinem Blick; denn er hat ihn dur<strong>ch</strong> das vollbra<strong>ch</strong>t, was er dem<br />

Weibe in seiner Gnade gab. Wir sehen, wozu er si<strong>ch</strong> gesandt weiß. Seines<br />

Vaters Wille ist, daß er das lebendige Wasser allen gebe, die ihn bitten.<br />

Mit dem hohen Sinn Jesu, daß er Gottes Willen vollführe und seiner Gnade<br />

als Werkzeug diene, verbindet si<strong>ch</strong> in fester Einheit die Demut des Sohnes, der<br />

seine Große nur in der Unterordnung unter den Vater hat. Sein Beruf ist,<br />

Gottes Werk fertigzuma<strong>ch</strong>en. Er spri<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t nur von Gottes Willen, zu dem<br />

sein Dienst die Tat fügt, sondern au<strong>ch</strong> von Gottes Werk, an das er mit seinem<br />

Dienst gebunden bleibt. Geht diesem ni<strong>ch</strong>t ein Wirken Gottes voran, so ist er<br />

unmögli<strong>ch</strong> und bleibt vergebli<strong>ch</strong>. Nur da, wo Gott selbst im Mens<strong>ch</strong>en sein<br />

Werk tat, ist Jesus der Raum bereitet, in den er seine Gabe legen kann. Jesus<br />

sieht darum auf diese Frau mit freudigem Dank gegen den Vater: Hier hast<br />

du s<strong>ch</strong>on dein Werk getan, und i<strong>ch</strong> durfte es vollenden. S<strong>ch</strong>einbar war sie freili<strong>ch</strong><br />

von aller göttli<strong>ch</strong>en Leitung und Begabung verlassen; sie war ja ganz und<br />

gar Samariterin, in die trüben Leidens<strong>ch</strong>aften ihres Volkes eingetau<strong>ch</strong>t und<br />

au<strong>ch</strong> in ihrem eigenen Lebenslauf der Versu<strong>ch</strong>ung unterlegen und tief gesunken.<br />

Denno<strong>ch</strong> hat Gott au<strong>ch</strong> an ihr sein gnädiges Werk getan. Daß sie für Jesus ein<br />

offenes Ohr und ein Auge für ihre Sünde hat, so daß sein Bußwort bei ihr<br />

Eingang findet, und no<strong>ch</strong> Wahrhaftigkeit genüg besitzt, um der Wahrheit die


<strong>Johannes</strong> 4,35 69<br />

Ehre zu geben, daß die Verheißung der S<strong>ch</strong>rift vom kommenden Christus und<br />

die Sehnsudit <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem, den sie anbetet, ohne ihn zu kennen, au<strong>ch</strong> in ihr<br />

lebendig ist, das hat der Vater in diesem zerrütteten und verarmten Herzen<br />

gewirkt. Er ma<strong>ch</strong>te dem Worte Jesu Bahn, daß es sie ergriff. Und nun ist es<br />

Jesu Speise, das, was der Vater begonnen hat, zu vollenden, die Gnade, die<br />

ihr nahe war, ihr zu zeigen, das Verlangen, das si<strong>ch</strong> in ihr regte, zu erfüllen und<br />

sie an das Ziel zu führen, zu dem das Werk des Vaters sie bereitet hat. <strong>Das</strong><br />

gilt wie von dieser Frau vom ganzen Verkehr Jesu mit allen Mens<strong>ch</strong>en. Wo er<br />

das Werk des Vaters wahrnimmt, da sieht er si<strong>ch</strong> zur Heilandstat berufen; wo<br />

er dieses ni<strong>ch</strong>t findet, da s<strong>ch</strong>weigt er und zieht si<strong>ch</strong> zurück.<br />

So völlig si<strong>ch</strong> Jesus mit diesem Wort unter die Leitung des Vaters stellt, so<br />

kräftig drückt er au<strong>ch</strong> hier die Hoheit seiner besonderen Stellung aus. So steht<br />

er zum Vater, daß ihm die Vollendung seiner Werke übergeben ist. Der Vater<br />

vollendet sie ni<strong>ch</strong>t ohne ihn, sondern dur<strong>ch</strong> ihn. Darin empfindet Jesus die<br />

Liebe des Vaters zu ihm, daß dieser auf seinen Dienst zählt, seine Tat erwartet<br />

und ihm den Beruf, gibt, das, was der Vater selbst begonnen hat, dur<strong>ch</strong> seinen<br />

Dienst zum S<strong>ch</strong>luß und Ziel zu bringen. Niemals ers<strong>ch</strong>ien Jesus das, daß der<br />

Vater sein Werk ni<strong>ch</strong>t selbst vollende, als S<strong>ch</strong>ranke und S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e des göttli<strong>ch</strong>en<br />

Wirkens; es offenbart si<strong>ch</strong> vielmehr darin die Vollkommenheit seiner<br />

Liebe, daß er den Sohn bei seinem Werk zu seinem Genossen ma<strong>ch</strong>t.<br />

In eine ähnli<strong>ch</strong>e Stellung wie die, in der er vor dem Vater steht, führt er nun<br />

seine Jünger zu si<strong>ch</strong> selber ein. Au<strong>ch</strong> sie beruft er, sein Werk zu vollenden, als<br />

seine Gehilfen, auf deren Dienst er zählt. Er lehrt sie, daran ihre Freude zu<br />

haben, wie er selbst in seinem Dienst für den Vater seine Speise hat. Darum<br />

beri<strong>ch</strong>tigt er zuerst ihr Urteil, das nur an der auswendigen Gestalt der Dinge<br />

hängt und darum ni<strong>ch</strong>t begreift, wie und wo die fru<strong>ch</strong>tbare Arbeit si<strong>ch</strong> für sie<br />

vorbereitet. 4,35: Sagt ihr ni<strong>ch</strong>t: No<strong>ch</strong> vier Monate sind es; dann kommt die<br />

Ernte? Seht! i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Erhebet eure Augen, und sehet die Felder; sie sind<br />

zur Ernte weiß. Er nimmt sein Glei<strong>ch</strong>nis vom Acker her. Sie sagen, es währe<br />

no<strong>ch</strong> lange, bis es zur Ernte komme; no<strong>ch</strong> vier Monate müßten bis dorthin vergehen.<br />

Nein, sagt Jesus, die Felder sind s<strong>ch</strong>on weiß und zur Ernte reif, und für<br />

den S<strong>ch</strong>nitter ist es s<strong>ch</strong>on Zeit, seinen Dienst zu beginnen und die Erntearbeit<br />

zu tun. Hier in Samarien, ihnen selbst völlig unerwartet, beginnt für die Jünger<br />

ihr Jüngerwerk. Hier gibt es Erntearbeit für sie an der Stelle, die sie für<br />

ganz unfru<strong>ch</strong>tbar hielten. Als sie den Boden Judäas verlassen hatten, hielten<br />

sie es für völlig ausges<strong>ch</strong>lossen, daß si<strong>ch</strong> irgend etwas für Jesus tun und gewinnen<br />

ließe, bis sie wieder in die jüdis<strong>ch</strong>en Dörfer drüben in Galiläa kämen;<br />

dort erst gehe Jesu Arbeit und ihr eigener Dienst, soweit sie s<strong>ch</strong>on von Anfang


7° Jesus beruft die Samariterin<br />

an als seine Gehilfen tätig waren, wieder an. So gli<strong>ch</strong>en sie S<strong>ch</strong>nittern, die über<br />

ein eben erst bestelltes Feld gehen mit dem Gedanken: Für uns gibt es hier no<strong>ch</strong><br />

längst ni<strong>ch</strong>ts zu tun. Sie haben si<strong>ch</strong> aber getäus<strong>ch</strong>t: die Ernte ist s<strong>ch</strong>on da!<br />

Jesu Blick ruht ni<strong>ch</strong>t nur auf dem, was eben jetzt ges<strong>ch</strong>ehen war, sondern<br />

s<strong>ch</strong>aut weissagend in die Zukunft. Hier in Samarien bildet si<strong>ch</strong> eine Gemeinde,<br />

die sein eigen bleiben und ihm ni<strong>ch</strong>t mehr verloren gehen wird, die er seinen<br />

Jüngern übergeben kann als einen Anfang seiner Kir<strong>ch</strong>e, die sie pflegen und<br />

führen sollen. Si<strong>ch</strong>er denkt <strong>Johannes</strong> dabei au<strong>ch</strong> an das, was er selbst in der<br />

ersten Zeit der Gemeinde <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu "Weggang erlebt hat. Eben in der Zeit, als<br />

in Jerusalem die Arbeit für die Boten Jesu s<strong>ch</strong>wer wurde, weil die Verfolgung<br />

die Gemeinde zerstörte, die Verkündigung des <strong>Evangelium</strong>s unterbra<strong>ch</strong> und<br />

die Glaubenden nötigte, si<strong>ch</strong> zu zerstreuen, wurde <strong>Johannes</strong> mit Petrus <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

Samarien berufen, weil dort Glaube an Christus entstand und Gemeinden gesammelt<br />

wurden, und er sah zu seiner Freude, wie Gottes Geist hier seihe<br />

Gaben austeilte und seine Wunder wirkte ganz wie in Jerusalem, und empfing<br />

damit die Bürgs<strong>ch</strong>aft, daß Israels Fall Jesu Werk ni<strong>ch</strong>t hindere, daß er<br />

vielmehr seine Gemeinde aus aller Welt sammeln werde.<br />

Wegen dieser weitrei<strong>ch</strong>enden Bedeutung, die in der damaligen Stunde lag,<br />

gibt Jesus jetzt der Arbeit seiner Jünger die Verheißung, daß ihr Lohn das<br />

ewige Leben sei. 4,36: S<strong>ch</strong>on erhält der Erntende Lohn und sammelt Fru<strong>ch</strong>t<br />

zum ewigen Leben, damit der, der säte, zuglei<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> freue mit dem, der erntet.<br />

Der Dienst der Jünger bringt ihnen selbst das Größte ein; denn Jesus lohnt<br />

ihnen denselben mit seiner Gegengabe, mit seiner Liebe und Gemeins<strong>ch</strong>aft, mit<br />

dem ewigen Leben. Eben jetzt, als sie mit ihm in die samaritis<strong>ch</strong>e Stadt traten<br />

und dort beim Werden und Wa<strong>ch</strong>sen des Glaubens ihm helfen durften, erweckt<br />

er in ihnen mit aller Kraft das Verlangen <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem himmlis<strong>ch</strong>en Lohne<br />

und heftet diesen unablösli<strong>ch</strong> an ihr Jüngerwerk, weil sie ihn ni<strong>ch</strong>t anders als<br />

dur<strong>ch</strong> die Ausri<strong>ch</strong>tung ihres Dienstes empfangen werden. Au<strong>ch</strong> sie waren ja<br />

Juden, hatten si<strong>ch</strong> freili<strong>ch</strong> aufri<strong>ch</strong>tig unter seine Leitung gestellt, fanden aber<br />

nur in seiner Leitung den ri<strong>ch</strong>tigen Weg. Es kam jetzt viel darauf an, daß sie<br />

ernten, ni<strong>ch</strong>t aber Jesu Werk stören und den Samaritern zum Anstoß werden.<br />

Wie lei<strong>ch</strong>t war das ges<strong>ch</strong>ehen! Sie brau<strong>ch</strong>ten nur den jüdis<strong>ch</strong>en Stolz hervorzukehren,<br />

von der Gemeins<strong>ch</strong>aft mit den Samaritern in s<strong>ch</strong>einbarer Gewissenhaftigkeit<br />

si<strong>ch</strong> fernzuhalten und die S<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> und ihnen zu betonen;<br />

so war der Glaube den Samaritern ers<strong>ch</strong>wert und au<strong>ch</strong> ihr Meister als<br />

der dargestellt, mit dem ihnen do<strong>ch</strong> keine Hilfe gekommen sei. Deshalb sagt<br />

ihnen Jesus: Jetzt gilt es zu ernten, ni<strong>ch</strong>t zu zerstreuen, zu bauen, ni<strong>ch</strong>t zu zerstören;<br />

ni<strong>ch</strong>t nur der Samariter wegen, euretwegen ist eu<strong>ch</strong> mein Dienst auf-


. <strong>Johannes</strong> 4,36.37 71<br />

getragen; an ihm gewinnt ihr den Lohn, oder ihr verliert ihn. Dient den Samaritern,<br />

das bringt eu<strong>ch</strong> selbst das ewige Leben; dient ihr ihnen ni<strong>ch</strong>t, verderbt<br />

ihr sie, so habt ihr eu<strong>ch</strong> selbst verdorben.<br />

;•• Er sammelt Fru<strong>ch</strong>t, so daß ewiges Leben daraus entsteht; das umfaßt zuglei<strong>ch</strong><br />

den, der die Erntearbeit tut und den, an dem sie getan wird, miteinander.<br />

Au<strong>ch</strong> diesem vermittelt der Jünger kein vergängli<strong>ch</strong>es Gut, sondern die<br />

ewige Gabe Gottes. Jesus gibt den Seinen den Blick in die Herrli<strong>ch</strong>keit des<br />

apostolis<strong>ch</strong>en Dienstes, der dem Mens<strong>ch</strong>en zum ewigen Leben hilft. Der Ausgang<br />

ihres Dienstes wird sein, daß si<strong>ch</strong> beide, sowohl der Säende als der Erntende,<br />

miteinander freuen. Sind die Erntenden die Jünger, so war der Säemann<br />

Jesus, wie au<strong>ch</strong> Jesus bei seinem eigenen Ernten wieder den Säemann über si<strong>ch</strong><br />

hat im Vater, dessen Werk er vollendet. Aus der Freude des Erntenden erwä<strong>ch</strong>st<br />

au<strong>ch</strong> die des Säenden; denn dieser hat sein Werk dazu getan, damit der<br />

Erntende das Seinige tun könne. Darum hat er au<strong>ch</strong> seine Freude daran, daß es<br />

dem Erntenden gelingt und dieser den vollen Ertrag gewinnt. Jesus bes<strong>ch</strong>reibt<br />

uns hier eine vollkommene Gemeins<strong>ch</strong>aft, bei der die Arbeit des einen si<strong>ch</strong> in<br />

der des anderen fortsetzt und der Gewinn des einen der Gewinn des anderen<br />

und die Freude gemeinsam ist. Jesu Jünger sollen wissen, daß seine Freude<br />

darin besteht, daß ihnen ihr Dienst gelingt und daraus ein rei<strong>ch</strong>er Segen wird.<br />

Ihm gilt ihr Werk ni<strong>ch</strong>t als etwas Fremdes, das er nur gezwungen neben si<strong>ch</strong><br />

duldete; vielmehr vollführt er dazu seinen Dienst, damit sie den ihrigen beginnen<br />

und vollenden können, und ni<strong>ch</strong>t anders hat si<strong>ch</strong>.in ihrem eigenen Kreis<br />

der eine zum anderen zu stellen, falls ihr Dienst wie Säemanns- und S<strong>ch</strong>nitterarbeit<br />

voneinander vers<strong>ch</strong>ieden wird. So ma<strong>ch</strong>t Jesus alle Kraft der Liebe<br />

zu ihm, die in ihrem Herzen ist, für ihren Dienst fru<strong>ch</strong>tbar. Wenn sie an den<br />

Säemann denken und an seine Freude, werden sie ihren Dienst rüstig tun, au<strong>ch</strong><br />

jetzt, da sie in die völlig neue Bahn hineintreten und si<strong>ch</strong> mit Samaritern im<br />

Glauben an Jesus zusammentun.<br />

Dieses Wort ma<strong>ch</strong>t uns au<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>, wie <strong>Johannes</strong> die Arbeit in der Heidenkir<strong>ch</strong>e<br />

angesehen hat. Au<strong>ch</strong> sie war S<strong>ch</strong>nitterarbeit, reif gewordene Saat<br />

des Christus. Dur<strong>ch</strong> seinen Dienst in Israel bis zum Kreuz hat er die Säemannsarbeit<br />

getan, die den Aposteln die Ernte vorbereitete. Ihnen fiel sie später zu<br />

mit ihrer rei<strong>ch</strong>en Freude, und <strong>Johannes</strong> ist gewiß, daß diese seine Freude mit<br />

dem Sinne Jesu zusammentrifft.<br />

4,37: Denn in diesem Fall ist das Wort wahr: Ein anderer ist der Säende<br />

und ein anderer der Erntende. Dieses Spri<strong>ch</strong>wort wird im Mund des Volks oft<br />

einen klagenden Ton gehabt haben und auf die Unsi<strong>ch</strong>erheit des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Bemühens hinweisen. Wer die Aussaat bestellt, bringt keineswegs immer au<strong>ch</strong>


7 2 Jesus beruft die Samariterin<br />

die Ernte heim; sondern andere genießen den Erfolg, um den er si<strong>ch</strong> mühte.<br />

So kann si<strong>ch</strong> das Spri<strong>ch</strong>wort mit unreinen Empfindungen mis<strong>ch</strong>en, mit verbittertem<br />

Kleinmut, mit Klagen über die Unsi<strong>ch</strong>erheit und Ni<strong>ch</strong>tigkeit unseres<br />

<strong>Das</strong>eins und mit Anklagen gegen Gott, der uns Unre<strong>ch</strong>t leiden lasse. Aus diesen<br />

niedrigen Anwendungen hebt Jesus das Spri<strong>ch</strong>wort heraus und gibt ihm einen<br />

reinen, tiefen Sinn, indem er es auf den Dienst anwendet, zu dem uns Gott<br />

beruft. "Während die Mens<strong>ch</strong>en es oft da brau<strong>ch</strong>en, wo es fals<strong>ch</strong> ist, sei es, daß<br />

sie gar keine Saat ausstreuten, die ihnen einen Ertrag bringen gönnte, sei es,<br />

daß die Ernte ihnen wirkli<strong>ch</strong> zukam und sie bloß mit ihr ni<strong>ch</strong>t zufrieden sind:<br />

hier ist es wahr, daß der Säende ni<strong>ch</strong>t selbst s<strong>ch</strong>on erntet und der Erntende<br />

ni<strong>ch</strong>t selber sät. Denn in Gottes Dienst setzt das Werk des einen das Werk des<br />

anderen fort, und Dienst stützt si<strong>ch</strong> auf Dienst, wobei keiner für si<strong>ch</strong> selbst<br />

arbeitet, sondern jeder über si<strong>ch</strong> zu dem emporblickt, dem alle dienen. Darum<br />

weigert si<strong>ch</strong> hier au<strong>ch</strong> der Säende ni<strong>ch</strong>t, das zu tun, wovon er selbst den Ausgang<br />

und die Fru<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t sieht, und der Erntende s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> mit seiner Arbeit<br />

dankbar an das an, was dur<strong>ch</strong> die anderen entstanden war.<br />

Jesus erweckt in den Jüngern eine tiefe Dankbarkeit bei ihrem Werk. 4,38:<br />

I<strong>ch</strong> habe eu<strong>ch</strong> ausgesandt zu ernten, worum ni<strong>ch</strong>t ihr eu<strong>ch</strong> bemüht habt. Andere<br />

haben si<strong>ch</strong> abgemüht, und ihr seid in ihre Arbeit eingetreten. Andere,<br />

ni<strong>ch</strong>t sie selber, haben die zur Ernte nötige s<strong>ch</strong>were Arbeit getan, zunä<strong>ch</strong>st Jesus<br />

selbst, der die Last allein trug, die die Jünger no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit ihm tragen<br />

konnten, und den Kampf selbst führt, dagegen die Jünger seinen Sieg genießen<br />

läßt. So hat au<strong>ch</strong> er allein die Bahn zu den Samaritern geöffnet, wozu die Seinigen<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fähig waren. Do<strong>ch</strong> sagt er ni<strong>ch</strong>t nur: I<strong>ch</strong> habe mi<strong>ch</strong> gemüht,<br />

sondern andere, weil er si<strong>ch</strong> bei seiner Arbeit ni<strong>ch</strong>t allein, sondern vom Vater<br />

begleitet und getragen weiß. Dies wird au<strong>ch</strong> darin offenbar, daß sein Werk<br />

das der alten Boten Gottes vollendet, die zum Teil unter bitteren Leiden Israel<br />

das Wort Gottes bra<strong>ch</strong>ten, ohne zu sehen, was die Jünger sahen.<br />

4,39—42: Aber aus jener Stadt glaubten viele von den Samaritern an ihn<br />

wegen des Wortes der Frau, die bezeugte: Er hat mir alles gesagt, was i<strong>ch</strong> tat.<br />

Als nun die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, daß er bei ihnen bleibe.<br />

Und er blieb dort zwei Tage. Und viel mehr glaubten seines Wortes wegen<br />

und sagten zur Trau: Wir glauben ni<strong>ch</strong>t mehr wegen deiner Rede. Denn wir<br />

haben selbst gehört und wissen, daß dieser wahrhaft der Retter der Welt ist.<br />

Von dem, .was her<strong>na<strong>ch</strong></strong> in der Stadt ges<strong>ch</strong>ehen ist, hebt <strong>Johannes</strong> nur zwei<br />

Dinge hervor: einmal das unerwartete und neben dem, was in Judäa ges<strong>ch</strong>ehen<br />

war, so große Ereignis, daß die Samariter an Jesus glaubten, s<strong>ch</strong>on dur<strong>ch</strong> das<br />

Zeugnis der Frau und her<strong>na<strong>ch</strong></strong> mit tiefer begründetem Glauben, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem sie


<strong>Johannes</strong> 4,38—44 7 J<br />

Jesus selbst gehört hatten. Aus jener Erstlingsgestalt mußte si<strong>ch</strong> ihr Glaube<br />

notwendig höher heben und si<strong>ch</strong> auf Jesus selber gründen. An ihm selbst mußten<br />

sie gewiß werden, ob sie in ihm den Heiland der Welt, den Helfer für die<br />

Mens<strong>ch</strong>heit hätten, und das wurde ihnen im Umgang Jesu mit ihnen klar und<br />

fest. Sodann teilt uns <strong>Johannes</strong> mit, daß Jesus denno<strong>ch</strong> bloß zwei Tage bei den<br />

Samaritern verweilte. Ob er au<strong>ch</strong> aus dem Tempel wei<strong>ch</strong>en mußte, weil die<br />

Priester ni<strong>ch</strong>t zuließen, daß er ihn reinige, und aus der heiligen Stadt, weil die<br />

Pharisäer ni<strong>ch</strong>t wollten, daß die Leute zu ihm kamen, und obglei<strong>ch</strong> er bei den<br />

Samaritern Glauben findet und hier seine Sendung frei bekennen darf und sein<br />

Wort dankbar aufgenommen wird, denno<strong>ch</strong> hält er mit uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>er Gewißheit<br />

fest, er sei zu den Juden gesandt um des göttli<strong>ch</strong>en Wortes willen, das<br />

ihren Vätern gegeben war, habe ihnen mit der Hingabe seiner ganzen Zeit<br />

und Kraft zu dienen und dürfe ihnen den Zugang zu ihm ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>weren,<br />

daß er ihnen als Freund und Genosse der Samariter ers<strong>ch</strong>ien. Was<br />

der Vater ihm bei den Samaritern bes<strong>ch</strong>ert hatte, entband ihn ni<strong>ch</strong>t von der<br />

Pfli<strong>ch</strong>t, mit der er an die alte Gemeinde Isareis gebunden war, stärkte ihn vielmehr<br />

zu dieser und erquickte ihn auf seinem s<strong>ch</strong>weren Weg, weil es ihm die<br />

Gewißheit gab, er tue seinen Dienst ni<strong>ch</strong>t umsonst, sondern bereite jetzt als<br />

Säemann die große Ernte vor, die zu ihrer Zeit jenseits der alten Gemeinde<br />

reifen wird.<br />

Kapitel 4,43-54<br />

Jesus hilft dem Königli<strong>ch</strong>en zum Glauben<br />

4,43.44: Nadj den beiden Tagen ging er von dort weg <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa. Denn<br />

Jesus selbst bezeugte, daß ein Prophet in der eigenen Vaterstadt keine Ehre<br />

hat. Er re<strong>ch</strong>nete nie darauf, daß die Galiläer ihm deswegen, weil er ihr Landsmann<br />

sei, Glauben s<strong>ch</strong>enken, sah hierin vielmehr eine Ers<strong>ch</strong>werung, ja Verhinderung<br />

des Glaubens, weil sie deshalb ni<strong>ch</strong>t willig waren, si<strong>ch</strong> seiner Leitung<br />

zu untergeben und si<strong>ch</strong> von ihm helfen zu lassen, da er ni<strong>ch</strong>t mehr als sie<br />

und ihnen glei<strong>ch</strong>gestellt sei. Er ging jedo<strong>ch</strong> gerade deshalb, weil es so war, <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

Galiläa. Er hatte bereits in Judäa erlebt, daß der Widerstand um so heftiger<br />

wurde, je mehr Eingang er fand. Wo ihm die Ehre versagt wurde, konnte er<br />

no<strong>ch</strong> einige Zeit unangefo<strong>ch</strong>ten denen dienen, die ihm der Vater zuführte.<br />

<strong>Johannes</strong> erinnert dur<strong>ch</strong> dieses Wort an den s<strong>ch</strong>weren Zwiespalt, in dem Jesus<br />

wegen des Kampfes der Judens<strong>ch</strong>aft gegen ihn stand. Alle Ehre, die ihm erwiesen<br />

wurde, ma<strong>ch</strong>te das Kreuz nur ras<strong>ch</strong>er nahen; er mußte, wenn er Frist<br />

und Ruhe haben und seine Arbeit über den Anfang hinausführen wollte, dahin


74 Jesus hilft dem Königli<strong>ch</strong>en zum Glauben<br />

gehen, wo ihn niemand verstand. Unbemerkt blieb er freili<strong>ch</strong> in Galiläa ni<strong>ch</strong>t,<br />

weil seine großen Taten in Jerusalem au<strong>ch</strong> die Galiläer zu ihm führten. 4,45:<br />

Als er nun <strong>na<strong>ch</strong></strong> GalilaliWäm^hal^ml>h^ifä gesehen<br />

hatten, was er in Jerusalem beim Fest getan hatte. Denn au<strong>ch</strong> sie kamen zum<br />

Fest. Vom Feste hatten die Pilger die Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t heimgebra<strong>ch</strong>t von dem Mann,<br />

der Wunderbares wirke. Und wennnunTJesuTwieder in Kana einkehrte, wa<strong>ch</strong>ten<br />

die Erinnerungen an das, was früher dort ges<strong>ch</strong>ehen war, wieder auf und<br />

führten das Volk zu ihm als zum Spender wunderbarer Hilfe in jeder Not.<br />

<strong>Johannes</strong> erzählt uns die erste Tat Jesu, mit der er seine Arbeit in Galiläa<br />

wieder begann. 4,46. 47: Nun kam er wieder <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kana in Galiläa, wo er<br />

das Wasser zu Wein gema<strong>ch</strong>t hatte. Und es war ein Königli<strong>ch</strong>er, dessen Sohn<br />

in Kapernaum krank war. Als dieser hörte, daß Jesus aus Judäa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa<br />

gekommen sei, ging er zu ihm und bat ihn, daß er herabkomme und seinen<br />

Sohn heile. Denn er war am Sterben. Ein „Königli<strong>ch</strong>er" heißt der Bittende<br />

wóhl deshalb, weil er im Dienst des Antipas, des Vierfürsten von Galiläa, stand.<br />

An ihm ma<strong>ch</strong>t uns <strong>Johannes</strong> deutli<strong>ch</strong>, warum si<strong>ch</strong> Jesus an sol<strong>ch</strong>en Bitten ni<strong>ch</strong>t<br />

ungeteilt freute, wie er vielmehr an ihnen die glaubenslose Art des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Herzens sah und sie zu heilen su<strong>ch</strong>te. 4,48: Nun sagte Jesus zu ihm:<br />

Wenn ihr ni<strong>ch</strong>t Zei<strong>ch</strong>en und Wunder seht, glaubt ihr ni<strong>ch</strong>t. Wenn sie die Hilfe,<br />

die sie wüns<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t erhalten, gilt ihnen Jesus ni<strong>ch</strong>ts und Gott versinkt für<br />

sie. Nur dann wollen sie si<strong>ch</strong> an ihn halten, wenn ihnen mit si<strong>ch</strong>tbarer Wirkung<br />

dur<strong>ch</strong> ihn geholfen wird. Ni<strong>ch</strong>t den Königli<strong>ch</strong>en allein traf diese Klage<br />

Jesu; ihr ma<strong>ch</strong>t es so, sagt er, womit er ihn mit den anderen Galiläern zusammenfaßt,<br />

die Jesus nur deshalb rühmten, weil wunderbare Hilfe von ihm zu<br />

empfangen war. Was an sol<strong>ch</strong>en Bitten blind und sündli<strong>ch</strong> war und warum sie<br />

Jesus do<strong>ch</strong> erhört hat, beides spri<strong>ch</strong>t sein Wort mit Klarheit aus. <strong>Das</strong> Zei<strong>ch</strong>en<br />

dient ihm zum Mittel, dur<strong>ch</strong> das er Glauben in die Mens<strong>ch</strong>en bringt. Darum<br />

weiß er si<strong>ch</strong> vom Vater zu den ma<strong>ch</strong>tvollen Worten ermä<strong>ch</strong>tigt, die die himmlis<strong>ch</strong>e<br />

Bestätigung erhielten. Es liegt ihm alles daran, daß si<strong>ch</strong> ihr Auge fest auf<br />

ihn ri<strong>ch</strong>te, ihr Herz si<strong>ch</strong> ihm unterwerfe und an ihm hänge mit einem ganzen<br />

Vertrauen, das si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr von ihm s<strong>ch</strong>eiden läßt. Weil das Wunder sol<strong>ch</strong>es<br />

Vertrauen in ihnen erweckt, darum hat er ihre Bitten erhört. Sündli<strong>ch</strong><br />

aber war an diesem, daß es erst und nur von der Not hervorgetrieben ward<br />

und bei Gott ni<strong>ch</strong>ts anderes zu su<strong>ch</strong>en wußte atsjdie si<strong>ch</strong>tbare Hilfe. Wäre<br />

ihr Herz ni<strong>ch</strong>t stumpf und gebunden, so könnten und sollten sie au<strong>ch</strong> ohne das<br />

Wunder ihm glauben, in ihm selbst die bleibende und umfassende Gabe<br />

Gottes erkennen und ni<strong>ch</strong>t an dieser und jener einzelnen Hilfe hängen, ihren<br />

Willen still ma<strong>ch</strong>en in der Freude, daß sie Gottes in ihm gewiß geworden sind,


<strong>Johannes</strong> 4,45S4 75<br />

und das au<strong>ch</strong> dann, wenn er si<strong>ch</strong> in seiner stillen "Weise aller natürli<strong>ch</strong>en Ordnung<br />

untenan ma<strong>ch</strong>te und die Gegenwart Gottes in ihm si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t anders<br />

zeigte als in der Herrli<strong>ch</strong>keit des Geistes und "Wortes, in dem er lebt und webt.<br />

4,49—54: Der Königli<strong>ch</strong>e sagt zu ihm: Herr, komm herab, bevor mein<br />

Knabe stirbt. Jesus sagt zu ihm: Geh, dein Sohn lebt. Der Mens<strong>ch</strong> glaubte dem<br />

Wort, das ihm Jesus sagte, und ging. Als er s<strong>ch</strong>on hinabzog, begegneten ihm<br />

aber die Kne<strong>ch</strong>te und sagten: Dein Knabe lebt. Nun fragte er sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> der<br />

Stunde, in der es ihm besser gegangen war. Sie sagten ihm nun: Gestern um<br />

die siebente Stunde verließ ihn das Fieber. Nun erkannte der Vater, daß es in<br />

jener Stunde ges<strong>ch</strong>ehen war, in der ihm Jesus gesagt hatte: Dein Sohn lebt.<br />

Und er glaubte, er und sein ganzes Haus. Damit tat Jesus no<strong>ch</strong>mals ein zweites<br />

Tei<strong>ch</strong>en, als er aus Judäa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa gekommen war. Der Königli<strong>ch</strong>e hielt<br />

an seiner Bitte fest, weil ihn das Sterben seines Sohnes bekümmerte, und Jesus<br />

sagt ihm mit barmherzigem Sinn die Hilfe zu, do<strong>ch</strong> so, daß er ihn dabei allein<br />

auf sein Wort stellte. Während der Königli<strong>ch</strong>e erwartet hatteTdaß Jesus, falls<br />

er überhaupt helfen wolle, niit ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kapernaum eilen werde, entließ er<br />

ihn, ohne selbst mitzugehen, nur mit seinem Wort. Damit jç?ar_sêin_Auge_<strong>na<strong>ch</strong></strong>_<br />

oben geri<strong>ch</strong>tet, von den si<strong>ch</strong>tbaren DingenjRreg zu Gott empor, der allein dem<br />

Worte Jesu die Ma<strong>ch</strong>t geben konnte, die ihm Erfüllung vers<strong>ch</strong>afft. Der Königli<strong>ch</strong>e<br />

ließ si<strong>ch</strong> von Jesus leiten, griff dankbar <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Zusage, trug sie als<br />

hellen Trost im Herzen und erlebte, daß^der Glaube die Gabe empfängt. Und<br />

nun, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er an der Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t, die er s<strong>ch</strong>on unterwegs erhielt, erkannte,<br />

daß er das Leben seines Knaben Jesus verdanke, nun glaubte er und sein ganzes<br />

Haus, und nun war es ein anderer Glaube als damals, als er von der Not<br />

getrieben zu Jesus kam. Dieser Glaube sah ni<strong>ch</strong>t mehr nur auf die Hilfe, die er<br />

für si<strong>ch</strong> selber wüns<strong>ch</strong>te, ni<strong>ch</strong>t nur auf Jesu Wunderma<strong>ch</strong>t, sondern hatte in ihm<br />

das Größte und Beste und Ganze erkannt, was uns Gott geben kann, den, in<br />

dem Gottes Gnac]p bei uns ist in allen Lagen, wie immer wir die göttli<strong>ch</strong>e<br />

Hilfe erleben, ob unser Weg zum Sterben gehe oder ni<strong>ch</strong>t. <strong>Das</strong> war nun eine<br />

Gewißheit, die das ganze Leben des Mens<strong>ch</strong>en umspannt und ihn für immer<br />

in allen Dingen mit Jesus verbunden hält. Sol<strong>ch</strong>en Glauben wollte er s<strong>ch</strong>affen<br />

sowohl mit seinem strafenden Wort als mit seiner helfenden Tat.<br />

<strong>Johannes</strong> hat uns dadur<strong>ch</strong> den Kreis der Mens<strong>ch</strong>en, denen Jesus diente, sehr<br />

vollständig vorgestellt. Wir haben ihn im Kreise seiner Jünger und bei der<br />

Mutter gesehen; dann traten die ho<strong>ch</strong>gestellten Priester vor ihn, dann der<br />

S<strong>ch</strong>riftgelehrte, dann der Täufer mit der von ihm geleiteten Gemeinde, dann<br />

die Erstlinge der Gläubigen aus Samaria und nun no<strong>ch</strong> die Galiläer mit ihrer<br />

am Wunder Jesu entflammten Begeisterung und ihrem Verlangen <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm,


7" Jestts zeigt den Juden, was sie von ihm trennt<br />

das erst no<strong>ch</strong> zum Glauben erhoben werden mußte. Jeder dieser Kreise hat<br />

seine besondere Art, wie er Jesus betra<strong>ch</strong>tet und si<strong>ch</strong> ihm nähert. Überall<br />

traten die im Mens<strong>ch</strong>enherzen vorhandenen S<strong>ch</strong>wierigkeiten hervor, die Jesus<br />

seinen Dienst an den Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t lei<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>ten. Allen kommt Jesus in<br />

derselben uners<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en Gnade entgegen, gibt der Mutter den Wein und<br />

dem S<strong>ch</strong>riftgelehrten die Wahrheit, der Samariterin das lebendige Wasser und<br />

dem Galiläer die Rettung seines Kindes aus der Todesgefahr und ri<strong>ch</strong>tet dabei<br />

unverrückt den Blick auf den Vater und hebt das Verlangen der Mens<strong>ch</strong>en zur<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm empor.<br />

Kapitel 5 und 6<br />

Jesus zeigt den Juden, was sie von ihm trennt<br />

Kapitel 5<br />

Der Kampf in Jerusalem<br />

<strong>Johannes</strong> ist vom Fall Israels tief ergriffen. <strong>Das</strong> berufene Volk, das Gottes<br />

Wort und Erkenntnis besaß, stürzt und verwirft Jesus! Uns zu zeigen, worin<br />

Israels Versündigung bestand, die seinen Fall herbeiführte, ist <strong>Johannes</strong> ein<br />

besonderes Anliegen. Wie es zwis<strong>ch</strong>en Jesus und den Priestern zum Bru<strong>ch</strong>e<br />

kam, hat er uns bereits erzählt. Sie waren der Teil des Volks, der Jesus am<br />

fernsten stand. Jerusalem war aber <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem inneren Stand damals ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr von den Priestern abhängig; sondern die Pharisäer, die dur<strong>ch</strong> die Lehre<br />

und Frömmigkeit berühmten Männer, leiteten die Stadt. Na<strong>ch</strong>dem uns <strong>Johannes</strong><br />

bes<strong>ch</strong>rieben hat, wie sie den offenen Streit mit Jesus begannen, stellt er<br />

die Galiläer neben sie und zeigt, warum au<strong>ch</strong> diese, obglei<strong>ch</strong> sie si<strong>ch</strong> anders zu<br />

Jesus stellten als die Führer von Jerusalem, ni<strong>ch</strong>t bei ihm blieben. Beidemal<br />

erzählt <strong>Johannes</strong> zuerst ein Zei<strong>ch</strong>en, das zum Streit den Anlaß gibt, und gibt<br />

uns dann zwei Reden Jesu, die si<strong>ch</strong> auf die Zei<strong>ch</strong>en zurückbeziehen, aus ihnen<br />

die <strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong>e Kraft, gewinnen und ans Li<strong>ch</strong>t stellen, warum die Werke<br />

Jesu für sie vergebli<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ahen.<br />

Zur Ents<strong>ch</strong>eidung kam es in Jerusalem an einem Fest. 5,1: Darauf war ein<br />

Fest der Juden, und Jesus ging <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem hinauf. Jesus kam ni<strong>ch</strong>t mit<br />

einem eigenmä<strong>ch</strong>tigen Ents<strong>ch</strong>luß wieder <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem, sondern weil er si<strong>ch</strong><br />

wie jedes Glied der Gemeinde verhielt und die dur<strong>ch</strong> die Festreihe geordneten<br />

Gottesdienste mit ihr feierte. Zuglei<strong>ch</strong> traf er jetzt das ganze Volk in der<br />

Stadt. <strong>Das</strong> gab dem, was nun ges<strong>ch</strong>ah, die <strong>na<strong>ch</strong></strong>haltige Wirkung. Dabei erhalten<br />

wir zunä<strong>ch</strong>st in die Not und Hoffnung Israels einen ergreifenden Blick.<br />

5,2-5 : Es gibt aber in Jerusalem beim S<strong>ch</strong>af tor einen Tei<strong>ch</strong>, der auf hebräis<strong>ch</strong>


<strong>Johannes</strong> 5,x—6 - 77<br />

den Namen Bethesda* hat, an dem fünf Hallen stehen. In diesen lag eine<br />

Menge von Kranken, Blinden, Lahmen, Dürren**. Es war aber ein Mens<strong>ch</strong><br />

dort, der s<strong>ch</strong>on a<strong>ch</strong>tunddreißig Jahre krank gewesen war. Um einen Tei<strong>ch</strong> in<br />

der Nähe des S<strong>ch</strong>aftors, wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong>t am Tempelberg an der "Westseite<br />

desselben, hatte si<strong>ch</strong> eine S<strong>ch</strong>ar von Kranken und Krüppeln festgesetzt, für die<br />

dadur<strong>ch</strong> Fürsorge getroffen war, daß um den Tei<strong>ch</strong> her Hallen gebaut waren.<br />

Die Hoffnung der Kranken war auf das Wasser geri<strong>ch</strong>tet, ni<strong>ch</strong>t als hätten sie<br />

es zu jeder Zeit für heilkräftig gehalten oder regelmäßig darin gebadet; vielmehr<br />

warteten sie gespannt auf den Augenblick, in dem das Wasser in Wallung<br />

gerate, als auf das Zei<strong>ch</strong>en, daß Gott jetzt dem Wasser heilende Kraft<br />

verliehen habe. Darum hieß der Ort Bethesda: „Ort, wo Gott Gnade gibt",<br />

weil hier Hilfe von oben empfangen wird. Wie oft die Wallung des Wassers<br />

eintrat, ob der Tei<strong>ch</strong> mit einer zeitweilig aussetzenden, dann wieder hervorbre<strong>ch</strong>enden<br />

Quelle verbunden war, wissen wir ni<strong>ch</strong>t. Do<strong>ch</strong> war au<strong>ch</strong> dann,<br />

wenn die Bewegung des Wassers eintrat, die Hoffnung der Kranken gering,<br />

da man au<strong>ch</strong> dann ni<strong>ch</strong>t für alle, sondern nur für den, der zuerst in den Tei<strong>ch</strong><br />

gelangte, Heilung erwartete. Obglei<strong>ch</strong> somit die Hoffnung, die die Kranken<br />

hier festhielt, s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> genug war, war der Tei<strong>ch</strong> denno<strong>ch</strong> umlagert, und die<br />

Kranken hielten bei ihm aus und harrten auf den Augenblick, in dem sie die<br />

Wallung des Wassers zuerst bemerken und zuerst in dasselbe gelangen würden.<br />

So wenig <strong>Johannes</strong> Israels Glauben und Hoffen verspottet, hat er dies<br />

zweifellos mit der tiefen Empfindung erzählt, wie ganz anders si<strong>ch</strong> die göttli<strong>ch</strong>e<br />

Gnade in Jesus wirksam erwies. Unter diesem Israel, das mit Sehnsu<strong>ch</strong>t<br />

auf das Raus<strong>ch</strong>en des Tei<strong>ch</strong>es von Bethesda laus<strong>ch</strong>te, stand er mit seinem mä<strong>ch</strong>tigen<br />

Erbarmen und blieb denno<strong>ch</strong> unerkannt. So werden jene Blinden, Lahmen<br />

und Kranken, die auf die Hilfe in ungestillter Sehnsu<strong>ch</strong>t warten, zum Bilde<br />

des Volks, dem in seiner tiefen Not ni<strong>ch</strong>ts als die matte, unerfüllte Hoffnung<br />

blieb.<br />

5,6: Als Jesus diesen daliegen sah und erkannte, daß er s<strong>ch</strong>on lange Zeit<br />

krank sei, sagt er zu ihm: Willst du gesund werden? Er rüttelte ihn dadur<strong>ch</strong><br />

aus der Hoffnungslosigkeit auf und ma<strong>ch</strong>t statt der Mattigkeit und dumpfen<br />

Ergebung, die si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das lange vergebli<strong>ch</strong>e Warten auf diese Seele gelegt<br />

hatte, den <strong>na<strong>ch</strong></strong> Hilfe auss<strong>ch</strong>auenden Blick in ihm wieder wa<strong>ch</strong>. Weil Jesu<br />

Frage dem Kranken wie ein Vorwurf klang, ents<strong>ch</strong>uldigt er die lange Dauer<br />

seines Elends au<strong>ch</strong> an diesem Ort, an dem do<strong>ch</strong> göttli<strong>ch</strong>e Hilfe erlangt werden<br />

• Der Name kommt in den alten Texten mit mehreren Vers<strong>ch</strong>reibungen vor und steht deshalb ni<strong>ch</strong>t fest.<br />

•• Vers 4 ist <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem in den alten Bibeln erhaltenen Bestand des Textes s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> von <strong>Johannes</strong><br />

ges<strong>ch</strong>rieben worden, sondern die Bemerkung eines Späteren, der die vom Kranken Jesus gegebene Antwort<br />

so erUutert hat.


7^ Jesus zeigt den Juden, was'sie von ihm trennt<br />

kann. 5,7: Der Kranke antwortete ihm: Herr, i<strong>ch</strong> habe keinen Mens<strong>ch</strong>en, der<br />

mi<strong>ch</strong>, wenn das Wasser bewegt wird, in den Tei<strong>ch</strong> bringe. Bis i<strong>ch</strong> aber komme,<br />

steigt ein anderer vor mir hinab. Er ist einsam und hat keine Angehörigen, die<br />

si<strong>ch</strong> seiner annähmen. Daher war er niemals der glückli<strong>ch</strong>e Gewinner, der zuerst<br />

kam und die Heilung empfing. In dieser Klage lag ein deutli<strong>ch</strong>es Ja auf<br />

Jesu Frage; gesund werden mö<strong>ch</strong>te er wohl; do<strong>ch</strong> denkt er no<strong>ch</strong> an keine andere<br />

Hilfe als an die, die aus dem wunderbar bewegten Wasser kommen soll.<br />

5,8.9: Jesus sagt zu ihm: Steh auf; nimm dein Bett und gehl Und sofort wurde<br />

der Mens<strong>ch</strong> gesund, hob sein Bett auf und ging herum. Es war aber Sabbat an<br />

jenem Tag. Weil ihm Jesus eine vollständige Heilung gewährt und er diese<br />

Hallen nun für immer verlassen soll, wies er ihn an, das Polster, auf dem er<br />

lag, mit si<strong>ch</strong> zu nehmen. Am Sabbat trug aber in ganz Jerusalem niemand eine<br />

Bürde auf der Straße, sei sie au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> so lei<strong>ch</strong>t. Der Geheilte kam darum mit<br />

seinem Polster ni<strong>ch</strong>t weit, ehe er angehalten/seiner Sünde wegen ges<strong>ch</strong>olten<br />

und als Übertreter des Gesetzes bedroht wurde. 5,10—13: Nun sagten die Juden<br />

zu dem Geheilten: Es ist Sabbat, und du darfst dein Bett ni<strong>ch</strong>t tragen. Er<br />

aber antwortete ihnen: Der, der mi<strong>ch</strong> gesund gema<strong>ch</strong>t hat, sagte mir: Hebe dein<br />

Bett auf und geh! Sie fragten ihn: Wer ist der Mens<strong>ch</strong>, der zu dir gesagt hat:<br />

Hebe auf und geh? Der Geheilte wußte aber ni<strong>ch</strong>ts wer es war. Denn Jesus<br />

hatte si<strong>ch</strong> entfernt, da Volk an dem Ort war. Der Geheilte hielt ni<strong>ch</strong>t stand<br />

gegen die Wu<strong>ch</strong>t der geheiligten Sitte und gegen den Eifer derer, die die Sabbats<strong>ch</strong>ändung<br />

zu verhüten bereit waren, berief si<strong>ch</strong> darum auf den, der ihm die<br />

Gesundheit gegeben hatte mit dem ausdrückli<strong>ch</strong>en Befehl: Trage es weg! So<br />

wurde der Fall in den Augen seiner Ankläger jedo<strong>ch</strong> nur no<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>limmer, da<br />

er nun ni<strong>ch</strong>t mehr aus Unwissenheit und Vergeßli<strong>ch</strong>keit herrührte und ni<strong>ch</strong>t<br />

bloß ein geringes Glied des Volks betraf, sondern an dem haften blieb, der si<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> eine sol<strong>ch</strong>e Tat für jedes Auge weit über die große Menge der Mens<strong>ch</strong>en<br />

erhob. Do<strong>ch</strong> blieb vorerst die Sa<strong>ch</strong>e ruhen, weil der Geheilte no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wußte,<br />

wer ihm geholfen hatte.<br />

Eine treue, ernste Sorge führte Jesus no<strong>ch</strong> einmal zu ihm. 5,14: Darauf findet<br />

ihn Jesus im Tempel und sagte zu ihm: Sieh! du bist gesund geworden. Sündige<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr, damit dir ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> etwas S<strong>ch</strong>limmeres widerfahre. <strong>Das</strong> lei<strong>ch</strong>tere<br />

Übel hatte er ihm abgenommen; au<strong>ch</strong> das s<strong>ch</strong>werere, wahrhaft verderbli<strong>ch</strong>e<br />

mö<strong>ch</strong>te er ihm ersparen; wenn er aufs neue sündigt, so verwandelt si<strong>ch</strong> die<br />

Hilfe, die er erlebt hat, für ihn in Unsegen und wird zur Anklage gegen ihn.<br />

Es gibt no<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>limmeres, als was er bisher erlitten hat, und dieses S<strong>ch</strong>limmere<br />

trifft ihn dann, wenn ihn die Wohltat Jesu ni<strong>ch</strong>t vom Sündigen abzuhalten<br />

vermag.


•<strong>Johannes</strong> 5>7~i7 19<br />

Wir haben hier* vor Augen, wie freundli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> Jesus der vers<strong>ch</strong>iedenen inneren<br />

Stellung der Leute anpaßte. Hatte er es mit einem ers<strong>ch</strong>ütterten Gewissen<br />

zu tun, so spra<strong>ch</strong> er zuerst von der Sünde, legte in die Reue den Trost<br />

seines Verzeihens und ließ die si<strong>ch</strong>tbare Hilfe darauf folgen als ihre mä<strong>ch</strong>tige<br />

Bestätigung, wie er es z. B. beim Gi<strong>ch</strong>tbrü<strong>ch</strong>igen ma<strong>ch</strong>t. Hier dagegen gab es<br />

zuerst die leibli<strong>ch</strong>e Hilfe und ma<strong>ch</strong>t sie erst her<strong>na<strong>ch</strong></strong> au<strong>ch</strong> im Gewissen des Geheilten<br />

wirksam, indem er ihn bedenken ließ, wozu ihn das Empfangene beruft,<br />

daß es ihn vor dem Bösen behüten soll. So läßt er hier die Buße aus seiner<br />

Wohltat erwa<strong>ch</strong>sen, während er anderswo seine Wohltat auf die Buße folgen<br />

läßt. Für den Geheilten war eine sol<strong>ch</strong>e Warnung eine besondere Wohltat,<br />

weil er in die Hände der Widersa<strong>ch</strong>er Jesu gefallen war, die si<strong>ch</strong> bemühten,<br />

wieder zu verderben, was er ihm gegeben hatte. Ließ er si<strong>ch</strong> Jesus als einen<br />

Sünder darstellen, so war der Dank für die Hilfe, die er erlebt hatte, in ihm<br />

erstickt und ihre ihn innerli<strong>ch</strong> aufri<strong>ch</strong>tende Wirkung ihm geraubt.<br />

5,15: Der Mens<strong>ch</strong> ging fort und sagte den Juden, daß Jesus der sei, der ihn<br />

gesund gema<strong>ch</strong>t batte. Die Fur<strong>ch</strong>t vor seinen jüdis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tern bewegte ihn<br />

stärker als der Dank für Jesu Wohltat. Er wollte si<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tfertigen und den<br />

Vorwurf ni<strong>ch</strong>t auf si<strong>ch</strong> behalten, als habe er si<strong>ch</strong> gegen den Sabbat versündigt.<br />

5,16: Und deshalb verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan<br />

hatte. Daß er sein Erbarmen mit göttli<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t bestätigt hatte, dafür dankte<br />

ihm niemand; statt dessen mußte er si<strong>ch</strong> nun gegen die Anklage re<strong>ch</strong>tfertigen,<br />

er sei ein Sünder.<br />

. 5,17: Er aber antwortete ihnen: Mein Vater wirkt immer no<strong>ch</strong>, und i<strong>ch</strong><br />

wirke au<strong>ch</strong>. Sein Blick geht auf den Vater, ob er seine Hand abziehe, und weil<br />

er gewiß ist, daß er sein W'erk eben jetzt vollführt, liegt darin au<strong>ch</strong> für ihn die<br />

Berufung und Verpfli<strong>ch</strong>tung zum Werk. Er tut es ni<strong>ch</strong>t ohne Gott oder gegen<br />

Gott; vielmehr fließt sein Werk aus Gottes Werk. Will jemand ihn bes<strong>ch</strong>uldigen,<br />

so hadere er mit Gott, der au<strong>ch</strong> am Sabbat seine Gnade wirksam ma<strong>ch</strong>t<br />

und darum seinem Sohn au<strong>ch</strong> am Sabbat Gelegenheit zu Taten gibt, die aus<br />

Gott stammen und ins göttli<strong>ch</strong>e Wirken einges<strong>ch</strong>lossen sind. So zeigte Jesus<br />

seinen Verklägern die Herrli<strong>ch</strong>keit seines guten Gewissens. Er steht, wenn er<br />

auf das Ges<strong>ch</strong>ehene zurücks<strong>ch</strong>aut, fest: der Vater hat dort gehandelt und er<br />

nur <strong>na<strong>ch</strong></strong> und mit ihm. S<strong>ch</strong>aut er vorwärts auf das, was seine Ankläger im<br />

Sinne haben, so ist er getrost: no<strong>ch</strong> immer wirkt der Vater, und solange er sein<br />

Werk vollführt, wird ihn der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Haß daran ni<strong>ch</strong>t hindern und ihm<br />

ni<strong>ch</strong>t wehren, seinem Dienst in Israel <strong>na<strong>ch</strong></strong>zugehen. Wenn der Vater sein Werk<br />

vollendet hat, dann ist freili<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> für ihn der S<strong>ch</strong>luß seiner Arbeit gekom-r<br />

men. Do<strong>ch</strong> bis jetzt wirkt der Vater no<strong>ch</strong>; daher gilt: Und i<strong>ch</strong> wirke au<strong>ch</strong>. In


3o Jesus zeigt den Juden, was sie von ihm ¡rennt<br />

einen Streit über den Sabbat und die Satzung ließ si<strong>ch</strong> Jesus mit seiner kurzen,<br />

bündigen Antwort ni<strong>ch</strong>t ein, ähnli<strong>ch</strong> wie er bei Matthäus einfa<strong>ch</strong> erwidert: I<strong>ch</strong><br />

bin über den Sabbat Herr, 12,8. Freili<strong>ch</strong> war dur<strong>ch</strong> seine Antwort deutli<strong>ch</strong> gesagt,<br />

daß er si<strong>ch</strong> seine Freiheit ni<strong>ch</strong>t nehmen lassen kann, weil sie völlig mit<br />

seinem Gehorsam vereinigt ist. Ließe er si<strong>ch</strong> jene nehmen, dann könnte er sein<br />

Heilandswerk ni<strong>ch</strong>t mehr tun. Er kann das große Werk des Christus, zu dem<br />

er gesandt ist, nur dadur<strong>ch</strong> vollbringen, daß er sein Tun und Lassen unmittelbar<br />

und vollständig aus dem Werk des Vaters s<strong>ch</strong>öpft.<br />

Dur<strong>ch</strong> seine Antwort-wurden seine Ankläger no<strong>ch</strong> mehr erbittert. 5,18:<br />

Deshalb su<strong>ch</strong>ten nun die Juden no<strong>ch</strong> mehr, Jesus zu töten, weil er ni<strong>ch</strong>t nur<br />

den Sabbat bra<strong>ch</strong>, sondern au<strong>ch</strong> Gott seinen Vater nannte und si<strong>ch</strong> Gott glei<strong>ch</strong>stellte.<br />

Sie verlangten, daß er si<strong>ch</strong> wenigstens ents<strong>ch</strong>uldige und die Geltung der<br />

Satzung anerkenne; nun re<strong>ch</strong>tfertigte er erst no<strong>ch</strong> seine Tat, bes<strong>ch</strong>rieb sie als<br />

von Gott ihm gegeben und stellte si<strong>ch</strong> neben ihn, als Sohn neben den Vater,<br />

der selbständig und frei aus ihm, ni<strong>ch</strong>t erst aus der Vors<strong>ch</strong>rift des Gesetzes,<br />

s<strong>ch</strong>öpft, was er tut. Damit riß er ja die Satzung völlig entzwei. Seinen Verklägern<br />

ers<strong>ch</strong>ien das als ein gottloser Umsturz des ganzen Gesetzes, weil sie<br />

eine sol<strong>ch</strong>e persönli<strong>ch</strong>e, innige Gemeins<strong>ch</strong>aft mit Gott für unmögli<strong>ch</strong> erklärten,<br />

besonders dann, wenn er die Vors<strong>ch</strong>rift des Gesetzes direkt übertrat. Sie warfen<br />

ihm darum sträfli<strong>ch</strong>e Überhebung vor, die si<strong>ch</strong> Gott glei<strong>ch</strong>zustellen wage.<br />

Darauf hat Jesus seinen Verklägern seine Einsetzung in sein Heilandsamt<br />

als Christus <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem ganzen Inhalt dargetan. Er ließ Jerusalem ni<strong>ch</strong>t<br />

fallen, ehe er ihm ohne Hülle das volle <strong>Evangelium</strong> gesagt hat. Weil sie mit<br />

der Anklage vor ihm stehen, in seiner Gewißheit, daß er der Sohn und der<br />

König sei, zeige si<strong>ch</strong> ein vermessener Übermut, mußte er sie so begründen, daß<br />

dabei zuglei<strong>ch</strong> die Reinheit und Demut seines Herzens unleugbar hervorstrahlte.<br />

Beides mußte deutli<strong>ch</strong> werden: wie ho<strong>ch</strong> ihn der Vater gestellt hat<br />

und wie er mit ganzem Gehorsam einzig ihm ergeben ist. Jesus hat hierzu das<br />

benutzt, was jedermann an der Gemeins<strong>ch</strong>aft des Vaters mit dem Sohne s<strong>ch</strong>on<br />

im mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verhältnis sieht, und hat mit der Gebundenheit des Sohns an<br />

den Vater den Anfang gema<strong>ch</strong>t, damit si<strong>ch</strong>tbar werde, daß es keine Überhebung<br />

sei, wenn er si<strong>ch</strong> auf diese Höhe stellt, sondern daß er sie einzig seiner<br />

völligen Unterordnung unter den Vater verdankt, womit au<strong>ch</strong> der Verda<strong>ch</strong>t,<br />

als sei in seiner Freiheit vom Gesetz eine Annäherung an die Sünde versteckt,<br />

vers<strong>ch</strong>winden muß.<br />

5,19.20: Nun antwortete Jesus und sagte zu ihnen: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>,<br />

i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Der Sohn vermag ni<strong>ch</strong>t, irgend etwas aus si<strong>ch</strong> selbst zu tun,<br />

'wenn er ni<strong>ch</strong>t sieht, daß der Vater das tut. Denn was jener tut, tut glei<strong>ch</strong>er-


<strong>Johannes</strong> 5,18—23 81<br />

weise au<strong>ch</strong> der Sohn. Denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles,<br />

was er selber tut, und er wird ihm größere Werke als diese zeigen, damit<br />

ihr eu<strong>ch</strong> verwundert. "Weil er der Sohn ist, hängt das, was er denkt und will,<br />

vom Vater ab; aus ihm nimmt er es, ni<strong>ch</strong>t aus sien selber, sondern aus dem,<br />

was er am Vater sieht. Si<strong>ch</strong> selbst ein Ziel zu setzen, einen Eigenwillen zu<br />

haben, los vom Vater, der in ihm selbst entspränge, ist ihm unmögli<strong>ch</strong>. So<br />

würde er ja ni<strong>ch</strong>t mehr wie ein Sohn handeln und selbst die Wurzel seines<br />

Lebens zerstören. Dieser vollständigen Gebundenheit an den Vater entspri<strong>ch</strong>t<br />

jedo<strong>ch</strong> auf des Vaters Seite die ebenso vollständige Gemeins<strong>ch</strong>aft des Vaters<br />

mit dem Sohn. Er verbirgt ihm ni<strong>ch</strong>ts, ma<strong>ch</strong>t für ihn kein Geheimnis aus<br />

si<strong>ch</strong>, wa<strong>ch</strong>t gegen ihn ni<strong>ch</strong>t mit Neid und Eifersu<strong>ch</strong>t über seinen Vorrang, läßt<br />

ihn vielmehr alles sehen, was er tut, und alles selbst au<strong>ch</strong> tun. Damit hat Jesus<br />

das Herrli<strong>ch</strong>ste in seinem Herzen ans Li<strong>ch</strong>t gestellt: wie sein hoher, königli<strong>ch</strong>er<br />

Sinn aus seiner Demut kommt und seine Ma<strong>ch</strong>t mit seinem Gehorsam in unlösli<strong>ch</strong>er<br />

Verbindung steht. Er s<strong>ch</strong>wankt ni<strong>ch</strong>t hin und her zwis<strong>ch</strong>en dem Dienen<br />

und Regieren, dem Gehor<strong>ch</strong>en und der freien Ma<strong>ch</strong>t. Beides ist in ihm<br />

immer und vollkommen eins. Weil es ihm unmögli<strong>ch</strong> ist, etwas aus si<strong>ch</strong> selbst<br />

zu tun, ist ihm alles mögli<strong>ch</strong> im Vater. Seine ganze Abhängigkeit ist der Grund<br />

seiner ganzen Freiheit; dur<strong>ch</strong> seinen völligen Gehorsam wird er der Regent.<br />

Seine Ohnma<strong>ch</strong>t in si<strong>ch</strong> selbst ma<strong>ch</strong>t ihn über alle Dinge mä<strong>ch</strong>tig in Gott, seine<br />

völlige Selbstlosigkeit zur uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>en, unendli<strong>ch</strong> rei<strong>ch</strong>en, ewig lebendigen<br />

Person. Denn eben deshalb, weil er nur dem Vater dient, regiert der<br />

Vater nur dur<strong>ch</strong> ihn.<br />

Nun greift er getrost <strong>na<strong>ch</strong></strong> den großen Messiaswerken, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Erweckung<br />

der Toten und dem Vollzug des Geri<strong>ch</strong>ts, als den ihm übergebenen Werken,<br />

die der Sohn tut, weil sie der Vater tut. 5,21—23: Denn wie der Vater die<br />

Toten erweckt und lebendig ma<strong>ch</strong>t, so ma<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> der Sohn lebendig, wel<strong>ch</strong>e<br />

er will. Denn der Vater ri<strong>ch</strong>tet au<strong>ch</strong> niemand, sondern hat das Geri<strong>ch</strong>t ganz<br />

dem Sohn gegeben, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer<br />

den Sohn ni<strong>ch</strong>t ehrt, ehrt den Vater ni<strong>ch</strong>t, der ihn gesandt hat. Während sie<br />

ihm verwehren wollen, einen Kranken zu heilen, verkündigt er ihnen, daß<br />

es sein Beruf ist, das ewige Leben zu geben und am Bösen das Geri<strong>ch</strong>t zu halten,<br />

das diesem ein Ende ma<strong>ch</strong>t. Diese großen Gotteswerke, von denen die<br />

Verheißung redet und auf die der Jude wartet, die tut er. Nur der Vater<br />

ma<strong>ch</strong>t Tote lebendig; aber weil und wie es der Vater tut, ma<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> der<br />

Sohn lebendig, wel<strong>ch</strong>e er will. Weil er in der Gebundenheit an den Vater<br />

steht, erhält sein Wille königli<strong>ch</strong>e Kraft, so daß an ihm die Ents<strong>ch</strong>eidung über<br />

das Ges<strong>ch</strong>ick des Mens<strong>ch</strong>en hängt. Wel<strong>ch</strong>e er will, ruft er ins Leben, und sein


% z Jesus zeigt den Juden, was sie von ihm trennt<br />

Wille ges<strong>ch</strong>ieht. Davon ist der Vollzug des Geri<strong>ch</strong>ts ni<strong>ch</strong>t zu trennen. Geri<strong>ch</strong>t<br />

muß ges<strong>ch</strong>ehen, weil Gott das Böse verwirft; darum ist es Jesu Amt, den Sieg<br />

der Gere<strong>ch</strong>tigkeit über die Bosheit zu bewirken, der alles Sündli<strong>ch</strong>e ohnmä<strong>ch</strong>tig<br />

ma<strong>ch</strong>t und nieders<strong>ch</strong>lägt. "Wen er lebendig ma<strong>ch</strong>t, den hat er dem Geri<strong>ch</strong>t<br />

entnommen; wem er das Leben versagt, der ist verurteilt und geri<strong>ch</strong>tet. Der<br />

Vater hat ihm das Urteil ganz übergeben. Es gibt keine Berufung von Jesu<br />

Geri<strong>ch</strong>t an Gottes Geri<strong>ch</strong>t, kein Urteil Gottes abseits und vers<strong>ch</strong>ieden von<br />

dem des Sohnes. Sein Amt ist es, das Böse zu treffen mit der Strafe, die ihm<br />

gebührt. Während die Lehrer Jerusalems ihn im Verda<strong>ch</strong>t haben, er sündige,<br />

tritt er in seiner heiligen Feinds<strong>ch</strong>aft gegen die Sünde vor sie hin als der, dem<br />

Gott das Ri<strong>ch</strong>teramt anvertraut hat und der es au<strong>ch</strong> ausri<strong>ch</strong>ten wird. Die Zusage,<br />

daß er gekommen sei, um Zu retten, ni<strong>ch</strong>t zu ri<strong>ch</strong>ten, wird dadur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

verkürzt. Vielmehr kommt der Wert seiner Gnade dadur<strong>ch</strong> zur vollen Geltung,<br />

daß der Vollzug des Geri<strong>ch</strong>ts in keiner anderen Hand liegt als in der<br />

seinigen. Die Gnade, die er gibt, ist bleibend gegeben, wie sie, wenn er sie<br />

versagt, bleibend versagt und der Mens<strong>ch</strong> geri<strong>ch</strong>tet ist. In beidem, sowohl in<br />

seiner Leben gebenden als in seiner ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t, wird die Liebe des<br />

Vaters zu ihm offenbar. Diese gibt ihm die volle Gemeinsamkeit im ganzen<br />

Gotteswerk. Der Vater will den Sohn geehrt sehen wie si<strong>ch</strong> selbst und krönt<br />

ihn mit seinem eigenen, ewigen Ruhm. Denselben Glauben, der dem Vater<br />

gebührt, verlangt er deshalb für den Sohn und dieselbe Anbetung, die ihm die<br />

Liebe bringt. Darum wehrt si<strong>ch</strong> Jesus gegen die Vera<strong>ch</strong>tung, die ihm angetan<br />

wird, weil sie auf Gott zurückfällt und mit ihr der geringges<strong>ch</strong>ätzt wird, der<br />

ihn gesandt hat.<br />

Ni<strong>ch</strong>t erst künftig wird Jesus in der vollen Einheit mit dem Vater als der<br />

Wirker der großen Gotteswerke dastehen; jetzt s<strong>ch</strong>on tut er das Heilandswerk<br />

und spendet ewiges Leben. 5,24: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Wer<br />

mein Wort hört und dem glaubt, der miài gesandt hat, hat ewiges Leben und<br />

kommt ni<strong>ch</strong>t in das Geri<strong>ch</strong>t, sondern ist aus dem Tode in das Leben hinüberges<strong>ch</strong>ritten.<br />

Weil er das Wort des Christus angenommen hat, wird er ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr als Sünder unter das göttli<strong>ch</strong>e Geri<strong>ch</strong>t gestellt. Dadur<strong>ch</strong> hat er den<br />

großen S<strong>ch</strong>ritt vollzogen aus dem Tod heraus, dem er als Glied der Welt unterworfen<br />

war, hinüber in das Leben, das Gott denen gewährt, die er dur<strong>ch</strong><br />

den Christus zu si<strong>ch</strong> ruft. Die Größe seiner Heilandstat tritt dadur<strong>ch</strong> hervor,<br />

daß es die Toten sind, denen er das Leben gibt. 5,25: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong><br />

sage eu<strong>ch</strong>: Es kommt die Stunde, und sie ist jetzt da, daß dieToten dieStimme<br />

des Sohnes Gottes hören werden, und die, die sie gehört haben, werden leben.<br />

Mit dem freudigen Blick des Uberwinders s<strong>ch</strong>aut Jesus auf den Tod, weil die-


<strong>Johannes</strong> 5,24—2-7 83<br />

ser seine Gnade und sein Heilandswerk ni<strong>ch</strong>t hindern kann. "Wo der Tod waltet,<br />

s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> das Ohr zwar für die Stimme des Mens<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t aber für<br />

die Stimme des Sohnes Gottes, die mit s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> dem Toten<br />

wieder ein Ohr verleiht und überall, wo sie gehört wird, das Leben erwa<strong>ch</strong>en<br />

ma<strong>ch</strong>t. Jesus hat si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t weiter ausgespro<strong>ch</strong>en über die Art und den Umfang<br />

dieser Überwindung des Todes, die s<strong>ch</strong>on jetzt beginnt. Wir haben dabei<br />

zu bea<strong>ch</strong>ten, daß er die natürli<strong>ch</strong>e Lebendigkeit des Mens<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als<br />

Leben gelten ließ; er ist als der einzig Lebendige unter Tote gestellt, weshalb<br />

uns erst der Glaube an ihn den Übergang aus dem Tode ins Leben bringt. Sodann<br />

hat Jesus au<strong>ch</strong> dem sterbenden S<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>er seine Gemeins<strong>ch</strong>aft zugesagt mit<br />

der Lebensgabe im Paradies, und wenn au<strong>ch</strong> diese Seite an seinem erlösenden<br />

Werk verborgen bleibt und von ihm ni<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>rieben wird, so dürfen wir ihr<br />

do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t willkürli<strong>ch</strong> Grenzen setzen. Es hat Jesus genügt, mit aller Bestimmtheit<br />

auszuspre<strong>ch</strong>en, daß er sein Heilandswort au<strong>ch</strong> an Tote ri<strong>ch</strong>te und au<strong>ch</strong><br />

diese ihn hören.<br />

Seine belebende Ma<strong>ch</strong>t ist in dem, was der Vater ist, begründet. 5,26: Denn<br />

wie der Vater in si<strong>ch</strong> Leben hat, so gab er au<strong>ch</strong> dem Sohn, in si<strong>ch</strong> Leben zu<br />

haben. Leben ist Gottes inwendiger Besitz. Ni<strong>ch</strong>ts, was in ihm ist, zerfällt oder<br />

verlös<strong>ch</strong>t, wird gehemmt oder gebunden; sondern der S<strong>ch</strong>atz, den er in si<strong>ch</strong><br />

trägt, ist lauter Lebendigkeit. Er ma<strong>ch</strong>t aber seinen Sohn zu seinem Bild und<br />

hat ihn ni<strong>ch</strong>t inwendig leer und arm gelassen, sondern die sprudelnde Quelle<br />

in ihm eröffnet, die ihm uners<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong> Blick auf Blick, Liebe auf Liebe, Kraft<br />

auf Kraft verleiht. Was der Sohn empfangen hat, bestimmt au<strong>ch</strong>, was er zu<br />

geben vermag. Als der dur<strong>ch</strong> den Vater mit Leben Bes<strong>ch</strong>enkte ma<strong>ch</strong>t er selbst<br />

lebendig.<br />

5,27: Und er gab ihm Vollma<strong>ch</strong>t, Geri<strong>ch</strong>t zu halten, weil er ein Mens<strong>ch</strong>ensohn<br />

ist. Während seine belebende Ma<strong>ch</strong>t aus seiner Einheit uhd Glei<strong>ch</strong>heit mit<br />

dem Vater stammt, hat er andererseits die Vollma<strong>ch</strong>t zum Geri<strong>ch</strong>t wegen seiner<br />

Teilnahme an der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Art. Als der, der vom Mens<strong>ch</strong>en stammt<br />

und des Mens<strong>ch</strong>en Art an si<strong>ch</strong> hat, steht er unter denen, die das Böse tun. Er<br />

hat es vor Augen und in seiner Nähe, bleibt aber au<strong>ch</strong> in der argen Welt Gottes<br />

Diener, der Gottes Werke tut. Darum ist er der, den der Vater zum Ri<strong>ch</strong>ter<br />

bestellt hat, zumal da das Böse au<strong>ch</strong> ihn selbst anfi<strong>ch</strong>t, ihm widersteht, ihn versu<strong>ch</strong>t,<br />

ihm Leid und Tod bringt und seine Liebe vergebli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Zum Lohn<br />

dafür erhielt er die Ma<strong>ch</strong>t, es zu ri<strong>ch</strong>ten und den Sieg über dasselbe zu feiern<br />

in der triumphierenden Obma<strong>ch</strong>t der Gere<strong>ch</strong>tigkeit, indem er es in den Kerker<br />

des Todes vers<strong>ch</strong>ließt.<br />

Darum rei<strong>ch</strong>t sein Amt aus der Gegenwart in den Tag der Vollendung


84 Jesus zeigt den Juden, was sie von ihm trennt<br />

hinüber. 5,28.29: Verwundert eu<strong>ch</strong> darüber ni<strong>ch</strong>t; denn die Stunde kommt,<br />

in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und es werden<br />

die, die das Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens hervorgehen,<br />

die aber, die das S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te getrieben haben, zur Auferstehung des Geri<strong>ch</strong>ts. Er<br />

zeigte auf àie Gräber hin: die dort S<strong>ch</strong>lafenden werden seine Stimme hören<br />

und erwa<strong>ch</strong>en, sei es, daß ihr Auferstehen ihnen Leben bringt, sei es, daß damit<br />

ihr Geri<strong>ch</strong>t anhebt. Damit hat er vor den Juden das Hö<strong>ch</strong>ste über si<strong>ch</strong> ausgesagt,<br />

was im Berei<strong>ch</strong> unseres Denkens und Ahnens liegt, ähnli<strong>ch</strong> wie er bei<br />

Matthäus in seinem Abs<strong>ch</strong>iedswort den Jüngern, 25,3iff., sagte, daß er die<br />

Völker vor seinem Throne sammeln und als derHirte an ihnen handeln werde,<br />

der die S<strong>ch</strong>afe von den Böcken s<strong>ch</strong>eidet. So bes<strong>ch</strong>reibt er si<strong>ch</strong> hier als den König<br />

der Auferstandenen, der die, die zum ewigen Leben eingehen, und die, die dem<br />

Geri<strong>ch</strong>t verfallen, voneinander trennt. Darum weil er hier auf die hö<strong>ch</strong>ste <strong>Offenbarung</strong><br />

seiner Herrli<strong>ch</strong>keit hinzeigt, enthüllt er no<strong>ch</strong>mals ihren Grund in<br />

seiner vollständigen Gebundenheit an Gott, die ihn gegen den Vater ganz gehorsam<br />

ma<strong>ch</strong>t. 5,30: I<strong>ch</strong> vermag ni<strong>ch</strong>ts aus.mir selbst zu tun. Wie i<strong>ch</strong> höre, so<br />

urteile i<strong>ch</strong>, und mein Urteil ist gere<strong>ch</strong>t, weil i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t meinen Willen su<strong>ch</strong>e, sondern<br />

den Willen dessen, der mi<strong>ch</strong> gesandt hat. Völlig ma<strong>ch</strong>t er si<strong>ch</strong> zum Werkzeug<br />

des Vaters. Ohne Hemmung strahlt sein Li<strong>ch</strong>t in ihn hinein; ohne Trübung<br />

beseelt und bewegt ihn der "Wille des Vaters. Darum ist das Geri<strong>ch</strong>t ihm<br />

anvertraut; denn» es wird von ihm ni<strong>ch</strong>t mißbrau<strong>ch</strong>t, sondern als Vollzug des<br />

göttli<strong>ch</strong>en Willens geübt. Sein Urteil wird, ehe er es über den Mens<strong>ch</strong>en ausspri<strong>ch</strong>t,<br />

von ihm gehört. Der Vater sagt es ihm, und wie des Vaters Stimme in<br />

ihm vernehmli<strong>ch</strong> wird, so ri<strong>ch</strong>tet er und ma<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> sein Urteil zur lauteren<br />

Gere<strong>ch</strong>tigkeit. Denn ni<strong>ch</strong>t das, was er selber will, sondern was der will, der ihn<br />

sandte, ist sein Ziel.<br />

Damit hat Jesus ohne Eins<strong>ch</strong>ränkung über si<strong>ch</strong> und sein "Werk Zeugnis abgelegt.<br />

Er hat si<strong>ch</strong> ganz ausgespro<strong>ch</strong>en, rückhaltlos gesagt, was er will, und si<strong>ch</strong><br />

zum messianis<strong>ch</strong>en Amt rundweg bekannt als zu seiner Sendung. Ist dieses<br />

Zeugnis wahr? 5,31: Wenn i<strong>ch</strong> für mi<strong>ch</strong> selber zeuge, so ist mein Zeugnis ni<strong>ch</strong>t<br />

wahr. So wenig er auf seinen eigenen "Willen sein "Werk baut, so wenig stellt er<br />

es auf sein eigenes Wort. Er kann und will au<strong>ch</strong> in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>ts aus<br />

si<strong>ch</strong> selber sein; er kann ni<strong>ch</strong>t selber die Mens<strong>ch</strong>en überführen, daß er re<strong>ch</strong>t hat,<br />

und ni<strong>ch</strong>t sein eigener Zeuge sein. 5,32: Ein anderer ist der, der für mi<strong>ch</strong> zeugt,<br />

und i<strong>ch</strong> weiß, daß das Zeugnis, das er für mido ablegt, wahr ist. Alles hängt<br />

hier daran, daß das, was er sagt, dur<strong>ch</strong> das Zeugnis eines anderen bestätigt ist.<br />

Dieses gibt ihm aber die volle Zuversi<strong>ch</strong>t und läßt ni<strong>ch</strong>t zu, daß er si<strong>ch</strong> verstecke<br />

und vor dei* Juden zurückwei<strong>ch</strong>e. Denn von dem, was dieser andere


<strong>Johannes</strong> 5,28-35 85<br />

sagt, weiß Jesus, daß es wahr ist. Darum darf er dessen Zeugnis ni<strong>ch</strong>t verleugnen<br />

und begraben. Er würde das Wort des Vaters verwerfen, träte er ni<strong>ch</strong>t mit<br />

der ganzen Herrli<strong>ch</strong>keit des Christus vor Jerusalem hin.<br />

Bei dem „anderen", dessen Zeugnis Jesu Wort bekräftigt, da<strong>ch</strong>ten seine Zuhörer<br />

zunä<strong>ch</strong>st an einen Mens<strong>ch</strong>en, der ihm zur Seite stehe. Dabei war der<br />

Täufer der nä<strong>ch</strong>ste, an den man denken mußte. 5,33. 34: Ihr habt zu <strong>Johannes</strong><br />

ges<strong>ch</strong>ickt, und er spra<strong>ch</strong> für dieWahrheit als Zeuge. Aber i<strong>ch</strong> nehme das Zeugnis<br />

ni<strong>ch</strong>t von Mens<strong>ch</strong>en an, sondern sage dies, damit ihr gerettet werdet. Der<br />

Täufer hat ja in der Tat den himmlis<strong>ch</strong>en Beruf Jesu verkündigt, als ihn die in<br />

Jerusalem Regierenden ausfragten. Jesus bringt ihnen das, was der Täufer gesagt<br />

hat, in Erinnerung, ni<strong>ch</strong>t deswegen, weil er des Mens<strong>ch</strong>enwortes bedürfte<br />

oder si<strong>ch</strong> daran klammerte, als könnte er sein Re<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> dieses beweisen und<br />

erhärten. Er ist si<strong>ch</strong> darüber völlig klar, daß keines Mens<strong>ch</strong>en Meinung und<br />

Ausspru<strong>ch</strong> hier den Auss<strong>ch</strong>lag geben kann, ni<strong>ch</strong>t einmal der des Täufers. <strong>Das</strong><br />

alles rei<strong>ch</strong>t an den Ernst seines Lebens und die Größe seines Berufs bei weitem<br />

ni<strong>ch</strong>t heran. Einzig auf den Vater allein gestützt, allein auf das Zeugnis Gottes<br />

gegründet kann er es wagen, si<strong>ch</strong> Israel als Christus anzubieten, und nur<br />

der glaubt ihm wirkli<strong>ch</strong>, der es des göttli<strong>ch</strong>en Zeugnisses wegen tut. Dadur<strong>ch</strong><br />

ma<strong>ch</strong>t er aber das Zeugnis des Täufers ni<strong>ch</strong>t bedeutungslos; vielmehr ruft es<br />

Jesus darum an, weil ihm daran liegt, daß sie gerettet werden, weshalb er jedes<br />

Mittel verwendet, das ihren Widerstand gegen ihn zu bre<strong>ch</strong>en vermag. Sie<br />

haben aber ni<strong>ch</strong>t verstanden, was ihnen mit dem Täufer gegeben war, und die<br />

Weise, wie sie ihn behandelten, fällt als S<strong>ch</strong>uld auf sie und ma<strong>ch</strong>t, daß sie au<strong>ch</strong><br />

von Jesus ges<strong>ch</strong>ieden sind. Mit dem Täufer ward au<strong>ch</strong> er verworfen. 5,35:<br />

Jener war die brennende und s<strong>ch</strong>einende Lampe; ihr aber wolltet eu<strong>ch</strong> einige<br />

Zeit an ihrem Li<strong>ch</strong>t ergötzen. <strong>Johannes</strong> war ihnen interessant, mehr ni<strong>ch</strong>t. Wieder<br />

einen Mann in der Gemeinde auftreten zu sehen, der einem Propheten<br />

gli<strong>ch</strong> und das Himmelrei<strong>ch</strong> verkündigte, war eine hö<strong>ch</strong>st erfreuli<strong>ch</strong>e Neuigkeit,<br />

und die von ihm hervorgerufene Bewegung gab dem gewöhnli<strong>ch</strong>en Tageslauf<br />

eine willkommene Belebung und dem religiösen Spiel den s<strong>ch</strong>önsten, anregendsten<br />

Stoff. Tiefer ließen sie si<strong>ch</strong> von seinem Bußwort und von seiner Verheißung<br />

ni<strong>ch</strong>t fassen; innerli<strong>ch</strong> nahmen sie an dem, was hier ges<strong>ch</strong>ah, ni<strong>ch</strong>t teil.<br />

So ließen sie das Li<strong>ch</strong>t, das ihnen Gott entzündet hatte, vergebli<strong>ch</strong> brennen<br />

und das Zeugnis, das ihnen hier überbra<strong>ch</strong>t wurde, nutzlos verklingen. Seine<br />

Wirkung ward in Spiel und Tändelei erstickt. Damit vers<strong>ch</strong>lossen sie si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />

den Zugang zu Jesus. Dieselbe Klage Jesu lesen wir au<strong>ch</strong> bei Matthäus, wenn<br />

er das Volk fragt, wozu es denn an den Jordan gezogen sei, und die kindis<strong>ch</strong>e<br />

Art s<strong>ch</strong>ilt, mit der es die Männer Gottes behandelte, Matthäus 11.


86 Jesus zeigt den Juden, was sie von ihm trennt<br />

Dodi die Ents<strong>ch</strong>eidung darüber, ob er in seinem Anspru<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>t habe und<br />

das messianis<strong>ch</strong>e Amt in "Wahrheit als das seine bezei<strong>ch</strong>nen dürfe, liegt ni<strong>ch</strong>t<br />

beim Täufer. Hier kann nur ein größeres Zeugnis den Auss<strong>ch</strong>lag geben als das,<br />

das ihm <strong>Johannes</strong> geben konnte, und Jesus hat dasselbe. 5,36: Aber das Zeugnis,<br />

das i<strong>ch</strong> für mi<strong>ch</strong> habe, ist größer als das des <strong>Johannes</strong>. Denn die Werke,<br />

die mir der Vater gab, daß ido sie vollende, diese Werke, die i<strong>ch</strong> tue, zeugen<br />

für mi<strong>ch</strong>, daß der Vater mi<strong>ch</strong> gesandt hat. Sein Wort hat seinen Anwalt in<br />

dem, was dur<strong>ch</strong> ihn ges<strong>ch</strong>ieht, und diese seine "Werke sind ein Zeugnis Gottes;<br />

denn es sind göttli<strong>ch</strong>e Gaben an ihn, die er ni<strong>ch</strong>t tun könnte, würden sie ni<strong>ch</strong>t<br />

vom Vater gewirkt, so daß er sie nur zu vollenden und mit seinem "Wort und<br />

WiHen nur da einzusetzen hat, wo die vorbereitende und mitwirkende Regierung<br />

des Vaters ihm entgegenkommt. So rückt er au<strong>ch</strong> die Tat am Kranken<br />

in Bethesda, wegen der sie ihn s<strong>ch</strong>elten, in das re<strong>ch</strong>te Li<strong>ch</strong>t. Sie gibt ihnen ni<strong>ch</strong>t<br />

nur keinen Grund, ihn als Sünder zu verwerfen, hat vielmehr gerade in ihrer<br />

für sie wunderli<strong>ch</strong>en Art den Zweck, ihn mit dem Zeugnis Gottes auszurüsten,<br />

das ihn als den Vollender des ganzen großen Gotteswerkes offenbart. Und<br />

wie der Vater ihm die "Werke gibt, so hat er au<strong>ch</strong> selber über ihn das "Wort genommen<br />

und bezeugt, daß er ihn gesandt habe. 5,37a: Und der Vater, der<br />

mi<strong>ch</strong> sandte, hat selbst für mi<strong>ch</strong> Zeugnis abgelegt. "Wir können an die Taufe<br />

Jesu denken, die ein Zeugnis des Vaters für ihn darbot, sodann an die "Weise,<br />

wie Jesus selbst den Vater in seinem Herzen hörte als den, der ihn seines Berufs<br />

gewiß ma<strong>ch</strong>te, und au<strong>ch</strong> an die "Weise, wie er sein Zeugnis in das Herz der Jünger<br />

gab. <strong>Johannes</strong> spri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t näher darüber aus. Nur das sagt er, daß<br />

Jesús dessen gewiß war, daß der Vater ni<strong>ch</strong>t stumm geblieben sei, sondern klar<br />

und bestimmt gespro<strong>ch</strong>en und bestätigt habe, was er selber sagt.<br />

<strong>Das</strong> bringt nun freili<strong>ch</strong> den ganzen Ernst der Lage, in der si<strong>ch</strong> die Judens<strong>ch</strong>aft<br />

befand, ans li<strong>ch</strong>t. Auf das Zeugnis Gottes hat si<strong>ch</strong> Jesus gestellt, und<br />

nur auf dieses Zeugnis kann er si<strong>ch</strong> berufen. Ni<strong>ch</strong>ts anderes rei<strong>ch</strong>t hier zu. Aber<br />

was bedeutet für sie Gott, der für ihn alles ist? 5,37b. 38: Nie habt ihr seine<br />

Stimme gehört und au<strong>ch</strong> seine Gestalt ni<strong>ch</strong>t gesehen, und sein Wort habt ihr<br />

ni<strong>ch</strong>t in eu<strong>ch</strong> bleibend. Denn dem, den er sandte, glaubt ihr ni<strong>ch</strong>t. Für sie ist<br />

Gott der abwesende, unbekannte, ferne, von dem sie ni<strong>ch</strong>ts wissen und ni<strong>ch</strong>ts<br />

wahrnehmen. Seine Stimme haben sie ni<strong>ch</strong>t vernommen, seine Gestalt ni<strong>ch</strong>t gesehen.<br />

Jerusalem steht aber ni<strong>ch</strong>t nur in der wesenhaften und unüberwindli<strong>ch</strong>en<br />

Entfernung, in die wir alle von Gott gesetzt sind, sondern hat au<strong>ch</strong> das, was<br />

es von Gott empfangen hat, unnütz gema<strong>ch</strong>t. Sein Wort ist an sie ergangen<br />

und dadur<strong>ch</strong> Gott ihnen bekannt geworden. Sie haben jedo<strong>ch</strong> Gottes "Wort<br />

ni<strong>ch</strong>t so, daß es ihnen bliebe; sonst folgten sie dem Boten Gottes gläubig. "Wäre


<strong>Johannes</strong> 5,36-43 **7<br />

Gottes "Wort ihnen selber heimis<strong>ch</strong>, so würde es ihnen Jesu "Wort und "Willen<br />

verständli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en und sie zu ihm hinlenken und mit ihm verbinden. Daß sie<br />

inwendig Jesus fern bleiben, beweist, daß ni<strong>ch</strong>t Gottes "Wort ihr Denken und<br />

"Wollen beherrs<strong>ch</strong>t. Sie sind zwar die S<strong>ch</strong>riftfors<strong>ch</strong>er, eifrig bemüht, jeden<br />

Spru<strong>ch</strong> der Bibel zu ergründen und alles, was er etwa als Geheimnis andeutend<br />

in si<strong>ch</strong> hält, aus ihm herauszuholen. 5,39.40: Ihr dur<strong>ch</strong>fors<strong>ch</strong>t die S<strong>ch</strong>riftstellen,<br />

weil ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben, und sie sind es, die von<br />

mir zeugen. Und ihr wollt ni<strong>ch</strong>t zu mir kommen, um Leben zu haben. Ihr<br />

Eifer, mit dem sie über der Bibel sitzen und si<strong>ch</strong> in jeden Spru<strong>ch</strong> vertiefen, hat<br />

darin seinen Grund, daß ihnen an der S<strong>ch</strong>rift ihr ewiges Leben zu hängen<br />

s<strong>ch</strong>eint. Sie gibt in der Tat die Anweisung über den "Weg ins Leben; wer ihr<br />

gehor<strong>ch</strong>t, wird es finden. Jesus s<strong>ch</strong>ilt ihr Bemühen, mit dem sie si<strong>ch</strong> hinter die<br />

Bibel setzen, keineswegs; vielmehr sind ihnen diese "Worte, die sie studieren, in<br />

der Tat als Führer zum ewigen Leben von Gott gegeben, weil sie von Christus<br />

reden und sie zu ihm hinweisen. Allein nun tun sie das völlig Widersinnige,<br />

si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>thin "Widerspre<strong>ch</strong>ende: während sie dieBibel, die ihnen den Christus<br />

verkündigt, dur<strong>ch</strong>fors<strong>ch</strong>en und als Grund ihres ewigen Lebens verehren, wollen<br />

sie trotzdem ni<strong>ch</strong>t zu ihm kommen, um Leben zu haben. Ihr Eifer für die<br />

S<strong>ch</strong>rift hört auf, sowie der ers<strong>ch</strong>eint, von dem sie spri<strong>ch</strong>t; ihr Verlangen <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

dem ewigen Leben erlis<strong>ch</strong>t, als der kommt, der es ihnen bringt! <strong>Das</strong> ma<strong>ch</strong>t aus<br />

ihrem Bibeistudium ein nutzloses und ni<strong>ch</strong>tiges Ges<strong>ch</strong>äft.<br />

Sol<strong>ch</strong>e Risse im Denken und "Wissen der Mens<strong>ch</strong>en entstehen aus dunklem<br />

Grund. Die fals<strong>ch</strong>e Liebe ma<strong>ch</strong>t den Lauf der Gedanken krumm. "Was Jesus<br />

von ihnen trennt, ist, daß beide einen grundvers<strong>ch</strong>iedenen "Willen haben. 5,41:<br />

Ehre von Mens<strong>ch</strong>en nehme i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. <strong>Das</strong> sollte sie zu ihm ziehen. In seinem<br />

Verhalten liegt kein Anstoß für sie; denn es ist an ihm offenbar, daß er ohne<br />

Teilung des Herzens auf den Vater sieht, dem Vater dient und in der Verherrli<strong>ch</strong>ung<br />

des Vaters sein Ziel hat. Läge es ihnen an Gott, so stimmten sie<br />

ihm bei. 5,42: Aber i<strong>ch</strong> habe eu<strong>ch</strong> erkannt, daß ihr die Liebe zu Gott ni<strong>ch</strong>t in<br />

eu<strong>ch</strong> habt. Seinem klaren Auge ist es längst deutli<strong>ch</strong>, daß das, was sie tun, aus<br />

einer ganz anderen "Wurzel stammt als aus der Liebe z.u Gott, Diese bewegt<br />

und regiert sie ni<strong>ch</strong>t. Darum muß ihnen der, der in der Liebe Gottes das hat,<br />

was ihn völlig beherrs<strong>ch</strong>t, zuwider sein. Es wird si<strong>ch</strong> dies offenkundig zeigen,<br />

wenn si<strong>ch</strong> einer an sie ma<strong>ch</strong>t, der in seinem eigenen Namen kommt, für si<strong>ch</strong> arbeitet<br />

und si<strong>ch</strong> selbst dient. 5,43 : I<strong>ch</strong> bin im Namen meines Vaters gekommen,<br />

und ihr nehmt mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t an. Wenn ein anderer im eigenen Namen kommen<br />

wird, den werdet ihr annehmen. In seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft wird es ihnen wohl<br />

sein; zu seiner Führung werden sie Vertrauen haben, da sie bei ihm wiederfin-


88 Jesus zeigt den Juden, was sie von ihm trennt<br />

den, was sie selber wollen. 5,44: Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander<br />

nehmt und die Ehre, die vom alleinigen Gott kommt, ni<strong>ch</strong>t suditi<br />

Ihr Sinnen und Tra<strong>ch</strong>ten wendet si<strong>ch</strong> nur an die Mens<strong>ch</strong>en, daß der eine vom<br />

anderen Ehre bekomme. Jeder hungert <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Lob des anderen, ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong><br />

daraus seine Regel und benutzt die" anderen, um si<strong>ch</strong> selber zu erhöhen. Dadur<strong>ch</strong><br />

wird es unmögli<strong>ch</strong>, daß sie si<strong>ch</strong> von Jesus inwendig fassen lassen, so daß<br />

ihr Denken und "Wollen an ihm hinge und von ihm regiert wäre. Denn indem<br />

sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Ehre, die die Mens<strong>ch</strong>en geben, greifen, liegt ihnen an der Ehre, die<br />

Gott gibt, ni<strong>ch</strong>ts. Je höher sie die Mens<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>ätzen, um so mehr entwerten<br />

und vera<strong>ch</strong>ten sie Gott, den einzigen, der keinen Genossen hat, neben dem<br />

alles Ni<strong>ch</strong>tigkeit und S<strong>ch</strong>aden ist, der sie allein wirkli<strong>ch</strong> in die Höhe heben<br />

könnte und allein ihrer Person und ihrem Leben Bestand, Gelingen und Bedeutung<br />

gäbe. Diese Klage Jesu über die Verwandlung des Gottes- in Mens<strong>ch</strong>endienst<br />

dur<strong>ch</strong> Israel lesen wir bei Matthäus 6,1 ff. Wie dort gesagt ist: Weil<br />

ihr die Ehre bei den Mens<strong>ch</strong>en su<strong>ch</strong>t, ist euer Gebet und Almosen ni<strong>ch</strong>tig, so<br />

wird hier gesagt: Deshalb ist euer Bibelstudium und euer Streben <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem<br />

ewigen Leben ein Selbstbetrug. Weil sie den Willen ihres Herzens, die es bewegende<br />

liebe, verunreinigt haben und die Liebe Gottes in si<strong>ch</strong> erlös<strong>ch</strong>en<br />

ließen, hat kein Vertrauen zu Jesus in ihnen mehr Raum. Wem Gott ni<strong>ch</strong>ts<br />

gilt, der kann niemals Jesus trauen, und der kommt ni<strong>ch</strong>t zu ihm, dem ni<strong>ch</strong>ts<br />

an Gottes Liebe liegt.<br />

Was Jesus über das Zeugnis Gottes für ihn sagte, ist zu einer Anklage gegen<br />

Israel geworden. Der Grund ihres Unglaubens liegt ni<strong>ch</strong>t in Jesus, sondern in<br />

ihnen, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in der S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit ihres Verstandes, sondern in der Verfäls<strong>ch</strong>ung<br />

ihrer liebe. Denno<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t Jesus ihr Verkläger bei Gott. Es gibt aber<br />

jemand, der sie verklagt. 5,45.46: Denkt ni<strong>ch</strong>t, daß i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> beim Vater verklagen<br />

werde. Er ist s<strong>ch</strong>on da, der eu<strong>ch</strong> verklagt, Mose, auf den ihr die Hoffnung<br />

gesetzt habt. Denn wenn ihr Mose glaubtet, würdet ihr mir glauben.<br />

Denn über mi<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>rieb er. Wenn dem Juden sein eigenes Leben arm und leer<br />

und die Gegenwart s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>ien, dann waren Gottes große Werke in der<br />

Vergangenheit und die heiligen Männer der alten Zeit sein Trost, zu dem er<br />

si<strong>ch</strong> flü<strong>ch</strong>tete. Vor allem galt ihnen Mose als ihr S<strong>ch</strong>utz und S<strong>ch</strong>irm und als der<br />

Grund ihres Ruhms vor Gott. Da sie sein Gesetz halten, haben sie die volle Zuversi<strong>ch</strong>t,<br />

daß sie Gott dienen, und sind des Himmelrei<strong>ch</strong>s deshalb gewiß, weil<br />

sie Moses Jünger sind, verwerfen au<strong>ch</strong> deshalb Jesus, weil sie keinen anderen<br />

Meister brau<strong>ch</strong>en als Mose allein. Jesus nimmt ihnen diesen Trost: sie haben<br />

den, auf den sie si<strong>ch</strong> verlassen, als Verkläger vor Gott gegen si<strong>ch</strong>. Um Moses<br />

willen wird Gott sie ri<strong>ch</strong>ten, da sie gegen ihn ungläubig sind. Wohl haben sie


<strong>Johannes</strong> 5,44-47; 6,1 89<br />

ihre Hoffnung an ihn gehängt und rühmen ihn als ihren Heiligen und Meister;<br />

aber ihm glauben, von seinem Wort si<strong>ch</strong> fassen lassen, diesem sidi untergeben<br />

lind durdi dasselbe geleitet sein, dazu fehlt ihnen die Willigkeit. Würden sie<br />

Mose glauben, so würden sie Jesus glauben. <strong>Das</strong> gläubig aufgenommene Wort<br />

des alten Bundes lehrt zu dem Gott aufsehen, der der Vater Jesu ist, den lieben,<br />

in dessen Namen Jesus kommt, nadh dem ewigen Leben traditen, das Jesus<br />

gibt, das als Sünde riditen, was Jesus riditet, auf den Boten Gottes hoffen<br />

und auf ihn hören, wenn er kommt. Jesus hat hier das Hödiste zum Preise<br />

Moses gesagt; kein Jude hat ihn so hodi gerühmt, wie es Jesus hier tut. Er gilt<br />

ihm heute nodi als mäditig und wirksam vor Gott, so daß Gott das, was gegen<br />

ihn getan wird, straft. Jesus ist gewiß, Mose auf seiner Seite zu haben. Die Juden<br />

dagegen sind Mose ebenso fern wie ihm, ebenso ungläubig gegen Mose wie<br />

gegen ihn. Würden sie Mose glauben, so hätten sie Gottes Wort in sidi, und die<br />

Liebe Gottes triebe sie.<br />

5,47: Wenn ihr aber seinen S<strong>ch</strong>riften ni<strong>ch</strong>t glaubt, wie werdet ihr meinen<br />

Worten glauben? Moses Wort liegt ihnen, in Sdiriften vor mit geheiligter<br />

Autorität, die der Gemeinde in langer, eifrig bewahrter Überlieferung teuer<br />

gemadit worden sind. Und dodi glauben sie ihrer Bibel nidit, die als Gesetz<br />

und Kanon sdiriftlidi in ihren Händen lag. Nodi weniger bedeutet das rasdi<br />

verhallende, nur halb verstandene Wort Jesu für sie. Er kann mit seinen Worten<br />

die nidit zum Glauben bewegen, die gegen ihre Bibel ungläubig sind.<br />

Mit dieser Rede hat Jesus Jerusalem auf der einen Seite seinen Beruf in<br />

seiner ganzen Größe verkündigt und sidi ihm als den Christus vorgestellt,<br />

zwar absiditlidi ohne diesen Namen zu gebraudien, dodi so, daß er mit aller<br />

Bestimmtheit vom Werk des Christus gesagt hat, es sei ihm aufgetragen.<br />

Ebenso klar hat er gleidizeitig beleuditet, wodurdi Jerusalem von ihm gesdiieden<br />

bleibt. Weil Jesus alles, Willen und Werk und Zeugnis, vom Vater<br />

nimmt, verwirft es ihn; seiner Gottlosigkeit wegen findet es den Weg zu ihm<br />

nidit. <strong>Das</strong> ergab die unüberwindlidie Kluft.<br />

Kapitel 6<br />

Die Galiläer verlassen ihn<br />

Nadh einem soldien Kampf war der Brudi da. Jesus konnte nur eins tun: er<br />

ging aus Jerusalem weg. 6,1: Her<strong>na<strong>ch</strong></strong> ging Jesus auf die Ostseite des Sees von<br />

Galiläa, des Sees von Tiberias. Wohin er ging, wenn sidi die Feindsdiaf t trotzig<br />

gegen ihn aufbäumte, wissen wir aus Kapitel 4; er ging wieder nadi Galiläa,<br />

und audi dort ging er auf das östlidie Ufer des Sees hinüber in das öde,


9° Die Galiläer verlassen ihn<br />

waldige, „Golan" genannte Bergland. 6,2—4: Es zog ihm aber eine große S<strong>ch</strong>ar<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>, weil sie die Zei<strong>ch</strong>en sahen, die er an den Kranken tat. Jesus ging aber in<br />

das Gebirge hinauf und saß dort mit seinen Jüngern. Es war aber das Pas<strong>ch</strong>a,<br />

das Fest der Juden, nahe. Daß das Pas<strong>ch</strong>a mit seinem heiligen Mahl als Zei<strong>ch</strong>en<br />

des Bundes und der göttli<strong>ch</strong>en Hilfe bevorstand, das sollen wir im Gedä<strong>ch</strong>tnis<br />

behalten, wenn nun au<strong>ch</strong> Jesus dem Volk das Mahl bereitet und ihm her<strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

sein Fleis<strong>ch</strong> anbietet, daß sie es essen sollen, wie sie am Pas<strong>ch</strong>a das Fleis<strong>ch</strong> des<br />

Osterlamms aßen.<br />

6,$. 6. Als nun Jesus die Augen erhob und sah, daß eine große S<strong>ch</strong>ar zu ihm<br />

kommt, sagt er zu Philippus: Woher sollen wir Brote kaufen, damit diese<br />

essen? Dies sagte er aber, um ihn zu versu<strong>ch</strong>en. Denn er selbst wußte, was er<br />

tun ivollte. <strong>Das</strong> Volk, das hier zu ihm zog, war von der Brotsorge gedrückt<br />

und rang jahraus, jahrein damit, das herbeizus<strong>ch</strong>affen, was zum Unterhalt des<br />

Lebens nötig war, und verlor dabei den Blick auf Gott. Wie er im Wort gegen<br />

die Brotsorge gestritten hat, so tat er es nun au<strong>ch</strong> mit der Tat, und er fing damit<br />

bei seinen Jüngern an. Do<strong>ch</strong> diese waren vom selben Gedankenlauf beherrs<strong>ch</strong>t,<br />

der den Sinn der Galiläer erfüllt. 6,7—9: Philippus antwortete ihm:<br />

Brote im Wert von zweihundert Denaren rei<strong>ch</strong>en für sie ni<strong>ch</strong>t hin, daß jeder<br />

au<strong>ch</strong> nur ein kleines Stück bekomme. Einer von seinen Jüngern, Andreas, der<br />

Bruder des Simon Petrus, sagt zu ihm: Ein Knabe ist hier, der fünf Gerstenbrote<br />

und zwei Tis<strong>ch</strong>e hat. Aber was ist das für so viele? Die Jünger re<strong>ch</strong>nen<br />

nur mit den gegebenen Hilfsmitteln und halten darum den Wuns<strong>ch</strong> Jesu für<br />

unausführbar. Der eine bere<strong>ch</strong>nete, wieviel Geld nötig sei, um eine sol<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>ar<br />

au<strong>ch</strong> nur aufs dürftigste zu speisen; der andere übers<strong>ch</strong>lug, was etwa an Vorräten<br />

vorhanden sei, und das wenige, was zur Stelle war, ers<strong>ch</strong>ien ihm als gänzli<strong>ch</strong><br />

unzurei<strong>ch</strong>end. <strong>Das</strong> erzählt uns <strong>Johannes</strong>, damit uns deutli<strong>ch</strong> sei, wie vers<strong>ch</strong>ieden<br />

Jesu Blick auf den Vater von dem der Jünger war. Wo sie Mangel<br />

sehen, hat er das volle Genügen; während ihnen nur das Gegebene und Natürli<strong>ch</strong>e<br />

im Blick liegt, steht vor seinem Auge die unbegrenzte Fülle der göttli<strong>ch</strong>en<br />

Ma<strong>ch</strong>t.<br />

6,10—13: Jesus spra<strong>ch</strong>: Ma<strong>ch</strong>t, daß die Leute si<strong>ch</strong> legen. Es war aber viel<br />

Gras an dem Ort. Nun legten si<strong>ch</strong> die Männer nieder, an Zahl etwa fünftausend.<br />

Nun nahm Jesus die Brote, sagte Dank und verteilte sie denen, die si<strong>ch</strong><br />

niedergelegt hatten, ebenso au<strong>ch</strong> von den Fis<strong>ch</strong>en, so viel sie wollten. Als sie<br />

aber satt geworden waren, sagt er zu seinen Jüngern: Sammelt die übriggebliebenen<br />

Stücke, damit ni<strong>ch</strong>ts verderbe. Nun sammelten sie und füllten von den<br />

fünf Gerstenbroten zwölf Körbe mit Stücken, die von denen übriggelassen<br />

waren, die gegessen hatten. <strong>Johannes</strong> bes<strong>ch</strong>reibt mit derselben S<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>theit wie


<strong>Johannes</strong> 6,2—21 91<br />

Matthäus dieses einfa<strong>ch</strong>e und do<strong>ch</strong> so erhabene Mahl, das zu den ergreifendsten<br />

Gottesdiensten gehört, die auf Erden je gehalten worden sind, bei dem<br />

Jesus vor der zu einer großen Tis<strong>ch</strong>genossens<strong>ch</strong>aft geordneten S<strong>ch</strong>ar das Dankgebet<br />

hielt und ihr dann austeilte, was an Vorrat vorhanden war, und das<br />

s<strong>ch</strong>affende "Wort Gottes in seiner allmä<strong>ch</strong>tigen'Wirkung das Vorhandene ergänzte,<br />

so daß weit mehr von Broten übrig blieb, als am Anfang vorhanden<br />

war. <strong>Das</strong> Mahl war für alle Teilnehmenden eine eindrückli<strong>ch</strong>e Erfahrung des<br />

väterli<strong>ch</strong>en Sinnes Gottes und der Einsetzung Jesu zum Haupt, Führer und<br />

Versorger der Gemeinde.<br />

6,14: Nun sagten die Mens<strong>ch</strong>en, die sahen, was für ein Zei<strong>ch</strong>en er tat: Dieser<br />

ist wahrhaftig der Prophet, der in die Welt kommt. Sie erinnerten si<strong>ch</strong> an die<br />

großen Dinge, die Israel einst unter Moses Führung in der Wüste erlebt hatte,<br />

au<strong>ch</strong> an Moses Verheißung, daß ein Prophet wie er von Gott dem Volke gegeben<br />

werde. Nun war er da, und sie sahen es mit ihren eigenen Augen, wie er<br />

in einer Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater handelte, die ihn weit über alle anderen<br />

Glieder des Volks erhob. 6,15: Da nun Jesus wußte, daß sie kommen und ihn<br />

ergreifen würden, um ihn zum König zu ma<strong>ch</strong>en, entwi<strong>ch</strong> er wieder allein in<br />

das Gebirge. Ist Jesus der Prophet, so gehört er an die Spitze des Volks und<br />

muß sein König sein. Keine andere Ma<strong>ch</strong>t hat das Re<strong>ch</strong>t, dem den Platz streitig<br />

zu ma<strong>ch</strong>en, den Gott als seinen Propheten beglaubigt hat. Da wurden die<br />

großen, erregten Worte laut vom König Israels, der alle seine Feinde vertreiben<br />

werde, und sie waren sofort bereit, sein Königtum auszurufen und seine<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft beginnen zu lassen. <strong>Das</strong> war mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> geda<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>t göttli<strong>ch</strong>.<br />

Jesus dur<strong>ch</strong>kreuzte dadur<strong>ch</strong> ihre Absi<strong>ch</strong>t, daß er si<strong>ch</strong> allein in die Berge begab<br />

und vers<strong>ch</strong>wand.<br />

6,16—zi : Als es aber Abend wurde, gingen seine Jünger zum See hinab, stiegen<br />

in ein S<strong>ch</strong>iff und fuhren über den See <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kapernaum. Und es war s<strong>ch</strong>on<br />

finster geworden und Jesus no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu ihnen gekommen. Der See war aber<br />

bewegt, weil ein starker Wind wehte. Als sie nun ungefähr fünfundzwanzig<br />

oder dreißig Stadien zurückgelegt hatten, sehen sie Jesus auf dem See gehen<br />

und nahe an das S<strong>ch</strong>iß kommen, und sie für<strong>ch</strong>teten si<strong>ch</strong>. Er aber sagt zu ihnen:<br />

I<strong>ch</strong> bin es; für<strong>ch</strong>tet eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t! Nun waren sie willig, ihn in das S<strong>ch</strong>iff zu nehmen,<br />

und glei<strong>ch</strong> war das S<strong>ch</strong>iff am Land, wohin sie fuhren. Als mit dem Anbru<strong>ch</strong><br />

der Na<strong>ch</strong>t die Jünger ohne ihn <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kapernaum fuhren, da gab er ihnen<br />

aas Zei<strong>ch</strong>en, daß ihn ni<strong>ch</strong>ts von ihnen zu s<strong>ch</strong>eiden vermöge, sondern ihm die<br />

Ma<strong>ch</strong>t immer bleibe, bei ihnen zu sein.<br />

Es war ihm ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> gewesen, mit ihnen abzufahren, weil ihn so die erregte<br />

Menge ni<strong>ch</strong>t aus den Augen verloren hätte; drüben im Ostjordanland


9 2 Die Galiläer verlassen ihn<br />

wollte er au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bleiben, weder allein no<strong>ch</strong> bei der S<strong>ch</strong>ar, die ihn su<strong>ch</strong>te.<br />

<strong>Das</strong> Königtum, von dem diese spra<strong>ch</strong>, s<strong>ch</strong>lug er aus und übernahm das Regiment<br />

ni<strong>ch</strong>t auf Erden. Dafür gesellte er si<strong>ch</strong> zu den Jüngern in einer Weise,<br />

die ihnen zeigte, daß der Weg zu ihnen ihm immer offen sei.<br />

6,22—25: Am nä<strong>ch</strong>sten Tag, als die S<strong>ch</strong>ar sah, die si<strong>ch</strong> auf der anderen Seite<br />

des Sees befand, daß kein anderes S<strong>ch</strong>iff dort gewesen war als bloß das eine und<br />

daß Jesus ni<strong>ch</strong>t mit seinen Jüngern in das S<strong>ch</strong>iff gestiegen war, sondern einzig<br />

die Jünger abgefahren waren — aber S<strong>ch</strong>iffe von Tiberias her kamen nahe an<br />

den Ort, wo sie das Brot gegessen hatten <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Danksagung des Herrn —,<br />

als nun die S<strong>ch</strong>ar sah, daß Jesus ni<strong>ch</strong>t dort war und au<strong>ch</strong> seine Jünger ni<strong>ch</strong>t,<br />

stiegen sie in die S<strong>ch</strong>iffe und kamen nado Kapernaum, um Jesus zu su<strong>ch</strong>en.<br />

Und da sie ihn auf der anderen Seite des Sees fanden, sagten sie zu ihm: Rabbi,<br />

wann kamst du hierher? Am anderen Morgen waren die, die am Abend Jesu<br />

Gäste gewesen waren, in Verlegenheit, wo er denn sei, und waren deshalb froh,<br />

daß ihnen die Ankunft von S<strong>ch</strong>iffen aus Tiberias die Gelegenheit gab, ras<strong>ch</strong><br />

ans andere Ufer des Sees zu kommen, da sie annahmen, daß da, wo die Jünger<br />

seien, au<strong>ch</strong> er zu finden sei, und sie fanden ihn au<strong>ch</strong> zu ihrem Erstaunen in der<br />

Synagoge von Kapernaum. Der Lauf der Dinge fügte si<strong>ch</strong> in ihren Gedanken<br />

ni<strong>ch</strong>t zusammen; sie ahnten ein neues Wunder und hätten dieses Geheimnis<br />

gern erfors<strong>ch</strong>t.<br />

6,z6: Jesus anwortete ihnen und spra<strong>ch</strong>: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>:<br />

Ihr su<strong>ch</strong>t mi<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>t weil ihr Zei<strong>ch</strong>en saht, sondern weil ihr von den Brote/t<br />

aßet und satt wurdet. An ihrem Verlangen, Wunder auf Wunder zu sehen,<br />

hatte Jesus keine Freude. Wären es die Zei<strong>ch</strong>en, die sie s<strong>ch</strong>ätzten, a<strong>ch</strong>teten sie<br />

auf Gottes Ma<strong>ch</strong>t, die sie erlebten, so könnte er sie ähnli<strong>ch</strong> zum festen Glaubensstand,<br />

der Gottes in allen Lagen gewiß geworden ist, aufwärts leiten, wie<br />

er es mit dem Königli<strong>ch</strong>en tat; aber es ist ni<strong>ch</strong>t die,göttli<strong>ch</strong>e Güte und Hilfe,<br />

die sie bewegt, sondern ihr greifbares, nützli<strong>ch</strong>es Ergebnis, nur der Vorteil,<br />

den sie selbst davon haben, daß sie Brote bekommen hatten und si<strong>ch</strong> satt essen<br />

konnten. Au<strong>ch</strong> das Zei<strong>ch</strong>en hat ihren Blick ni<strong>ch</strong>t von ihrem eigenen, irdis<strong>ch</strong>en<br />

Anliegen abgelenkt. Auf den Geber der Gabe a<strong>ch</strong>ten sie ni<strong>ch</strong>t; was göttli<strong>ch</strong> und<br />

geistli<strong>ch</strong> an dem ist, was sie erlebt haben, berührt sie ni<strong>ch</strong>t. Brote hat er gegeben;<br />

das war das große Ereignis des Tages, und darum su<strong>ch</strong>en sie ihn.Deshalb<br />

erläutert ihnen Jesus au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, wie er hierhergekommen ist. <strong>Das</strong> Zei<strong>ch</strong>en ist<br />

nur für den eine Hilfe, der Gottes Tat in ihm erkennt und ehrt. Wer nur an<br />

si<strong>ch</strong> selbst und sein Bedürfnis und seinen Vorteil denkt, den führt au<strong>ch</strong> das<br />

größte Wunder Gottes nur tiefer in die Sünde hinein.<br />

Was die Galiläer so eifrig s<strong>ch</strong>ätzen und verlangen, ist eine geringe Sa<strong>ch</strong>e;


<strong>Johannes</strong> 6,22—29 93<br />

dieseSpeise wird ras<strong>ch</strong> verzehrt und kann ni<strong>ch</strong>ts Bleibendes süften.6,2j:S<strong>ch</strong>afft<br />

ni<strong>ch</strong>t die Speise, die vergeht, sondern die Speise, die zum ewigen Leben bleibt,<br />

die der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en eu<strong>ch</strong> geben wird. Denn diesen hat der Vater, Gott,<br />

besiegelt. Jesu Sorge ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> auf die tiefere Bedürftigkeit und den s<strong>ch</strong>limmeren<br />

Hunger, der sie s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t. Mit Brot ist ihnen gegen diesen ni<strong>ch</strong>t zu helfen.<br />

"Wäre es wirkli<strong>ch</strong> das, was sie nötig haben, so sollten sie es haben. Aber sie<br />

brau<strong>ch</strong>en eine bleibende, ni<strong>ch</strong>t selbst wieder vergehende Speise, eine Belebung,<br />

die ewiges Leben s<strong>ch</strong>afft. Darauf ri<strong>ch</strong>tet Jesus ni<strong>ch</strong>t nur ihr Verlangen, sondern<br />

au<strong>ch</strong> ihre Arbeit, ihre Tat. Diese Speise ist ihnen ni<strong>ch</strong>t fern: er gibt sie ihnen,<br />

und dazu sollte die Speisung des gestrigen Abends dienen, daß sie willig würden,<br />

ihn zu bitten und von ihm zu empfangen, was unverglei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> größer ist<br />

als die Mahlzeit des gestrigen Tages. Gott hat ihn besiegelt, au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das, was<br />

sie soeben sahen. Ni<strong>ch</strong>t am Brot sollte ihr Auge kleben, als wäre das Brot die<br />

Heilsgabe, während es vielmehr das Siegel war, womit ihnen Gott den offenbarte<br />

und bezeugte, der ihnen ewiges Leben gibt. Damit hat Jesus seinen Gästen<br />

von gestern zuglei<strong>ch</strong> erläutert, warum er si<strong>ch</strong> ihrem Willen, ihn zu ihrem<br />

König zu krönen, entzogen hat. Viel mehr will er ihnen geben, ewiges Leben<br />

ihnen s<strong>ch</strong>enken, während sie ihn nur zu ihrem Brotherrn ma<strong>ch</strong>en mö<strong>ch</strong>ten, der<br />

ihnen tägli<strong>ch</strong> den Tis<strong>ch</strong> mit der zergehenden Speise füllen soll.<br />

Es war den Galiläern ni<strong>ch</strong>t unverständli<strong>ch</strong>, daß Jesus den äußeren Segen und<br />

den Brotrei<strong>ch</strong>tum ni<strong>ch</strong>t allein als nötig gelten ließ. Au<strong>ch</strong> sie wollen ins ewige<br />

Leben, und es stand ihnen fest, daß der Weg dorthin darin bestehe, daß der<br />

Mens<strong>ch</strong> den "Willen Gottes tut. Au<strong>ch</strong> am Gehorsam wollen sie es ni<strong>ch</strong>t fehlen<br />

lassen. 6,28: Nun sagten sie zu ihm: Was sollen wir tun, damit wir die Werke<br />

Gottes wirken? Jesus brau<strong>ch</strong>t das nur zu nennen, womit sie si<strong>ch</strong> das ewige<br />

Leben vers<strong>ch</strong>affen können; an ihrer "Willigkeit und Fähigkeit, die "Werke zu<br />

vollbringen, die Gott getan haben will, gebri<strong>ch</strong>t es ni<strong>ch</strong>t.<br />

Jesus nennt ihnen den Dienst, den Gott ihnen aufträgt, damit sie ihn zu seiner<br />

Ehre vollbringen, in der klarsten Deutli<strong>ch</strong>keit. 6,29: Jesus anwortete und<br />

spra<strong>ch</strong> zu ihnen: <strong>Das</strong> ist das Werk Gottes, daß ihr an den glaubt, den er<br />

sandte. Ni<strong>ch</strong>t vielerlei will Gott dur<strong>ch</strong> sie getan haben; ein einziges "Werk ist<br />

es, womit sie seinen "Willen tun und ihm geben, was er su<strong>ch</strong>t. Dieses "Werk<br />

Gottes ist, daß sie Jesus ihr Vertrauen geben. An die selbstbewußten Galiläer,<br />

die si<strong>ch</strong>, obwohl sie voll sind von der Brotsorge und von der Lust <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem,<br />

was dem Leibe dient, denno<strong>ch</strong> zu jedem göttli<strong>ch</strong>en "Werk für ges<strong>ch</strong>ickt halten,<br />

stellt Jesus den Anspru<strong>ch</strong>: Glaubt mir! <strong>Das</strong> gab den Bru<strong>ch</strong>. Sie traten zwar<br />

ni<strong>ch</strong>t wie die Lehrer Jerusalems Jesus mit Vorwürfen entgegen, weil sie ni<strong>ch</strong>t in<br />

derselben "Weise wie jene an der Satzung hingen, hießen ihn ni<strong>ch</strong>t einen Sünder,


49 Die Gali!äer verlassen ihn<br />

der den Sabbat entweiht habe, sondern waren ihm eifrig <strong>na<strong>ch</strong></strong>geeilt, von dem,<br />

was sie erlebt hatten, tief ergriffen. Allein ihm verbunden, so daß sie ihm trauten<br />

und Glauben s<strong>ch</strong>enkten, waren sie ni<strong>ch</strong>t und wollten es au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sein. Jesus<br />

kann jedo<strong>ch</strong> davon ni<strong>ch</strong>t lassen: Glaubt mir! Haltet eu<strong>ch</strong> an mi<strong>ch</strong>: laßt mi<strong>ch</strong><br />

wirken und mi<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> leiten; i<strong>ch</strong> bin es, der eu<strong>ch</strong> das ewige Leben gibt. <strong>Das</strong> ist<br />

das Eine, was not tut, euer Gottesdienst, euer Werk zu Gottes Preis, daß ihr<br />

mit eurem Denken und Tra<strong>ch</strong>ten an mir hängt. <strong>Das</strong> kehrte jedo<strong>ch</strong> ihren ganzen<br />

Gedanken- und Willenslauf um. Wenn er ihnen in der Ma<strong>ch</strong>t Gottes Brot<br />

und andere nützli<strong>ch</strong>e Dinge gab, wollten sie dieselben gern genießen, au<strong>ch</strong> selber<br />

als Preis dafür Gottes Werke tun; daß sie aber ihm glauben sollen, das ist<br />

eine Zumutung, die sie ablehnen. So ho<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ätzen sie ihn no<strong>ch</strong> lange ni<strong>ch</strong>t, daß<br />

sie si<strong>ch</strong> auf ihn verlassen mö<strong>ch</strong>ten. <strong>Das</strong> Zei<strong>ch</strong>en fehlt no<strong>ch</strong>, das sie ihm unterwürfe;<br />

jedenfalls haben die Väter no<strong>ch</strong> viel Größeres erlebt.<br />

6,30. 31: Nun sagten sie zu ihm: Was tust du denn für ein Zei<strong>ch</strong>en, damit<br />

wir sehen und dir glauben? Was vollbringst du? Unsere Väter aßen das Manna<br />

in der Wüste, wie ges<strong>ch</strong>rieben ist: Brot aus dem Himmel gab er ihnen zu essen<br />

(Psalm 78,24). Jesu Zei<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>lössen si<strong>ch</strong> barmherzig und nü<strong>ch</strong>tern an das<br />

Bedürfnis der Mens<strong>ch</strong>en an und legten denen, denen er sie erwies, Gottes Gabe<br />

in ihren natürli<strong>ch</strong>en Lebenslauf hinein. Darum s<strong>ch</strong>einen sie den Galiläern verä<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

und klein. Weil sie für Gottes Güte und Ma<strong>ch</strong>t darin kein Auge haben,<br />

haben sie au<strong>ch</strong> an dem, was sie erlebten, keine Befriedigung. Blieben sie am<br />

Brot hängen, so hatten sie freili<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>t, daß sie zum Glauben no<strong>ch</strong> lange ni<strong>ch</strong>t<br />

genug erlebt hätten. Sie erträumten si<strong>ch</strong> darum eine herrli<strong>ch</strong>ere Gottesgabe,<br />

etwas, was mit dem natürli<strong>ch</strong>en Lauf des Lebens ni<strong>ch</strong>ts zu s<strong>ch</strong>affen habe: Sie<br />

können selbst ni<strong>ch</strong>t sagen, was sie wollen; nur ganz anders muß es sein als das,<br />

was der tägli<strong>ch</strong>e Lauf des Lebens ihnen zeigt. Da kommt zum Vors<strong>ch</strong>ein, was<br />

no<strong>ch</strong> außer der Satzung damals der Judens<strong>ch</strong>aft als Gift im Herzen saß und sie<br />

s<strong>ch</strong>limm gehindert hat. Wie sie aus Gottes Gesetz eigenmä<strong>ch</strong>tig ihre Satzung<br />

ma<strong>ch</strong>ten, so verwandelten sie au<strong>ch</strong> Gottes Werke, von denen die S<strong>ch</strong>rift spra<strong>ch</strong>,<br />

willkürli<strong>ch</strong> in eine träumeris<strong>ch</strong>e Mär<strong>ch</strong>enwelt. Auf diese warteten sie und vera<strong>ch</strong>teten<br />

darum Jesus und seine Taten, weil er mitten drin im hellen Li<strong>ch</strong>t des<br />

wirkli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>enlebens stand.<br />

Jesus erläutert ihnen, wie Großes ihnen mit seiner Gegenwart gegeben sei.<br />

6,32. 33: Nun sagte ihnen Jesus: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Ni<strong>ch</strong>t Mose<br />

hat eu<strong>ch</strong> das Brot aus dem Himmel gegeben; sondern mein Vater gibt eu<strong>ch</strong> das<br />

wahrhaftige Brot aus dem Himmel. Denn das Brot Gottes ist der, der aus dem<br />

Himmel herabkommt und der Welt Leben gibt. Brot vom Himmel, das ist es<br />

in der Tat, was sie nötig haben. Jesus bestätigt dieses Wort in seinem ganzen


<strong>Johannes</strong> 6,30—36 95<br />

Sinn. Gerade von sol<strong>ch</strong>em Brote spra<strong>ch</strong> er, als er von der bleibenden Speise<br />

redete. Gibt sie ewiges Leben, so kommt sie von oben. Do<strong>ch</strong> darum handelt es<br />

si<strong>ch</strong>: worin besteht dieses Himmelsbrot? <strong>Das</strong> ist derjenige Mens<strong>ch</strong>, der seinen<br />

Ursprung in Gott hat, aber aus dem Himmel heraus in die Mens<strong>ch</strong>heit tritt und<br />

ihr das Leben verleiht.<br />

Es gibt für Jesus kein sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Mittel, womit si<strong>ch</strong> ewiges Leben im Mens<strong>ch</strong>en<br />

wirken ließe, kein Ding im Himmel oder auf Erden, womit man den<br />

Mens<strong>ch</strong>en selig ma<strong>ch</strong>en könnte. Alles hängt an der persönli<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

Gottes mit dem Mens<strong>ch</strong>en, des Mens<strong>ch</strong>en mit Gott. Darum ist Jesus in seiner<br />

aus Gott stammenden Persönli<strong>ch</strong>keit das, womit das Leben kommt, darum aber<br />

au<strong>ch</strong> der eigene Ans<strong>ch</strong>luß an ihn, das eigene innere Erfaßtsein dur<strong>ch</strong> ihn und<br />

Gebundensein an ihn, das Glauben, das, wodur<strong>ch</strong> wir das Leben empfangen.<br />

Wie er am Jakobsbrunnen den Jüngern von si<strong>ch</strong> selbst gesagt hat, seine Speise<br />

sei es, den Willen des Vaters zu tun, daraus fließe für ihn sein Leben, so ma<strong>ch</strong>t<br />

er hier unseren Glauben an ihn zu dem, wodur<strong>ch</strong> wir die Speise empfangen,<br />

die uns lebendig erhält.<br />

Die Verheißung Jesu s<strong>ch</strong>ien seinen Hörern herrli<strong>ch</strong>, jedo<strong>ch</strong> nur deshalb, weil<br />

sie ihnen no<strong>ch</strong> undeutli<strong>ch</strong> war. 6,34: Nun sagten sie zu ihm: Herr, jederzeit gib<br />

uns dieses Brot! Nie hat Jesus sol<strong>ch</strong>es Bitten abgewiesen; au<strong>ch</strong> jetzt trat er mit<br />

seiner ganzen Gnade vor sie. 6,35: Jesus sagte ihnen: I<strong>ch</strong> bin das Brot des Lebens.<br />

Wer zu mir kommt, wird ni<strong>ch</strong>t hungern, und wer an mi<strong>ch</strong> glaubt, wird<br />

niemals dürsten. Damit bietet er ihnen das Lebensbrot unmittelbar dar; er tut<br />

es jedo<strong>ch</strong> umsonst, weil sie ihm ni<strong>ch</strong>t glauben. Himmelsbrot mö<strong>ch</strong>ten sie wohl<br />

haben, aber anders, als er es ihnen gibt, ni<strong>ch</strong>t so, daß sie es in ihm haben und<br />

dadur<strong>ch</strong> empfangen, daß sie si<strong>ch</strong> im Glauben unter ihn stellen. 6,36: Aber i<strong>ch</strong><br />

sagte eu<strong>ch</strong>, daß ihr mi<strong>ch</strong> gesehen habt und do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t glaubt. Trotzdem sie gesehen<br />

haben, was sie an Jesus haben, no<strong>ch</strong> am gestrigen Abend, als Jesus wie ein<br />

Hausvater aus Gottes rei<strong>ch</strong>em S<strong>ch</strong>atz für sie sorgte, glauben sie denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t.<br />

Während sonst das, was der Mens<strong>ch</strong> sieht, ihn faßt und aus dem Wahrnehmen<br />

Gewißheit wird, die ihn ents<strong>ch</strong>lossen ma<strong>ch</strong>t, hat sie Jesus do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zum Glauben<br />

gebra<strong>ch</strong>t, obwohl er ihnen si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>te, was er für sie tut. Mehr kann er<br />

ni<strong>ch</strong>t für sie tun. Um den Glauben herum kann er ihnen ni<strong>ch</strong>t helfen.<br />

Daraus entstand für Jesus eine ähnli<strong>ch</strong>e Pfli<strong>ch</strong>t, wie er sie gegenüber den<br />

Männern von Jerusalem gehabt hat. Er muß au<strong>ch</strong> den Galiläern ni<strong>ch</strong>t bloß zeigen,<br />

was sie an ihm haben, sondern au<strong>ch</strong>, was sie von ihm trennt. Sein Mißerfolg<br />

liegt klar im Li<strong>ch</strong>t, da er si<strong>ch</strong> ihnen ja vergebens als das Brot des Lebens<br />

angeboten hat. Woher dieser rührt, weshalb er ni<strong>ch</strong>t als Anklage auf ihn fällt


9° Die Galiläer verlassen ihn<br />

und seinen Christusnamen ni<strong>ch</strong>t widerlegt, das ma<strong>ch</strong>t er nun den Galiläern zuglei<strong>ch</strong><br />

mit der Bezeugung seiner Heilandsgabe deutli<strong>ch</strong>.<br />

6,37—39: Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen, und den, der<br />

zu mir kommt, werde i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hinausstoßen, weil i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vom Himmel<br />

herabgekommen bin, um meinen Willen zu tun, sondern um den Willen dessen<br />

zu tun, der mi<strong>ch</strong> sandte. Dies aber ist der Wille dessen, der mi<strong>ch</strong> sandte, daß<br />

i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts von dem, was er mir gab, verliere, sondern es am letzten Tag auferwecke.<br />

Aus seiner völligen Gebundenheit an den Vater ergibt si<strong>ch</strong>, was ihm<br />

als Erfolg oder Mißerfolg bes<strong>ch</strong>ieden ist. <strong>Das</strong> Ges<strong>ch</strong>enk, das ihm die Liebe des<br />

Vaters ma<strong>ch</strong>t, besteht in den Mens<strong>ch</strong>en, die zu ihm kommen. Wie Jesus uns<br />

ni<strong>ch</strong>t irgendwel<strong>ch</strong>e wunderbaren Sa<strong>ch</strong>en bringt, so hoffte er au<strong>ch</strong> für si<strong>ch</strong> selbst<br />

ni<strong>ch</strong>t auf irgendwel<strong>ch</strong>e Sa<strong>ch</strong>en, die Gott ihm s<strong>ch</strong>enken werde. Mens<strong>ch</strong>en sind es,<br />

in denen er die göttli<strong>ch</strong>e Gabe sah, die ihm gegeben wird. "Wenn aber jemand<br />

ihm vom Vater gegeben ist, dann kommt er au<strong>ch</strong> zu ihm, hält si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t inwendig<br />

fern, versagt ihm ni<strong>ch</strong>t den Glauben, sondern su<strong>ch</strong>t und erfaßt ihn, und<br />

keinen, der zu ihm kommt, s<strong>ch</strong>ickt er weg, weil er den Willen des Vaters tut.<br />

<strong>Das</strong> gibt jedem, der zu ihm kommt, die fröhli<strong>ch</strong>e Si<strong>ch</strong>erheit und s<strong>ch</strong>ließt die<br />

Fur<strong>ch</strong>t aus, ob ihn Jesus au<strong>ch</strong> aufnehme. Er weist kein Ges<strong>ch</strong>enk seines Vaters<br />

ab, sondern freut si<strong>ch</strong> an jedem, der si<strong>ch</strong> an ihn wendet, als an einer Gabe seines<br />

Vaters und erfüllt an ihm dessen Willen. Darum ist er herabgekommen vom<br />

Himmel her, daß er den Willen des Vaters tue; wie sollte er auf Erden im Verkehr<br />

mit den Mens<strong>ch</strong>en etwas anderes wollen und tun, als was der Vater will?<br />

Ni<strong>ch</strong>t weniger ergibt si<strong>ch</strong> daraus freili<strong>ch</strong>, daß Jesus dem ni<strong>ch</strong>ts geben kann, der<br />

ni<strong>ch</strong>t zu ihm kommt. Bleibt er ihm fern, so ist er ihm vom Vater ni<strong>ch</strong>t gegeben,<br />

und Jesus kann ni<strong>ch</strong>t an si<strong>ch</strong> ziehen, was ihm ni<strong>ch</strong>t gehört, und gegen den Vater<br />

das zu seinem Eigentum ma<strong>ch</strong>en, was ihm ni<strong>ch</strong>t zugeteilt ist.<br />

Was der Vater ihm zu eigen gibt, das soll er vor allem Verderben behüten<br />

und am letzten Tage auf erwecken. 6,40: Denn das ist der Willemeines Vaters,<br />

daß jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe, und idi<br />

werde ihn auferwecken am letzten Tag. Ihm zum Eigentum gegeben sind alle<br />

die, denen das Auge aufgeht, so daß sie die Sohns<strong>ch</strong>aft Gottes an ihm wahrnehmen,<br />

und die darum an ihn glauben. Indem er diesen die Auferstehung<br />

gibt, erweist er si<strong>ch</strong> an ihnen im letzten und hö<strong>ch</strong>sten Sinn als das Himmelsbrot.<br />

Der, der auferwecken kann, ist der wahrhaftige Lebensspender, das e<strong>ch</strong>te<br />

Brot.<br />

<strong>Das</strong> s<strong>ch</strong>ien der Versammlung eine dunkle Rede und gab Anlaß zum Widerspru<strong>ch</strong>.<br />

6,41.42: Nun murrten die Juden über ihn, weil er sagte: I<strong>ch</strong> bin das<br />

Brot, das aus dem Himmel herabkam, und sagten: Ist dieser ni<strong>ch</strong>t Jesus, der


<strong>Johannes</strong> 6,37-45 97<br />

Sohn Josephs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie sagt er jetzt: I<strong>ch</strong> bin<br />

vom Himmel herabgekommen? Obwohl er aus Galiläa war und die Verhältnisse<br />

seines Elternhauses jedermann bekannt waren, wagte er denno<strong>ch</strong>, vor<br />

seine eigenen Landsleute hinzutreten als der, der vom Himmel kam. Wie sie<br />

ein erträumtes Wunder von ihm begehrten, ein Brot, das gar keine Ähnli<strong>ch</strong>keit<br />

haben soll mit dem, was aus dem Laufe der Natur erwä<strong>ch</strong>st, so begehren sie<br />

au<strong>ch</strong> einen phantastis<strong>ch</strong>en Christus, der ni<strong>ch</strong>t als ein e<strong>ch</strong>ter, wirkli<strong>ch</strong>er Mens<strong>ch</strong><br />

vor ihnen stehen darf, den jedermann kennt. Ihr ungläubiges Widerspre<strong>ch</strong>en<br />

beweist aber nur, daß ihr Herz von Gottes Zug ni<strong>ch</strong>ts verspürt. 6,43—45:<br />

Jesus antwortete und spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Murrt ni<strong>ch</strong>t untereinander! Keiner<br />

kann zu mir kommen, wenn ni<strong>ch</strong>t der Vater, der mi<strong>ch</strong> gesandt hat, ihn zieht,<br />

und i<strong>ch</strong> werde ihn erwecken am letzten Tag. In den Propheten ist ges<strong>ch</strong>rieben:<br />

Und alle werden von Gott gelehrt sein (Jesaja 54,13). Jeder, der vom Vater<br />

hört und lernt, kommt zu mir. Jesus kann ni<strong>ch</strong>ts tun, wenn ihm ni<strong>ch</strong>t das Werk<br />

des Vaters im Inneren des Mens<strong>ch</strong>en vorangeht. Faßt der Vater den Mens<strong>ch</strong>en<br />

inwendig, setzt er ihn in Bewegung, dann wendet si<strong>ch</strong> sein Auge auf<br />

Jesus, und sein Verlangen streckt si<strong>ch</strong> zu ihm, und dann nimmt ihn Jesus dankbar<br />

und freudig bei si<strong>ch</strong> auf. Was der Prophet verhieß, daß jeder von Gott<br />

selbst für si<strong>ch</strong> die Unterweisung empfangen werde, das bildet die feste Regel,<br />


98 Die Galiläer verlassen ihn<br />

seiner uners<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en Liebe den Mens<strong>ch</strong>en als Ri<strong>ch</strong>ter widerstehen und si<strong>ch</strong><br />

ihnen entziehen muß. Lieb sind wir ihm darum, weil Gott sein Werk in uns<br />

tut; somit hört da seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit uns auf, wo der Vater si<strong>ch</strong> uns entzieht.<br />

Für seine Zuhörer lag darin ein eindringendes, sie aufrüttelndes Bußwort.<br />

Sie haben an ihrer Unwilligkeit, si<strong>ch</strong> Jesus ernstli<strong>ch</strong> und ganz zu ergeben,<br />

den Beweis ihrer Entfremdung von Gott vor Augen. "Wenn sie no<strong>ch</strong> erwa<strong>ch</strong>en<br />

können, muß sie dies zum ernsten Ers<strong>ch</strong>recken bringen.<br />

Wenn Jesus jedem, der zu ihm kommt, eine innere Gegenwart Gottes zuspri<strong>ch</strong>t,<br />

dur<strong>ch</strong> die er unterwiesen und bewegt wird, so hat er damit den Unters<strong>ch</strong>ied<br />

zwis<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> und uns allen ni<strong>ch</strong>t verdunkelt und uns ni<strong>ch</strong>ts zugemutet,<br />

was jenseits unserer Lebensstufe liegt. 6,46: Ni<strong>ch</strong>t, daß jemand den Vater<br />

sah, außer dem, der von Gott ist; dieser hat den Vater gesehen. Er redet ni<strong>ch</strong>t<br />

davon, daß die Unsi<strong>ch</strong>tbarkeit Gottes für uns beseitigt wäre. Dieses Lehren<br />

des Vaters hebt ni<strong>ch</strong>t auf, daß niemand Gott gesehen hat und einzig der, der<br />

vom Vater kommt, in sol<strong>ch</strong>er Einheit mit ihm steht, daß von ihm gesagt werden<br />

kann, er habe ihn gesehen. Dieses Sehen bildet Jesu Geheimnis, das niemand<br />

bes<strong>ch</strong>reiben kann.<br />

Allen, die hören, bietet si<strong>ch</strong> Jesus no<strong>ch</strong>mals als Brot des Lebens an. 6,47—51a:<br />

Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Wer glaubt, hat ewiges Leben. I<strong>ch</strong> bin das<br />

Brot des Lebens. Eure Väter aßen in der Wüste das Manna und starben. Dies<br />

ist das vom Himmel herabgekommene Brot, daß jemand von ihm esse und<br />

ni<strong>ch</strong>t sterbe. I<strong>ch</strong> bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabkam. Wenn<br />

einer von diesem Brote ißt, wird er ewigli<strong>ch</strong> leben. Die, die das Manna empfingen,<br />

blieben Gott do<strong>ch</strong> fern, waren ungehorsam gegen ihn, fielen unter sein<br />

Geri<strong>ch</strong>t und starben. <strong>Das</strong> Leben, das Jesus gibt, ist dagegen der vollständige<br />

Gegensatz zum Tod. Jesus verspri<strong>ch</strong>t den Seinen, ihr Retter vor dem Tode zu<br />

sein. Ein Sterben, das verheerend in ihre Person hineingriffe, sie von ihm<br />

trennte und dem Rei<strong>ch</strong>e Gottes entzöge, gibt es für sie ni<strong>ch</strong>t mehr. Ni<strong>ch</strong>t dem<br />

Leibe in seiner natürli<strong>ch</strong>en Gestalt verspri<strong>ch</strong>t er damit unzerstörli<strong>ch</strong>e Dauer;<br />

ihm liegt es an dem, was der Mens<strong>ch</strong> inwendig erlebt, und darüber hält er<br />

seine Hand und läßt hier den Tod ni<strong>ch</strong>t hineindringen. Wie er uns aber zum<br />

S<strong>ch</strong>utz vor dem Tode und zum Geber des ewigen Lebens wird und wie wir imstande<br />

sind, von ihm zu „essen" und in eine sol<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm zu<br />

treten, daß er in uns mit seiner belebenden Kraft eingeht, das erklärt Jesus dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß er die Heilsma<strong>ch</strong>t seines Todes ausspri<strong>ch</strong>t. 6,51b: <strong>Das</strong> Brot aber,<br />

das i<strong>ch</strong> geben werde, ist mein Fleis<strong>ch</strong>, das i<strong>ch</strong> geben werde für das Leben der<br />

Welt.<br />

An seiner mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en, ihnen <strong>na<strong>ch</strong></strong> Herkunft und Heimat wohlbekannten


<strong>Johannes</strong> 6,46-54 99<br />

Art hatten si<strong>ch</strong> die Galiläer geärgert und gemeint, deswegen könne er sol<strong>ch</strong>e<br />

Verheißung ni<strong>ch</strong>t an seine Person anheften. Darum preist er ihnen sein Fleis<strong>ch</strong>.<br />

Als sie si<strong>ch</strong> in Jerusalem an seiner Freiheit ärgerten, pries er ihnen seine Königsma<strong>ch</strong>t,<br />

die ihn das messianis<strong>ch</strong>e Werk vollbringen läßt. Weil die Galiläer<br />

das Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e an ihm gerings<strong>ch</strong>ätzen, sagt er ihnen, daß eben dies sein<br />

„Fleis<strong>ch</strong>", sein mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Leib und all das, was er mit uns teilt, das sei, wodur<strong>ch</strong><br />

er uns das Leben vers<strong>ch</strong>affe und den Tod abnehme. Ni<strong>ch</strong>t trotz seiner<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Art, vielmehr ihretwegen und dur<strong>ch</strong> sie ist er das Lebensbrot.<br />

Sein Fleis<strong>ch</strong> wird ihm zum Mittel und Werkzeug, wodur<strong>ch</strong> er der Welt das<br />

Leben erwirbt. Er opfert es Gott, gibt es dem Vater dar im vollkommenen Gehorsam,<br />

ma<strong>ch</strong>t es zum Anlaß und Mittel für seinen heiligen Gottesdienst, und<br />

indem er, was an ihm natürli<strong>ch</strong> ist, hingibt, ma<strong>ch</strong>t er aus dem, was an si<strong>ch</strong> sterbli<strong>ch</strong><br />

ist, den Grund unserer Unsterbli<strong>ch</strong>keit, aus dem, was in den Tod sinkt, die<br />

Wurzel unseres ewigen Lebens.<br />

Seine Hörer trieb das vollends von ihm weg. 6,52—54: Nun stritten die Juden<br />

untereinander und sagten: Wie kann dieser uns das Fleis<strong>ch</strong> zu essen geben?<br />

Nun sagte Jesus zu ihnen: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Wenn ihr das<br />

Fleis<strong>ch</strong> des Sohnes des Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t eßt und sein Blut ni<strong>ch</strong>t trinkt, habt ihr<br />

kein Leben in eu<strong>ch</strong>. Wer mein Fleis<strong>ch</strong> ißt und mein Blut trinkt, hat ewiges<br />

Leben, und i<strong>ch</strong> werde ihn erwecken am letzten Tag. Obwohl Jesu Wort seinen<br />

Hörern bloß widersinnig und ärgerli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint, bleibt er dabei, lebendig<br />

werde der Mens<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong>, daß er sein Fleis<strong>ch</strong> esse und sein Blut trinke, und<br />

das gelte so gewiß, daß, wer es ni<strong>ch</strong>t ißt und ni<strong>ch</strong>t trinkt, das Leben ni<strong>ch</strong>t in<br />

si<strong>ch</strong> habe, sondern arm, finster und leer bleibe und dem Tode preisgegeben sei.<br />

Indem Jesus ni<strong>ch</strong>t nur auf seinen Leib hinzeigt, sondern ausdrückli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf<br />

sein Blut, matht er deutli<strong>ch</strong>er, was er s<strong>ch</strong>on mit dem Geben des Fleis<strong>ch</strong>es angedeutet<br />

hat, daß er von seinem Sterben spri<strong>ch</strong>t. Er verkündigt denen, die si<strong>ch</strong> an<br />

seiner Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit ärgern, den Segen seines Todes. Aus der Kreuzestar<br />

kommt ihm die Heilandsma<strong>ch</strong>t, aus seiner Dahingabe des Leibes und Blutes<br />

jenes Leben, das alle belebt, die ihm der Vater s<strong>ch</strong>enkt. Darum dürfen si<strong>ch</strong> die<br />

Seinen ni<strong>ch</strong>t von ihm trennen, wenn sie sehen, daß er si<strong>ch</strong> Leib und Blut ni<strong>ch</strong>t<br />

bewahrt, vielmehr sie fahren und si<strong>ch</strong> nehmen läßt. <strong>Das</strong> ist kein Hindernis für<br />

sein Christusamt; umgekehrt, so wird er zum Lebensbrot. Freili<strong>ch</strong> bleibt ihm<br />

dur<strong>ch</strong> das Sterben hindur<strong>ch</strong> nur der verbunden, den der Vater selbst mit ihm<br />

dadur<strong>ch</strong> verbunden hat, daß er ihm glaubt.<br />

Er bezeugt <strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur, daß er Fleis<strong>ch</strong> und Blut gebe, sondern<br />

daß der, der an ihn glaube, es zu essen und zu trinken habe und dadur<strong>ch</strong> ins<br />

Leben komme. Dadur<strong>ch</strong> wendet er das Begehren und Empfangen der Seinigen


loo Die Galiläer verlassen ihn<br />

hin zu seinem Fleis<strong>ch</strong> und Blut. Sie dürfen ni<strong>ch</strong>t daran vorbeis<strong>ch</strong>auen, als wäre<br />

es etwas Geringes und Nebensä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es, was man au<strong>ch</strong> übersehen dürfte, so daß<br />

man es zwar hinnehmen müsse, daß er sterbe, dann aber si<strong>ch</strong> freuen dürfe, daß<br />

es vorüber sei, und ni<strong>ch</strong>t weiter daran zu denken habe. Es bleibt vielmehr sein<br />

an das Kreuz gehängter Leib und sein vergossenes Blut für sie stets die Wohltat,<br />

auf der ihr Glaube si<strong>ch</strong> erbaut, und für immer das. Mittel ihrer Errettung.<br />

Als das re<strong>ch</strong>te, von Gott ihnen gegebene Nahrungsmittel müssen sie dasselbe<br />

s<strong>ch</strong>ätzen und behandeln, da<strong>na<strong>ch</strong></strong> greifen, es in si<strong>ch</strong> aufnehmen und in si<strong>ch</strong><br />

haben; nur dadur<strong>ch</strong> fällt ihnen das Leben zu.<br />

Daß im „Essen" und „Trinken" ein Glei<strong>ch</strong>nis Hegt, ist ebenso offenbar, wie<br />

wenn er si<strong>ch</strong> ein Brot nennt. Er spra<strong>ch</strong> von dem Fleis<strong>ch</strong>, mit dem er in der<br />

Synagoge von Kapernaum stand und das <strong>na<strong>ch</strong></strong>her am Kreuzespfahl hing, von<br />

dem Blut, das er in Kapernaum in si<strong>ch</strong> trug als den natürli<strong>ch</strong>en Grund seiner<br />

Lebendigkeit und das <strong>na<strong>ch</strong></strong>her am Kreuz vers<strong>ch</strong>üttet worden ist. <strong>Das</strong> gab er<br />

niemand in den Mund. Was wir mit seinem Fleis<strong>ch</strong> und Blut zu tun haben, ist<br />

ni<strong>ch</strong>t Kauen und S<strong>ch</strong>lucken, sondern das, daß wir in seinem gekreuzigten Leib<br />

und vergossenen Blut den Grund unseres Lebens erkennen, daran unser Glauben<br />

und Hoffen hängen und daraus unser Denken und Wollen ziehen. Geht<br />

das Verlangen des Mens<strong>ch</strong>en auf den Gekreuzigten, so wird ihm wegen des<br />

Leibes, der dort am Pfahle hing, wegen des Blutes, das dort vergossen ward,<br />

heute no<strong>ch</strong> und ewigli<strong>ch</strong> die göttli<strong>ch</strong>e Gnade zuteil, die unseren ganzen Lebensstand<br />

ergreift, uns ins göttli<strong>ch</strong>e Vergeben setzt und uns dem Christus eigen,<br />

dem Geiste Gottes offen und des himmlis<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>es teilhaft ma<strong>ch</strong>t. So geht<br />

sein Fleis<strong>ch</strong> und Blut in uns ein, wird „gegessen" und „getrunken" und uns als<br />

das wahrhaftige Lebensmittel einverleibt.<br />

Diese Worte sind mehr als nur eine dunkle Weissagung auf da» Abendmahl,<br />

bes<strong>ch</strong>reiben uns vielmehr den Heilandswillen Jesu, aus dem die ganze Kreuzestat<br />

erwa<strong>ch</strong>sen ist. Aus dieser selben Gewißheit, die er hier ausgespro<strong>ch</strong>en<br />

hat, hat er au<strong>ch</strong> in der Leidens<strong>na<strong>ch</strong></strong>t gehandelt, als er seinen Leib und sein Blut<br />

mit dem Brot und Wein den Jüngern als sein Vermä<strong>ch</strong>tnis übergab. Weil er,<br />

wie er hier sagt, in seinem Sterben die Heilandstat in seinem Leib das wirksame<br />

Brot, in seinem Blut den wahrhaften Trank erkennt, darum gab er ihnen beim<br />

letzten Mahle das Brot und den Kel<strong>ch</strong> mit der Erklärung, daß er ihnen damit<br />

seinen Leib und sein Blut zur Speise gebe, und darum aß und ißt seine Gemeinde<br />

jenes Brot und trinkt jenen Kel<strong>ch</strong>, um Anteil an seinem Leib und Blut<br />

zu haben. Indem uns Jesus dur<strong>ch</strong> sein Mahl denselben Heilandswillen mit der<br />

Tat kundtut, den er hier im Wort ausspri<strong>ch</strong>t, und uns dort besonders deutli<strong>ch</strong><br />

und dringli<strong>ch</strong> seinen gekreuzigten Leib und sein vergossenes Blut als den Grund


<strong>Johannes</strong> 6,55-62 loi<br />

der Gnade vorhält, hilft er uns besonders kräftig, das zu tun, was er uns hier<br />

tun heißt, „sein Fleis<strong>ch</strong> zu essen" und „sein Blut zu trinken", dankbar in dem<br />

Segen seiner Kreuzestat zu stehen und die Fru<strong>ch</strong>t seines Sterbens gläubig zu begehren<br />

und zu empfangen.<br />

6,55-56: Denn mein Fleis<strong>ch</strong> ist wahrhafte Speise und mein Blut wahrhafter<br />

Trank. Wer mein Fleis<strong>ch</strong> ißt und mein Blut trinkt, bleibt in mir und i<strong>ch</strong> in ihm.<br />

Fassen wir im Kreuz die Gnade, im Sterbenden den Heiland, dann ist die Verbindung<br />

da, die uns bei ihm hält und ihn bei uns, die uns in ihn hineinversetzt<br />

als in den, der uns trägt, und ihn zu uns bringt, daß er in uns gegenwärtig ist<br />

und uns gestaltet und bewegt <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem Wohlgefallen. Indem er das Irdis<strong>ch</strong>e<br />

an si<strong>ch</strong> opfert und abtut, gewinnt er jene über alle natürli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ranken erhöhte<br />

inwendige Gegenwart bei uns, die uns im Grunde unseres Lebens ihm<br />

verbunden ma<strong>ch</strong>t. Damit wiederholt si<strong>ch</strong> im Abbild, was zwis<strong>ch</strong>en dem Sohn<br />

und dem Vater im Urbild besteht. 6,57. 58: Wie mi<strong>ch</strong> der lebendige Vater<br />

sandte und i<strong>ch</strong> des Vaters wegen lebe, so wird au<strong>ch</strong> der, der mi<strong>ch</strong> ißt, um meinetwillen<br />

leben. <strong>Das</strong> ist das Brot, das vom Himmel herabkam, ni<strong>ch</strong>t, wie die<br />

Väter es aßen und starben. Wer dieses Brot ißt, wird ewigli<strong>ch</strong> leben. In seiner<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater gewinnt der Sohn das Leben, und deshalb gibt<br />

er es an die Mens<strong>ch</strong>en dadur<strong>ch</strong>, daß er ni<strong>ch</strong>t nur bis zum Tod mit ihnen Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

hält, sondern dur<strong>ch</strong> sein Kreuz, dur<strong>ch</strong> sein in den Tod gegebenes<br />

Fleis<strong>ch</strong> und Blut sie neu herstellt und vollendet, nun für sie zum vollkommenen<br />

Heil, das über den Tod hinaufgehoben ist.<br />

6,59.60: <strong>Das</strong> sagte er, als er in Kapernaum in der Versammlung lehrte.<br />

Nun sagten viele von seinen Jüngern, die es hörten: Dieses Wort ist hart. Wer<br />

kann es hören? Im Fleis<strong>ch</strong> und Blut und Sterben ewiges Leben zu su<strong>ch</strong>en, ers<strong>ch</strong>ien<br />

ni<strong>ch</strong>t bloß den Juden, sondern au<strong>ch</strong> vielen unter seinen Jüngern als eine<br />

unerhörte Zumutung, in die sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t finden konnten. Da gab ihnen Jesus,<br />

was sie zum Verständnis seiner Verheißung führen konnte. 6,61. 62: Da aber<br />

Jesus bei si<strong>ch</strong> wußte, daß seine jünger darüber murren, sagte er ihnen: <strong>Das</strong><br />

bringt eu<strong>ch</strong> zu Fall? Wie denn, wenn ihr den Sohn des Mens<strong>ch</strong>en hinaufgehen<br />

sehet dahin, wo er vordem war? Was auf das Sterben folgt, ist die Auffahrt<br />

des Mens<strong>ch</strong>ensohnes in seine Heimat, an seinen ersten Ort, zu Gottes Thron.<br />

<strong>Das</strong> bringt Li<strong>ch</strong>t in die Weise, wie aus seinem Leib das Brót und aus seinem<br />

Blut der Trank für uns wird. Daran zeigt si<strong>ch</strong> einmal, daß wir uns an sein<br />

Sterben halten müssen, weil uns dadur<strong>ch</strong> die Gnade hier auf Erden vor unseren<br />

Augen erwiesen ist, und darauf allein kann si<strong>ch</strong> unser Glaube gründen.<br />

Na<strong>ch</strong>her s<strong>ch</strong>eidet er aus der Welt und ist wieder an Gottes verborgenem Ort.<br />

Mit seinem Blut redet er wahrnehmbar zu uns; mit seinem Sterbea beruft er


IO2 Die Galiläer verlassen ihn<br />

uns in heller Deutli<strong>ch</strong>keit. Will er uns in der Kreuzesgestalt ni<strong>ch</strong>t gefallen,<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>her sehen wir ihn ni<strong>ch</strong>t mehr und können unseren Glauben nirgends mehr<br />

anheften. Darum gilt es, si<strong>ch</strong> an seinem Kreuzesweg ni<strong>ch</strong>t zu ärgern, sondern<br />

sein Fleis<strong>ch</strong> und sein Blut als das zu s<strong>ch</strong>ätzen, wozu es Jesu Gnade für uns<br />

ma<strong>ch</strong>t. Weiter sagt dieses Wort, warum in die irdis<strong>ch</strong>e Natur, die Jesus an si<strong>ch</strong><br />

trägt, die unvergängli<strong>ch</strong>e Kraft und innerli<strong>ch</strong>e Wirkung tritt. Der, der sein<br />

Blut vergießt, fährt empor und tritt aus dem Leiden in die Ewigkeits- und<br />

Herrli<strong>ch</strong>keitsgestalt Gottes. <strong>Das</strong> ma<strong>ch</strong>t die Fru<strong>ch</strong>t seiner Hingabe unvergängli<strong>ch</strong>,<br />

die Wirkung seines Kreuzes unzerstörbar, überall gegenwärtig und jedem<br />

inwendig nahe. Darum kann man das, was er dort der Welt gegeben hat, wirkli<strong>ch</strong><br />

„essen", so wenig man es in den Mund nehmen kann, und ewiges Leben<br />

daraus ziehen, weil der, der zum Kreuze tritt, den Erhöhten findet und die<br />

Kreuzesgnade vom Throne Gottes aus ihr Werk vollzieht.<br />

Darum hat er uns no<strong>ch</strong> mehr zu geben als nur Fleis<strong>ch</strong> und Blut, und dadur<strong>ch</strong><br />

wird verständli<strong>ch</strong>, warum er sein Fleis<strong>ch</strong> und Blut so ho<strong>ch</strong> zu preisen vermag.<br />

6,6} : Der Geist ist das, was lebendig ma<strong>ch</strong>t; das Fleis<strong>ch</strong> hilft ni<strong>ch</strong>ts. Die Worte,<br />

die i<strong>ch</strong> zu eu<strong>ch</strong> geredet habe, sind Geist und sind Leben. Könnte er uns nur sein<br />

Fleis<strong>ch</strong> geben, bloß das, was wir selbst haben und Jesus mit uns teilt, so wäre<br />

das ni<strong>ch</strong>t das Brot des Lebens. Was Jesus s<strong>ch</strong>on Nikodemus gesagt hat, bezeugt<br />

er mit fester Gewißheit, daß aus der natürli<strong>ch</strong>en Kraft des Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t<br />

ewiges Leben kommt; hätte er ni<strong>ch</strong>t mehr als wir, so könnte au<strong>ch</strong> er es uns<br />

fli<strong>ch</strong>t geben. Au<strong>ch</strong> an ihm ist Fleis<strong>ch</strong> und Blut das Sterbli<strong>ch</strong>e, was er ni<strong>ch</strong>t behalten<br />

kann, sondern in den Tod gibt, und denno<strong>ch</strong> preist er es als das Lebensbrot,<br />

weil er dur<strong>ch</strong> die Dahingabe desselben uns den Geist erwirbt und uns<br />

als seinen Kreuzessegen den Geist senden kann. Als er vom Wasser spra<strong>ch</strong>, der<br />

Gabe, die der Täufer Israel gebra<strong>ch</strong>t hat, fügte er, damit wir verstehen, wie<br />

das Wasser Kinder Gottes ma<strong>ch</strong>e, den Geist hinzu, 3,5. Jetzt, da er von seinem<br />

Leib und Blut redet, der Gabe, die er seiner Gemeinde gibt, zeigt er wieder hin<br />

auf den Geist. Der Geist führt die Seinen ni<strong>ch</strong>t von ihm weg, sondern zu ihm<br />

hin, erhebt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t über das, was sein irdis<strong>ch</strong>er Dienst erwarb, sondern<br />

ma<strong>ch</strong>t dies in ihnen lebendig. Dur<strong>ch</strong> den Geist haftet an dem, was natürli<strong>ch</strong><br />

ist, eine Wirkung, die das Innere der Person ergreift, und wird aus dem, was<br />

in der Zeit ges<strong>ch</strong>ah, eine ewige Gabe, die in aller Zeit dieselbe bleibt. Die<br />

Worte, mit denen er seinen Tod verkündigt und als seine Heilandstat gepriesen<br />

hat, sind Geist, aus dem Geist geboren, des Geistes Willen kundtuend,<br />

des Geistes Werk bes<strong>ch</strong>reibend, darum audi besiegelt, wahr gema<strong>ch</strong>t und zur<br />

Wirkli<strong>ch</strong>keit gebra<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> den Geist, und weil sie Geist sind, s<strong>ch</strong>affen sie<br />

das Leben.


<strong>Johannes</strong> 6,63-69 ' 103<br />

Woher rührt denn der Anstoß sogar unter denen, die s<strong>ch</strong>on man<strong>ch</strong>en Tag<br />

mit ihm gewandert sind? Weshalb können sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in das finden, daß<br />

er ihnen ni<strong>ch</strong>t im Wunder, sondern in der Niedrigkeit, ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Brot<br />

oder Manna, sondern dur<strong>ch</strong> sein Fleis<strong>ch</strong> und Blut, ni<strong>ch</strong>t in der strahlenden<br />

<strong>Offenbarung</strong> seiner Herrli<strong>ch</strong>keit, sondern in der Kreuzesgestalt das ewige<br />

Leben bereitet? 6,64a: Aber es sind unter eu<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e, die ni<strong>ch</strong>t glauben. Dadur<strong>ch</strong><br />

sind sie innerli<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ieden von ihm und gehen deshalb freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

mit ihm, wenn er si<strong>ch</strong> ans<strong>ch</strong>ickt zu seiner Heilandstat. 6,64b. 65: Denn Jesus<br />

wußte von Anfang an, wer die seien, die ni<strong>ch</strong>t glauben, und wer der sei, der ihn<br />

überantworten werde. Und er sagte: Deshalb habe i<strong>ch</strong> zu eu<strong>ch</strong> gesagt, daß<br />

keiner zu mir kommen kann, wenn es ihm ni<strong>ch</strong>t vom Vater gegeben ist. <strong>Johannes</strong><br />

sagt, daß niemand Jesus täus<strong>ch</strong>te, au<strong>ch</strong> der Verräter ni<strong>ch</strong>t, und spri<strong>ch</strong>t<br />

aus, weshalb er ein sol<strong>ch</strong>es Sterben und Verderben der Mens<strong>ch</strong>en sogar in seinem<br />

eigenen Kreise ungebro<strong>ch</strong>en trug, wie er es aushalten konnte, wenn er<br />

selbst die, die bei ihm waren, inwendig ni<strong>ch</strong>t alle zu fassen und an si<strong>ch</strong> zu<br />

ziehen vermo<strong>ch</strong>te, so daß er sogar das Werden des Verrates im eigenen Jünger<br />

trug. Er s<strong>ch</strong>aut auf den Vater und beugt si<strong>ch</strong> unter dessen Urteil. Wer dem<br />

Vater gehört, dem gibt Jesus seine Liebe; den kann sie aber au<strong>ch</strong> inwendig ergreifen<br />

und Glauben in ihm wecken. Wer dem Vater ni<strong>ch</strong>t gehört, der ist au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t sein. Au<strong>ch</strong> das Mitempfinden und Mitleiden mit dem Mens<strong>ch</strong>en reißt ihn<br />

ni<strong>ch</strong>t vom Vater los. Ganz ist er an ihn anges<strong>ch</strong>lossen, darum ganz dem Mens<strong>ch</strong>en<br />

verbunden, der dem Vater gehört. Ist der Mens<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> von Gott ges<strong>ch</strong>ieden,<br />

dann läßt er ni<strong>ch</strong>t seinethalben den Vater fahren, sondern kehrt si<strong>ch</strong><br />

gegen den Mens<strong>ch</strong>en in der heiligen Majestät des Geri<strong>ch</strong>ts.<br />

6,66.6j: Von da an gingen viele seiner Jünger rückwärts und wanderten<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr mit ihm. Nun sagte Jesus zu den Zwölf: Wollt au<strong>ch</strong> ihr weggehen?<br />

Dadur<strong>ch</strong>, daß Jesus au<strong>ch</strong> den Zwölf, die er si<strong>ch</strong> erwählt hatte, damit si<strong>ch</strong> von<br />

ihnen aus die Gemeinde bilde, die Frage vorlegt, ob ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> sie si<strong>ch</strong> von ihm<br />

trennen wollen, erhalten wir einen tiefen Einblick in sein Leiden. Er war in die<br />

Enge gedrängt; gingen au<strong>ch</strong> die Zwölf no<strong>ch</strong> weg, so war er allein und seine<br />

Arbeit zerstört. Aber das ließ die allmä<strong>ch</strong>tige Gnade ni<strong>ch</strong>t zu, daß er der Welt<br />

vergebli<strong>ch</strong> diene. Die Zwölf waren ihm fest verbunden.<br />

6,68.69: Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir weggehenf<br />

Du hast Worte ewigen Lebens. Und wir haben geglaubt und erkannt, daß dn<br />

der Heilige Gottes bist. Er weiß ni<strong>ch</strong>t, gegen wen er ihn vertaus<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>em<br />

anderen Herrn er si<strong>ch</strong> ergeben sollte an seiner Statt. Worte, die ewiges Leben<br />

geben, hat nur er. Und nun bri<strong>ch</strong>t das Bekenntnis hervor, das den, der es in<br />

Wahrheit im Herzen trägt, für immer mit Jesus verbindet: Du bist der Heilige


1O4 Die Galiläer verlassen ihn<br />

Gottes; das war den Jüngern als helle Wahrheit gewiß geworden und zog ihr<br />

ganzes Vertrauen zu ihm. .<br />

Allein au<strong>ch</strong> im Jüngerkreise findet si<strong>ch</strong> einer, für den Jesus ni<strong>ch</strong>t zum Boten<br />

der Gnade wird, sondern über den er das Urteil des Ri<strong>ch</strong>ters spri<strong>ch</strong>t. Wie er<br />

gegen Kapernaum das Re<strong>ch</strong>t Gottes heiligte und das, was von Gott ges<strong>ch</strong>ieden<br />

war, stürzen ließ, so bleibt er au<strong>ch</strong> seinen eigenen Jüngern gegenüber der, der<br />

die Bosheit von si<strong>ch</strong> stößt. 6,70. 71: Jesus antwortete ihnen: Habe i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

eu<strong>ch</strong>, die Zwölf, erwählt? Und einer von eu<strong>ch</strong> ist ein Verkläger. Er spra<strong>ch</strong> aber<br />

von Judas, dem Sohn Simons, des Iskariof.es. Denn dieser überantwortete ihn<br />

her<strong>na<strong>ch</strong></strong>, einer von den Zwölf. Wie er dem Glaubenden das Werk Gottes in<br />

seinem Herzen zeigt, das ihn zu Jésus hingeleitet hat, so zeigt er au<strong>ch</strong> dem<br />

Bösen, daß seine Bosheit das Werk des Meisters ist, der ihn regiert. Er nimmt<br />

au<strong>ch</strong> hier die Hüllen weg und gibt seinem Wort die dur<strong>ch</strong>dringende Klarheit<br />

eines Urteils, das den Mens<strong>ch</strong>en ganz zers<strong>ch</strong>lägt. Trotz der Erwählung, die er<br />

empfangen hat, hat der eine unter ihnen denno<strong>ch</strong> seinen Willen dem Teufel<br />

überlassen, Sinnes- und Willenseinheit mit ihm hergestellt und damit in si<strong>ch</strong><br />

selbst das Bild und die Art des Teufels empfangen und gewirkt.<br />

Matthäus und <strong>Johannes</strong> haben uns beide über das Bekenntnis des Petrus<br />

Beri<strong>ch</strong>t gegeben, dur<strong>ch</strong> das Jesus den Ans<strong>ch</strong>luß seiner Jünger an ihn festgema<strong>ch</strong>t<br />

hat, ehe er sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem mitnahm; der Unters<strong>ch</strong>ied im Fortgang ihrer<br />

Erzählung ist dabei merkwürdig. Bei Matthäus antwortet Jesus dem Bekenntnis<br />

des Petrus mit seiner königli<strong>ch</strong>en Zusage, die ihm die Herrli<strong>ch</strong>keit seines<br />

apostolis<strong>ch</strong>en Werks enthüllt; er gibt ihm die S<strong>ch</strong>lüssel des Himmelrei<strong>ch</strong>s und<br />

die Vollma<strong>ch</strong>t, in Gottes Ma<strong>ch</strong>t zu binden und zu lösen. Bei <strong>Johannes</strong> ist dagegen<br />

ni<strong>ch</strong>t vom hohen Amt des Jüngers die Rede, sondern vom Sturz und<br />

Geri<strong>ch</strong>t dessen, der dur<strong>ch</strong> Jesu Berufung ni<strong>ch</strong>t zum Diener Gottes, sondern<br />

zum Gehilfen des Teufels geworden ist. Hier s<strong>ch</strong>ließt das eine Wort das andere<br />

ni<strong>ch</strong>t aus. Jesus hat mit den Seinen über beides gespro<strong>ch</strong>en, über den herrli<strong>ch</strong>en<br />

Dienst, zu dem der glaubende Jünger berufen ist, und über den Untergang,<br />

dem der verfällt, der ihm sein Herz vers<strong>ch</strong>lossen hielt. Aber die Ri<strong>ch</strong>tung,<br />

in der das Auge des <strong>Johannes</strong> bei seinem Beri<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>aut, wird dadur<strong>ch</strong><br />

hell erkennbar. Er stellt uns dar, wie si<strong>ch</strong> verbunden mit Jesu Dienst au<strong>ch</strong> das<br />

ri<strong>ch</strong>tende Wirken Gottes in seiner ernsten Majestät vollzogen hat. Israel behält<br />

seinen eigenen Sinn und Willen und fällt, Jerusalem zuerst, dann au<strong>ch</strong><br />

Kapernaum; der weitere Jüngerkreis will si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Jesus untergeben und<br />

fällt; selbst im Kreise der auserwählten Zwölf stürzt der eine. Jesus steht<br />

mitten in diesem Sturz und Sterben uners<strong>ch</strong>üttert und wird dur<strong>ch</strong> den Unglauben<br />

der Welt ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> selbst verwirrt, sondern bleibt seiner Sendung


<strong>Johannes</strong> 6,y o. 71; 7,1—4<br />

gewiß auf dem Kreuzesweg und weiß, daß er mit der Dahingabe seines<br />

Fleis<strong>ch</strong>es und Blutes den Seinen das ewige Leben verleiht.<br />

Kapitel 7—12<br />

Jesu Kampf mit Israels Gottlosigkeit<br />

Kapitel 7,1—13<br />

Jesus geht heimli<strong>ch</strong> zum Laubhütten fest<br />

<strong>Johannes</strong> erzählt die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Jesu ni<strong>ch</strong>t nur zum Erweis der göttli<strong>ch</strong>en<br />

Gnade, sondern au<strong>ch</strong> zur Darstellung der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Sünde in ihrer ganzen<br />

Fur<strong>ch</strong>tbarkeit. <strong>Das</strong> Li<strong>ch</strong>t kommt in die Welt und enthüllt ihr den lebendigen<br />

Gott in seiner Wahrheit und Gnade; es zieht aber au<strong>ch</strong> von der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Bosheit alle Decken weg. <strong>Johannes</strong> hat deshalb eingehend bes<strong>ch</strong>rieben, wie<br />

Jesus den Juden mit dem heiligen Ernst des Ri<strong>ch</strong>ters, der das Böse offenbart<br />

und straft, und do<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig bis zum S<strong>ch</strong>luß mit der unermüdli<strong>ch</strong>en Gnade,<br />

die immer wieder zur Umkehr beruft, entgegengetreten ist. Dadur<strong>ch</strong> erläutert<br />

er, wie es zur Kreuzigung kam.<br />

7,1: Und her<strong>na<strong>ch</strong></strong> wanderte Jesus dur<strong>ch</strong> Galiläa; denn er wollte ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong><br />

Judäa wandern, weil ihn die Juden zu töten su<strong>ch</strong>ten. In dem auf das Pas<strong>ch</strong>a<br />

folgenden Sommer mied Jesus Judäa, weil die Führer der Gemeinde bereits<br />

seine Hinri<strong>ch</strong>tung wollten. Au<strong>ch</strong> am Ges<strong>ch</strong>ick des Paulus läßt si<strong>ch</strong> beoba<strong>ch</strong>ten,<br />

wie ernst die Gefahr war, wenn si<strong>ch</strong> in der Judens<strong>ch</strong>aft über jemand die Überzeugung<br />

festsetzte, er müsse als ein Verführer der Gemeinde zu Gottes Ehre<br />

und zum S<strong>ch</strong>utz des Volks beseitigt werden. Sie war aber für Jesus no<strong>ch</strong> unglei<strong>ch</strong><br />

größer, weil er dur<strong>ch</strong> seinen Anspru<strong>ch</strong> an die königli<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aft dem<br />

Kampf mit dem Volk die größte Vers<strong>ch</strong>ärfung gab.<br />

7,2—4: Es war aber das Fest der Juden, die Laubhütten, nahe. Nun sagten<br />

seine Brüder zu ihm: Geh von hier fort, und ziehe <strong>na<strong>ch</strong></strong> Judäa, damit au<strong>ch</strong><br />

deine Jünger deine Werke sehen, die du tust. Denn niemand tut etwas im Verborgenen<br />

und will do<strong>ch</strong> freudige Zuversi<strong>ch</strong>t haben. Wenn du sol<strong>ch</strong>es tust, so<br />

ma<strong>ch</strong>e di<strong>ch</strong> für die Welt offenbar. Die Brüder drängten ihn, das Fest, an dem<br />

das ganze Volk in der Stadt versammelt war, zu einem ents<strong>ch</strong>eidenden S<strong>ch</strong>ritt<br />

zu benutzen. Es mißfiel ihnen, daß Jesus die großen Dinge, die er tat, in Galiläa<br />

tue, wo sie unnütz blieben. Ihnen s<strong>ch</strong>ien es s<strong>ch</strong>ade, daß er das Volk in den<br />

Bergen des Golan gespeist hatte; hätte er es do<strong>ch</strong> auf dem Marktplatz von Jerusalem<br />

getan, -wie ganz anders wäre die Wirkung gewesen. Seine Jünger<br />

müssen do<strong>ch</strong> seine Werke sehen und das jetzt; denn wenn er das Fest unbenutzt<br />

verstrei<strong>ch</strong>en läßt, so hat er den günstigen Zeitpunkt wieder für ein halbes<br />

IO 5


io6 Jesu Kampf mit Israels Gottlosigkeit<br />

Jahr vers<strong>ch</strong>erzt. So s<strong>ch</strong>mälert er si<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Meinung sein gutes Gewissen<br />

und die Zuversi<strong>ch</strong>t, die er do<strong>ch</strong> haben könnte. Wer etwas heimli<strong>ch</strong> tut, zieht<br />

daraus ni<strong>ch</strong>t denjenigen Freimut und diejenige Si<strong>ch</strong>erheit des "Wortes und<br />

Werkes, die er hätte, falls er sein Werk öffentli<strong>ch</strong> täte. Es dünkt sie, er wolle<br />

Unvereinbares zuglei<strong>ch</strong>. Bleibt er auf seinem Wege, dann muß er si<strong>ch</strong> der<br />

Welt zeigen und ihr offen darlegen, was er will und kann. Will er das ni<strong>ch</strong>t,<br />

sondern im Verborgenen bleiben, dann ließe er seine Werke besser ungetan.<br />

Der Unwille der Brüder über seine Verborgenheit traf im Grunde den Kreuzesweg.<br />

Ihr Rat, der ihn meistern und vom Kreuzesweg abtreiben wollte,<br />

bra<strong>ch</strong>te ans Li<strong>ch</strong>t, daß au<strong>ch</strong> sie ihm inwendig fern geblieben waren, ihren Sinn<br />

und Willen gegen ihn behaupteten und si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t unter, sondern über ihn stellten.<br />

7,5: Denn au<strong>ch</strong> seine Brüder glaubten ni<strong>ch</strong>t an ihn.<br />

Damit ist das, was uns <strong>Johannes</strong> iiber Jesu Einsamkeit sagte, no<strong>ch</strong> in einem<br />

wesentli<strong>ch</strong>en Stück ergänzt. Ni<strong>ch</strong>t nur das Volk und ni<strong>ch</strong>t nur die größere<br />

S<strong>ch</strong>ar seiner Jünger wi<strong>ch</strong>en von ihm, au<strong>ch</strong> die Seinigen. Er hatte ni<strong>ch</strong>t einmal<br />

seine Brüder auf dem Leidensweg bei si<strong>ch</strong>, daß sie ihm Glauben und Treue gehalten<br />

hätten. Na<strong>ch</strong>her, von den Ostertagen an, wurden seine Brüder bald<br />

Führer in der Kir<strong>ch</strong>e Palästinas, und als <strong>Johannes</strong> sein <strong>Evangelium</strong> s<strong>ch</strong>rieb,<br />

wußte in der Kir<strong>ch</strong>e jedermann, daß sie später seine treuen Zeugen gewesen<br />

sind. Darum hebt es <strong>Johannes</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong> hervor, daß au<strong>ch</strong> sie, als es zum<br />

Leiden ging, si<strong>ch</strong> von Jesus s<strong>ch</strong>ieden und er ganz allein blieb und allein aufre<strong>ch</strong>t<br />

trug, was alle fallen ma<strong>ch</strong>te. Ihr Anspru<strong>ch</strong> an Jesus war au<strong>ch</strong> jetzt wieder ähnli<strong>ch</strong><br />

dem, den Maria s<strong>ch</strong>on in Kana an ihn ri<strong>ch</strong>tete. Seiner Familie lag es vor<br />

allem am Herzen, daß er sein Wirken erfolgrei<strong>ch</strong> und glanzvoll ma<strong>ch</strong>e. Verzi<strong>ch</strong>tete<br />

er auf Ehre und Ma<strong>ch</strong>t, so wurden au<strong>ch</strong> sie mit davon betroffen. Die<br />

S<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>, die auf ihn fiel, berührte au<strong>ch</strong> sie, während sie si<strong>ch</strong> an seiner Ehre<br />

mit ihm hoben. Darum wurde es seinen Angehörigen besonders s<strong>ch</strong>wer, si<strong>ch</strong> in<br />

Jesu Kreuzesweg geduldig zu ergeben.<br />

Jesus hielt den Brüdern vor, wie vers<strong>ch</strong>ieden seine und ihre Lage sei. 7,6—8:<br />

Nun sagt Jesus zu ihnen: Meine Zeit ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t da; aber eure Zeit ist immer<br />

vorhanden. Die Welt kann eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hassen; mi<strong>ch</strong> aber haßt sie, weil i<strong>ch</strong> über<br />

sie zeuge, daß ihre Werke böse sind. Geht ihr zum Fest hinauf! I<strong>ch</strong> gehe zu<br />

diesem Fest ni<strong>ch</strong>t hinauf, weil meine Zeit no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erfüllt ist. Ni<strong>ch</strong>t die Brüder,<br />

nur Jesus ist vom Haß der Welt verfolgt. Diesen Haß kann er ni<strong>ch</strong>t<br />

ändern, weil er aus seinem Bußwort kommt. Er kann die Werke der Mens<strong>ch</strong>en<br />

ni<strong>ch</strong>t gutheißen, ma<strong>ch</strong>t vielmehr dur<strong>ch</strong> sein Wort und dur<strong>ch</strong> sein Handeln ihre<br />

Verwerfli<strong>ch</strong>keit si<strong>ch</strong>tbar. Da gibt es keinen Frieden. Darum ist es für ihn ein<br />

ernster Gang, wenn er <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem geht. Weil es sein Gang zum Kreuz ist,


<strong>Johannes</strong> 7,5-13<br />

wenn er tut, was die Brüder wollen, und si<strong>ch</strong> mit öffentli<strong>ch</strong>er Bezeugung seiner<br />

Sendung <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem begibt, geht er zu diesem Feste ni<strong>ch</strong>t hinauf; denn<br />

seine Zeit ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu Ende. 7,9: Na<strong>ch</strong>dem er dies zu ihnen gesagt hatte,<br />

blieb er in Galiläa. So zogen denn die Brüder fort, verwirrt und unzufrieden.<br />

7,10: Als aber seine Brüder zum Fest hinaufgezogen waren, da ging au<strong>ch</strong> er<br />

hinauf, ni<strong>ch</strong>t öffentli<strong>ch</strong>, sondern glei<strong>ch</strong>sam heimli<strong>ch</strong>. Erst als die Pilger weg<br />

waren und das Fest s<strong>ch</strong>on im Gang war, ging er do<strong>ch</strong>. So blind und mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />


io8 Der Kampf in der Mitte des Festes<br />

ängstigend der Druck von oben, das harte Regiment der Theologen und Priester<br />

mit ihrer groben Kir<strong>ch</strong>enzu<strong>ch</strong>t, die mit Geißel, Bann und Hinri<strong>ch</strong>tung die<br />

Abwei<strong>ch</strong>enden zur Ruhe bra<strong>ch</strong>te. Darum verlief das Fest äußerli<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st<br />

wie immer; niemand spra<strong>ch</strong> laut.<br />

Kapitel 7,14—36<br />

Der Kampf in der Mitte des Festes<br />

Die ersten Festtage waren vorbei; da nahm Jesus in den Hallen des Tempelsdas<br />

Wort und bra<strong>ch</strong>te die Gemeinde sofort unter den Eindruck seiner Überlegenheit.<br />

7,14.15: Als man s<strong>ch</strong>on m der Mitte des Festes war, ging Jesus in den<br />

Tempel hinauf und lehrte. Nun verwunderten si<strong>ch</strong> die Juden und sagten: Wie<br />

•versteht dieser die S<strong>ch</strong>rift, während er ni<strong>ch</strong>t studiert hat? Es ist ein ähnli<strong>ch</strong>es<br />

Urteil, wie es uns Matthäus bei Gelegenheit der Bergpredigt vom Volk beri<strong>ch</strong>tet,<br />

7,29. Den in der S<strong>ch</strong>ule erzogenen, dur<strong>ch</strong> Studium herangebildeten<br />

Lehrern gli<strong>ch</strong> er ni<strong>ch</strong>t; das merkten sie. Er berief si<strong>ch</strong> auf keinen Meister und<br />

trat ni<strong>ch</strong>t als ein Kenner der geheiligten Überlieferung vor die Gemeinde mit<br />

beständiger und sorgfältiger Anlehnung an seine Genossen und Vorgänger.<br />

Fris<strong>ch</strong>, neu, aus seinem eigenen Sehen und Willen heraus kam sein Wort,,<br />

und do<strong>ch</strong> war es eins mit der S<strong>ch</strong>rift, legte sie aus, ma<strong>ch</strong>te sie hell und gab die<br />

alte Wahrheit neu. Die Gemeinde empfand, die Bibel habe er für si<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>t<br />

aber die Lehrer; darum war ihr Urteil geteilt. Halb war es ihr bang vor dem,,<br />

der ohne S<strong>ch</strong>utz der Überlieferung frei von der Leitung der Lehrer spra<strong>ch</strong>; hall><br />

bewunderte sie seine geistige Kraft, die der Hilfsmittel ni<strong>ch</strong>t bedürfe, die allea<br />

anderen unentbehrli<strong>ch</strong> sind.<br />

Bewunderung für seine Person und Geistesma<strong>ch</strong>t hat Jesus ni<strong>ch</strong>t gesu<strong>ch</strong>t»<br />

vielmehr beständig als des Glaubens Gegenteil und Verhinderung von si<strong>ch</strong><br />

weggestoßen. 7,16.17: Nun antwortete ihnen Jesus und spra<strong>ch</strong>: Meine Lehre<br />

ist ni<strong>ch</strong>t mein, sondern dessen, der mi<strong>ch</strong> sandte. Wenn jemand seinen Willen<br />

tun will, wird er über die Lehre erkennen, ob sie aus Gott ist oder ob i<strong>ch</strong> aus<br />

mir selbst rede. Sein Blick ist unverwandt auf den Vater geri<strong>ch</strong>tet, und dorthinlenkt<br />

er au<strong>ch</strong> unseren Blick. Nur als Bote des Vaters will er anges<strong>ch</strong>aut sein;<br />

nur so wird ihm geglaubt. Daran entsteht der Glaube oder der Unglaube, ob<br />

erkannt wird, daß er aus Gott spri<strong>ch</strong>t, oder ob wir meinen, es nur mit Jesus zutun<br />

zu haben, weil er uns nur das sage, was er selbst denke, empfinde und<br />

wolle, und aus si<strong>ch</strong> selber spre<strong>ch</strong>e. D/ie Erkenntnis des göttli<strong>ch</strong>en Grundes<br />

seines Wortes verheißt Jesus jedem, der den Willen Gottes tun will. Wer ni<strong>ch</strong>t<br />

der Kne<strong>ch</strong>t seiner Eigensu<strong>ch</strong>t ist, sondern da<strong>na<strong>ch</strong></strong> begehrt, daß Gottes Wille


<strong>Johannes</strong> 7,14—18 109<br />


lio Der Kampf in der Mitte des Festes<br />

wirksame Mittel, wodur<strong>ch</strong> wir aufri<strong>ch</strong>tig und vom Lügen erlöst werden: Abkehr<br />

des Willens von unserer Person, Tod der fals<strong>ch</strong>en Liebe, die uns selber<br />

gilt, Blick auf Gott und Gebundenheit unseres Wollens und liebens an ihn.<br />

Wer Gott hat, dem allein sind Lügen und S<strong>ch</strong>ein entbehrli<strong>ch</strong> geworden. Der<br />

tut au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Unre<strong>ch</strong>t, s<strong>ch</strong>ädigt die anderen ni<strong>ch</strong>t, nimmt ihnen ni<strong>ch</strong>ts, unterdrückt<br />

und verdirbt sie ni<strong>ch</strong>t, weil man mit Gott ni<strong>ch</strong>t zum Verderber, sondern<br />

zum Erhalter des Mens<strong>ch</strong>en wird und in seinem Dienst den anderen hilft<br />

und gibt. Beim Versu<strong>ch</strong>, uns selbst zu erhöhen, müssen dagegen immer die anderen<br />

die Kosten tragen. Dur<strong>ch</strong> ihre Erniedrigung wollen wir ho<strong>ch</strong>kommen<br />

und dur<strong>ch</strong> ihre Verarmung rei<strong>ch</strong> werden.<br />

Seinem eigenen, klaren, geraden Weg stellt Jesus das Verhalten der Juden<br />

gegenüber. 7,19: Hat ni<strong>ch</strong>t Mose eu<strong>ch</strong> das Gesetz gegeben? Und keiner von<br />

eu<strong>ch</strong> tut das Gesetz. Warum su<strong>ch</strong>t ihr mi<strong>ch</strong> zu töten? Mose wird von ihnen<br />

ho<strong>ch</strong> verehrt und gegen Jesus angerufen; denno<strong>ch</strong> tut keiner von ihnen sein<br />

Gesetz; und denno<strong>ch</strong> wollen sie Jesus töten, weil er das Gesetz gebro<strong>ch</strong>en habe.<br />

Darin ist weder Wahrheit no<strong>ch</strong> Gere<strong>ch</strong>tigkeit. <strong>Das</strong> Gesetz rühmen und es<br />

übertreten, Mose preisen und seinetwegen Jesus verwerfen, denno<strong>ch</strong> aber das<br />

Gesetz ni<strong>ch</strong>t halten, selbst Übertreter des Gesetzes sein und glei<strong>ch</strong>zeitig Jesus<br />

töten, weil er es übertrete, das sind krumme Wege und hohler S<strong>ch</strong>ein. Woher<br />

rührt das? Sie wollen ni<strong>ch</strong>t den Willen Gottes tun, sondern si<strong>ch</strong> selber groß<br />

ma<strong>ch</strong>en und ihre eigene Herrli<strong>ch</strong>keit strahlen lassen. Darum zergeht ihnen ihr<br />

ganzer Gottesdienst in Unwahrheit und S<strong>ch</strong>ein. So ist au<strong>ch</strong> ihr Eifer gegen Jesu<br />

Gesetzesbru<strong>ch</strong> weder Erfüllung des Gesetzes no<strong>ch</strong> Gehorsam gegen Gott,<br />

weder Wahrhaftigkeit no<strong>ch</strong> Gere<strong>ch</strong>tigkeit, wohl aber Unre<strong>ch</strong>t, Lüge, Selbstverherrli<strong>ch</strong>ung,<br />

Behauptung des eigenen Weges, des eigenen Willens, des eigenen<br />

Ruhms mit allen Mitteln. So kommen sie freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ins klare, ob das,<br />

was ihnen Jesus sagt, göttli<strong>ch</strong> sei oder ni<strong>ch</strong>t.<br />

Die Zuhörer waren tief beleidigt dur<strong>ch</strong> diese Anklage. Jetzt su<strong>ch</strong>te ihn p'ötzli<strong>ch</strong><br />

kein Mens<strong>ch</strong> mehr zu töten, und niemand hatte je einen sol<strong>ch</strong>en Gedanken<br />

gehabt. 7,20: Die Menge antwortete: Du.hast einen bösen Geist. Wer su<strong>ch</strong>t<br />

di<strong>ch</strong> zu töten? Sie meinen, nur ein s<strong>ch</strong>limmer Geist könne ihn treiben, sie so zu<br />

s<strong>ch</strong>elten, als täte keiner das Gesetz, und si<strong>ch</strong> mit sol<strong>ch</strong>em Argwohn und kranker<br />

Angst zu plagen ohne Grund.<br />

Jesus bleibt in seinem Wort. Der Zorn gegen ihn klammerte si<strong>ch</strong> in Jerusalem<br />

an jene Tat, dur<strong>ch</strong> die Jesus si<strong>ch</strong> gegen die Sabbatordnung vergangen<br />

hatte. Von da an galt er den Theologen der Stadt als ein erwiesener Sünder.<br />

Jesus widerlegt darum no<strong>ch</strong>mals ihren Zorn und benutzt dazu, was sie selber<br />

tun. 7,21—24: Jesus antwortete und sagte zu ihnen: I<strong>ch</strong> tat ein einziges Werk,


<strong>Johannes</strong> 7,19—27 ni<br />

und ihr wundert eu<strong>ch</strong> alle seinetwegen. Mose gab eu<strong>ch</strong> die Bes<strong>ch</strong>neidung, ni<strong>ch</strong>t<br />

weil sie von Mose kommt, sondern von den Vätern, und ihr bes<strong>ch</strong>neidet den<br />

Mens<strong>ch</strong>en am Sabbat. Wenn ein Mens<strong>ch</strong> am Sabbat die Bes<strong>ch</strong>neidung erhält,<br />

damit das Gesetz Moses ni<strong>ch</strong>t zerbro<strong>ch</strong>en werde, zürnt ihr mir, daß i<strong>ch</strong> den<br />

ganzen Mens<strong>ch</strong>en am Sabbat gesund gema<strong>ch</strong>t habe? Urteilt ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem<br />

S<strong>ch</strong>ein, sondern fällt das gere<strong>ch</strong>te Urteil! "Wenn au<strong>ch</strong> die Bes<strong>ch</strong>neidung von<br />

den Vätern ni<strong>ch</strong>t von Mose stammt, so hat sie ihnen do<strong>ch</strong> Mose gegeben, und<br />

als mosais<strong>ch</strong>e Ordnung wird sie von ihnen beoba<strong>ch</strong>tet. "Weil sie Mose im Gesetz<br />

befohlen hat, darum vollziehen sie dieselbe sogar am Sabbat, obwohl sie<br />

unzweifelhaft ein Werk ist und die Sabbatruhe unterbri<strong>ch</strong>t. Neben Mose<br />

stellt er si<strong>ch</strong> selbst; wie können sie ihm verbieten, was sie Moses wegen tun?<br />

Muß der Sabbat Moses wegen wei<strong>ch</strong>en, warum ist es an ihm eine Sünde, wenn<br />

er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> den Sabbat hindern ließ, zumal da seine Tat den ganzen<br />

Mens<strong>ch</strong>en gesund ma<strong>ch</strong>te und ni<strong>ch</strong>t nur einem Gliede seines Leibes die Form<br />

gab, die es <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Gesetze haben soll? Um eines einzigen Gliedes willen<br />

warten sie ni<strong>ch</strong>t, bis der Sabbat vorüber ist; ihn aber wollen sie zwingen, eine<br />

Wohltat wie die, die er dem Kranken erwies, aufzus<strong>ch</strong>ieben, die do<strong>ch</strong> den<br />

ganzen Bestand seiner Person und den ganzen Verlauf seines Lebens mä<strong>ch</strong>tig<br />

wendete und ihn die errettende Ma<strong>ch</strong>t Gottes offenbar und wirksam an seinem<br />

ganzen Leib erleben ließ. Jesus deswegen als Sünder zu verurteilen, während<br />

sie selbst eine Bes<strong>ch</strong>neidung am Sabbat für keine Sünde halten, ist ni<strong>ch</strong>t das gere<strong>ch</strong>te<br />

Geri<strong>ch</strong>t, sondern ein vom S<strong>ch</strong>ein besto<strong>ch</strong>enes, fals<strong>ch</strong>es Urteil.<br />

Wie widerspru<strong>ch</strong>svoll die Gedanken des Volks hin und her s<strong>ch</strong>wankten,<br />

nur darin eins, daß sie si<strong>ch</strong> alle gegen Jesus wehrten, zeigt uns <strong>Johannes</strong> dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß er nun Männer aus Jerusalem reden läßt, die es besser als die Festpilger<br />

wußten, was gegen Jesus beabsi<strong>ch</strong>tigt war. 7,25—27: Nun sagten einige<br />

von den ]erusalemiten: Ist dieser ni<strong>ch</strong>t der, den sie zu töten su<strong>ch</strong>en? Und sieh!<br />

er spri<strong>ch</strong>t mit Freimut, und sie sagen ihm ni<strong>ch</strong>ts. Haben etwa wirkli<strong>ch</strong> die<br />

Obersten erkannt, daß dieser der Christus ist? Aber von diesem wissen wir,<br />

woher er ist. Wann aber Christus kommt, dann erfährt keiner, woher er ist.<br />

Während es ihm vorher s<strong>ch</strong>wer angere<strong>ch</strong>net wurde, daß er ihnen zutraue,<br />

sie wollten ihn töten, spra<strong>ch</strong>en sie jetzt ihre Verwunderung aus, daß man den,<br />

den sie zu töten su<strong>ch</strong>ten, frei reden lasse, ohne daß jemand da sei, der ihm widerspre<strong>ch</strong>e.<br />

Bedeutet das seine Anerkennung dur<strong>ch</strong> die Obersten? Unmündig<br />

und gedrückt hor<strong>ch</strong>t das Volk auf die Obersten. Wenn es unsi<strong>ch</strong>er wird, was<br />

sie meinen, kommen sie in Verwirrung. Steht fest, daß sie ihn töten wollen,<br />

dann glaubt niemand mehr an ihn; wird es dagegen unklar, ob ihr Wille ihnen<br />

ernst sei, dann kommen au<strong>ch</strong> sie ins S<strong>ch</strong>wanken. Do<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>ien ihnen das Urteil


112 Der Kampf in der Mitte des Festes<br />

der Obersten immer no<strong>ch</strong> als vernünftig und begründet; denn zum Amt des<br />

Christus paßt Jesus ni<strong>ch</strong>t, da man seine Herkunft kennt, weil sein Lebenslauf<br />

in s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ter Natürli<strong>ch</strong>keit verlief. Der e<strong>ch</strong>te Christus wird in überras<strong>ch</strong>ender<br />

Plötzli<strong>ch</strong>keit als eine wunderbare Ers<strong>ch</strong>einung dastehen, über deren Herkunft<br />

niemand etwas in Erfahrung bringt. Der phantastis<strong>ch</strong>e Zug in der Hoffnung<br />

des Volkes regt si<strong>ch</strong> wieder, das Gottes Werk und Gnade anders erleben wollte<br />

als im Verlauf einer mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Lebensges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />

Jesus bestätigt und beri<strong>ch</strong>tigt ihr Wort. 7,28. 29: Nun rief Jesus, während<br />

er im Tempel lehrte: Mi<strong>ch</strong> kennt ihr und wißt, woher ido bin. Und i<strong>ch</strong> hin<br />

ni<strong>ch</strong>t von mir selbst gekommen, sondern der, der mido sandte, ist wahrhaftig,<br />

den ihr ni<strong>ch</strong>t kennt. J<strong>ch</strong> kenne ihn, weil idi von ihm bin und er mi<strong>ch</strong> sandte.<br />

Er rief es laut dur<strong>ch</strong> den Tempel, daß er ihnen in der Tat bekannt, au<strong>ch</strong> seih<br />

Ursprung ihnen ni<strong>ch</strong>t verborgen sei. Daß er im hellen Li<strong>ch</strong>t offenbarer Gegenwart<br />

bei ihnen ist, ni<strong>ch</strong>t als ein unzugängli<strong>ch</strong>es Geheimnis, sondern verständli<strong>ch</strong>,<br />

au<strong>ch</strong> in seiner Sendung vom Vater her, das gibt ihnen die Berufung zum<br />

Glauben, ma<strong>ch</strong>t aber andererseits ihren Unglauben s<strong>ch</strong>uldig und ernst. Hätten<br />

sie es mit einem Unbekannten zu tun, der si<strong>ch</strong> ins Geheimnis hüllt, so wäre es<br />

ihnen ni<strong>ch</strong>t anzure<strong>ch</strong>nen, wenn sie ihm ni<strong>ch</strong>t glaubten. Sie verwerfen jedo<strong>ch</strong><br />

den, den sie kennen. <strong>Das</strong> ist der tiefe Ernst, der diese Tage dur<strong>ch</strong>zieht. Freili<strong>ch</strong><br />

bleibt gerade am wi<strong>ch</strong>tigsten Punkt seines Lebens das Geheimnis leider für sie<br />

undur<strong>ch</strong>dringli<strong>ch</strong>. Den, der ihn sandte, den -kennen sie ni<strong>ch</strong>t; er allein kennt<br />

ihn. So steht er, viel mehr als,sie es wissen,, als eine dunkle Gestalt vor ihnen,<br />

ni<strong>ch</strong>t in der kindis<strong>ch</strong>en Weise, wie sie es von ihrem erträumten Christus erwarten,<br />

sondern unglei<strong>ch</strong> bedeutsamer, so daß es sie aufrütteln und zur Buße<br />

treiben sollte, weil sie an ihm erleben, wie fern und verborgen Gott für sie ist.<br />

7,30: Nun wollten sie ihn ergreifen, und keiner legte die Hand an ihn, weil<br />

seine Stunde no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gekommen war. So viel verstanden sie, daß er mit<br />

dem, der ihn sandte, auf Gott hinwies; daß sie ihn ni<strong>ch</strong>t kennen sollten und er<br />

allein ihn kenne, erbitterte sie. An Lust fehlte es ni<strong>ch</strong>t, ihn als Missetäter gefangen<br />

zu nehmen; aber aus der Lust ward no<strong>ch</strong> keine Tat: Sein Wort an die<br />

Brüder erfüllte si<strong>ch</strong>, daß seine Stunde no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gekommen sei. Do<strong>ch</strong> konnten<br />

viele seine Zei<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t vergessen. 7,31 : Viele aber aus dem Volk glaubten an<br />

ihn und sagten: Wird wohl der Christus, wenn er kommt, mehr dei<strong>ch</strong>en tun,<br />

als dieser getan hat? Sowie aber Glaube im Volk si<strong>ch</strong> regte und man im Blick<br />

auf ihn vom Christus spra<strong>ch</strong>, dann griffen regelmäßig die Pharisäer ein und<br />

taten alles, um zu verhindern, daß die Leute ihn den Christus nannten. Niemand<br />

konnte ihn so nennen, ohne si<strong>ch</strong> mit Leib und Leben für Zeit und Ewigkeit<br />

ohne Vorbehalt und Eins<strong>ch</strong>ränkung ihm zu ergeben. Galt er als Christus,


<strong>Johannes</strong> y,28—36 113<br />

so war er der Herr, dessen Händen die Gemeinde ihr ganzes Ges<strong>ch</strong>ick übergab.<br />

Zu dieser ents<strong>ch</strong>lossenen, ganzen Untergebung durfte es ni<strong>ch</strong>t kommen. Darum<br />

gingen, weil man im Volk vom Christus zu spre<strong>ch</strong>en begann, die Pharisäer sofort<br />

zu den regierenden Priestern und verlangten Jesu Verhaftung. 7,32: Die<br />

Pharisäer hörten das Volk sol<strong>ch</strong>es über ihn murmeln, und die Hohenpriester<br />

und die Pharisäer sandten Diener hin, damit sie ihn ergriffen. Die Tempelwa<strong>ch</strong>e<br />

wurde ausges<strong>ch</strong>ickt, um ihn gefangenzunehmen und dem geistli<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>t<br />

als Übeltäter vorzuführen.<br />

7,33. 34: Nun sagte ihnen Jesus: I<strong>ch</strong> hin no<strong>ch</strong> eine kleine Zeit bei eu<strong>ch</strong> und<br />

gehe weg zu dem, der mi<strong>ch</strong> gesandt hat. Ihr werdet mi<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>en und ni<strong>ch</strong>t<br />

^finden, und dahin, wo i<strong>ch</strong> bin, könnt ihr ni<strong>ch</strong>t kommen. Für si<strong>ch</strong> selber war er<br />

ni<strong>ch</strong>t besorgt: er geht zum Vater. Aber für sie kommt dann, wenn er fort ist,<br />

der Jammer; dann werden sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Christus sehnsü<strong>ch</strong>tig auss<strong>ch</strong>auen,<br />

flehentli<strong>ch</strong> rufen, daß er komme, und Gott um die Sendung des Retters dringend<br />

bitten, allein umsonst. Jetzt ist er da; jetzt will er erkannt sein. Her<strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

ist es zu spät; sie werden ihn ni<strong>ch</strong>t mehr finden und von ihm ges<strong>ch</strong>ieden bleiben.<br />

Bei ihm werden nur die Seinen sein.<br />

Der S<strong>ch</strong>merz Jesu über das vergebli<strong>ch</strong>e Rufen Israels <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Christus<br />

und über die unübers<strong>ch</strong>reitbare Kluft, die sie von ihm und ihn von ihnen trennen<br />

wird, wurde verhöhnt. 7,35. 36: Nun sagten die Juden zueinander; Wohin<br />

will dieser gehen, daß wir ihn ni<strong>ch</strong>t finden können? Will er etwa zu den<br />

unter den Grie<strong>ch</strong>en Zerstreuten gehen und die Grie<strong>ch</strong>en lehren? Was bedeutet<br />

dieses Wort, das er spra<strong>ch</strong>: Ihr werdet mi<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>en und ni<strong>ch</strong>t finden, und dahin,<br />

wo i<strong>ch</strong> bin, könnt ihr ni<strong>ch</strong>t kommen? In ihrer stolzen Si<strong>ch</strong>erheit wehren<br />

sie den Gedanken von si<strong>ch</strong> ab, daß der Ort, wo Christus ist, der Ort des ewigen<br />

Lebens und der Herrli<strong>ch</strong>keit Gottes für sie vers<strong>ch</strong>lossen bleiben könnte.<br />

Den Spott, daß er si<strong>ch</strong> wohl an die Grie<strong>ch</strong>en halten werde, hat <strong>Johannes</strong> s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong><br />

erwähnt, ohne an den späteren Gang der Kir<strong>ch</strong>e zu denken, daß in der<br />

Tat Jesu Bots<strong>ch</strong>aft draußen den Grie<strong>ch</strong>en verkündigt und Jesus von ihnen gefunden<br />

wurde, während Israel den Weg zu ihm ni<strong>ch</strong>t fand. Damals hatten<br />

sie davon freili<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> keine Ahnung, was für eine ernste Wahrheit in ihrem<br />

Spotte lag.<br />

Kapitel 7,37-52<br />

Der Kampf am letzten Tag des Festes<br />

Kein Tag wurde so festli<strong>ch</strong> begangen wie der zur Festwo<strong>ch</strong>e no<strong>ch</strong> hinzugefügte<br />

a<strong>ch</strong>te Tag, der zuglei<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>luß des ganzen Festkreises wahrend


114 Der Kampf am letzten Tag des Festes<br />

des Jahres war. In dieser jubelnden und jau<strong>ch</strong>zenden Menge, die si<strong>ch</strong> am Festmahl<br />

und an der Pra<strong>ch</strong>t des Tempeldienstes erfreute, wandte si<strong>ch</strong> Jesus an die<br />

Dürstenden. 7,37: Am großen letzten Tag des Festes stand Jesus und rief:<br />

Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke. Die Satten, die ni<strong>ch</strong>ts<br />

weiter brau<strong>ch</strong>en als ein fröhli<strong>ch</strong>es Laubhüttenfest <strong>na<strong>ch</strong></strong> einer guten "Weinlese<br />

mit prä<strong>ch</strong>tig verlaufendem Tempeldienst, haben für ihn kein Ohr; aber es gab<br />

Dürstende in dieser festfeiernden und jubelnden Menge, und ihnen mö<strong>ch</strong>te er<br />

helfen; wer mehr bedarf, als was Israel jetzt hat, ein ungestilltes Verlangen in<br />

si<strong>ch</strong> trägt und in si<strong>ch</strong> selbst rat- und hilflos geworden ist, der komme zu ihm;<br />

ihm wird er geben, wessen er bedarf. 7,38: Glaubt jemand an mi<strong>ch</strong>, so werden,<br />

wie die S<strong>ch</strong>rift sagte, aus seinem Leibe Ströme lebendigen Wassers fließen.<br />

Ni<strong>ch</strong>t nur er selbst wird satt; lebendiges "Wasser ergießt si<strong>ch</strong> von ihm her auf<br />

seine Umgebung, tränkt ringsum das dürstende Land und erweckt ringsum<br />

das Tote zum Leben. Im Ausdruck behält der zweite Satz das Glei<strong>ch</strong>nis des<br />

ersten bei. Der Trinkende nimmt den Trank in seinen Leib, und von dort, wohin<br />

er das lebendige "Wasser des Christus erhalten hat, strömt es au<strong>ch</strong> wieder<br />

aus, überrei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> in unerwarteter Segensma<strong>ch</strong>t, so daß der Trank zu Strömen<br />

wird. Jesu Verheißung vollendet si<strong>ch</strong> darin, daß der, der seine Gabe empfängt,<br />

au<strong>ch</strong> zum Diener der Gnade an anderen, zum "Werkzeug des Christus und<br />

Mittler des Segens über alles Erwarten und Verstehen hinaus berufen wird.<br />

Er darf ni<strong>ch</strong>t nur empfangen, darf au<strong>ch</strong> geben, ni<strong>ch</strong>t nur selbst selig sein, sondern<br />

au<strong>ch</strong> anderen dienen. Ohne das wäre Jesu Verheißung hinfällig; er<br />

kennt keinen unfru<strong>ch</strong>tbaren, unnützen Empfänger göttli<strong>ch</strong>er Gnade. Nur der<br />

hat wirkli<strong>ch</strong> von seinem "Wasser getrunken, von dem es au<strong>ch</strong> weiter zu den<br />

anderen dringt.<br />

<strong>Das</strong> hat die S<strong>ch</strong>rift gesagt. "Wel<strong>ch</strong>es "Wort Jesus im Auge hatte, hören wir<br />

ni<strong>ch</strong>t. Es steht aber bei den Propheten mehrmals die Verheißung vom Strome<br />

des lebendigen "Wassers als ein wesentli<strong>ch</strong>es Stück ihrer Bes<strong>ch</strong>reibung der Endzeit,<br />

der aus dem Heiligtum Gottes hervorbre<strong>ch</strong>en, immer mä<strong>ch</strong>tiger ans<strong>ch</strong>wellen<br />

und die Öde in fru<strong>ch</strong>tbares Land verwandeln wird. Sol<strong>ch</strong>e Lebensströme<br />

fließen jetzt, und die Verheißung der S<strong>ch</strong>rift findet jetzt ihre Erfüllung in der<br />

Segens- und Lebensma<strong>ch</strong>t, die von denen, die an Jesus glauben, auf viele über-.<br />

geht und si<strong>ch</strong> in die Weite erstreckt.<br />

<strong>Johannes</strong> erläutert uns, wie si<strong>ch</strong> Jesu "Wort erfüllt. 7,39: <strong>Das</strong> sagte er aber<br />

vom Geist, den die an ihn Glaubenden erhalten sollten. Denn der Geist war<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t da, weil Jesus no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verklärt war. Der Geist ist der lebendige<br />

Strom, der im Heiligtum entspringt und auf die Erde fließt, in den Glaubenden<br />

eingeht und ihn tränkt und aus dem Glaubenden wieder hervorbri<strong>ch</strong>t und


<strong>Johannes</strong> 7,37—44<br />

um ihn her Leben s<strong>ch</strong>afft. Sowohl die Erfüllung des in uns selbst aufbre<strong>ch</strong>enden<br />

Verlangens als die auf andere übergehende Kraft der Belebung wird dadur<strong>ch</strong><br />

empfangen, daß wir vom Geiste erfaßt, gestaltet und regiert sind. Er<br />

gibt jene Gewißheit, die ni<strong>ch</strong>t mehr s<strong>ch</strong>wankt und su<strong>ch</strong>t, sondern weiß, jenes<br />

Haben, wodur<strong>ch</strong> ein S<strong>ch</strong>atz von Leben uns eingepflanzt ist; er ist es au<strong>ch</strong>, der<br />

jene Liebe s<strong>ch</strong>afft, die si<strong>ch</strong> den anderen zukehrt, ihr das Wort gibt, das sie<br />

erweckt und stärkt, und die Ma<strong>ch</strong>t ist, die sie innerli<strong>ch</strong> faßt, ihr Widerstreben<br />

überwindet und ihnen Hilfe bringt. Unsere Fähigkeit zum Dienst des Christus<br />

stammt nur daher, daß si<strong>ch</strong> im Geiste Gott uns inwendig gegenwärtig ma<strong>ch</strong>t<br />

und als der Erleu<strong>ch</strong>tende und Gebende unseren Lebensstand von innen her<br />

heiligt und belebt. Nun ist aber der Geist in Jesu Verheißung an ihn gebunden<br />

und mit unserem Kommen zu ihm und unserem Glauben an ihn verknüpft.<br />

Denn aus der Verklärung des Christus folgt die Sendung des Geistes, folgt dieser<br />

Eingang des Göttli<strong>ch</strong>en in die innere Lebensgestalt der Glaubenden, folgt<br />

dieses ihnen selbst inwendig zum Eigentum gegebene Wissen und Lieben und<br />

Haben Gottes, diese Fähigkeit zur eigenen Tat, zum fru<strong>ch</strong>tbaren Gottesdienst,<br />

zur wirksamen Spendung der göttli<strong>ch</strong>en Gaben. Erst wird Christus vollendet;<br />

dann entsteht die Gemeinde. Erst tut er sein Werk ganz; dann fällt uns die<br />

Fru<strong>ch</strong>t desselben zu. Erst wird er erhöht zum Vater; dann wird au<strong>ch</strong> der Glaubende<br />

inwendig in Gottes Gegenwart und Gemeins<strong>ch</strong>aft versetzt und zum<br />

Träger der göttli<strong>ch</strong>en Gnade gema<strong>ch</strong>t.<br />

Daß die Verheißung Jesu alles umfaßte, was sie hofften, war au<strong>ch</strong> unter<br />

den Hörern Jesu man<strong>ch</strong>en klar. Ihr Urteil spaltete si<strong>ch</strong> wieder. 7,40—44:<br />

Unter dem Volk sagten sie nun, als sie diese Worte hörten: Dieser ist wahrhaftig<br />

der Prophet. Andere sagten: Dieser ist der Christus. Aber andere sagten:<br />

Kommt denn der Christus aus Galiläa? Hat ni<strong>ch</strong>t die S<strong>ch</strong>rift gesagt, daß<br />

der Christus aus Davids Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t und aus Bethlehem, dem Dorf, wo David<br />

war, komme? Darum entstand eine Spaltung im Volk seinetwegen. Einige von<br />

ihnen wollten ihn aber ergreifen; aber keiner legte die Hände an ihn. Er ist<br />

der von Mose verheißene Prophet, sagten die einen, womit wenigstens seine<br />

Sendung von oben anerkannt und sein Wort gläubig ergriffen war, wenn au<strong>ch</strong><br />

die Ausri<strong>ch</strong>tung des göttli<strong>ch</strong>en Werks einem Höheren vorbehalten blieb, der<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm kommen sollte als der König in Gottes Rei<strong>ch</strong>. Andere stellten ihr<br />

ganzes Hoffen und ganzes Glauben auf ihn und wollten ni<strong>ch</strong>t auf einen anderen<br />

warten, sondern gaben ihm den alles umfassenden Namen „Christus",<br />

der ihn als den Herrn der Gemeinde pries. Dagegen regte si<strong>ch</strong> aber die Einrede,<br />

die si<strong>ch</strong> aus seiner mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Niedrigkeit ergab. Als ein Galiläer stand er<br />

vor ihnen, während das prophetis<strong>ch</strong>e Wort ihm Bethlehem zur Heimat gab.<br />

1 z 5


Ii6 Der Kampf am letzten Tag des Festes<br />

7,45.46: Nun kamen die Diener zu den Hohenpriestern und Pharisäern,<br />

und diese sagten zu ihnen: Weshalb habt ihr ihn ni<strong>ch</strong>t hergeführt? Die Diener<br />

antworteten: Niemals hat ein Mens<strong>ch</strong> so geredet, wie dieser Mens<strong>ch</strong> redet.<br />

Ni<strong>ch</strong>t nur die freiwilligen "Wä<strong>ch</strong>ter über das Gesetz, deren persönli<strong>ch</strong>er Eifer<br />

gegen Jesu "Worte in Flammen geriet, wagten es denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> an ihm zu<br />

vergreifen, sondern au<strong>ch</strong> die bestellten Tempelwä<strong>ch</strong>ter, die beauftragt waren,<br />

ihn zu verhaften, ers<strong>ch</strong>ienen wieder vor den regierenden Priestern und Lehrern<br />

mit dem Bes<strong>ch</strong>eid, er rede so, daß sie es ni<strong>ch</strong>t gewagt hätten, ihn zu ergreifen.<br />

7,47—49: Nun antworteten ihnen die Pharisäer: Seid au<strong>ch</strong> ihr verführt?<br />

Glaubt denn einer der Obersten oder Pharisäer an ihn? Aber dieser<br />

Haufe, der das Gesetz ni<strong>ch</strong>t kennt, ist verflu<strong>ch</strong>t. "Wie sollte es, solange keiner<br />

von den geltenden Männern, weder von den Priestern no<strong>ch</strong> von den dur<strong>ch</strong><br />

ihre Theologie und ihren "Wandel berühmten Meistern, an ihn glaubt, jemand<br />

wagen, über ihn ein Urteil zu haben, das dem der Obersten widersprä<strong>ch</strong>e oder<br />

au<strong>ch</strong> nur zuvorkäme! Daß ihm der gemeine Haufe anhänge, bedeute ni<strong>ch</strong>ts;<br />

denn dieser, ist ohnehin des Flu<strong>ch</strong>s würdig, da er das Gesetz ni<strong>ch</strong>t zu erfüllen<br />

vermag, weil er die dazu nötige Gelehrsamkeit ni<strong>ch</strong>t hat. Die damalige jüdis<strong>ch</strong>e<br />

Gemeinde war ni<strong>ch</strong>t einträ<strong>ch</strong>tig, sondern tief zerrissen. Hier standen die<br />

in der S<strong>ch</strong>rift Unterwiesenen und in allen Künsten der Heiligkeit Geübten,<br />

dort der gemeine Mann, der dem Lebensunterhalt <strong>na<strong>ch</strong></strong>ging, zwar au<strong>ch</strong> zur<br />

Gemeinde zählte und au<strong>ch</strong> unter dem Gebot und der Verheißung der Bibel<br />

stand, aber es den Heiligen und "Weisen ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>tun konnte, und diese<br />

Spaltung blieb tief und bösartig. Die in die Hohe gekommenen Frommen zertraten<br />

in ihrer stolzen Zuversi<strong>ch</strong>t die Gemeinde der Unwissenden und geistig<br />

Armen und verstanden ni<strong>ch</strong>ts von jenem Sinn Jesu, der ihn vor kurzem bewogen<br />

hatte, laut dur<strong>ch</strong> den Tempel zu rufen, ob ni<strong>ch</strong>t ein Dürstender vorhanden<br />

sei.<br />

Hier läßt uns <strong>Johannes</strong> wieder einen Blick auf den Weg des Nikodemus<br />

tun. 7,50. 51: Nikodemus, der früher zu ihm gekommen und einer aus ihnen<br />

war, sagt zu ihnen: Urteilt denn unser Gesetz über den Mens<strong>ch</strong>en, ehe es ihn<br />

zuerst gehört und gekannt hat, was er tut? Um ihn her tobte der Streit um<br />

Jesus, wobei er ni<strong>ch</strong>t zu denen gehörte, die man mit dem S<strong>ch</strong>eltwort zum<br />

S<strong>ch</strong>weigen bringen konnte: Ihr versteht von der Bibel ni<strong>ch</strong>ts; sondern er stand<br />

neben den anderen Autoritäten mit glei<strong>ch</strong>em Gewi<strong>ch</strong>t wie sie. Er empfand von<br />

seinem Verkehr mit Jesus her die Ungere<strong>ch</strong>tigkeit dieser Verdammung Jesu.<br />

"Was wußten sie denn von ihm? Hatten sie verstanden, was er wollte? Wie<br />

hatte ihn do<strong>ch</strong> Jesus überras<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> das, was er ihm in jener Na<strong>ch</strong>t gesagt<br />

hatte! "Wie ganz anders stellte er ihm seinen Beruf dar, als er erwartet hatte.


<strong>Johannes</strong> 7,45—53>'8,6a. 6b 117<br />

Ein Urteil zu fällen, ohne in Erfahrung zu bringen, was der Verdammte sei<br />

und tue, ist aber wider das Gesetz. 7,52: Sie antworteten und sagten zu ihm:<br />

Bist etwa au<strong>ch</strong> du aus Galiläa? Fors<strong>ch</strong>e und sieh, daß aus Galiläa kein Prophet<br />

aufsteht. Daß Jesus ein Galiläer war, genügt zu seiner Verurteilung. Nun<br />

brau<strong>ch</strong>t man sein Wort ni<strong>ch</strong>t mehr zu erwägen und auf sein Ziel ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

aufzumerken. Nur der blinde Eifer seiner Landsleute kann an ihn die Hoffnung<br />

hängen. Um ihm zu glauben, müßte man selbst ein Galiläer sein.<br />

Kapitel 7,53—8,11<br />

Der Zusatz: Jesus verzeiht der Ehebre<strong>ch</strong>erin<br />

Es ist allmähli<strong>ch</strong> in der Kir<strong>ch</strong>e Sitte geworden, an dieser Stelle eine Erzählung<br />

einzufügen, von der man in der älteren Zeit no<strong>ch</strong> mit Bestimmtheit<br />

wußte, daß sie kein ursprüngli<strong>ch</strong>es Stück unseres <strong>Evangelium</strong>s gewesen, sondern<br />

aus einem anderen alten Lehrer genommen und hier angefügt worden ist.<br />

7>J3î 856a: Und jeder ging in sein Haus. Jesus aber ging an den Ölberg.<br />

Früh morgens kam er aber wieder in den Tempel, und das ganze Volk ging zu<br />

ihm, und er setzte si<strong>ch</strong> und lehrte sie. Aber die S<strong>ch</strong>riftgelehrten und Pharisäer<br />

führen eine Frau her, die beim Ehebru<strong>ch</strong> ergriffen war, stellen sie in die Mitte<br />

und sagen zu ihm: Lehrer, diese Frau ist auf der Tat beim Ehebru<strong>ch</strong> ergriffen<br />

worden. Im Gesetz hat uns aber Mose geboten, sol<strong>ch</strong>e zu steinigen. Was sagst<br />

nun du? Dies sagten sie aber, um ihn zu versu<strong>ch</strong>en, damit sie ihn verklagen<br />

könnten. Offenbar hegten die S<strong>ch</strong>riftgelehrten und Pharisäer, die den Fall<br />

dieser Frau benutzten, um Jesus auf die Probe zu stellen, gegen ihn wegen<br />

seiner Barmherzigkeit Verda<strong>ch</strong>t. Er gilt als der Freund der Sünder, darum als<br />

der Feind des Gesetzes, der mit seiner Milde das ernste Urteil des Gesetzes<br />

über die Sünder erwei<strong>ch</strong>e. Dieser Argwohn tastete das Heiligste in Jesus an;<br />

er bes<strong>ch</strong>mutzte die Gnade, als wäre sie Lust am Bösen, und mißtraute seinem<br />

Verzeihen, als wäre es eine Auflehnung gegen Gottes Willen und Gesetzesbru<strong>ch</strong>.<br />

Darum wollten sie ihn in einem Falle, bei dem an der Meinung des Gesetzes<br />

ni<strong>ch</strong>t gezweifelt werden konnte, nötigen, selber das Todesurteil über die<br />

Gefallene auszuspre<strong>ch</strong>en oder seinen offenen "Widerspru<strong>ch</strong> gegen das Gesetz<br />

einzugestehen.<br />

8,6b: Jesus aber bückte si<strong>ch</strong> und s<strong>ch</strong>rieb mit dem Finger auf die Erde. Er<br />

drückte damit kräftig aus, daß er mit ihnen ni<strong>ch</strong>ts zu tun habe. Hier wurde<br />

seinem Auge ein häßli<strong>ch</strong>es S<strong>ch</strong>auspiel aufgedrängt. Mit "Wollust erzählten sie<br />

ihm ganz genau die Sünde dieser Frau, damit er si<strong>ch</strong>er wisse, daß sie s<strong>ch</strong>uldig<br />

sei, und mit "Wollust erwarteten sie den Augenblick, da au<strong>ch</strong> er sagen müsse:


Ii8 Der Zusatz: Jesus verzeiht der Ehebre<strong>ch</strong>erin<br />

Tötet sie! Er wendet sein Auge von dieser S<strong>ch</strong>ar weg und heftet es auf die<br />

S<strong>ch</strong>riftzüge, die er in den Boden grub. Hätten sie ein verstehendes Herz gehabt,<br />

so hätten sie bereits erkannt, wer hier das wa<strong>ch</strong>e und helle Auge für<br />

Gottes reinen und gere<strong>ch</strong>ten Willen habe. Sie ließen si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> auf diese Weise<br />

ni<strong>ch</strong>t abweisen, sondern wollten eine klare Antwort haben. 8,7: Als sie aber<br />

dabei beharrten, ihn zu befragen, ri<strong>ch</strong>tete er si<strong>ch</strong> auf und sagte zu ihnen: Wer<br />

unter eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gesündigt hat, werfe zuerst den Stein auf sie. S<strong>ch</strong>uldig ist sie;<br />

wird sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Gesetz geri<strong>ch</strong>tet, so ges<strong>ch</strong>ieht ihr Re<strong>ch</strong>t; sie ist es aber ni<strong>ch</strong>t<br />

allein. Es sind no<strong>ch</strong> andere Sünder hier, deren Lüsternheit, Grausamkeit und<br />

Heu<strong>ch</strong>elei Jesus so wenig gefällt wie die Untreue und Auss<strong>ch</strong>weifung jener<br />

Frau. Au<strong>ch</strong> ihrer Sünde spri<strong>ch</strong>t das Gesetz das Urteil. Soll es gelten, gilt es<br />

allen. Ni<strong>ch</strong>t Jesus bri<strong>ch</strong>t das Gesetz, sie bre<strong>ch</strong>en es, ni<strong>ch</strong>t er, der alles Böse<br />

haßt, sondern sie, die ihren eigenen Fall verstecken, ihre Sünde bes<strong>ch</strong>önigen<br />

und für verzeihli<strong>ch</strong> halten und si<strong>ch</strong> damit re<strong>ch</strong>tfertigen und erhöhen, daß sie<br />

die Frau hinri<strong>ch</strong>ten. 8,8.9: Und er bückte si<strong>ch</strong> wieder und s<strong>ch</strong>rieb auf die Erde.<br />

Sie aber, als sie das hörten, gingen fort, einer <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem anderen, voran die<br />

Ältesten, und er wurde allein gelassen mit der Frau, die in der Mitte stand.<br />

Na<strong>ch</strong> seiner Antwort überließ sie Jesus si<strong>ch</strong> selbst, und sie sahen einander verlegen<br />

an. "Wer ma<strong>ch</strong>t nun den Anfang und wagt es, si<strong>ch</strong> als den S<strong>ch</strong>uldlosen<br />

hinzustellen, der ni<strong>ch</strong>ts von Sünde weiß? Sie kannten einander zu gut, als daß<br />

dies einer unter ihnen wagen durfte. So mä<strong>ch</strong>tig war do<strong>ch</strong> das S<strong>ch</strong>riftwort in<br />

den Gewissen, daß sie ni<strong>ch</strong>t fre<strong>ch</strong> ihre eigene Sündhaftigkeit ableugnen konnten.<br />

<strong>Das</strong> Warten und S<strong>ch</strong>weigen wurde für sie peinli<strong>ch</strong>; darum entzogen sie<br />

si<strong>ch</strong> ihrer s<strong>ch</strong>amvollen Lage dadur<strong>ch</strong>, daß sie weggingen.<br />

8,1 o. 11 : Jesus aber ri<strong>ch</strong>tete si<strong>ch</strong> auf und sagte zu ihr: Frau, wó sind sie? Hat<br />

di<strong>ch</strong> keiner verurteilt? Sie aber sagte: Herr, keiner. Jesus aber spra<strong>ch</strong>: Au<strong>ch</strong><br />

i<strong>ch</strong> verurteile di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Geh, sündige von jetzt an ni<strong>ch</strong>t mehr! Da sie niemand<br />

von ihren Verklägern geri<strong>ch</strong>tet hat, spri<strong>ch</strong>t er das Urteil der Gnade über sie,<br />

das ihr das Leben s<strong>ch</strong>enkt. Jene verurteilten sie deshalb ni<strong>ch</strong>t, weil sie als die<br />

selbst S<strong>ch</strong>uldigen verzeihen mußten, er, weil er als der selbst Uns<strong>ch</strong>uldige und<br />

Reine verzeihen darf und kann, jene, weil sie mit dem Urteil über die Frau<br />

si<strong>ch</strong> selbst verurteilt hätten, er, weil es seine Sendung ist, ni<strong>ch</strong>t zu ri<strong>ch</strong>ten, sondern<br />

zu erretten, jene, weil es Jesus ihnen eindrückli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t hatte, daß sie<br />

selbst der Gnade bedurften, er, weil er die Gnade, der die Frau bedarf, hat und<br />

geben kann. Nur daran erinnert er sie no<strong>ch</strong>, daß sol<strong>ch</strong>es Vergeben sie aufri<strong>ch</strong>ten,<br />

vor dem Bösen bewahren und heiligen will und dur<strong>ch</strong> Beharrung in<br />

der Sünde vers<strong>ch</strong>erzt wird.<br />

So hat Jesus die Reinheit seiner Güte und die Heiligkeit seines Vergebens


. <strong>Johannes</strong> 8,y—13 119<br />

seinen Verklägern dargetan und beides errei<strong>ch</strong>t: er hat das Gesetz heilig gehalten<br />

und sein Verzeihen geübt, das Böse als verdammli<strong>ch</strong> und todeswürdig<br />

verworfen und die Gefallene denno<strong>ch</strong> am Leben erhalten und vom Geri<strong>ch</strong>t<br />

befreit. "Was <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Meinung seiner Widersa<strong>ch</strong>er ein unvereinbarer Widerspru<strong>ch</strong><br />

war, tritt in ihm als vollendete, uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>e Einheit hervor. Weil<br />

er das Gesetz ganz und gegen alles Böse bejaht, darum ist au<strong>ch</strong> sein Erbarmen<br />

frei, unbegrenzt und mä<strong>ch</strong>tig vor Gott. Er verzeiht ni<strong>ch</strong>t deshalb, weil er es<br />

haßt, ni<strong>ch</strong>t dazu, um den Mens<strong>ch</strong>en in der Sünde zu lassen, sondern dazu, ihn<br />

von ihr zu erlösen. Er ist deshalb in seinem Verzeihen ni<strong>ch</strong>t wider das Gesetz<br />

und wider Gott, sondern wider die Bosheit und eins mit Gott.<br />

Kapitel 8,12—59<br />

Der Kampf am letzten Tage des Laubhütten}estes. Fortsetzung<br />

Dadur<strong>ch</strong>, daß die Tempelwä<strong>ch</strong>ter abgezogen waren, ohne daß sie wagten,<br />

ihn mitzunehmen, erhielt Jesus no<strong>ch</strong>mals Frist, seinen Hörern Gottes Gabe<br />

zu preisen. 8,12: Nun redete Jesus wieder zu ihnen und sagte: I<strong>ch</strong> bin das<br />

Li<strong>ch</strong>t der Welt. Wer mir <strong>na<strong>ch</strong></strong>geht, wird ni<strong>ch</strong>t in der Finsternis wandern, sondern<br />

das Li<strong>ch</strong>t des Lebens haben. Mit dem Li<strong>ch</strong>t lockt er sie, weil si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das<br />

Li<strong>ch</strong>t das Leben offenbart. Als Li<strong>ch</strong>t hat ihn Gott der Mens<strong>ch</strong>heit gegeben,<br />

dur<strong>ch</strong> das sie das Sehen lernt. Wer wegen der Dunkelheit, die ihn blind ma<strong>ch</strong>t<br />

und verwirrt, leidet, der komme zu ihm und folge ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>. Unter seiner<br />

Leitung wandelt man ni<strong>ch</strong>t im Finstern, ziellos, unwissend, wohin der Weg<br />

führt, hilflos gegen jede Gefahr, mit der bangen, unbeantwortbaren Frage,<br />

wie es enden werde. Wer an ihn si<strong>ch</strong> hält und mit ihm geht, erhält das sehende<br />

Auge und wird mit heller Gewißheit begabt, und die Erleu<strong>ch</strong>tung, die er empfängt,<br />

hat die Belebung bei si<strong>ch</strong>. <strong>Das</strong> li<strong>ch</strong>t, das uns von Jesus her bestrahlt, ist<br />

keine rä<strong>ch</strong>ende Ma<strong>ch</strong>t; ob es au<strong>ch</strong> das Böse als sol<strong>ch</strong>es offenbart, es tötet uns<br />

ni<strong>ch</strong>t, vermittelt vielmehr den Aufgang des Lebens in uns. Immer wieder ist es<br />

dieselbe Zusage Jesu, mit der er den Mens<strong>ch</strong>en an si<strong>ch</strong> zieht: <strong>Das</strong> Leben wirst<br />

du bei mir finden, findest es aber nur im Li<strong>ch</strong>t, nur in der Wahrheit, ni<strong>ch</strong>t in<br />

deinen Lügen, dur<strong>ch</strong> die du stirbst.<br />

8,13: Nun sagten ihm die Pharisäer: Du legst über di<strong>ch</strong> selber Zeugnis ab;<br />

dein Zeugnis ist ni<strong>ch</strong>t wahr. Sie wenden ihm ein, wer seinen Anspru<strong>ch</strong> nur so<br />

beweisen könne, daß er selbst ihn behaupte, sei widerlegt. Hätte er re<strong>ch</strong>t, so<br />

ständen ihm andere Zeugen zur Seite. Dadur<strong>ch</strong>, daß niemand für ihn spre<strong>ch</strong>e<br />

und er allein seine Sa<strong>ch</strong>e führen müsse, sei erwiesen, daß sein Zeugnis ni<strong>ch</strong>t<br />

wahr sei. <strong>Johannes</strong> sieht hier auf Jesu Wort 5,31 zurück, da er dort gesagt


I2O Der Kampf am letzten Tage des Laubhütten]'estes<br />

•s.<br />

hat, daß sein Anre<strong>ch</strong>t an die großen Heilandswerke ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> sein eigenes<br />

Zeugnis bewiesen werde, sondern dur<strong>ch</strong> den, der für ihn spri<strong>ch</strong>t. Diese runde<br />

Untergebung unter des Vaters Spru<strong>ch</strong> und Zeugnis bedeutet aber ni<strong>ch</strong>t, daß<br />

Jesu "Wort ni<strong>ch</strong>tig und wertlos wäre, wie Jesus dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das Zeugnis des<br />

Täufers oder das seiner Boten ni<strong>ch</strong>t für glei<strong>ch</strong>gültig und wirkungslos erklärt<br />

hat. Alles liegt an Gottes eigenem "Wirken, Zeugen, Geben; daraus folgt ni<strong>ch</strong>t,<br />

daß Gott seine Boten und Diener umsonst s<strong>ch</strong>icke und wir sie vera<strong>ch</strong>ten dürften.<br />

Der Vater wirkt für den Sohn — ohne das wäre er ohnmä<strong>ch</strong>tig —, aber<br />

au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Sohn; der Vater redet für den Sohn — ohne das gäbe es nie<br />

Glauben an ihn —, aber au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Sohn. Hier besteht die volle Eintra<strong>ch</strong>t<br />

eines ganzen Zusammenwirkens. Darum ist Jesus befugt, von seinem Amt zu<br />

reden und den Mens<strong>ch</strong>en seine Gnade zu preisen, und die Einrede ist fals<strong>ch</strong>:<br />

"Wir wollen ni<strong>ch</strong>t von dir selber hören, was du bist.<br />

, 8,14.15: Jesus antwortete und spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Au<strong>ch</strong> wenn i<strong>ch</strong> über mi<strong>ch</strong><br />

selber Zeugnis ablege, so ist mein Zeugnis wahr, weil i<strong>ch</strong> weiß, woher i<strong>ch</strong> kam<br />

und wohin i<strong>ch</strong> gehe. Ihr aber wißt ni<strong>ch</strong>t, woher i<strong>ch</strong> komme und wohin i<strong>ch</strong> gehe.<br />

Ihr ri<strong>ch</strong>tet <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Fleis<strong>ch</strong>; i<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>te niemand.,Daß er weiß, woher er kam<br />

und wohin er geht, darauf kommt es an, wenn er als ihr Li<strong>ch</strong>t vor die Mens<strong>ch</strong>en<br />

tritt. Dazu ist er deshalb bere<strong>ch</strong>tigt, weil er seinen Ursprung aus dem<br />

Vater kennt und weiß, woher er das hat, was er den Mens<strong>ch</strong>en gibt, und weil<br />

er weiß, daß der Vater ihn wieder zu si<strong>ch</strong> beruft, weshalb er au<strong>ch</strong> weiß, was<br />

er dem, der ihn begleitet, verheißen darf. Seine "Widersa<strong>ch</strong>er wissen das ni<strong>ch</strong>t<br />

und sehen weder in die Höhe hinauf, aus der er kommt, no<strong>ch</strong> in die Höhe, zu<br />

der er geht; und denno<strong>ch</strong> spre<strong>ch</strong>en sie ni<strong>ch</strong>t nur als Zeugenj sondern sogar als<br />

Ri<strong>ch</strong>ter über ihn ab. Ihm, der weiß, wie er zu Gott steht, wollen sie verbieten,<br />

als Zeuge zu spre<strong>ch</strong>en; sie dagegen reden unges<strong>ch</strong>eut als die Ri<strong>ch</strong>ter und fällen<br />

ihr Urteil über ihn und haben dabei ni<strong>ch</strong>ts vor Augen als das Fleis<strong>ch</strong>. Jesu<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e, auswendige Art kennen sie allein, nur das, was er <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Fleis<strong>ch</strong><br />

in seiner Glei<strong>ch</strong>heit mit ihnen ist, und fahren nun mit ihrem Urteil zu, ab<br />

hätten sie ni<strong>ch</strong>ts anderes vor si<strong>ch</strong> als „Fleis<strong>ch</strong>". So unwissend sind sie über den<br />

Ort, aus dem er kommt und zu dem er geht, und denno<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>ten sie!<br />

Ihrem dreisten, fals<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>t stellt er seine Geduld entgegen. Er verzi<strong>ch</strong>tet<br />

auf das Geri<strong>ch</strong>t, verzeiht und tragt. Der Grund seiner Geduld liegt<br />

aber ni<strong>ch</strong>t darin, daß sein Urteil ungültig wäre. 8,16: Wenn i<strong>ch</strong> aber ri<strong>ch</strong>te, so<br />

ist mein Geri<strong>ch</strong>t wahrhaftig, weil i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t allein bin, sondern i<strong>ch</strong> und der, der<br />

mi<strong>ch</strong> gesandt hat. Ob er au<strong>ch</strong> der Vergebende, S<strong>ch</strong>weigende und Leidende ist,<br />

denno<strong>ch</strong> läßt er ni<strong>ch</strong>t davon, daß das Geri<strong>ch</strong>t sein Amt ist und dur<strong>ch</strong> ihn ges<strong>ch</strong>ieht.<br />

"Weil er in der Einheit mit dem Vater ri<strong>ch</strong>tet, bleibt es bei seinem


<strong>Johannes</strong> 8,14—21 . 121<br />

Spru<strong>ch</strong> in ewiger Gültigkeit. Was seinem Urteil Ma<strong>ch</strong>t verleiht, gilt au<strong>ch</strong> von<br />

seinem Zeugnis; er ist au<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t allein, sondern der Vater spri<strong>ch</strong>t für ihn,<br />

so daß der Regel des Gesetzes, die zwei Zeugen verlangt, völlig Genüge ges<strong>ch</strong>ieht.<br />

8,17.18: In eurem Gesetz ist aber ges<strong>ch</strong>rieben, daß das Zeugnis zweier<br />

Mens<strong>ch</strong>en wahr ist. I<strong>ch</strong> bin der für mi<strong>ch</strong> Zeugende, und es zeugt für midi der<br />

Vater, der mi<strong>ch</strong> gesandt hat. Der Vater bestätigt, was Jesus sagt, Jesus, was<br />

der Vater sagt, und in dieser Übereinstimmung des Vaters mit dem Sohn liegt<br />

die überführende, Glauben s<strong>ch</strong>affende Ma<strong>ch</strong>t.<br />

Wie redet der Vater als Zeuge? Im früheren Wort 5,31 ff. verwies Jesus auf<br />

das Werk, das er ni<strong>ch</strong>t allein, sondern nur mit dem Vater tun könne und das<br />

ein Zeugnis des Vaters für ihn sei. In der Übereinstimmung des Wortes, das er<br />

spri<strong>ch</strong>t, und des Werkes, das ges<strong>ch</strong>ieht, liegt ein einträ<strong>ch</strong>tiges Doppelzeugnis,<br />

auf dem der Glaube stehen kann. Aber au<strong>ch</strong> an das haben wir zu denken, was<br />

Jesus 6,44 ff. über die innere Bereitung des Mens<strong>ch</strong>en zum Glauben dur<strong>ch</strong> den<br />

Vater sagt. Wen der Vater zieht, der kommt zu ihm; wen der Vater lehrt, der<br />

hört. In der einträ<strong>ch</strong>tigen Übereinstimmung dieser inneren Zurüstung des<br />

Mens<strong>ch</strong>en mit dem, was Jesu Wort ihm zusagt und gewährt, liegt wieder ein<br />

Doppelzeugnis vor, das Gewißheit gibt. Was uns von innen und von außen<br />

einhellig bezeugt ist, das ist uns als Wahrheit kundgetan.<br />

8,19a: Nun sagten sie zu ihm: Wo ist dein Vater? Diese Frage fuhr ungläubig<br />

an ihm selbst vorbei, s<strong>ch</strong>ob ihn auf die Seite und fragte über ihn hinweg<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Vater. 8,19b: Jesus antwortete: Weder mi<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> meinen Vater<br />

kennt ihr. Wenn ihr mi<strong>ch</strong> kennen würdet, würdet ihr au<strong>ch</strong> meinen Vater kennen.<br />

Ni<strong>ch</strong>t nur der Vater ist eu<strong>ch</strong> verborgen, i<strong>ch</strong> bin es au<strong>ch</strong>; fragt erst <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

mir; lernt aufmerken auf das, was i<strong>ch</strong> bin. Solange ihr von mir ni<strong>ch</strong>ts wißt<br />

und begreift, ist eu<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> der Vater verborgen. Kennt ihr mi<strong>ch</strong>, dann kennt<br />

ihr ihn.<br />

8,20: Diese Worte redete er, als er beim S<strong>ch</strong>atzhaus im Tempel lehrte. Und<br />

keiner ergriff ihn, weil seine Stunde no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gekommen war. Die Fäuste<br />

seiner Widersa<strong>ch</strong>er blieben gelähmt, so erregt au<strong>ch</strong> der Augenblick war und so<br />

gefahrvoll er s<strong>ch</strong>ien. <strong>Johannes</strong> gibt uns Anteil an der bangen Stimmung der<br />

Jünger, die si<strong>ch</strong> bei diesem Ringen seiner Widersa<strong>ch</strong>er mit Jesus ni<strong>ch</strong>t verwundert<br />

hätten, wenn sie über ihn hergefallen wären, vielmehr si<strong>ch</strong> verwunderten,<br />

daß es ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ah.<br />

Jesus spri<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong>mals warnend aus, daß das bittere, unwiderrufli<strong>ch</strong>e Zu<br />

spät! ihnen nahe. 8,21: Nun sagte er wieder zu ihnen: I<strong>ch</strong> gehe weg, und ihr<br />

werdet mi<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>en und dur<strong>ch</strong> eure Sünde sterben. Dahin, wohin i<strong>ch</strong> gehe,<br />

könnt ihr ni<strong>ch</strong>t kommen. Später werden sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm verlangen und den Chri-


122 Der Kampf am letzten Tage des Laubhüttenfestes<br />

stus s<strong>ch</strong>merzli<strong>ch</strong> vermissen, jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dorthin kommen können, wo er ist,<br />

während er jetzt bei ihnen ist und ein einziger S<strong>ch</strong>ritt sie zu ihm führt, und<br />

diesen einen S<strong>ch</strong>ritt tun sie ni<strong>ch</strong>t, laufen vielmehr dem Tod entgegen, den ihre<br />

Sünde ihnen bringen wird. <strong>Das</strong> ist das ernste "Wunder, das die Ers<strong>ch</strong>einung<br />

Jesu begleitet: in der Gegenwart dessen, der die Sünde der "Welt wegnimmt,<br />

sterben sie, weil sie ihre Sünde behalten.<br />

"Wieder wird seine Klage verhöhnt, diesmal no<strong>ch</strong> gröber als damals, als<br />

sie la<strong>ch</strong>ten, ob er si<strong>ch</strong> wohl an die Grie<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>en wolle als an eine dankbarere<br />

Zuhörers<strong>ch</strong>aft. 8,22: Nun sagten die Juden: Wird er si<strong>ch</strong> wohl selbst<br />

töten, daß er sagt: Dahin, wohin i<strong>ch</strong> gehe, könnt ihr ni<strong>ch</strong>t kommen? Au<strong>ch</strong> diesmal<br />

war im Unverstand ihres Unglaubens eine wahre Ahnung enthalten. In<br />

der Tat wird sein Kreuz diese Trennung bringen und bewirken, daß er von<br />

ihnen weggegangen ist und sie ni<strong>ch</strong>t mehr an seinen Ort gelangen.<br />

Um ihnen den Unters<strong>ch</strong>ied zu erläutern, der sie voneinander trennt, zeigt<br />

Jesus auf die Vers<strong>ch</strong>iedenheit des Ursprungs hin, der ihm und ihnen ihr "Wesen<br />

gab. 8,23. 24a: Und er sagte zu ihnen: Ihr seid aus dem, was unten ist, i<strong>ch</strong> aus<br />

dem, was oben ist; ihr seid aus dieser Welt, i<strong>ch</strong> bin ni<strong>ch</strong>t aus dieser Welt.<br />

Darum sagte i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>, daß ihr dur<strong>ch</strong> eure Sünden sterben werdet. "Wie er Nikodemus<br />

an die doppelte Geburt erinnert, ob er auF'dem Fleis<strong>ch</strong> oder aus dem<br />

Geist sein Leben habe, so heftet er hier den Blick der Juden auf die zwiefa<strong>ch</strong>e<br />

"Wurzel, aus der das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e "Wesen wa<strong>ch</strong>sen kann, aus dem, was oben ist,<br />

oder aus dem, was unten ist. Sie ziehen aus dem, was unten ist, ihre Gedanken<br />

und ihren Willen und nehmen aus dieser "Welt ihren Besitz, au<strong>ch</strong> ihre inwendige<br />

Habe, die ihre Seele formt und füllt. Von den Mens<strong>ch</strong>en haben sie das,<br />

was sie sind. Die "Welt in ihrer sündli<strong>ch</strong>en, von Gott ges<strong>ch</strong>iedenen Art hat<br />

ihnen vorgesagt, was sie glauben, und vorgema<strong>ch</strong>t, was sie tun. Er dagegen<br />

stammt aus dem, was droben ist, ni<strong>ch</strong>t aus dieser "Welt, verdankt das, worin<br />

sein Leben steht, ni<strong>ch</strong>t den Mens<strong>ch</strong>en, füllt sein Herz ni<strong>ch</strong>t am mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Denken und "Wollen, nimmt vielmehr, was er weiß, will und tut, aus Gott.<br />

Darum, weil sie ni<strong>ch</strong>t von oben, sondern von unten erzeugt, bewegt und regiert<br />

sind, darum werden sie au<strong>ch</strong> an ihren Sünden sterben. Denn das Leben ist<br />

nur oben zu finden, ni<strong>ch</strong>t unten, ni<strong>ch</strong>t bei dieser "Welt. Sie ist unter die Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

des Todes gestellt, weil nur das bleiben kann, was aus Gott geboren ist.<br />

Darum ist Jesus der Helfer aus dem 1 Tod, und niemand ist es als er. 8,24b:<br />

Denn wenn ihr ni<strong>ch</strong>t glaubt, daß i<strong>ch</strong> bin, so werdet ihr dur<strong>ch</strong> eure Sünden sterben.<br />

Damit ist das Ges<strong>ch</strong>äft des Glaubens in der einfa<strong>ch</strong>sten Weise bes<strong>ch</strong>rieben.<br />

Er läßt Jesus gelten, daß und was er ist, leugnet ihm ni<strong>ch</strong>t ab, daß er da sei,<br />

bejaht ihn, wie er ist, behandelt ihn als den "Wirkli<strong>ch</strong>en und "Wahrhaftigen und


<strong>Johannes</strong> 8,22—27<br />

nimmt ihn in seiner von Gott uns gegebenen Realität. Sowie Jesus ni<strong>ch</strong>t auf<br />

die Widerrede stößt, die ihn verleugnet, sowie er als der <strong>Das</strong>eiende, Lebendige,<br />

ni<strong>ch</strong>t als S<strong>ch</strong>atten, Null und Ni<strong>ch</strong>ts betra<strong>ch</strong>tet wird, ist der Mens<strong>ch</strong> in<br />

den Berei<strong>ch</strong> seiner Gnade getreten, und er erfährt ihn als den Lebenden und<br />

Wirkli<strong>ch</strong>en. Es ist freili<strong>ch</strong> mit dieser einfa<strong>ch</strong>sten, s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>testen Benennung des<br />

Glaubens au<strong>ch</strong> wieder die ganze Ents<strong>ch</strong>lossenheit ausgedrückt, die ihm eigen<br />

ist. Der Glaubende hält si<strong>ch</strong> daran, daß er da ist, läßt darum wirkli<strong>ch</strong> ihn gelten,<br />

widerredet ihm ni<strong>ch</strong>t, spri<strong>ch</strong>t ihm ni<strong>ch</strong>t ab, was er ist, sondern sagt: Du<br />

bist, und daran, daß du bist, hängt mein Leben.<br />

Der Anspru<strong>ch</strong> Jesu an den Glauben der Gemeinde erregte immer den Zwiespalt,<br />

wie es uns <strong>Johannes</strong> s<strong>ch</strong>on am Streit der Galiläer mit ihm in Kapernaum<br />

gezeigt hat. 8,25a: Nun sagten sie zu ihm: Wer bist denn du? <strong>Das</strong> müssen sie<br />

wissen; sonst kann man ihm ni<strong>ch</strong>t glauben. Jesus kann ihnen nur sagen, daß ja<br />

sein ganzes Wort davon spri<strong>ch</strong>t. Davon war immer die Rede, was er für sie sei,<br />

und er bezeugte es ihnen unermüdli<strong>ch</strong>. Er kann sie deshalb nur auf sein Wort<br />

verweisen. 8,25b: Jesus spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Ganz und gar das bin idi, was i<strong>ch</strong> zu<br />

eu<strong>ch</strong> rede. Er kann ihnen ni<strong>ch</strong>ts Neues antworten, ni<strong>ch</strong>t über sein Wort hinaus<br />

no<strong>ch</strong> neuen Aufs<strong>ch</strong>luß geben; ans Wort, das er ihnen sagt, haben sie si<strong>ch</strong> zu<br />

halten. <strong>Das</strong> ist er, was er von si<strong>ch</strong> sagt.<br />

Freili<strong>ch</strong> sagt er jetzt no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t alles, was er zu sagen hätte. 8,26a: I<strong>ch</strong> habe<br />

über eu<strong>ch</strong> vieles zu sagen und zu ri<strong>ch</strong>ten. Wenn er es sagte, so würde es für sie<br />

zum Geri<strong>ch</strong>t. Sein S<strong>ch</strong>weigen ist Gnade, die zudeckt, was ausgespro<strong>ch</strong>en und<br />

ans Li<strong>ch</strong>t gestellt ihnen S<strong>ch</strong>ande und Verdammung bringt. Für sein S<strong>ch</strong>weigen<br />

wie sein Reden blickt er auf zum Vater. 8,26b: Aber der, der mido gesandt hat,<br />

ist wahrhaftig, und i<strong>ch</strong> rede das, was i<strong>ch</strong> von ihm gekört habe, zur Welt. Er<br />

kann s<strong>ch</strong>weigen; denn unter dem S<strong>ch</strong>utz des Vaters ist die Wahrheit wohl geborgen.<br />

Er kann reden; denn weil der Vater wahrhaftig ist, so ist das von ihm<br />

empfangene Wort Kraft und Leben. Jesu Beruf ist nur der, was er selbst vom<br />

Vater gehört hat, ins Ohr der Mens<strong>ch</strong>en, die ni<strong>ch</strong>t selber den Vater hören, auszuspre<strong>ch</strong>en.<br />

Weil er in dieser Regel bleibt und sein Wort mit dem, was er hört,<br />

in Einheit setzt, ist sein Reden und sein S<strong>ch</strong>weigen rein und re<strong>ch</strong>t.<br />

Dieses Wort hat so innig und völlig Jesu Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater zum<br />

Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t, daß es seinen Zuhörern unverständli<strong>ch</strong> blieb. 8,27: Sie<br />

nahmen ni<strong>ch</strong>t wahr, daß er ihnen vom Vater redete. Bei Jesu Wort an Gott zu<br />

denken, lag ihnen fern, als gäbe es eine so wirksame Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm, daß<br />

si<strong>ch</strong> das Wort eines Mens<strong>ch</strong>en <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem ri<strong>ch</strong>ten könnte, was ihm von Gott her<br />

vernehmli<strong>ch</strong> wird. Au<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>riftgelehrte sagte gern fast mit denselben<br />

Worten: Wie i<strong>ch</strong> gehört habe, rede i<strong>ch</strong>; dabei da<strong>ch</strong>te er aber an die Alten, die<br />

I2 3


124 Der Kampf am letzten Tage des Laubhüttenfestes<br />

vor ihm gelehrt hatten, an die Meister, die er einst in der Gemeinde, im Geri<strong>ch</strong>t,<br />

in der S<strong>ch</strong>ule lehren und urteilen sah. Denn ihm s<strong>ch</strong>ien es ein Ruhm und<br />

eine Verbürgung der Wahrheit, wenn er genau so spra<strong>ch</strong>, wie es vordem s<strong>ch</strong>on<br />

seine Lehrer taten. Daß Jesus si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu einem Mens<strong>ch</strong>en, sondern zu Gott<br />

so halte, daß er nur rede, was er von diesem höre, war für sie unerhört.<br />

8,28. 29: Nun sagte Jesus: Wenn ihr den Sohn des Mens<strong>ch</strong>en erhöht habt,<br />

dann werdet ihr erkennen, daß i<strong>ch</strong> bin und ni<strong>ch</strong>ts von mir selber tue, sondern<br />

so, wie mi<strong>ch</strong> der Vater lehrte, rede. Und der, der mi<strong>ch</strong> gesandt hat, ist bei mir.<br />

Er ließ mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t allein, weil i<strong>ch</strong> allezeit das tue, was ihm wohlgefällig ist.<br />

Es wird die Zeit kommen, in der sie erkennen werden, daß er ist, ni<strong>ch</strong>t ein<br />

Traum ist und S<strong>ch</strong>ein und hohles Wort, sondern wirkli<strong>ch</strong>, ganz so, wie er es<br />

sagt, und im vollen Empfangen ganz aus dem Vater handelt und spri<strong>ch</strong>t. Seine<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater wird ihnen dann offenbar werden, wenn sie ihn<br />

erhöht haben — am Kreuzespfahl. <strong>Das</strong> war für die Glaubenden eine Verheißung,<br />

für die Widersa<strong>ch</strong>er ers<strong>ch</strong>reckend. Jesus spri<strong>ch</strong>t die Gewißheit aus, daß<br />

er ni<strong>ch</strong>t der Verborgene bleiben wird, sondern daß ihn der Vater verklären<br />

wird au<strong>ch</strong> vor seinen Widersa<strong>ch</strong>ern. <strong>Das</strong> ges<strong>ch</strong>ieht ni<strong>ch</strong>t vor dem Kreuz, sondern<br />

dur<strong>ch</strong> das Kreuz. Eher werden ihnen die Augen ni<strong>ch</strong>t aufgehen, bis sie<br />

ihn an den Pfahl gehängt haben. Dadur<strong>ch</strong> aber, wenn er von ihnen verworfen<br />

und geri<strong>ch</strong>tet ho<strong>ch</strong> am Pfahle hing, erhält er die Ma<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> wirksam zu bezeugen<br />

und es herrli<strong>ch</strong> offenbar zu ma<strong>ch</strong>en, daß er seinen stillen Gehorsam in<br />

der Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater übt. Ähnli<strong>ch</strong> hat er vor dem hohen Rat gesagt:<br />

Von nun an werdet ihr den Mens<strong>ch</strong>ensohn zur Re<strong>ch</strong>ten Gottes sitzen<br />

sehen. Ob ihm au<strong>ch</strong> der Kreuzespfahl vor Augen s<strong>ch</strong>webt, ers<strong>ch</strong>rickt er do<strong>ch</strong><br />

vor diesem Bilde ni<strong>ch</strong>t, windet und krümmt si<strong>ch</strong> inwendig ni<strong>ch</strong>t, sondern ist<br />

mit seinem Weg von Herzen einverstanden. Er tritt in der Sendung und im<br />

Auftrag Gottes auf denselben und ist darum au<strong>ch</strong> dort der Gegenwart Gottes<br />

gewiß. Er geht ni<strong>ch</strong>t allein dem Kreuze zu; der, der ihn sandte, ist bei ihm.<br />

<strong>Das</strong> ist sein Stecken und Stab auf seinem Gang. Gott hat ihn ni<strong>ch</strong>t verlassen,<br />

weil au<strong>ch</strong> er ihn ni<strong>ch</strong>t verlassen hat, sondern immer tut, was ihm gefällt,<br />

immer, au<strong>ch</strong> wenn sein Weg si<strong>ch</strong> zum Kreuzespfahl hinwendet. Soll er si<strong>ch</strong><br />

weigern, gehorsam zu sein?<br />

Diese Worte ergriffen viele. 8,30: Als er das sagte, glaubten viele an ihn.<br />

Seine uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>e Gewißheit des Sieges, während er do<strong>ch</strong> allein stand,<br />

keinen der Obersten für si<strong>ch</strong> hatte, vielmehr fortwährend bedroht war, seine<br />

völlige Gründung auf Gott, den er bei si<strong>ch</strong> wußte in lebendiger Gegenwart,<br />

und die strahlende Herrli<strong>ch</strong>keit seines reinen Willens, der Gott zu ganzem<br />

Gehorsam ergeben ist, erwiesen si<strong>ch</strong> an den Hörern als mä<strong>ch</strong>tig und gaben


<strong>Johannes</strong> 8,28—33 125<br />

ihnen die Überzeugung, daß er redit habe und daß ges<strong>ch</strong>ehen werde, was er<br />

sage, und ma<strong>ch</strong>ten sie willig, si<strong>ch</strong> an ihn zu halten. 8,31. 32: Nun sagte Jesus<br />

zu denjenigen Juden, die ihm geglaubt hatten: Wenn ihr in meinem Wort<br />

bleibt, so seid ihr wahrhaft meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen,<br />

und die Wahrheit wird eu<strong>ch</strong> frei ma<strong>ch</strong>en. Daß sein "Wort sie jetzt gefaßt hat,<br />

rei<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t hin, wenn sie si<strong>ch</strong> ihm wieder entziehen und si<strong>ch</strong> wieder vor ihm<br />

verstecken. Ist sein Wort das, was sie bleibend leitet, wohin ihr Denken und<br />

Wollen si<strong>ch</strong> nun bewegt und woran ihre Liebe hängt, dann werden sie au<strong>ch</strong><br />

empfangen, was er den Seinen als das li<strong>ch</strong>t der Welt gibt, Erkenntnis der<br />

Wahrheit statt ihrer ni<strong>ch</strong>tigen, leeren Gedanken, Einbildungen und Lügen,<br />

und die Wahrheit hat die Freiheit bei si<strong>ch</strong>. Indem er ihnen mit der Wahrheit<br />

Göttli<strong>ch</strong>es in ihr Denken und Bewußtsein legt, gibt er ihnen au<strong>ch</strong> eine Gabe in<br />

ihren Lebensstand, in ihr Wesen und Wollen hinein, daß die Ketten fallen, die<br />

Last ihnen abgenommen ist und sie gekräftigt und regsam mit Gott und der<br />

Welt zu handeln vermögen.<br />

Damit war jedo<strong>ch</strong> das zweite Hindernis berührt, das den Juden den Glauben<br />

an Jesus s<strong>ch</strong>wer ma<strong>ch</strong>te. Unglaubli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>ien ihnen zuerst Jesu Sohns<strong>ch</strong>aft<br />

und Herrs<strong>ch</strong>aft seiner Niedrigkeit wegen. Die, mit denen Jesus jetzt spra<strong>ch</strong>,<br />

hatte er dazu gebra<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> vor ihm zu beugen. Aber nun mußte von dem die<br />

Rede sein, was Jesus aus dem Mens<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>en und ihm geben will, wogegen<br />

s<strong>ch</strong>on Nikodemus seine Einrede geri<strong>ch</strong>tet hat. <strong>Das</strong> gab den neuen, harten<br />

Kampf mit dem Selbstruhm, der Si<strong>ch</strong>erheit und Eigenliebe, die der Jude bei<br />

si<strong>ch</strong> groß gezogen hatte. Zuerst galt es den Streit mit ihrer Unwissenheit über<br />

Gott, jetzt mit ihrer Unwissenheit über si<strong>ch</strong> selbst. Dort mußte Jesus ihr fals<strong>ch</strong>es<br />

Gottesbild zerbre<strong>ch</strong>en, hier ihr fals<strong>ch</strong>es Mens<strong>ch</strong>enbild. Wahrheit und<br />

Freiheit soll der Jude erst bei Jesus erlangen; ist er denn jetzt im Irrtum und<br />

in der Sklaverei? <strong>Das</strong> letztere war der ste<strong>ch</strong>endere Vorwurf. Daß unser Anteil<br />

an der Wahrheit klein ist, empfinden wir lei<strong>ch</strong>ter und lassen uns gern mit<br />

neuer Erkenntnis bes<strong>ch</strong>enken. Der Vorwurf der Kne<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>aft trifft aber unsere<br />

Willensgestalt und damit das, was im vollsten Sinne unser eigen ist und<br />

unser personhaftes Leben ausma<strong>ch</strong>t. Daß wir für unser Wollen und Tun der<br />

Freiheit entbehren, hierin bei uns selbst hilflos und ratlos seien und des Erlösers<br />

bedürfen, der uns Ketten abnimmt, in die wir ma<strong>ch</strong>tlos gebunden sind, streitet<br />

gegen die Eigenliebe jedes Mens<strong>ch</strong>en und besonders gegen Israels Stolz.<br />

8,33:Sie antworteten ihm: Wir sind Abrahams Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t und niemand }e<br />

verkne<strong>ch</strong>tet gewesen. Wie sagst du: Ihr werdet frei werden? Wir, sagen sie,<br />

haben die Freiheit, daß wir in Gott unseren einzigen Herrs<strong>ch</strong>er haben, so daß<br />

wir wohl von Tyrannen unterjo<strong>ch</strong>t und von roher Gewalt zertreten werden


I2Ö Der Kampf am letzten Tage des Laubhüttenfestes<br />

können und denno<strong>ch</strong> nie jemandes Sklaven werden, weil Gott uns niemals<br />

aufgibt, so daß wir nie einem anderen Herrn gehört haben oder gehören werden<br />

als ihm allein. Stolz, ja trotzig hat si<strong>ch</strong> damals Israel seiner Freiheit gerühmt<br />

als unantastbar dur<strong>ch</strong> irgendeines Mens<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t, weil sie in Gott<br />

begründet sei.<br />

Damit verbergen sie si<strong>ch</strong> aber den Ausgang des Sündigem. 8,34-36: Jesus<br />

antwortete ihnen: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Jeder, der die Sünde tut,<br />

ist Kne<strong>ch</strong>t der Sünde. Aber der Kne<strong>ch</strong>t bleibt ni<strong>ch</strong>t für immer im Hause. Der<br />

Sohn bleibt für immer. Darum, wenn eu<strong>ch</strong> der Sohn frei ma<strong>ch</strong>t, werdet ihr<br />

wahrhaft frei sein. Niemand tut die Sünde, ohne daß er seine Freiheit verliert<br />

und in die Ma<strong>ch</strong>t der Sünde kommt. Ihre Herrs<strong>ch</strong>aft über uns spüren wir an<br />

unserer Unfähigkeit, uns von unserem bösen "Willen wieder zu befreien, an der<br />

Beharrli<strong>ch</strong>keit unseres verdorbenen Begehrens, die fortlebt und immer wieder,<br />

sei es als Lockung zum Bösen, sei es mit siegrei<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t als vollendete Sünde<br />

zum Vors<strong>ch</strong>ein kommt. Do<strong>ch</strong> dürfen wir, wenn Jesus von der Kne<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>aft<br />

unter die Sünde spri<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>t bloß an die Fesselung unseres "Willens denken,<br />

sondern weiter an die ganze Not, die den Sünder überfällt, lähmt, erniedrigt,<br />

arm und elend ma<strong>ch</strong>t. Unsere Sünde bestimmt unseren Platz vor Gott und<br />

Mens<strong>ch</strong>en, s<strong>ch</strong>eidet uns von beiden, ma<strong>ch</strong>t uns von Gott flü<strong>ch</strong>tig, seiner Liebe<br />

und Segnung verlustig, entzweit uns au<strong>ch</strong> mit den Mens<strong>ch</strong>en und der Natur,<br />

tötet überall die Liebe, hebt alle Gemeins<strong>ch</strong>aft auf, nimmt uns den Raum zum<br />

Gedeihen und legt uns dadur<strong>ch</strong> unzerreißbare Ketten an, die uns ohnmä<strong>ch</strong>tig<br />

ma<strong>ch</strong>en. Nie errei<strong>ch</strong>t unser böser "Wille sein Ziel, sondern er wird in die Erfolglosigkeit<br />

zurückgestoßen. Statt des Glücks, <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem er has<strong>ch</strong>t, findet er<br />

S<strong>ch</strong>ande, S<strong>ch</strong>merz und Tod, und wir müssen sie haben gegen unseren "Willen.<br />

So wird der Mens<strong>ch</strong>, weil er seinen "Willen fäls<strong>ch</strong>t und verdirbt, zum willenlosen<br />

Kne<strong>ch</strong>t erniedrigt, der tun muß, was er flieht, und leiden muß, was er<br />

für<strong>ch</strong>tet.<br />

Zu den Kne<strong>ch</strong>ten kam der Sohn, und Jesus erläutert uns diesen Unters<strong>ch</strong>ied<br />

am irdis<strong>ch</strong>en Verhältnis beider. Der Kne<strong>ch</strong>t bleibt ni<strong>ch</strong>t im Hause; sein Herr<br />

übergibt ihn anderen, wie er will, ohne daß er ihn fragt; er kann ihn jederzeit<br />

verkaufen oder entlassen. <strong>Das</strong> Verhältnis, das den Kne<strong>ch</strong>t ans Haus knüpft,<br />

ist ni<strong>ch</strong>t unlösbar. Den Sohn dagegen gibt der Vater niemals weg; das ist ein<br />

unzerreißbares Band, eine ewige Gemeins<strong>ch</strong>aft. <strong>Das</strong> überträgt si<strong>ch</strong> auf die<br />

Stellung der Juden zu Gott. Sie sind im Hause, weil Gott sie no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verworfen<br />

und geri<strong>ch</strong>tet hat, sondern sie no<strong>ch</strong> seine Güte genießen läßt. "Weil sie<br />

aber die Sünde tun und darum der Kne<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>aft verfallen sind, ist ihr Anteil<br />

an Gottes Haus ni<strong>ch</strong>t fest, ni<strong>ch</strong>t ewig; sie werden wegges<strong>ch</strong>ickt, und die Tür


<strong>Johannes</strong> 8,34-38 127<br />

des göttli<strong>ch</strong>en Hauses wird ihnen zugema<strong>ch</strong>t. Dagegen finden sie die Hilfe nur<br />

im Sohne, der selbst der Freie und fest im Hause Gottes eingepflanzt ist und<br />

darum die wahrhaft frei ma<strong>ch</strong>t, die mit ihm verbunden sind. Indem er sie zu<br />

si<strong>ch</strong> stellt und an dem teilnehmen läßt, was er selbst als Sohn besitzt, erhalten<br />

sie ni<strong>ch</strong>t nur eine S<strong>ch</strong>einfreiheit wie die, mit der si<strong>ch</strong> Israels Trotz brüstete;<br />

sondern ihre Ketten sind wirkli<strong>ch</strong> zerbro<strong>ch</strong>en, und der offene Zugang zu Gott<br />

und die offene Gemeins<strong>ch</strong>aft mit den Mens<strong>ch</strong>en und der fröhli<strong>ch</strong>e, fru<strong>ch</strong>tbare<br />

Dienst Gottes und das Leben, das kein Tod mehr antastet, sind ihnen ges<strong>ch</strong>enkt.<br />

8,37:/c& weiß, daß ihr Abrahams Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t seid; aber ihr su<strong>ch</strong>t mi<strong>ch</strong> zu<br />

töten, weil mein Wort bei eu<strong>ch</strong> keinen Raum hat. Die Mahnung der Juden, die<br />

Jesus daran erinnern, sie seien Abrahams Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, ist unnötig. Deshalb ist er<br />

ja bei ihnen mit seinem "Wort und seinen Gaben, weil sie unter der Abraham<br />

gegebenen Verheißung stehen und die von ihm herstammende Gemeinde bilden.<br />

Sie dürfen aber ihre Gedanken ni<strong>ch</strong>t nur bei dem haben, was vergangen ist, und<br />

dort, ihren Ruhm und Trost su<strong>ch</strong>en. Ihr Ges<strong>ch</strong>ick hängt ab von dem, was sie<br />

jetzt sind und tun. Was hilft es ihnen, Abrahams Kinder zu sein, wenn sie<br />

Jesus töten wollen? Abraham und das von ihm her an sie gelangte Wort Gottes<br />

ist für sie verloren, wenn sie si<strong>ch</strong> dem Sohne widersetzen mit jenem ganzen<br />

Haß, der ihn töten will.<br />

Dieser Haß rührt daher, daß Jesu Wort ni<strong>ch</strong>t Raum in ihnen hat, und das<br />

kommt wieder daher, daß er und sie vers<strong>ch</strong>iedene Väter haben, 8,38: I<strong>ch</strong> rede,<br />

was i<strong>ch</strong> beim Vater gesehen habe; darum tut au<strong>ch</strong> ihr, was ihr vom Vater gehört<br />

habt. Den seinigen hat Jesus gesehen; er hat Gott so nahe bei si<strong>ch</strong>, daß er<br />

für si<strong>ch</strong> vom Sehen Gottes spri<strong>ch</strong>t. Die Juden dagegen sahen ihren Vater freili<strong>ch</strong><br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t; er hält si<strong>ch</strong> heimli<strong>ch</strong> und verborgen und enthüllt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst.<br />

Sie hören ihn aber und empfangen sein Wort. Da aber, wo dieses Wort, das si<strong>ch</strong><br />

von unten her im Mens<strong>ch</strong>en hörbar ma<strong>ch</strong>t, das Herz erfüllt, ist für Jesu Wort<br />

kein Raum mehr vorhanden. Es läßt ihn ni<strong>ch</strong>t los, daß er au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> auf das<br />

aufmerken könnte, was ihm Jesus sagt, und zu glauben vermö<strong>ch</strong>te, was er uns<br />

verkündigt. Hier treibt das eine Wort das andere aus. Beide greifen fest <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

der ganzen Person des Mans<strong>ch</strong>en, füllen darum sein Ohr und beherrs<strong>ch</strong>en seinen<br />

Sinn. Ehe das eine einziehen kann, muß das andere wei<strong>ch</strong>en. Den Juden s<strong>ch</strong>ien<br />

es zwar, sie seien in ihrem bösen Denken und Wollen selbständig und ihre eigenen<br />

Herren; sie sind es aber ni<strong>ch</strong>t, sind ni<strong>ch</strong>t die s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en Bildner ihres<br />

Herzens; sondern au<strong>ch</strong> sie werden geführt und unterwiesen. Wer ihr Vater sei,<br />

der ihnen ihren Willen gibt und ihnen vorsagt, was sie tun, läßt Jesus vorerst<br />

no<strong>ch</strong> unausgespro<strong>ch</strong>en.<br />

Nur gezwungen und getrieben dur<strong>ch</strong> den hoff artigen Trotz der Juden, ent-


128 Der Kampf am letzten Tage des Laubhüttenfestes<br />

hüllt er ihnen immer voller und s<strong>ch</strong>ärfer ihre Bosheit, S<strong>ch</strong>uld und innere Not.<br />

Zuerst sagt er ihnen: Aus der Welt wa<strong>ch</strong>st ihr heraus und habt ni<strong>ch</strong>t mehr, als<br />

was die Welt hat und gibt; nun deutet er auf den hin, der in der Welt von<br />

unten her sein Werk betreibt. Aber no<strong>ch</strong> ist das s<strong>ch</strong>were Wort ni<strong>ch</strong>t ausgespro<strong>ch</strong>en,<br />

das alle Gemeins<strong>ch</strong>aft zwis<strong>ch</strong>en ihm und ihnen bri<strong>ch</strong>t. Sie selbst rangen<br />

es ihm ab dadur<strong>ch</strong>, daß sie stolz und dreist das göttli<strong>ch</strong> heißen, was ungöttli<strong>ch</strong><br />

ist. 8,39—41a: Sie antworteten und sagten zu ihm: Unser Vater ist Abraham.<br />

Jesus sagt zu ihnen: Wenn ihr Kinder Abrahams seid; so tut die Werke Abrahams!<br />

Nun aber su<strong>ch</strong>t ihr mi<strong>ch</strong> zu töten, mido, den Mens<strong>ch</strong>en, der eu<strong>ch</strong> die<br />

Wahrheit gesagt hat, die er von Gott hörte. <strong>Das</strong> tat Abraham ni<strong>ch</strong>t. Ihr tut die<br />

Werke eures Vaters. Ihrer Zuversi<strong>ch</strong>t, daß sie mit Abraham als seine Kinder<br />

verbunden seien, hält Jesus entgegen, daß man das Kind an dem erkenne, was<br />

es tut, weil es seinen Gedanken und Willen vom Vater hat. Ist wirkli<strong>ch</strong> Abraham<br />

der, von dem sie ihr inwendiges Eigentum haben, so müssen sie tun, was<br />

Abraham tat. Ihr Werk ist aber von demjenigen Abrahams grundvers<strong>ch</strong>ieden.<br />

Sie töten den, der ihnen die Wahrheit sagt, die er von Gott empfing. Der ist<br />

ihr Vater, dessen Werke sie tun. Wessen Werk ist es nun, den Boten Gottes zu<br />

töten, weil er Gottes Wahrheit spri<strong>ch</strong>t?<br />

Weil die Juden spüren, daß Jesu Wort immer mehr zum Geri<strong>ch</strong>t über ihre<br />

Bosheit wird und mit seinem hellen Li<strong>ch</strong>t als verni<strong>ch</strong>tendeMa<strong>ch</strong>t über sie hereinbri<strong>ch</strong>t,<br />

wird ihr Streit mit ihm leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er und ihre Verteidigung greift<br />

zum Hö<strong>ch</strong>sten, was sie vorzubringen haben. 8,41b: Sie sagten zu ihm: Wir sind<br />

ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Hurerei geboren. Einen einzigen Vater haben wir, Gott. Er tut, als<br />

wäre ihr Vater ein dunkles Geheimnis, wie es bei dem zutrifft, dem Hurerei<br />

das Leben gab. So steht es mit ihnen ni<strong>ch</strong>t. Woher Israel stammt, ist sonnenklar;<br />

sein Ursprung liegt im hellen, reinen Li<strong>ch</strong>t. Sie sind Gottes Werk, von<br />

Gott berufen und gema<strong>ch</strong>t. Darüber, wer ihr Vater sei, gibt es ni<strong>ch</strong>ts zu zweifeln<br />

und zu streiten: Einer ist es, Gott.<br />

Jesus kann und darf ihnen jedo<strong>ch</strong> niemals zugeben, daß das, was sie sind,<br />

aus Gott komme. 8,42.43 : Jesus sagte zu ihnen: Wenn Gott euer Vater wäre,<br />

so würdet ihr mido lieben. Denn i<strong>ch</strong> bin von Gott ausgegangen und gekommen.<br />

Denn i<strong>ch</strong> bin ni<strong>ch</strong>t von mir selber gekommen; sondern er hat mi<strong>ch</strong> gesandt.<br />

Weshalb kennt ihr meine Art zu spre<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t? Weil ihr meinWort ni<strong>ch</strong>t hören<br />

könnt. Wären au<strong>ch</strong> sie Gottes Kinder, wie liebli<strong>ch</strong> wäre dann ihr Verhältnis<br />

zu ihm! Dann nähmen sie wahr, daß in ihm das lebt, was au<strong>ch</strong> ihnen gegeben<br />

ward. So gäbe es ja lauter Übereinstimmung, Gemeins<strong>ch</strong>aft, Eintra<strong>ch</strong>t zwis<strong>ch</strong>en<br />

ihnen. Statt dessen ers<strong>ch</strong>eint ihnen die Art, wie er spri<strong>ch</strong>t und Gott preist und<br />

den Mens<strong>ch</strong>en zu ihm beruft, völlig fremdartig. Sie hat für sie keinen heimat-


<strong>Johannes</strong> 8,39—44<br />

li<strong>ch</strong>en Klang und erweckt in ihnen kein Einverständnis. <strong>Das</strong> kommt aus ihrem<br />

Unvermögen, sein Wort zu hören. Wie Taube stehen sie vor ihm, zu denen er<br />

vergebli<strong>ch</strong> spri<strong>ch</strong>t. <strong>Das</strong> bringt in ihren Verkehr fortwährend Bitterkeit und<br />

S<strong>ch</strong>merz. Sie ereifern si<strong>ch</strong> gegen ihn, und er betrübt si<strong>ch</strong> über sie. <strong>Das</strong> zeigt, daß<br />

ein anderer als Gott sie inwendig regiert und ihnen das gibt, was sie von innen<br />

her bewegt.<br />

8,44: Ihr seid aus dem Vater, dem Verkläger, und wollt die Begierden eures<br />

Vaters tun. Er war von Anfang an ein Mörder der Mens<strong>ch</strong>en und steht ni<strong>ch</strong>t in<br />

der Wahrheit, weil die Wahrheit nidit in ihm ist. *Wenn er die Luge redet,<br />

redet er aus dem, was ihm eigen ist; denn er ist ein Lügner und sein Vater. Daß<br />

sie si<strong>ch</strong> von ihm ihren Willen geben lassen, wird darin offenbar, daß sie den,<br />

der ihnen die Wahrheit sagt, zu töten wüns<strong>ch</strong>en. <strong>Das</strong> ist teuflis<strong>ch</strong>; der Wille des<br />

Teufels geht auf das Morden und Lügen. Er gibt kein Leben, hat au<strong>ch</strong> keines,<br />

nimmt es vielmehr und hat daran seine Lust, daß er es den Mens<strong>ch</strong>en rauben<br />

kann. Jesus wird an das Paradies denken, wo der Mens<strong>ch</strong> im Leben stand und<br />

aus diesem dur<strong>ch</strong> den Teufel herausgerissen ward, an Kain, der am Altar si<strong>ch</strong><br />

den Mordsinn holte und den Bruder ers<strong>ch</strong>lug, und an die ganze nie endende<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Mordens seither, die dur<strong>ch</strong> die Jahrhunderte läuft. <strong>Das</strong> zweite<br />

Merkmal der teuflis<strong>ch</strong>en Art ist, daß sie von der Wahrheit ges<strong>ch</strong>ieden ist. Damit<br />

der Satan in ihr seinen Stand besäße und von ihr'gehalten und geleitet wäre,<br />

müßte sie in ihm sein; er müßte ihr seine liebe und seinen Willen geben. Weil<br />

er si<strong>ch</strong> aber inwendig der Wahrheit widersetzt und si<strong>ch</strong> selbst von ihr leer gema<strong>ch</strong>t<br />

hat, flieht er vor ihr. Da si<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> jetzt no<strong>ch</strong> seine Regsamkeit und<br />

Zeugungskraft stetig äußert, s<strong>ch</strong>afft er ni<strong>ch</strong>ts als Lügen, ni<strong>ch</strong>tige Gedanken,<br />

leere Spiegelungen der eigenen Phantasie, täus<strong>ch</strong>ende Ziele, die nie zur Wirkli<strong>ch</strong>keit<br />

gelangen, entstellteBilder Gottes und der Welt und des eigenen Lebensstands,<br />

die das, was Gott denkt und ma<strong>ch</strong>t, verdecken und verdrängen sollen.<br />

Dieses ni<strong>ch</strong>tige Gebilde eines eigenmä<strong>ch</strong>tigen Wortes, das verneint, was Gott<br />

bejaht, bejaht, was Gott verneint, ist sein Eigentum, sonst ni<strong>ch</strong>ts; weil er aus<br />

diesem Besitz heraus spri<strong>ch</strong>t, ma<strong>ch</strong>t er alle, die er faßt und leitet, zu Lügnern.<br />

Denn er benutzt sie als Werkzeuge und Genossen bei seinem Bemühen, die<br />

Wirkli<strong>ch</strong>keit wegzudenken und wegzureden und Gottes Werk zu entstellen.<br />

Wie er als Mörder gegen das Leben kämpft, das Gott pflanzt, so streitet er als<br />

Lügner gegen die <strong>Offenbarung</strong> des Lebens im Li<strong>ch</strong>t und s<strong>ch</strong>afft si<strong>ch</strong> zu diesem<br />

Streit Gehilfen, Kinder, die dur<strong>ch</strong> ihn denken und wollen und darum lügen,<br />

wie^und was er lügt. ''.'*•<br />

Niemals ist auf Erden das teuflis<strong>ch</strong>e Wesen und Wirken so mä<strong>ch</strong>tig ans<br />

li<strong>ch</strong>t gestellt worden, wie es Jesus hier getan hat.Nur der, der die ganzeGnade<br />

I2 9


13° Der Kampf am letzten Tage des Laubhüttenfestes<br />

hat, kann au<strong>ch</strong> das Böse im Mens<strong>ch</strong>en mit dieser s<strong>ch</strong>onungslosen Wahrheit nennen<br />

und ri<strong>ch</strong>ten. Der Blick in das teuflis<strong>ch</strong>e Regiment über die Mens<strong>ch</strong>heit<br />

würde uns zum Unsegen, weil er uns zur Verzweiflung an uns selbst und zur<br />

Härte und Grausamkeit gegen die anderen triebe, hielten wir ni<strong>ch</strong>t das Auge<br />

fest auf den geri<strong>ch</strong>tet, in dem die Gnade und Wahrheit in siegrei<strong>ch</strong>er Obma<strong>ch</strong>t<br />

ers<strong>ch</strong>ienen sind. Für Jesu Weg auf Erden ist aber dieses Wort von großer Wi<strong>ch</strong>tigkeit.<br />

Beim Kampf, den er in der Welt führt, hat er es ni<strong>ch</strong>t nur mit<br />

den Mens<strong>ch</strong>en zu tun, so daß er bloß gegen die fals<strong>ch</strong>en Gebilde der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Willkür zu streiten hätte, sondern mit den Werken des Teufels, die der<br />

geistigen Art des Teufels entspre<strong>ch</strong>end au<strong>ch</strong> mit einer Art fals<strong>ch</strong>en Lebens ausgestattet<br />

sind. Au<strong>ch</strong> er ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> Kinder, wie Gottes Werke Gottes Kinder<br />

sind. Weil er aber ni<strong>ch</strong>ts, s<strong>ch</strong>affen kann in eigener s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t, verdirbt<br />

er, was Gott gema<strong>ch</strong>t hat, und ma<strong>ch</strong>t aus denen, die Gottes Wort ins Leben<br />

rief, seine eigenen Kinder. Er stiehlt, was Gott gehört, und ma<strong>ch</strong>t es si<strong>ch</strong> Untertan.<br />

<strong>Das</strong> ist die Lüge in seinem Ma<strong>ch</strong>tanspru<strong>ch</strong>. Diese Umformung des Mens<strong>ch</strong>en<br />

in das Bild des Teufels ist dann ges<strong>ch</strong>ehen, wenn er die Lust am Verderben<br />

des Lebens und am Verderben der Wahrheit zu seinem Willen ma<strong>ch</strong>t. An<br />

der fur<strong>ch</strong>tbaren Verbreitung des Mordens und Lügens irï der Mens<strong>ch</strong>heit haben<br />

wir zu ermessen, wie mä<strong>ch</strong>tig für Jesu Auge die Herrs<strong>ch</strong>aft des Teufels über sie<br />

ist. Die Sendung Jesu ist im Gegensatz dazu die, daß er in si<strong>ch</strong> die Gnade habe,<br />

die Leben gibt, und das Li<strong>ch</strong>t, das in die Wahrheit führt.<br />

S,4y.Weil i<strong>ch</strong> aber dieWahrheit sage, deshalb glaubt ihr mir ni<strong>ch</strong>t. Jesus hat<br />

mit dem Ges<strong>ch</strong>äft des Teufels, mit dem Lügen, ni<strong>ch</strong>ts gemein, sondern sagt die<br />

Wahrheit und hat es eben jetzt bewiesen, als er fur<strong>ch</strong>tlos seinen Widersa<strong>ch</strong>ern<br />

das Bild ihrer Kne<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>aft vor die Augen hielt. Aber gerade deshalb, weil er<br />

ihnen die Wahrheit sagt, glauben sie ihm ni<strong>ch</strong>t. Sagte er ihnen Lügen und Mär<strong>ch</strong>en,<br />

dann glaubten sie ihm, weil die Lügen ihrer Eigenliebe s<strong>ch</strong>mei<strong>ch</strong>elten und<br />

sie in ihrem selbstsü<strong>ch</strong>tigen Willen bestärkten. Weil er aber als der Wahrhaftige<br />

ihnen zeigt, was Gott ist und was sie in ihrem Verhalten gegen Gott sind¿<br />

wenden sie si<strong>ch</strong> von ihm ab. So entsteht sowohl der Glaube als der Unglaube<br />

aus der Wahrheit. Die Annahme der Wahrheit ist der Glaube; darum rettet er<br />

uns. DicAbweisung der Wahrheit ist der Unglaube; darum ist er S<strong>ch</strong>uld. Darum<br />

ma<strong>ch</strong>t der Unglaube der Juden ihren Anspru<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>tig, daß sie Gott zum<br />

Vater haben. Sie sind ni<strong>ch</strong>t deswegen gegen ihn, weil sie si<strong>ch</strong> an einer Sünde<br />

stießen, die sie an ihm gesehen hätten. Jesus fragt sie unbesorgt 8,46a: Wer<br />

unter eu<strong>ch</strong> hält mir eine Sünde vor? So viel sie gegen ihn murren, niemals ist<br />

das, was sie ihm vorwerfen, eine Sünde. Ni<strong>ch</strong>t, daß sie Böses von ihm wüßten,<br />

nimmt ihnen den Glauben an ihn; sondern er ist ni<strong>ch</strong>t, wie sie wollen, sagt,


<strong>Johannes</strong> 8,45—51 i 31<br />

was ihnen nidit gefällt, was sie dodi selbst als wahr empfinden, und darum<br />

glauben sie ihm ni<strong>ch</strong>t. <strong>Das</strong> ist das Merkzei<strong>ch</strong>en derer, die ni<strong>ch</strong>t aus Gott sind.<br />

8,46b. 47: Wenn i<strong>ch</strong> Wahrheit rede, warum glaubt ihr mir ni<strong>ch</strong>t? Wer aus<br />

Gott ist, hört die Worte Gottes. Deshalb hört ihr ni<strong>ch</strong>t, weil ihr ni<strong>ch</strong>t aus Gott<br />

seid. Es gibt Mens<strong>ch</strong>en, deren Herz ni<strong>ch</strong>t der Teufel, sondern Gott in seiner<br />

Hand hält, die das bewegt und erfüllt, was Gott ihnen gab, ni<strong>ch</strong>t das, was<br />

ihnen der Teufel geben mö<strong>ch</strong>te. "Wer aber aus Gott ist, seine inwendige Gestalt<br />

von Gott empfing und von dem lebt, was Gott ihm gab, der besitzt ein Ohr,<br />

das für Gottes Wort offen ist. Es ist Jesu s<strong>ch</strong>weres Amt gewesen, Israel, das<br />

Gottes <strong>Offenbarung</strong> empfangen hatte und die Bibel besaß, zu sagen: Ihr seid<br />

ni<strong>ch</strong>t aus Gott.<br />

8,48: Die Juden antworteten und spra<strong>ch</strong>en zu ihm: Sagen wir ni<strong>ch</strong>t mit<br />

Re<strong>ch</strong>t, daß du ein Samariter bist und einen bösen Geist basti Na<strong>ch</strong> ihrer Meinung<br />

kann nur ein Samariter und Besessener so über sie urteilen. Ein re<strong>ch</strong>ter<br />

Jude ist er ni<strong>ch</strong>t; ein sol<strong>ch</strong>er hieße niemals den Samen Abrahams eine Gemeinde<br />

von Teufelskindern. Was Jesus bei diesen Worten im Auge hat, ist aber die<br />

Ehre des Vaters. Daß die, die das Herz voll Mordlust und. Lügen haben, Gott<br />

ihren Vater heißen, ist Verunehrung Gottes. Göttli<strong>ch</strong>es und Teuflis<strong>ch</strong>es muß<br />

ges<strong>ch</strong>ieden bleiben; nur so wird Gott geehrt. 8,49. 50: Jesus antwortete: I<strong>ch</strong><br />

habe keinen bösen Geist; sondern i<strong>ch</strong> ehre meinen Vater, und ihr s<strong>ch</strong>ändet mi<strong>ch</strong>.<br />

I<strong>ch</strong> aber su<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t meine Ehre. Der ist da, der sie su<strong>ch</strong>t und ri<strong>ch</strong>tet. Weil Jesus<br />

allerdings ni<strong>ch</strong>t den Juden, dafür aber Gott ehrt, bes<strong>ch</strong>impfen sie ihn. Do<strong>ch</strong><br />

das kann ihn ni<strong>ch</strong>t beugen oder umstimmen, weil er ni<strong>ch</strong>t die eigene Ehre su<strong>ch</strong>t.<br />

Zu diesem Ziele hätte er freili<strong>ch</strong> anders reden und die Bosheit der Mens<strong>ch</strong>en<br />

rühmen müssen. Wem es in Jerusalem an seiner Ehre lag, der ließ es bleiben,<br />

ihnen zu zeigen, daß sie vom Teufel unterjo<strong>ch</strong>t und in seine Lügen hineingezogen<br />

seien. So konnte nur der spre<strong>ch</strong>en, der los und frei von der ganzen Welt<br />

allein am Vater hing und imstande war, ohne Bangen auf den Kreuzespfahl zu<br />

sehen. Ob aber au<strong>ch</strong> die Juden Jesus s<strong>ch</strong>änden, für seine Ehre ist do<strong>ch</strong> wohl gesorgt.<br />

Sie liegt in der Hand des Vaters und ist dort gut aufgehoben. Er ist auf<br />

Jesu Ehre beda<strong>ch</strong>t und wird in diesem Streit sein Urteil spre<strong>ch</strong>en und kundtun,<br />

ver in seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft lebt und seinen Willen tut.<br />

Was begehrt Jesus als seine Ehre und Verherrli<strong>ch</strong>ung? 8,51 : Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>,<br />

i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Wenn jemand mein Wort hält, so wird er ewigli<strong>ch</strong> den Tod<br />

ni<strong>ch</strong>t sehen. <strong>Das</strong> ist seine Verherrli<strong>ch</strong>ung, die ihm der Vater si<strong>ch</strong>er bereiten<br />

wird. Ni<strong>ch</strong>t trotzdem, nein, weil er das Büß- und Strafwort ohne Abzug und<br />

Verhüllung an sie geri<strong>ch</strong>tet hat, alle ihre Selbsttäus<strong>ch</strong>ungen, womit sie si<strong>ch</strong><br />

Gotteskindsdiaft, Abrahamskinds<strong>ch</strong>aft, Wahrheit und Freiheit beilegten, zer-


I3 2 Der Kampf am letzten Tage des Laubhüttenfestes<br />

stört und ihnen das S<strong>ch</strong>reckli<strong>ch</strong>ste gesagt hat, was ein mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Mund sagen<br />

kann, verkündigt er ihnen no<strong>ch</strong>mals das volle <strong>Evangelium</strong>. In dieser Welt, in<br />

der der Teufel die Mens<strong>ch</strong>en mit seinen bösen Gaben füllt und in den Tod hineintreibt,<br />

ist das Leben ers<strong>ch</strong>ienen und Eigentum dessen geworden, der Jesu<br />

Wort bewahrt. Darin setzt er seine Ehre, die ihm beim Vater gesi<strong>ch</strong>ert ist, daß<br />

er die Seinen vom verderbenden, tötenden Tode völlig loszuspre<strong>ch</strong>en vermag,<br />

vgl. 6,50.<br />

Da la<strong>ch</strong>ten die Juden. 8,52. 53: Die Juden sagten zu ihm: Jetzt haben wir<br />

erkannt, daß du einen bösen Geist hast. Abraham starb und die Propheten, und<br />

du sagst: Wenn jemand mein Wort halt, wird er ewigli<strong>ch</strong> den Tod ni<strong>ch</strong>t<br />

s<strong>ch</strong>mecken! Bist du etwa größer als unser Vater Abraham, der starb? Und die<br />

Propheten starben. Zu was ma<strong>ch</strong>st du di<strong>ch</strong> selbst? Jetzt meinen sie, Jesus erwis<strong>ch</strong>t<br />

zu haben und den bösen Geist mit Händen greifen zu können, der dur<strong>ch</strong><br />

ihn reden soll. Daß man seinetwegen ni<strong>ch</strong>t sterben werde, hießen sie wahnsinnige<br />

Hoffart. Weil au<strong>ch</strong> Abraham und alle Propheten gestorben sind., s<strong>ch</strong>eint<br />

es ihnen ganz unmögli<strong>ch</strong>, daß jemand ni<strong>ch</strong>t sterben sollte. Sie sehen nur auf<br />

das, was vor Augen liegt, Jesus nur auf das, was im personhaften Wesen des<br />

Mens<strong>ch</strong>en ges<strong>ch</strong>ieht, ob er dort lebendig bleibt oder zerfällt und verdirbt. Eine<br />

sol<strong>ch</strong>e Größe, wie sie die Verheißung Jesus gibt, wollen sie ihm ni<strong>ch</strong>t zuerkennen.<br />

So wäre er ja größer als Abraham und die Propheten, was unmögli<strong>ch</strong> ist.<br />

Daß er, wenn er sie selber s<strong>ch</strong>ilt, ni<strong>ch</strong>t unre<strong>ch</strong>t hat, empfinden sie wohl und<br />

klammern si<strong>ch</strong> deshalb an Abraham, wie die Samariterin si<strong>ch</strong> an Jakob hielt.<br />

Den darf er ni<strong>ch</strong>t unter si<strong>ch</strong> herabsetzen, ni<strong>ch</strong>t größer als Abraham sein.<br />

Für Jesus stellt si<strong>ch</strong> die Frage so: woher stammt diese Herrli<strong>ch</strong>keit, die er als<br />

sein Eigentum preist? 8,54.55: Jesus antwortete: Wenn i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> selbst verherrli<strong>ch</strong>e,<br />

so ist meine Herrli<strong>ch</strong>keit ni<strong>ch</strong>ts. Mein Vater ist da, der mi<strong>ch</strong> verherrli<strong>ch</strong>t,<br />

von dem ihr sagt, er sei euer Gott, und ihr habt ihn ni<strong>ch</strong>t erkannt; i<strong>ch</strong> aber<br />

kenne ihn. Und wenn i<strong>ch</strong> sagen würde: I<strong>ch</strong> kenne ihn ni<strong>ch</strong>t, würde i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong><br />

glei<strong>ch</strong>, nämli<strong>ch</strong> ein Lügner sein. Aber i<strong>ch</strong> kenne ihn und bewahre sein Wort.<br />

Legt er si<strong>ch</strong> selbst seine Würde bei, so ist sie ni<strong>ch</strong>tig; legt sie ihm der Vater bei,<br />

der, den sie als ihren Gott rühmen, dann ist sie Wahrheit und Kraft. Für sie ist<br />

es eine Lüge, wenn sie si<strong>ch</strong> fromm stellen und tun, als wäre Gott ihnen bekannt<br />

und ihr Freund; für ihn wäre es eine Lüge, wenn er si<strong>ch</strong> gottlos stellte und täte,<br />

als wäre Gott ihm fremd und unbekannt. Und wenn sie meinen, daß sie Abraham<br />

gegen ihn verteidigen und s<strong>ch</strong>ützen müssen, so sagt er ihnen, daß Abraham<br />

anders zu ihm steht als sie. 8,56: Abraham, euer Vater, jubelte, daß er meinen<br />

Tag sehen dürfe, und er sah ihn und freute si<strong>ch</strong>. Viellei<strong>ch</strong>t denkt hier Jesus an<br />

einen Vorblick Abrahams, der ihm einst während seines irdis<strong>ch</strong>en Lebens dur<strong>ch</strong>


<strong>Johannes</strong> 8,52—59 13 3<br />

prophetis<strong>ch</strong>e Erleu<strong>ch</strong>tung gegeben worden ist; viellei<strong>ch</strong>t spri<strong>ch</strong>t er von der<br />

Weise, wie Abraham in seinem himmlis<strong>ch</strong>en Ort an dem teilnimmt, was auf<br />

Erden unter seinem Volk ges<strong>ch</strong>ieht. Jedenfalls ist Jesus gewiß, daß seine Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

Abraham zum Grunde der hellsten Seligkeit geworden ist. "Wie er von<br />

Mose gewiß ist, daß er ihm zur Seite steht und dasjenige Israel vor Gott verklagt,<br />

das seiner S<strong>ch</strong>rift ni<strong>ch</strong>t glaubt und darum au<strong>ch</strong> Jesus verwirft, ebenso<br />

gewiß ist er, daß er nur die "entarteten, vom Teufel gefesselten Kinder Abrahams<br />

gegen si<strong>ch</strong> hat, Abraham selber si<strong>ch</strong> dagegen an seinem Werke freut.<br />

Weil aber diese Gemeins<strong>ch</strong>aft Jesu mit Abraham über das, was dem irdis<strong>ch</strong>en<br />

Blicke si<strong>ch</strong>tbar ist, hinausrei<strong>ch</strong>t, werfen sie ihm sein jugendli<strong>ch</strong>es Alter<br />

vor. 8,57: Nun sagten die Juden zu ihm: Du hast no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fünfzig Jahre und<br />

hast Abraham gesehen? Jesus antwortet ihnen im vollen Bewußtsein seiner<br />

Ewigkeit. 8,58: Jesus sagte ihnen: Wahr lieh, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Ehe Abraham<br />

wurde, bin i<strong>ch</strong>. In diesem Ewigkeitsbewußtsein Jesu liegt das Maß seiner<br />

Einheit und Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater. Was göttli<strong>ch</strong> ist, ist ewig; in ihm ist<br />

aber das Göttli<strong>ch</strong>e das Wesenhafte, das persönli<strong>ch</strong> ihm Eignende, ni<strong>ch</strong>t etwas,<br />

was zu seinem „I<strong>ch</strong>" nur äußerli<strong>ch</strong> hinzukäme, sondern was ihn selbst ma<strong>ch</strong>t<br />

und er selbst ist. Darum sagt er ni<strong>ch</strong>t nur von seinen Werken oder von seinen<br />

Worten, der Vater habe sie ihm gegeben, sondern verknüpft, obs<strong>ch</strong>on er jetzt<br />

in der Zeit lebt und ins irdis<strong>ch</strong>e Maß gefaßt ist, die Ewigkeit ohne Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />

mit seinem I<strong>ch</strong>: i<strong>ch</strong> bin vor aller Zeit und <strong>na<strong>ch</strong></strong> aller Zeit. Aus seinem<br />

Ewigkeitsbewußtsein floß au<strong>ch</strong> seine Gewißheit, daß er mit den alten Boten<br />

und Dienern Gottes in voller Einheit und Gemeins<strong>ch</strong>aft stehe. Er spra<strong>ch</strong> damit<br />

au<strong>ch</strong> über si<strong>ch</strong> selbst sein letztes Wort, ähnli<strong>ch</strong>, wie er es s<strong>ch</strong>on vorher über die<br />

Juden gespro<strong>ch</strong>en hatte. Der Gegensatz zwis<strong>ch</strong>en ihnen war jetzt vollständig<br />

enthüllt; während sie am Teufel hängen, ist er in so tiefem, vollem Sinn des<br />

Vaters, daß er si<strong>ch</strong> ewig heißen darf.<br />

8,59: Nun hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen; aber Jesus wurde<br />

verborgen und ging aus dem Tempel hinaus. Für dieses <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Meinung<br />

gotteslästerli<strong>ch</strong>e Wort wollten ihn die Juden auf der Stelle strafen. Er aber<br />

ging von Gottes S<strong>ch</strong>utz gedeckt unversehrt aus dem Tempel hinaus. So endete<br />

dieser gewaltige Kampf, bei dem das Li<strong>ch</strong>t mit der Finsternis rang und diese<br />

es von si<strong>ch</strong> stieß und die e<strong>ch</strong>te Gemeins<strong>ch</strong>aft mit Gott mit dem hohlen S<strong>ch</strong>ein<br />

der „Religion" zusammenstieß und diese si<strong>ch</strong> trotzig behauptete, weil es ihr im<br />

Dienst des Teufels besser gefiel als in Gottes Rei<strong>ch</strong>.


134 Jesus wird für den Blinden zum Li<strong>ch</strong>t<br />

Kapitel 9<br />

Jesus wird für den Blinden zum Li<strong>ch</strong>t<br />

Au<strong>ch</strong> jetzt bra<strong>ch</strong>te Jesus sein Wort und sein Werk in eine wirksame Übereinstimmung,<br />

bei der das eine dem anderen Tiefe und Ma<strong>ch</strong>t gab. Dur<strong>ch</strong> das,<br />

was sein Wort verhieß, wurde sein Werk zum inhaltsvollen Zei<strong>ch</strong>en, das weit<br />

über den nä<strong>ch</strong>sten Erfolg hinausgriif und Jesu bleibenden Willen und seine<br />

stets wirksame Gnade darstellte, und dur<strong>ch</strong> die Tat wurde das Wort gegen den<br />

Verda<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ützt, als fahre es über die Jesus gezogenen Grenzen hinaus und<br />

entbehre der göttli<strong>ch</strong>en Bestätigung. An den Toren zum Tempel saßen jederzeit<br />

die Elendesten des Volks gern, die von Almosen lebten. Damals saß au<strong>ch</strong><br />

ein von Geburt an blinder Bettler dort, mit dessen Ges<strong>ch</strong>ick die Jünger ni<strong>ch</strong>t<br />

zure<strong>ch</strong>t kamen. 9,1. 2: Und als er weiterging, sah er einen Mens<strong>ch</strong>en, der von<br />

Geburt an blind war. Und seine Jünger fragten ihn: Rabbi, wer hat gesündigt,<br />

dieser oder seine Eltern, daß er blind geboren wurde? Sie halten mit ganz Israel<br />

fest, daß alles, was Gott tut, von seiner Gere<strong>ch</strong>tigkeit geordnet sei; darum<br />

folgt der S<strong>ch</strong>merz auf die Bosheit, das Leiden auf die Sünde. Wenn aber die<br />

Last dem Mens<strong>ch</strong>en auferlegt wird, s<strong>ch</strong>on wenn er geboren wird, so wird Gottes<br />

Gere<strong>ch</strong>tigkeit undeutli<strong>ch</strong>. Wessen Sünde Begründet in diesem Fall die<br />

Strafe? Hat der Blinde selbst gesündigt und Gott ihn im Vorblick auf seinen<br />

künftigen Fall s<strong>ch</strong>on zum voraus gestraft, oder fällt die S<strong>ch</strong>uld auf seine Eltern<br />

und wird mit der Blindheit des Sohnes das Vergehen der Eltern heimgesu<strong>ch</strong>t?<br />

Jesus hebt ihre Gedanken höher. 9,3 : Jesus antwortete: Weder dieser no<strong>ch</strong><br />

seine Eltern sündigten; sondern es ges<strong>ch</strong>ah, damit die Werke Gottes an ihm<br />

offenbar werden. Die Jünger wollen den ganzen Lauf des Mens<strong>ch</strong>enlebens nur<br />

aus der göttli<strong>ch</strong>en Gere<strong>ch</strong>tigkeit verstehen, die die Tat des Mens<strong>ch</strong>en <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrem<br />

inneren Wert vergilt; allein dieser Gedanke umfaßt ni<strong>ch</strong>t Gottes ganze Regierung.<br />

Gott ist größer, das Mens<strong>ch</strong>enleben darum wunderbarer, tiefer, mannigfaltiger.<br />

Na<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>nung der Jünger ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> ans Werk, tut,<br />

was er will, sei es Gutes, sei es Böses, undGott s<strong>ch</strong>aut zu, wartet, bis der Mens<strong>ch</strong><br />

gehandelt hat, und antwortet ihm dann <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner vollkommenen Gere<strong>ch</strong>tigkeit.<br />

Es werden jedo<strong>ch</strong> auf Erden ni<strong>ch</strong>t nur des Mens<strong>ch</strong>en, sondern au<strong>ch</strong> Gottes<br />

Werke offenbar. Dieser vollzieht seinen eigenen, ersten, gebenden Willen und<br />

zeigt uns an unseren Erlebnissen ni<strong>ch</strong>t bloß, was des Mens<strong>ch</strong>en Tun wert ist,<br />

sondern au<strong>ch</strong>, was er selber tut und gibt. Der Blinde sollte erleben, daß Gottes<br />

Gnade Li<strong>ch</strong>t gibt. Während die Jünger nur rückwärts sehen und zu erfors<strong>ch</strong>en<br />

su<strong>ch</strong>en, wo si<strong>ch</strong> die Ursa<strong>ch</strong>e finde, die das Unglück des Blinden herbeigeführt<br />

habe, sieht Jesus vorwärts <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Ziel, zu dem Gott ihn führen wird. Er ver-


<strong>Johannes</strong> g,i—7 135<br />

langt von Gott ni<strong>ch</strong>t Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aft über das, was er getan habe, sondern die<br />

Weisung, die ihm angibt, was er tun werde und wie er Gottes "Willen an diesem<br />

Armen tue. Vom Ziel aus wird ein sol<strong>ch</strong>es S<strong>ch</strong>icksal für ihn hell, und das unruhige,<br />

heiße Fragen hört auf. Der Blinde muß freili<strong>ch</strong>, bis Gottes "Werk an<br />

ihm ges<strong>ch</strong>ieht, warten, vorerst das Li<strong>ch</strong>t entbehren und si<strong>ch</strong> in das enge Maß<br />

seines jetzigen Zustandes finden. Er kann dies in Geduld, sowie er weiß, daß<br />

sein Ges<strong>ch</strong>ick Gott zur <strong>Offenbarung</strong> seinerGröße dient. Und wenn dann Gottes<br />

Werk am Leidenden ges<strong>ch</strong>ieht, dann hat si<strong>ch</strong> sein Verlust in Gewinn verwandelt,<br />

und aus dem Entbehren ist ein Empfangen geworden, das weit rei<strong>ch</strong>er ist,<br />

als wenn ihn Gott ni<strong>ch</strong>t gebeugt hätte. Im S<strong>ch</strong>weren, das er trug, empfängt er<br />

die Zurüstung zum besonders eindrückli<strong>ch</strong>en Erlebnis der göttli<strong>ch</strong>en Gnade<br />

und Herrli<strong>ch</strong>keit.<br />

Indem Jesus das Ziel erwägt, zu dem der Lebenslauf des Blinden führen soll,<br />

wird er wieder zu einer Heilandstat geleitet, die dem, der das Li<strong>ch</strong>t entbehrt,<br />

zeigt, daß er es hat und gibt. Freili<strong>ch</strong> waren die Bedenken, die gegen sie spra<strong>ch</strong>en,<br />

den Jüngern deutli<strong>ch</strong> genug. Eben no<strong>ch</strong> kam es fast zur Steinigung Jesu,<br />

da die Juden fur<strong>ch</strong>tbar erbittert waren. Der Kampf wird si<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>ärfen,<br />

wenn er jetzt handelt. Er selber besann si<strong>ch</strong> freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, ma<strong>ch</strong>te aber au<strong>ch</strong> den<br />

Jüngern deutli<strong>ch</strong>, daß s"ie ohneS<strong>ch</strong>wanken mit ihm voranzugehen haben.9,4.5:<br />

Wir müssen die Werke dessen wirken, der mi<strong>ch</strong> gesandt hat, solange es Tag ist.<br />

Die Na<strong>ch</strong>t kommt, da keiner wirken kann. Solange i<strong>ch</strong> in der Welt bin, bin i<strong>ch</strong><br />

Li<strong>ch</strong>t für die Welt. No<strong>ch</strong> steht Jesus in der Freiheit und hat den Genuß der<br />

göttli<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t. So soll es der Blinde erfahren, daß das li<strong>ch</strong>t in die Welt gekommen<br />

ist und vor ihm steht.<br />

9,6. 7: Na<strong>ch</strong>dem er dies gesagt hätte, spuckte er auf den Boden und ma<strong>ch</strong>te<br />

aus dem Spei<strong>ch</strong>el Kot und legte den Kot, den er gema<strong>ch</strong>t hatte, auf die Augen<br />

und sagte ihm: Geh, was<strong>ch</strong>e di<strong>ch</strong> am Tei<strong>ch</strong> Siloah (was übersetzt heißt der Gesandte)!<br />

Nun ging er fort, wus<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> und kam sehend. Erde, die er mit seinem<br />

Spei<strong>ch</strong>el angefeu<strong>ch</strong>tet hatte, ma<strong>ch</strong>t Jesus hier zum Mittel seiner Heilung, damit<br />

der Blick des Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t am Mittel hänge, sondern aufs<strong>ch</strong>aue zu dem, der<br />

allein in der Freiheit seiner s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> alles als Mittel dienstbar<br />

ma<strong>ch</strong>en kann. Dann s<strong>ch</strong>ickt er ihn an den Tei<strong>ch</strong> Siloah am Fuß des Tempelbergs<br />

an dessen Westseite, der dur<strong>ch</strong> die Quelle gespeist wurde, die auf der<br />

Ostseite des Tempelbergs entspringt und in einem Kanal dur<strong>ch</strong> den Berg dur<strong>ch</strong>geleitet<br />

war. <strong>Johannes</strong> deutet an, daß die Was<strong>ch</strong>ung am Siloahtei<strong>ch</strong> den Blinden<br />

auf Christus weisen sollte. Denn er bemerkt, daß der Name Siloah vom<br />

»Senden" hergeleitet ist und darum an den Gesandten erinnern konnte, den<br />

Gott seinem Volke s<strong>ch</strong>ickt. Aus dem Siloah soll ihm das Li<strong>ch</strong>t werden, weil er


*3^ Jesus wird für den Blinden zum Li<strong>ch</strong>t<br />

es von dem bekommt, der der von Gott Gesandte ist. Viellei<strong>ch</strong>t setzt Jesus au<strong>ch</strong><br />

no<strong>ch</strong> denjenigen Gedankengang fort, den er soeben auf die göttli<strong>ch</strong>e Regierung<br />

angewandt hatte, daß nämli<strong>ch</strong> das, was uns s<strong>ch</strong>wer und dunkel s<strong>ch</strong>eint, ein Mittel<br />

zur Verherrli<strong>ch</strong>ung Gottes werde und uns aus der Beugung die Erhebung,<br />

aus dem Entbehren das Empfangen bereitet werde. Er bedeckt dem Blinden das<br />

Auge, obwohl er ni<strong>ch</strong>t einer Decke, sondern Besserung des Auges bedarf. Aber<br />

eben indem er es deckt, wird ihm das Li<strong>ch</strong>t bereitet. Die Hülle soll ni<strong>ch</strong>t bleiben;<br />

sie fällt ab, und dur<strong>ch</strong> die Verhüllung hindur<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ieht die <strong>Offenbarung</strong>.<br />

An dem, was si<strong>ch</strong> nun zutrug, hat uns der Evangelist hö<strong>ch</strong>st ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> den<br />

Stand der Dinge in Jerusalem erläutert. Die Tat Jesu ergab ein unabweisbares<br />

Zeugnis zu Jesu Gunsten; denno<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ütteln- sie es ab. So ungelegen es ihnen<br />

kam, sie ma<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> dagegen hart und deuten es weg. 9,8—12: Nun sagten<br />

die Na<strong>ch</strong>barn und die, die ihn früher gesehen hatten, daß er Bettler war:<br />

Ist ni<strong>ch</strong>t dieser der, der dasaß und bettelte? Die einen sagten: Er ist es. Andere<br />

sagten: Nein, sondern er ist ihm ähnli<strong>ch</strong>. Er sagte: I<strong>ch</strong> bin es. Nun sagten sie<br />

zu ihm: Wie wurden denn deine Augen auf getan? Er antwortete: Der Mens<strong>ch</strong><br />

mit Namen Jesus ma<strong>ch</strong>te Kot, stri<strong>ch</strong> ihn auf meine Augen und sagte mir: Geh<br />

zum Siloah und was<strong>ch</strong>e di<strong>ch</strong>/ Nun ging i<strong>ch</strong>, wus<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> und wurde sehend. Und<br />

sie sagten zu ihm: Wo ist er? Er sagt: I<strong>ch</strong> weiß es ni<strong>ch</strong>t. Nun wird er den Pharisäern<br />

vorgeführt, die bei allem, was si<strong>ch</strong> ereignete, als die berufenen Wä<strong>ch</strong>ter<br />

des göttli<strong>ch</strong>en Gebots gelten. 9,13.14: Sie führen den, der früher blind gewesen<br />

war, zu den Pharisäern. Es war aber Sabbat an dem Tag, an dem Jesus<br />

den Kot gema<strong>ch</strong>t und seine Augen auf getan hat. Für die Pharisäer fiel es sofort<br />

s<strong>ch</strong>wer in die Waage, daß Jesus si<strong>ch</strong> wieder ni<strong>ch</strong>t an den Sabbat gebunden hatte.<br />

So gewiß er wußte, daß er ihnen damit einen s<strong>ch</strong>weren Anstoß bereite, so ents<strong>ch</strong>lossen<br />

war er, si<strong>ch</strong> ihnen darin ni<strong>ch</strong>t zu fügen, weil er ihr Gebot ni<strong>ch</strong>t als<br />

Gottes Gebot und ihren Gottesdienst ni<strong>ch</strong>t als die re<strong>ch</strong>te Erfüllung des göttli<strong>ch</strong>en<br />

"Willens gelten lassen kann. Er muß seine Freiheit gebrau<strong>ch</strong>en, als das<br />

Li<strong>ch</strong>t der "Welt au<strong>ch</strong> am Sabbat handeln und kann es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aufzwingen lassen,<br />

nur se<strong>ch</strong>s Tage das Li<strong>ch</strong>t der Welt zu sein und am siebenten ni<strong>ch</strong>t.<br />

Die Pharisäer kamen zuerst ni<strong>ch</strong>t zu einem einhelligen Urteil. 9,15—17: Nun<br />

befragten ihn no<strong>ch</strong>mals au<strong>ch</strong> die Pharisäer, wie er sehend geworden sei. Er aber<br />

sagte zu ihnen: Kot legte er auf meine Augen, und i<strong>ch</strong> wus<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> und sehe.<br />

Nun sagten einige von den Pharisäern: Dieser Mens<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t von Gott, weil<br />

er den Sabbat ni<strong>ch</strong>t hält. Andere sagten: Wie vermag ein sündiger Mens<strong>ch</strong><br />

sol<strong>ch</strong>e Zei<strong>ch</strong>en zu tun: Und es war eine Spaltung unter ihnen. Nun sagten sie<br />

wieder zum Blinden: Was sagst du über ihn, weil er deine Augen auf getan hat?<br />

Er aber spra<strong>ch</strong>: Er ist ein Prophet. Dem Geheilten war es gewiß, das Jesus in


<strong>Johannes</strong>. 9,8—27 137<br />

der Vollma<strong>ch</strong>t Gottes an ihm handelte und hier ni<strong>ch</strong>ts Dunkles und Ungöttli<strong>ch</strong>es<br />

mit unterlief. Klar steht, was er erlebt hatte, als eine Gottestat vor seinen<br />

Augen.<br />

Die Männer, die die Untersu<strong>ch</strong>ung führten, hofften, sie könnten die Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

seines Beri<strong>ch</strong>ts umstoßen; am Ende war er gar ni<strong>ch</strong>t blind. 9,18—23: Nun<br />

glaubten die Juden ni<strong>ch</strong>t von ihm, daß er blind gewesen und sehend geworden<br />

sei, bis sie die Eltern dessen, der sehend geworden war, herbeiriefen, und sie befragten<br />

sie: Ist dies euer Sohn, von dem ihr sagt, er sei blind geboren worden?<br />

Wie ist er denn jetzt sehend? Nun antworteten seine Eltern und sagten: Wir<br />

wissen, daß dieser unser Sohn ist und daß er blind geboren wurde. Wie er aber<br />

jetzt sehend ist, das wiesen wir ni<strong>ch</strong>t, oder wer seine Augen auf getan hat, das<br />

wissen wir ni<strong>ch</strong>t. Fragt ihn selbst; er ist alt genug; er wird für si<strong>ch</strong> selber spre<strong>ch</strong>en.<br />

<strong>Das</strong> sagten seine Eltern, weil sie die Juden für<strong>ch</strong>teten. Denn die Juden<br />

waren darüber s<strong>ch</strong>on einig geworden, daß jeder, der ihn als Christus bekenne,<br />

aus der Gemeinde gestoßen werden solle. Deswegen sagten seine Eltern: Er ist<br />

alt genug; verhört ihn selbst. Die Gemeinde war also in den Synagogen s<strong>ch</strong>on<br />

verwarnt worden, Jesus ni<strong>ch</strong>t den Christus zu nennen, weil mit dem, der dies<br />

wage, die Gemeins<strong>ch</strong>aft aufgehoben werde. Der Bann war aber eine fur<strong>ch</strong>tbare<br />

Strafe, da dem Gebannten jeder Verkehr und alle Hilfe versagt wurde.<br />

Nun wird der Blinde no<strong>ch</strong>mals verhört. Sie versu<strong>ch</strong>en es nun mit allen Mitteln,<br />

ihm eine Aussage gegen Jesus abzupressen. Na<strong>ch</strong>dem Jesus als das Li<strong>ch</strong>t<br />

an ihm gehandelt hat, geben sie si<strong>ch</strong> redli<strong>ch</strong> Mühe, ihn zu verwirren und zu<br />

verfinstern. 9,24: Nun riefen sie den Mens<strong>ch</strong>en, der blind gewesen war, zum<br />

zweitenmal und sagten zu ihm: Gib Gott die Ehre! Wir wissen, daß dieser<br />

Mens<strong>ch</strong> ein Sünder ist. Sie ma<strong>ch</strong>en ihre überlegene Autorität, das Übergewi<strong>ch</strong>t<br />

des Theologen über den Laien geltend. Die Sa<strong>ch</strong>e ist ents<strong>ch</strong>ieden: Jesus ist ein<br />

Sünder. Daß es der Blinde ni<strong>ch</strong>t zugeben will, ist Verstocktheit. Er bedenke,<br />

daß dann, wenn Böses ges<strong>ch</strong>ehen ist, daß offene Bekenntnis allein Gott ehrt.<br />

Der Blinde zieht si<strong>ch</strong> auf das zurück, was er erlebt hat. 9,25: Nun antwortete<br />

er: Ob er ein Sünder ist, das weiß i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t; eines weiß i<strong>ch</strong>, daß i<strong>ch</strong>, obwohl<br />

i<strong>ch</strong> blind war\ jetzt sehe. Nun muß er no<strong>ch</strong> einmal Beri<strong>ch</strong>t über den Hergang<br />

geben, als ließe si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> bei ganz genauer Untersu<strong>ch</strong>ung etwas Krummes,<br />

Dunkles und Dämonis<strong>ch</strong>es entdecken. 9,26: Nun sagten sie zu ihm: Was tat er<br />

dir? Wie tat er deine Augen auf? Da wird er unwillig. 9,27: Er antwortete<br />

ihnen: I<strong>ch</strong> sagte es eu<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on, und ihr habt ni<strong>ch</strong>t gehört. Warum wollt ihr es<br />

no<strong>ch</strong>mals hören? Wollt etwa au<strong>ch</strong> ihr seine Jünger werden? Er hat die Sa<strong>ch</strong>e<br />

s<strong>ch</strong>on erzählt und kann ni<strong>ch</strong>ts Neues sagen. Wozu nützt es, dasselbe no<strong>ch</strong>mals<br />

zu beri<strong>ch</strong>ten, wenn sie es das erstemal ni<strong>ch</strong>t gehört haben? Ihr Ents<strong>ch</strong>luß ist ge-


13 8 Jesus wird für den Blinden zum Li<strong>ch</strong>t<br />

faßt; sie wissen, was sie wollen. Warum liegt ihnen denn so viel daran, den<br />

Hergang der Sa<strong>ch</strong>e ganz genau zu wissen? Nun kam es zum heißen Streit.<br />

9,28. 29: Und sie s<strong>ch</strong>mähten ihn und sagten: Du bist sein Jünger; wir aber sind<br />

Moses Jünger. Wir wissen, daß Gott zu Mose geredet hat. Aber von diesem<br />

wissen wir ni<strong>ch</strong>t, woher er ist. Ihr Ruhm und ihre Si<strong>ch</strong>erheit beruhen darauf,<br />

daß sie dem Gesetz Moses mit beständigem Gehorsam dienen. Auf Mose liegt<br />

kein Geheimnis; ihm hat Gott sein Wort an das Volk übergeben. Wer Mose<br />

gehorent, hält Gottes Gebot und wandelt auf Gottes Weg. Bei Jesus kommt<br />

man ni<strong>ch</strong>t ins Klare. Was ihn treibt, woher er seine Kraft hat, wo sein Ausgang<br />

und Ursprung liegt, das ist undeutli<strong>ch</strong> und dunkel. Ihm kann man deshalb<br />

ni<strong>ch</strong>t glauben. Der wäre ein Tor, der Moses Führung gegen seine Leitung<br />

taus<strong>ch</strong>te.<br />

9,30—33: Der Mens<strong>ch</strong> antwortete und sagte zu ihnen: <strong>Das</strong> ist verwunderli<strong>ch</strong>,<br />

daß ihr ni<strong>ch</strong>t wißt, woher er ist, obglei<strong>ch</strong> er meine Augen auf getan hat. Wir<br />

wissen, daß Gott Sünder ni<strong>ch</strong>t hört, sondern, wenn jemand gottesfür<strong>ch</strong>tig ist<br />

und seinen Willen tut, den hört er. Nie wurde gehört, daß jemand die Augen<br />

eines Blindgeborenen auf getan habe. Wäre dieser ni<strong>ch</strong>t von Gott, so könnte er<br />

ni<strong>ch</strong>ts tun. Je mehr die Pharisäer gegen Jesus stritten, um so fester trieben sie<br />

den Blinden zu ihm hin. Sie dienten, ohne es zu wollen, Jesus; denn sie ma<strong>ch</strong>ten<br />

dem Blinden nur um so klarer, was die Hilfe, die er erlebt hat, bedeutete.<br />

Diesmal ging es anders als beim Geheilten von Bethesda; jenen beugten sie,<br />

diesen stärkten sie dur<strong>ch</strong> ihren Widerspru<strong>ch</strong>. Er findet es rätselhaft, daß es<br />

dunkel sein solle, wie Jesus sol<strong>ch</strong>e Taten tue. Dafür gibt es nur eine Erklärung,<br />

daß er aus Gott seine Ma<strong>ch</strong>t empfängt. Damit ist freili<strong>ch</strong> weiter gewiß, daß er<br />

kein Sünder ist. 9,34: Sie antworteten und spra<strong>ch</strong>en zu ihm: Du bist ganz in<br />

Sünden geboren, und du belehrst uns! Und sie stießen ihn hinaus. Weil der<br />

Blinde ni<strong>ch</strong>t von Jesus läßt, wird er gelästert und verdammt. Ihn hat Gott<br />

s<strong>ch</strong>on dadur<strong>ch</strong>, daß er blind geboren wurde, als Sünder geri<strong>ch</strong>tet,und ges<strong>ch</strong>ändet.<br />

Weil er s<strong>ch</strong>on bei seiner Geburt ganz und gar in Sünden drin steckte,<br />

hat ihm Gott das Auge versagt, und nun will er die Heiligen und Gere<strong>ch</strong>ten<br />

lehren, die zeitlebens Moses Jünger gewesen sind! Da kommt der innere Gegensatz<br />

zwis<strong>ch</strong>en ihnen und Jesus hell ans Li<strong>ch</strong>t. Ihr Blick auf Gottes Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

ma<strong>ch</strong>t sie hart gegen die Elenden, stolz in si<strong>ch</strong> selbst. Über den, den Gott<br />

als Sünder gezei<strong>ch</strong>net hat, erheben sie si<strong>ch</strong> himmelho<strong>ch</strong>. Jesus, so ho<strong>ch</strong> er si<strong>ch</strong><br />

über alle erhebt als der, der ist, ehe Abraham ward, hat in seiner Erhabenheit<br />

den Grund seiner tiefen Demut, die ihn zum Diener der Sünder ma<strong>ch</strong>t und<br />

zum Li<strong>ch</strong>t derer, die im Finstern sind. Darum sagt er au<strong>ch</strong> bei Matthäus, als sie<br />

mit ihm über den Sabbat stritten: Erst lernt, was es heißt, daß Gott Barmher-


<strong>Johannes</strong> g,28—40 139<br />

zigkeit will; sonst versteht ihr niemals, was mir das Gesetz und der Sabbat Gottes<br />

sind, 12,7.<br />

Der Blinde hat um Jesu willen S<strong>ch</strong>ande und Mißhandlung gelitten; dafür<br />

dankte ihm Jesus dadur<strong>ch</strong>, daß er seinem Glauben den vollen Inhalt und die<br />

feste Si<strong>ch</strong>erheit gab. Er su<strong>ch</strong>t ihn no<strong>ch</strong> einmal auf, diesmal mit einer anderen<br />

Absi<strong>ch</strong>t als der, die ihn zum Geheilten von Bethesda führte. Weil diesen der<br />

Ansturm der pharisäis<strong>ch</strong>en Anklage geknickt hatte, kam Jesus, um ihn zu warnen:<br />

Sündige ni<strong>ch</strong>t mehr! Den Blinden hatte derselbe Kampf gestärkt; darum<br />

gibt ihm Jesus den Glauben, dur<strong>ch</strong> den er ihn mit si<strong>ch</strong> verband. 9,35. 36: Jesus<br />

borte, daß sie ihn ausgestoßen hatten, und er fand ihn und spra<strong>ch</strong>: Glaubst du<br />

an den Sohn des Mens<strong>ch</strong>enf* Er antwortete und spra<strong>ch</strong>: Wer ist es, Herr, damit<br />

i<strong>ch</strong> an ihn glaube? Ihm, der ihn heilte, ist der Blinde zum Gehorsam erbötig;<br />

v/em er ihn trauen heißt, dem will er trauen und an dem ni<strong>ch</strong>t zweifeln, zu<br />

dem er ihn führt als zu seinem Herrn. Jesus läßt seinen Blick und sein Vertrauen<br />

ni<strong>ch</strong>t anderswohin fahren, sondern bindet es an si<strong>ch</strong>. 9,37: Jesus spra<strong>ch</strong><br />

zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der, der mit dir redet, der ist es. Dur<strong>ch</strong> das<br />

erste Wort erinnert er ihn an das Erlebnis, dur<strong>ch</strong> das er Jesu Anteil an der<br />

Liebe und Ma<strong>ch</strong>t Gottes si<strong>ch</strong>tbar an si<strong>ch</strong> selbst erfahren hat. 9,38: Er aber sagte:<br />

I<strong>ch</strong> glaube, Herr, und betete ihn an.<br />

Jesus hebt heraus, wie wunderbar das Ergebnis seiner Arbeit an den Mens<strong>ch</strong>en<br />

ist. 9,39: Und Jesus spra<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> bin zum Geri<strong>ch</strong>t in diese Welt gekommen,<br />

damit die, die ni<strong>ch</strong>t sehen, sehen, und die, die sehen, blind werden. Der,<br />

der früher blind war, sieht jetzt ni<strong>ch</strong>t nur das Sonnenli<strong>ch</strong>t, sondern au<strong>ch</strong> mit<br />

seinem inwendigen Auge Gottes Sohn; die Sehenden, denen es als sündli<strong>ch</strong>e<br />

Hoffart ers<strong>ch</strong>ien, daß der Blinde sie lehren wolle, die wissen, daß Gott mit<br />

Mose geredet hat und mit allem Fleiß seine Jünger sind, sie sind blind geworden<br />

und sehen ni<strong>ch</strong>ts von dem, was vor ihren Augen ges<strong>ch</strong>ieht. Mit dieser Fru<strong>ch</strong>t<br />

seiner Arbeit ist Jesus von ganzem Herzen einverstanden; es muß so sein. <strong>Das</strong><br />

ist das Geri<strong>ch</strong>t, das auszuri<strong>ch</strong>ten der Zweck seiner Sendung ist. Der Blinde<br />

wird von seiner Blindheit losgespro<strong>ch</strong>en und ins Li<strong>ch</strong>t versetzt; dem Sehenden<br />

wird sein Auge genommen und er in die Dunkelheit vers<strong>ch</strong>lossen. Dieses Wort<br />

Jesu glei<strong>ch</strong>t dem bei Matthäus stehenden, mit dem Jesus dem Vater dankt, daß<br />

er ihn den Weisen verbarg und den Unmündigen offenbarte.<br />

Da die Pharisäer Jesus ni<strong>ch</strong>t gern allein in der Stadt herumgehen ließen,<br />

sondern ihn unter ihren Augen behielten, waren au<strong>ch</strong> jetzt einige von ihnen<br />

zur Stelle, und diese fühlten si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> sein Wort gekränkt. 9,40: <strong>Das</strong> hörten<br />

• In anderen Texten fragt Jesus: Glaubst du an den Sohn Gottes? Damit ist ausgespro<strong>ch</strong>en, worin<br />

der Glaube seinen Grund und Inhalt hat.


14° Jesus bes<strong>ch</strong>reibt den Hirten<br />

die von den Pharisäern, die bei ihm waren, und sagten zu ihm: Sind etwa au<strong>ch</strong><br />

wir blindi Da ma<strong>ch</strong>t ihnen Jesus mit tiefem Ernst deutli<strong>ch</strong>, daß es no<strong>ch</strong> etwas<br />

S<strong>ch</strong>limmeres als Blindheit gibt, eben jenes Sehen, von dem er gesagt hatte, daß<br />

es das Geri<strong>ch</strong>t Gottes gegen sie herausfordere und mit der Erblindung bestraft<br />

werde. 9,41: Jesus sagte zu ihnen: Wenn ihr blind wäret, so hättet ihr die<br />

Sünde ni<strong>ch</strong>t. Nun sagt ihr aber: Wir sehen. Eure Sünde bleibt. Wären sie do<strong>ch</strong><br />

blind! Könnte er es ihnen zugestehen, daß sie von dem, was heilig, göttli<strong>ch</strong> und<br />

wahr ist, ni<strong>ch</strong>ts wissen, dann hätte er ihnen ni<strong>ch</strong>t sagen müssen: Ihr Lügner<br />

seid die Kinder des Teufels. Denn wer ni<strong>ch</strong>ts weiß und sieht, kann ni<strong>ch</strong>t lügen,<br />

ist zum Guten wie zum S<strong>ch</strong>limmen ohnmä<strong>ch</strong>tig und hat in der Na<strong>ch</strong>t, die ihn<br />

umgibt, die Fessel, die ihn au<strong>ch</strong> im Bösen lähmt. Nur wer die Wahrheit sieht,<br />

kann sie verderben und verdrängen; nur wer sie weiß, kann lügen. Wären sie<br />

blind, so läge au<strong>ch</strong> ihre Sünde ni<strong>ch</strong>t auf ihnen als ihre S<strong>ch</strong>uld. Dann könnte<br />

ihnen Jesus verzeihen und sie erleu<strong>ch</strong>ten. Was sie in Blindheit sagten, ohne zu<br />

wissen, was sie tun, das hängte si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als eine S<strong>ch</strong>uld an sie, für die sie die<br />

Verantwortung tragen müssen. So gewiß die Unwissenheit ein Jammer ist,<br />

weil sie willenlos und tatlos ma<strong>ch</strong>t und zum Dienste Gottes unges<strong>ch</strong>ickt, so entlastet<br />

sie do<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig den Mens<strong>ch</strong>en und behütet ihn vor dem s<strong>ch</strong>limmsten<br />

Bösen, das ihm erst dann mögli<strong>ch</strong> ist, wenn er sieht. Diese Ents<strong>ch</strong>uldigung, die<br />

in der Blindheit für sie läge, nehmen sie si<strong>ch</strong> aber in ihrer Hoffart selbst. Sie<br />

sagen ja, sie seien die Sehenden, und empören si<strong>ch</strong> dagegen, daß sie Jesus blind<br />

nenne. So weisen sie sein Verzeihen ab und stoßen die Reue von si<strong>ch</strong>. Deshalb<br />

stehen sie unter dem Urteil, daß ihre Sünde ni<strong>ch</strong>t zugedeckt und weggenommen<br />

wird, sondern bleibt, und damit bleibt die Strafe ihrer Sünde, bleibt au<strong>ch</strong><br />

ihre Blindheit, die die Hilfe ni<strong>ch</strong>t sieht, obwohl sie da ist, und das Verderben<br />

ni<strong>ch</strong>t sieht, obwohl es da ist, und das Li<strong>ch</strong>t für die Finsternis ausgibt und flieht<br />

und den Tod für Leben hält und erwählt.<br />

Kapitel 10,1—21<br />

Jesus bes<strong>ch</strong>reibt den Hirten<br />

Für die, die auf Jesus hörten, lag in dem, was aus Jesu Wort und Werk si<strong>ch</strong><br />

. ergeben hatte, die Aufforderung: Hütet eu<strong>ch</strong> vor den blinden Führern der Gemeinde<br />

und laßt ihre Autorität eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts mehr gelten! Damit sie das mit hellem,<br />

festem Gewissen tun, stellt ihnen Jesus am Hirten dar, wer zur Führung<br />

der Gemeinde ein Re<strong>ch</strong>t hat, wessen Ma<strong>ch</strong>t und Geltung dagegen fals<strong>ch</strong>, angemaßt<br />

und verderbli<strong>ch</strong> ist.<br />

10,1. 2: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Wer ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die Tür in die


<strong>Johannes</strong> 9,41; 10,1—3 14 1<br />

Hürde der S<strong>ch</strong>afe eintritt, sondern anderswoher hineinsteigt, der ist ein Dieb<br />

und Rauher. Wer aber dur<strong>ch</strong> die Tür eintritt, der ist ein Hirte der S<strong>ch</strong>afe. Man<br />

kennt den Dieb und Räuber am "Wege, auf dem er si<strong>ch</strong> an die S<strong>ch</strong>afe ma<strong>ch</strong>t. Er<br />

meidet die Tür und steigt an anderer Stelle in die Hürde ein. Wer so kommt,<br />

ist unzweifelhaft ein Dieb; denn der Hirte kommt auf dem ordentli<strong>ch</strong>en Weg<br />

dur<strong>ch</strong> die Tür. Die Hirten, die damals die Gemeinde unter ihre Ma<strong>ch</strong>t zwangen,<br />

haben diese mit eigenmä<strong>ch</strong>tigem Griff an si<strong>ch</strong> gerissen. Weil sie si<strong>ch</strong> ihren<br />

Dienst ni<strong>ch</strong>t von Christus geben ließen und das, was sie der Gemeinde gaben,<br />

ni<strong>ch</strong>t von ihm empfingen, sind sie au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t göttli<strong>ch</strong> in ihr Amt und Ansehen<br />

eingesetzt. Wer aber mit eigenem Willen si<strong>ch</strong> an die Mens<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>t, mit seinem<br />

eigenen Li<strong>ch</strong>t sie erleu<strong>ch</strong>ten und mit seinem eigenen Wort sie speisen will,<br />

wird ihnen niemals zum Hirten, sondern handelt an ihnen wie der Dieb an der<br />

Herde, und seine Herrs<strong>ch</strong>aft über die Gemeinde ist null und ni<strong>ch</strong>tig und diese<br />

in ihrem Gewissen gegen sie frei, so gewiß der Dieb kein Re<strong>ch</strong>t an die Herde<br />

hat und diese ihm ni<strong>ch</strong>t verpfli<strong>ch</strong>tet ist. So löst Jesus die Seinen von der Fur<strong>ch</strong>t<br />

vor ihren alten Meistern ab, ähnli<strong>ch</strong> wie er Petrus, als dieser vor dem Zorn der<br />

Pharisäer zagte, die Antwort gab: Jedes Gewä<strong>ch</strong>s, das ni<strong>ch</strong>t mein Vater gepflanzt<br />

hat, wird ausgerottet, Matthäus 15,13. Zuglei<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ützt er seine Gemeinde<br />

au<strong>ch</strong> für die Zukunft vor allen, die sie von Christus weg zu si<strong>ch</strong> selber<br />

rufen und ihrem eigenen Willen unterwerfen wollen. An sol<strong>ch</strong>e Hirten ist die<br />

Gemeinde ni<strong>ch</strong>t gebunden, hat vielmehr ihr Ohr ihnen zu versagen und steht<br />

ni<strong>ch</strong>t unter ihrer Gewalt.<br />

Wer dur<strong>ch</strong> die Tür eingeht, der ist der Hirte; das erläutert Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong>her,<br />

weil sie das Glei<strong>ch</strong>nis ni<strong>ch</strong>t verstanden: I<strong>ch</strong> bin die Tür zu den S<strong>ch</strong>afen. Er ist<br />

dazu gekommen, um den Mens<strong>ch</strong>en Hirten zu s<strong>ch</strong>enken, die ihnen dienen,<br />

Wahrheit in die dunklen Herzen legen, Glauben in den an Gott Verzagenden<br />

wecken und die Ströme des lebendigen Wassers auf die Dürstenden ausgießen.<br />

<strong>Das</strong> ges<strong>ch</strong>ieht aber nur dann, wenn Jesus den Hirten zur Tür dient,<br />

wenn sie ihm untergeben sind, in seinem Wort bleiben und in seiner Liebe<br />

stehen. Wie der Sohn dur<strong>ch</strong> seine Gebundenheit an den Vater seine Königsma<strong>ch</strong>t<br />

erlangt, so ist au<strong>ch</strong> unsere Ma<strong>ch</strong>t, andere ab Hirten zu führen, zu s<strong>ch</strong>ützen<br />

und zu lehren, daran gebunden, daß wir selbst Jesus untergeben sind.<br />

Darum, weil er allein der re<strong>ch</strong>te Hirte ist, ist er au<strong>ch</strong> die Tür für alle, die si<strong>ch</strong><br />

des Hirtenamts annehmen, wie darum, weil er allein der re<strong>ch</strong>te Weinstock ist,<br />

niemand als er die Reben aus si<strong>ch</strong> wa<strong>ch</strong>sen läßt, die ges<strong>ch</strong>ickt sind, Fru<strong>ch</strong>t zu<br />

tragen. Wir werden nur dann an den Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t zu Dieben und Räubern,<br />

wenn wir von ihm empfangen, was wir ihnen darbieten. 10,3: Diesem tut der<br />

Türhüter auf, und die S<strong>ch</strong>afe hören seine Stimme, und er ruft die eigenen


I4 2 Jesus bes<strong>ch</strong>reibt den Hirten<br />

S<strong>ch</strong>afe mit Namen und führt sie hinaus. Bei der Tür wa<strong>ch</strong>t über der Herde der<br />

Türhüter. Dem Hirten, der dur<strong>ch</strong> die Tür eingeht, öffnet er sie. Der Dienst,<br />

den Jesus den Seinen anweist und den sie in seinem Gehdrsam üben, ges<strong>ch</strong>ieht<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Willen und steht unter seinem Wohlgefallen und Segen, wie er es<br />

Petrus so mä<strong>ch</strong>tig bezeugt hat: Du lösest auf Erden, und im Himmel ist es gelöst,<br />

bindest auf Erden, und im Himmel ist es gebunden. Was aber auf des<br />

Mens<strong>ch</strong>en eigenem hoffärtigen Trieb und selbstsü<strong>ch</strong>tiger Herrs<strong>ch</strong>aft ruht, hat<br />

ni<strong>ch</strong>t Gottes Siegel und gibt darum immer nur einen S<strong>ch</strong>ein von Autorität und<br />

Regiment, weil alle wirkli<strong>ch</strong>e, wirksame Autoriät, die den Mens<strong>ch</strong>en innerli<strong>ch</strong><br />

faßt und führt, uns als Gabe verliehen wird, die kein Regierender und Lehrender<br />

anderswoher als aus Gottes Hand empfangen kann.<br />

Es zeigt si<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> an den S<strong>ch</strong>afen, ob jemand das Hirtenamt wirkli<strong>ch</strong><br />

hat. Des Hirten Stimme hören die S<strong>ch</strong>afe. Für das, was von oben stammt, hat<br />

der Mens<strong>ch</strong> ein Ohr. Immer wieder sorgt Gottes Regierung und Gnade dafür,<br />

daß sein Zeugnis in der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Seele sieghaft dur<strong>ch</strong>bri<strong>ch</strong>t, so daß sie das,<br />

was wahr, heilig und heilsam ist, bejaht und faßt. Was ungöttli<strong>ch</strong> ist, klingt<br />

immer hohl; au<strong>ch</strong> wenn si<strong>ch</strong> jemand eifrig in dasselbe versenkt und seinen<br />

Ruhm darin su<strong>ch</strong>t, was unwahr ist, zu glauben und zu sagen, so brau<strong>ch</strong>t er<br />

dazu do<strong>ch</strong> viele Kunst und Anstrengung. Unverrückbare Unters<strong>ch</strong>iede ma<strong>ch</strong>en<br />

das Wort kenntli<strong>ch</strong>. Entweder hat es das Siegel der Wahrheit, und das Ohr des<br />

Mens<strong>ch</strong>en ist dafür ges<strong>ch</strong>affen, oder es ist mit dem Stempel der Ni<strong>ch</strong>tigkeit und<br />

Vergängli<strong>ch</strong>keit geprägt, und das Ohr des Mens<strong>ch</strong>en vermißt an ihm, was es<br />

immer kraft seiner eigenen Natur begehrt und su<strong>ch</strong>t. Zwar zeigte der Streit<br />

der Juden gegen Jesus aufs deutli<strong>ch</strong>ste, wie stark si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> gegen die<br />

Wahrheit sträuben und wie eifrig er lügen kann; denno<strong>ch</strong> ist Jesus dabei geblieben,<br />

daß seine Stimme in die Mens<strong>ch</strong>enseelen dringe und sie es immer wieder<br />

wahrnehmen, daß ihr Hirte sie ruft, und er sagt dies au<strong>ch</strong> den Seinigen zum<br />

Trost.<br />

Der Hirte ruft zu si<strong>ch</strong>, was ihm gehört. Wieder ma<strong>ch</strong>t Jesus die Grenze<br />

si<strong>ch</strong>tbar, die für sein und der Seinen Werk gültig ist. Er kann ni<strong>ch</strong>t alles an si<strong>ch</strong><br />

ziehen; sondern das, was der Vater ihm gibt, ist sein. Was ihm gehört, läßt er<br />

freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zurück. Ni<strong>ch</strong>ts, was sein eigen ist, geht ihm verloren. Er spri<strong>ch</strong>t<br />

au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur an die Welt in unbestimmter Undeutli<strong>ch</strong>keit, sondern ri<strong>ch</strong>tet an<br />

den einzelnen Mens<strong>ch</strong>en sein Wort. Jeden ruft er mit Namen, gibt ihm sein<br />

Wort persönli<strong>ch</strong> ins Herz entspre<strong>ch</strong>end seinem Bedürfnis und Vermögen und<br />

stiftet ein innnerli<strong>ch</strong>es Band von Person zu Person, das uns ihm, ihn uns verbunden<br />

hält. Im vollen Sinne gilt dies nur vom einzigen Hirten aller, def mit<br />

dem Geist und mit der Wahrheit von innen her zu allen reden kann. Aber au<strong>ch</strong>


<strong>Johannes</strong> 10,4—8 143<br />

dem Dienst, zu dem seine Jünger berufen sind, gibt er mit diesem "Wort die<br />

Regel, weil sie das Wort nur dann ri<strong>ch</strong>tig reden, wenn es den Mens<strong>ch</strong>en in dem,<br />

was sein eigenes I<strong>ch</strong> ausma<strong>ch</strong>t, faßt und ihm so ins Herz gelegt wird, daß er<br />

si<strong>ch</strong> selbst mit Namen von Gott gerufen weiß.<br />

10,4. 5: Wenn er alle seine S<strong>ch</strong>afe herausgeholt hat, geht er vor ihnen her,<br />

und die S<strong>ch</strong>afe folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen. Aber einem Fremden<br />

•werden sie ni<strong>ch</strong>t folgen, sondern vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden<br />

ni<strong>ch</strong>t kennen. Es brau<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t Zwang und Gewalt, damit die Herde beim<br />

Hirten bleibt; seine Stimme hält sie bei ihm, die ihnen wohl bekannte, die sie<br />

sofort über ihren Weg belehrt. Jesus hat es oftmals mit angesehen, wie die<br />

S<strong>ch</strong>af- und Ziegenherde aus den galiläis<strong>ch</strong>en Dörfern ausgetrieben ward, und<br />

hat den s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ten Vorgang zum tiefen, herrli<strong>ch</strong>en Bild seines messianis<strong>ch</strong>en<br />

Werks gema<strong>ch</strong>t. Die Gemeinde zu s<strong>ch</strong>affen, die seine Gegenwart wahrnimmt<br />

und einträ<strong>ch</strong>tig unter seiner Leitung steht, die ihm folgt, wohin er geht, und<br />

seinen S<strong>ch</strong>utz und seine Gaben genießt, dazu hat ihn der Vater gesandt, und<br />

keine Gewalt in der Welt wird ihn daran hindern, sie zu s<strong>ch</strong>affen. Ruft ein<br />

Fremder die Herde, so hören sie ni<strong>ch</strong>t, sondern fliehen, einfa<strong>ch</strong> deshalb, weil es<br />

ni<strong>ch</strong>t des Hirten Stimme ist, sondern ein fremder Ruf. So sind die Seinen ihm<br />

allein und ganz verbunden, wissen, was von ihm kommt, haben an ihn allein<br />

ihre Liebe und ihr Vertrauen gehängt und sind deshalb für jeden Fremden<br />

vers<strong>ch</strong>lossen, weil sie ihm ganz ergeben sind. So erläutert uns Jesus an der<br />

Weise, wie die Herde si<strong>ch</strong> zum Hirten hält, was er meint, wenn er uns sagt:<br />

Glaubt an mi<strong>ch</strong>!<br />

10,6: Dieses Glei<strong>ch</strong>nis sagte ihnen Jesus. Sie aber nahmen ni<strong>ch</strong>t wahr, was<br />

das war, was er ihnen sagte. <strong>Das</strong> Glei<strong>ch</strong>nis war für seine Zuhörer zu fein und<br />

tief. Er wußte au<strong>ch</strong> wohl, daß sie es ni<strong>ch</strong>t verstanden. Allein so gewiß die<br />

Blinden sehen sollen, ebenso sollen au<strong>ch</strong> die Sehenden blind werden. Er verkündigt<br />

dem lügenden und hassenden Volk, in dem für sein Wort kein Raum<br />

ist, sein messianis<strong>ch</strong>es Werk nur no<strong>ch</strong> in Glei<strong>ch</strong>nissen, wie er es au<strong>ch</strong> bei Matthäus<br />

sagt, 13,11 ff. Damit sein Wort aber ni<strong>ch</strong>t ganz vergebli<strong>ch</strong> sei, wiederholt<br />

und deutet er es. 10,7. 8: Nun sagte Jesus wieder: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage<br />

eu<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> bin die Tür zu den S<strong>ch</strong>afen. Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und<br />

Räuber; aber die S<strong>ch</strong>afe hörten ni<strong>ch</strong>t auf sie. Von ihm stammt alle Führung<br />

und Lehre, die den Mens<strong>ch</strong>en zu Gott hin leitet. Zwar fand er seinen Platz<br />

s<strong>ch</strong>on besetzt; Herrs<strong>ch</strong>er, die Israel regierten, Meister, die es leiteten, gab es<br />

genug. Aber diese vor ihm Gekommenen sind alle Diebe und Räuber, haben<br />

alle si<strong>ch</strong> selbst gedient, ni<strong>ch</strong>t der Gemeinde, führten sie zu si<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>t zu Gott,<br />

bauten darum die Gemeinde ni<strong>ch</strong>t, sondern zerstörten sie. Aber die S<strong>ch</strong>afe hör-


144 Jesus bes<strong>ch</strong>reibt den Hirten<br />

ten auf ihre Stimme ni<strong>ch</strong>t. Gott kennt die Seinen und hat sie zu jeder Zeit vor<br />

der Verführung behütet, hat seine Wahrheit in ihnen mä<strong>ch</strong>tig gema<strong>ch</strong>t, daß sie<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf krumme Wege drängen ließen, sein Gebot in ihnen wa<strong>ch</strong> erhalten,<br />

daß sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> den Rat und das Gebot der Mens<strong>ch</strong>en von seinem<br />

Weg verlocken ließen. Gibt Gott au<strong>ch</strong> denen, die er ni<strong>ch</strong>t zu Hirten setzt,<br />

Raum und Ma<strong>ch</strong>t, so hält Jesus do<strong>ch</strong> mit ganzer Zuversi<strong>ch</strong>t daran fest, daß damit<br />

der Herde kein S<strong>ch</strong>aden ges<strong>ch</strong>ieht. Der Dienst des Hirten wird dadur<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t vereitelt und überflüssig gema<strong>ch</strong>t; die Herde wartet denno<strong>ch</strong> auf keinen<br />

anderen als auf ihn und hört seine Stimme, sowie sie ertönt. <strong>Das</strong> bezeugt ihnen<br />

au<strong>ch</strong> Gottes Regierung si<strong>ch</strong>tbar; sie hat ihm trotz derer, die vor ihm gekommen<br />

sind, die Jünger zugeführt.<br />

10,9: I<strong>ch</strong> bin die Tür. Wenn einer dur<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> eintritt, wird er gerettet werden<br />

und hinein- und herausgehen und Weide finden. Dieselbe Tür, die für die<br />

Hirten gebaut ist, ist au<strong>ch</strong> für die S<strong>ch</strong>afe" da. Dur<strong>ch</strong> Jesus wird man der Gemeinde<br />

Gottes eingegliedert, und es gibt keinen Eingang in die ewige Kir<strong>ch</strong>e<br />

als dur<strong>ch</strong> ihn. Dem, der dur<strong>ch</strong> die Tür geht, verheißt Jesus Rettung; in die<br />

Hürde rei<strong>ch</strong>en Tod und Verderben ni<strong>ch</strong>t hinüber; dort ist Si<strong>ch</strong>erheit. Weiter<br />

verspri<strong>ch</strong>t er ihm: Er wird aus- und eingehen; freie Bewegung sagt er ihm zu,<br />

gangbaren Weg, den gelingenden Lebenslauf, <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Wort: der Sohn wird<br />

eu<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong> freima<strong>ch</strong>en. Und endli<strong>ch</strong> verspri<strong>ch</strong>t er: Er wird Weide finden,<br />

wie er uns s<strong>ch</strong>on das lebendige Brot und das lebendige Wasser verhieß.<br />

Daran, daß der Dieb und der Hirte auf vers<strong>ch</strong>iedenem Weg zur Herde<br />

kommen, sollen wir sie unters<strong>ch</strong>eiden und ni<strong>ch</strong>t erst an ihrem vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Werk. Freili<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> ihre Absi<strong>ch</strong>t und ihr Handeln grundvers<strong>ch</strong>ieden. Was<br />

Jesus soeben als seine Verheißung denen zugesagt hat, die dur<strong>ch</strong> ihn zur Herde<br />

kommen, das tut ihnen der Dieb ni<strong>ch</strong>t. 10,10: Der Dieb kommt bloß, um zu<br />

stehlen und zu s<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>ten und zu verderben. I<strong>ch</strong> kam, damit sie Leben haben<br />

und Überfluß haben. Indem der Dieb nur für si<strong>ch</strong> selbst arbeitet, wird er zum<br />

Zerstörer der Gemeinde. Dagegen hat Jesus jene Kraft der Liebe in si<strong>ch</strong>, die<br />

dem Mens<strong>ch</strong>en das zu geben vermag, wessen er bedarf, und darum nennt er si<strong>ch</strong><br />

den guten Hirten, gerade deshalb, weil er den Kreuzesweg geht. Wie er s<strong>ch</strong>on<br />

am Lebensbrot seinen Jüngern den Kreuzessegen dargestellt hat, so ma<strong>ch</strong>t er<br />

ihnen au<strong>ch</strong> am Hirten die dur<strong>ch</strong> sein Sterben von ihm vollbra<strong>ch</strong>te Heilandstat<br />

deutli<strong>ch</strong>.<br />

10,11—13: I<strong>ch</strong> bin der gute Hirte. Der gute Hirte gibt seine Seele für die<br />

S<strong>ch</strong>afe her. Der aber, der Mietling und ni<strong>ch</strong>t Hirte ist, dem die S<strong>ch</strong>afe ni<strong>ch</strong>t<br />

gehören, sieht den Wolf kommen und verläßt die S<strong>ch</strong>afe und flieht, und der<br />

Wolf raubt und zerstreut sie; denn er ist Mietling und kümmert si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t um


<strong>Johannes</strong> ió,g—i5 145<br />

die S<strong>ch</strong>afe. Der Hirte ist deshalb bereit, für die Herde au<strong>ch</strong> zu sterben, weil sie<br />

sein Eigentum ist. Der gedungene Kne<strong>ch</strong>t dagegen setzt ni<strong>ch</strong>t das Leben für<br />

das ein, was ihm do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gehört. Weil die Gemeinde Jesus eigen, ihm ges<strong>ch</strong>enkt<br />

und ihm untergeben ist als sein Rei<strong>ch</strong>, deshalb stirbt er für sie, unì sie<br />

vor dem Sterben und Verderben zu bewahren, mit dem der Wolf sie bedroht.<br />

Spri<strong>ch</strong>t er vom Wolf, so denkt er wohl bestimmt an den teuflis<strong>ch</strong>en Verderber<br />

des Mens<strong>ch</strong>en. Ihm tritt er als der Bes<strong>ch</strong>irmer der Seinen entgegen, obglei<strong>ch</strong> er<br />

deswegen si<strong>ch</strong> selbst dem Angriff des Teufels aussetzt, da dieser ihn dur<strong>ch</strong> die,<br />

die er regiert, angreift und ums Leben bringt.<br />

10,14.1 j: I<strong>ch</strong> bin der gute Hirte und kenne, was mein ist, und was mein<br />

ist, kennt mi<strong>ch</strong>, wie mi<strong>ch</strong> der Vater kennt und i<strong>ch</strong> den Vater kenne, und i<strong>ch</strong><br />

gebe meine Seele für die S<strong>ch</strong>afe her. Wie den Hirten die persönli<strong>ch</strong>e, wirksame<br />

Beziehung, in der er zur Herde steht, kennzei<strong>ch</strong>net, so daß diese ihn und er sie<br />

kennt, ebenso weiß si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Jesus in eine kräftige, inwendige Beziehung zu<br />

den Mens<strong>ch</strong>en gesetzt, dur<strong>ch</strong> die er die Seinigen kennt und von ihnen erkannt<br />

wird. <strong>Das</strong> ist eines der wunderbarsten Worte, die uns <strong>Johannes</strong> von Jesus erhalten<br />

hat. <strong>Das</strong> Innere der Mens<strong>ch</strong>en ist ihm offen, der Zugang zu ihrem Herzen<br />

frei und die Wurzel dessen, was dort lebt, vor ihm aufgedeckt; er besitzt<br />

ihr wahres Bild. Dem verborgenen Werk Gottes in den Mens<strong>ch</strong>engeistern<br />

s<strong>ch</strong>aut er zu, sieht, was darin von oben stammt und <strong>na<strong>ch</strong></strong> oben strebt und sie in<br />

Gottes Rei<strong>ch</strong> versetzt. Er vermag au<strong>ch</strong> sein eigenes Bild im Mens<strong>ch</strong>en zu erwecken,<br />

das Auge desselben auf si<strong>ch</strong> zu ri<strong>ch</strong>ten und die Gewißheit über das,<br />

was er ist, in ihm zu s<strong>ch</strong>affen, so daß uns Jesus kein Rätsel mehr bleibt, sondern<br />

wir wissen, daß wir unseren Hirten an ihm haben. Weil es ein wunderbares<br />

Wort ist, steht der Hinweis auf Jesu besondere Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem<br />

Vater daneben, wodur<strong>ch</strong> das, was er über seine Beziehung zu den Mens<strong>ch</strong>en<br />

sagt, den Grund und die Erläuterung erhält. Er kennt den Vater und der<br />

Vater ihn. <strong>Das</strong> ist das Urbild zu jener Gemeins<strong>ch</strong>aft, die si<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en ihm und<br />

dem Mens<strong>ch</strong>en stiftet. Sie wä<strong>ch</strong>st aus der verborgenen Einigkeit, in der er mit<br />

dem Vater steht, heraus. Weil er den Zugang zum Vater hat, ers<strong>ch</strong>ließt er ihm<br />

au<strong>ch</strong> den Zugang zum Mens<strong>ch</strong>enherzen, so daß er mit und dur<strong>ch</strong> den Vater<br />

au<strong>ch</strong> sehen darf, was in der Welt das Eigentum des Vaters ist, und darum gibt<br />

er au<strong>ch</strong> uns den Blick auf Jesus, damit au<strong>ch</strong> wir den kennen, den der Vater<br />

kennt, und unser Auge dorthin s<strong>ch</strong>aue, wohin das Auge des Vaters blickt. Daraus,<br />

daß seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater der Grund ist, auf dem seine<br />

lebendige und innerli<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Mens<strong>ch</strong>en steht, fließt au<strong>ch</strong><br />

seine Willigkeit, sein Leben für seine Herde zu lassen. Zunä<strong>ch</strong>st hat er, wie es<br />

das Glei<strong>ch</strong>nis vom Hirten an die Hand gab, seine Liebe, die ihn zum Sterben


146 Jesus bes<strong>ch</strong>reibt den Hirten<br />

willig ma<strong>ch</strong>t, damit erläutert, daß ja die S<strong>ch</strong>afe ihm gehören und er si<strong>ch</strong> von<br />

seinem Eigentum ni<strong>ch</strong>t trennen will. Sie gehören ihm jedo<strong>ch</strong> als dem Sohn.<br />

Sohnesdienst übt er gegen den Vater au<strong>ch</strong> auf dem Kreuzesweg. Solange er<br />

der Sohn ist, hat und bewahrt er die Gemeins<strong>ch</strong>aft mit den Seinen. Darum<br />

können Kreuz und Tod ihn ni<strong>ch</strong>t von ihnen trennen, weil er den Vater ni<strong>ch</strong>t<br />

lassen kann.<br />

Hinter dem Opfer seines Lebens, wodur<strong>ch</strong> er si<strong>ch</strong> als den guten Hirten erweist,<br />

sieht er die Gemeinde in neuer Gestalt. 10,16'. Und i<strong>ch</strong> habe andere<br />

S<strong>ch</strong>afe, die ni<strong>ch</strong>t aus dieser Hürde sind. Au<strong>ch</strong> jene muß i<strong>ch</strong> führen, und sie werden<br />

meine Stimme hören, und es wird eine Herde, ein Hirte sein. Jetzt<br />

dient er Israel allein und lebt als Glied der alten Gemeinde in den Grenzen,<br />

die ihr Gottes bisherige Regierung gezogen hat. Aber seine Gemeinde ist ihm<br />

ni<strong>ch</strong>t nur in Israel bereitet. Au<strong>ch</strong> draußen im weiten Gebiet der Völkerwelt<br />

gibt es Mens<strong>ch</strong>en, die sein Eigentum sind, die er au<strong>ch</strong> zu seiner Erkenntnis<br />

bringen und unter seine Führung stellen wird, ni<strong>ch</strong>t damit es zwei Herden<br />

würden, eine jüdis<strong>ch</strong>e, eine heidnis<strong>ch</strong>e, vielmehr damit es eine einträ<strong>ch</strong>tige Gemeinde<br />

gebe, dem entspre<strong>ch</strong>end, daß sie in allen ihren Gliedern dem einen<br />

Hirten untergeben ist. Den s<strong>ch</strong>ärfsten Gegensatz, der die Mens<strong>ch</strong>heit spaltete,<br />

sieht Jesus überwunden. Er einigt das dur<strong>ch</strong> die tiefste S<strong>ch</strong>eidung Ges<strong>ch</strong>iedene,<br />

weil er beide Teile unter den Höheren stellt und beiden eine gemeinsame Liebe,<br />

denselben Willen gibt. Die, die der eine und selbe Hirte führt, sind au<strong>ch</strong> unter<br />

si<strong>ch</strong> verbunden. Da leu<strong>ch</strong>tet wieder jene Verheißung hervor, die er der Samariterin<br />

gab, der er über dem Zion und dem Garizim den Geist und die "Wahrheit<br />

als das nannte, was die neue Anbetung Gottes s<strong>ch</strong>afft und seine wahrhaftigen<br />

Anbeter einträ<strong>ch</strong>tig ma<strong>ch</strong>t.<br />

Zu diesem Ziel kann er ni<strong>ch</strong>t anders gelangen ab dur<strong>ch</strong> das Kreuz. Dur<strong>ch</strong><br />

seinen Tod errei<strong>ch</strong>t er es, daß er sein Hirtenamt über die alte Hürde hinaus<br />

auf alle erstrecken kann, weil er dur<strong>ch</strong> ihn die Liebe des Vaters gewinnt. Darum<br />

ist der Lohn seines Kreuzes die eine große Gemeinde, die Gottes ganzes<br />

Eigentum umfaßt. 10,17.18: Deshalb liebt mi<strong>ch</strong> der Vater, weil i<strong>ch</strong> meine<br />

Seele hergebe, um sie wieder zu empfangen. Keiner nimmt sie mir, sondern i<strong>ch</strong><br />

gebe sie von mir selber her. I<strong>ch</strong> habe die Ma<strong>ch</strong>t, sie herzugeben und habe Ma<strong>ch</strong>t,<br />

sie wieder zu empfangen. Dieses Gebot habe i<strong>ch</strong> von meinem Vater erhalten.<br />

Jesus spri<strong>ch</strong>t hier aus, wie sein Leiden versöhnende Kraft erhält. In seiner<br />

Aufopferung und Hingabe erwirbt er si<strong>ch</strong> des Vaters Liebe, ni<strong>ch</strong>t als wäre sie<br />

ni<strong>ch</strong>t sein ewiger Besitz; do<strong>ch</strong> ist sie als lebendige ni<strong>ch</strong>t bewegungslos und tatlos,<br />

sondern zieht aus dem, was Jesus tut, neue Kraft. Sein Lebensopfer wird<br />

ihr zum starken Grund. Gibt er si<strong>ch</strong> selbst dahin, so gibt ihm Gott die Ge-


<strong>Johannes</strong> 10,16—21 147<br />

meinde. Bringt er dem Vater den Gehorsam dar, so s<strong>ch</strong>enkt ihm dieser, daß<br />

er Sünde und Tod vom Mens<strong>ch</strong>en nehmen und ihn unter sein Hirtenamt stellen<br />

darf. Ni<strong>ch</strong>t das verlangt die Liebe des Vaters, daß er sein Leben verliere, was<br />

gänzli<strong>ch</strong> gegen den Sinn der Liebe streitet; sondern er soll seine Seele so geben,<br />

daß er sie wieder nimmt. Frei stellt die Liebe des Vaters den Sohn in die Welt,<br />

ihr ni<strong>ch</strong>t unterworfen, ihrem Haß ni<strong>ch</strong>t so ausgesetzt, daß sie gegen seinen<br />

Willen ihm das Leben rauben könnte. Der S<strong>ch</strong>utz des Vaters, der der Welt<br />

überlegen ist, ist der uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>irm für seine Freiheit. Nur in seinem<br />

freien Verzi<strong>ch</strong>t auf Gottes Ma<strong>ch</strong>t und Herrli<strong>ch</strong>keit gewinnt die Welt über ihn ,<br />

Ma<strong>ch</strong>t. Er ist aber ermä<strong>ch</strong>tigt, bei der Herde au<strong>ch</strong> dann zu bleiben, wenn der<br />

Wolf kommt, und auf dem Kreuzesweg den Vater zu verherrli<strong>ch</strong>en. Damit ist<br />

er au<strong>ch</strong> ermä<strong>ch</strong>tigt, sein Leben wieder zu gewinnen, da der Vater den Sohn<br />

ni<strong>ch</strong>t preisgibt. Der Welt bes<strong>ch</strong>reibt das Jesus ab sein freies Re<strong>ch</strong>t, da sie si<strong>ch</strong><br />

einbildet, sie habe ihn bezwungen; dem Vater gegenüber heißt er das sein Gebot.<br />

Es ist ein bestimmter Gotteswille, der ihn diesen Weg führt, und Jesus<br />

brau<strong>ch</strong>t seine Freiheit au<strong>ch</strong> jetzt nur dazu, um gehorsam zu sein. So hat Jesus<br />

aus dem Hirtenglei<strong>ch</strong>nis ein volles, rei<strong>ch</strong>es Bild seines königli<strong>ch</strong>en Werks gema<strong>ch</strong>t<br />

und es namentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dazu benutzt, um seine Kreuzestat mit seinem<br />

königli<strong>ch</strong>en Amte innerli<strong>ch</strong> zu verbinden und in Einheit zu bringen. Wenn<br />

die Welt für ihn zum Kampfplatz wird, auf dem er s<strong>ch</strong>einbar fällt, so sollen<br />

wir daran denken, daß si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die Herde für den Hirten, wohl aber der<br />

Hirte si<strong>ch</strong> für die Herde wehrt.<br />

10,19—21: Wieder entstand eine Spaltung unter den Juden wegen dieser<br />

Worte. Es sagten aber viele von ihnen: Er hat einen bösen Geist und ist wahnsinnig.<br />

Warum hört ihr ihn an? Andere sagten: Diese Worte kommen ni<strong>ch</strong>t<br />

von einem Besessenen. Kann ein böser Geist die Augen Blinder auf tun? Die<br />

Hörer Jesu s<strong>ch</strong>wankten, ob seine Worte aus einem zerrütteten Gemute stammten<br />

oder ob er in Gottes Sendung rede. Er spra<strong>ch</strong> vom Wolf; wo ist er denn?<br />

Sie sahen ni<strong>ch</strong>ts von ihm. Er spra<strong>ch</strong> von seiner freien Ma<strong>ch</strong>t, das Leben zu<br />

lassen und wieder zu empfangen, als könnte jemand kraft eigener Freiheit<br />

sterben und auferstehen! Er nannte die Führer des Volks Diebe und Räuber,<br />

die do<strong>ch</strong> als heilige Männer galten. Alles, was er sagte, s<strong>ch</strong>ien dunkel, anstößig<br />

und bestritt das, was si<strong>ch</strong>tbar war und als heilig galt. Seine Taten jedo<strong>ch</strong> ließen<br />

jedenfalls ni<strong>ch</strong>t auf Wahnsinn s<strong>ch</strong>ließen; sie hielten no<strong>ch</strong> einen Teil des Volks<br />

von seiner völligen Verwerfung zurück. *


148 Der Kampf am Tempelweihfest<br />

Kapitel 10,22—42<br />

Der Kampf am Tempelweihfest<br />

Drei Monate später wurde das Tempelweihfest gefeiert zur Erinnerung an<br />

die Erneuerung des gesetzmäßigen Gottesdienstes dur<strong>ch</strong> den Makkabäer Juda»<br />

der die grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Götterbilder aus dem Tempel weggetan und die Priester<br />

in ihn zurückgeführt hatte. Wo si<strong>ch</strong> Jesus während dieser Zeit aufhielt, ob er<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa zurückging oder ins Ostjordanland, vgl. Matthäus 19,1, hat uns<br />

<strong>Johannes</strong> ni<strong>ch</strong>t gesagt; jedenfalls blieb er ni<strong>ch</strong>t in Jerusalem. Als er zur Festfeier<br />

wieder dorthin kam, kam der Ärger der Juden darüber zum Ausbru<strong>ch</strong>,<br />

daß es immer no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>ieden sei, was man von Jesus zu halten habe.<br />

10,22—24: Es fand damals das Tempelweih fest in Jerusalem statt. <strong>Das</strong> Wetter<br />

war winterli<strong>ch</strong>, und Jesus ging imTempel in der Halle Salomos hin und her.<br />

Nun umringten ihn die Juden und sagten zu ihm: Bis wann erregst du unsere<br />

Seele? Wenn du der Christus bist, so sage es uns freimütig! Sie waren es satt,<br />

länger zu warten, und umringten ihn, als der winterli<strong>ch</strong>e Regen jedermann aus<br />

den offenen Höfen in die gedeckten Hallen des Tempels trieb, um ihm darüber<br />

eine Erklärung abzutrotzen, ob er der Christus sei. Sie ma<strong>ch</strong>ten ihm einen Vorwurf<br />

daraus, daß er ihre Seele so lange in unents<strong>ch</strong>iedener S<strong>ch</strong>wankung halte.<br />

10,25a: Jesus antwortete ihnen: I<strong>ch</strong> sagte es eu<strong>ch</strong>, und ihr glaubt ni<strong>ch</strong>t. Ihren<br />

Vorwurf heißt er grundlos. An ihm liegt es ni<strong>ch</strong>t, wenn sie verwirrt und unents<strong>ch</strong>ieden<br />

sind. S<strong>ch</strong>on als sie ihn wegen des Kranken in Bethesda verklagten,<br />

hat er offenkundig das ganze Messiaswerk si<strong>ch</strong> beigelegt; ebenso deutli<strong>ch</strong> tat<br />

er es, als er ihnen sein Hirtenamt bes<strong>ch</strong>rieb. Brau<strong>ch</strong>t er die Formel, auf die sie<br />

gespannt laus<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t, so tut er es mit gutem Beda<strong>ch</strong>t; sie heften an die<br />

Formel ihre eigenen Gedanken, in denen er sie ni<strong>ch</strong>t bestärken darf; darum<br />

sagt er ihnen ni<strong>ch</strong>t eine Formal her, sondern erläutert ihnen die Sa<strong>ch</strong>e. Diese<br />

hat er ihnen jedo<strong>ch</strong> in der hellsten Deutli<strong>ch</strong>keit verkündigt. Was hilft aber das<br />

Wort, wenn es ni<strong>ch</strong>t geglaubt wird? Daher rührt ihre innere Unsi<strong>ch</strong>erheit und<br />

Verlegenheit, daß sie ihm den Glauben verweigern.<br />

10,25b: Die Werke, die i<strong>ch</strong> im Namen meines Vaters tue, sie geben über mi<strong>ch</strong><br />

Zeugnis. Als Glaubensgrund hält er ihnen seine Werke vor, die er im Namen<br />

des Vaters tat. Zwar ist s<strong>ch</strong>on sein Wort ein fester Glaubensgrund, der über<br />

ihn gewiß ma<strong>ch</strong>en kann; immerhin ist es allein für si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> unfertig und wartet<br />

no<strong>ch</strong> auf die Tat. Mit dem Werk steht dagegen etwas Ganzes, Abges<strong>ch</strong>lossenes<br />

vor ihnen, das ihnen ni<strong>ch</strong>t nur seinen Willen, sondern zuglei<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> seine<br />

Ma<strong>ch</strong>t zeigt, in dem das Auswendige si<strong>ch</strong> zum Inwendigen fügte und das, was<br />

im Geist geboren war, si<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> der Natur si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>te. Darum ist


<strong>Johannes</strong> 10,22—30 149<br />

das "Werk in besonderem Maß mit der Kraft versehen, den Mens<strong>ch</strong>en zu bestimmen,<br />

sein Urteil zu befestigen und ihm zum Stützpunkt zu dienen, an den<br />

er seine Gedanken und seinen "Willen anheftet. Ges<strong>ch</strong>ieht es vergebli<strong>ch</strong>, ohne<br />

daß es den Mens<strong>ch</strong>en innerli<strong>ch</strong> überwindet, so offenbart si<strong>ch</strong> daran der festgewordene<br />

Gegensatz, womit er si<strong>ch</strong> Jesus widersetzt. 10,26: Allein ihr glaubt<br />

ni<strong>ch</strong>t, weil ihr ni<strong>ch</strong>t zu meinen S<strong>ch</strong>afen gehört. Dur<strong>ch</strong> ihr glaubensloses Verhalten<br />

erweisen sie, daß sie ni<strong>ch</strong>t zu denen gehören, die Gott mit ihm verbunden<br />

hat. .<br />

Ihrer Klage über ihre peinli<strong>ch</strong>e Lage, daß sie ni<strong>ch</strong>t wissen, was sie von ihm<br />

denken sollen, setzt er den herrli<strong>ch</strong>en Stand derer entgegen, denen Glaube ges<strong>ch</strong>enkt<br />

worden ist. 10,27.28: Meine S<strong>ch</strong>afe hören meine Stimme, und i<strong>ch</strong><br />

kenne sie, und sie folgen mir, und i<strong>ch</strong> gebe ihnen ewiges Leben, und in Ewigkeit<br />

kommen sie ni<strong>ch</strong>t um, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Die,<br />

die sein sind und glauben können, haben für ihn ein Ohr erhalten, fassen<br />

darum in seinem "Wort die ewige "Wahrheit und Gnade und erkennen es als die<br />

Rede des Sohnes, der im Vater lebt. So ist au<strong>ch</strong> Jesu Blick auf sie geri<strong>ch</strong>tet; er<br />

weiß, daß sie ihm gehören und wessen sie bedürfen. Ihr "Weg steht vor seinem<br />

Auge; dieses begleitet sie. Aus diesem inwendigen Bande entsteht eine volle,<br />

ganze Gemeins<strong>ch</strong>aft, auf ihrer Seite, daß sie ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>gehen, si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von ihm<br />

trennen, in seinem Gehorsam bleiben und tun, was sein "Wort sie heißt; auf<br />

seiner Seite, daß er ihnen das ewige Leben gibt, sie vor allem Verderben bes<strong>ch</strong>irmt<br />

und an ihnen zum Heiland wird, dessen Heilandstat keine Ma<strong>ch</strong>t in<br />

der "Welt an ihnen zerstören oder hindern kann. Diese Gewißheit Jesu und<br />

der Seinen ruht in der Größe des Vaters, der sie ihm gegeben hat. 10,29. 30:<br />

Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alle, und keiner kann sie aus<br />

der Hand des Vaters reißen. I<strong>ch</strong> und der Vater sind eins. Den Vater wird niemand<br />

am Werk seiner Gnade hindern. Ihm, der allen überlegen ist, wird ni<strong>ch</strong>ts<br />

geraubt. Die sieghafte Majestät des Vaters ma<strong>ch</strong>t Jesu Verheißung fest und<br />

seine Heilandstat si<strong>ch</strong>er und gibt denen, die ihm verbunden sind, die volle<br />

Ruhe und das unverlierbare Leben. Denn Jesus ist von ihm geleitet und bleibt<br />

in seinem Willen, wenn er mit seiner Verheißung uns ruft, mit seiner Gnade<br />

uns verzeiht und mit seinem königli<strong>ch</strong>en "Willen uns belebt. Da ist er ni<strong>ch</strong>t<br />

allein am Werk, sondern mit dem Vater eins und nimmt das, was er sagt und<br />

tut, aus des Vaters S<strong>ch</strong>atz. So ist au<strong>ch</strong> der Vater eins mit ihm, legt seinen Rei<strong>ch</strong>tum<br />

in die Hand des Sohnes, fügt seine Ma<strong>ch</strong>t zu Jesu Wort und Tat und gibt<br />

ihnen die ewige Vollendung und Si<strong>ch</strong>erheit.<br />

Die selige Gewißheit Jesu, daß er ganz für den Vater lebe und der Vater<br />

ganz für ihn, erbitterte die Juden wieder so, daß sie sofort das Geri<strong>ch</strong>t an ihm


15° Der Kampf am Tempelweihfest<br />

vollziehen wollten. 10,31: Die Juden trugen wieder Steine herbei, um ihn zu<br />

steinigen, hilan obwohl ihnen sein Wort wie eine s<strong>ch</strong>auerli<strong>ch</strong>e Gotteslästerung<br />

klang, flog denno<strong>ch</strong> kein Stein gegen ihn, und Jesus blieb unversehrt. "Wenn<br />

er von seinem Ende spra<strong>ch</strong>, so sah er auf den Kreuzespfahl, und sein Wort erfüllte<br />

si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong>, daß ihr Zorn au<strong>ch</strong> jetzt wieder an der Tat gehindert ward.<br />

10,32: Jesus antwortete ihnen: Viele gute Werke ließ io eu<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den<br />

Vater sehen. Um wel<strong>ch</strong>es Werkes willen unter diesen steinigt ihr mi<strong>ch</strong>? Er<br />

fragte sie, für wel<strong>ch</strong>e von den vielen Wohltaten, die er ihnen in Gottes Ma<strong>ch</strong>t<br />

und Gnade erwiesen hat, er gesteinigt werden solle. Werke sind es, für die ein<br />

Mens<strong>ch</strong> vor dem Ri<strong>ch</strong>ter Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aft zu geben hat und für die, wenn sie böse<br />

sind, er den Tod leiden muß. Sie regen si<strong>ch</strong> über seine Worte auf; so sollen sie<br />

si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> besinnen, wel<strong>ch</strong>es unter seinen Werken seine Hinri<strong>ch</strong>tung re<strong>ch</strong>tfertigen<br />

soll.<br />

10,33—36: Die Juden antworteten ihm: Wir steinigen di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wegen eines<br />

guten Werks, sondern der Lästerung wegen, und weil du di<strong>ch</strong> zu Gott ma<strong>ch</strong>st,<br />

obwohl du ein Mens<strong>ch</strong> bist. Jesus antwortete ihnen: Ist ni<strong>ch</strong>t in eurem Gesetz<br />

gesehrieben: I<strong>ch</strong> habe gesagt: Ihr seid Götter? (Psalm 82,6). Wenn er jene<br />

Götter nannte, zu denen das Wort Gottes kam, und die S<strong>ch</strong>rift kann ni<strong>ch</strong>t<br />

gebro<strong>ch</strong>en werden, sagt ihr denn von dem, den der Vater heiligte und in die<br />

Welt sandte: Du lästerst, weil i<strong>ch</strong> sagte: I<strong>ch</strong> bin Gottes Sohn? Weil sie si<strong>ch</strong><br />

stellen, als müßten sie die Ehre Gottes gegen ihn verteidigen, führte er ihnen<br />

dasjenige S<strong>ch</strong>riftwort an, das Mens<strong>ch</strong>en den Namen Gottes gab und sie zu ihm<br />

hinauf hob, daß sie an seiner Ehre, Anteil erhielten deshalb, weil an sie das<br />

Wort Gottes ergangen war. Dieses S<strong>ch</strong>riftwort ist ihnen unbequem; sie mö<strong>ch</strong>ten<br />

es lieber anders haben; allein die S<strong>ch</strong>rift dürfen sie ni<strong>ch</strong>t als ungültig<br />

verwerfen. Trotzdem die S<strong>ch</strong>rift si<strong>ch</strong> so zum Mens<strong>ch</strong>en stellt, heißen sie denno<strong>ch</strong><br />

ihn, weil er si<strong>ch</strong> den Sohn Gottes nennt, einen Lästerer, während er ni<strong>ch</strong>t<br />

nur Gottes Wort erhalten hat und mit der Erleu<strong>ch</strong>tung eines Propheten ausgestattet<br />

ist, sondern vom Vater geheiligt und als der Heilige Gottes in die<br />

Welt gesandt worden ist.<br />

Ni<strong>ch</strong>t sie haben die S<strong>ch</strong>rift für si<strong>ch</strong>, sondern er; ni<strong>ch</strong>t ihr Gott ist der Gott<br />

der Bibel. Ihr Gott bleibt dem Mens<strong>ch</strong>en fern, ist ohne Leben und Liebe in<br />

den Himmel versetzt, waltet wohl als alles bestimmende Ma<strong>ch</strong>t über dem ganzen<br />

Weltlauf, hat aber für niemand ein offenes Herz, so daß er ihn zur Einheit<br />

und Gemeins<strong>ch</strong>aft an si<strong>ch</strong> zöge. <strong>Das</strong> Zeugnis der S<strong>ch</strong>rift von Gott ist anderer<br />

Art. Sie verkündet einen Gott, der sein Wort ins Herz des Mens<strong>ch</strong>en<br />

legt, den Mens<strong>ch</strong>en zu seinem Mund und Boten ma<strong>ch</strong>t und ihn dadur<strong>ch</strong> ehrt,<br />

daß er Gottes Wort reden darf. Daran hat seine Liebe ihre Freude; sie geht


<strong>Johannes</strong> 10,31—38 15 *<br />

ni<strong>ch</strong>t darauf aus, seine Diener zu erniedrigen, sondern hebt sie ho<strong>ch</strong>, bestätigt<br />

ihren göttli<strong>ch</strong>en Beruf und preist die lebendige Beziehung, in die sie Gott zu<br />

si<strong>ch</strong> selber stellt. Für diese Seite am S<strong>ch</strong>riftwort sind sie aber taub, und während<br />

sie versi<strong>ch</strong>ern, der Bibel treu zu sein, bre<strong>ch</strong>en sie sie sofort, sowie sie ihre<br />

Gedanken kreuzt und über ihren eigenen Lebensstand hinausgeht. Dagegen<br />

verteidigt Jesus die "Wahrheit und Unvergängli<strong>ch</strong>keit der S<strong>ch</strong>rift au<strong>ch</strong> dann,<br />

wenn sie das "Wunder der göttli<strong>ch</strong>en Gnade ausspri<strong>ch</strong>t, die den Mens<strong>ch</strong>en su<strong>ch</strong>t,<br />

s<strong>ch</strong>ätzt und in den göttli<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>tum erhebt. Nun ist aber ni<strong>ch</strong>t nur die<br />

früher s<strong>ch</strong>on gegebene Gnade wiedergekehrt, die dem Volke vordem Propheten<br />

gab, sondern etwas Neues ges<strong>ch</strong>ehen. Der Heilige Gottes ist da, der von ihm<br />

zur Mens<strong>ch</strong>heit Gesandte. Da tritt das, was in der alten S<strong>ch</strong>rift do<strong>ch</strong> immer<br />

no<strong>ch</strong> Bild, Glei<strong>ch</strong>nis und Verheißung war, in seiner ganzen Herrli<strong>ch</strong>keit hervor,<br />

ein Sohnesverhältnis, das so e<strong>ch</strong>t und ganz ist, daß das "Wort: Der Vater<br />

und i<strong>ch</strong> sind eins, zur "Wahrheit wird.<br />

Sie sollen auf das a<strong>ch</strong>ten, was er tut. 10,37: Wenn i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die Werke meines<br />

Vaters tue, so glaubt mir ni<strong>ch</strong>t. Bringt er ni<strong>ch</strong>t zu Stand und "Wesen, was<br />

Gottes Verheißung zusagt, Gottes Gnade will und Gottes Geri<strong>ch</strong>t verordnet,<br />

ist das, was er tut, nur Mens<strong>ch</strong>enwerk, in das Maß dessen gefaßt, was der<br />

sündli<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>enwille erstrebt und die s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>enkraft vermag,<br />

so glaubt mir ni<strong>ch</strong>t. 10,38: Wenn i<strong>ch</strong> sie aber tue, so glaubt den Werken, au<strong>ch</strong><br />

wenn ihr mir ni<strong>ch</strong>t glaubt, damit ihr erkennt und glaubt, daß der Vater in mir<br />

ist und i<strong>ch</strong> im Vater bin. Sie dürften au<strong>ch</strong> ihm glauben, könnten einen Einblick<br />

in sein Herz haben und wissen, daß hier ni<strong>ch</strong>t Lüge und Bosheit wohnt, könnten<br />

von seinem "Wort si<strong>ch</strong> fassen lassen und si<strong>ch</strong> dem hellen Glanz, der darin<br />

strahlt, ergeben. "Wenn sie si<strong>ch</strong> aber gegen sein "Wort sträuben, so kommt no<strong>ch</strong><br />

einmal als ein zweiter und stärkerer Zeuge sein "Werk zu ihnen und fordert sie<br />

auf, der "Wahrheit die Ehre zu geben und Gottes Gnade zu erkennen. "Weisen<br />

sie au<strong>ch</strong> dieses ab, so ist ihnen ni<strong>ch</strong>t zu helfen, und es bleibt bei dem sie ri<strong>ch</strong>tenden<br />

Urteil: Ihr gehört ni<strong>ch</strong>t zu meinen S<strong>ch</strong>afen, seid ni<strong>ch</strong>t Gottes Eigentum.<br />

Von jener ersten Gestalt des Glaubens, die Jesu "Werke in ihnen erwecken,<br />

werden sie zu einem neuen Erkennen und Glauben aufwärts geführt werden.<br />

Dieses gründet si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr auf einzelne Erlebnisse, die ihnen seine Heilandsma<strong>ch</strong>t<br />

si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>ten, sondern erfaßt seine bleibende, innere Verbundenheit<br />

mit Gott, die ihn mit allem, was er ist und tut, über sie erhebt und<br />

zum Hirten für sie ma<strong>ch</strong>t. Dann werden sie es wahrnehmen, und zwar so, daß<br />

sie es glauben und darüber Gewißheit haben, daß er den Ort, der ihn hält und<br />

bestimmt, im Vater hat und daß der Vater in ihm wohnt und mit seiner Gegen-


1 5 2 Jesus offenbart si<strong>ch</strong> an Lazarus als das Leben<br />

wart ihn stets umfaßt*. Die Juden waren wieder so erbittert, daß die Lage für<br />

Jesus gefährli<strong>ch</strong> wurde. 10,39: Nun su<strong>ch</strong>ten sie, ihn wieder zu ergreifen, und<br />

er entkam ihren Händen.<br />

Er verließ die Stadt. 10,40—42: Und er ging wieder auf die Ostseite des Jordans<br />

an den Ort, wo <strong>Johannes</strong> zuerst getauft hatte, und blieb dort. Und viele<br />

kamen zu ihm und sagten: <strong>Johannes</strong> hat zwar kein Zei<strong>ch</strong>en getan; alles aber,<br />

was <strong>Johannes</strong> von diesem sagte, war wahr. Und viele glaubten dort an ihn. In<br />

der Gegend, in der <strong>Johannes</strong> einst in der ersten Zeit dem Volke die Taufe gegeben<br />

hatte, wurden au<strong>ch</strong> die Erinnerungen an'das lebendig, was er von Jesus<br />

gesagt hatte. Sie halfen man<strong>ch</strong>em zum Glauben. Daß <strong>Johannes</strong> kein Zei<strong>ch</strong>en<br />

getan hatte, hinderte sie ni<strong>ch</strong>t, zeigte ihnen vielmehr, daß Jesus ni<strong>ch</strong>t nur ein<br />

Gehilfe und Na<strong>ch</strong>folger des Täufers sei, sondern einen neuen, höheren Beruf<br />

erhalten habe, wie es der Täufer selbst s<strong>ch</strong>on bezeugt hatte. Daß das Wort<br />

desselben über Jesus wahr gewesen sei, ward ihnen jetzt im Umgang mit Jesus<br />

gewiß. So lagen im Lebenslauf Jesu immer wieder Erquickungen, die es<br />

ihm ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>ten, daß er seinen Dienst ni<strong>ch</strong>t umsonst tue. Es ging, wie<br />

er selbst im Glei<strong>ch</strong>nis vom Säemann ausgedrückt hat: man<strong>ch</strong>es Samenkorn verdarb;<br />

denno<strong>ch</strong> reifte die hundertfältige Ernte heran. •<br />

Kapitel 11,1—53<br />

Jesus offenbart si<strong>ch</strong> an Lazarus als das Leben<br />

Zur Ents<strong>ch</strong>eidung kam es, als die S<strong>ch</strong>western von Bethanien, die Jesu<br />

Freunds<strong>ch</strong>aft hatten, ihn bei der Erkrankung ihres Bruders um seine Hilfe<br />

baten. 11,1. 2: Es war aber einer krank, Lazarus von Bethanien, ans dem Dorf<br />

der Maria und Martha, ihrer S<strong>ch</strong>wester. Es war aber die Maria, die den Herrn<br />

mit dem Salböl gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren abgewis<strong>ch</strong>t hat,<br />

deren Bruder Lazarus krank war. "Wie innig und kräftig ihre Beziehungen zu<br />

Jesus waren, ma<strong>ch</strong>t uns <strong>Johannes</strong> dur<strong>ch</strong> die Erinnerung deutli<strong>ch</strong>, Jesus sei derjenigen<br />

Maria wegen wieder in die Nähe Jerusalems gekommen, die ihn gesalbt<br />

habe. Von der Salbung Jesu vor seinem Leiden dur<strong>ch</strong> die Hand einer<br />

Frau, die ihr Kostbarstes mit Freuden ihm dargab, hat, wie <strong>Johannes</strong> annimmt,<br />

jedermann in der Kir<strong>ch</strong>e gehört, weil damals, als <strong>Johannes</strong> s<strong>ch</strong>rieb, die älteren<br />

Evangelien des Matthäus und Markus bereits in den Gottesdiensten gelesen<br />

* Die Worte sind au<strong>ch</strong> in folgender Form überliefert: Damit ihr erkennt und wißt, daß der Vater<br />

in mir ist. Dann ist der erste, anhebende Blick, der in Jesus die Gegenwart des Vaters erfaßt, von der<br />

bleibenden, fortgehenden Erprobung und Bewährung dieser Erkenntnis unters<strong>ch</strong>ieden, die uns im Fortgang<br />

unseres Lebens immer wieder darüber gewiß ma<strong>ch</strong>t, daß wir dur<strong>ch</strong> Jesus zu Gott gebra<strong>ch</strong>t sind.


<strong>Johannes</strong> 10,39—42 ; 11,1—10 153<br />

worden sind. Jene Frau, die Jesus salbte, war diese Maria, deren Bitte Jesus<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem zurückgerufen hat.<br />

11,3: Nun sandten die S<strong>ch</strong>western zu ihm und ließen sagen: Herr, sieht<br />

der, den du liebst, ist krank. In dieser Bots<strong>ch</strong>aft verbarg si<strong>ch</strong> die gläubige Bitte,<br />

die si<strong>ch</strong> an Jesu Hilfe wendet. Sie drängt si<strong>ch</strong> aber ni<strong>ch</strong>t stürmis<strong>ch</strong> hervor, sondern<br />

ist zufrieden, daß Jesus weiß, wie es bei ihnen steht. Diese Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t bewegt<br />

Jesus zum Preise Gottes. 11,4: Als es aber. Jesus hörte, sagte er: Diese<br />

Krankheit führt ni<strong>ch</strong>t zum Tod, sondern dient der Herrli<strong>ch</strong>keit Gottes, damit<br />

der Sohn Gottes dur<strong>ch</strong> sie verherrli<strong>ch</strong>t werde. An dieser Krankheit wird si<strong>ch</strong><br />

zeigen, wie groß und herrli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> Gott am Mens<strong>ch</strong>en offenbart, und das Werkzeug<br />

zur Verherrli<strong>ch</strong>ung Gottes ist der Sohn, der dadur<strong>ch</strong>, daß er jetzt Gottes<br />

Größe offenbart, selbst verherrli<strong>ch</strong>t wird. "Warum Jesus aus der Gefahr, in der<br />

Lazarus stand, nur Herrli<strong>ch</strong>keit-Gottes hervorglänzen sieht, erläutert uns <strong>Johannes</strong><br />

so, 11,5: Jesus aber hatte Martha und ihre S<strong>ch</strong>wester und Lazarus lieb.<br />

Um die Seinen handelt es si<strong>ch</strong>, um die, die seine Liebe umfaßt; darum dankt<br />

er dem Vater für alles, was ihnen ges<strong>ch</strong>ieht, weil er bei allem, au<strong>ch</strong> beim S<strong>ch</strong>weren,<br />

das ihnen auferlegt wird, an ihnen die Ma<strong>ch</strong>t und Fülle der göttli<strong>ch</strong>en<br />

Gnade si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>en darf.<br />

Er half jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sofort, sondern blieb no<strong>ch</strong> zwei Tage östli<strong>ch</strong> vom Jordan.<br />

11,6. 7: Als er nun gehört hatte, daß er krank sei, blieb er zwei Tage an<br />

dem Ort, wo er war. Her<strong>na<strong>ch</strong></strong> erst sagte er zu den Jüngern: Wir wollen wieder<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Judäa ziehen. Er hat es immer bei allem Rei<strong>ch</strong>tum der Verheißung und<br />

Hilfe den Seinen einges<strong>ch</strong>ärft, daß ni<strong>ch</strong>t das heiße Wüns<strong>ch</strong>en und Wollen des<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Herzens zum Regiment berufen ist, dieses si<strong>ch</strong> vielmehr still und<br />

fest unter Gottes Führung zu beugen hat und nur um so offenkundiger und<br />

herrli<strong>ch</strong>er die göttli<strong>ch</strong>e Güte erlebt.<br />

Als er dann den Jüngern sagte, daß er <strong>na<strong>ch</strong></strong> Judäa zurückgehe, fiel ihnen der<br />

Ernst der Stunde s<strong>ch</strong>wer aufs Herz. 11,8: Die Jünger sagen zu ihm: Rabbi,<br />

jüngst wollten di<strong>ch</strong> die Juden steinigen, und du gehst no<strong>ch</strong>mals dorthin? Sie erinnerten<br />

si<strong>ch</strong> an jene Augenblicke, als si<strong>ch</strong> die Juden mit Steinen bewaffnet vor<br />

ihn gestellt hatten und der tätli<strong>ch</strong>e Angriff auf sein Leben unmittelbar zu folgen<br />

s<strong>ch</strong>ien.<br />

Jesus stillt ihre Fur<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> ein Glei<strong>ch</strong>nis. 11,9.10: Jesus antwortete: Gehören<br />

ni<strong>ch</strong>t zwölf Stunden zum Tag? Wenn jemand am Tage wandert, stößt<br />

er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, weil er das Li<strong>ch</strong>t dieser Welt sieht. Wenn aber jemand in der<br />

Na<strong>ch</strong>t wandelt, stößt er si<strong>ch</strong>, weil das Li<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t in ihm ist. Es ist ein Unters<strong>ch</strong>ied,<br />

ob jemand am Tag wandert oder in der Na<strong>ch</strong>t. Am Tage sieht er das<br />

Li<strong>ch</strong>t dieser Welt; in der Na<strong>ch</strong>t wandert er im Finstern, weil er das Li<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t


I54 Jesus offenbart si<strong>ch</strong> an Lazarus als das Leben<br />

in si<strong>ch</strong> selber hat, sondern es von der Sonne her empfängt. Wandert er im hellen<br />

Sonnenli<strong>ch</strong>t, so ist sein Gang gefahrlos; er strau<strong>ch</strong>elt ni<strong>ch</strong>t und fällt ni<strong>ch</strong>t.<br />

Gefahrvoll wird der Weg in der Na<strong>ch</strong>t; dann stößt er si<strong>ch</strong>. Na<strong>ch</strong>t und Tag<br />

sind aber fest geordnet; zwölf Stunden sind diesem zugemessen. Läßt sie der<br />

Mens<strong>ch</strong> verstrei<strong>ch</strong>en, so gerät er in die Dunkelheit und in die Gefahr. Dem<br />

Gang am hellen Tag verglei<strong>ch</strong>t Jesus den Weg der Jünger unter seiner Führung<br />

und in seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft. Sie dürfen getrost mit ihm gehen; sie werden<br />

ni<strong>ch</strong>t strau<strong>ch</strong>eln. No<strong>ch</strong> ist es Tag, und dessen Stunden sind no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t abgelaufen.<br />

Haben die Jünger in ihm die Sonne, die ihren Gang si<strong>ch</strong>er ma<strong>ch</strong>t, so hat er<br />

sie im Vater, und er ist im Blick auf ihn gewiß, daß er in seinem hellen Li<strong>ch</strong>t<br />

und unter seinem S<strong>ch</strong>utz den Gang <strong>na<strong>ch</strong></strong> Judäa antritt und vollenden wird.<br />

Weder sie no<strong>ch</strong> er dürfen jedo<strong>ch</strong> säumen und si<strong>ch</strong> ihren! Berufe entziehen. Dadur<strong>ch</strong><br />

ließen sie den Tag verstrei<strong>ch</strong>en, und ihre Wanderung fiele in die Na<strong>ch</strong>t,<br />

und für das, was so versäumt würde, gäbe es keinen Ersatz. <strong>Das</strong> Glei<strong>ch</strong>nis bes<strong>ch</strong>reibt<br />

die Ruhe dessen, der sein Werk in der Leitung Gottes tut, und warnt<br />

die Jünger vor ihren eigenen Gedanken und Plänen. Sie würden die Sa<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t<br />

bessern, sondern gründli<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>limmern, wenn sie ihrer Fur<strong>ch</strong>t Gehör gäben.<br />

Versäumt der Mens<strong>ch</strong> Gottes Zeit, wählt er si<strong>ch</strong> die eigene Zeit, so kommt er<br />

in die Na<strong>ch</strong>t.<br />

Dann sagte er ihnen, warum er jetzt <strong>na<strong>ch</strong></strong> Judäa gehe. 11,11 : Dieses sagte er,<br />

und darauf sagte er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, s<strong>ch</strong>läft; aber i<strong>ch</strong> gehe,<br />

um ihn zu wecken. „Unseren" Freund nennt er ihn um der zarten, wahren Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

willen, die er mit seinen Jüngern hält. Sein Freund ist au<strong>ch</strong> der<br />

ihrige; seine Liebe erweckt und regiert au<strong>ch</strong> die ihre. Es gilt jetzt, denen Treue<br />

zu halten, die ihnen verbunden sind, und jetzt ihren S<strong>ch</strong>merz zu stillen dur<strong>ch</strong><br />

die große, herrli<strong>ch</strong>e Erfahrung seiner Heilandsma<strong>ch</strong>t. Die Jünger waren aber<br />

für die Verheißung Jesu unempfängli<strong>ch</strong> und hörten in seinem Wort nur das,<br />

was ihrem eigenen Wuns<strong>ch</strong> entspra<strong>ch</strong>. 11,12.13: Nun sagten die Jünger 2U<br />

ihm: Herr, wenn er s<strong>ch</strong>läft, wird er genesen. Jesus aber spra<strong>ch</strong> von seinem<br />

Tod; sie dagegen meinten, er spre<strong>ch</strong>e vom S<strong>ch</strong>laf. Der S<strong>ch</strong>laf galt ihnen als ein<br />

Zei<strong>ch</strong>en, daß die Krankheit wei<strong>ch</strong>e, und sie hofften, so werde Jesu Gegenwart<br />

überflüssig. Nun öffnete ihnen Jesus die Augen.<br />

11,14.15 : Da spra<strong>ch</strong> Jesus offen zu ihnen: Lazarus starb, und i<strong>ch</strong> freue mi<strong>ch</strong><br />

euretwegen, daß i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dort war, damit ihr glaubt. Aber wir wollen zu ihm<br />

gehen. Die Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t vom Tode des Lazarus verwundet ihnen s<strong>ch</strong>merzhaft die<br />

Seele; darum gibt ihnen Jesus Anteil an seiner Freude. Er weiß, wie sie drüben<br />

in Bethanien um Lazarus weinen, sieht, wie s<strong>ch</strong>wer die Jünger von der Todes<strong>na<strong>ch</strong></strong>ri<strong>ch</strong>t<br />

betroffen sind, und freut si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> an diesem Gang der Dinge, freut


<strong>Johannes</strong> 11,11—22 15 5<br />

si<strong>ch</strong>, daß sie alle es erlebt haben, wie der Tod in ihrem eigenen Kreise die<br />

s<strong>ch</strong>wer empfundene Lücke riß, damit sie glauben lernen! Immer geht Jesu<br />

Sorge darauf, daß si<strong>ch</strong> das Herz des Mens<strong>ch</strong>en festige in der gläubigen Verbundenheit<br />

mit ihm. Dazu dient au<strong>ch</strong> der Tod des Lazarus und seine eigene<br />

Abwesenheit von Bethanien, dient au<strong>ch</strong> das kurze Leid, das sie jetzt beugt. Sie<br />

lernen es nun, daß er ihr Leben ist; so wird aus der kurzen Not der unvergängli<strong>ch</strong>e<br />

Segen.<br />

"Wie gedrückt die Jünger waren, spri<strong>ch</strong>t Thomas aus. 11,16: Nun spra<strong>ch</strong><br />

Thomas, der den Namen Didymus hat, zu den anderen Jüngern: Au<strong>ch</strong> wir<br />

wollen gehen, um mit ihm zu sterben. So spri<strong>ch</strong>t ein treues, aber in den S<strong>ch</strong>merz<br />

und ins Verzagen versunkenes Herz. Es sieht überall nur Dunkelheit. In Jerusalem<br />

tobt der Zorn über Jesus, der si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>wi<strong>ch</strong>tigen läßt, sondern<br />

immer wilder wird. Jesus geht ihm ni<strong>ch</strong>t aus dem Wege, sondern nimmt den<br />

Kampf auf, zwar fur<strong>ch</strong>tlos, do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so, daß si<strong>ch</strong> der Ausweg zeigte. Nun<br />

20g Gott au<strong>ch</strong> von Lazarus seine Hand ab und ließ in Bethanien das Leid einkehren.<br />

Was bleibt den Jüngern übrig, als Jesus ni<strong>ch</strong>t allein sterben zu lassen,<br />

sondern si<strong>ch</strong> als treue Genossen auf dem gemeinsamen Todesgang zu bewähren?<br />

Er verstand no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß Jesus seinen Jüngern etwas ganz anderes zugeda<strong>ch</strong>t<br />

hatte, ni<strong>ch</strong>t mit ihm zu sterben, sondern für ihn zu leben und als seine<br />

Boten in der "Welt den freudigen und fru<strong>ch</strong>tbaren Dienst zu tun.<br />

11,17—19: Als nun Jesus kam, fand er ihn s<strong>ch</strong>on seit vier Tagen im Grab.<br />

Bethanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien von dort. Es<br />

•waren aber viele von den Juden zu Martha und Maria gekommen, um sie über<br />

den Bruder zu trösten. Als Jesus in Bethanien eintraf, war dort die Totenklage<br />

und die Tröstung der Hinterbliebenen, die in der Judens<strong>ch</strong>aft eine Wo<strong>ch</strong>e zu<br />

•dauern pflegte und mit großem Eifer dur<strong>ch</strong> alle Verwandten und Befreundeten<br />

betrieben wurde, im vollen Gange. <strong>Das</strong> Haus war mit Gästen angefüllt.<br />

11,20. 21: Wie nun Martha hörte, daß Jesus komme, ging sie ihm entgegen;<br />

Maria aber saß im Haus. Nun sagte Martha zu Jesus: Herr, wärest du hier gewesen,<br />

so wäre mein Bruder ni<strong>ch</strong>t gestorben! Sie litt unter seiner Abwesenheit<br />

und empfand es als rätselhaft und s<strong>ch</strong>wer, daß er ni<strong>ch</strong>t kam, als sie ihm die<br />

Bots<strong>ch</strong>aft sandten. Do<strong>ch</strong> wenn ihr Jesus den Bruder au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t am Leben erhielt,<br />

so s<strong>ch</strong>aut sie do<strong>ch</strong> mit herzli<strong>ch</strong>em Vertrauen zu ihm auf und läßt si<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t von ihm wegtreiben. 11,22: Au<strong>ch</strong> jetzt weiß i<strong>ch</strong>, daß dir Gott geben wird,<br />

was du von Gott bittest. Er ist ihre Hoffnung und ihr Trost geblieben; sie<br />

sieht auf ihnals auf den, der mit freier Bitte und rei<strong>ch</strong>em Empfangen aus der<br />

Fülle Gottes s<strong>ch</strong>öpft. Was er tun wird, wie sie au<strong>ch</strong> jetzt no<strong>ch</strong> seine Freundli<strong>ch</strong>keit<br />

erleben wird, weiß sie ni<strong>ch</strong>t, hält si<strong>ch</strong> aber an sein Sohnesre<strong>ch</strong>t, das ihm


156 Jesus offenbart si<strong>ch</strong> an Lazarus als das Leben<br />

alle Gaben Gottes in seine gütigen Hände legt. Jesus gibt ihr den vollen Trost.<br />

11,23: Jesus sagt zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Martha denkt jedo<strong>ch</strong><br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t an die besondere Gnade, die er mit diesem Worte ihr zusagt, sondern<br />

versteht es als Hinweis auf die Todesüberwindung, die mit dem letzten<br />

Tage im Anbru<strong>ch</strong> des ewigen Rei<strong>ch</strong>s stattfinden wird. 11,24: Martha sagt zu<br />

ihm: I<strong>ch</strong> weiß, daß er in der Auferstehung am letzten Tag auferstehen wird.<br />

Allein wenn au<strong>ch</strong> in der Ferne ein neuer Aufgang des Lebens ihr winkt, ganz<br />

ist sie damit über den Verlust ni<strong>ch</strong>t hinweggehoben, den sie jetzt erlitten hat.<br />

Die in die Weite blickende Hoffnung ri<strong>ch</strong>tet Jesus fest auf si<strong>ch</strong>. 11,25a: Jesus<br />

spra<strong>ch</strong> zu ihr: I<strong>ch</strong> bin die Auferstehung und das Lehen. Sie sind da und gegenwärtig<br />

geworden mit seiner Gegenwart. Weil in ihm die Lösung vom Urteil<br />

des Todes dem Sünder gegeben ist, wird für die Seinen aus der Zukunft Gegenwart,<br />

aus der Hoffnung Wirkli<strong>ch</strong>keit. 11,25b. z6: Wer an mi<strong>ch</strong> glaubt, wirdt<br />

au<strong>ch</strong> wenn er stirbt, leben, und jeder, der lebt und an mi<strong>ch</strong> glaubt, wird ewigli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t sterben. Glaubst du das? Au<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Tode wird der Glaubende<br />

leben, weil das Leben, das ihm Jesus gibt, au<strong>ch</strong> den Abbru<strong>ch</strong> des Irdis<strong>ch</strong>en und<br />

den Weggang aus unserem natürli<strong>ch</strong>en Ort auszuhalten vermag. Wie es Leben<br />

ist mitten in der Sterbli<strong>ch</strong>keit unseres natürli<strong>ch</strong>en Wesens, so bleibt es Leben<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Zerfall desselben. Darum fährt Jesus fort und sagt, daß der, der das<br />

Leben empfing, weil er im Glauben ihm verbunden ist, überhaupt und ewigli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t sterben wird, weil seine Gabe ihm dadur<strong>ch</strong>, daß sein Leib zerfällt, ni<strong>ch</strong>t<br />

verloren geht. Au<strong>ch</strong> hier wie 6,50 und 8,51 bes<strong>ch</strong>reibt Jesus das Leben, das mit<br />

dem Glauben an ihn uns verliehen ist, als den ganzen Gegensatz zum Tod, als<br />

die völlige Befreiung von ihm, weil kein Verderben und keine Zerstörung den<br />

erfaßt, der in der Hand des Hirten steht.<br />

Jesu Frage: Glaubst du das? griff tief. Steht es dir fest, und bist du gewiß,<br />

daß der, der mir gehört, dem Tode entgangen ist, au<strong>ch</strong> wenn er im Grabe liegt,<br />

und die Unvergängli<strong>ch</strong>keit bleibenden Lebens hat? Glaubst du au<strong>ch</strong> im Blick<br />

auf das Grab deines Bruders, au<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Zurückhaltung Jesu, der dir den<br />

Tod desselben ni<strong>ch</strong>t erspart hat? Ja, erwidert sie, du bist ja der Christus! und<br />

darin liegt eine Zuversi<strong>ch</strong>t, die keine Grenze mehr erträgt. 11,27: Sie sagt zu<br />

ihm: Ja, Herr; i<strong>ch</strong> glaube, daß du der Christus, der Sohn Gottes, bist, der in<br />

die Welt kommen soll. Mit der Gewißheit: du bist der Christus, erglänzt ihr<br />

der ganze S<strong>ch</strong>atz von Li<strong>ch</strong>t und Leben, der die Herrli<strong>ch</strong>keit Gottes füllt und<br />

sein Rei<strong>ch</strong> himmlis<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Der Christus kann den Tod vergangen, das Leben<br />

ers<strong>ch</strong>ienen heißen. Mit dem Christus kann man ni<strong>ch</strong>t sterben, und er hat es ihr<br />

gezeigt, daß er für jeden da ist, der an ihn glaubt.<br />

11,28: Und als sie dies gesagt hatte, ging sie weg und rief Maria, ihre


<strong>Johannes</strong> 11,23-35 15 7<br />

S<strong>ch</strong>wester, heimli<strong>ch</strong> und sagte: Der Lehrer ist da und ruft di<strong>ch</strong>. Sie holt Maria<br />

heimli<strong>ch</strong>, um wenn mögli<strong>ch</strong> ihr eine Begegnung mit Jesus zu bereiten, bei der<br />

sie allein vor ihm steht. Der Widerstand der Juden gegen ihn ma<strong>ch</strong>te das nötig.<br />

Martha weiß wohl, daß das, was sie soeben als ihr Bekenntnis vor Jesus niederlegte,<br />

dem Sinn ihrer Gäste ni<strong>ch</strong>t entspra<strong>ch</strong>. Do<strong>ch</strong> es gelang Maria ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr, unbemerkt zu Jesus zu kommen. 11,29—31: Wie jene es hörte, steht sie<br />

rasò auf und ging zu ihm. Jesus war aber nod) ni<strong>ch</strong>t in das Dorf gekommen,<br />

sondern war no<strong>ch</strong> an dem Ort, wohin ihm Martha entgegengegangen war.<br />

Nun sahen die Juden, die bei ihr im Hause waren und sie trösteten, daß Maria<br />

ras<strong>ch</strong> aufstand und hinausging, und folgten ihr <strong>na<strong>ch</strong></strong>, da sie meinten, sie gehe<br />

zum Grab, um dort zu weinen. Da die Gäste meinten, Maria wolle wieder am<br />

Grabe klagen, so forderte es die Sitte, daß sie mit dabei seien, die Klage verstärken<br />

und sie dur<strong>ch</strong> Trostworte unterbre<strong>ch</strong>en.<br />

11,32: Wie nun Maria dahin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie zu<br />

seinen Füßen nieder und sagte zu ihm: Herr, wärest du hier gewesen, so wäre<br />

mein Bruder ni<strong>ch</strong>t gestorben. Maria ist im Ausdruck ihres S<strong>ch</strong>merzes, wohl<br />

au<strong>ch</strong> in ihrem Empfinden, no<strong>ch</strong> stärker bewegt als Martha. Sie wirft si<strong>ch</strong> vor<br />

Jesus auf die Erde und bri<strong>ch</strong>t in Tränen aus. Dieselbe Klage tönt Jesus no<strong>ch</strong>mals<br />

entgegen: Du warst fern; wärest du do<strong>ch</strong> hier gewesen! 11,33: Als nun<br />

Jesus sah, wie sie weinte und wie die Juden, die mit ihr gekommen waren,<br />

weinten, ward er unwillig im Geist und ers<strong>ch</strong>ütterte si<strong>ch</strong>. <strong>Johannes</strong> sagt, daß<br />

au<strong>ch</strong> Jesus inwendig erregt wurde, gibt uns aber kein Wort, das uns den Unwillen<br />

Jesu deutete. Es läßt si<strong>ch</strong> darum nur versu<strong>ch</strong>sweise ausspre<strong>ch</strong>en, was<br />

Jesus eben jetzt mit Heftigkeit in si<strong>ch</strong> abgewehrt hat. Wir lesen au<strong>ch</strong> 12,27<br />

und 13,21, daß Jesus ers<strong>ch</strong>üttert worden sei. Dort ist es beidemal der S<strong>ch</strong>ritt<br />

dem Kreuz entgegen, der dur<strong>ch</strong> einen Kampf hindur<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ieht. Und eben<br />

jetzt tut er einen besonders bedeutsamen S<strong>ch</strong>ritt auf dieser Bahn. Er ist auf<br />

dem Todesweg und besiegelt mit dem, was er jetzt tut, seinen Ausgang. Darum<br />

muß er das Kreuz tragen, weil er das Leben ist und das jetzt an seinem Freund<br />

erweist. So frei und fest er den S<strong>ch</strong>ritt tut, er geht do<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> einen Kampf<br />

hindur<strong>ch</strong> und empfindet bitter die finsteren Mä<strong>ch</strong>te, die ihm widerstehen, das<br />

Li<strong>ch</strong>t mit Dunkelheit decken, das Leben im Tod verbergen und ihm darum das<br />

Kreuz bereiten, weil er si<strong>ch</strong> in dieser Welt des Todes als die Auferstehung und<br />

das Leben offenbart. Gegen diese Ma<strong>ch</strong>t der Bosheit und der Finsternis erhebt<br />

si<strong>ch</strong> sein Unwille stark und verkündet ihr den Streit. Er spra<strong>ch</strong> aber den Vorblick<br />

auf sein Sterben, so mä<strong>ch</strong>tig er seine Seele ers<strong>ch</strong>ütterte, ni<strong>ch</strong>t aus, sondern<br />

trug ihn still.<br />

11,34. 35: Und er sagte: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie sagen ihm: Herr,


1 5 8 Jesus offenbart si<strong>ch</strong> an Lazarus als das Leben<br />

komm und sieh es! Jesus vergoß Tränen. So wenig er aus der Freude an der<br />

Verherrli<strong>ch</strong>ung des Vaters tritt und so stark er die Bosheit und Verderbnis der<br />

"Welt empfindet, so hat do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das Mitgefühl mit dem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>merz<br />

und Elend mit voller Wahrheit in ihm Raum. Der Zorn geht in das Erbarmen<br />

mit denen über, die unter dem Regiment des Todes leiden, und ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> in<br />

Tränen Luft. Von den dabeistehenden Juden sahen die einen erstaunt, wie eng<br />

der, der für sie eine fremde, unzugängli<strong>ch</strong>e Gestalt geblieben war, dem Verstorbenen<br />

verbunden war; den anderen diente alles, was er tat, gegen ihn als<br />

Grund des Zweifels und der Bes<strong>ch</strong>uldigung. Von seiner Liebe wollten sie hier<br />

ni<strong>ch</strong>ts sehen, da er ni<strong>ch</strong>t geholfen hat. 11,36. 37: Nun sagten die Juden: Seht,<br />

wie sehr er ihn liebte. Aber einige von ihnen sagten: Vermo<strong>ch</strong>te dieser, der die<br />

Augen des Blinden auf getan hat, ni<strong>ch</strong>t zu bewirken, daß au<strong>ch</strong> dieser ni<strong>ch</strong>t<br />

sterbe?<br />

Da flammt no<strong>ch</strong>mals der starke Unwille in Jesu Seele auf. 11,38a: Nun<br />

wurde Jesus wieder bei si<strong>ch</strong> unwillig und geht zum Grab. <strong>Das</strong> feindselige "Wort<br />

der Juden erinnerte deutli<strong>ch</strong> daran, wie ernst für ihn die Tat war, die er vollbringt.<br />

Dieser glaubenslose, argwöhnis<strong>ch</strong>e Sinn, der alles, was er tat, ber<br />

s<strong>ch</strong>mutzte, ma<strong>ch</strong>t, daß seine Liebe nur weinen kann. Obglei<strong>ch</strong> er helfen kann,<br />

kann er es do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t; obglei<strong>ch</strong> er das Leben ist, muß er sterben und muß au<strong>ch</strong><br />

die Mens<strong>ch</strong>en sterben lassen, weil sie den Tod su<strong>ch</strong>en, da sie in der Bosheit bleiben<br />

und das Leben von si<strong>ch</strong> wegtreiben. Er trug aber au<strong>ch</strong> jetzt seinen Zorn<br />

ohne Wort still bei si<strong>ch</strong> selbst.<br />

11,38b. 39: Es war aber eine Höhle, und ein Stein lag vor ihr. Jesus sagt:<br />

Hebt den Stein weg! Die S<strong>ch</strong>wester des Toten, Martha, sagt zu ihm: Herr, er<br />

rie<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on; denn er ist vier Tage tot. So kam es wieder ergreifend zum Vors<strong>ch</strong>ein,<br />

wie das Natürli<strong>ch</strong>e und im Lauf der Natur allerdings Notwendige unseren<br />

Blick auf Gott matt und s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Martha glaubte von Herzen,<br />

daß der Christus vor dem Grabe ihres Bruders stand und mit ihm das Leben<br />

kam. Und denno<strong>ch</strong> quält sie der Gedanke an den s<strong>ch</strong>reckli<strong>ch</strong>en Geru<strong>ch</strong> und<br />

preßt ihr den "Wuns<strong>ch</strong> ab: Laß das Grab do<strong>ch</strong> zu!<br />

11,40: Jesus sagt zu ihr: Sagte i<strong>ch</strong> dir ni<strong>ch</strong>t, daß du, wenn du glaubst, die<br />

Herrli<strong>ch</strong>keit Gottes sehen wirst? Ni<strong>ch</strong>t das "Werk des Todes, sondern Gottes<br />

Herrli<strong>ch</strong>keit wird sie sehen. Dazu hieß er sie ihm glauben und ihr Herz stille<br />

ma<strong>ch</strong>en in dem, was er tun wird. Jesus denkt si<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur an das, was<br />

eben jetzt ges<strong>ch</strong>ieht, sondern spri<strong>ch</strong>t die Regel aus, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Gott allezeit am<br />

Glauben handelt. Zuerst hat er si<strong>ch</strong>, ohne zu sehen, an Gott zu halten; her<strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

wird er dadur<strong>ch</strong> gekrönt und vollendet, daß wir Gottes Größe mit Augen<br />

sehen.


<strong>Johannes</strong> 11,36—44 159<br />

11,41.42: Nun hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

oben und sagte: Vater, i<strong>ch</strong> danke dir, daß du mi<strong>ch</strong> gehört hast. I<strong>ch</strong> aber wußte,<br />

daß du mi<strong>ch</strong> immer hörst. Aber wegen des Volks, das herumsteht, sagte i<strong>ch</strong> es,<br />

damit sie glauben, daß du mi<strong>ch</strong> gesandt hast. Er hätte das Grab ni<strong>ch</strong>t öffnen<br />

lassen, wäre er ni<strong>ch</strong>t über das gewiß, was ihm der Vater hier verleiht. Darum<br />

bittet er jetzt ni<strong>ch</strong>t mehr, sondern er dankt, daß der Vater ihn erhört habe.<br />

Der laute Dankesruf konnte aber auf die anderen lei<strong>ch</strong>t einen fals<strong>ch</strong>en Eindruck<br />

ma<strong>ch</strong>en, als wäre er von der Erhörung, an der er si<strong>ch</strong> freut, überras<strong>ch</strong>t<br />

wie von einer Ausnahme, die si<strong>ch</strong> nur jetzt dur<strong>ch</strong> Gottes sonderli<strong>ch</strong>e Gunst zutrüge.<br />

Darum spri<strong>ch</strong>t er aus, daß ihn der Vater immer höre. So bitten zu können,<br />

daß ihn Gott immer hört, ist allein das Vermögen des einigen Sohnes. Ihm<br />

war die volle Übereinstimmung von Bitte und Erhörung gegeben und darum<br />

au<strong>ch</strong> sein ganzes Bitten ohne Lücke und Rest mit Dank geeint. In dieser Gewißheit<br />

hat er gehandelt, als er <strong>na<strong>ch</strong></strong> Bethanien ging und als er den Toten in<br />

seinem Grabe aufsu<strong>ch</strong>te. Seine S<strong>ch</strong>ritte wu<strong>ch</strong>sen aus seinem Gebet heraus, und<br />

weil er dieses dem Vater rein und vollkommen darbringt, s<strong>ch</strong>wanken sie ni<strong>ch</strong>t.<br />

Darum liegt au<strong>ch</strong> in ihm selbst kein Bedürfnis, den Dank, der sein ganzes<br />

Leben und Wesen stetig dur<strong>ch</strong>zieht, in ein lautes "Wort zu fassen. Wenn er si<strong>ch</strong><br />

jetzt ni<strong>ch</strong>t nur inwendig bei si<strong>ch</strong> selbst an der Einheit freut, in der das göttli<strong>ch</strong>e<br />

Geben mit seinem Bitten bleibt, sondern au<strong>ch</strong> laut« dem Vater dankt, so tut er<br />

es um derer willen, die neben ihm beim Grabe stehen. Sie sollen in den Grund<br />

seiner Ma<strong>ch</strong>t hineinsehen, sollen wissen, daß er sie als Gabe aus der Hand des<br />

Vaters nimmt, ihn darum als den Boten des Vaters erkennen und damit aus<br />

der besonderen Erfahrung der göttli<strong>ch</strong>en Hilfe als bleibenden Gewinn den<br />

Ans<strong>ch</strong>luß an Jesus ziehen.<br />

11,43.44: Und als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus,<br />

komm heraus! Der Tote kam heraus eingebunden an den Armen und Beinen<br />

in Binden, und sein Gesi<strong>ch</strong>t war mit einem S<strong>ch</strong>weißtu<strong>ch</strong> umbunden. Jesus sagt<br />

zu ihnen: Ma<strong>ch</strong>t ihn frei und laßt ihn gehen! Als er nun laut und gebietend<br />

zum Toten spra<strong>ch</strong>, erwies si<strong>ch</strong> sein Wort als im Vater gespro<strong>ch</strong>en und darum<br />

mit seiner S<strong>ch</strong>öpferma<strong>ch</strong>t erfüllt. Den Staunenden befahl er, ihn aus seinen<br />

Hüllen zu lösen; denn er ist aufs neue voll ins Leben zurückgekehrt und wieder<br />

in den natürli<strong>ch</strong>en Lauf desselben hineingestellt. <strong>Johannes</strong> hat uns in dieser<br />

Erzählung über die S<strong>ch</strong>western, die Jünger, die Juden und über Jesus selbst<br />

man<strong>ch</strong>e Angaben gegeben, die uns die Bewegung ihres Herzens nahe bringt;<br />

denno<strong>ch</strong> bri<strong>ch</strong>t er hier ab und legt über den Jubel und Dank der S<strong>ch</strong>western<br />

und über die Weise, wie der Auferstandene wieder ins Leben trat, und über<br />

den seligen, fris<strong>ch</strong> belebten Glauben der Jünger die Decke. Von den Psalmen,


loo Jesus offenbart si<strong>ch</strong> an Lazarus aïs das Leben<br />

mit denen der Tag von Bethanien s<strong>ch</strong>loß, sagt er uns ni<strong>ch</strong>ts. Nur auf das ri<strong>ch</strong>tet<br />

er unser Auge, was si<strong>ch</strong> für das Ges<strong>ch</strong>ick Israels und den Kreuzesweg Jesu<br />

aus seiner Tat ergab. .<br />

11,45.4*> : N un geübten viele von den Juden an ihn, die zu Maria gekommen<br />

waren und gesehen hatten, was er getan hatte. Einige von ihnen gingen<br />

aber weg zu den Pharisäern und sagten ihnen, was Jesus getan hatte. Bei der<br />

Heftigkeit des Streits gegen Jesus war es unvermeidli<strong>ch</strong>, daß die Pharisäer sofort<br />

über das Ges<strong>ch</strong>ehene unterri<strong>ch</strong>tet wurden, worauf das Synedrium, der Rat<br />

des Volks, der alles überwa<strong>ch</strong>te, zusammentrat. 11,47.48: Nun versammelten<br />

die Hohenpriester und die Pharisäer eine Ratsversammlung und sagten: Was<br />

ma<strong>ch</strong>en wir, da dieser Mens<strong>ch</strong> viele Zei<strong>ch</strong>en tut? Lassen wir ihn so wie jetzt<br />

frei, so werden alle an ihn glauben, und die Römer werden kommen und unser<br />

Heiligtum und unser Volk verni<strong>ch</strong>ten. Die Lage s<strong>ch</strong>ien den Führern der Gemeinde<br />

ernst. Von einem sol<strong>ch</strong>en Zei<strong>ch</strong>en erwarteten sie eine starke Verbreitung<br />

des Glaubens an ihn, und das ängstigte sie. Sie konnten si<strong>ch</strong> keinen Christus<br />

denken, der ni<strong>ch</strong>t den Kampf mit den Römern beginne; er war in ihren<br />

Augen ni<strong>ch</strong>ts mehr, wenn er ni<strong>ch</strong>t das Regiment der Römer bra<strong>ch</strong>. Sie trauten<br />

es aber Jesus niemals zu, daß er der Mann sei, um Roms Heere niederzuwerfen.<br />

Kommt es seinetwegen zum Krieg mit Rom, so muß der Sieg Rom<br />

zufallen und der Verlust des Heiligtums und der Selbständigkeit des Volks unvermeidli<strong>ch</strong><br />

eintreten. Na<strong>ch</strong> ihrer Meinung standen die hö<strong>ch</strong>sten Güter der<br />

Judens<strong>ch</strong>aft in Gefahr, und do<strong>ch</strong> fühlten sie si<strong>ch</strong> Jesus gegenüber im Blick<br />

auf seine Zei<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>tlos. <strong>Johannes</strong> s<strong>ch</strong>reibt dies wohl <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Jahre 70, in<br />

dem die Römer der Judens<strong>ch</strong>aft den Tempel, den Hohenpriester und die selbständige<br />

Ordnung des Volkes genommen haben. "Was sie für<strong>ch</strong>teten, ist eingetroffen,<br />

aber ni<strong>ch</strong>t deshalb, weil das Volk gläubig an Jesus hing, sondern deshalb,<br />

weil sie ihn gekreuzigt und her<strong>na<strong>ch</strong></strong> au<strong>ch</strong> die Predigt der Apostel verworfen<br />

haben. <strong>Das</strong> gab Israel seinen blinden Leidens<strong>ch</strong>aften preis, aus denen<br />

der Brand entstand, den keine Klugheit der Regenten mehr lös<strong>ch</strong>en konnte,<br />

der vielmehr au<strong>ch</strong> sie weggerissen hat.<br />

Der Verlegenheit des Rats ma<strong>ch</strong>te Kajaphas ein Ende. 11,49. 5 o: Einer a ber<br />

von ihnen, Kajaphas, der der Hohepriester jenes Jahres war, sagte zu ihnen:<br />

Ihr versteht ni<strong>ch</strong>ts, bedenkt au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß es für eu<strong>ch</strong> besser ist, daß ein einziger<br />

Mens<strong>ch</strong> anstatt des Volkes sterbe und ni<strong>ch</strong>t das ganze Volk verderbe. "Weil<br />

es in jener Zeit niemals si<strong>ch</strong>er war, ob der Hohepriester dieses Jahres, der diesmal<br />

am Versöhnungstag ins Allerheiligste ging, au<strong>ch</strong> im nä<strong>ch</strong>sten Jahr no<strong>ch</strong><br />

sein Amt besitze*, hebt <strong>Johannes</strong> hervor, daß Kajaphas der Hohepriester je-<br />

• Siebe die Bemerkung zu Lukas 3,2. • . - ' • • • '


<strong>Johannes</strong> ii,45—5 2 l6l •<br />

nes Jahres war, das so bedeutsam das Ges<strong>ch</strong>ick Israels bestimmt hat, jenes<br />

Jahres, in dem Jesus verworfen und gekreuzigt ward, wodur<strong>ch</strong> die alte Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

Israels ges<strong>ch</strong>lossen, der Stadt, dem Tempel und dem Priestertum ein<br />

Ende gema<strong>ch</strong>t, die Judens<strong>ch</strong>aft von Jesus ges<strong>ch</strong>ieden und dafür der Völkerwelt<br />

sein Wort gegeben worden ist. Der Hohepriester hielt die Ratlosigkeit<br />

und Besorgnisse der anderen Führer des Volkes für töri<strong>ch</strong>t. Er kennt einen si<strong>ch</strong>eren,<br />

lei<strong>ch</strong>t auszuführenden Ausweg: Jesus muß getötet werden. Daß si<strong>ch</strong><br />

das Gewissen der anderen dagegen no<strong>ch</strong> sträube, heißt er verkehrt. <strong>Das</strong> Wohl<br />

des Volkes erfordert seinen Tod; darum ist <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Meinung der Rat völlig<br />

bere<strong>ch</strong>tigt, ihn zu beseitigen. Sie stehen vor der Wahl, ob ein einziger<br />

Mens<strong>ch</strong> für das Volk sterben oder das ganze Volk verderben soll. Diese Wahl<br />

ist lei<strong>ch</strong>t zu ents<strong>ch</strong>eiden. Ni<strong>ch</strong>t das Volk soll zugrunde gehen, sondern Jesus<br />

sterben für das Volk.<br />

11,51. 52: Dies sagte er aber ni<strong>ch</strong>t aus sido selbst, sondern, da er der Hohepriester<br />

jenes Jahres war, weissagte er, daß Jesus für das Volk sterben werde,<br />

und ni<strong>ch</strong>t bloß für das Volk, sondern dazu, damit er au<strong>ch</strong> die zerstreuten Kinder<br />

Gottes in eins versammle. Gott, sagt <strong>Johannes</strong>, hat ihn benutzt, um seinen<br />

Willen kundzutun. Au<strong>ch</strong> für das Auge Jesu gab es keinen anderen Ausweg<br />

mehr. Entweder tat er die Kreuzestat, oder das Volk war verloren. Hätte er<br />

si<strong>ch</strong> der Kreuzestat geweigert, so wäre die Gnade und Wahrheit ni<strong>ch</strong>t geworden,<br />

das li<strong>ch</strong>t aus der Finsternis gewi<strong>ch</strong>en und diese ganz finster geworden,<br />

und die an der Sünde Sterbenden wären in der Ma<strong>ch</strong>t des Todes geblieben,<br />

ohne daß sie jemand hatten, an den sie glauben konnten und der ihnen zum<br />

Leben und zur Auferstehung ward. Die Wahl, die Kajaphas traf, war diejenige<br />

Gottes und au<strong>ch</strong> Jesu eigener klarer Wille. Er selber wollte sterben, auf<br />

das Geri<strong>ch</strong>t verzi<strong>ch</strong>ten, dafür vom Volke das Verderben abwenden und ihm<br />

sein Fleis<strong>ch</strong> und sein Blut lassen, damit es daran Vergebung und ewiges Leben<br />

habe. Die Gnade in Jesu Sterben war aber no<strong>ch</strong> größer, als sie das Wort des<br />

Kajaphas bes<strong>ch</strong>rieb. Dieser da<strong>ch</strong>te nur an die Erhaltung der Judens<strong>ch</strong>aft und<br />

hieß Jesus ein Opfer, das zur Rettung der Judens<strong>ch</strong>aft notwendig sei. Aber<br />

die Kreuzestat bra<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t nur dem Juden das <strong>Evangelium</strong> und stellte ni<strong>ch</strong>t<br />

nur ihn unter die Versöhnungsgnade, sondern ges<strong>ch</strong>ah für alle Kinder Gottes,<br />

au<strong>ch</strong> für die zerstreuten, die no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in seiner Gemeinde gesammelt waren,<br />

die Gott aber kannte als zu seinem Rei<strong>ch</strong> berufen, wennglei<strong>ch</strong> sie ihn damals<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t kannten. Diese zusammenzubringen und in eine Gemeinde zu sammeln,<br />

die ihren Gott und ihren Hirten gefunden hat, dafür war die Kreuzestat<br />

der Weg. Aus dem Opfer Jesu entsprang die Berufung aller, dur<strong>ch</strong> seine Kreu-


IÖ2 Jesu letztes Zeugnis in Jerusalem<br />

zesgnade das <strong>Evangelium</strong>, das allen Kindern Gottes gilt und sie zur neuen Gemeinde<br />

zusammenführt.<br />

Dem Rat des Kajaphas ward vom Synedrium zugestimmt. 11,53: Darum<br />

faßten sie von jenem Tag an den Bes<strong>ch</strong>luß, ihn zu töten. Es handelte si<strong>ch</strong> nun<br />

nur no<strong>ch</strong> um seine ges<strong>ch</strong>ickte Ausführung, die den Anstoß im Gewissen des<br />

Volks mögli<strong>ch</strong>st vermied und seine Hinri<strong>ch</strong>tung ni<strong>ch</strong>t als ein Unre<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>einen<br />

ließ.<br />

Kapitel 11,54—12,50<br />

Jesu letztes Zeugnis in Jerusalem<br />

Jesus blieb ni<strong>ch</strong>t in Bethanien oder Jerusalem, ging aber au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

ins Ostjordanland zurück, sondern blieb am Rande der Wüste, die ins Jordantal<br />

si<strong>ch</strong> hinabsenkt. 11,54: Nun wanderte Jesus ni<strong>ch</strong>t mehr öffentli<strong>ch</strong> unter den<br />

Juden, sondern ging von dort weg in die Gegend nahe bei einer Wüste in eine<br />

Stadt mit Namen Ephraim, und er blieb dort mit den Jüngern. <strong>Das</strong> Städt<strong>ch</strong>en<br />

Ephraim lag nordöstli<strong>ch</strong> von Jerusalem, ni<strong>ch</strong>t weit von Bethel ostwärts. Mit<br />

dem Pas<strong>ch</strong>a kam nun die Ents<strong>ch</strong>eidung. Zu diesem war ni<strong>ch</strong>t nur ganz Israel<br />

versammelt, sondern au<strong>ch</strong> der Statthalter in Jerusalem anwesend. Fiel Jesus<br />

am Pas<strong>ch</strong>a in die Hand der Juden, so war sein Los, wie er geweissagt hatte, das<br />

Kreuz. 11,55: Es war aber das Pas<strong>ch</strong>a der Juden nahe, und viele gingen vom<br />

Land <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem hinauf vor dem Pas<strong>ch</strong>a, um si<strong>ch</strong> zu reinigen. S<strong>ch</strong>on vor<br />

der Festwo<strong>ch</strong>e sammelten si<strong>ch</strong> die Pilger in der heiligen Stadt, namentli<strong>ch</strong><br />

alle die, die den Stand der Reinheit und damit das Anre<strong>ch</strong>t an das Pas<strong>ch</strong>amahl<br />

und den Altar si<strong>ch</strong> erst vers<strong>ch</strong>affen mußten. Für diese war es bei der Menge der<br />

Mens<strong>ch</strong>en und Opfer ratsam, für die nötigen Handlungen am Altar s<strong>ch</strong>on<br />

früher in die Stadt zu gehen, damit es ihnen ni<strong>ch</strong>t begegne, von der Festfeier<br />

ausges<strong>ch</strong>lossen zu werden. 11,56. 57: Nun su<strong>ch</strong>ten sie Jesus und spra<strong>ch</strong>en miteinander,<br />

während sie im Tempel standen: Was meint ihr, daß er ni<strong>ch</strong>t auf<br />

das Fest kommt? Aber die Hohenpriester und die Pharisäer hatten Gebote<br />

erlassen, daß, wenn jemand erfahre, wo er sei, er es anzeige, damit sie ihn verhaften<br />

könnten. Unter den Festpilgern nahm man es als si<strong>ch</strong>er an, Jesus werde<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in Jerusalem zeigen. Die einen triumphierten, er wage es do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t,<br />

ernstli<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Christusnamen zu greifen; die anderen waren verwirrt und<br />

wußten ni<strong>ch</strong>t, wie sie si<strong>ch</strong> Jesu Verborgenheit deuten sollten. Au<strong>ch</strong> die Regenten<br />

vermuteten, er verstecke si<strong>ch</strong>, und befahlen darum, daß man den Ort,<br />

an dem er si<strong>ch</strong> aufhalte, ihnen anzeige. Sie täus<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> alle über Jesu Absi<strong>ch</strong>t.<br />

Es war ni<strong>ch</strong>t seine Meinung, den letzten S<strong>ch</strong>ritt auf seinem "Wege ni<strong>ch</strong>t zu tun.


<strong>Johannes</strong> 11,53—57; J2,r—6 163<br />

12,1: Nun kam Jesus se<strong>ch</strong>s Tage vor dem Pas<strong>ch</strong>a <strong>na<strong>ch</strong></strong> Bethanien, wo Lazarus<br />

war, den Jesus aus den Toten erweckt hatte. Er bestimmte somit vor dem<br />

ersten Festtag, der sein Todestag wurde, no<strong>ch</strong> vier Arbeitstage für Jerusalem.<br />

In Bethanien bereitete ihm die Dankbarkeit der Seinen ein Mahl. 12,2. 3: Nun<br />

ma<strong>ch</strong>ten sie ihm dort ein Mahl, und Martha bediente; Lazarus aber war einer<br />

von denen, die mit ihm am Tis<strong>ch</strong>e lagen. Nun nahm Maria ein Pfund Salböl<br />

aus kostbarer, e<strong>ch</strong>ter Narde und salbte Jesu Füße und wis<strong>ch</strong>te mit ihren<br />

Haaren seine Füße ab. <strong>Das</strong> Haus aber wurde vom Geru<strong>ch</strong> des Salböls voll.<br />

Sonst goß man sol<strong>ch</strong>e kostbaren, stark duftenden öle nur in Tropfen auf das<br />

Haar der Gäste, die man ehren wollte; sie aber s<strong>ch</strong>üttete das große Maß auf<br />

seine Füße aus und trocknete sie wieder mit ihren Haaren ab. Es war die Tat<br />

einer stark und ganz gewordenen Liebe, die alles ihm zu geben willig war.<br />

Mo<strong>ch</strong>te ihn Israel ni<strong>ch</strong>t als seinen Gesalbten ehren, ihr war er der von Gott<br />

Gesalbte, dem alle Ehre gebührt. Vor ihm legt sie ihr ganzes Herz und alle ihre<br />

Habe nieder. <strong>Das</strong> erzählt <strong>Johannes</strong> wie Matthäus ni<strong>ch</strong>t nur deshalb, weil es<br />

für Jesus eine Stärkung auf seinem Gange war und uns die Kraft zeigt, mit der<br />

er dieses Herz an si<strong>ch</strong> gezogen hat, sondern au<strong>ch</strong> deshalb, weil Jesus dem Vorgang<br />

eine Beziehung auf sein Sterben gab.<br />

12,4. 5 : Aber Judas, der Iskariotes, einer seiner Jünger, der ihn später überantwortete,<br />

sagt: Weshalb wurde dieses Salböl ni<strong>ch</strong>t um dreihundert Denare<br />

verkauft und den Armen gegeben? Ohne daß er es beabsi<strong>ch</strong>tigt, ma<strong>ch</strong>t er si<strong>ch</strong>tbar,<br />

wie anders er denkt als Maria und als Jesus selbst. Ihn reut das s<strong>ch</strong>öne<br />

Geld, das hier für ni<strong>ch</strong>ts weggeworfen worden sei. Er bere<strong>ch</strong>net den Wert der<br />

Flas<strong>ch</strong>e und übers<strong>ch</strong>lägt, wieviel si<strong>ch</strong> damit tun ließe. "Wollte sie das Geld weggeben,<br />

hätte sie es ja den Armen geben können. Wie man<strong>ch</strong>em hätte dies geholfen!<br />

<strong>Johannes</strong> zieht seinem Wort die s<strong>ch</strong>öne Farbe ab. An den Armen lag es<br />

ihm ni<strong>ch</strong>t; sondern die ans Geld gebundene Begierde spra<strong>ch</strong> so. 12,6: Dies<br />

sagte er aber, ni<strong>ch</strong>t weil er für die Armen sorgte, sondern weil er ein Dieb war<br />

und, da er das Geldkäst<strong>ch</strong>en hatte, wegnahm, was eingelegt wurde. Er nahm<br />

in Empfang, was Jesus ges<strong>ch</strong>enkt wurde und zur Erhaltung der Jüngergemeinde<br />

diente. Dabei blieb er aber ni<strong>ch</strong>t redli<strong>ch</strong>, sondern tat für si<strong>ch</strong> auf die<br />

Seite, was si<strong>ch</strong> unbemerkt wegs<strong>ch</strong>affen ließ. So ist sein Sinn freili<strong>ch</strong> das runde<br />

Gegenteil zu dem, was Maria bewegt. Sie gibt dem Herrn,all ihr Vermögen;<br />

er dagegen nützt seine Jüngers<strong>ch</strong>aft aus zu seinem Vorteil und legt si<strong>ch</strong> heimli<strong>ch</strong><br />

einen Vorrat auf die Seite, der ihm allein zugute kommen soll. Er konnte<br />

si<strong>ch</strong> darum an dem, was hier ges<strong>ch</strong>ehen war, nur ärgern als an widersinniger<br />

S<strong>ch</strong>wärmerei.


164 Jesu letztes Zeugnis in Jerusalem<br />

Dem Mens<strong>ch</strong>enherzen war und ist der Gedankengang des Judas dur<strong>ch</strong>aus<br />

verständli<strong>ch</strong>. Er wollte au<strong>ch</strong> das greifbare Gut; wie lei<strong>ch</strong>t hätte er es dur<strong>ch</strong> Jesus<br />

rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> gewinnen können, wenn dieser si<strong>ch</strong> nur dazu hergegeben und die,<br />

die ihm dankten, ni<strong>ch</strong>t auf so töri<strong>ch</strong>te Gedanken gebra<strong>ch</strong>t hätte! Wer so zu<br />

helfen wußte und so herrli<strong>ch</strong> in der Ma<strong>ch</strong>t Gottes handelte, war ein prä<strong>ch</strong>tig<br />

verwendbares Kapital. "Weit geringere Heilige empfingen in der jüdis<strong>ch</strong>en Gemeinde<br />

große S<strong>ch</strong>ätze. "Ward ein Lehrer berühmt, so strömten ihm die Gaben<br />

zu, und sie nahmen sie alle. "Waren ni<strong>ch</strong>t dem, den Gott zum Herrn und König<br />

berufen hat, alle S<strong>ch</strong>ätze gegeben? Dann mußte man sie aber au<strong>ch</strong> benutzen und<br />

ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>ütten, wie es jetzt Maria mit ihren Denaren tat und wie es Jesus<br />

beständig tat dur<strong>ch</strong> seinen vollkommenen Verzi<strong>ch</strong>t auf alle irdis<strong>ch</strong>en Mittel<br />

der Ma<strong>ch</strong>t. <strong>Johannes</strong> hat mit großem Ernst daran erinnert, daß Jesus, der aus<br />

dem Vater sein Wort und seinen Willen hat, in Judas der Wille und das Werk<br />

des Teufels entgegentrat. Gerade deshalb hejbt er au<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong> hervor,<br />

wie e<strong>ch</strong>t mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, uns allen wohl vertraut und gut bekannt, dieses teuflis<strong>ch</strong>e<br />

Wollen aussah. Wir sollen uns ni<strong>ch</strong>t irgend etwas Wunderli<strong>ch</strong>es und Unerhörtes<br />

darunter denken, sondern genau die Lieblosigkeit und gerade die Gottlosigkeit,<br />

an die wir als an das „Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e" gewohnt sind.<br />

<strong>Das</strong> ergab die gänzli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Jesus und Judas. Solange dieser<br />

so da<strong>ch</strong>te, hielt er Jesus sein Herz vers<strong>ch</strong>lossen und ließ ihn ni<strong>ch</strong>t über<br />

seinen Willen Herr werden. So lange lebte und diente er si<strong>ch</strong> selbst und war<br />

au<strong>ch</strong> bei Jesus nur deswegen, um dur<strong>ch</strong> ihn für si<strong>ch</strong> selbst zu sorgen. Er sollte<br />

das Mittel sein, dur<strong>ch</strong> das er sein Glück ma<strong>ch</strong>te. So wurde aus seinem Denken<br />

ein beständiger Unglaube, der Jesus niemals traute und seine Armut .und<br />

Kne<strong>ch</strong>tsgestalt immer als Torheit verwarf, und aus seinem Wollen eine beständige<br />

Lieblosigkeit, die ni<strong>ch</strong>t ihn, sondern nur si<strong>ch</strong> selber meinte, nie ihm<br />

aufri<strong>ch</strong>tig diente, sondern immer den Anspru<strong>ch</strong> erhob, daß Christus ihm diene.<br />

Darum war vollends der Kreuzesweg Jesu für ihn gänzli<strong>ch</strong> ungangbar. Dieser<br />

mußte ihm die Ents<strong>ch</strong>eidung bringen und ihn von Jesus wegs<strong>ch</strong>leudern. Denn<br />

beim Kreuzesweg kam er um das von ihm gesu<strong>ch</strong>te Ziel. Dort konnte nur der<br />

Jünger bei Jesus bleiben, der ihm glaubte, an ihm hing, um Jesu willen von<br />

allem frei geworden war und redli<strong>ch</strong> Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft und Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

su<strong>ch</strong>te. Weil es Judas anders meinte, kam es ihm vor, Jesus habe ihn betrogen,<br />

und der Zorn glühte in ihm auf, der ihm nun au<strong>ch</strong> vergelten wollte, daß er<br />

ihm ni<strong>ch</strong>t seinen Willen tat. £<br />

So hat Jesus beides si<strong>ch</strong> gegenüber, ein Herz, das ihm vers<strong>ch</strong>lossen blieb und<br />

das Irdis<strong>ch</strong>e begehrte, und ein Herz, das si<strong>ch</strong> ihm ers<strong>ch</strong>lossen hatte und seine<br />

Freude darin fand, ihn mit aller seiner Habe zu ehren und zu lieben. Wel<strong>ch</strong>es


<strong>Johannes</strong> 12,y—13b 165<br />

von den beiden er s<strong>ch</strong>ätzte, wel<strong>ch</strong>em er dankte, liegt hell am Tage. Do<strong>ch</strong> die<br />

"Weise, wie er es tut, ist merkwürdig. 12,7. 8: Nun spra<strong>ch</strong> Jesus: Laß sie; auf<br />

den Tag meiner Zurüstung zum Grabe hat sie es aufbewahrt. Denn die Armen<br />

habt ihr immer bei eu<strong>ch</strong>; mi<strong>ch</strong> aber habt ihr ni<strong>ch</strong>t immer. Was Maria tut, lenkt*<br />

Jesu Blick auf sein Sterben, weil man auf den Lei<strong>ch</strong>nam Salben s<strong>ch</strong>üttete und<br />

diesen dadur<strong>ch</strong> zum Grabe rüstete. Es ist in der Tat jetzt Zeit, seinen Leib zu<br />

salben; denn er ist dem Grabe nahe. Jetzt hat er das empfangen, was ihn zum<br />

Grabe bereitet; mehr Salbe brau<strong>ch</strong>t es ni<strong>ch</strong>t*. Jesus heiligt und hebt Marias<br />

Liebe. An seinen Leib und seine si<strong>ch</strong>tbare Gegenwart darf si<strong>ch</strong> diese ni<strong>ch</strong>t hängen.<br />

Er nimmt es an, was sie ihm gibt; aber er erinnert sie au<strong>ch</strong> in stiller, gefaßter<br />

Ruhe: Die Trennung kommt; sei stark! Darin liegt aber zuglei<strong>ch</strong> die<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigung für ihre Tat. Er geht von ihnen, während sie die Armen allezeit<br />

bei si<strong>ch</strong> haben. Darum ist der Erweis ihrer Liebe ihm eben jetzt eine Wohltat,<br />

die ihn erquickt. Der Lei<strong>ch</strong>e versagt die Salbe niemand; wenn sie ihm<br />

s<strong>ch</strong>on jetzt, da er no<strong>ch</strong> bei ihnen ist, ihre Gaben bringt, nimmt er sie gern an<br />

und dankt ihr dafür.<br />

12,9—11: Nun erfuhr die große S<strong>ch</strong>ar der Juden, daß er dort sei, und sie<br />

kamen ni<strong>ch</strong>t bloß Jesu wegen, sondern au<strong>ch</strong>, um Lazarus zu sehen, den er aus<br />

den Toten auf erweckt hatte. Aber die Hohenpriester bes<strong>ch</strong>lossen, au<strong>ch</strong> den Lazarus,<br />

zu töten, weil viele der Juden seinetwegen hingingen und an Jesus glaubten.<br />

Mit der Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t von Jesu Ankunft wurde au<strong>ch</strong> der Beri<strong>ch</strong>t über das an<br />

Lazarus ges<strong>ch</strong>ehene Wunder in der Stadt verbreitet, und wie stark dieses das<br />

Volk bewegte, zeigte si<strong>ch</strong> daran, daß viele hinaus <strong>na<strong>ch</strong></strong> Bethanien kamen. So<br />

bereitete si<strong>ch</strong> der öffentli<strong>ch</strong>e, feierli<strong>ch</strong>e Einzug Jesu in Jerusalem vor.<br />

12,12.13a: Am folgenden Tage hörte die große S<strong>ch</strong>ar, die zum Fest gekommen<br />

war, daß Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem komme, und sie nahmen die Palmblätter<br />

und zogen aus, um ihn abzuholen. Nun betrat Jesus ni<strong>ch</strong>t mehr wie am letzten<br />

Laubhüttenfest einsam und heimli<strong>ch</strong> die Stadt, sondern mit offener, heller<br />

Verkündigung seiner königli<strong>ch</strong>en Sendung. Jetzt war die Stunde da, und es<br />

ges<strong>ch</strong>ah darum au<strong>ch</strong> etwas von dem, was seine Brüder gewüns<strong>ch</strong>t hatten: Offenbare<br />

di<strong>ch</strong> der Welt! do<strong>ch</strong> so, daß Jesus ni<strong>ch</strong>t vom Kreuzeswege wi<strong>ch</strong>. Die,<br />

die ihn abholten, priesen seine Ankunft als Jerusalems herrli<strong>ch</strong>sten Festtag<br />

und Israels größtes Glück. Darum nahmen sie ihre Palmblätter mit, die zum<br />

Feststrauß gehörten, den jeder <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Gesetz am Laubhüttenfest trug.<br />

12,13b: Und sie riefen Hosianna! Gesegnet ist der, der im Namen des Herrn<br />

• In den alten Texten liest man den Vers oft in der Form: „Laß sie, damit sie es auf den Tag meiner<br />

Zurüstung sum Grabe aufbehalte." <strong>Das</strong> ist s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> mehr als ein Mißvprständnis, da man ni<strong>ch</strong>t b=griff,<br />

wie Jesus den Tag seiner Salbung den Tag seiner Bestattung heißen könne. Aufzubehalten hatte Maria<br />

ni<strong>ch</strong>ts mehr; das Salböl war ausges<strong>ch</strong>üttet.


ï"« Jesu letztes Zeugnis in Jerusalem<br />

kommt, und der König Israels. Als den Verheißenen, der nun gekommen sei,<br />

als den König Israels, begrüßten sie ihn und riefen für ihn Hosianna, „hilf<br />

do<strong>ch</strong>!" zum Himmel, weil sie für ihn Gottes sonderli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>utz erbit.ten.<br />

Jetzt erhielt seine Sendung von oben Israels lautes und öffentli<strong>ch</strong>es Zeugnis,<br />

und Jesus hatte es do<strong>ch</strong> dahin gebra<strong>ch</strong>t, daß es ausdrückli<strong>ch</strong> bekannte, Gott<br />

habe ihm die Treue gehalten, die Verheißung erfüllt und den Verheißenen<br />

gesandt. Seine Arbeit an Israel stand damit an ihrem Ziel. Au<strong>ch</strong> <strong>Johannes</strong> hebt<br />

hervor, daß Jesus ni<strong>ch</strong>t zu Fuß unter der ihn feiernden Menge <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

ging. 12,14—16: Jesus aber fand ein Eselein und setzte si<strong>ch</strong> auf dieses, wie ges<strong>ch</strong>rieben<br />

ist: Für<strong>ch</strong>te di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, To<strong>ch</strong>ter Zionl Sieh! dein König kommt und<br />

sitzt auf dem Füllen eines Esels (Sa<strong>ch</strong>arja 9,9). Darauf a<strong>ch</strong>teten seine Jünger<br />

zuerst ni<strong>ch</strong>t; aber als Jesus verklärt war, da geda<strong>ch</strong>ten sie daran, daß dies über<br />

ihn ges<strong>ch</strong>rieben war und sie ihm dies getan hatten. <strong>Johannes</strong> legte dabei ni<strong>ch</strong>t<br />

wie Matthäus und Markus darauf das Gewi<strong>ch</strong>t, daß Jesus si<strong>ch</strong> selbst den Esel<br />

herbeiführen ließ in der Gewißheit, daß er eben jetzt für ihn zur Stelle sei,<br />

sondern hebt hervor, wie die Jünger zur Sa<strong>ch</strong>e standen, daß ihnen beim Einzug<br />

selbst jenes prophetis<strong>ch</strong>e Wort ni<strong>ch</strong>t im Sinne lag, sondern es ihnen erst<br />

später <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu Verklärung deutli<strong>ch</strong> geworden sei, wie wörtli<strong>ch</strong> das, was hier<br />

ges<strong>ch</strong>ah, dem Bild des Propheten entspro<strong>ch</strong>en habe, wie Jesus genau in derjenigen<br />

Gestalt als König Jerusalem betreten habe, in der ihn der Prophet bes<strong>ch</strong>rieben<br />

hat. Es wird uns hier ein Einblick in eine Versammlung der Jünger<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu S<strong>ch</strong>eiden gewährt, wie sie den Propheten miteinander lesen und si<strong>ch</strong><br />

nun dabei erinnern: So ist es ja ges<strong>ch</strong>ehen; wir selber führten ihm an jenem<br />

Tage den Esel zu, als er frei und offen <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem als der Gesalbte kam<br />

und das Volk ihn als seinen Herrn im Namen Gottes grüßte.<br />

Der Glaube und Jubel des Volkes stützte si<strong>ch</strong> vor allem auf die Erweckung<br />

des Lazarus. Wer den Toten rufen kann und die Auferstehung s<strong>ch</strong>afft, ist der<br />

Verheißene; für ihn tritt Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft ein. 12,17.18: Nun gab die S<strong>ch</strong>ar<br />

Zeugnis, die bei ihm gewesen war, als er den Lazarus aus dem Grabe gerufen<br />

und aus den Toten erweckt hatte. Deshalb zog ihm au<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>ar entgegen,<br />

weil sie gehört hatten, er habe dieses Zei<strong>ch</strong>en getan. Die Pharisäer verzweifelten;<br />

so hatten sie es mit allen Warnungen und Drohungen do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verhindern<br />

können, daß die Gemeinde ihn offen mit dem messianis<strong>ch</strong>en Namen verherrli<strong>ch</strong>te.<br />

12,19: Nun sagten die Pharisäer zueinander: Ihr seht, daß ihr ni<strong>ch</strong>t<br />

helfen könnt; seht, die Welt lief ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>. Sie täus<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong>, sowohl wenn sie<br />

über Jesus triumphierten und meinten, ihn überwunden zu haben, als wenn<br />

sie si<strong>ch</strong> vor ihm ängstigten und meinten, die Welt hänge ihm an. Nur vor der


<strong>Johannes</strong> 12,14—24 167<br />

Ma<strong>ch</strong>t des Zei<strong>ch</strong>ens hatte sie si<strong>ch</strong> gebeugt; innerli<strong>ch</strong> blieb sie Jesus fremd, und<br />

dieser wußte, daß er auf dem Kreuzeswege war.<br />

12,20—22: Es waren aber einige Grie<strong>ch</strong>en da von denen, die hinaufgezogen<br />

waren, um am Fest anzubeten. Nun traten diese zu Philippus aus Bethsaida in<br />

Galiläa und baten ihn und spra<strong>ch</strong>en: Herr, wir mö<strong>ch</strong>ten Jesus sehen. Philippus<br />

kommt und sagt es Andreas; Andreas und Philippus kommen und sagen es<br />

Jesus* Viellei<strong>ch</strong>t waren es Proselyten, die si<strong>ch</strong> aus dem Heidentum der jüdis<strong>ch</strong>en<br />

Gemeinde anges<strong>ch</strong>lossen hatten, die si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Vermittlung des Philippus<br />

eine Unterredung mit Jesus vers<strong>ch</strong>affen wollten. Daß si<strong>ch</strong> Philippus zuerst<br />

mit Andreas darüber bespra<strong>ch</strong> und erst her<strong>na<strong>ch</strong></strong> beide Jesus von diesem<br />

Wuns<strong>ch</strong>e unterri<strong>ch</strong>teten, zeigt, daß die Jünger der Sa<strong>ch</strong>e "Wi<strong>ch</strong>tigkeit beimaßen.<br />

Eine neue Aussi<strong>ch</strong>t öffnete si<strong>ch</strong>: Jesu Name dringt au<strong>ch</strong> zu den Grie<strong>ch</strong>en,<br />

und ihre Erstlinge treten zu ihm. Aus dem s<strong>ch</strong>wülen, engen Kreis, der in<br />

Jerusalem Jesus umringt und eine Mauer von Stolz und Gottlosigkeit gegen<br />

ihn aufbaut, zeigt si<strong>ch</strong> ein hoffnungsrei<strong>ch</strong>er Ausweg. "Wie wird der Jüngerkreis<br />

si<strong>ch</strong> ändern und erweitern, wenn au<strong>ch</strong> Grie<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> in denselben einreihen!<br />

<strong>Johannes</strong> hat uns ni<strong>ch</strong>t erzählt, was Jesus den Grie<strong>ch</strong>en sagte, sondern hat<br />

der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Christenheit gesagt, daß Jesus bei dieser Gelegenheit seine Gewißheit<br />

bekräftigte, daß das Kreuz seine Pfli<strong>ch</strong>t sei und Gott es zum herrli<strong>ch</strong>en<br />

Ende bringe. Er konnte ni<strong>ch</strong>t zu den Grie<strong>ch</strong>en gehen, sondern hatte zu<br />

sterben. So war es aber Gottes "Weg. 12,23: Jesus aber antwortet ihnen und<br />

spri<strong>ch</strong>t: Die Stunde ist gekommen, daß der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en verherrli<strong>ch</strong>t<br />

werde. Zu seiner Größe und Herrli<strong>ch</strong>keit gelangt er ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong>, daß er<br />

seine irdis<strong>ch</strong>e Arbeit ausbreitet, sondern dadur<strong>ch</strong>, daß er stirbt. Er wird au<strong>ch</strong><br />

das Verlangen der Grie<strong>ch</strong>en erfüllen; aber dazu bedarf er jener Herrli<strong>ch</strong>keit,<br />

die aus seinem Tode entsteht. 12,24: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Wenn<br />

das Weizenkern ni<strong>ch</strong>t in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein. Wenn<br />

es aber stirbt, so bringt es viele Fru<strong>ch</strong>t. Ni<strong>ch</strong>t nur für seine eigene Person hält<br />

Jésus daran fest, daß das Sterben ihn ni<strong>ch</strong>t arm und elend ma<strong>ch</strong>e, vielmehr in<br />

die Herrli<strong>ch</strong>keit des Vaters führe, sondern au<strong>ch</strong> für seine Arbeit auf Erden<br />

ist es ihm gewiß, daß ihr die Fru<strong>ch</strong>tbarkeit nur aus seinem Sterben komme,<br />

aus ihm aber au<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>er kommt. Nur dur<strong>ch</strong> das Kreuz s<strong>ch</strong>afft er die Gemeinde,<br />

die teil an seinem Leben hat. Wie könnte er au<strong>ch</strong> das teilen, was sein Tod ihm<br />

selber bringt und was er der Mens<strong>ch</strong>heit bringt? Er legt seinen ganzen Willen<br />

in seinen Dienst, dur<strong>ch</strong> den er die Jünger zu Gott beruft. Was ihm zur Erhöhung<br />

dient, hebt au<strong>ch</strong> sein Werk. Er würde si<strong>ch</strong> selbst verleugnen und seine<br />

liebe töten, ließe er seinen Dienst.


*68 Jesu letztes Zeugnis in Jerusalem<br />

Der Kreuzesweg ist aber ni<strong>ch</strong>t nur für ihn, sondern au<strong>ch</strong> für alle seine Jünger<br />

der ri<strong>ch</strong>tige, in Gottes Willen liegende Beruf. 12,25 Wer seine Seele liebt,<br />

verdirbt sie, und wer seine Seele in dieser Welt haßt, wird sie zum ewigen Leben<br />

bewahren. Mit demselben "Wort hat au<strong>ch</strong> Matthäus 16,25 die Leidensweissagung<br />

auf die Jünger angewandt und seinen Kreuzesweg ihnen zur Regel<br />

gema<strong>ch</strong>t. Wer ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> selber, ni<strong>ch</strong>t seiner eigenen Lebenserhaltung, ni<strong>ch</strong>t dem<br />

Gedeihen und Wohl seiner eigenen Seele dient, sondern von si<strong>ch</strong> selbst frei<br />

geworden ist und darum au<strong>ch</strong> gegen si<strong>ch</strong> selbst und gegen sein eigenes Glück<br />

und Leben handeln kann, der und nur der ist vor dem Verderben seiner Seele<br />

ges<strong>ch</strong>ützt. In dieser Welt muß es so sein, sagt Jesus, wo Bosheit ges<strong>ch</strong>ieht und<br />

Sünde regiert und Gott vergessen ist. Da können wir unseren Weg nur dann<br />

gehen, wenn wir sterben können. Ein sol<strong>ch</strong>es Opfer der Seele bringt keinen<br />

Verlust, weil uns Entsagen und Sterben ins ewige Leben versetzt.<br />

12,26: Wenn jemand mir dient, folge er mir <strong>na<strong>ch</strong></strong>, und wo i<strong>ch</strong> bin, dort soll<br />

au<strong>ch</strong> mein Diener sein. Wenn jemand mir dient, wird ihn der Vater ehren.<br />

Damit sagt er seinen Jüngern die ganze Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm zu, sowohl die<br />

Gemeinsamkeit in der Kne<strong>ch</strong>ts- und Kreuzesgestalt, das gemeinsame Preisgeben<br />

der Seele, weil die Welt sie haßt, als au<strong>ch</strong> die Gemeins<strong>ch</strong>aft am selben<br />

Ort, wo er ist, die Vereinigung mit ihm in seiner Herrli<strong>ch</strong>keit. Als Trost auf<br />

dem Sterbensweg legt er ihnen das ins Herz, daß sie Gott für si<strong>ch</strong> haben. Undank<br />

und S<strong>ch</strong>ande mag ihr Lohn auf Erden sein; aber ihre Ehre steht bei Gott;<br />

dieser selbst ist der Vergelter jedes Dienstes, der dem Sohne ges<strong>ch</strong>ieht. Darum<br />

heißt Jesus die Seinen ihm fröhli<strong>ch</strong> dienen. Mag für sie daraus folgen, was es<br />

sei: ihr Dienst wird vom Vater ges<strong>ch</strong>ätzt und bringt ihnen Ehre, wenn au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t bei den Mens<strong>ch</strong>en, wohl aber bei Gott.<br />

Freili<strong>ch</strong> im S<strong>ch</strong>merz erregt si<strong>ch</strong> die Seele, wird aus ihrer Ruhe herausgestoßen<br />

und s<strong>ch</strong>wankt hin und her. Au<strong>ch</strong> Jesus selbst erfuhr es und spra<strong>ch</strong> es<br />

offen aus. 12,27 a: Jetzt ist meine Seele ers<strong>ch</strong>üttert, und was soll i<strong>ch</strong> sagen?<br />

Au<strong>ch</strong> er empfindet, wie sie vor dem Leiden flieht und si<strong>ch</strong> dem S<strong>ch</strong>merz mit<br />

unwillkürli<strong>ch</strong>er Strebung entzieht, wodur<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> ein Aufruhr und Kampf in<br />

ihr erhebt. Im S<strong>ch</strong>wanken der Seele, die hin und her zuckt und gequält ihr<br />

Verlangen hierhin und dorthin wendet, ruft er aus: Was soll i<strong>ch</strong> sagen? Do<strong>ch</strong><br />

was er sagen soll, weiß der Sohn: er betet. Zum Vater flieht er; in seiner Liebe<br />

und Ma<strong>ch</strong>t birgt er si<strong>ch</strong>. 12,27b. 28a: Vater, rette mi<strong>ch</strong> aus dieser Stunde. Aber<br />

deshalb kam i<strong>ch</strong> in diese Stunde. Vater, verkläre deinen Namen! Seine Bitte um<br />

Rettung ist ni<strong>ch</strong>t sein letztes Wort, ni<strong>ch</strong>t sein einziger Wille. Diesem Verlangen,<br />

das der bitteren, dunklen Stunde entrinnen will und <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Retter<br />

s<strong>ch</strong>reit, setzt er ein „aber" entgegen; i<strong>ch</strong> bin deshalb in diese Stunde gekom-


<strong>Johannes</strong> 12,25—2ç 169<br />

men, damit i<strong>ch</strong> sie trage, ni<strong>ch</strong>t um aus ihr zu fliehen und ihr entnommen zu<br />

werden, sondern um dur<strong>ch</strong> sie dur<strong>ch</strong>zugehen und ihre Not zu leiden. Und nun<br />

steigt hell und mä<strong>ch</strong>tig die neue Bitte auf, und es hebt si<strong>ch</strong> über die Zuckungen<br />

der vom S<strong>ch</strong>merz gequälten Seele der regierende Wille, der Gottes Verherrli<strong>ch</strong>ung<br />

begehrt. In diesem Ziele ruht sein Begehren. Zu allem ist er willig,<br />

wenn nur das eine ges<strong>ch</strong>ieht, daß der Name Gottes groß, klar, herrli<strong>ch</strong> werde,<br />

weil er auf alles verzi<strong>ch</strong>ten kann, nur auf das eine ni<strong>ch</strong>t, daß Gottes Name<br />

leu<strong>ch</strong>te. Jesus hat uns hier gezeigt, wie au<strong>ch</strong> wir zu beten haben, in beidem,<br />

sowohl in der "Wahrhaftigkeit, mit der er die natürli<strong>ch</strong>e Regung des Herzens<br />

vor dem Vater ausspri<strong>ch</strong>t und in die Bitte faßt: Rette mi<strong>ch</strong>, als weiter in der<br />

Uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>keit des einigen Grundwillens: Dein Name werde verklärt,<br />

und in der siegrei<strong>ch</strong>en Obma<strong>ch</strong>t, mit der er jede natürli<strong>ch</strong>e Regung diesem<br />

einen und ganzen Verlangen, dieser hö<strong>ch</strong>sten und heiligsten Liebe unterworfen<br />

hält. "Wer so betet, betet rein.<br />

12,28b: Nun kam eine Stimme aus dem Himmel: idi habe ihn verklärt und<br />

werde ihn wieder verklären. Es ges<strong>ch</strong>ah Ähnli<strong>ch</strong>es wie bei der Taufe. "Wie dort,<br />

wo Jesus in der Reihe der Reuigen stand, die si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Umkehr und Buße<br />

zum Himmelrei<strong>ch</strong> rüsteten, der Vatef ihn erhob -dur<strong>ch</strong> das hörbar werdende<br />

"Wort, das ihm sein "Wohlgefallen zusagte, so ward ihm au<strong>ch</strong> jetzt, als er si<strong>ch</strong><br />

no<strong>ch</strong> tiefer erniedrigte und vor den Augen der Mens<strong>ch</strong>en in S<strong>ch</strong>merz und Verwirrung<br />

zum Vater flehte, sein Zeugnis zuteil, das ihm die Ehre gibt, die keiner<br />

mit ihm teilt. Dieses "Wort bezeugte von seinem bisherigen "Werk, daß es Gott<br />

wohlgefällig sei, und enthielt zuglei<strong>ch</strong> eine Verheißung, die ihn über den Fortgang<br />

desselben beruhigte. "Was bis jetzt ges<strong>ch</strong>ah, hat zur Verklärung des göttli<strong>ch</strong>en<br />

Namens gedient; was weiter ges<strong>ch</strong>ieht, wird dieselbe "Wirkung haben.<br />

In der "Weise, wie der Vater ihn bisher führte, dur<strong>ch</strong> dasjenige Wort, das er<br />

bisher geredet hat, und dur<strong>ch</strong> dasjenige "Werk, das er ihn vollenden ließ,<br />

hat Gott seinen Namen so gema<strong>ch</strong>t, wie er ihn haben will, so si<strong>ch</strong> dem Mens<strong>ch</strong>en<br />

gezeigt, wie er von ihm erkannt sein will. An dem, was im irdis<strong>ch</strong>en Leben<br />

Jesu ges<strong>ch</strong>ah, hat der Vater seinen Ruhm, seine Freude und die Erfüllung<br />

seines Willens. Er wird au<strong>ch</strong> weiterhin seinem Namen Klarheit und Größe<br />

geben, au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das Kreuz und dessen S<strong>ch</strong>luß. Jesus darf ruhig den Todesgang<br />

gehen; niemals wird daraus eine Entehrung Gottes, sondern nur Gottes<br />

Verherrli<strong>ch</strong>ung.<br />

<strong>Das</strong> Volk war verblüfft und zeigte wieder, wie fern ihm Gott war. 12,29:<br />

Nun sagte die Menge, die dabeistand und zuhörte, es habe gedonnert; andere<br />

sagten: Ein Engel habe zu ihm geredet. An Gott denkt der Mens<strong>ch</strong> stets zuletzt.<br />

Entweder muß ihm die Natur die Erklärung liefern: Ein Donner war


17° Jesu letztes Zeugnis in Jerusalem<br />

es, oder wenn si<strong>ch</strong> die wunderbare Art des Vorgangs der Empfindung aufdrängte,<br />

holte man die Erklärung aus der Geisterwelt: Ein Engel war es, der<br />

zwis<strong>ch</strong>en dem verborgenen, fernen Gott und dieser Welt den Mittlerdienst<br />

besorgt. Daß si<strong>ch</strong> Gott wie ein Vater zu einem Mens<strong>ch</strong>en halte und in wirksamer<br />

Gegenwart bei ihm sei und mit ihm rede, war <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Meinung unerhört<br />

und eine vollkommene Unmögli<strong>ch</strong>keit. Ihr Denken und Wollen war<br />

von Gott nur wie von einem S<strong>ch</strong>atten berührt.<br />

12,30: Jesus antwortete und spra<strong>ch</strong>: Ni<strong>ch</strong>t um meinetwillen ges<strong>ch</strong>ah diese<br />

Stimme, sondern um euretwillen. Er hat au<strong>ch</strong> ohne die hörbare Antwort in der<br />

inneren, wirksamen Einigung mit dem Vater seinen Frieden, au<strong>ch</strong> dann, wenn<br />

si<strong>ch</strong> seine Seele mit herbem Weh quält. Während sie blind vor dem stehen, was<br />

jetzt ges<strong>ch</strong>ieht, a<strong>ch</strong>tet Jesus ni<strong>ch</strong>t nur auf das, was si<strong>ch</strong>tbar ist, und steht ni<strong>ch</strong>t<br />

nur im Verkehr mit den Mens<strong>ch</strong>en, sondern au<strong>ch</strong> mit Gott. Es wird ni<strong>ch</strong>t nur<br />

von den Mens<strong>ch</strong>en, von Kajaphas und Pilatus und der ganzen Judens<strong>ch</strong>aft,<br />

Geri<strong>ch</strong>t gehalten. Zuglei<strong>ch</strong> wird im Himmel ein göttli<strong>ch</strong>es Urteil gespro<strong>ch</strong>en,<br />

und dieses Geri<strong>ch</strong>t trifft die Welt. 12,31: Jetzt ist Geri<strong>ch</strong>t über diese Welt.<br />

Jetzt wird der Herrs<strong>ch</strong>er über diese Welt hinausgestoßen werden. <strong>Das</strong> göttli<strong>ch</strong>e<br />

Urteil, das Jesus zum Kreuz beruft, ist die Verurteilung der Welt. <strong>Das</strong><br />

Li<strong>ch</strong>t wird der Finsternis entzogen, in der es bisher s<strong>ch</strong>ien; damit wird die<br />

Finsternis geri<strong>ch</strong>tet und als unempfängli<strong>ch</strong> für das Li<strong>ch</strong>t in ihre Dunkelheit<br />

vers<strong>ch</strong>lossen. <strong>Das</strong> Leben, das unter den Sterbenden ers<strong>ch</strong>ien, wei<strong>ch</strong>t wieder; so<br />

sind die Sterbenden geri<strong>ch</strong>tet und gehen ihren Todesweg. Der Sohn Gottes<br />

wird der Welt genommen; so ist über sie das Urteil gefällt, daß sie von Gott<br />

ges<strong>ch</strong>ieden ist. Aber au<strong>ch</strong> das Geri<strong>ch</strong>t dient der Gnade. Trifft Gottes strafende<br />

Hand die Bosheit, so wird uns damit die größte Wohltat erwiesen, weil die<br />

Verni<strong>ch</strong>tung des Bösen für das Wirken der göttli<strong>ch</strong>en Gnade die freie Bahn<br />

herstellt. Indem das Geri<strong>ch</strong>t die Welt trifft, trifft es au<strong>ch</strong> den, der sie beherrs<strong>ch</strong>t<br />

und si<strong>ch</strong> als unser Widersa<strong>ch</strong>er und Verkläger vor den Ri<strong>ch</strong>tstuhl Gottes stellt.<br />

Mit der Welt wird au<strong>ch</strong> ihr Fürst, mit dem Mens<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> sein Verkläger und<br />

Verderber geri<strong>ch</strong>tet, und das Urteil, das über ihn ergeht, treibt ihn fort und<br />

stößt ihn aus. Na<strong>ch</strong> seinem Willen wurde das Kreuz erri<strong>ch</strong>tet. Dur<strong>ch</strong> sein<br />

Lügen wurde die Finsternis so dunkel, daß sie das Li<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>eu<strong>ch</strong>t, und an<br />

seinem Streit mit Gott entstand die fals<strong>ch</strong>e Liebe, mit der der Jude si<strong>ch</strong> selbst<br />

gegen den Vater und gegen den Sohn behauptete. Aber obglei<strong>ch</strong> er si<strong>ch</strong> zum<br />

Herrn der Mens<strong>ch</strong>heit zu ma<strong>ch</strong>en vermo<strong>ch</strong>te, so war denno<strong>ch</strong> das, was er tat,<br />

umsonst. Der Name des Vaters ist denno<strong>ch</strong> auf Erden verklärt worden. Denn<br />

der Lenker der Mens<strong>ch</strong>heit wurde ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> der Herr und Lenker des Mens<strong>ch</strong>ensohnes.<br />

Der am Kreuz sterbende Sohn ist sein Uberwinder und wird zum


<strong>Johannes</strong> 12,30—360 17 1<br />

Bes<strong>ch</strong>irmer der Seinigen. <strong>Das</strong> Verklagen des Teufels muß nun verstummen vor<br />

der Fürspra<strong>ch</strong>e des am Kreuz vollendeten Sohnes, und seinem Verderben und<br />

Sterben sind die entnommen, die der Sohn unter seine Führung stellt. Ausstoßung<br />

des Teufels, das bedeutet: uns ist Vergebung gewährt. Die Abweisung<br />

seiner Klage ergibt die uns ges<strong>ch</strong>enkte Re<strong>ch</strong>tfertigung. Mit der für uns unausdenkbaren<br />

Heilandsfreude sieht Jesus den Raum nun frei für si<strong>ch</strong> und der<br />

"Welt einen neuen Herrn gegeben. Dadur<strong>ch</strong> wissen wir, wen das Geri<strong>ch</strong>t an<br />

der Welt verni<strong>ch</strong>tet: wer ihrem Fürsten angehört, wird mit ihm weggetrieben;<br />

wer dagegen seinem Überwinder gehört, ist mit ihm in das ewige Leben versetzt.<br />

12,32. 33: Und i<strong>ch</strong> werde, wenn id) von der Erde erhöht bin, alle zu mir<br />

ziehen.<strong>Das</strong> sagte er,um anzudeuten,durdj was für einenTod er sterben werde.<br />

Jesus s<strong>ch</strong>aut auf den Pfahl, an dem er enden wird. Da hängt er weggehoben<br />

von der Erde, ho<strong>ch</strong> vor den Augen aller, und so, in seinem Kreuzesbild, wird<br />

er alle an si<strong>ch</strong> ziehen. Dann greift au<strong>ch</strong> seine Liebe in die "Weite, dringt seine<br />

Stimme dur<strong>ch</strong> den ganzen Bestand der Welt und werden alle von seinem Werk<br />

erfaßt. Dann kommt au<strong>ch</strong> die Stunde für die Grie<strong>ch</strong>en, dann die Ernte, dur<strong>ch</strong><br />

die si<strong>ch</strong> das erstorbene Weizenkorn hundertfältig vermehrt.<br />

Die Hörer empfanden den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en ihrer Hoffnung auf den<br />

Christus und dem, was Jesus hier als sein Heilandswerk verkündigt hat. 12,34:<br />

Nun antwortete ihm die Menge: Wir haben aus dem Gesetz gehört, daß der<br />

Christus ewig bleibt. Wie sagst denn du, daß der Sohn des Mensdoen erhöht<br />

werden muß? Wer ist dieser Sohn des Mensdoen? Die S<strong>ch</strong>rift hat ihnen einen<br />

ewigen Christus verheißen, der ni<strong>ch</strong>t wieder geht, wenn er gekommen ist, vielmehr<br />

für immer bei der Gemeinde bleibt und ihr immer als Mittler der vollkommenen<br />

Gaben Gottes dient. Wie redet er denn von einem Erhöhtwerden,<br />

das ihn von der Erde löse? Ihr Zweifel heftete si<strong>ch</strong> an den Namen „Mens<strong>ch</strong>ensohn",<br />

mit dem si<strong>ch</strong> Jesus so häufig nannte. Sie spüren au<strong>ch</strong> hieran den Unters<strong>ch</strong>ied<br />

seines Willens von ihrer Hoffnung. Was ist es denn mit diesem rätselhaften<br />

Mens<strong>ch</strong>ensohn? So hat Jesus wieder die stolze Si<strong>ch</strong>erheit Israels gegen<br />

si<strong>ch</strong>, das si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t träumen läßt, der Christus könnte au<strong>ch</strong> wieder weggehen,<br />

vielmehr guter Dinge ist in der Zuversi<strong>ch</strong>t: kommt er endli<strong>ch</strong>, so ist er für<br />

immer bei uns. Jesus bezeugt ihnen, daß er ihnen nur no<strong>ch</strong> für eine kurze Frist<br />

gegeben ist. 12,35.36a: Nun sagte Jesus zu ihnen: Nodi eine kleine Zeit ist das<br />

Li<strong>ch</strong>t unter eu<strong>ch</strong>. Wandert, während ihr das Li<strong>ch</strong>t habt, damit eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die<br />

Finsternis erreidoe, und wer in der Finsternis wandert, weiß ni<strong>ch</strong>t, wohin er<br />

geht. Während ihr das Li<strong>ch</strong>t habt, glaubt an das Li<strong>ch</strong>t, damit ihr Sohne des<br />

Li<strong>ch</strong>ts werdet. Er hält ihnen den Ernst der Ents<strong>ch</strong>eidung vor, die sie jetzt zu


I7 2 Jesu letztes Zeugnis in Jerusalem<br />

treffen haben. Jetzt ist das Li<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> da; jetzt steht ni<strong>ch</strong>t still, liegt ni<strong>ch</strong>t da,<br />

trag, unbewegli<strong>ch</strong>, unempfängli<strong>ch</strong>; jetzt laßt eu<strong>ch</strong> bewegen, ergreifen, führen!<br />

Sonst überfällt eu<strong>ch</strong> die Dunkelheit. "Was das heißt, si<strong>ch</strong> bewegen, wandeln,<br />

den "Weg zurücklegen, für den ihnen das Li<strong>ch</strong>t gegeben ist, legt er ihnen mit<br />

dem Wort aus „an das Li<strong>ch</strong>t glauben". Daß sie si<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>t hingeben, si<strong>ch</strong><br />

ihm öffnen und unterwerfen, das ist die Bewegung, in die er sie versetzen<br />

mö<strong>ch</strong>te, und die re<strong>ch</strong>te Folge und Fortsetzung von dem, was sie mit seiner<br />

Gegenwart empfangen. So werden sie vom Li<strong>ch</strong>t ergriffen und seiner Art teilhaft<br />

gema<strong>ch</strong>t. Damit sagt ihnen Jesus no<strong>ch</strong>mals dasselbe, was er den Galiläern<br />

auf ihre Frage: Wie wirken wir die Werke Gottes? zur Antwort gab: Glaubt<br />

an den, den der Vater eu<strong>ch</strong> gegeben hat; das heißt Gottes Werke tun. So nehmt<br />

ihr ihn bei eu<strong>ch</strong> auf als das bleibende Brot und öffnet dem Li<strong>ch</strong>t den Zugang<br />

zu eu<strong>ch</strong> und werdet dessen Kind. Mit dieser Mahnung überließ er sie si<strong>ch</strong> selbst.<br />

12,36b: Dies redete Jesus, ging weg und verbarg si<strong>ch</strong> vor ihnen.<br />

<strong>Johannes</strong> gibt no<strong>ch</strong> ein S<strong>ch</strong>lußwort, das die öffentli<strong>ch</strong>e Arbeit Jesu an Israel<br />

zu ihrem Ende bringt. Zuerst spri<strong>ch</strong>t er ihr Ergebnis aus. 12,37: Obglei<strong>ch</strong> er<br />

aber so viele Zei<strong>ch</strong>en vor ihnen getan hatte, glaubten sie ni<strong>ch</strong>t an ihn. Es kam<br />

ni<strong>ch</strong>t zum inwendigen Ans<strong>ch</strong>luß, ni<strong>ch</strong>t zur Hingabe an ihn, und do<strong>ch</strong> steht vor<br />

dem Auge des <strong>Johannes</strong> die lange Reihe der Zei<strong>ch</strong>en, die Jesus tat, jedes für<br />

si<strong>ch</strong> ein Beweis seiner herrli<strong>ch</strong>en Verbundenheit mit dem Vater und eines das<br />

andere bestätigend und ergänzend zum vollen Ausdruck seines Heilands willens<br />

und seiner Heilandsma<strong>ch</strong>t.<br />

Der Evangelist fügt aber au<strong>ch</strong> die Sünde und den Fall Israels in Gottes Regierung<br />

ein. 12,38—40: damit das Wort des Propheten Jesaja erfüllt werde,<br />

das er spra<strong>ch</strong>: Herr, wer glaubte dem, was wir vernahmen? und wem ward der<br />

Arm desHerrn enthüllt? (Jesaja 53,1). Deshalb konnten sie ni<strong>ch</strong>t glauben,weil<br />

Jesaja wieder sagte: Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verhärtet, damit<br />

sie ni<strong>ch</strong>t mit den Augen sähen und ni<strong>ch</strong>t mit dem Herzen begriffen und sia)<br />

bekehrten und i<strong>ch</strong> sie heilte (Jesaja 9,9.10). Ni<strong>ch</strong>t zur Ents<strong>ch</strong>uldigung Israels<br />

sagt er das, als wollte er ihren Unglauben als Gottes Werk bes<strong>ch</strong>reiben und sie<br />

deshalb entlasten. So boshaft si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> des Mens<strong>ch</strong>en Wille verderben mag,<br />

der göttli<strong>ch</strong>en Regierung entfällt er nie, bleibt immer unter der Obma<strong>ch</strong>t Gottes<br />

und dient immer ihm, au<strong>ch</strong> ohne esrzu wollen, zum Werkzeug, dur<strong>ch</strong> das<br />

Gott seinen Willen tut. Auf Gottes Regierung blickt <strong>Johannes</strong> au<strong>ch</strong> bei Israels<br />

Fall, weil darin seine Ruhe und sein Friede steht, so s<strong>ch</strong>wer und s<strong>ch</strong>merzhaft<br />

dieser Lauf der Dinge ni<strong>ch</strong>t nur Jesus selbst, sondern au<strong>ch</strong> die Apostel ins Leiden<br />

zog. Es ges<strong>ch</strong>ah damit nur Gottes vorbeda<strong>ch</strong>ter Rat.<br />

12,41: <strong>Das</strong> sagte Jesaja, weil er seine Herrli<strong>ch</strong>keit sah, und er redete von


.<strong>Johannes</strong> 12,360—45 173<br />

ihm. <strong>Johannes</strong> wird an das Gesi<strong>ch</strong>t denken, das dem Propheten die Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

Gottes si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>te und einen Einblick in den himmlis<strong>ch</strong>en Gottesdienst<br />

gab. <strong>Das</strong> war ein Anblick der Herrli<strong>ch</strong>keit des Christus, der als Gottes<br />

ewiges "Wort immer bei ihm war; darum hat er au<strong>ch</strong> von ihm geredet und sein<br />

Kommen verheißen, und deshalb wurde ihm au<strong>ch</strong> gesagt, daß Gott si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong><br />

verherrli<strong>ch</strong>en wird, daß Israels Augen vers<strong>ch</strong>lossen bleiben und für Gottes<br />

Gnade und Wahrheit ni<strong>ch</strong>t zu öffnen sind.<br />

Die einsame Stellung Jesu, der nur seinen kleinen Jüngerkreis bei si<strong>ch</strong> hatte,<br />

dagegen das Volk ni<strong>ch</strong>t zu si<strong>ch</strong> zu ziehen vermo<strong>ch</strong>te, rührte aber ni<strong>ch</strong>t daher,<br />

daß Jesus auf Israel ni<strong>ch</strong>t einen tiefen Eindruck gema<strong>ch</strong>t hätte. 12,42: Jedo<strong>ch</strong><br />

glaubten au<strong>ch</strong> von den Obersten viele an ihn; allein sie bekannten es der Pharisäer<br />

wegen ni<strong>ch</strong>t, damit sie ni<strong>ch</strong>t aus der Gemeinde ausges<strong>ch</strong>lossen würden. Die<br />

Ma<strong>ch</strong>t seines Wortes und Werkes überwand viele au<strong>ch</strong> unter den die Ämter<br />

verwaltenden Männern; sie verheimli<strong>ch</strong>ten es aber sorgfältig, daß er sie überzeugt<br />

und in ihnen das Vertrauen zu ihm erweckt habe, weil die Pharisäer mit<br />

starker Hand in den Synagogen regierten, ihr Gesetz und ihre Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

verteidigten und das Volk ni<strong>ch</strong>t wegließen von den Jüngern Moses, die allein<br />

seine Hirten bleiben sollten. Vor dem Bann ers<strong>ch</strong>raken au<strong>ch</strong> die Obersten und<br />

s<strong>ch</strong>wiegen. Darin kam die Sündli<strong>ch</strong>keit ihres Herzens zutage, ihre Mißa<strong>ch</strong>tung<br />

Gottes, den sie unter die Mens<strong>ch</strong>en erniedrigten. 12,43: Denn sie liebten die<br />

Ehre der Mens<strong>ch</strong>en mehr als die Ehre Gottes. Es lag ihnen mehr daran, ihre<br />

Lehrer zu ehren und von ihnen geehrt zu werden, als Gott zu ehren und die<br />

Herrli<strong>ch</strong>keit, die er gibt, zu empfangen. An dieser heimli<strong>ch</strong>en, unter seinem<br />

Gottesdienst versteckten Gottlosigkeit fiel Israel.<br />

Dazu fügt <strong>Johannes</strong> no<strong>ch</strong> einige Worte Jesu über die Bedeutung des Glaubens<br />

und des Unglaubens, ohne die besondere Veranlassung und den Ort derselben<br />

anzugeben. Wir sollen Jesu Urteil über den ihm erwiesenen Glauben<br />

und Unglauben eben jetzt no<strong>ch</strong>mals hören, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er ausgespro<strong>ch</strong>en hat, daß<br />

die jüdis<strong>ch</strong>e Gemeinde si<strong>ch</strong> geweigert hat, Jesus zu glauben. 12,44.45: Aber<br />

Jesus rief und spra<strong>ch</strong>: Wer an mi<strong>ch</strong> glaubet, glaubt ni<strong>ch</strong>t an mi<strong>ch</strong>, sondern an<br />

den, der mi<strong>ch</strong> gesandt hat, und wer mi<strong>ch</strong> sieht, sieht den, der mi<strong>ch</strong> gesandt hat.<br />

Die Kraft des ihm erzeigten Glanbens besteht darin, daß er ni<strong>ch</strong>t Jesus, sondern<br />

dem, der ihn sandte, erwiesen ist. Wir vertrauen uns Gott an, in dem wir<br />

uns an Jesus halten und geben der Wahrheit Gottes die Ehre, wenn wir uns<br />

von Jesu Wort überwinden und führen lassen. <strong>Das</strong>selbe gilt vom Blick, der<br />

uns Jesus faßli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t; damit faßt unser Auge Gott. Ihn wahrnehmen heißt<br />

den wahrnehmen, der ihn sandte. Er ist Gottes Bild und Darstellung für uns<br />

und ma<strong>ch</strong>t uns mit seinem Willen Gottes Willen und mit seinem Werk Gottes


*74 Jesu letztes Zeugnis in Jerusalem<br />

"Werk si<strong>ch</strong>tbar. <strong>Das</strong> Mittel, wodur<strong>ch</strong> uns Jesus zum Glauben lockt, ist seine<br />

erleu<strong>ch</strong>tende Kraft, die uns aus dem Finsteren heraushebt: 12,46: I<strong>ch</strong> bin als<br />

Li<strong>ch</strong>t in die Welt gekommen, damit jeder, der an mi<strong>ch</strong> glaubt, ni<strong>ch</strong>t in der<br />

Finsternis bleibe. Aus dieser Gabe sollen wir unser Vertrauen zu ihm ziehen.<br />

Eine andere Tür zum Glauben als die Liebe zu seinem Li<strong>ch</strong>t gibt es ni<strong>ch</strong>t.<br />

Na<strong>ch</strong>dem er sein "Wort der Welt gegeben hat, wird ihr dasselbe entweder zur<br />

rettenden Ma<strong>ch</strong>t, oder sie findet ihren Ri<strong>ch</strong>ter an ihm, je <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem der Mens<strong>ch</strong><br />

das Wort, das er gehört hat, bewahrt oder wegwirft. 12,47.4^ : Und wenn jemand<br />

meine Worte hört und ni<strong>ch</strong>t bewahrt, ri<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> ihn ni<strong>ch</strong>t. Denn i<strong>ch</strong> kam<br />

ni<strong>ch</strong>t, um die Welt zu ri<strong>ch</strong>ten, sondern um die Welt zu retten. Wer mi<strong>ch</strong> verwirft<br />

und meine Worte ni<strong>ch</strong>t annimmt, hat den, der ihn ri<strong>ch</strong>tet. <strong>Das</strong> Wort, das<br />

i<strong>ch</strong> geredet habe, das wird ihn am letzten Tag ri<strong>ch</strong>ten. Wenn jemand sein Wort<br />

zwar hört, aber verliert und zertritt, so zieht das Jesus ni<strong>ch</strong>t aus seinem Heilandsamt<br />

heraus; er wird an ihm ni<strong>ch</strong>t zum Ri<strong>ch</strong>ter, der ihn umbrä<strong>ch</strong>te. Denno<strong>ch</strong><br />

wird er seinen Ri<strong>ch</strong>ter finden, und zwar in dem von ihm vera<strong>ch</strong>teten<br />

Wort. Dieses selbe Wort, das die Gnade spra<strong>ch</strong> und das das Leben in si<strong>ch</strong> hat,<br />

wird am letzten Tag, der alles offenbart und allem seine ewige Gestalt gibt,<br />

ihm mit rä<strong>ch</strong>ender Gewalt entgegentreten und ihn ums ewige Leben bringen*<br />

Diese heilige Unantastbarkeit und ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>e Majestät eignet dem Worte deshalb,<br />

weil Jesus es ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> selber zieht, sondern in seinem Wort der Weisung<br />

des Vaters gehor<strong>ch</strong>t. 12,49. 50: Denn i<strong>ch</strong> habe ni<strong>ch</strong>t aus mir selbst gespro<strong>ch</strong>en;<br />

sondern der Vater, der mi<strong>ch</strong> sandte, gab mir selbst das Gebot, was<br />

i<strong>ch</strong> sagen und reden soll. Und i<strong>ch</strong> weiß, daß sein Gebot ewiges Leben ist. Darum<br />

rede i<strong>ch</strong>, was i<strong>ch</strong> rede, so, wie es mir der Vater gesagt hat. Somit wird in seinem<br />

Wort Gottes Wort verworfen; dieses aber wird der Mens<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> am Ende der<br />

Dinge no<strong>ch</strong> finden, wie es am Anfang war, und wird es dann gegen si<strong>ch</strong> haben<br />

als das, was ihn aus dem Rei<strong>ch</strong> des ewigen Lebens auss<strong>ch</strong>eidet. Denn da, wo<br />

Gottes Gebot in Frage kommt, handelt es si<strong>ch</strong> um das ewige Leben. Dazu hat<br />

der Vater Jesus als seinen Boten gesandt und mit seinen Worten ausgerüstet,<br />

weil er ewiges Leben bringen soll. Darin besteht der Auftrag, den er empfangen<br />

hat, und diesen Auftrag führt er aus und redet so, wie der Vater es ihm<br />

gesagt hat. Darum faßt der, der sein Wort, aufnimmt, Gott, und der, der es<br />

verwirft, hat Gott und das ewige Leben verworfen.<br />

Ähnli<strong>ch</strong> wie Matthäus die Bergpredigt mit dem Glei<strong>ch</strong>nis Jesu s<strong>ch</strong>ließt, das<br />

uns die Bedeutung des gehörten Wortes darstellt, an dem wir nun weise oder<br />

töri<strong>ch</strong>t handeln und uns Gewinn oder Verlust bereiten, je <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem wir es tun<br />

oder ni<strong>ch</strong>t, beendet <strong>Johannes</strong> Jesu Lehrarbeit unter Israel mit Sprü<strong>ch</strong>en, die<br />

die Majestät und Kraft des Wor*tes für alle, die es hören, darstellen, werde es


<strong>Johannes</strong> 12,46—50; ij,i 175<br />

von uns bewahrt oder weggeworfen. Jesu "Wort ist das, wodur<strong>ch</strong> er in unseren<br />

Lebenslauf eingreift; wie wir zum "Wort uns halten, das ents<strong>ch</strong>eidet über unsere<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm. %<br />

Kapitel 13—17<br />

Jesus begründet seine Gemeinde<br />

Kapitel 13,1—20<br />

<strong>Das</strong> Zei<strong>ch</strong>en Jesu für die Jünger .<br />

Den Verkehr Jesu mit seinen Jüngern hat uns <strong>Johannes</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>rieben,<br />

sondern si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> hier auf das Letzte und Hö<strong>ch</strong>ste bes<strong>ch</strong>ränkt, auf dasjenige<br />

Wort Jesu an die Seinen, das alles in si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>loß, was er ihnen gab, und<br />

seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihnen vollendete. Die diesen S<strong>ch</strong>luß vorbereitende<br />

Unterweisung, die ihren Aufenthalt in Galiläa ausfüllte, hat er ebenso übergangen,<br />

wie er uns au<strong>ch</strong> aus der Predigt Jesu an das Volk keines seiner rei<strong>ch</strong>en<br />

Worte über die mannigfa<strong>ch</strong>en Anliegen des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Lebens gab, sondern<br />

nur das, was unmittelbar zu Jesus selber führt. Na<strong>ch</strong>dem er uns zuerst sowohl<br />

den ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>en Ernst als die Treue gezeigt hat, die Jesus der Judens<strong>ch</strong>aft erwiesen<br />

hat, folgt nun Jesu eigentli<strong>ch</strong>es Werk: wie er seine Jünger für immer<br />

an si<strong>ch</strong> zog und was er ihnen als seine Verheißung und seinen Auftrag hinterlassen<br />

hat. An den Anfang seines Beri<strong>ch</strong>ts stellt er au<strong>ch</strong> hier ein Zei<strong>ch</strong>en, dur<strong>ch</strong><br />

das Jesus mit der Tat vollführte, was er her<strong>na<strong>ch</strong></strong> den Jüngern mit seinen Worten<br />

gab.<br />

Es war vor dem Pas<strong>ch</strong>a. Aus dieser Angabe läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong> erkennen,<br />

wie si<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Erinnerung des <strong>Johannes</strong> die Ereignisse zur Ordnung der<br />

Festtage verhalten haben, ob er an den Vorabend des ersten und großen Feiertages<br />

denkt, an dem das Pas<strong>ch</strong>amahl gehalten wurde, oder ob er das letzte<br />

Mahl Jesu auf den vorangehenden Abend verlegt. <strong>Das</strong> Mahl, dur<strong>ch</strong> das Jesus<br />

seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit den Jüngern bes<strong>ch</strong>loß, hat er ni<strong>ch</strong>t als das Pas<strong>ch</strong>amahl<br />

bezei<strong>ch</strong>net. Es s<strong>ch</strong>eint hier zwis<strong>ch</strong>en Matthäus und <strong>Johannes</strong> ein s<strong>ch</strong>wer zu erklärender<br />

Unters<strong>ch</strong>ied in ihrem Rückblick auf den Verlauf der Passionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

vorhanden zu sein. Der Blick des Evangelisten haftet ni<strong>ch</strong>t an den<br />

Nebenumständen, sondern an dem, was ihm bei der Erinnerung an jene Tage<br />

die Hauptsa<strong>ch</strong>e ist. 13,1: Vor dem Fest des Pas<strong>ch</strong>a aber, da Jesus wußte, daß<br />

seine Stunde gekommen war, aus dieser Welt weg zum Vater zu gehen, weil er<br />

die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte er sie vollständig. Daß<br />

Jesus mit Gewißheit auf sein nahendes Sterben sah und ebenso gewiß war, daß<br />

das Sterben für ihn ein Hinübergehen aus der Welt zum Vater sei, das bra<strong>ch</strong>te


17" . Jesus begründet seine Gemeinde<br />

in seine Liebe kein Erkalten; er gab ihr vielmehr dadur<strong>ch</strong> die Vollkommenheit,<br />

daß er sie den Seinen mit derselben Wahrheit und Kraft wie immer bis zuletzt<br />

erwies. "Weder die Bitterkeit dessen, was ihm die "Welt tat, no<strong>ch</strong> die Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

dessen, was er beim Vater in kurzem finden wird, zog ihn von den Jüngern<br />

weg. Versündigten si<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en an ihm, so entfremdete ihn das den<br />

Jüngern ni<strong>ch</strong>t; wußte er, daß er bald zum Vater erhöht werde, so ma<strong>ch</strong>te au<strong>ch</strong><br />

das sie ihm ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>gültig.<br />

„Die Seinigen in der Welt", damit zeigt" <strong>Johannes</strong> auf die Trennung hin, die<br />

zwis<strong>ch</strong>en ihnen eintrat entspre<strong>ch</strong>end dem wesenhaften Unters<strong>ch</strong>ied, der immer<br />

zwis<strong>ch</strong>en ihm und ihnen bestand. Er ging hinüber aus dieser Welt weg zum<br />

Vater, und sie waren in dieser Welt und konnten ni<strong>ch</strong>t mit ihm gehen. Aber<br />

seine Liebe a<strong>ch</strong>tete diese Trennung ni<strong>ch</strong>t. Au<strong>ch</strong> beim S<strong>ch</strong>eiden von der Welt<br />

blieb er denen, die in der Welt ihren Weg fortzusetzen hatten, verbunden und<br />

s<strong>ch</strong>ätzte sie als die Seinigen. <strong>Johannes</strong> hat damit das Größte und Ganze ausgespro<strong>ch</strong>en,<br />

was ihm bei Jesus zuteil geworden ist. Daß er ihnen au<strong>ch</strong> auf dem<br />

Kreuzesweg und bei seinem S<strong>ch</strong>eiden von der Welt seine Liebe offenkundig<br />

gab, das bedeutet für sie den offenen Himmel, Versöhnung mit Gott, Erhöhung<br />

in das ewige Leben. Mehr bedarf er und mehr su<strong>ch</strong>t er ni<strong>ch</strong>t als Jesu vollkommene<br />

Liebe, und diese haben sie empfangen in offenkundiger Deutli<strong>ch</strong>keit.<br />

13,2—5: Und als das Mahl stattfand, während der Verkläger s<strong>ch</strong>on in das<br />

Herz des Judas, des Sohnes des Simon des Iskarioten, gelegt hatte, daß er ihn<br />

überantworten wolle, weil er wußte, daß der Vater alles ihm in seine Hände<br />

gegeben hatte und daß er von Gott ausging und zu Gott hingeht, steht er vom<br />

Mahl auf, legt die oberen Gewänder ab, nahm ein linnenes Tu<strong>ch</strong> und band es<br />

si<strong>ch</strong> um. Dann gießt er Wasser-in das Was<strong>ch</strong>gefäß und fing an, die Füße der<br />

Jünger zu was<strong>ch</strong>en und mit dem linnenen Tu<strong>ch</strong> abzuwis<strong>ch</strong>en, das er si<strong>ch</strong> umgebunden<br />

hatte. Für die Tat Jesu, die <strong>Johannes</strong> vor das letzte Wort Jesu an<br />

die Jünger stellt, sollen wir einmal bea<strong>ch</strong>ten, daß der Verrat s<strong>ch</strong>on bes<strong>ch</strong>lossen<br />

war. Judas hatte s<strong>ch</strong>on den Willen, Jesus den Obersten auszuliefern. Der Teufel<br />

hatte ihn ihm ins Herz gelegt, sagt <strong>Johannes</strong>, damit wir ni<strong>ch</strong>t nur an das<br />

ra<strong>ch</strong>sü<strong>ch</strong>tige Mens<strong>ch</strong>enherz und seine Bosheit denken, sondern uns der Kampf<br />

Jesu mit dem Fürsten der Welt gegenwärtig sei. <strong>Das</strong> andere, woran er uns erinnert,<br />

ist das königli<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>tbewußtsein Jesu, daß er si<strong>ch</strong> alles untergeben<br />

sah und Rei<strong>ch</strong> und Herrli<strong>ch</strong>keit sein eigen hieß, weil er von Gott ausgegangen<br />

ist und zu Gott zurückkehrt. Er hat jetzt seinen irdis<strong>ch</strong>en Lebenslauf in der<br />

unges<strong>ch</strong>iedenen Einheit mit dem Vater vollbra<strong>ch</strong>t; nun ist er für immer der<br />

Herr aller Dinge geworden und tritt jetzt, so gewiß er zu Gott geht, au<strong>ch</strong> in<br />

den Genuß seines königli<strong>ch</strong>en Regiments. Daran sollen wir denken, wenn si<strong>ch</strong>


* <strong>Johannes</strong> 13,2—8 b 177<br />

Jesus jetzt wie ein Kne<strong>ch</strong>t rüstet, das Was<strong>ch</strong>becken füllt und den Jüngern die<br />

Füße wäs<strong>ch</strong>t. Er, der über alles Erhöhte, der seinen Ausgang und sein Ziel in<br />

Gott hat, handelt wie ein Dienender an den Seinigen und wus<strong>ch</strong> den Staub<br />

und S<strong>ch</strong>mutz von ihren Füßen ab. Und das tat er dann, als sein Verrat bereits<br />

bes<strong>ch</strong>lossen war, die Bosheit und Lüge vor seinen Augen hervortrat und er<br />

dur<strong>ch</strong> den eigenen Jünger litt; denno<strong>ch</strong> wus<strong>ch</strong> er sie, au<strong>ch</strong> die Füße seines Verräters.<br />

Petrus sträubte si<strong>ch</strong> gegen Jesu Erniedrigung. 13,6.7: Nun kommt er zu<br />

Simon Petrus. Er sagt zu ihm: Herr, du willst meine Füße was<strong>ch</strong>en? Jesus antwortete<br />

und spra<strong>ch</strong> zu ihm: Was i<strong>ch</strong> tue, weißt du jetzt ni<strong>ch</strong>t; du wirst es aber<br />

her<strong>na<strong>ch</strong></strong> verstehen. Später wird er erkennen, was ihm Jesus mit dieser "Was<strong>ch</strong>ung<br />

gab, dann, wenn ihm sein eigener Fall für immer seine S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e und Sünde<br />

erkennbar gema<strong>ch</strong>t hat, wenn er au<strong>ch</strong> dieGröße derS<strong>ch</strong>uld, die auf der Mens<strong>ch</strong>heit<br />

liegt, am Kreuze Jesu enthüllt sieht, dann, wenn er Jesu Dienen und Vergeben<br />

bis zum S<strong>ch</strong>luß miterlebt hat und die Fru<strong>ch</strong>t des Kreuzes ihm si<strong>ch</strong>tbar<br />

wird, weil Jesu himmlis<strong>ch</strong>e Herrli<strong>ch</strong>keit über ihm steht und er die versöhnende<br />

Gnade seines Todes in ihrer Fülle und Ma<strong>ch</strong>t erfährt; dann wird er es begreifen,<br />

warum Jesus, als er von ihnen s<strong>ch</strong>ied, ihnen seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihnen<br />

dadur<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>rieben und erwiesen hat, daß er sie wus<strong>ch</strong>. Solange er Jesu Dienen<br />

und Vergeben Tag um Tag vor Augen hatte und genoß, ermaß er es no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t,<br />

was dasselbe in si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließt. Die Gewöhnung ma<strong>ch</strong>te sein Auge stumpf, wenn<br />

es ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> einen besonders auffallenden Erweis seiner Dienstwilligkeit aufgeweckt<br />

wurde wie jetzt dur<strong>ch</strong> die Fußwas<strong>ch</strong>ung. Dann fährt er auf und spürt<br />

die Größe sol<strong>ch</strong>en Sinns und den Ernst sol<strong>ch</strong>en Opfers und stößt si<strong>ch</strong> daran, als<br />

läge in dieser besonderen Erniedrigung eine besondere S<strong>ch</strong>were, während Jesus<br />

den Jüngern damit do<strong>ch</strong> nur das zeigte, was er ihnen beständig tat und was er<br />

in der hö<strong>ch</strong>sten Spannung seiner Kraft mit der Kreuzestat ihnen erweist.<br />

13,8a: Petrus sagt zu ihm: Niemals sollst du meine Füße was<strong>ch</strong>en. Er will<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf den späteren Aufs<strong>ch</strong>luß verweisen lassen, sondern empfindet es<br />

als unerträgli<strong>ch</strong>, daß Jesus si<strong>ch</strong> jetzt so tief seinetwegen beuge. 13,8b: Jesus<br />

antwortete ihm: Wenn i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t was<strong>ch</strong>e, hast du keinen Anteil mit mir.<br />

Dann sind wir ges<strong>ch</strong>ieden, und das Band der Gemeins<strong>ch</strong>aft ist gelöst; so bekommst<br />

du ni<strong>ch</strong>ts von dem, was mir gegeben werden wird. Verbunden ist ihm<br />

der Jünger, und sei es au<strong>ch</strong> Petrus mit all seiner aufri<strong>ch</strong>tigen Liebe, wie er sie<br />

eben jetzt wieder zum Ausdruck bringt, do<strong>ch</strong> nur dadur<strong>ch</strong>, daß ihm Jesus in<br />

der vollen Selbstverleugnung der vergebenden Liebe dient. "Will er keinen<br />

dienenden Herrn, so verliert er ihn ganz. Jesus kann ihn ni<strong>ch</strong>t zum Vater<br />

bringen, ni<strong>ch</strong>t mit si<strong>ch</strong> vor Gott stellen, er habe denn die "Was<strong>ch</strong>ung emp-


17^ Jesus begründet seine Gemeinde<br />

fangen, die ihm Jesus gibt. Au<strong>ch</strong> deshalb muß der Jünger die Entäußerung<br />

Jesu verstehen, damit er selber seinen ho<strong>ch</strong>fahrenden Sinn verliere und aus der<br />

Gnade Jesu seinen Willen ziehe. Fährt er selbst hoffärtig gegen andere in die<br />

Höhe, so wird er zum "Widersa<strong>ch</strong>er des Christus und dieser gegen ihn zum Anwalt<br />

und Rä<strong>ch</strong>er der von ihm Zertretenen. S<strong>ch</strong>eidung von Jesus war aber das,<br />

was Petrus als das größte Übel für<strong>ch</strong>tete. Darum greift er nun zu. 13,9: Simon<br />

Petrus sagt zu ihm: Herr, ni<strong>ch</strong>t bloß meine Füße, sondern au<strong>ch</strong> die Hände und<br />

den Kopf, damit sein Anteil an Jesus vollständig gesi<strong>ch</strong>ert sei.<br />

<strong>Das</strong> war es ni<strong>ch</strong>t, was Jesus meinte. Ni<strong>ch</strong>t an der Zahl der Glieder, die er<br />

wus<strong>ch</strong>, hängt die Bedeutung dessen, was er tut. 13,10: Jesus sagt zu ihm: Wer<br />

das Bad empfangen hat, bedarf außer der Was<strong>ch</strong>ung der Füße ni<strong>ch</strong>ts, sondern<br />

ist ganz rein,und ihr seid rein, jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t alle. Petrus soll ni<strong>ch</strong>t sagen:"Was<strong>ch</strong>e<br />

mi<strong>ch</strong>! Er ist rein, glei<strong>ch</strong>t dem, der das Bad empfangen hat, und ist zur Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

mit Jesus ges<strong>ch</strong>ickt gema<strong>ch</strong>t. Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> der Gebadete muß si<strong>ch</strong>, sowie er<br />

mit seinen bloßen oder nur mit den Sandalen bekleideten Füßen herumgeht,<br />

diese wieder was<strong>ch</strong>en. Ni<strong>ch</strong>t das will ihm Jesus mit der Fußwas<strong>ch</strong>ung zeigen,<br />

was ihn in seine Gemeins<strong>ch</strong>aft versetzt, da er seine ihn «rein ma<strong>ch</strong>ende Gabe<br />

empfangen hat, weil ihm vergeben ist; wohl aber will er ihm zeigen, was ihn<br />

in dieser Gemeins<strong>ch</strong>aft erhält, daß er deshalb bei Jesus bleibt, weil dieser stets<br />

si<strong>ch</strong> zu ihm niederbeugt, immer neu vergebend, unermüdli<strong>ch</strong> tragend, allzeit<br />

hilfsbereit, nie sein Dienen endend, gerade wie au<strong>ch</strong> für den Gebadeten das<br />

"Was<strong>ch</strong>becken nie entbehrli<strong>ch</strong> wird <strong>na<strong>ch</strong></strong> jedem Gang.<br />

Ni<strong>ch</strong>t alle seine Jünger sind rein. 13,11: Denn er kannte den, der ihn überantwortete;<br />

deshalb sagte er: Ihr seid ni<strong>ch</strong>t alle rein. Jetzt, als Jesus zu allen<br />

hinzutritt und si<strong>ch</strong> einem <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem anderen als den zeigt, der aus der Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

ihretwegen in die Kne<strong>ch</strong>tsgestalt getreten ist, empfindet er es s<strong>ch</strong>wer,<br />

daß er dem einen unter ihnen umsonst gedient hat und ihn ni<strong>ch</strong>t zu seinem<br />

Eigentum re<strong>ch</strong>nen darf, sondern ihn im Dienst des Teufels lassen muß. Er soll<br />

ni<strong>ch</strong>t glauben, daß sein beflecktes Herz voll Lüge, Haß und Eigennutz Jesus<br />

als rein ers<strong>ch</strong>eine: ni<strong>ch</strong>t alle sind rein.<br />

13,12—15: Als er nun ihre Füße gewas<strong>ch</strong>en und seine Kleider genommen und<br />

si<strong>ch</strong> wieder niedergelassen hatte, sagte er zu ihnen: Versteht ihr, was i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong><br />

getan habe? Ihr redet mi<strong>ch</strong> an: Lehrer und Herr, und habt re<strong>ch</strong>t; denn i<strong>ch</strong> bin<br />

es. Wenn nun i<strong>ch</strong>, der Herr und Lehrer, eure Füße gewas<strong>ch</strong>en habe, so seid<br />

au<strong>ch</strong> ihr s<strong>ch</strong>uldig, einander die Füße zu was<strong>ch</strong>en. Denn i<strong>ch</strong> gab eu<strong>ch</strong> ein Vorbild,<br />

damit au<strong>ch</strong> ihr tut, wie i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> getan habe. Als si<strong>ch</strong> Jesus wieder am Tis<strong>ch</strong><br />

niedergelegt hatte, sagte er den Jüngern: So handelte i<strong>ch</strong>, euer Herr und Lehrer,<br />

an eu<strong>ch</strong>; nun tut dasselbe aneinander! Er wollte ihnen ni<strong>ch</strong>t nur zeigen,


<strong>Johannes</strong> 13,9-17 I79<br />

was sie von ihm empfangen haben, sondern zuglei<strong>ch</strong>, was sie einander zu geben<br />

haben. Seine Gabe bestimmt ihren Dienst. Als sol<strong>ch</strong>e, die einander dienen, will<br />

er sie zurücklassen, als die, die einander zur Reinheit helfen. <strong>Das</strong> Bad, das sie<br />

ganz rein ma<strong>ch</strong>t, haben sie zwar empfangen; könnte ér ihnen ni<strong>ch</strong>t sagen: Ihr<br />

seid rein! so wäre ihr gegenseitiger Dienst nutzlos und unmögli<strong>ch</strong>. Die Hilfe,<br />

die sie einander gegenseitig erweisen, beruht darauf, daß sie in seiner alle<br />

S<strong>ch</strong>uld deckenden Gnade stehen und er für sie zum Lamm Gottes geworden ist,<br />

das ihre Sünde fortgetragen hat. Es gibt jedo<strong>ch</strong> in ihrer Gemeins<strong>ch</strong>aft miteinander<br />

immer wieder Anlaß zum gegenseitigen Dienst, zum Vergeben, Tragen,<br />

Aufri<strong>ch</strong>ten, Helfen, das den einen für den anderen zum S<strong>ch</strong>utz vor dem Bösen,<br />

zum Erwecker der Reue, zum Spender der Vergebung und zur Stütze im Stand<br />

der Gnade ma<strong>ch</strong>t, so daß der eine dem anderen das tun kann und muß, was<br />

ihnen Jesus jetzt tat, indem er ihnen die Füße wus<strong>ch</strong>. Dagegen sträubt si<strong>ch</strong> aber<br />

der Stolz der ho<strong>ch</strong>fahrenden Eigensu<strong>ch</strong>t, die ni<strong>ch</strong>t vergeben, ni<strong>ch</strong>t tragen, ni<strong>ch</strong>t<br />

heben will, sondern die anderen erniedrigt und belastet und beugt. I<strong>ch</strong> handelte<br />

so an eu<strong>ch</strong>, sagt ihnen Jesus, wieviel mehr ein jeder von eu<strong>ch</strong> am anderen.<br />

Ihr seid ni<strong>ch</strong>t die Lehrer und die Herren der arideren, einander viel mehr<br />

glei<strong>ch</strong>gestellt in derselben Sündigkeit und Bedürftigkeit. Ihr müßt vollends<br />

eu<strong>ch</strong> beugen können; denn da beugt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t der in Gott Entsprungene und<br />

über alles Herrs<strong>ch</strong>ende; sondern da beugt si<strong>ch</strong> in die Kne<strong>ch</strong>tsgestalt der, der<br />

selbst Kne<strong>ch</strong>t ist, ni<strong>ch</strong>t aber Herr, und selbst Bruder, ni<strong>ch</strong>t Meister ist.<br />

13,16.17: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Ein Kne<strong>ch</strong>t ist ni<strong>ch</strong>t größer als<br />

sein Herr und ein Bote ni<strong>ch</strong>t größer als der, der ihn sandte. Wenn ihr das wißt,<br />

so seid ihr selig, wenn ihr es tut. "Wollt ni<strong>ch</strong>t größer sein als i<strong>ch</strong>, mahnt er sie.<br />

Niemals kann es unter eurer Würde sein, zu tun, was i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> tat. Habe i<strong>ch</strong><br />

eu<strong>ch</strong> verziehen, so ist es ni<strong>ch</strong>t wider eure Ehre, daß ihr verzeiht. Habe i<strong>ch</strong> eure<br />

S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit getragen und mit freundli<strong>ch</strong>er, hilfrei<strong>ch</strong>er Hand eu<strong>ch</strong> gehoben,<br />

so seid ihr ni<strong>ch</strong>t zu groß, dasselbe einander zu tun. Da ihr wißt, daß ihr eu<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t über mi<strong>ch</strong> erheben könnt, daß i<strong>ch</strong> der Herr bin, ihr die Kne<strong>ch</strong>te, i<strong>ch</strong> der<br />

Sendende, ihr die Boten, so seid ihr dann selig, wenn ihr hier<strong>na<strong>ch</strong></strong> au<strong>ch</strong> handelt<br />

und in der Tat ni<strong>ch</strong>t zu groß, zu würdig und zu selbstgefällig seid für meinen<br />

Weg.<br />

Jesus hat damit die Grundbedingung ausgespro<strong>ch</strong>en, von der die Existenz<br />

jeder <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Gemeinde abhängt, sei sie groß oder klein, ob sie aus zweien<br />

oder dreien bestehe, die in seinem Namen verbunden sind, oder aus einer<br />

blühenden Kir<strong>ch</strong>e, die weithin dur<strong>ch</strong> die Völker wä<strong>ch</strong>st. Die Jünger hätten<br />

aufgehört, seine Gemeinde und seine Boten zu sein, hätten sie diesen Sinn Jesu,<br />

den er ihnen so kraftvoll mit seinem S<strong>ch</strong>urz und "Was<strong>ch</strong>becken darstellte, ni<strong>ch</strong>t


180 Jesus begründet seine Gemeinde<br />

mehr verstanden und ihm ni<strong>ch</strong>t mehr mit der Tat gehor<strong>ch</strong>t. Ebenso hört in<br />

jeder Zeit jeder auf, ein Christ zu sein, und jede Kir<strong>ch</strong>e auf, eine Kir<strong>ch</strong>e zu<br />

sein, wenn sie die Beugung Jesu in die Kne<strong>ch</strong>tsgestalt ni<strong>ch</strong>t wiederholt, sondern<br />

größer als er sein will.<br />

Weil diese "Worte vom Dienst des Jüngers, der in der Gnade Jesu den Grund<br />

und die Regel hat, handeln, ist ihnen no<strong>ch</strong>mals die Eins<strong>ch</strong>ränkung beigegeben.<br />

13,18a: I<strong>ch</strong> spre<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t von eu<strong>ch</strong> allen; i<strong>ch</strong> weiß, wel<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong> erwählte. So<br />

wenig alle rein sind, so wenig hat Jesus sie alle im Auge, wenn er von der Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

spri<strong>ch</strong>t, in die er die Seinen zueinander versetzt und in deren Erhaltung<br />

ihr Beruf nun besteht. Es gibt unter ihnen einen, der ni<strong>ch</strong>t so handeln<br />

will und ni<strong>ch</strong>t so handeln kann, wie es Jesu Worte soeben ihnen darstellten.<br />

Der Verrat konnte die Jünger besonders ers<strong>ch</strong>üttern und verwirren, weil er<br />

einen Vorwurf auf Jesus selber zu werfen s<strong>ch</strong>ien. Es sieht aus, als sei er hier<br />

selbst von der Bosheit überwunden und der Getäus<strong>ch</strong>te, dessen Hoffnungen<br />

zerfielen, der einen Mißgriff eingestehen müsse, da er den an si<strong>ch</strong> zog, der ihm<br />

s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> den Todesstoß gab. Jesus wehrte diesen Zweifel ab: I<strong>ch</strong> weiß,<br />

wel<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong> erwählte. Der Verräter gehört, obwohl er bis zur Stunde im Jüngerkreis<br />

steht, ni<strong>ch</strong>t zu ihnen. "Warum er ihn denno<strong>ch</strong> bei si<strong>ch</strong> aufnahm und trug<br />

und erst jetzt ihn so ans li<strong>ch</strong>t drängte, daß ihm der Aufenthalt bei Jesus unerträgli<strong>ch</strong><br />

wird, deutet Jesus mit dem "Wort an 13,18b: Aber damit der Spru<strong>ch</strong><br />

erfüllt werde: Der, der mein Brot aß, erhob seine Ferse gegen mi<strong>ch</strong> (Ps. 41,10).<br />

Jesus sah si<strong>ch</strong> inwendig gehindert, den Verräter von si<strong>ch</strong> zu tun, ehe der Verrat<br />

vollendet war. S<strong>ch</strong>riftworte wie das angeführte sind für ihn ges<strong>ch</strong>rieben.<br />

Er muß au<strong>ch</strong> diese Bosheit leiden und es tragen, daß der Genosse seines Mahls<br />

ihm den Fußtritt gibt. Damit sind freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t alle Fragen beantwortet, die<br />

im Blick auf den Verräter an uns herantreten und die s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> die tiefsten<br />

"Wunder der göttli<strong>ch</strong>en "Weltregierung in ihrer Verbindung von Gnade und<br />

Geri<strong>ch</strong>t berühren. Nur das eine spri<strong>ch</strong>t Jesus den Jüngern und dem Verräter<br />

aus, daß es für ihn eine Tat des Gehorsams war, daß er ihn trug. Des Vaters<br />

wegen in der Beugung unter das, was ihm als göttli<strong>ch</strong>er "Wille gewiß war, hat<br />

er Judas bei si<strong>ch</strong> gehabt.<br />

13,19: Von jetzt an sage icJj es eu<strong>ch</strong>, ehe es ges<strong>ch</strong>ah, damit ihr, wenn es ges<strong>ch</strong>ieht,<br />

glaubt, daß i<strong>ch</strong> bin. Dur<strong>ch</strong> die Klarheit seines dur<strong>ch</strong>dringenden Blicks<br />

stellt er si<strong>ch</strong> siegrei<strong>ch</strong> über den Verräter, ni<strong>ch</strong>t betrogen von ihm, ni<strong>ch</strong>t besiegt<br />

dur<strong>ch</strong> seine List. <strong>Das</strong> war für die Jünger eine starke Hilfe und wehrte die Anfe<strong>ch</strong>tung<br />

ab, die sie wegen des Verrats ers<strong>ch</strong>üttern konnte. Alles, was sie von<br />

Jesus empfangen hatten, hatte Judas au<strong>ch</strong> gehabt. <strong>Das</strong>selbe "Wort und "Werk<br />

Jesu ma<strong>ch</strong>te sie gläubig, Judas ungläubig und trieb sie zur Liebe, ihn zum Haß;


<strong>Johannes</strong> 13,i8 a—22 l8l<br />

war der Grund ihres Glaubens und ihrer Liebe fest und wahr? Glaubt, daß ià<br />

bin, sagt ihnen Jesus wie einst den Juden; glaubt dem, was ihr an mir gesehen<br />

und erlebt habt, dem, was mein Wort und Name eu<strong>ch</strong> sagen. I<strong>ch</strong> bin keine<br />

Täus<strong>ch</strong>ung, kein zerrinnender Traum, sondern Leben und Wahrheit; haltet<br />

fest an mir!<br />

Na<strong>ch</strong>dem der Kreis der Jünger auf die bes<strong>ch</strong>ränkt war, die ihm im Glauben<br />

verbunden sind, ma<strong>ch</strong>t ihnen Jesus deutli<strong>ch</strong>, wie groß und herrli<strong>ch</strong> ihr Dienst<br />

sein wird. 13,20: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage euào; Wer dann, wenn i<strong>ch</strong> jemand<br />

sende, ihn aufnimmt, der nimmt mi<strong>ch</strong> auf. Wer aber mi<strong>ch</strong> aufnimmt,<br />

nimmt den auf, der mi<strong>ch</strong> gesandt hat. Weil er si<strong>ch</strong> völlig und bleibend zu ihnen<br />

hält, entsteht dur<strong>ch</strong> sie für viele die Gelegenheit, in eine lebendige Beziehung<br />

zu Jesus zu treten, und damit die Gelegenheit zum e<strong>ch</strong>ten, wirksamen Gottesdienst.<br />

Darauf, daß mit den Jüngern Jesus, mit Jesus der Vater aufgenommen<br />

wird, beruht die Größe des apostolis<strong>ch</strong>en Wortes und Werkes; es gewährt den<br />

Mens<strong>ch</strong>en die Mögli<strong>ch</strong>keit, Jesus aufzunehmen und ihm Glauben und liebe zu<br />

erweisen, obwohl er selbst ni<strong>ch</strong>t mehr bei ihnen ist.<br />

Kapitel 13,21—30 .<br />

Jesus stößt den Verräter aus<br />

Jesus hatte s<strong>ch</strong>on bisher io deutli<strong>ch</strong> vom Verrat gespro<strong>ch</strong>en, daß Judas wissen<br />

mußte, Jesus kenne ihn. Er hielt si<strong>ch</strong> aber, solange er konnte, im Kreis der<br />

Jünger. Nun kam der Augenblick, in dem Jesus ihn nötigte zu gehen. 13,21:<br />

Als Jesus das gesagt hatte, wurde er im Geist ers<strong>ch</strong>üttert, und er zeugte und<br />

spra<strong>ch</strong>: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>; Einer aus eu<strong>ch</strong> wird mi<strong>ch</strong> überantworten.<br />

Jesus empfand die S<strong>ch</strong>were dieses Wortes mit voller Klarheit und ging<br />

selbst dabei dur<strong>ch</strong> einen inneren Kampf hindur<strong>ch</strong>. Es war ja eine mit dem<br />

Ernst der Ewigkeit erfüllte Geri<strong>ch</strong>tstat, als er den Verräter ausstieß, zuglei<strong>ch</strong><br />

der Moment, in dem er si<strong>ch</strong> mit voller Freiheit unmittelbar dem Kreuz zuwendete.<br />

Au<strong>ch</strong> <strong>Johannes</strong> erzählt wie Matthäus, daß Jesus ni<strong>ch</strong>t sofort den Namen<br />

nannte, sondern nur sägte: Einer unter eu<strong>ch</strong>! Wie ihm die s<strong>ch</strong>weren Worte<br />

gegen Israel ni<strong>ch</strong>t ras<strong>ch</strong> über die Lippen flogen, sondern ihm dur<strong>ch</strong> Israels<br />

Trotz langsam abgerungen wurden, so spra<strong>ch</strong> er au<strong>ch</strong> jetzt ni<strong>ch</strong>t in ras<strong>ch</strong>er Eile<br />

über Judas den Urteilsspru<strong>ch</strong>, sondern gab ihm no<strong>ch</strong> eine Frist und erwies die<br />

Gere<strong>ch</strong>tigkeit seines Urteils dadur<strong>ch</strong>, daß si<strong>ch</strong> Judas mit vollendetem Lügen<br />

und hart gewordenem Trotz beharrli<strong>ch</strong> ihm widersetzte. Der ganze Jüngerkreis<br />

kam dadur<strong>ch</strong> in tiefe Bestürzung. 13,22: Die Jünger sahen einander an in


I ^ 2 Jesus stößt den Verräter aus<br />

Angst, von wem er spre<strong>ch</strong>e. Für die Jünger war der Verräter unerkennbar geblieben.<br />

Er hatte die Heu<strong>ch</strong>elei so ges<strong>ch</strong>ickt betrieben, daß er si<strong>ch</strong> vor den Jüngern<br />

versteckt hatte; nur vor Jesus verbarg ihn ni<strong>ch</strong>ts.<br />

Von nun an hebt <strong>Johannes</strong> wieder deutli<strong>ch</strong>er seinen eigenen Anteil an den<br />

Ereignissen heraus. Seit jenem ersten Tage seiner Jüngers<strong>ch</strong>aft, seit er vom<br />

Täufer zu Jesus ging, hat er uns ni<strong>ch</strong>ts mehr von si<strong>ch</strong> selbst erzählt. Jetzt aber,<br />

da er uns das Leiden Jesu zeigt, deutet er an, in wel<strong>ch</strong>er Weise er selbst den<br />

Kreuzesweg mit Jesus gegangen und der Zeuge seines Leidens geworden ist.<br />

Denn darauf, daß er von Anfang an bei Jesus war und daß er am Kreuze bei<br />

ihm stand, beruht sein Apostelamt.<br />

13,23: Einer von seinen Jüngern hatte seinen Platz an der Brust Jesu, der,<br />

den Jesus lieb hatte. Da er auf dem Polster di<strong>ch</strong>t neben Jesus lag, war er derjenige<br />

unter den Jüngern, der allein unbemerkt und leise mit ihm spre<strong>ch</strong>en<br />

konnte. Do<strong>ch</strong> wagte au<strong>ch</strong> er ni<strong>ch</strong>t, so wenig als die anderen, die Lösung des<br />

dunklen Geheimnisses anzubahnen und die bange Ungewißheit zu heben, die<br />

auf allen lag. Dazu hatte nur Petrus den Mut. 13,24: Nun winkt diesem Simon<br />

Petrus und sagt zu ihm: Sage, wer der ist, von dem er spri<strong>ch</strong>t. Au<strong>ch</strong> Petrus<br />

wagte ni<strong>ch</strong>t, laut zu fragen, wer es sei. Er nahm aber an, <strong>Johannes</strong> habe s<strong>ch</strong>on<br />

leise mit Jesus über den Verräter gespro<strong>ch</strong>en, und gibt ihm einen Wink, daß<br />

er ihn au<strong>ch</strong> ihm zeige. Nun erst ents<strong>ch</strong>loß si<strong>ch</strong> <strong>Johannes</strong>, die dur<strong>ch</strong> seinen Platz<br />

ihm gegebene Gelegenheit zu benutzen und Jesu Geheimnis zu erfragen. 13,25:<br />

Er legte si<strong>ch</strong> so, wie er war, an die Brust Jesu und sagt zu ihm: Herr, wer ist es?<br />

Jesus nennt ihm ni<strong>ch</strong>t den Namen, gibt ihm aber dur<strong>ch</strong> ein Zei<strong>ch</strong>en die Antwort.<br />

13,26a: Nun antwortet Jesus: Der ist es, für den i<strong>ch</strong> den Bissen eintau<strong>ch</strong>e<br />

und dem i<strong>ch</strong> ihn gebe. Jesus verwaltete das Hausvateramt. Brote lagen mit der<br />

S<strong>ch</strong>üssel, in die sie eingetunkt wurden, auf dem kleinen Tis<strong>ch</strong> vor ihm. Ringsum<br />

waren die Jünger gelagert, und er rei<strong>ch</strong>te jedem die Speisen. Dieses Mal<br />

rei<strong>ch</strong>te er das Stück Judas. Dieser nahm es aus Jesu Hand, innerli<strong>ch</strong> hart und<br />

trotzig, das Letzte, was er von Jesus empfing, seinen Urteilsspru<strong>ch</strong>. 13,2611.273:<br />

Na<strong>ch</strong>dem er nun den Bissen eingetau<strong>ch</strong>t hatte, nimmt er ihn und gibt ihn Judas,<br />

dem Sohne Simons des Iskarioten. Und <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Bissen, da ging der Satan in<br />

ihm ein. Erst als Jesus ihn aufgegeben hat, fällt er völlig der Gewalt des Feindes<br />

anheim. Au<strong>ch</strong> hier blieb dieser ohnmä<strong>ch</strong>tig, bis Jesus das Urteil gespro<strong>ch</strong>en,<br />

das Band, das den Jünger mit ihm verband, selbst gelöst und ihn von si<strong>ch</strong> gewiesen<br />

hat. In seinem Herzen hatte Judas den Willen s<strong>ch</strong>on früher empfangen,<br />

vgl. V. 2, der <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu Tod verlangte und selbst dazu mitzuwirken ents<strong>ch</strong>lossen<br />

war. Davon unters<strong>ch</strong>eidet <strong>Johannes</strong> aber den Augenblick, in dem er mit


<strong>Johannes</strong> 13,23-31 185<br />

seiner ganzen Person dem Satan anheimfiel, im Willen und Ges<strong>ch</strong>ick von nun<br />

an mit ihm eins.<br />

Jesus heißt ihn ohne Zaudern handeln. 13,27b: Nun sagt Jesus zu ihm: Was<br />

du tust, tue ras<strong>ch</strong>er! Er soll wissen, daß ihm au<strong>ch</strong> zum Verrat ni<strong>ch</strong>t ohne Jesu<br />

eigenen Willen Raum gegeben ist. Weil Jesus au<strong>ch</strong> jetzt in seiner königli<strong>ch</strong>en<br />

Freiheit bleibt, willig ins Leiden gebeugt, darum au<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>lossen, den Verräter<br />

ni<strong>ch</strong>t zu hindern, gibt er ihm selbst die "Weisung: Nun ans Werk!<br />

Jesu Wort war nur Judas und <strong>Johannes</strong> verständli<strong>ch</strong>, während die anderen<br />

seine tiefe Bedeutung ni<strong>ch</strong>t errieten. 13,28. 29: <strong>Das</strong> verstand aber keiner von<br />

denen, die am Tis<strong>ch</strong>e lagen, wozu er ihm dies gesagt hatte. Denn einige meinten,<br />

da Judas das Geldkäst<strong>ch</strong>en hatte, Jesus sage ihm: Kaufe, was wir nötig<br />

haben für das Fest, oder daß er den Armen etwas geben solle. Da Judas die<br />

Gelder verwaltete, konnte man<strong>ch</strong>es eine sol<strong>ch</strong>e Weisung Jesu veranlassen, z.B.<br />

die Besorgung der Dinge, die zum Feste nötig waren, an dem man bei der<br />

Menge der Pilger und der Strenge der Sabbatfeier re<strong>ch</strong>tzeitig für den Einkauf<br />

der Lebensmittel sorgen mußte, oder der Wuns<strong>ch</strong> Jesu, daß eine Gabe an Arme<br />

ohne Zögerung besorgt werde. Judas dagegen sah, daß er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr in<br />

der Gegenwart Jesu halten konnte. 13,30: Jener ging nun, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er den<br />

Bissen genommen hatte, sofort hinauf; es war aber Na<strong>ch</strong>t, und diese brau<strong>ch</strong>te<br />

er zu seiner Tat. Da er bis zum S<strong>ch</strong>luß, au<strong>ch</strong> in Gethsemane, ni<strong>ch</strong>t als Verräter<br />

kenntli<strong>ch</strong> sein wollte, zum deutli<strong>ch</strong>en Zei<strong>ch</strong>en, daß er die Fur<strong>ch</strong>t quälend in<br />

si<strong>ch</strong> trug und darum auf die Verstellung ni<strong>ch</strong>t verzi<strong>ch</strong>ten mo<strong>ch</strong>te, hätte er es<br />

ni<strong>ch</strong>t gewagt, die Bewaffneten am Tage zu führen. Aber es war Na<strong>ch</strong>t, die<br />

ri<strong>ch</strong>tige Stunde für das, was er im Sinne hatte, au<strong>ch</strong> das spre<strong>ch</strong>ende Bild für<br />

das, was er wählte und si<strong>ch</strong> bereitete, als er von Jesus s<strong>ch</strong>ied. Er wandelte im<br />

Finsteren und wußte ni<strong>ch</strong>t, wohin er ging.<br />

Kapitel 13,31—16,33<br />

Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden ,<br />

13,31: Als er nun weggegangen war, sagt Jesus: Jetzt wurde der Sohn des<br />

Mens<strong>ch</strong>en verklärt, und Gott wurde verklärt in ihm. Jesus wußte, daß si<strong>ch</strong><br />

Judas nun zu den Hohenpriestern begab und si<strong>ch</strong> bereit erklärte, ihren Kne<strong>ch</strong>ten<br />

sofort als Führer zu dienen, damit sie Jesus heimli<strong>ch</strong> überfallen könnten.<br />

Darum sagt er, daß ihm jetzt die Herrli<strong>ch</strong>keit verliehen sei. Der Kampf ist<br />

beendet, die Last von ihm genommen; er hat überwunden und die Heilstat getan.<br />

Frei und stark hat er den S<strong>ch</strong>ritt vollzogen, der ihn nun mit ras<strong>ch</strong>em Fortgang<br />

der Ereignisse ans Ende bringt. Der Verräter ist s<strong>ch</strong>on unterwegs; er selbst


184 Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

hat ihn gehen geheißen. Dodi ni<strong>ch</strong>t Judas hat gewonnen, obwohl er si<strong>ch</strong> gegen<br />

ihn hart gema<strong>ch</strong>t hat, und ni<strong>ch</strong>t der Teufel den Sieg behalten, obwohl er Judas<br />

zum Diener gewann; sondern dem Mens<strong>ch</strong>ensohn ist die Herrli<strong>ch</strong>keit gewährt;<br />

"denn daß er aufre<strong>ch</strong>t und stark auf die Kreuzesbahn getreten ist, das ist seine<br />

Verherrli<strong>ch</strong>ung. Er hat Gott mit der Tat die Ehre gegeben, Leib und Leben vor<br />

ihm niedergelegt, ihn allein vor Augen gehabt und ihm das Opfer des vollkommenen<br />

Gehorsams gebra<strong>ch</strong>t. Eine andere Herrli<strong>ch</strong>keit hat Jesus auf Erden<br />

ni<strong>ch</strong>t für si<strong>ch</strong> begehrt. Er spra<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> jetzt mit dem dankbaren Sinn des Sohnes,<br />

der si<strong>ch</strong> allein vom Vater geleitet und begabt weiß, hob si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst in die<br />

Höhe und sagte ni<strong>ch</strong>t: I<strong>ch</strong> habe mi<strong>ch</strong> verherrli<strong>ch</strong>t, sondern: I<strong>ch</strong> bin verklärt<br />

worden; denn der Vater gab ihm die Kraft und hat ihn zum Uberwinder gema<strong>ch</strong>t.<br />

Seine Freude ist ihm au<strong>ch</strong> jetzt ni<strong>ch</strong>t erlos<strong>ch</strong>en; viehnehr liegt in dem,<br />

was ges<strong>ch</strong>ehen war, für ihn eine große Seligkeit. Denn Gottes Größe strahlt<br />

jetzt hervor, die Größe seiner Gnade, die si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dieser Welt s<strong>ch</strong>enkt, in der<br />

seinem Sohne das Kreuz erri<strong>ch</strong>tet wird, die Größe seines Geri<strong>ch</strong>ts, das die<br />

Sünde ins Gefängnis ihrer Finsternis und Bosheit vers<strong>ch</strong>ließt, die Größe seiner<br />

Ma<strong>ch</strong>t, die au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Kreuz und Tod hindur<strong>ch</strong> ihr "Werk vollführt. Daran<br />

freut si<strong>ch</strong> Jesu Liebe; was wollte er anderes, als daß Gott verherrli<strong>ch</strong>t werde.<br />

Darum hat au<strong>ch</strong> seine Hoffnung Gewißheit. Aus dem, was ges<strong>ch</strong>ehen ist,<br />

ergibt si<strong>ch</strong>, was ges<strong>ch</strong>ehen wird. 13,32: Wenn Gott in ihm verklärt wurde,<br />

wird au<strong>ch</strong> Gott ihn in si<strong>ch</strong> verklären, und er wird ihn sofort verklären. Der<br />

Dank des Vaters bleibt ni<strong>ch</strong>t aus, und seine Liebe versäumt es ni<strong>ch</strong>t, ihm so si<strong>ch</strong><br />

zu erweisen, wie es zur Liebe des Sohnes paßt. Au<strong>ch</strong> wird sie hierbei ni<strong>ch</strong>t<br />

zögern; sofort wird ihn Gott zu si<strong>ch</strong> nehmen und ihm bei si<strong>ch</strong> den Ort geben<br />

in seiner unergründli<strong>ch</strong>en Herrli<strong>ch</strong>keit.<br />

So ist sein eigenes Los lauter Herrli<strong>ch</strong>keit, Dank und Freude. Aber die<br />

Jünger! Ihnen geht es nun freili<strong>ch</strong> wie den Juden; die Trennung tritt ein, und<br />

ihr Verlangen <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm wird stark werden, ohne daß ihm jetzt Erhörung zuteil<br />

werden kann. 13,33: Kindlein, i<strong>ch</strong> bin no<strong>ch</strong> eine kurze Zeit hei eu<strong>ch</strong>. Ihr<br />

werdet mi<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>en, und wie i<strong>ch</strong> zu den Juden sagte: Dahin, wohin i<strong>ch</strong> gehe,<br />

könnt ihr ni<strong>ch</strong>t kommen, so sage i<strong>ch</strong> es jetzt au<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>.<br />

Da er sie allein zurückläßt, gibt er ihnen sein Gebot, das ihnen sagt, worin<br />

ihr Dienst für ihn besteht. 13,34: Ein neues Gebot geh i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>, daß ihr einander<br />

liebt, wie i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> geliebt habe, damit au<strong>ch</strong> ihr einander liebt. Er gebietet<br />

ihnen ni<strong>ch</strong>t vielerlei, nennt ihnen ni<strong>ch</strong>t eine lange Reihe von "Werken, die sie<br />

von nun an für ihn zu tun hätten, gibt ihnen viehnehr ein einziges Gebot, für<br />

alle dasselbe: einander liebzuhaben. Ni<strong>ch</strong>ts als das! ein töri<strong>ch</strong>ter Gedanke,<br />

wenn wir so sprä<strong>ch</strong>en. Denn mehr als irgend etwas, was er hätte nennen kön-


<strong>Johannes</strong> 13,32-34 * l8 î<br />

nen, ist dies ein Beruf, der das ganze Leben umspannt, alle Kraft fordert,<br />

immer uns begleitet und nie abgetan ist, sondern mit immer neuem Antrieb<br />

Herz und Willen, Wort und Tat in Bewegung setzt.<br />

Jesus ma<strong>ch</strong>t ihnen an dem, was er ihnen selber tat, deutli<strong>ch</strong>, warum er das<br />

und ni<strong>ch</strong>ts anderes von ihnen verlangte. Dem entspri<strong>ch</strong>t das, was er nun als<br />

ihren Dienst ihnen anbefiehlt, wie er es ihnen s<strong>ch</strong>on dur<strong>ch</strong> das Zei<strong>ch</strong>en, das er<br />

ihnen gab, dur<strong>ch</strong> die Fußwas<strong>ch</strong>ung, erläutert hat. Sie haben in ihrem Teil fortzusetzen,<br />

was er ihnen tat, sollen einander so ansehen, wie sie Jesus ansah, und<br />

einander als die behandeln, denen Jesu liebe gehört. Von Haus aus gingen die<br />

Jünger einander ni<strong>ch</strong>ts an; der eine war aus Bethsaida, der andere aus Kana,<br />

der dritte aus einem dritten Ort; der eine war früher Zöllner, der andere Zelot<br />

gewesen. Was sie verband, war, daß Jesus ihnen allen seine Liebe gegeben<br />

hatte. Dies tat er aber dazu, um sie au<strong>ch</strong> in ihnen zu erwecken; darum vergab<br />

er ihnen, damit sie vergeben, half ihnen, damit sie helfen lernen, und nahm sie<br />

zu si<strong>ch</strong>, um sie untereinander zu verbinden, alle Zertrennung zwis<strong>ch</strong>en ihnen<br />

wegzuheben und die Gemeins<strong>ch</strong>aft zwis<strong>ch</strong>en ihnen zu s<strong>ch</strong>affen, in der einer für<br />

den anderen lebt.<br />

Er heißt das ein neues Gebot, das ihnen niemand geben konnte als er. Dur<strong>ch</strong><br />

ihn ist für die Jünger alles neu geworden, sowohl ihr Anteil an Gott als ihre<br />

Verbundenheit miteinander. Neu ist für sie ihre Versetzung in Gottes Gnade,<br />

neu darum au<strong>ch</strong> das Gebot, das ihnen jetzt kundtut, worin ihr Dienst Gottes<br />

bestehen muß. Neu ist au<strong>ch</strong> ihre Gemeins<strong>ch</strong>aft miteinander ¿ Sie ist dur<strong>ch</strong> Jesus<br />

ges<strong>ch</strong>affen. Auf seiner Gnade beruht ihre Liebe, auf seinem Vergeben ihre Geduld,<br />

auf seinem Wort ihre Eintra<strong>ch</strong>t im Denken und Handeln, auf seiner Verheißung<br />

ihre Hoffnung füreinander. Au<strong>ch</strong> er selbst hat ihnen sein Gebot bisher<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in dieser Weise gegeben, sondern gibt es ihnen erst jetzt neu. Die<br />

Stellung und Aufgabe der Jünger wurde ja dur<strong>ch</strong> seinen Weggang völlig neu.<br />

Daß sie ni<strong>ch</strong>t miteinander streiten, einander ni<strong>ch</strong>t beneiden und hassen, sondern<br />

liebhaben sollten, war ihnen freili<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on bisher dur<strong>ch</strong> ihr Gewissen vorges<strong>ch</strong>rieben,<br />

dur<strong>ch</strong> das Gesetz als heiliger Wille Gottes anbefohlen und dur<strong>ch</strong><br />

Jesu ganzen Unterri<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t. Allein bisher war es Jesus selbst, der<br />

ihren Kreis zusammenhielt, auf jeden unter ihnen a<strong>ch</strong>tgab, für sie sorgte, alles<br />

wegnahm, was sie trennen konnte, und eines jeden Herz und Willen zum anderen<br />

hinwandte. Nun müssen sie selbst einander lieben; deswegen, weil ihr<br />

Kreis das Haupt verliert, das alle verband und leitete, darf er ni<strong>ch</strong>t auseinanderfallen.<br />

Er hat sie dazu liebgehabt, damit sie beieinander bleiben und füreinander<br />

leben, und gibt ihnen deshalb jetzt, da er seine Liebe an ihnen voll-


186 Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

endet hat, dies als sein neues Gebot, das von jetzt an für sie in Kraft tritt, daß<br />

jetzt sie einander lieben.<br />

Genügen sie dadur<strong>ch</strong> ihrem Apostelamt? Jesu Auftrag s<strong>ch</strong>eint dieses ganz zu<br />

vergessen, da er ni<strong>ch</strong>t von ihren Amtspfli<strong>ch</strong>ten und ihrem Missionsberuf redet,<br />

sondern nur von ihrer persönli<strong>ch</strong>en Verpfli<strong>ch</strong>tung gegeneinander, davon, wie<br />

sie si<strong>ch</strong> stets mit Herz und Willen zueinander stellen und aneinander handeln.<br />

Und do<strong>ch</strong> ist der Jünger au<strong>ch</strong> dem Meister verpfli<strong>ch</strong>tet, hat ihn zu verkündigen,<br />

seinen Namen zu preisen und für ihn zu werben. Allein dies soll dadur<strong>ch</strong><br />

ges<strong>ch</strong>ehen, daß de einander liebhaben. 13,35: Daran werden alle erkennen, daß<br />

ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe zueinander habt. Die verbundene Gemeinde,<br />

in der jeder dem anderen dient, einer für den anderen sorgt und eine<br />

einträ<strong>ch</strong>tige Liebe alle umfängt, ist die einzige <strong>Offenbarung</strong> seines Amts und<br />

seiner Größe, die Jesus anerkennt. "Wenn ihnen die liebe verloren ginge, wäre<br />

ihr Apostelberuf vers<strong>ch</strong>erzt. "Weder das Wort no<strong>ch</strong> das Wunder kann das leisten,<br />

was allein die Liebe kann. Sie allein tut kund, daß der Mens<strong>ch</strong> in seinem<br />

inwendigen Lebensstand von Gott ergriffen und erneuert ist und aus Jesu<br />

Hand die Vollma<strong>ch</strong>t empfangen hat, ein Kind Gottes zu sein, 1,12. Darum ist<br />

die we<strong>ch</strong>selseitige Liebe der Jünger das Zei<strong>ch</strong>en, in dem Jesus erkannt, das Mittel,<br />

dur<strong>ch</strong> das sein Sinn und Wille geoffenbart und der Welt wirksam verkündigt<br />

wird, die ganze und einzige Amtspfli<strong>ch</strong>t der Apostel, die alles übrige regiert<br />

und gestaltet, was sie tun und lassen, und ebenso die ganze und einzige<br />

Amtspfli<strong>ch</strong>t der Christenheit.<br />

Von diesen Worten, von denen das erste Jesu eigenen Ausgang, das zweite<br />

die Trennung der Jünger von ihm, das dritte ihren Beruf bes<strong>ch</strong>rieb, bes<strong>ch</strong>äftigte<br />

das zweite Petrus am meisten. Warum muß es so sein, daß er sie verläßt<br />

und sie ni<strong>ch</strong>t bei ihm bleiben können? In ihrer Hoffnung lag derselbe Wuns<strong>ch</strong>,<br />

wie ihn au<strong>ch</strong> das Volk hegt, nie vom Christus getrennt zu werden, viehnehr<br />

au<strong>ch</strong> dann, wenn er in seine Herrli<strong>ch</strong>keit tritt, zu seiner Re<strong>ch</strong>ten und zu seiner<br />

Linken zu sitzen als die, die alles mit ihm teilen. 13,36: Simon Petrus sagt zu<br />

ihm: Herr, wo gehst du hin? Jesus antwortete: Dahin, wohin i<strong>ch</strong> gehe, bist du<br />

jetzt ni<strong>ch</strong>t imstande, mir zu folgen; du wirst mir aber später folgen. Jesus hat<br />

au<strong>ch</strong> für Petrus den Leidensweg im Auge, au<strong>ch</strong> für ihn als Weg zur Herrli<strong>ch</strong>keit.<br />

Aber das kommt erst später an ihn, erst wenn er Jesus selber vorangehen<br />

sah und es in der rei<strong>ch</strong>en und langen Erfahrung seines Apostellebens erprobt<br />

hat, was er an seiner Gnade hat. Dadur<strong>ch</strong> wird au<strong>ch</strong> er so gestärkt werden, daß<br />

er Gott herzli<strong>ch</strong> danken lernt, wenn er sein Leben im Dienst des Christus geben<br />

und zu seinem Preise au<strong>ch</strong> den Kreuzblock anfassen darf, und dann wird ihn<br />

sein Sterben zu Christus führen und ihm die neue Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm be-


<strong>Johannes</strong> 13,35-38; I4,i<br />

s<strong>ch</strong>eren. Jetzt aber muß er si<strong>ch</strong> in die Trennung finden und Jesus allein vorangehen<br />

lassen. Petrus spürt wohl, daß es eine ernste Sa<strong>ch</strong>e würde, jetzt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

von Jesus s<strong>ch</strong>eiden zu lassen, sondern mit ihm bis ans Ziel zu gehen. <strong>Das</strong> wird<br />

das Opfer des Lebens erfordern; do<strong>ch</strong> hierzu ist er ohne Zögern willig. Was<br />

soll ihm das Leben auf Erden no<strong>ch</strong>, wenn Christus ni<strong>ch</strong>t mehr bei ihnen ist?<br />

Daß es besser wäre, mit Christus zu sterben, als ihn gehen zu lassen, ohne ihm<br />

folgen zu können, da steht ihm fest. 13,37: Petrus sagt zu ihm: Herr, warum<br />

bin i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t imstande, dir zu folgen? I<strong>ch</strong> will meine Seele für di<strong>ch</strong> hingeben.<br />

Dieser Wuns<strong>ch</strong> kam no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aus der reinen Liebe, sondern hat selbstsü<strong>ch</strong>tige<br />

Art an si<strong>ch</strong>. Darum redet er bloß jetzt so, ehe der Ernst des Leidens an ihn Í<br />

herangetreten ist, jetzt, als er einzig die Festigkeit und Freude Jesu vor Augen<br />

hatte, ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> die Welt mit ihrem Hohn und ihrer Gewalt, die spottenden<br />

Mägde und Kne<strong>ch</strong>te und den herben Ernst des S<strong>ch</strong>merzes und der S<strong>ch</strong>ande,<br />

während Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit verborgen bleibt. Wenn er dies vor Augen hat,<br />

wird er anders handeln. 13,38: Jesus antwortet: Deine Seele willst du für mi<strong>ch</strong><br />

hingeben? Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage dir: Der Hahn wird ni<strong>ch</strong>t rufen, bis du<br />

mi<strong>ch</strong> dreimal verleugnet hast. Daran sieht Petrus, daß er zu dem, was Jesus<br />

tut, unfähig ist und einzig Jesus aufre<strong>ch</strong>t stehrund allein sein Kreuz zu Gottes<br />

Verherrli<strong>ch</strong>ung trägt. Petrus fällt aber, obglei<strong>ch</strong> er s<strong>ch</strong>wankt, do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aus<br />

der Gnade Jesu heraus. <strong>Das</strong> hat er ihm gerade dur<strong>ch</strong> seine Weissagung gewiß<br />

gema<strong>ch</strong>t. Judas hat er aus dem Jüngerkreis ausgestoßen, Petrus ni<strong>ch</strong>t, obwohl<br />

er ihn als den kannte, der ihn verleugnen wird. Ihm ist vergeben, und die Verheißung:<br />

Her<strong>na<strong>ch</strong></strong> wirst du mir folgen ! galt dem Verleugnenden.<br />

Damit war Petrus gesagt, warum er jetzt von Jesus ni<strong>ch</strong>t mitgenommen,<br />

sondern zurückgelassen wird. Die Ungewißheit, die in der Frage lag: Wo gehst<br />

du hin? war aber dadur<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gehoben. Jesus läßt darum Li<strong>ch</strong>t auf ihre<br />

Trennung fallen und stellt ihnen dar, wohin er selber geht und au<strong>ch</strong> sie führen<br />

wird.<br />

14,1 : Euer Herz werde ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>üttert. Glaubt an Gott und glaubt an mi<strong>ch</strong>!<br />

Was jetzt ges<strong>ch</strong>ieht, verwirrt sie. Ehe der Hahn kräht, ehe es Morgen wird,<br />

no<strong>ch</strong> in dieser selben Na<strong>ch</strong>t wird Petrus Jesus verleugnen. Ihre Trennung von<br />

Jesus steht somit unmittelbar bevor. Es sind die letzten Worte, die er no<strong>ch</strong> mit<br />

ihnen spri<strong>ch</strong>t. Und wie angstvoll und verwirrend sah alles aus, was in den<br />

nä<strong>ch</strong>sten Stunden lag. Wenn der erste der Jünger verleugnet, Jesus selber getötet<br />

wird und Gott ihn ni<strong>ch</strong>t vor dem Kreuze s<strong>ch</strong>ützt, mo<strong>ch</strong>te ihr Herz wohl<br />

in S<strong>ch</strong>wankung und Verwirrung kommen. Darum haben sie jetzt Gott als Gott<br />

mit redli<strong>ch</strong>em Vertrauen zu ehren, ihn in seiner Überlegenheit über aller Mens<strong>ch</strong>en<br />

Tun und in der Vollkommenheit seiner Regierung vor Augen zu haben<br />

l8 7


188 Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

und ni<strong>ch</strong>t zu verleugnen. Geht Jesus, Gott bleibt; stirbt Jesus, Gott stirbt ni<strong>ch</strong>t;<br />

ist Jesus von ihnen ges<strong>ch</strong>ieden, Gott ist ihnen, ni<strong>ch</strong>t verloren. <strong>Das</strong> sagt er aber<br />

ni<strong>ch</strong>t so, als sollte ihr Glaube si<strong>ch</strong> nun von ihm abwenden und nur no<strong>ch</strong> an<br />

Gott si<strong>ch</strong> halten, weil er von nun an ihnen entrückt wäre. Au<strong>ch</strong> auf dem Kreuzesweg<br />

und <strong>na<strong>ch</strong></strong> diesem bleibt er vielmehr ihres Glaubens Ziel. Au<strong>ch</strong> jetzt dürfen<br />

sie si<strong>ch</strong> auf ihn verlassen, an ihn ihr Leben hängen und seiner als ihres Li<strong>ch</strong>ts<br />

und Lebens gewiß bleiben. <strong>Das</strong> ges<strong>ch</strong>ieht von jetzt an, da er stirbt und von<br />

ihnen geht, freili<strong>ch</strong> nur dur<strong>ch</strong> ein Vertrauen, das si<strong>ch</strong> an den Unsi<strong>ch</strong>tbaren hält.<br />

14,2a: Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Er hat bei si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

bloß Raum für den einigen Sohn, sondern au<strong>ch</strong> für die Seinigen, und für sie<br />

wiederum ni<strong>ch</strong>t bloß in ihrer irdis<strong>ch</strong>en, sondern au<strong>ch</strong> in ihrer zukünftigen Lebensgestalt.<br />

Sie haben aus Jesu Hand Platz und Kindesre<strong>ch</strong>t im Hause des Vaters<br />

empfangen, und dies wird ihnen ni<strong>ch</strong>t verloren gehen, au<strong>ch</strong> wenn sie die<br />

Wohnung, die ihnen jetzt angewiesen ist, verlassen müssen. Wohnungen gibt<br />

es im Hause des Vaters no<strong>ch</strong> mehr; aus diesem werden sie nie ausges<strong>ch</strong>lossen.<br />

14,2b: Wäre es ni<strong>ch</strong>t so, so hätte i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> gesagt, daß i<strong>ch</strong> hingehe, um eu<strong>ch</strong> den<br />

Ort zu bereiten. Es ist aber ni<strong>ch</strong>t nötig, daß Jesus so spri<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>t nötig, daß er<br />

die Jünger erst auf seinen eigenen Dienst hinweist, dur<strong>ch</strong> den er ihnen Raum<br />

beim Vater s<strong>ch</strong>afft. Die vielen Wohnungen sind da, und der Vater hat selbst<br />

von Ewigkeit her in seinem Hause für sie Platz ges<strong>ch</strong>affen, in seiner eigenen<br />

liebe sie zu si<strong>ch</strong> berufen und nimmt au<strong>ch</strong> sie zu seiner Zeit dort auf, wohin Jesus<br />

jetzt geht. ' »<br />

Glei<strong>ch</strong>wohl konnte Jesus au<strong>ch</strong> mit zutreffender Wahrheit sagen, daß er dur<strong>ch</strong><br />

seinen eigenen Hingang zum Vater ihnen dort den Ort rüste, weil sein Eingang<br />

in die Herrli<strong>ch</strong>keit des Vaters ihre Aufnahme bei ihm bewirkt. Aus seiner Sohns<strong>ch</strong>aft<br />

kommt ihre Kinds<strong>ch</strong>aft zu Gott; in ihrer Verbundenheit mit dem Sohn<br />

besteht ihr Anre<strong>ch</strong>t an das Haus des Vaters. Weil dieser in der Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

Gottes steht, treten au<strong>ch</strong> sie einst in diese ein. Darum fährt er fort 14,3: Und<br />

wenn i<strong>ch</strong> hingegangen bin und eu<strong>ch</strong> den Ort bereitet habe, werde i<strong>ch</strong> wieder<br />

kommen und eu<strong>ch</strong> zu mir nehmen, damit da, wo i<strong>ch</strong> bin, au<strong>ch</strong> ihr seid. Blickt er<br />

auf die Gnade des Vaters, so sagt er: Es ist ni<strong>ch</strong>t nötig, daß i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> sage, daß<br />

i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> erst den Ort bereite. Der Vater hat s<strong>ch</strong>on für eu<strong>ch</strong> gesorgt und will<br />

eu<strong>ch</strong> bei si<strong>ch</strong> haben. Blickt er auf die wirksame Kraft seines eigenen Werks, so<br />

sagt er: Daß i<strong>ch</strong> hingehe, das ma<strong>ch</strong>t, daß ihr mir <strong>na<strong>ch</strong></strong>folgen dürft; i<strong>ch</strong> rüste<br />

eu<strong>ch</strong> den Ort. Er stellt uns mit diesen zwei Worten die eine einträ<strong>ch</strong>tige<br />

Güte und Gabe des Vaters und des Sohnes dar. In der Gnade dos Vaters hat<br />

die des Sohnes ihren Grund, in der Gnade des Sohnes die des Vaters ihre Vermittlung,<br />

<strong>Offenbarung</strong> und Wirksamkeit. Darum hat er ihnen au<strong>ch</strong> gesagt:


<strong>Johannes</strong> 14,2 a—6 189<br />

Glaubt an Gott; ihr dürft ihm glauben; er hat eu<strong>ch</strong> sein Haus aufgetan. Und<br />

au<strong>ch</strong> an mi<strong>ch</strong> glaubt; i<strong>ch</strong> bin der, der eu<strong>ch</strong> ins Haus Gottes bringt.<br />

"Weil er dazu weggeht, um ihnen den Ort zu rüsten, kommt er au<strong>ch</strong> wieder<br />

und holt sie zu si<strong>ch</strong>, damit sie bei ihm seien, vereinigt ini selben Stand ewigen<br />

Lebens, in der vollen Gegenwart Gottes. <strong>Das</strong> ist die letzte, vollendende Verheißung<br />

Jesu, die seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihnen ewig ma<strong>ch</strong>t. "Was in dieser Zusage<br />

enthalten ist," legt Jesus ni<strong>ch</strong>t jetzt s<strong>ch</strong>on aus; jetzt kommt es vielmehr<br />

darauf an, daß sie den Weg gehen, der sie zu diesem Ziele führt. Jesus ist darüber<br />

beruhigt. 14,4: Und dorthin, wohin i<strong>ch</strong> gehe, kennt ihr den Weg. <strong>Das</strong> ist<br />

die Fru<strong>ch</strong>t seiner Arbeit auf Erden und der Gewinn seiner Gegenwart bei ihnen,<br />

daß ihnen nun der Weg, der sie zu Gott si<strong>ch</strong>er führt, bekannt geworden ist.<br />

14,5 : Thomas sagt zu ihm: Herr, wir wissen ni<strong>ch</strong>t, wo du hingehst; wie kennen<br />

wir denn den Weg? Er kann ni<strong>ch</strong>t begreifen, wie Jesus sie so ruhig zurücklassen<br />

kann; ihm s<strong>ch</strong>eint alles, was vor ihm liegt, völlig dunkel und ungewiß.<br />

Die Frage des Petrus: Wohin gehst du? gilt ihm no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als beantwortet; sie<br />

wissen das no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Also ist ihnen au<strong>ch</strong> der Weg dorthin völlig verborgen.<br />

Um den Weg zu kennen, muß man do<strong>ch</strong> zuerst wissen, wohin man zu gehen<br />

hat. Wie Thomas beim Aufbru<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Bethanien unter dem Zorn der Juden<br />

gegen Jesus besonders litt, so ist er au<strong>ch</strong> wieder dur<strong>ch</strong> Jesu Weggang besonders<br />

ers<strong>ch</strong>üttert, so daß er ratlos nur eine dunkle Zukunft vor si<strong>ch</strong> zu haben meint.<br />

14,6: Jesus sagt zu ihm: leb bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; ,<br />

keiner kommt zum Vater außer dur<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong>. Dadur<strong>ch</strong> ist der Jünger auf dem<br />

Weg ins Haus des Vaters, daß er si<strong>ch</strong> an Jesus hält und bei ihm bleibt. So gewiß<br />

der Jünger ihn kennt, so gewiß ist ihm der Weg bekannt. Den Weg kennen<br />

heißt ni<strong>ch</strong>ts anderes als Jesus kennen, und den Weg gehen heißt si<strong>ch</strong> in allem,<br />

was der Lauf des Lebens bringt, unverrückt an ihn halten. Au<strong>ch</strong> jetzt hat Jesus''<br />

seinen Jüngern kein sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Heil- und Hilfsmittel angepriesen, vielmehr<br />

au<strong>ch</strong> jetzt si<strong>ch</strong> selbst ihnen als den genannt, der sie leite und bilde, ihr Denken<br />

und Wollen zu Gott hinlenke und ihr Ges<strong>ch</strong>ick so ordne, daß er zur hellen und<br />

ewigen Erfahrung der göttli<strong>ch</strong>en Gnade wird. Wie er den Galiläern, als sie das<br />

Lebensbrot begehrten» antwortete: I<strong>ch</strong> bin's, so erwidert er Thomas, der einen<br />

Weg zu Gott begehrt: I<strong>ch</strong> bin's! Wodur<strong>ch</strong> ist er für uns der Weg? Dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß er die Wahrheit und das Leben ist. Wer aus der Wahrheit fällt, irrt ab<br />

vom Wege, und wer das Leben verliert, hat das Ziel verfehlt. Er ist jedo<strong>ch</strong> die<br />

Wahrheit, der, der uns ins helle Li<strong>ch</strong>t stellt, der, von dem wir den ri<strong>ch</strong>tigen<br />

Blick und das klare Urteil in allen Dingen empfangen, so daß wir aus der Finsternis<br />

herausgehoben sind, und er ist das Leben, der, der das Sterben von uns<br />

abwehrt und Kraft um Kraft in unser Inneres legt, so daß es aufwärts wä<strong>ch</strong>st


19° Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

mit einem uners<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en Lebenss<strong>ch</strong>atz. <strong>Das</strong> ist er ni<strong>ch</strong>t zusammen mit anderen<br />

in der Ausübung eines Dienstes, den uns au<strong>ch</strong> andere leisten könnten; er<br />

allein ist das. Wer zum Vater kommt, tut es dur<strong>ch</strong> ihn, und wer ni<strong>ch</strong>t zu Jesus<br />

kommt, findet au<strong>ch</strong> den Vater ni<strong>ch</strong>t. 14,7a: Hättet ihr mi<strong>ch</strong> erkannt, so würdet<br />

ihr au<strong>ch</strong> meinen Vater kennen. Hättet ihr gefaßt, was i<strong>ch</strong> bin und will, so wüßtet<br />

ihr, was Gott ist und was ihr an ihm habt. Dann wüßtet ihr, wohin der<br />

" Weg führt, wüßtet au<strong>ch</strong>, worin er besteht, eben in dem, an dem man den Vater<br />

kennenlernt.<br />

Er verwandelt jedo<strong>ch</strong> diese Klage in einen freudigen Satz. 14,7b: Von jetzt<br />

an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. Sein Kreuz wird ihnen die Augen öffnen,<br />

läßt ihre eigenen Gedanken über Gott s<strong>ch</strong>eitern und gibt ihnen dafür den<br />

hellen, verstehenden Blick in Gottes Willen und Ziel. Was der Vater an Jesus<br />

auf dem Kreuzesweg und am S<strong>ch</strong>luß desselben tut, ma<strong>ch</strong>t ihn ihnen so deutli<strong>ch</strong><br />

und offenkundig, daß Jesus ihnen sagt: Jetzt habt ihr ihn gesehen!<br />

<strong>Das</strong> faßt die Jünger in ihrem tiefsten Verlangen, bringt aber zuglei<strong>ch</strong> ans<br />

Li<strong>ch</strong>t, daß si<strong>ch</strong> dieses immer wieder an Jesus vorbei auf ein anderes Ziel und<br />

Gut ri<strong>ch</strong>tet, das erst no<strong>ch</strong> kommen soll. Ja, wenn er ihnen den Vater zeigte und<br />

ihrem Blick den Zugang zu Gott gewährte, dann freili<strong>ch</strong> wäre alles re<strong>ch</strong>t; dann<br />

wollten sie das Kreuz tragen, in die Trennung von Jesus si<strong>ch</strong> finden und alles<br />

auf si<strong>ch</strong> nehmen mit uners<strong>ch</strong>üttertem Herzen. Wie könnte der, der Gott ge-<br />

'sehen hat, no<strong>ch</strong> unbefriedigt sein! Philippus gibt diesem Verlangen Ausdruck<br />

mit seinem frommen Sinn, do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit der Dunkelheit, die no<strong>ch</strong> darin war.<br />

14,8: Philippus sagt zu ihm: Herr, zeige uns den Vater; das ist uns genug. Jesus<br />

läßt ihr Auge ni<strong>ch</strong>t von ihm selber abirren, als könnten sie den Vater anderswo<br />

su<strong>ch</strong>en als in ihm. 14,9: Jesus sagt zu ihm: So lange Zeit bin i<strong>ch</strong> bei<br />

eu<strong>ch</strong>, und du hast mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erkannt, Philippus! Der, der mi<strong>ch</strong> gesehen hat, hat<br />

den Vater gesehen. Wie sagst du: Zeige uns den Vater? Philippus bedenkt<br />

ni<strong>ch</strong>t, daß er mit seiner Bitte Jesu ganzes Werk dur<strong>ch</strong>strei<strong>ch</strong>t und seinen Dienst<br />

unnütz ma<strong>ch</strong>t. Darum hat ihm au<strong>ch</strong> Jesus ausgespro<strong>ch</strong>en, daß ihn seine Bitte<br />

s<strong>ch</strong>merzt. Obwohl er nun so lange bei ihnen war, hat er immer no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gefaßt,<br />

was er an Jesus besitzt. An ihm, ni<strong>ch</strong>t neben ihm und über ihm, wird ihm<br />

der Vater si<strong>ch</strong>tbar. Dur<strong>ch</strong> ihn, ni<strong>ch</strong>t ohne ihn und außer ihm, erlebt er Gottes<br />

Gegenwart, Wahrheit, Ma<strong>ch</strong>t, Herrli<strong>ch</strong>keit und Gnade. Wer ihn gesehen hat,<br />

hat den Vater gesehen und kann ni<strong>ch</strong>t mehr sehnsü<strong>ch</strong>tig und unbefriedigt<br />

von ihm wegblicken, ob ni<strong>ch</strong>t anderswo Gott hervortrete. Hat unser Auge<br />

Jesus wahrgenommen, so ist es auf Gott gestoßen, und wir haben ihn gegenwärtig,<br />

wirksam, für uns offen und uns zugewandt vor uns. 14,10a: Glaubst<br />

du ni<strong>ch</strong>t, daß i<strong>ch</strong> im Vater bin und der Vater in mir ist? Wenn der Jünger no<strong>ch</strong>


<strong>Johannes</strong> 14,7a-12 a 191<br />

keine Antwort für die Frage hat: Wo ist Gott für mi<strong>ch</strong> zu finden? so ist ihm<br />

Jesu Einigung mit dem Vater no<strong>ch</strong> verborgen oder zweifelhaft. Ist sie ihm gewiß,<br />

so weiß er, daß er Gott ni<strong>ch</strong>t anderswo sehen und erleben kann als eben<br />

in Jesus, daß er, wenn er zu Jesus kommt, ni<strong>ch</strong>t bloß Jesus findet, sondern den<br />

Vater in ihm. "Was seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater offenbart, ist sowohl<br />

sein Wort als sein Werk. 14,10b: Die Worte, die i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> sage, rede i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

von mir selbst; sondern der Vater bleibt in mir und tut seine Werke. Dem Jünger<br />

muß es deutli<strong>ch</strong> sein, daß Jesu Wort empfangen und vernommen ist, ni<strong>ch</strong>t<br />

auf der Erde gema<strong>ch</strong>t, sondern aus Gottes S<strong>ch</strong>atz geholt. Und wie Jesus ni<strong>ch</strong>t<br />

aus si<strong>ch</strong> selber redet, so handelt er au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> selbst. Hier kommt kein<br />

Riß zum Vors<strong>ch</strong>ein, als gäbe ihm der Vater bloß das Wort, entzöge si<strong>ch</strong> ihm<br />

aber, wenn es nun zum Handeln kommt. Gott spri<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t bloß, sondern tut<br />

seine Werke; er tut sie aber als der, der in Jesus bleibt, so daß dur<strong>ch</strong> ihn Gottes<br />

Werk ges<strong>ch</strong>ieht.<br />

14,11: Glaubt mir, daß i<strong>ch</strong> im Vater und der Vater in mir ist. Wenn ni<strong>ch</strong>t,<br />

so glaubt um der Werke selber willen! Die Jünger dürfen es Jesus glauben,<br />

daß er in dieser vollen Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater stehe, wie er sie ihnen als<br />

seine Herrli<strong>ch</strong>keit und Gabe preist. Trauen sie ihm no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, genügt es ihnen<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß er so von si<strong>ch</strong> und vom Vater spri<strong>ch</strong>t und an seinem Wort seine<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm hervorglänzen läßt, dann sollen sie do<strong>ch</strong> an seinen Werken<br />

diese Zuversi<strong>ch</strong>t gewinnen, weil diese es offenbar ma<strong>ch</strong>en, wie Jesu Wille<br />

und Gottes Wille, Jesu Tat und Gottes Tat in eins zusammengehen, da sie es<br />

am Werke ni<strong>ch</strong>t nur hören, sondern sehen, daß sie Jesus ni<strong>ch</strong>t ohne den Vater,<br />

den Vater ni<strong>ch</strong>t ohne Jesus finden.<br />

14,12a: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Wer an mi<strong>ch</strong> glaubt, wird die<br />

Werke, die i<strong>ch</strong> tue, au<strong>ch</strong> tun und größere als diese tun. Glauben sie an ihn, dann<br />

wird ihrem Glauben no<strong>ch</strong> eine weitere Bestätigung zuteil: dann dürfen au<strong>ch</strong> sie<br />

tun, was er tut, dürfen selbst seinen Dienst Gottes fortsetzen, au<strong>ch</strong> dem Dürstenden<br />

lebendiges Wasser geben, au<strong>ch</strong> dem Sterbenden Leben verleihen, au<strong>ch</strong><br />

Kinder des Li<strong>ch</strong>ts aus denen ma<strong>ch</strong>en, die in der Finsternis saßen, au<strong>ch</strong> den Vater<br />

verklären, wie ihn Jesus verklärt. Ja, ihre Werke werden größer sein, als<br />

was Jesus getan hat, und no<strong>ch</strong> rei<strong>ch</strong>er Gottes Ma<strong>ch</strong>t und Gnade kundtun, als<br />

er selbst in seinem irdis<strong>ch</strong>en Dienst es vermo<strong>ch</strong>t hat. Erleben sie, daß sie in<br />

einem fru<strong>ch</strong>tbaren Dienst Gottes stehen, ja in einem fru<strong>ch</strong>tbareren, als er Jesus<br />

selber aufgetragen war, so dient ihnen dies zur neuen Befestigung des Glaubens;<br />

denn weil sie an Jesus glauben, wird ihnen die wirksame Tat gegeben,<br />

die Gottes Kraft in si<strong>ch</strong> hat. So erleben sie in ihrer eigenen Erfahrung Jesu<br />

vollkommene Einheit mit dem Vater immer neu.


I9 2 D Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

<strong>Das</strong> Wort darf s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> allein auf das wunderbare Zei<strong>ch</strong>en bezogen werden,<br />

das do<strong>ch</strong> nur ein dienendes Glied im Werke Jesu war als besonders deutli<strong>ch</strong>e<br />

Bezeugung seiner Sendung. Ob <strong>Johannes</strong> von si<strong>ch</strong> oder von Petrus gesagt<br />

habe, sie hätten größere Wunder als Jesus getan, ist unsi<strong>ch</strong>er, dagegen<br />

gewiß, daß er mit dankbarem Preis des Christus jederzeit bejaht hat, daß seine<br />

Verheißung an ihnen zur Wahrheit geworden und Ströme lebendigen Wassers<br />

von ihnen ausgegangen seien, wenn er auf die Gemeinde sah, die er am Ende<br />

der apostolis<strong>ch</strong>en Zeit vor Augen hatte, mit den vielen, die nun in Geist und<br />

Wahrheit Gott anbeteten, und an den letzten Abend bei Jesus zurückda<strong>ch</strong>te, als<br />

das kleine Häuflein bei ihm saß und klagte: Wir wissen den Weg ni<strong>ch</strong>t; zeige<br />

uns do<strong>ch</strong> den Vater! Da galt es ihm si<strong>ch</strong>er als ein völlig erfülltes Wort: wir<br />

durften die Werke au<strong>ch</strong> tun, die er tat und größere als jene. Der Neid und alles<br />

S<strong>ch</strong>limme, was ihn begleitet, ist hier völlig abgetan, wie Jesus s<strong>ch</strong>on im<br />

Anfang seinen Jüngern sagte: Der Säende freut si<strong>ch</strong> zusammen mit dem Erntenden,<br />

4,36. So sieht Jesus au<strong>ch</strong> hier mit der wahrhaften Liebe auf die wa<strong>ch</strong>sende,<br />

steigende Kraft der Seinen, die ihr Werk höher hebt als sein eigenes. Es<br />

ges<strong>ch</strong>ieht ja dur<strong>ch</strong> sie nur sein Wille, sein Werk, das ihn offenbart.<br />

Er erläutert ihnen, warum au<strong>ch</strong> sie nun tun können, was er tat, und sein<br />

Werk in ihrer Hand weitergeht und wä<strong>ch</strong>st. 14,12b—14: Denn i<strong>ch</strong> gehe zum<br />

Vater, und was ihr in meinem Namen bitten werdet, das werde i<strong>ch</strong> tun, damit<br />

der Vater im Sohn verklärt werde. Wenn ihr mi<strong>ch</strong> um etwas in meinem Namen<br />

bitten werdet, werde i<strong>ch</strong> es tun. Beim Vater steht er am re<strong>ch</strong>ten Ort, um ihnen<br />

alles zu geben, was zum fru<strong>ch</strong>tbaren und wirksamen Dienste für sie nötig ist.<br />

Weil er beim Vater ist, dürfen sie bitten, und was sie in seinem Namen bitten,<br />

wird er tun. <strong>Das</strong> ma<strong>ch</strong>t sie zum tätigen Werkzeug Gottes. Könnten sie ni<strong>ch</strong>t<br />

bitten, so könnten sie au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t handeln. Sie empfangen ihr Werk, wie au<strong>ch</strong><br />

Jesus seine Werke vom Vater empfing. <strong>Das</strong> ist die Vorbedingung für unsere<br />

Tat, daß wir bitten lernen, und dies so, daß wir das Erbetene au<strong>ch</strong> erhalten.<br />

Empfangen werden sie, weil er beim Vater ist, also in der Ma<strong>ch</strong>t Gottes sie erhören<br />

und antworten kann, und bitten können sie, weil sie nun in seinem Namen<br />

bitten dürfen. Diesen hinterläßt er ihnen, damit sie ihn brau<strong>ch</strong>en, und indem<br />

sie ihn brau<strong>ch</strong>en, wird offenbar, daß sie in seinem Dienst stehen und seine<br />

Beauftragten und Boten sind. Für ihr Bitten ist dies eine große Sa<strong>ch</strong>e. Dies erst<br />

gibt ihnen das freudige Herz, den Mut, <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Hilfe und Gabe zu greifen,<br />

den gläubigen Sinn. Denn sie stehen ni<strong>ch</strong>t in ihrem eigenen Namen vor<br />

Gott, vielmehr in Christi Dienst. Ihr Gelingen verherrli<strong>ch</strong>t ihn; ihr Unterliegen<br />

fällt auf ihn. Ihr Bitten begehrt, daß sein Wille erfüllt und sein Name<br />

verkündet werde. Nur dies ma<strong>ch</strong>t ihre Bitte mit Gottes Regierung einträ<strong>ch</strong>tig,


<strong>Johannes</strong> I4,i2b-i6 193<br />

von der ihre Erhörung abhängt. Stehen sie im eigenen Namen vor Gott, wie<br />

könnten sie ihren Bitten für Gottes Regierung Bedeutung zus<strong>ch</strong>reiben? Für das<br />

jedo<strong>ch</strong>, was sie ni<strong>ch</strong>t im eigenen Namen, sondern als Jesu Boten in seinem<br />

Dienst erbitten, sagt er ihnen in voller Gewißheit zu: I<strong>ch</strong> werde es tun. So werden<br />

ihre "Werke seine "Werke, wie Jesu "Werke des Vaters "Werke gewesen sind,<br />

und die Jünger dienen ihm in ähnli<strong>ch</strong>er "Weise zur <strong>Offenbarung</strong> und Verherrli<strong>ch</strong>ung,<br />

wie er selbst der Bote des Vaters gewesen ist. Mit diesen Worten s<strong>ch</strong>aut<br />

Jesus bereits auf die Arbeit der Jünger hinaus, die nun ihr Leben bis zu seinem<br />

S<strong>ch</strong>lüsse füllen wird. Wie dieselbe gelingt und was ihnen dabei hilft, das legt er<br />

ihnen nun in heller Kraft aus.<br />

Sie haben, wie seinen Namen, so au<strong>ch</strong> seine Gebote, die sie über das unterweisen,<br />

was dur<strong>ch</strong> sie ges<strong>ch</strong>ehen soll. 14,15: Wenn ihr mi<strong>ch</strong> liebt, so werdet<br />

ihr meine Gebote bewahren, ni<strong>ch</strong>t versäumen und hintansetzen, wodur<strong>ch</strong> sie<br />

ihnen umsonst gegeben wären und ni<strong>ch</strong>ts hälfen. Damit sein Gebot für sie ein<br />

si<strong>ch</strong>erer S<strong>ch</strong>utz vor dem Bösen und ein starker Helfer zum Guten sei, bedürfen<br />

sie nur des einen, daß sie ihn liebhaben. Lebt die Liebe in ihnen, so ist au<strong>ch</strong> sein<br />

Gebot in ihnen lebendig, verläßt sie nie, begleitet sie, zieht sie, hält sie und<br />

ist ihr S<strong>ch</strong>utz und S<strong>ch</strong>irm, ihre Kraft und ihr Li<strong>ch</strong>t. Daß sie ihn aber liebhaben,<br />

das ist seinerseits kein Gebot; das ist seine Gnade. <strong>Das</strong> hat er dur<strong>ch</strong> seine liebe<br />

in ihrem Herzen ges<strong>ch</strong>affen. Na<strong>ch</strong> dem, was er ihnen getan hat, darf er sie<br />

fragen: Habt ihr mi<strong>ch</strong> lieb? und weil er die Liebe zu ihm in ihnen erweckt hat,<br />

sieht er mit Ruhe und Freude auf ihren Lebenslauf. Die liebe läßt sie ni<strong>ch</strong>t von<br />

seinen Geboten los.<br />

Er hat ihnen aber no<strong>ch</strong> mehr zu geben. 14,16: Und i<strong>ch</strong> werde den Vater bitten,<br />

und "er wird eu<strong>ch</strong> einen anderen Anwalt geben, damit er ewigli<strong>ch</strong> bei eu<strong>ch</strong><br />

sei. Er stellt sie ni<strong>ch</strong>t allein unter die Mens<strong>ch</strong>en und s<strong>ch</strong>ickt sie ni<strong>ch</strong>t ohne einen<br />

Begleiter in die Welt. Der Vater gibt ihnen jemand mit, der ihnen einen ähnli<strong>ch</strong>en<br />

Freundesdienst tut, wie ihn der Anwalt dem leistet, der vor den Ri<strong>ch</strong>ter<br />

treten muß. Der Anwalt begleitet ihn, spri<strong>ch</strong>t für ihn und beweist sein Re<strong>ch</strong>t.<br />

Dieser neue Begleiter wird sie ni<strong>ch</strong>t mehr verlassen, sondern immer bei ihnen<br />

sein, überall ihnen zur Seite stehen, stets für sie reden und ihr Re<strong>ch</strong>t verfe<strong>ch</strong>ten<br />

zum hellen Sieg. <strong>Das</strong> tat ihnen bisher Jesus selbst. Wer sie s<strong>ch</strong>alt oder verwirrte,<br />

dem antwortete er und wies ihn ab. Auf ihn hin zeigten sie, so oft jemand<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> der Wahrheit und dem Re<strong>ch</strong>t ihres Weges fragte; an ihn wandten<br />

sie si<strong>ch</strong> bei jeder S<strong>ch</strong>wierigkeit, hatten in seiner Begleitung ihre Ruhe und ihren<br />

Frieden, in seinem Wort ihre Leitung und Re<strong>ch</strong>tfertigung, in seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

mit ihnen ihre Stärke und ihre Freudigkeit vor Gott und vor der Welt.<br />

Der Platz, den er bisher unter ihnen ausfüllte, wird ni<strong>ch</strong>t leer bleiben; sondern


194 Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

er wird einen Na<strong>ch</strong>folger dorthin stellen, der ihnen dasselbe tun wird, was er<br />

ihnen bisher tat, und während Jesus, weil er ins mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Wesen eingegangen<br />

ist, ni<strong>ch</strong>t länger bei ihnen bleiben kann, wird sie dieser neue Bes<strong>ch</strong>irmer<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr verlassen, sondern eine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihnen halten, die kein<br />

Ende hat. Wer ist dieser Anwalt, der nun ihr Haupt und Führer wird? 14,17:<br />

den Geist der Wahrheit, den die Welt ni<strong>ch</strong>t erhalten kann, weil sie ihn ni<strong>ch</strong>t<br />

sieht und ni<strong>ch</strong>t erkennt. Ihr erkennt ihn, weil er bei eu<strong>ch</strong> bleibt und in eu<strong>ch</strong><br />

sein wird.<br />

Gott bereitet si<strong>ch</strong> infolge seiner <strong>Offenbarung</strong> im Sohne eine neue Weise, wie<br />

er bei den Jüngern gegenwärtig ist, mit ihnen si<strong>ch</strong> eint und sie wirksam begabt<br />

und führt. <strong>Das</strong> ist der Geist, der jetzt kommen wird, weil Jesus erhöht wird.<br />

Warum er ges<strong>ch</strong>ickt ist, der Anwalt der Jünger zu sein, das erklärt ihnen Jesus<br />

dadur<strong>ch</strong>, daß er ihnen den Geist der Wahrheit nennt. Wie er selbst der Weg ist,<br />

weil er die Wahrheit ist und als das Li<strong>ch</strong>t in die Welt kam, so ist au<strong>ch</strong> der Geist<br />

deshalb ihr Führer, weil er mit der Wahrheit eins ist und sie innerli<strong>ch</strong> mit ihr<br />

dur<strong>ch</strong>dringt. Ist ihr Wort aus dem Geist geboren, so hat es die helle Ma<strong>ch</strong>t der<br />

Wahrheit an si<strong>ch</strong> und hat daran sein Re<strong>ch</strong>t, seine Ma<strong>ch</strong>t, seinen Sieg. Ist ihr<br />

Wille vom Geist erweckt, so regiert ihn die Wahrheit, und dadur<strong>ch</strong> ist er vor<br />

Sünde und Fall bewahrt. Ist ihr Leben Dienst der Wahrheit, so ist es als Dienst<br />

Gottes bewährt und unter den S<strong>ch</strong>irm des göttli<strong>ch</strong>en Regiments gestellt, das<br />

für die Wahrheit eintritt. Dadur<strong>ch</strong> wird au<strong>ch</strong> im Gewissen und Urteil der Mens<strong>ch</strong>en<br />

das Re<strong>ch</strong>t der Jünger erwiesen und ihre Sa<strong>ch</strong>e als Gottes Sa<strong>ch</strong>e dargetan.<br />

Nur auf die Wahrheit hat Jesus die Arbeit seiner Jünger gestellt; eine andere<br />

Ma<strong>ch</strong>t, mit der sie si<strong>ch</strong> verbinden könnten, gibt es ni<strong>ch</strong>t. <strong>Das</strong> Geleit und<br />

die Hilfe der Wahrheit hat er ihnen aber ni<strong>ch</strong>t nur in einer s<strong>ch</strong>attenhaften,<br />

dunklen Weise zugesagt, sondern so, daß der lebendige Herd und Quell alles<br />

wahren Denkens und Handelns, der Geist, bei ihnen bleibt und in ihnen ist.<br />

Zu den Jüngern Jesu kommt der Geist, ni<strong>ch</strong>t zur Welt. Daß sie ihn in si<strong>ch</strong> haben,<br />

das bildet den Unters<strong>ch</strong>ied der Gemeinde Jesu von der übrigen Welt. Daher<br />

ist au<strong>ch</strong> der Geist ihr Anwalt und der helle Erweis dafür, daß sie mit Re<strong>ch</strong>t<br />

an Jesus glauben. Die Unfähigkeit der Welt, ihn zu empfangen, entsteht daraus,<br />

daß sie ihn weder sieht no<strong>ch</strong> versteht. Na<strong>ch</strong> ihrer Meinung ist er überhaupt<br />

ni<strong>ch</strong>t da. Blind geht sie an seinen Werken vorbei und leugnet seine Gegenwart.<br />

Und da do<strong>ch</strong> seine Wirkungen unleugbar sind und man seine Stimme hört, wie<br />

Jesus Nikodemus sagte, so mißdeutet und verdreht sie ihn. Verstehen kann sie<br />

ihn ni<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>t begreifen, was er will und wohin er zielt. Darum s<strong>ch</strong>iebt sie<br />

ihm Absi<strong>ch</strong>ten unter, die er ni<strong>ch</strong>t hat, erklärt für dunkel,, was helles Li<strong>ch</strong>t ist,<br />

für Träumerei, was Wahrheit ist, und zeigt au<strong>ch</strong> hier wieder, wie tief ihre Ge-


<strong>Johannes</strong> 14,17—20 195<br />

sdiiedenheit von Gott ist, die sie ebensowenig zum Geist als zu Christus kom-:<br />

men läßt. Deshalb kann sie ihn ni<strong>ch</strong>t empfangen.<br />

So gewiß im Geist die Ma<strong>ch</strong>t Gottes lebt, der ni<strong>ch</strong>ts den Zugang zum Mens<strong>ch</strong>en<br />

vers<strong>ch</strong>ließen kann, die die "Wurzel unserer Existenz zu fassen vermag<br />

und uns völlig in ihrer Hand hat: Jesus bleibt au<strong>ch</strong> im Blick auf den Geist<br />

dabei, daß sein "Werk ni<strong>ch</strong>t in der Ähnli<strong>ch</strong>keit einer Naturgewalt ges<strong>ch</strong>ieht, so<br />

daß wir, au<strong>ch</strong> ohne selbst in unserem Inneren von ihr berührt zu sein, ihre<br />

Wirkung empfangen könnten. Uns su<strong>ch</strong>t er, uns selbst, unsere persönli<strong>ch</strong>e,<br />

eigene Beteiligung an Gottes Rei<strong>ch</strong>. <strong>Das</strong> hält Jesus für den Geist ebenso fest<br />

wie für seinen eigenen Dienst, und darum kann der Geist dem ni<strong>ch</strong>t gegeben<br />

werden, der ihn weder sieht no<strong>ch</strong> versteht. Er will erkannt, verlangend gesu<strong>ch</strong>t,<br />

geglaubt und erbeten sein. Der Jünger hat aber dur<strong>ch</strong> Jesu Dienst das Auge für<br />

den Geist empfangen. Weil er Jesus kennt, der selbst im Geist lebt, und seine<br />

Worte hat, die Geist und Leben sind, ist er offen für das, was der Geist gibt,<br />

und kennt ihn; denn er bleibt bei ihnen und ist in ihnen.<br />

Seine Gebote und den Geist der Wahrheit nannte Jesus den Jüngern zuerst<br />

als das, was ihnen bleibt, wenn er geht. Dies hinterläßt er ihnen, und dies bildet<br />

die Kraft ihres Lebenswerks. Allein er fährt no<strong>ch</strong> fort. Ni<strong>ch</strong>t nur einen<br />

Ersatz für si<strong>ch</strong> wird er ihnen geben, sondern er kommt selbst wieder zu ihnen.<br />

14,18.19a: I<strong>ch</strong> werde eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verwaist zurücklassen; i<strong>ch</strong> komme zu eu<strong>ch</strong>.<br />

No<strong>ch</strong> eine kurze Frist, und die Welt sieht mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr. Diese kurze Frist,<br />

da er der Welt no<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>tbar war, war mit dem Abend des nä<strong>ch</strong>sten Tages vorbei.<br />

<strong>Das</strong> letzte, was sie von ihm sah, war sein Kreuzesbild, sein Vers<strong>ch</strong>eiden<br />

und Begrabenwerden. Als der Stein auf sein Grab gelegt war, war er ihrem<br />

Auge entzogen, und sie sah ihn ni<strong>ch</strong>t mehr. 14,19b: Ihr aber seht mi<strong>ch</strong>, daß icìj<br />

lebè, und ihr werdet leben. Die erste Erfüllung dieser Verheißung war der<br />

Ostertag. Da sah ihn die Welt ni<strong>ch</strong>t; aber die Jünger sahen ihn, sahen ihn als<br />

den Lebenden. Ist er aber der Lebende und dies so, daß er si<strong>ch</strong> ihnen in seiner<br />

Lebendigkeit offenbart und au<strong>ch</strong> sie diese sehen läßt, so ist au<strong>ch</strong> ihnen der Aufgang<br />

des Lebens bes<strong>ch</strong>ert und die Gewißheit gegeben, daß seine Verheißung<br />

für sie zur Wahrheit geworden ist. Wie aber das Leben, das sie im Glauben an<br />

den Auferstandenen empfangen, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vollkommen ist, so ist au<strong>ch</strong> das<br />

Kommen Jesu zu ihnen, das ihnen der Ostertag bringt, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t das letzte;<br />

es verbürgt ihnen jenes Kommen, dur<strong>ch</strong> das er sie ganz zu si<strong>ch</strong> nehmen<br />

wird, 14,3.<br />

14,20: An jenem Tage werdet ihr erkennen, daß i<strong>ch</strong> in meinem Vater bin<br />

und ihr in mir und i<strong>ch</strong> in eu<strong>ch</strong>. <strong>Das</strong> erste, was ihnen der Anblick des Auferstandenen<br />

zeigtest seine Gemeins<strong>ch</strong>af t mit dem Vater.Do<strong>ch</strong> das ist au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on


I96 Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

in seinem irdis<strong>ch</strong>en Leben an ihm si<strong>ch</strong>tbar gewesen. Jesus fährt darum fort und<br />

hebt die Verheißung höher, empor über das, was sein irdis<strong>ch</strong>er Verkehr mit<br />

den Jüngern ihnen gab: nun sind sie in ihn aufgenommen und von ihm umfaßt,<br />

und er geht ein in sie. <strong>Das</strong> war s<strong>ch</strong>on seine Verheißung, als er ihnen von<br />

der Gotteskraft in seinem Fleis<strong>ch</strong> und Blute spra<strong>ch</strong>, 6,56. Solange er aber in<br />

seiner irdis<strong>ch</strong>en Gestalt vor ihnen stand, blieb dies eine Verheißung, die über<br />

ihr Erkennen hinausging, weil sie die Gegenwart überragt. Anders wird es sein,<br />

wenn sie ihn auferstanden sehen. Dann verstehen sie, daß er sie überall errei<strong>ch</strong>t,<br />

immer bei ihnen ist, stets hält und seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihnen eine<br />

Wahrheit und Vollständigkeit zu geben vermag, daß sie sagen dürfen: Wir<br />

sind in ihm und er in uns.<br />

Es ist eine bewußte, willentli<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft des Jüngers mit ihm, von der<br />

er redet, also Liebe zu ihm. Worin besteht sie? wann ist sie da? 14,21a: Wer<br />

meine Gebote hat und sie bewahrt, der ist der, der mi<strong>ch</strong> liebt. Die Weisung Jesu<br />

ist von der s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>testen Einfa<strong>ch</strong>heit und Wahrheit: Habe meine Gebote und<br />

bewahre sie! Der liebt mi<strong>ch</strong>, der sie hat und bewahrt. <strong>Das</strong> ist die Weise, wie<br />

wir in ihm bleiben. Oben V. 15 ging Jesus von der Liebe zur Erfüllung seiner<br />

Gebote hinaus: Ihr liebt mi<strong>ch</strong>; nun denn, weil und so gewiß ihr mi<strong>ch</strong> liebhabt,<br />

so gewiß bewahrt ihr meine Gebote. Hier geht er vom Bewahren seines Gebots<br />

hinein in das Inwendige, das unserem Gehorsam den inneren Wert vers<strong>ch</strong>afft<br />

und ihn vor Gott kräftig ma<strong>ch</strong>t: Ihr habt meine Gebote; daß heißt mi<strong>ch</strong> lieben !<br />

und das ist ein starkes und lebendiges Band, das den Vater und den Sohn mit<br />

eu<strong>ch</strong> verbunden ma<strong>ch</strong>t. Dort blickt er auf das Werk der Jünger und ihren<br />

Dienst: was brau<strong>ch</strong>en sie dazu? Daß sie ihn lieben! dann halten sie seine Gebote.<br />

Hier blickt er auf ihre Verbundenheit mit dem Vater: was brau<strong>ch</strong>en sie<br />

dazu? Daß sie seine Gebote halten! Damit lieben sie ihn ja, und er wird ni<strong>ch</strong>t<br />

vergebens geliebt.<br />

14,21b: Wer aber mi<strong>ch</strong> liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und<br />

i<strong>ch</strong> werde ihn lieben und mi<strong>ch</strong> ihm offenbaren. In der Einheit des Vaters mit<br />

dem Sohn liegt es, daß seine Liebe alle die mit umfaßt, die den Sohn liebñaben,<br />

und die Liebe des Vaters ist für den Sohn die Regel, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der si<strong>ch</strong> seine<br />

eigene Liebe bewegt. Wie könnte er die ni<strong>ch</strong>t lieben, die der Vater liebt? In der<br />

liebe liegt aber, daß das Geheimnis wei<strong>ch</strong>t und die Verborgenheit endet:<br />

denen, die er liebhat, zeigt er si<strong>ch</strong>.<br />

So rei<strong>ch</strong> die Verheißung Jesu geworden war, eins fehlte do<strong>ch</strong> den Jüngern<br />

no<strong>ch</strong>. Judas, ni<strong>ch</strong>t der Verräter, sondern der, der Lukas 6,16 und Apostelges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

1,13 zu den Zwölfen gere<strong>ch</strong>net wird, bringt es zum Ausdruck: Du<br />

spri<strong>ch</strong>st bloß von uns; aber der Christus kommt ja für die Welt. Es ma<strong>ch</strong>t ihm


<strong>Johannes</strong> 14,21a—24 197<br />

den Eindruck, als ob plötzli<strong>ch</strong> eine gänzli<strong>ch</strong>e Wendung im Ziel Jesu eingetreten<br />

sei. Bisher hat er seine Sendung dur<strong>ch</strong> den Christusnamen bes<strong>ch</strong>rieben, der<br />

auf den ganzen Weltbestand hinweist, allen die <strong>Offenbarung</strong> zusagt und sein<br />

Regiment über alle erstreckt. Nun redet er bloß no<strong>ch</strong> von den Seinigen. 14,22:<br />

Judas, ni<strong>ch</strong>t der Iskariotes, sagt zu ihm: Herr, was ist ges<strong>ch</strong>ehen, daß du di<strong>ch</strong><br />

uns offenbaren wirst und ni<strong>ch</strong>t der Welt?<br />

Jesu Antwort hebt die Bedeutung seiner irdis<strong>ch</strong>en Gegenwart und des<br />

Wortes, das er jetzt gebra<strong>ch</strong>t hat, hervor. Darauf gründet si<strong>ch</strong> der Fortgang<br />

seines Werkes. Sein irdis<strong>ch</strong>er Dienst ist ni<strong>ch</strong>t umsonst ges<strong>ch</strong>ehen, ist ni<strong>ch</strong>t ein<br />

vergängli<strong>ch</strong>es Zwis<strong>ch</strong>enstück, das dur<strong>ch</strong> die neuen Gotteswerke umgangen und<br />

beseitigt würde. Hier waltet vielmehr ein fester, klarer Zusammenhang, ein<br />

gerader, wohlbegründeter Forts<strong>ch</strong>ritt, ni<strong>ch</strong>t Willkür und We<strong>ch</strong>sel, der das,<br />

was ges<strong>ch</strong>ehen ist, vergebli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t, als wäre ni<strong>ch</strong>ts ges<strong>ch</strong>ehen. 14,23a: Jesus<br />

antwortete und spra<strong>ch</strong> zu ihm: Wenn jemand mi<strong>ch</strong> liebt, wird er mein Wort<br />

bewahren. <strong>Das</strong> ist der Ausgangspunkt und die Wurzel der neuen Gnade. In<br />

seinem irdis<strong>ch</strong>en Dienst hat Jesus um die liebe der Mens<strong>ch</strong>en geworben und<br />

hat denen, die si<strong>ch</strong> zu ihm ziehen lassen, Raum und Gelegenheit vers<strong>ch</strong>afft, ihm<br />

ihre Liebe zu erweisen, da er ihnen sein Wort gegeben hat, damit sie es tun.<br />

Dadur<strong>ch</strong> hat er jeder Kraft und Lust der Liebe, die für ihn leben und handeln<br />

will, einen weiten, freien Platz bereitet. Für das weltli<strong>ch</strong>e Auge ist dieses Ergebnis<br />

freili<strong>ch</strong> uns<strong>ch</strong>einbar; denno<strong>ch</strong> heften si<strong>ch</strong> daran die größten Folgen. Es<br />

wird, wie er es im Glei<strong>ch</strong>nis vom Senfkorn ausgespro<strong>ch</strong>en hat, aus dem kleinen<br />

Sämlein das große Gewä<strong>ch</strong>s. 14,23b: Und mein Vater wird ihn lieben, und<br />

wir werden zu ihm kommen und bei ihm herbergen. Ist die Liebe zu Jesus erwa<strong>ch</strong>t<br />

und in der Bewahrung seines Wortes ans Li<strong>ch</strong>t getreten, dann ist des Vaters<br />

Liebe da und damit die ganze, die ewige, die vollkommene Gabe. Die Gegenwart<br />

des Vaters und des Sohnes ist dem gegeben, der seine Liebe Jesus gab.<br />

14,24: Wer mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t liebt, bewahrt meine Worte ni<strong>ch</strong>t, und das Wort, das<br />

ihr hört, ist ni<strong>ch</strong>t mein, sondern des Vaters, der mi<strong>ch</strong> gesandt hat. Wer Jesus<br />

die Liebe versagt, läßt au<strong>ch</strong> sein Wort fallen und verwirft damit das Wort<br />

dessen, der ihn sandte. Dadur<strong>ch</strong> ist die S<strong>ch</strong>eidung entstanden, die den Mens<strong>ch</strong>en<br />

aus Gottes Gegenwart hinausstellt und ihn vom Vater und vom Sohne trennt.<br />

Ni<strong>ch</strong>t obglei<strong>ch</strong> Jesus der Christus ist, sondern weil er es jetzt in seinem irdis<strong>ch</strong>en<br />

Dienst wirkli<strong>ch</strong> ist, gilt seine Verheißung den Seinen, und dies ergibt<br />

ni<strong>ch</strong>t eine Veränderung in seiner Sendung, sondern ist deren Ausführung. Den<br />

Geist, den Sohn, den Vater hat Jesus somit den Seinen verheißen. Seine Verheißung<br />

gibt die ganze Gnade und verkündigt uns den dreieinigen Gott als<br />

unseren Gott.


19^ Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

Weil Jesus den Anteil seiner Jünger an der göttli<strong>ch</strong>en Gnade von seinem<br />

Wort abgeleitet hat, spri<strong>ch</strong>t er weiter aus, was diesem Grund- und Eckstein<br />

ihrer Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm Si<strong>ch</strong>erheit und Unvergängli<strong>ch</strong>keit einpflanzt. Ist<br />

ni<strong>ch</strong>t das Wort ein flü<strong>ch</strong>tiges Ding, das ihnen entfallen und verloren gehen<br />

kann? Sein Wort hat aber den lebendigen Bes<strong>ch</strong>irmer bei si<strong>ch</strong>, den Anwalt, den<br />

heiligen Geist. Dieser übernimmt das Lehramt, das Jesus jetzt s<strong>ch</strong>ließt, und<br />

vollendet es. 14,25. 26: Dies habe i<strong>ch</strong> zu eu<strong>ch</strong> geredet, als i<strong>ch</strong> bei eu<strong>ch</strong> war.<br />

Aber der Anwalt, der heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden<br />

wird, der wird eu<strong>ch</strong> alles lehren und eu<strong>ch</strong> an alles erinnern, was i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> sagte<br />

Sie haben am Geist ni<strong>ch</strong>t eine mangelhafte Leitung, die hie und da versagt, sondern<br />

die voll zurei<strong>ch</strong>ende Hilfe in jeder S<strong>ch</strong>wierigkeit und Dunkelheit, den,<br />

der im hellen Li<strong>ch</strong>t Gottes steht und ihnen au<strong>ch</strong> alles zu gewähren vermag,<br />

was sie an Li<strong>ch</strong>t und Erkenntnis bedürfen. Damit lebt Jesu Wort in si<strong>ch</strong>erer<br />

Klarheit und unvergängli<strong>ch</strong>er Deutli<strong>ch</strong>keit in ihnen fort. Denn das Lehren<br />

des Geistes erfolgt ni<strong>ch</strong>t abseits und ges<strong>ch</strong>ieden vom eigenen Lehramt des Christus;<br />

vielmehr nimmt der Geist das Wort, das sie von Jesus hörten, unter seine<br />

Obhut, stellt es im re<strong>ch</strong>ten Augenblick vor ihr Auge, weckt es immer neu in<br />

ihnen auf und eignet ihnen die S<strong>ch</strong>ätze der Wahrheit und Gere<strong>ch</strong>tigkeit an,<br />

die darin bes<strong>ch</strong>lossen sind.<br />

14,27: Frieden lasse i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> zurück; meinen Frieden gebe i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>. Ni<strong>ch</strong>t<br />

wie die Welt gibt, gebe i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>. Euer Herz werde ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>üttert und ni<strong>ch</strong>t<br />

verzagt. Mit seinem Wort, und dur<strong>ch</strong> sein Wort läßt er ihnen Frieden zurück,<br />

ni<strong>ch</strong>t Streit, ni<strong>ch</strong>t Entzweiung weder mit Gott no<strong>ch</strong> mit den Mens<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t<br />

die Unsi<strong>ch</strong>erheit s<strong>ch</strong>wankenden Bangens und angsvoller Fur<strong>ch</strong>t. Fest geknüpft<br />

ist ihr Band mit Gott und Glaube geweckt und das Werk des Teufels, Haß<br />

und Streit, in ihrem Herzen getilgt und dasselbe gegen diese Qual und Not<br />

verwahrt. Seinen eigenen Frieden gibt er ihnen. Er hat ni<strong>ch</strong>ts gegen sie im Herzen,<br />

sondern nimmt von ihnen Abs<strong>ch</strong>ied als der, der sie mit vollem Vergeben<br />

und ewiger Treue zu si<strong>ch</strong> zieht. Dadur<strong>ch</strong>, daß er mit ihnen Frieden hält, wird<br />

derselbe Friede, den er in si<strong>ch</strong> selber trägt, au<strong>ch</strong> ihr Besitz. Aus seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

mit ihnen entsteht ihr Eins<strong>ch</strong>luß in Gottes Gnade. Weil er sie neben<br />

si<strong>ch</strong> vor den Vater stellt, ist er ihre Bes<strong>ch</strong>irmung gegen Zorn, Strafe und Geri<strong>ch</strong>t,<br />

ist selbst der Grund, auf dem die Liebe des Vaters zu ihnen steht und ihre<br />

ewige Kraft gewinnt. So ist es au<strong>ch</strong> seine Liebe, die er ihnen für ihre Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

untereinander gab, mit der sie alle Bitterkeit und Entzweiung in si<strong>ch</strong><br />

überwinden und am Unfrieden der Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t selbst in den Unfrieden<br />

kommen, sondern über der Bosheit der Welt im Frieden bleiben. Sein Geben<br />

ist von anderer Art als das der Welt; darum dürfen sie seinem Geben trauen.


<strong>Johannes</strong> 14,25—30 199<br />

Gibt Jesus Frieden, so ist das eine bleibende Gabe, Verleihung eines vollen<br />

Eigentums, si<strong>ch</strong>eres Gut und lauter Güte, ohne Fals<strong>ch</strong>heit, ohne Sta<strong>ch</strong>el, Kränkung<br />

und Erniedrigung.<br />

So dürfen die Jünger fest und getrost unter sein Kreuz treten, ni<strong>ch</strong>t mit<br />

einem verwirrten und zagenden Herzen. Ja, er spri<strong>ch</strong>t das wundersame "Wort<br />

aus, daß sie si<strong>ch</strong> an seinem Weggehen freuen sollten und si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> daran freuen<br />

würden, wenn sie ihn liebten. 14,28: Ihr habt gehört, daß i<strong>ch</strong> zu eu<strong>ch</strong> sagte:<br />

I<strong>ch</strong> gehe hin und komme zu eu<strong>ch</strong>. Wenn ihr midi lieben würdet, so würdet ihr<br />

eu<strong>ch</strong> freuen, daß i<strong>ch</strong> zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als i<strong>ch</strong>. Ihr bestürztes<br />

Herz mit seinem bangen S<strong>ch</strong>recken vor seinem S<strong>ch</strong>eiden tut die<br />

S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit ihrer Liebe kund. Für ihn ist der Hingang zum Vater Erhöhung,<br />

Wa<strong>ch</strong>stum des Lebens, der Herrli<strong>ch</strong>keit, der Ma<strong>ch</strong>t und Förderung<br />

seines Rei<strong>ch</strong>s, weil der Vater größer ist als er.<br />

Größer ist er als alle, sagte er 10,29, als er sein Hirtenamt pries, das er in<br />

der Einheit mit dem Vater führt. Er stellt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> zu diesen allen, über denen<br />

der Vater in der Herrli<strong>ch</strong>keit eines ihm allein eignenden Lebenss<strong>ch</strong>atzes steht.<br />

Denn wenn er au<strong>ch</strong> stets in jedem Moment seines Lebens ni<strong>ch</strong>t eine stückweise<br />

und geteilte, sondern die ganze liebe des Vaters si<strong>ch</strong> gegeben weiß und ni<strong>ch</strong>ts<br />

Trennendes zwis<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> und dem Vater hat, so ist do<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e Geben<br />

dadur<strong>ch</strong> bemessen, daß er jetzt innerhalb der Welt im Maß der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Art <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Gesetz unserer Natur sein Leben führt. Darum erglänzt ihm<br />

selber no<strong>ch</strong> helleres Li<strong>ch</strong>t, no<strong>ch</strong> lebendigeres Leben, no<strong>ch</strong> herrli<strong>ch</strong>ere Herrli<strong>ch</strong>keit,<br />

indem er zum Vater geht. Und wenn ni<strong>ch</strong>t der Blick der Jünger matt<br />

und eng an ihrer eigenen Armut und S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e klebte, gösse ihnen das Wort:<br />

I<strong>ch</strong> gehe zum Vater, eine starke Freude ins Herz. Na<strong>ch</strong>her, als sie es sahen, daß<br />

er zum Vater ging, da kam sie ihnen au<strong>ch</strong> und sie haben sie später gelernt.<br />

Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t darauf, ob sie Freude oder Angst empfinden, legt Jesus den<br />

Na<strong>ch</strong>druck, sondern darauf, daß sie glauben. 14,29: Und jetzt habe i<strong>ch</strong> es eu<strong>ch</strong><br />

gesagt, bevor es ges<strong>ch</strong>ah, damit ihr, wenn es ges<strong>ch</strong>ieht, glaubt. Zum Glauben<br />

will er mit seinem Wort ihnen helfen, das ihnen seinen Ausgang kundtut, ehe<br />

er ges<strong>ch</strong>ieht, weil im Glauben das Band gegeben ist, das sie bei ihm festhält.<br />

Nun folgt no<strong>ch</strong> ein letztes Wort, das ausspri<strong>ch</strong>t, was den nä<strong>ch</strong>sten Stunden<br />

ihre Bedeutung gibt, und die innere Seite an seiner Passion enthüllt. 14,30:<br />

Ni<strong>ch</strong>t mehr viel werde i<strong>ch</strong> mit eu<strong>ch</strong> reden; denn der Herrs<strong>ch</strong>er über der Welt<br />

kommt, und er hat in mir ni<strong>ch</strong>ts. Weil er der Herr über die Mens<strong>ch</strong>en ist und<br />

ihren inwendigen Stand regiert, hat er die Ma<strong>ch</strong>t zu kommen. Deshalb fehlt'<br />

es ihm ni<strong>ch</strong>t an Dienern und Gehilfen, die seiner Weisung gehor<strong>ch</strong>en und ihm<br />

ihren Willen leihen. In diesen seinen Dienern kommt er nun und stößt Jesus


2OO Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

aus der Welt, die er regiert, aus, weil er der Herrs<strong>ch</strong>er über die Welt bleiben<br />

will und darum den tötet, der als der gute Hirte zwis<strong>ch</strong>en ihn und die Mens<strong>ch</strong>en<br />

tritt. Er kommt, sagt Jesus, weil er ni<strong>ch</strong>t nur seine Diener s<strong>ch</strong>ickt, sondern<br />

selbst bei ihnen ist. <strong>Das</strong> Wort deutet an, daß Jesus no<strong>ch</strong> eine jener Kampfesstunden<br />

vor si<strong>ch</strong> hat, die für uns ein Geheimnis sind, in denen er den versu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Angriff des Satans in si<strong>ch</strong> selbst erlitten und überwunden hat. Er sieht<br />

ihn aber ohne Fur<strong>ch</strong>t kommen; denn er hat in si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts, was ihm gehört. Er<br />

hat mit unbeflecktem Gewissen seinen irdis<strong>ch</strong>en Lauf vollbra<strong>ch</strong>t. Kein Grund,<br />

weshalb der Teufel Ma<strong>ch</strong>t über ihn hätte, findet si<strong>ch</strong> in seinem Wollen und<br />

Tun, ni<strong>ch</strong>ts, was jener verklagen könnte, weshalb er Gottes Liebe s<strong>ch</strong>elten<br />

dürfte, die er dem Sohne gibt, und ihn herausbegehren könnte, wie Jesus zu<br />

Petrus sagte: Der Satan hat di<strong>ch</strong> herausbegehrt. Den inneren Sieg hat Jesus<br />

s<strong>ch</strong>on erfo<strong>ch</strong>ten und si<strong>ch</strong> selbst allem Teuflis<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>lossen, so daß er ni<strong>ch</strong>ts<br />

von des Teufels Eigentum in seinem Inneren trägt; das ist seine Ruhe auf seinem<br />

Kreuzesweg.<br />

Do<strong>ch</strong> wozu denn das Kreuz und die Ma<strong>ch</strong>t des Fürsten der Welt über ihn?<br />

Warum darf er kommen und ihn aus der Welt vertreiben? 14,31a: Aber damit<br />

die Welt erkenne, daß i<strong>ch</strong> den Vater liebe und so tue, wie mir der Vater befohlen<br />

hat. Dur<strong>ch</strong> das Kreuz wird der Welt gezeigt, daß Jesus sein Herz vom<br />

Vater ni<strong>ch</strong>t abgezogen hat, sondern ni<strong>ch</strong>ts s<strong>ch</strong>ätzt als ihn und ni<strong>ch</strong>ts will als<br />

seinen Willen. Indem er Welt, Leib und Leben fahren läßt, ma<strong>ch</strong>t er die Wahrheit<br />

und Kraft seiner Liebe Gottes offenbar und bewährt die Aufri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

und Vollendung seines Gehorsams, der ni<strong>ch</strong>t nur in Worten steht, sondern<br />

au<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Weisung tut. Eben deshalb hat der Teufel ni<strong>ch</strong>ts in ihm.<br />

Hier ist das eine ni<strong>ch</strong>t vom anderen ablösbar: weil Jesus alles, was in seinem<br />

Herzen ist, aus dem Vater nahm, hat der Satan ni<strong>ch</strong>ts in ihm. Er war offen<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> oben, darum vers<strong>ch</strong>lossen <strong>na<strong>ch</strong></strong> unten, an den Vater gebunden, darum gegen<br />

den Teufel frei, dem Vater gehorsam, darum der Oberwinder alles dessen,<br />

was satanis<strong>ch</strong> ist. Sein Opfer, das er dem Vater bringt, und sein Sieg über<br />

den Teufel ges<strong>ch</strong>ieht dur<strong>ch</strong> einen und denselben Willen, dur<strong>ch</strong> eine und dieselbe<br />

Tat. Darin liegt für ihn der starke, zwingende Grund, weshalb er sterben<br />

will. Es muß der Welt endli<strong>ch</strong> der Tag bes<strong>ch</strong>ert werden, an dem si<strong>ch</strong>tbar wird,<br />

was Gott von ganzem Herzen lieben heißt und wie man ihn ni<strong>ch</strong>t nur mit den<br />

Lippen ehrt, sondern mit der Tat. Weil si<strong>ch</strong> eine ganze Liebe und ein zur Tat<br />

gewordener Gehorsam am Kreuze offenbart, ist dasselbe Jesu Gottesdienst und<br />

die versöhnende, Sünde, S<strong>ch</strong>uld und Teufel wegs<strong>ch</strong>affende Heilandstat.<br />

Vom Gehorsam spra<strong>ch</strong> Jesus, davon, daß er wirkli<strong>ch</strong> tue, was ihm der Vater<br />

geboten habe. <strong>Johannes</strong> erinnert uns hier dur<strong>ch</strong> ein kurzes Wort, daß er


<strong>Johannes</strong> 14,31a—31b; 15,1—2 201<br />

ni<strong>ch</strong>t nur vom Gehorsam spra<strong>ch</strong>, sondern wirkli<strong>ch</strong> so handelte. 14,31b: Steht<br />

auf; wir wollen von hier weggehen. Trotzdem er uns ni<strong>ch</strong>t angibt, weder wo<br />

Jesus war no<strong>ch</strong> wohin er ging, sondern uns im folgenden no<strong>ch</strong> viele Worte Jesu<br />

aus der Abs<strong>ch</strong>iedsstunde gibt, sind diese Worte denno<strong>ch</strong> gerade an dieser Stelle<br />

keineswegs bedeutungslos. Sie ri<strong>ch</strong>ten unseren Blick auf den geraden, festen<br />

Gang Jesu, der, wenn er vom Gehorsam spra<strong>ch</strong>, ents<strong>ch</strong>lossen die Tat daraus<br />

werden ließ, darum klar und si<strong>ch</strong>er den Ereignissen entgegenging, ni<strong>ch</strong>t widerwillig<br />

ins Leiden fortgerissen wurde, sondern selbst den Jüngern die Weisung<br />

gab: Nun ist es Zeit; ma<strong>ch</strong>t eu<strong>ch</strong> bereit; wir gehen weg.<br />

Wieviel blieb no<strong>ch</strong> an der Aufgabe, die er den Jüngern hinterließ, für diese<br />

dunkel! Ihnen hatte er zwar dur<strong>ch</strong> die vorangehenden Worte den festen Glaubensstand<br />

gegeben, der in der ganzen, vollen Gottesgnade steht. Aber was<br />

waren sie für eine kleine S<strong>ch</strong>ar! Wie Gottes Werk von ihnen aus ins Große si<strong>ch</strong><br />

entfaltet, wie es mit dem Wa<strong>ch</strong>stum der Gemeinde geht, legt ihnen Jesus jetzt<br />

mit dem Glei<strong>ch</strong>nis vom Weinstock dar. 15,1: I<strong>ch</strong> hin der wahrhaftige Weinstock,<br />

und mein Vater ist der Weingärtner. Er ist der Weinstock, der wahrhaft<br />

ein sol<strong>ch</strong>er zu heißen verdient, weil er wirkli<strong>ch</strong> mit der Kraft ausgerüstet ist,<br />

Reben aus si<strong>ch</strong> wa<strong>ch</strong>sen zu lassen und S<strong>ch</strong>osse zu treiben, die Fru<strong>ch</strong>t bringen,<br />

wie der Weingärtner sie su<strong>ch</strong>t. Der Weingärtner ist sein Vater. Er hat ihn als<br />

den Weinstock in die Welt gestellt; für ihn wu<strong>ch</strong>s er; für ihn s<strong>ch</strong>uf er die Reben;<br />

für ihn trägt er die Fru<strong>ch</strong>t. Au<strong>ch</strong> in diesem Glei<strong>ch</strong>nis ist wieder alles zusammengefaßt,<br />

was Jesu Christusamt in si<strong>ch</strong> hat. Daß für Gott nun die Fru<strong>ch</strong>t auf Erden<br />

wa<strong>ch</strong>se und Mens<strong>ch</strong>en entstehen, die für ihn leben, ihn kennen und preisen<br />

und das, was sein ist, ihm darbringen, das ist sein Christuswerk. Nur dur<strong>ch</strong> ihn<br />

werden sie; es gibt keinen anderen Weinstock neben ihm.<br />

Der Weinstock ist Jesus, die S<strong>ch</strong>osse, die aus ihm wa<strong>ch</strong>sen, die Jünger; die<br />

Fru<strong>ch</strong>t, die aus den Jüngern wä<strong>ch</strong>st, kann darum unmögli<strong>ch</strong> in irgendwel<strong>ch</strong>en<br />

Dingen bestehen, so wenig der Weinstock oder die S<strong>ch</strong>osse Dinge sind. Die<br />

Mens<strong>ch</strong>en, die die Jünger zu Gott führen, die Gemeinde, die dur<strong>ch</strong> ihren Dienst<br />

zu Gott berufen wird, das ist die Fru<strong>ch</strong>t, die an den Reben wä<strong>ch</strong>st. Die Tür<br />

Christus, der Hirte sein Bote, die Herde die Gemeinde, und der Weinstock<br />

Christus, die Rebe sein Bote, die Trauben die Gemeinde: beide Glei<strong>ch</strong>nisse entspre<strong>ch</strong>en<br />

einander genau. Jesus blickt beim S<strong>ch</strong>eiden auf die Gemeinde, die er<br />

dur<strong>ch</strong> den Dienst der Seinen sammeln wird.<br />

Weil der Weinstock gepflanzt ist um der Fru<strong>ch</strong>t willen, wird jedes S<strong>ch</strong>oß an<br />

ihm vom Weingärtner so behandelt, wie es si<strong>ch</strong> zu diesem Zweck des Weinstocks<br />

stellt. 15,2: Jedes S<strong>ch</strong>oß an mir, das ni<strong>ch</strong>t Fru<strong>ch</strong>t trägt, nimmt er weg,<br />

und jedes, das Fru<strong>ch</strong>t trägt, reinigt er, damit es mehr Fru<strong>ch</strong>t trage. <strong>Das</strong> un-


2O2 Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

fru<strong>ch</strong>tbare S<strong>ch</strong>oß bri<strong>ch</strong>t er aus und läßt es ni<strong>ch</strong>t vom Saft des Weinstocks<br />

zehren. <strong>Das</strong> fru<strong>ch</strong>tbare befreit er von allem, was seine Fru<strong>ch</strong>tbarkeit mindert,<br />

und gibt ihm alles, was diese mehrt. Dienst Gottes an den Mens<strong>ch</strong>en, das war<br />

Jesu Wille und Leben; darum muß dasselbe au<strong>ch</strong> von den Jüngern gelten. Dazu<br />

sind sie seine Jünger, damit er dur<strong>ch</strong> sie die Mens<strong>ch</strong>en gewinne, die für den<br />

Vater leben. Der Weinstock hat nur im S<strong>ch</strong>oß das Organ, dur<strong>ch</strong> das er die<br />

Trauben trägt; so ri<strong>ch</strong>tet au<strong>ch</strong> Jesus ni<strong>ch</strong>t anders als dur<strong>ch</strong> die Seinen den Willen<br />

Gottes an der Welt aus und führt nur dur<strong>ch</strong> ihren Dienst sein Werk ins<br />

Große. Ni<strong>ch</strong>t dazu hat er sie berufen, damit sie seine Gabe nur für si<strong>ch</strong> selbst<br />

genießen und selbst si<strong>ch</strong> ewiges Leben gern geben lassen. S<strong>ch</strong>osse sind sie, und<br />

diese sind der Trauben wegen da. Tragen sie Trauben, dann haben sie am<br />

Weinstock Platz. Tragen sie ni<strong>ch</strong>t, so werden sie weggetan. Es ist dieselbe Weisung,<br />

wie sie Jesus bei Matthäus den Jüngern im Glei<strong>ch</strong>nis von den Talenten<br />

gibt, die die Kne<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t dazu empfangen, um sie zu behalten, sondern um<br />

sie zu mehren. Wie derjenige Kne<strong>ch</strong>t, der nur sein eigenes Talent zurückbringt,<br />

si<strong>ch</strong> selbst vom Herrn ges<strong>ch</strong>ieden hat, so wird au<strong>ch</strong> das S<strong>ch</strong>oß, das ni<strong>ch</strong>ts trägt,<br />

vom Weinstock weggetan. Der Vater wird diesen von sol<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ossen befreien.<br />

So gewiß die Liebe des Vaters dem Sohne gilt, so gewiß wird sein Geri<strong>ch</strong>t<br />

den Jünger treffen, der das, was er empfangen hat, ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> den anderen<br />

geben will. Ebenso gewiß wird ihm, wenn er Fru<strong>ch</strong>t bringt, die göttli<strong>ch</strong>e Zu<strong>ch</strong>t<br />

zuteil, deren er deshalb bedarf, weil er ni<strong>ch</strong>t nur das in si<strong>ch</strong> trägt, was ihm Jesus<br />

gab, sondern au<strong>ch</strong> das, was er selbst aus dem Empfangenen ma<strong>ch</strong>t und was<br />

dur<strong>ch</strong> die Gemeins<strong>ch</strong>aft mit den anderen in ihn hineingelegt wird. Der Jünger<br />

kann an dem, was er besitzt, ni<strong>ch</strong>t selbst die S<strong>ch</strong>eidung vornehmen; denn ihm<br />

sind seine eigenen Gedanken und Pläne lieb. <strong>Das</strong> s<strong>ch</strong>arfe Messer des Weingärtners<br />

wird aber dafür sorgen, daß in der Kir<strong>ch</strong>e alles abwelkt und zerfällt,<br />

was ni<strong>ch</strong>t aus Christus stammt und ni<strong>ch</strong>t seinem Willen dient.<br />

15,3 : S<strong>ch</strong>on seid ihr rein um des Wortes willen, das i<strong>ch</strong> zu eu<strong>ch</strong> geredet habe.<br />

Mit Dank gegen den Vater sieht Jesus auf seine Jünger, an denen er es s<strong>ch</strong>on<br />

bewährt hat, daß er die reinigt, die mit Jesus so wie die S<strong>ch</strong>osse mit dem Weinstock<br />

verbunden sind. <strong>Das</strong>, was sie rein und zu ihrem Dienste taugli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t,<br />

ist Jesu Wort. Dur<strong>ch</strong> sein Wort sind sie in Gottes Wohlgefallen und Vergebung<br />

gestellt und mit Brau<strong>ch</strong>barkeit und Fru<strong>ch</strong>tbarkeit begabt. Er spri<strong>ch</strong>t damit<br />

no<strong>ch</strong>mals aus, was er ihnen dur<strong>ch</strong> die Fußwas<strong>ch</strong>ung vorgehalten hat. Weil sie<br />

rein sind, da ihre Berufung zu ihm ihre Reinheit ist, können sie nun einander<br />

die Füße was<strong>ch</strong>en oder, wie er es hier ausdrückt, Trauben tragen.<br />

Dadur<strong>ch</strong> wird für die Jünger zum ersten und wi<strong>ch</strong>tigsten Anliegen, daß sie<br />

mit Jesus verbunden bleiben. 15,4: Bleibt in mir und i<strong>ch</strong> in eu<strong>ch</strong>. Wie das S<strong>ch</strong>oß


<strong>Johannes</strong> 15,3-6 203<br />

ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> selbst Fru<strong>ch</strong>t tragen kann, wenn es ni<strong>ch</strong>t an der Rebe bleibt, so<br />

könnt es au<strong>ch</strong> ihr ni<strong>ch</strong>t, wenn ihr ni<strong>ch</strong>t in mir bleibt. Trennung von ihm ist<br />

der Tod ihrer Fru<strong>ch</strong>tbarkeit; ni<strong>ch</strong>t selbständig und eigenmä<strong>ch</strong>tig können sie den<br />

Mens<strong>ch</strong>en das geben, was ihnen heilsam ist und sie zu Gott leitet; nur wenn<br />

sie mit Jesus vereint bleiben und aus ihm, was sie sind und haben, nehmen,<br />

kann dur<strong>ch</strong> sie die Gemeinde Gottes entstehen. Der Jünger hat die Wahrheit<br />

ni<strong>ch</strong>t in si<strong>ch</strong> — i<strong>ch</strong> bin sie für eu<strong>ch</strong> —, das Leben ni<strong>ch</strong>t in si<strong>ch</strong> — i<strong>ch</strong> bin es für<br />

eu<strong>ch</strong> —, den Vater ni<strong>ch</strong>t bei si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> sein eigenes "Werk oder Verdienst — wer<br />

mi<strong>ch</strong> liebt, den wird mein Vater lieben. Seine Fülle s<strong>ch</strong>loß Jesus den Jüngern<br />

auf, daß sie daraus Gnade um Gnade nehmen, wie der Weinstock seine Kraft<br />

in die S<strong>ch</strong>osse gibt. Nehmen sie aus ihm, was sie denken und wollen, so wird<br />

. ihr Dienst an den Mens<strong>ch</strong>en gelingen und ihr Werk in der Welt eine Segensma<strong>ch</strong>t.<br />

Er öffnet si<strong>ch</strong> ihnen weit. Ni<strong>ch</strong>t nur „bei mir bleibt", mahnt er sie, sondern<br />

„in mir bleibt". Er gibt ihnen Raum in si<strong>ch</strong> und stellt sie mit si<strong>ch</strong> in jenen<br />

inwendigen Zusammenhang, dur<strong>ch</strong> den er ihr geistiges Leben von seiner Wurzel<br />

aus bestimmt. Darum vollendet si<strong>ch</strong> seine Mahnung darin, daß er zum<br />

Wort: „Bleibt in mir", das weitere fügt: „und i<strong>ch</strong> in eu<strong>ch</strong>". Darum hat er si<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> im Weinstock sein Bild gegeben, dessen S<strong>ch</strong>osse ni<strong>ch</strong>t äußerli<strong>ch</strong>, sondern<br />

mit lebendigem Band am Weinstock hängen, aus diesem herauswa<strong>ch</strong>sen .und<br />

aus ihm si<strong>ch</strong> nähren.<br />

Alles liegt für die Seinigen am klaren Blick in ihr Verhältnis zu ihm. 15,5:<br />

I<strong>ch</strong> bin der Weinstock; ihr seid die S<strong>ch</strong>osse. Wer in mir bleibt und i<strong>ch</strong> in ihm,<br />

der trägt viel Fru<strong>ch</strong>t; denn ohne mi<strong>ch</strong> könnt ihr ni<strong>ch</strong>ts tun. Die Bewahrung<br />

des Orts, den er ihnen gibt, und die Erhaltung der Gaben, die er in sie legt,<br />

bildet die Bedingung, von der der ganze Ertrag ihrer Arbeit abhängig ist. Wie<br />

der Sohn ni<strong>ch</strong>ts aus si<strong>ch</strong> selbst vermag, so gilt es au<strong>ch</strong> von den Jüngern im<br />

Verhältnis zu Jesus, daß sie los von ihm ohnmä<strong>ch</strong>tig und unnütz sind. Werden<br />

sie selbständig gegen ihn, vom Selbstvertrauen regiert statt vom Glauben an<br />

ihn, von ihren eigenen Gedanken voll statt dur<strong>ch</strong> sein Wort bestimmt, ihrer<br />

Ehre <strong>na<strong>ch</strong></strong>gehend statt von seiner Liebe geleitet, dann verderben sie ni<strong>ch</strong>t nur<br />

ihre Arbeit, sondern au<strong>ch</strong> ihre Person. 15,6: Wenn jemand ni<strong>ch</strong>t in mir bleibt,<br />

so ist er hinausgeworfen wie das S<strong>ch</strong>oß und verdorrt, und man sammelt sie und<br />

wirft sie in das Feuer, und sie verbrennen.<br />

Nie verlor Jesu Gnade ihre Einheit mit der Gere<strong>ch</strong>tigkeit. Wie er vor Israel<br />

in seinem heiligen Ernst stand und dessen Entfremdung von Gott strafte, denselben<br />

Ernst legt er au<strong>ch</strong> in seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit den Jüngern hinein, sowie<br />

sie si<strong>ch</strong> in Eigensu<strong>ch</strong>t und Hoffart von ihm unabhängig ma<strong>ch</strong>en. Ähnli<strong>ch</strong> hat<br />

uns au<strong>ch</strong> Matthäus im Abs<strong>ch</strong>iedswort Jesu an die Jünger dur<strong>ch</strong> das Glei<strong>ch</strong>nis


2O 4 Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

vom übermütigen und vom trägen Kne<strong>ch</strong>t und von den Törinnen und s<strong>ch</strong>on<br />

im Bilde vom dumm gewordenen Salz die ernste Drohung Jesu, die er den<br />

Seinigen hinterließ, aufbewahrt.<br />

Aus der Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm erwä<strong>ch</strong>st den Jüngern ihr Re<strong>ch</strong>t zum Bitten.<br />

15,7: Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in eu<strong>ch</strong> bleiben, dann bittet,<br />

was ihr wollt, und es wird eu<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ehen. Bleiben sie in ihm, so bleiben au<strong>ch</strong><br />

seine "Worte in ihnen. Darin haben sie das Merkzei<strong>ch</strong>en, das ihnen Aufs<strong>ch</strong>luß<br />

über ihr Verhältnis zu Jesus gibt. Wei<strong>ch</strong>t sein "Wort aus ihrem Sinn, so daß es<br />

sie ni<strong>ch</strong>t mehr leitet und sie ni<strong>ch</strong>t mehr inwendig bewegt, so ging er ihnen verloren.<br />

Ist dagegen ihre Verbundenheit mit ihm eng, fest und kräftig, so regiert<br />

sie sein "Wort stark, lebendig und tief. Dadur<strong>ch</strong> bekommt ihr Bitten Klarheit,<br />

die sieht, was nötig ist, und Glauben, der Gott ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>ilt, sondern seine Güte<br />

faßt und ehrt. Die Verheißung der Erhörung ma<strong>ch</strong>t Jesus au<strong>ch</strong> hier von aller<br />

Eins<strong>ch</strong>ränkung frei. Hat er den Mens<strong>ch</strong>en unter seine Führung gestellt, so ist<br />

dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> sein Gebet geordnet, und es brau<strong>ch</strong>t für dieses ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> besondere<br />

Regeln und Anweisungen; er kann vielmehr dieses si<strong>ch</strong> frei entfalten<br />

lassen und ihm die unbes<strong>ch</strong>ränkte Verheißung geben, da ja mit dem Mens<strong>ch</strong>en<br />

au<strong>ch</strong> sein Gebet in Christus bleibt und ni<strong>ch</strong>t wegs<strong>ch</strong>weifen oder gegen ihn si<strong>ch</strong><br />

kehren kann.<br />

15,8: Darin ist mein Vater verherrli<strong>ch</strong>t, daß ihr viel Fru<strong>ch</strong>t tragt und meine<br />

Jünger werdet. Andere zu Gott zu rufen und in ihr Herz Jesu Li<strong>ch</strong>t und Leben<br />

zu legen, ist die Verherrli<strong>ch</strong>ung, die der Gott darbringen kann, der selbst Jesu<br />

Namen trägt und von seiner Gabe lebt. So wird er sein Jünger. Hier sagt Jesus<br />

den Seinen ni<strong>ch</strong>t, daß sie seine Jünger seien, sondern daß sie es werden sollen.<br />

Indem sie von seinem Heilandssinn geleitet Fru<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>affen, üben sie ein immer<br />

neues Hören und Gehor<strong>ch</strong>en, das si<strong>ch</strong> ihm untergibt, ein fortgehendes und<br />

wa<strong>ch</strong>sendes Verstehen dessen, was er will und tut, ein immer fris<strong>ch</strong>es Glauben,<br />

das ihn ergreift und über alles s<strong>ch</strong>ätzt, ein dur<strong>ch</strong> ihr ganzes Leben si<strong>ch</strong> fortsetzendes<br />

"Werk, das dem Meister gehor<strong>ch</strong>t und seiner Gnade dient. Daß das,<br />

was die Jünger werden, ni<strong>ch</strong>ts anderes als die Jüngers<strong>ch</strong>aft des Christus sei,<br />

das dient dem Vater, der ihnen Christus gab, zur Verherrli<strong>ch</strong>ung.<br />

Alles ist hier auf die lautere, reine Liebe gestellt. Wenn Jesus die Seinen<br />

brau<strong>ch</strong>t, um dur<strong>ch</strong> sie die Fru<strong>ch</strong>t zu s<strong>ch</strong>affen, die der Weinstock tragen soll, so<br />

ist die Liebe das Wesen und die Kraft dieses Dienstes, und die Jünger werden<br />

ihn nie ausri<strong>ch</strong>ten, wenn sie ihn lieblos anfassen. Darum spri<strong>ch</strong>t Jesus hier von<br />

dem, was in ihnen die Liebe erweckt. 15,9: Wie mi<strong>ch</strong> der Vater geliebt hat und<br />

i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> geliebt habe, nun bleibt in meiner Liebe! Daß der Vater ihn geliebt<br />

hat, das ist der Anfang und Eckstein seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihnen; aus der


<strong>Johannes</strong> 15,7—14 205<br />

Liebe des Vaters zum Sohn kommt seine Heilandsma<strong>ch</strong>t, sein Christusamt,<br />

seine Herrli<strong>ch</strong>keit. Darin, daß Jesus die Jünger liebt, setzt si<strong>ch</strong> die Liebe des<br />

Vaters fort; sie gestaltet den Sinn des Sohnes und ma<strong>ch</strong>t, daß er die Seinen zu<br />

si<strong>ch</strong> ruft und für sie lebt. Nun kommt die Reihe an den Jünger, daß er si<strong>ch</strong><br />

von der Liebe Jesu ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>eide, sondern in ihr bleibe. Dadur<strong>ch</strong> tritt au<strong>ch</strong> er in<br />

die Liebe ein, die in Gott entsprungen und dur<strong>ch</strong> Jesus bis zu ihm hingeleitet<br />

ist. Er stellt si<strong>ch</strong> in Jesu Liebe dadur<strong>ch</strong> hinein, daß er seine Gebote tut. 15,10:<br />

Wenn ihr meine Gebote bewahrt, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, wie i<strong>ch</strong><br />

die Gebote meines Vaters bewahrt habe und in seiner Liebe bleibe. Jesus selber<br />

hat es ihnen dur<strong>ch</strong> seinen Gehorsam vorgema<strong>ch</strong>t, wie man si<strong>ch</strong> in seiner Liebe<br />

erhält. Er hat die Gebote des Vaters bewahrt, dadur<strong>ch</strong> seine Liebe e<strong>ch</strong>t und ungeheu<strong>ch</strong>elt<br />

gema<strong>ch</strong>t und daraus als Gewinn und Fru<strong>ch</strong>t dies gezogen, daß er in<br />

der Liebe des Vaters bleibt und von ihr belebt und geleitet ist.<br />

Der Liebe steht stets die Freude zur Seite: 15,11: <strong>Das</strong> habe i<strong>ch</strong> zu eu<strong>ch</strong> gespro<strong>ch</strong>en,<br />

damit meine Freude in eu<strong>ch</strong> sei und eure Freude vollendet werde. Die<br />

Angst, Sorge und Plage nimmt Jesus den Seinen dadur<strong>ch</strong> ab, daß er sie in seine<br />

Liebe stellt. So erweckt er in ihnen die Freude, die er selber hat, und ma<strong>ch</strong>t,<br />

daß sie aus ihm au<strong>ch</strong> in sie hinüberstrahlt als eine volle, ganze Freude, die<br />

ni<strong>ch</strong>ts s<strong>ch</strong>mälert oder trübt.<br />

15,12: Dies ist mein Gebot, daß ihr einander liebt, wie i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> geliebt habe.<br />

Weil si<strong>ch</strong> in der Bewahrung seines Gebots die Liebe zu ihm bewährt, wiederholt<br />

er no<strong>ch</strong>mals: Liebt einander! Dadur<strong>ch</strong> bleiben sie in seiner Liebe und treten<br />

in die völlige Freude ein. Spra<strong>ch</strong> er von der Fru<strong>ch</strong>t, die an ihnen als an den<br />

Reben des Weinstocks wa<strong>ch</strong>sen soll, so spra<strong>ch</strong> er ni<strong>ch</strong>t von Leistungen, die<br />

s<strong>ch</strong>immernd im Weltlauf hervorste<strong>ch</strong>en, weder von glanzvollen Worten no<strong>ch</strong><br />

von ma<strong>ch</strong>tvollen Zei<strong>ch</strong>en; sondern daran da<strong>ch</strong>te er, daß sie einander liebhaben.<br />

Mit dem „Fru<strong>ch</strong>tbringen" wollte er ni<strong>ch</strong>ts Neues zu seinem neuen Gebote hinzufügen,<br />

sondern ihnen zeigen, was die Liebe, die sie einander erweisen, tut<br />

und gibt, daß sie die anderen ni<strong>ch</strong>t zu uns hinzieht und mit dem bes<strong>ch</strong>enkt,<br />

was uns eigen ist, sondern mit Jesus als dem Weinstock verbindet und ihnen<br />

seine Gabe bes<strong>ch</strong>ert.<br />

Daß Jesus die Jünger liebhatte, worauf ihre Liebe zueinander si<strong>ch</strong> gründet,<br />

das steht jetzt hell im Li<strong>ch</strong>t. 15,13. 14: Keiner hat eine größere Liebe als die,<br />

daß er seine Seele für seine Freunde hingebe. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr<br />

tut, was i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> gebiete. Wer Freunde hat, die ihm so teuer sind, daß er ihnen<br />

sogar sein Leben opfert, der hat seine Liebe ganz gema<strong>ch</strong>t. <strong>Das</strong> trifft für Jesus<br />

zu, weil er die Jünger wirkli<strong>ch</strong> seine Freunde heißen kann, dann nämli<strong>ch</strong>,<br />

wenn sie tun, was er ihnen aufträgt. Würden sie sein Gebot wegwerfen und


2o6 j)ie Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

dieliebe zueinander verlassen,dann handelten sie ni<strong>ch</strong>t mehr als seine Freunde,<br />

und au<strong>ch</strong> er bliebe so ni<strong>ch</strong>t mehr ihr Freund. Daß sie einander f eind und Christi<br />

Freunde seien, ist zusammen ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>. Ri<strong>ch</strong>ten sie dagegen seinen Willen<br />

aus, so ist ihr Verhältnis zu ihm ni<strong>ch</strong>t mehr dem des Kne<strong>ch</strong>ts verglei<strong>ch</strong>bar.<br />

15,15: I<strong>ch</strong> nenne eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr Kne<strong>ch</strong>te, weil der Kne<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t weiß, was<br />

sein Herr tut. Eu<strong>ch</strong> aber habe i<strong>ch</strong> Freunde genannt, weil i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> alles kundgetan<br />

habe, was i<strong>ch</strong> von meinem Vater gehört habe. Ein Kne<strong>ch</strong>t muß dienen,<br />

ohne zu wissen warum und wozu, und ist ein unfreiwilliges Werkzeug eines<br />

höheren Willens, der ihm selber verborgen bleibt. Jesus dagegen hat mit den<br />

Seinen ganze Gemeins<strong>ch</strong>aft gehalten, hat ihnen den vollen Einblick in seine<br />

eigene Sendung gegeben, hat sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Zwang und Kne<strong>ch</strong>tung, sondern<br />

dur<strong>ch</strong> Glauben verbunden, weshalb sie wissen, wozu er sie brau<strong>ch</strong>t. Ihr<br />

Dienst ist somit ein williger und freier, und sie stehen dadur<strong>ch</strong> als seine Freunde<br />

neben ihm, die ihm gern bei seinem Heilandswerk Handrei<strong>ch</strong>ung tun.<br />

Hebt er sie zu si<strong>ch</strong> hinauf und stellt sie neben si<strong>ch</strong>, so darf jedo<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t verdunkelt werden, wer hier der Gebende, S<strong>ch</strong>affende,Führende ist: ni<strong>ch</strong>t<br />

sie, sondern er. 15,16: Ni<strong>ch</strong>t ihr habt mi<strong>ch</strong> erwählt; sondern i<strong>ch</strong> habe eu<strong>ch</strong> erwählt<br />

und habe eu<strong>ch</strong> bestellt, daß ihr hingeht und Fru<strong>ch</strong>t tragt und eure Fru<strong>ch</strong>t<br />

bleibe, damit eu<strong>ch</strong> der Vater alles gebe, um was ihr ihn in meinem Namen<br />

bittet. Er ma<strong>ch</strong>te sie zu seinen Jüngern, ni<strong>ch</strong>t sie ihn zu ihrem Herrn. Aus ihm<br />

kommt ihre Liebe, weil er sie ihnen zuerst erwiesen hat. Er hat sie in ihr Amt<br />

gesetzt. Daraus erwä<strong>ch</strong>st ihre Vollma<strong>ch</strong>t, mit Gewißheit in seinem Namen zu<br />

bitten und dur<strong>ch</strong> ihr Bitten alles zu empfangen. Gab er ihnen ihren Beruf, so<br />

dürfen sie si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei ihrem Bitten auf ihn gründen, weil ihnen ihre Bitten<br />

das bringen, wessen sie zur Erfüllung ihrer Pfli<strong>ch</strong>t bedürfen. Hat er in ihnen die<br />

Liebe gepflanzt, so darf si<strong>ch</strong> diese in dem, worum sie si<strong>ch</strong> kümmert und was<br />

sie den anderen geben mö<strong>ch</strong>te, auf seinen Namen stellen und wird es nie vergebli<strong>ch</strong><br />

tun. .<br />

Untereinander sind die Jünger in der Liebe verbunden. 15,17: <strong>Das</strong> gebiete<br />

i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>, daß ihr einander liebet. Aber wie ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> das Verhältnis der Jünger<br />

zur Welt? Au<strong>ch</strong> darüber gibt ihnen Jesus no<strong>ch</strong> seine stärkenden Worte; denn<br />

in dieser Ri<strong>ch</strong>tung legt si<strong>ch</strong> eine s<strong>ch</strong>were Last auf sie, die er ihnen ni<strong>ch</strong>t abnehmen<br />

kann. 15,18: Wenn die Welt eu<strong>ch</strong> haßt, so bedenkt, daß sie mi<strong>ch</strong> zuerst<br />

vor eu<strong>ch</strong> gehaßt hat. Es ist s<strong>ch</strong>wer, au<strong>ch</strong> nur von einigen si<strong>ch</strong> hassen zu<br />

lassen, ohne daß unser eigenes Herz daran ins S<strong>ch</strong>wanken kommt und si<strong>ch</strong> mit<br />

Groll und Bitterkeit befleckt, vollends, wenn es ni<strong>ch</strong>t nur einige sind, sondern<br />

alle, und der Haß der Welt getragen werden muß, uners<strong>ch</strong>üttert, ohne Verwirrung<br />

und Befleckung des Herzens. <strong>Das</strong> erste, was ihnen Jesus hierzu sagt,


<strong>Johannes</strong> 13,15—22 207<br />

ist: Sie hat midi zuerst gehaßt. <strong>Das</strong> zeigt ihnen, daß sie, obwohl sie jedermann<br />

s<strong>ch</strong>ilt und alle ihnen widerspre<strong>ch</strong>en, denno<strong>ch</strong> auf dem re<strong>ch</strong>ten Wege sind und<br />

si<strong>ch</strong> den gewissen Glauben und die volle Freude ni<strong>ch</strong>t dürfen s<strong>ch</strong>mälern lassen,<br />

glei<strong>ch</strong>wie Jesus seine Freude si<strong>ch</strong> bewahrt hat, obwohl au<strong>ch</strong>-er und er zuerst<br />

der von der Welt Gehaßte war.<br />

Sodann liegt in sol<strong>ch</strong>em Haß ein Zeugnis für die Größe dessen, was sie von<br />

ihm empfangen haben. 15,19: Wenn ihr aus der Welt wäret, so würde die<br />

Welt das lieben, was ihr eigen ist. Weil ihr aber ni<strong>ch</strong>t aus der Welt seid, sonr<br />

dem i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> aus der Welt heraus erwählt habe, deshalb haßt eu<strong>ch</strong> die Welt.<br />

Nur was der Welt fremd geworden ist, stößt sie ab. Was nur die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Art an si<strong>ch</strong> hat, weil es aus der Mens<strong>ch</strong>heit stammt, hält sie in Ehren und<br />

pflegt es mit Zärtli<strong>ch</strong>keit. Der Jünger zieht aber ni<strong>ch</strong>t aus dem natürli<strong>ch</strong>en und<br />

sündli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>enleben die Kraft, die ihn bewegt. Freili<strong>ch</strong> ist er zunä<strong>ch</strong>st<br />

au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts anderes als ein Glied der Welt und ein S<strong>ch</strong>oß an ihrem Baum; aber<br />

zwis<strong>ch</strong>en ihn und die Welt tritt Jesu Wahl. Aus der Glei<strong>ch</strong>artigkeit mit dem<br />

übrigen Mens<strong>ch</strong>enleben und aus der Abhängigkeit von der Meinung und dem<br />

Willen der Mens<strong>ch</strong>en ist er dadur<strong>ch</strong> herausgehoben, daß ihn Jesus zu si<strong>ch</strong> zog.<br />

So wird ihnen au<strong>ch</strong> der Haß der Mens<strong>ch</strong>en zum Zei<strong>ch</strong>en, wie Großes ihnen<br />

Jesus gab.<br />

15,20a: Gedenkt an das Wort, das i<strong>ch</strong> zu eu<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>: Ein Kne<strong>ch</strong>t ist ni<strong>ch</strong>t<br />

größer als sein Herr. <strong>Das</strong> bei der Fußwas<strong>ch</strong>ung, 13,16, von <strong>Johannes</strong> erwähnte<br />

Wort wird hier den Jüngern no<strong>ch</strong>mals in Erinnerung gebra<strong>ch</strong>t. Dort war seine<br />

Meinung die, daß sie si<strong>ch</strong> zum Dienen willig ma<strong>ch</strong>en, wie es Jesus tat, hier, daß<br />

sie si<strong>ch</strong> zum Leiden bereiten, wie au<strong>ch</strong> er litt. In beiden Beziehungen könnte es<br />

sie gelüsten, größer sein zu wollen als er. Sie haben dem, was ihm widerfahren<br />

ist, zu entnehmen, wie es ihnen und ihrem Wort gehen wird. 15,20b: Wenn<br />

sie mi<strong>ch</strong> verfolgt haben, werden sie au<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> verfolgen. Wenn sie mein Wort<br />

bewahrt haben, werden sie au<strong>ch</strong> das eure bewahren. <strong>Das</strong> s<strong>ch</strong>ützt davor, wegen<br />

des Widerstandes der Welt s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> zu werden und ihren Dienst unmutig aufzugeben,<br />

weil sie ja do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts ausri<strong>ch</strong>ten.<br />

Der Grund des Hasses, der sie trifft, liegt im Namen Jesu, den das Zeugnis<br />

der Jünger verkündigt und auf den si<strong>ch</strong> ihr ganzes Handeln stützt. 15,21:<br />

Aber sie werden all dies an eu<strong>ch</strong> meines Namens wegen tun, weil sie den ni<strong>ch</strong>t<br />

kennen, der mi<strong>ch</strong> gesandt hat. Sein Name tut ihn als den von Gott Gesandten<br />

kund und erregt darum den Widerspru<strong>ch</strong> derer, denen Gott fremd und unbekannt<br />

ist. Jesu Blick ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong>mals auf den Fall Israels; ihm wurde<br />

das Kommen Jesu zur S<strong>ch</strong>uld. 15,22: Wenn i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gekommen wäre und zu<br />

ihnen geredet hätte, hätten sie ni<strong>ch</strong>t Sünde. Nun aber haben sie wegen ihrer


2o8 Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

Sünde keinen Vorwand. Hätte er Israel ni<strong>ch</strong>t sein Wort gebra<strong>ch</strong>t, so hätte seine<br />

Unwissenheit und Verblendung ihm zur Ents<strong>ch</strong>uldigung gedient. Nun ist das<br />

Li<strong>ch</strong>t an Israel herangetreten, hat ihm aber ni<strong>ch</strong>t Leben, sondern das Geri<strong>ch</strong>t<br />

gebra<strong>ch</strong>t. 15,23 : Wer mi<strong>ch</strong> haßt, haßt au<strong>ch</strong> meinen Vater. Wie die Jesus erwiesene<br />

liebe dem Vater gegeben ist, so trifft der gegen ihn si<strong>ch</strong> empörende<br />

Haß seinen Vater, weil er si<strong>ch</strong> an dem erregt, was Gott ihm gab. Zu seinem<br />

Wort kommen no<strong>ch</strong> seine Werke. 15,24. 25: Wenn i<strong>ch</strong> unter ihnen die Werke<br />

ni<strong>ch</strong>t getan hätte, die kein anderer tat, so hätten sie ni<strong>ch</strong>t Sünde. Jetzt aber<br />

haben sie gesehen und do<strong>ch</strong> sowohl mi<strong>ch</strong> als meinen Vater gehaßt. Aber das ist<br />

ges<strong>ch</strong>ehen, damit das Wort, das in ihrem Gesetz ges<strong>ch</strong>rieben ist, erfüllt werde:<br />

Sie haben mi<strong>ch</strong> ohne Grund gehaßt (Psalm 35,19). Nimmt ihnen s<strong>ch</strong>on sein<br />

Wort die Ents<strong>ch</strong>uldigung, so ma<strong>ch</strong>en seine Werke sie vollends s<strong>ch</strong>uldig, da sie<br />

ihnen ein S<strong>ch</strong>auen ermögli<strong>ch</strong>ten, das Gottes Hilfe mit Augen sah; denno<strong>ch</strong><br />

haben sie den Haß gegen ihn und gegen den Vater zustande gebra<strong>ch</strong>t und damit<br />

dem S<strong>ch</strong>riftwort, das von einem Hassen redet, dem jede Ursa<strong>ch</strong>e fehlt, die<br />

tiefste Erfüllung gegeben.<br />

Trotzdem liegt für die Jünger kein Grund zum Verzagen vor. Jesu Werk<br />

wird trotz des Hasses der Welt weiter wa<strong>ch</strong>sen und sein Wort unüberwunden<br />

bleiben; denn der Geist der Wahrheit, der kommen wird, wird als Zeuge für<br />

Jesus eintreten. Sein Zeugnis kann die Welt ni<strong>ch</strong>t ersticken. 15,26: Wenn der<br />

Anwalt kommt, den i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> vom Vater senden werde, der Geist der Wahrheit,<br />

der vom Vater ausgeht, der wird über mi<strong>ch</strong> Zeugnis geben. Oben sagte<br />

Jesus: I<strong>ch</strong> werde den Vater bitten, und er wird ihn senden; dann: In meinem<br />

Namen wird er ihn senden; und hier vollends: I<strong>ch</strong> werde ihn vom Vater her<br />

senden. Die Einheit des Willens und der Tat, die zwis<strong>ch</strong>en dem Vater und<br />

Sohn besteht, wird uns au<strong>ch</strong> hier vorgeführt. Indem Jesus selbst wie der Vater<br />

den Geist sendet, ist dieser sein Zeuge und bewirkt, daß sein Name hell aufleu<strong>ch</strong>tet<br />

und zur gewissen Wahrheit wird. Wie ho<strong>ch</strong> dieser Zeuge steht, wie<br />

mä<strong>ch</strong>tig er spri<strong>ch</strong>t, wie unbezwingli<strong>ch</strong> er für das Widerstreben des Mens<strong>ch</strong>en<br />

ist, das sollen wir daran ermessen, daß er vom Vater ausgeht. So hat er au<strong>ch</strong><br />

an der Gottesma<strong>ch</strong>t teil, die dem Widerstand der Welt ni<strong>ch</strong>t wei<strong>ch</strong>t.<br />

Unter dem S<strong>ch</strong>utz und mit der Hilfe des Geistes tun nun die Jünger ihren<br />

JDienst. 15,27: Aber au<strong>ch</strong> ihr seid Zeugen, weil ihr von Anfang an bei mir seid.<br />

Weil sie seinen ganzen Weg und Wandel gesehen haben, ist die Verkündigung<br />

des Wortes, das ihn bezeugt, ihr Beruf. Jesus bleibt au<strong>ch</strong> im Blick auf die Zukunft<br />

bei dem, was er einst den Juden in Jerusalem sagte, daß in seiner Sa<strong>ch</strong>e<br />

das Zeugnis der Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>end sei. Es kommt auf Gottes selbsteigene<br />

Aussage an, und diese wird <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem S<strong>ch</strong>eiden dur<strong>ch</strong> den Geist er-


., . <strong>Johannes</strong> 15,2j-2y; i6ti-Sa 209<br />

folgen. Wie er aber deswegen das Zeugnis des Täufers oder der S<strong>ch</strong>rift ni<strong>ch</strong>t<br />

für nutzlos erklärt hat, weil das Zeugnis Gottes allein die Ents<strong>ch</strong>eidung gibt,<br />

ebensowenig ma<strong>ch</strong>t er das Zeugnis der Jünger dadur<strong>ch</strong> überflüssig. Gerade so,<br />

daß ein auswendiges und inwendiges Zeugnis hier einträ<strong>ch</strong>tig zusammenwir-<br />

. ken, erhalt vielmehr 'der Glaube seinen festen Grund.<br />

Jesus spra<strong>ch</strong> aus, warum er vor seinem S<strong>ch</strong>eiden no<strong>ch</strong> von der Not, die auf<br />

die Jünger wartet, mit ihnen redete. 16,1: <strong>Das</strong> habe ido zu eu<strong>ch</strong> geredet, damit<br />

ihr ni<strong>ch</strong>t Anstoß nehmt. Seine Liebe bewegt ihn dazu, seine Jünger für ihren<br />

s<strong>ch</strong>weren Kampf zu rüsten, da er sie vor dem Ärgernis s<strong>ch</strong>ützen mö<strong>ch</strong>te, das<br />

ihre bitteren Erfahrungen begleiten wird. Indem er jetzt no<strong>ch</strong> selber davon<br />

spri<strong>ch</strong>t, ma<strong>ch</strong>t er sie stark. Sie wissen nun, daß er selbst sie vorausgesehen und<br />

mit klarem Blick in ihren Beruf einges<strong>ch</strong>lossen hat. 16,2: Sie werden eu<strong>ch</strong> aus<br />

der Gemeinde stoßen. Es kommt sogar die Stunde, daß jeder, der eu<strong>ch</strong> tötet,<br />

meint, er bringe Gott Verehrung dar. Zunä<strong>ch</strong>st trifft sie der Bann, da die jü-<br />


21° Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

s<strong>ch</strong>were Last, die sein Kreuz auf sie legte, deutli<strong>ch</strong> gezeigt. 16,50—7: Und keir<br />

ner von eu<strong>ch</strong> fragt mi<strong>ch</strong>: Wo gehst du hin? sondern weil i<strong>ch</strong> dies zu eu<strong>ch</strong> geredet<br />

habe, hat die Traurigkeit euer Herz erfüllt. Aber i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong> die Wahrheit:<br />

Es ist eu<strong>ch</strong> heilsam, daß i<strong>ch</strong> weggehe.. Denn wenn i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wegginge, so<br />

käme der Anwalt ni<strong>ch</strong>t zu eu<strong>ch</strong>. Wenn i<strong>ch</strong> aber gegangen bin, so werde i<strong>ch</strong> ihn,<br />

zu eu<strong>ch</strong> senden. Früher fragten sie, wohin er denn gehe, vgl. 13,36; 14,5, als<br />

Petrus no<strong>ch</strong> den Mut hatte, si<strong>ch</strong> Jesus auf seinem Gange zum Begleiter anzubieten,<br />

und als er es ihnen no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so deutli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t hatte, daß er zum<br />

Vater gehe. Nun zweifeln sie ni<strong>ch</strong>t mehr, daß er jetzt s<strong>ch</strong>eidet, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß<br />

sein S<strong>ch</strong>eiden ihn zum Vater führe, nehmen dies aber in gedrückter Ergebung<br />

hin und vermögen darin ni<strong>ch</strong>ts als einen s<strong>ch</strong>weren Verlust zu sehen. Darum<br />

stellt ihnen Jesus no<strong>ch</strong>mals den Segen dar, der in seinem Hingang für.die<br />

Jünger liegt, wie er es s<strong>ch</strong>on für seine eigene Person getan hat. Sein Gewinn<br />

und ihr Gewinn fallen zusammen. Weigerte er si<strong>ch</strong>, zu sterben, so empfingen<br />

sie den Geist ni<strong>ch</strong>t. Stirbt er, so sendet er ihn. <strong>Das</strong> ist aber ein Gewinn für sie<br />

über das hinaus, was ihnen Jesus in seinem irdis<strong>ch</strong>en Stand zu geben vermag.<br />

Einmal zeigt si<strong>ch</strong> dies an dem, was der Geist in der Welt tun wird. 16,8—11:<br />

Und wenn jener gekommen ist, wird er die Welt zure<strong>ch</strong>tweisen wegen der<br />

Sünde und wegen der Gere<strong>ch</strong>tigkeit und wegen des Geri<strong>ch</strong>ts, wegen der Sünde,<br />

weil sie ni<strong>ch</strong>t an mi<strong>ch</strong> glauben, wegen der Gere<strong>ch</strong>tigkeit, weil i<strong>ch</strong> zum Vater<br />

gehe und ihr mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr seht, wegen des Geri<strong>ch</strong>ts, weil der Herrs<strong>ch</strong>er über<br />

diese Welt geri<strong>ch</strong>tet ist. Die Jünger können die Welt ni<strong>ch</strong>t von ihrem Unre<strong>ch</strong>t<br />

und ihrer S<strong>ch</strong>uld überzeugen. Der Geist aber wird dies tun und wird dadur<strong>ch</strong><br />

ihr mä<strong>ch</strong>tiger Bes<strong>ch</strong>irmer und Kampfgenosse sein. Sünde, Gere<strong>ch</strong>tigkeit und<br />

Geri<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>t er der Welt deutli<strong>ch</strong> und gewiß, worüber sie selbst ni<strong>ch</strong>ts weiß,<br />

sondern in ihrer Dunkelheit si<strong>ch</strong> blinde Gedanken ma<strong>ch</strong>t. Sie hält ni<strong>ch</strong>t für<br />

Sünde, was Sünde ist, für Sünde, was es ni<strong>ch</strong>t ist; sie urteilt au<strong>ch</strong> völlig blind<br />

über die Gere<strong>ch</strong>tigkeit, sieht sie ni<strong>ch</strong>t, wo sie ist, und meint, sie zu finden, wo<br />

sie ni<strong>ch</strong>t ist. So weiß sie au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, wie das Geri<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ehen ist und was Gott<br />

getan hat, um der Gere<strong>ch</strong>tigkeit den Sieg zu geben und der Sünde den Untergang<br />

zu bereiten. Aber der Geist bri<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> diese Lügen und Einbildungen<br />

dur<strong>ch</strong>, läßt die Wahrheit hervorglänzen und nötigt dadur<strong>ch</strong> die Welt, si<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>uldig zu geben und ihren selbstgere<strong>ch</strong>ten Wahn fahren zu lassen.<br />

Der Sünde wegen wird er der Welt strafend vorhalten, daß sie ni<strong>ch</strong>t an<br />

Jesus glaubt. <strong>Das</strong> hält sie ni<strong>ch</strong>t für Sünde, vielmehr für vernünftig und re<strong>ch</strong>t.<br />

Es ist aber ni<strong>ch</strong>t nur eine Sünde, sondern die Sünde, an der sie stirbt. <strong>Das</strong> wird<br />

ihr der Geist zeigen und wird ihr aufdecken, warum und wem sie ni<strong>ch</strong>t glaubt,<br />

wen ihr Verda<strong>ch</strong>t und Widerwille verwirft, daß sie si<strong>ch</strong> der Gnade und Wahr-


<strong>Johannes</strong> ï6,5b-li 211<br />

heit vers<strong>ch</strong>lossen hält und den abweist, den Gott gesandt hat. Der Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

wegen hält er der Welt vor, daß Jesus zum Vater gegangen ist und<br />

deshalb für die Jünger unsi<strong>ch</strong>tbar geworden ist. Daran hängt si<strong>ch</strong> der Unglaube<br />

der Welt gegen Jesus und hält si<strong>ch</strong> deswegen für begründet und bere<strong>ch</strong>tigt,<br />

weil Jesus ni<strong>ch</strong>t mehr da ist und au<strong>ch</strong> die Jünger ihn ni<strong>ch</strong>t mehr sehen.<br />

Sogar für sie ist er ja der Verborgene geworden; wie sollten denn andere si<strong>ch</strong><br />

an ihn ans<strong>ch</strong>ließen? Der Geist wird der Welt jedo<strong>ch</strong> zeigen, daß hier die Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

ihr heiliges Werk getan hat, sowohl zur Errettung dessen, der si<strong>ch</strong><br />

ihr untergibt, wie zur Vergeltung dem, der si<strong>ch</strong> ihr widersetzt. Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

ist es gewesen, die Jesus den Weggang zum Vater bes<strong>ch</strong>erte, ihn aus dem Streit<br />

und der Not der Welt herausnahm und seinem ins Leiden versenkten Dienst<br />

an ihr ein Ende ma<strong>ch</strong>te. Eine herrli<strong>ch</strong>e, freigebige Gere<strong>ch</strong>tigkeit hat damit Gott<br />

au<strong>ch</strong> an den Jüngern betätigt, indem er ihren Meister und Freund zu si<strong>ch</strong> nahm,<br />

so daß sie nun als Reben an einem Weinstock hängen, der im Himmel ist. Damit<br />

ist au<strong>ch</strong> der Welt die gere<strong>ch</strong>te Vergeltung bereitet, die ni<strong>ch</strong>t verdiente, daß<br />

er bei ihr blieb, weshalb er dur<strong>ch</strong> seinen Weggang ihr wieder genommen und<br />

entrückt ist. Weil die Finsternis das Li<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t aufgenommen hat, als es in ihr<br />

s<strong>ch</strong>ien, entzieht es ihr Gottes Gere<strong>ch</strong>tigkeit. Nun wird ihr der Unsi<strong>ch</strong>tbare verkündigt,<br />

an den sie glauben muß, und sie muß si<strong>ch</strong> vor ihm in seiner Kreuzesgestalt<br />

beugen si<strong>ch</strong> selbst zur Verurteilung.<br />

Über das Geri<strong>ch</strong>t aber wird der Geist der Welt bezeugen, daß der, der<br />

sie regiert, geri<strong>ch</strong>tet ist. Die Welt für<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> vor ihrem Verborgenen Beherrs<strong>ch</strong>er<br />

ni<strong>ch</strong>t, dünkt si<strong>ch</strong> frei, obglei<strong>ch</strong> sie regiert wird, rühmt das, was sie von<br />

ihrem Meister hat, meint, das sei Ma<strong>ch</strong>t, Glück, Weisheit, zweifelt ni<strong>ch</strong>t, daß<br />

es ihr gelingen muß, und hilft ihm eifrig zur Mehrung seiner Ma<strong>ch</strong>t. Und do<strong>ch</strong><br />

ist das Urteil über ihren Herrn und alle, die ihm dienen, am Kreuz gespro<strong>ch</strong>en<br />

und das Ende seiner Herrs<strong>ch</strong>aft dort herbeigeführt. Seinem Ungehorsam war<br />

der Gehorsam, seiner Oberhebung die Erniedrigung, seinem auf das Verderben<br />

geri<strong>ch</strong>teten Sinn der Heilandssinn des gekreuzigten Sohnes zum Geri<strong>ch</strong>t. Geht<br />

dieser auf dem Kreuzesweg in die Herrli<strong>ch</strong>keit und das Leben, so steht fest,<br />

wohin der Weg des Teufels führt, und sofern si<strong>ch</strong> die Welt ihm unterwirft und<br />

si<strong>ch</strong> in Lüge und Haß, in Uberhebung und Gottesleugnung ihm zugesellt, ist<br />

au<strong>ch</strong> ihr das Urteil am Kreuz gespro<strong>ch</strong>en. Allen denen dagegen, die dem Christus<br />

gehören, ist die Freiheit von aller teuflis<strong>ch</strong>en Kne<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>aft dur<strong>ch</strong> das Kreuz<br />

gewährt. <strong>Das</strong> siehe aber die Welt nimmermehr ohne das Zeugnis des Geistes.<br />

Erst Gottes Geist ma<strong>ch</strong>t es ihr deutli<strong>ch</strong>, wem sie in ihrer sündigen Art dient,<br />

und nur jener zeigt ihr, daß ihr Gebieter geri<strong>ch</strong>tet und entthront und die Be-


212. Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

freiung von seinem Verderben erworben ist dur<strong>ch</strong> jenes Kreuz, dessen Geheimnis<br />

ihr verhüllt bleibt, bis es ihr der Geist ers<strong>ch</strong>ließt.<br />

Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur für die Ausri<strong>ch</strong>tung des Büß- und Strafwortes an die "Welt,<br />

sondern au<strong>ch</strong> für ihren eigenen inneren S<strong>ch</strong>utz bringt das Kommen des Geistes<br />

den Jüngern einen großen Gewinn. 16,12: I<strong>ch</strong> habe eu<strong>ch</strong> nodo viel zu sagen;<br />

aber ihr könnt es jetzt ni<strong>ch</strong>t tragen. Jesus gab ihnen keine Worte, für die in<br />

ihrem geistigen Stand kein Raum war, so daß sie sie ni<strong>ch</strong>t aufnehmen und si<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t aneignen konnten. Was er ihnen sagt, soll von ihnen mit Verstand und<br />

Willen ergriffen werden. <strong>Das</strong> legte Jesus bei seinem Lehren Zurückhaltung<br />

auf. 16,13a: Wenn aber jener kommt; der Geist der Wahrheit, wird er eu<strong>ch</strong><br />

mit der ganzen Wahrheit führen. Der S<strong>ch</strong>atz, den der Geist in si<strong>ch</strong> trägt, ist<br />

die ganze Wahrheit, ni<strong>ch</strong>t nur ein Stück derselben, ni<strong>ch</strong>t nur ein Strahl aus<br />

Gottes Li<strong>ch</strong>t, da er vom Vater ausgeht und darum das, was des Vaters ist, in<br />

si<strong>ch</strong> trägt. Wem deshalb der Geist gegeben ist, der empfängt dur<strong>ch</strong> die ganze<br />

Wahrheit Leitung, ni<strong>ch</strong>t als ob die ganze Wahrheit in seinen eigenen Besitz<br />

überginge, so daß sie in seinem Bewußtsein und Erkennen aufstrahlte. Denn<br />

Jesu Wort sieht auf den, der den Jünger leitet. Ni<strong>ch</strong>t der Jünger, der Geist hat<br />

sie; dieser aber führt den Jünger ni<strong>ch</strong>t bloß mit einem Stück der Wahrheit,<br />

ni<strong>ch</strong>t mittels unvollendeter Erkenntnis, sondern ist im Besitz der vollen Klarheit<br />

und leitet darum das Herz und den Willen des Jüngers so, daß er der<br />

Wahrheit völlig gehorsam und ganz wahrhaftig wird.<br />

16,13b: Denn er wird ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> selbst reden, sondern was. er hört, wird<br />

er reden und eu<strong>ch</strong> das Kommende verkündigen. Wie Jesus darum die Wahrheit<br />

ist, weil er ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> selber spra<strong>ch</strong>, sondern sein Wort aus dem nimmt,<br />

was er hört, so bes<strong>ch</strong>reibt er uns au<strong>ch</strong> den Geist als den Hörenden und darum<br />

Redenden. Er s<strong>ch</strong>öpft aus der einen Quelle, aus der alle Wahrheit fließt, und<br />

s<strong>ch</strong>öpft aus ihr in der vollen Einheit göttli<strong>ch</strong>en Lebens. Weil er Gottes Willen<br />

hört, darum gibt er au<strong>ch</strong> Weissagung. Au<strong>ch</strong> die Prophetengabe wird den Jüngern<br />

künftig bes<strong>ch</strong>ieden sein. Jetzt hatten sie sie no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, standen vielmehr<br />

der Zukunft ratlos gegenüber und vermo<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t wahrzunehmen, wie Gottes<br />

Weg si<strong>ch</strong> wenden wird. <strong>Das</strong> wird später anders; der Geist wird sie s<strong>ch</strong>auen<br />

lassen, wie si<strong>ch</strong> die Rätsel der Gegenwart lösen und si<strong>ch</strong> das Werk des Christus<br />

vollenden wird.<br />

Dur<strong>ch</strong> den Geist wird Jesus vor ihren Augen groß und herrli<strong>ch</strong>. 16,14: Jener<br />

wird mi<strong>ch</strong> verklären; denn vom Meinigen wird er nehmen und eu<strong>ch</strong> verkündigen.<br />

Der Geist wird sie ni<strong>ch</strong>t von Jesus abziehen und über Jesus emporheben,<br />

als würden sie dur<strong>ch</strong> ihn stark genug, um si<strong>ch</strong> vom Weinstock zu s<strong>ch</strong>eiden und<br />

selbst weiter zu wa<strong>ch</strong>sen. Vielmehr stellt gerade der Geist ihre lebendige Ver-


<strong>Johannes</strong> i6,12-20 _ 213<br />

bindung mit dem Weinstock her und ist das Mittel, dur<strong>ch</strong> das dessen Saft und<br />

Kraft zu ihnen kommt. <strong>Das</strong> Wort des Christus und das "Wort des Geistes, die<br />

Kraft des Christus und die Kraft des Geistes lassen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>eiden. Hier<br />

waltet die volle Gemeinsamkeit, die darin begründet ist, daß beide unges<strong>ch</strong>ieden<br />

im Vater sind. 16,15 : Alles, was der Vater hat, ist mein. Deshalb sagte i<strong>ch</strong>:<br />

Er nimmt vom Meinigen und wird eu<strong>ch</strong> verkündigen. Jesus spri<strong>ch</strong>t als der<br />

Sohn, der freudig das Eigentum des Vaters au<strong>ch</strong> sein eigen heißen darf, weil<br />

ihm die Liebe des Vaters ni<strong>ch</strong>ts verbirgt oder versagt. So ist au<strong>ch</strong> alles Neue,<br />

was sie dur<strong>ch</strong> den Geist empfangen, ihm ni<strong>ch</strong>t fremd, sondern, so gewiß es göttli<strong>ch</strong><br />

ist, au<strong>ch</strong> sein Eigentum und wird darum den Jünger nie von Jesus trennen,<br />

vielmehr immer fester mit ihm verbinden, weil seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm dadur<strong>ch</strong><br />

völliger und das Verständnis seines Wortes dadur<strong>ch</strong> heller wird.<br />

Zur Verheißung des Geistes fügt Jesus au<strong>ch</strong> hier wie in 14,18 die Zusage seiner<br />

neuen Gegenwart bei ihnen hinzu. Ni<strong>ch</strong>t allein der Geist, au<strong>ch</strong> er kommt<br />

zu ihnen zurück. 16,16: Ein Kurzes, und ihr seht mido ni<strong>ch</strong>t mehr, und wieder<br />

ein Kurzes, und ihr werdet mi<strong>ch</strong> sehen. Diese kurze Zeit, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der sie ihn ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr sehen, ist mit seiner Kreuzigung abgelaufen. "Wenn es nun in ähnli<strong>ch</strong>er<br />

Weise wieder nur eine kurze Frist ist, daß sie ihn wiedersehen, so können wir<br />

ni<strong>ch</strong>t am Ostertag vorbeisehen. Indem er damals wieder unter die Jünger trat<br />

und au<strong>ch</strong> aus seiner Erhöhung heraus seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihnen fortsetzte,<br />

si<strong>ch</strong>ert er ihnen jenes andere Kommen zu, von dem er 14,3 redete, bei dem er<br />

die Seinen zu si<strong>ch</strong> nehmen wird. Die Jünger bes<strong>ch</strong>äftigte in seiner Zusage vor<br />

allem das stark betonte „eine kurze Frist!" 16,17.18: Nun sagten einige seiner<br />

Jünger zueinander: Was ist dies, was er zu uns sagt: Ein Kurzes, und ihr seht<br />

midi ni<strong>ch</strong>t, und wieder ein Kurzes, und ihr werdet mi<strong>ch</strong> sehen? Und: I<strong>ch</strong> gehe<br />

zum Vater? Nun sagten sie: Was ist dies, was er sagt, diese kurze Frist? Wir<br />

wissen nidjt, was er sagt. Daß er bald vers<strong>ch</strong>winde, bald wieder ers<strong>ch</strong>eine, ers<strong>ch</strong>ien<br />

ihnen dunkel. Wozu dient dieser ras<strong>ch</strong>e We<strong>ch</strong>sel, zumal da er daneben<br />

do<strong>ch</strong> sagte: I<strong>ch</strong> gehe zum Vater, was ni<strong>ch</strong>t nur auf eine kurze Trennung deutete?<br />

Jesus ma<strong>ch</strong>t ihnen deutli<strong>ch</strong>, warum es ihm an der Kürze der Frist liegt,<br />

die ihn für sie unsi<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>t.<br />

16,19. 20: Jesus erkannte, daß sie ihn fragen wollten, und sagte zu ihnen:<br />

Darüber verhandelt ihr miteinander, daß i<strong>ch</strong> sagte: Ein Kurzes, und ihr seht<br />

mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, und wieder ein Kurzes, und ihr werdet mi<strong>ch</strong> sehen. Wahrlido, wahrli<strong>ch</strong>,<br />

i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Ihr werdet weinen und jammern; die Welt aber wird sid><br />

freuen. Ihr werdet traurig sein; aber eure Traurigkeit wird zur Freude werden.<br />

Ihnen bringt das, was kommt, einen herben S<strong>ch</strong>merz und tiefe Betrübnis. Darum<br />

verspri<strong>ch</strong>t er ihnen so eindringli<strong>ch</strong>, es währe nur kurze Zeit. Ras<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t


Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

er ihrem Jammer ein Ende und läßt sie ni<strong>ch</strong>t lange in ihrer tiefen Traurigkeit,<br />

die sie vor der Freude und dem Triumph der Welt si<strong>ch</strong> verstecken läßt. Führt<br />

er sie jetzt in die Betrübnis hinein, so sollen sie seines "Wortes gedenken, daß er<br />

sie bald wieder hinausführen und ihre Traurigkeit in Freude wandeln wird.<br />

16,21 : Wenn die Frau gebiert, hat sie S<strong>ch</strong>merz, weil ihre Stunde gekommen ist.<br />

Wenn sie aber das Kindlein geboren hat, gedenkt sie ni<strong>ch</strong>t mehr an die Not um<br />

der Freude willen, daß ein Mens<strong>ch</strong> in die Welt geboren ist. Au<strong>ch</strong> der gebärenden<br />

Frau ist es in der Stunde der S<strong>ch</strong>merzen ein Trost, daß sie nur kurz währen<br />

und ni<strong>ch</strong>t umsonst, sondern um eines großen Zieles wegen erlitten werden.<br />

"Wenn dieses errei<strong>ch</strong>t und der Mens<strong>ch</strong> geboren ist, dann ist aller S<strong>ch</strong>merz vorbei,<br />

und das Mutterglück überwiegt die Erinnerung an die überstandene<br />

Stunde. So geht es vollends den Jüngern am Ostertag; er überstrahlt den<br />

ste<strong>ch</strong>enden, s<strong>ch</strong>weren S<strong>ch</strong>merz des Kreuzeswegs. 16,22: Nun habt au<strong>ch</strong> ihr<br />

zwar für jetzt Traurigkeit. I<strong>ch</strong> werde eu<strong>ch</strong> aber wieder sehen, und euer Herz<br />

wird si<strong>ch</strong> freuen, und eure Freude nimmt keiner von eu<strong>ch</strong>. Die Freude, die<br />

ihnen Jesus dadur<strong>ch</strong> bereiten wird, daß er si<strong>ch</strong> ihnen wieder zeigt, ist e<strong>ch</strong>ter<br />

Art; inwendig im Herzen im Grund ihrer Person ma<strong>ch</strong>t sie die Jünger froh,<br />

und sie ist unzerstörbar. Diese Gabe Jesu wird ihnen niemand nehmen.<br />

16,23a: Und an jenem Tage werdet ihr mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts fragen. Au<strong>ch</strong> das bes<strong>ch</strong>reibt<br />

ihnen das volle Genügen und die unausspre<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Freude der Ostertage.<br />

Daß er lebt und als der Lebendige si<strong>ch</strong> zu ihnen hält au<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Kreuzesweg,<br />

nun, da er die himmlis<strong>ch</strong>e Krone trägt, das ist so unmittelbar die Erfüllung<br />

ihres Verlangens, so voll die Erfahrung seiner Heilandsma<strong>ch</strong>t, so wirksam<br />

ein S<strong>ch</strong>auen Gottes in seiner Gnadentat, daß jede Frage verstummt. No<strong>ch</strong><br />

gab es damals freili<strong>ch</strong> viel zu fragen, no<strong>ch</strong> ist ihnen damit ni<strong>ch</strong>t gezeigt, wie ihr<br />

eigener Weg si<strong>ch</strong> weiter zieht und Jesu Werk zum hö<strong>ch</strong>sten, letzten Ziele<br />

kommt. Allein in jenen Tagen kann si<strong>ch</strong> die Frage no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t regen; dann<br />

freuen sie si<strong>ch</strong> an dem, was ihnen gegeben ist, und genießen seinen Anblick selig.<br />

So ist es au<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>t, und darum ist es ni<strong>ch</strong>t nötig, daß aus der Osterzeit ein<br />

neues Lehramt Jesu wird. Denn was sie brau<strong>ch</strong>en, haben sie ja: sie können bitten.<br />

Mangelt es ihnen an Weisheit, sie können bitten und empfangen; brau<strong>ch</strong>en<br />

sie Kraft, sie wissen, wie sie si<strong>ch</strong> in ihnen mehrt. 16,23b: Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>,<br />

i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet, wird er es eu<strong>ch</strong> in<br />

meinem Namen geben. Beides wird gesagt, daß der Jünger im Namen Jesu<br />

bitte und daß der Vater ihm das Erbetene im Namen Jesu gebe; beides entspri<strong>ch</strong>t<br />

si<strong>ch</strong> völlig. Aus Jesu Sendung fließt unser Glaube und unsere Bitte und<br />

ebenso Gottes Gnade und Hilfe. Sein Name ist das, was beide, der Bittende<br />

und der Erhörende, s<strong>ch</strong>ätzen. Ihn ehrt der Glaubende; ihn verherrli<strong>ch</strong>t der


<strong>Johannes</strong> 16,21—2 56 ' 215<br />

Vater. Ihm dient der Jünger, ihm au<strong>ch</strong> der Vater. Darauf beruht die Freudigkeit<br />

und Gewißheit, die das aus Jesus ges<strong>ch</strong>öpfte Gebet in si<strong>ch</strong> hat, daß es in<br />

voller Eintra<strong>ch</strong>t mit dem göttli<strong>ch</strong>en Willen steht. Für die Jünger war es etwas<br />

Neues, im Namen Jesu zu beten. 16,24: Bis jetzt habt ihr ni<strong>ch</strong>ts in meinem<br />

Namen gebeten. Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollendet<br />

sei. Sie waren bisher unselbständig, traten no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst vor Gottes<br />

Thron und ma<strong>ch</strong>ten ihre Gemeins<strong>ch</strong>aft mit Jesus für ihr Gebet no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

fru<strong>ch</strong>tbar. Es war aber Jesu besonderes Anliegen, sie so zurückzulassen, daß sie<br />

beten könnten. <strong>Das</strong> ist eine der hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>sten Gaben, die er ihnen ins Herz<br />

gelegt hat, auf die sein Umgang mit ihnen hinwirkte. Er weiß wohl, wie s<strong>ch</strong>wer<br />

es dem Mens<strong>ch</strong>en wird, zu beten; darum mahnt er immer wieder: Bittet und<br />

stellt euer Gebet auf meinen Namen! Haltet den Blick dabei fest auf mi<strong>ch</strong> geri<strong>ch</strong>tet;<br />

so gewinnt euer Gebet alles, was es nötig hat, Klarheit wie Kraft,<br />

S<strong>ch</strong>utz vor dem Übermut wie vor der Verzagtheit, Reinigung von bösem Begehren<br />

wie die Aufri<strong>ch</strong>tung zu einem großen "Willen, der si<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes ewigen<br />

Gaben streckt. Mit dem Bitten und Empfangen verbindet Jesus die Freude.<br />

Sie erhebt si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> aus der Vermis<strong>ch</strong>ung mit dem S<strong>ch</strong>merz und bleibt ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr gedrückt, sondern kommt zur Fülle und "Vollständigkeit. Ist sie no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t voll, so zeigt das einen Mangel an; dieser soll die Jünger zum Bitten führen,<br />

und weil aus diesem das Empfangen kommt, führt sie das Gebet der vollen.<br />

Freude zu.<br />

Au<strong>ch</strong> in seinem Unterri<strong>ch</strong>t war das, was die Jünger bis jetzt empfangen<br />

haben, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t das Hö<strong>ch</strong>ste. 16,25a: I<strong>ch</strong> habe das in Glei<strong>ch</strong>nissen zu eu<strong>ch</strong> geredet.<br />

Au<strong>ch</strong> ihr Verständnis war wie ihr Gebet bisher in ein kleines Maß gefaßt.<br />

Jesus empfand die Notwendigkeit, im knapp gefaßten Spru<strong>ch</strong>, der ins<br />

Bild und Glei<strong>ch</strong>nis übergeht, zu reden, als eine Last, die er si<strong>ch</strong> der geistigen<br />

S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit der Mens<strong>ch</strong>en wegen auferlegt, die aber den hellen, entfalteten<br />

Blick in das göttli<strong>ch</strong>e Wesen und Geben hemmt und mindert. 16,25b: Es kommt<br />

die Stunde, in der i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr in Glei<strong>ch</strong>nissen mit eu<strong>ch</strong> reden, sondern offen<br />

vom Vater eu<strong>ch</strong> verkündigen werde. "Wann kommt diese Stunde? am Ostertag?<br />

oder dur<strong>ch</strong> des Geistes Vermittlung? oder beim neuen Umgang des Christus<br />

mit ihnen in der.Herrli<strong>ch</strong>keit der neuen "Welt? Stufenförmig wird diese Verheißung<br />

in allen Formen der Gemeins<strong>ch</strong>aft Jesu mit uns zur Erfüllung kommen,<br />

so daß es je und je in neuer und tieferer "Weise zur "Wahrheit wird, daß<br />

die Hülle von seinem Wort fällt und die Verkündigung vom Vater aus dem<br />

Glei<strong>ch</strong>nis herauswä<strong>ch</strong>st und ein Blick zu ihm hin uns gegeben wird, der voll<br />

von Wahrheit ist.<br />

Daß au<strong>ch</strong> diese Verheißung ni<strong>ch</strong>t nur auf den letzten Tag hinausblickt, son-


216 • Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden<br />

dem den irdis<strong>ch</strong>en Stand des Jüngers mit umfaßt, zeigt si<strong>ch</strong> an dem, was Jesus<br />

über das Gebet der Jünger sagt. 16,26a: An jenem Tage werdet ihr in meinem<br />

Namen bitten. Dem hellen Forts<strong>ch</strong>ritt in ihrer Erkenntnis entspri<strong>ch</strong>t das<br />

Wa<strong>ch</strong>stum in ihrem Gebet. Wie ihr Blick si<strong>ch</strong> nun zu Gott erhebt, so ist au<strong>ch</strong> ihr<br />

Verlangen nun zu ihm aufgeri<strong>ch</strong>tet und wurzelt fest im Namen des Christus,<br />

hebt si<strong>ch</strong> deshalb au<strong>ch</strong> gläubig zu Gott empor. Um unsere Zuversi<strong>ch</strong>t kräftig zu<br />

beleben, stellt Jesus ausdrückli<strong>ch</strong> seine eigene Fürbitte zurück. 16,26b. 27: Und<br />

i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß i<strong>ch</strong> den Vater für eu<strong>ch</strong> bitten werde; denn der Vater<br />

selber hat eu<strong>ch</strong> lieb, weil ihr mi<strong>ch</strong> geliebt und geglaubt habt, daß i<strong>ch</strong> vom Vater<br />

ausging. Wie er oben 14,3 sagte: I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> den Ort beim<br />

Vater rüste, der Vater selber hat sein Haus eu<strong>ch</strong> aufgetan, so sagt er ähnli<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> hier: Ni<strong>ch</strong>t erst mein Gebet für eu<strong>ch</strong> bringt eu<strong>ch</strong> die Gaben Gottes; er<br />

selbst hat eu<strong>ch</strong> lieb. Ihr selbst dürft zu ihm in der Gewißheit treten, daß er<br />

eu<strong>ch</strong> hört. Damit ist Jesu Mittleramt und Fürbitte in keiner Weise ges<strong>ch</strong>mälert,<br />

wohl aber Verhindert, daß uns seine Fürspra<strong>ch</strong>e zum Hemmnis des Glaubens<br />

werde, als dürften wir es ni<strong>ch</strong>t wagen, Gottes Liebe und Gehör für uns selbst<br />

zu bejahen. Nie stellt si<strong>ch</strong> Jesus so zwis<strong>ch</strong>en uns und Gott, daß daraus eine<br />

Verdunkelung des Vaters würde, vielmehr immer so, daß er ihm zur hellen<br />

<strong>Offenbarung</strong> dient. Wie vollständig der Jünger aus Jesus allein erwä<strong>ch</strong>st, ohne<br />

ihn ni<strong>ch</strong>ts ist und ni<strong>ch</strong>ts vermag, ohne ihn au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t beten kann, spri<strong>ch</strong>t dieses<br />

selbe Wort, das ihm selbst die Liebe des Vaters zusagt, dadur<strong>ch</strong> aus, daß Jesus<br />

sagt: Darum hat eu<strong>ch</strong> der Vater lieb, weil ihr mi<strong>ch</strong> geliebt und geglaubt habt,<br />

daß i<strong>ch</strong> vom Vater ausging. Weil sie mit Jesus in Liebe und Glaube verbunden<br />

sind, ist au<strong>ch</strong> ihnen die göttli<strong>ch</strong>e Liebe ges<strong>ch</strong>enkt.<br />

Darum läßt sie Jesus mit Freuden in der Welt zurück. Ihn haben sie liebgehabt<br />

und haben si<strong>ch</strong> davon dur<strong>ch</strong>dringen und ergreifen lassen, daß er mit<br />

seiner ganzen Persönli<strong>ch</strong>keit und seinem Lebenslauf in Gott den hat, der ihn<br />

ma<strong>ch</strong>te, gestaltete und leitete. <strong>Das</strong> und sonst ni<strong>ch</strong>ts ist ihr Anre<strong>ch</strong>t an Gottes<br />

Liebe; das deckt aber au<strong>ch</strong> alle ihre Sünde und S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit und ma<strong>ch</strong>t, daß sie<br />

mit Jesus verbunden bleiben zum ewigen Leben. No<strong>ch</strong> einmal spri<strong>ch</strong>t Jesus aus,<br />

wessen sie an ihm gewiß sein sollen. 16,28: I<strong>ch</strong> ging vom Vater aus und bin in<br />

die Welt gekommen. Wiederum verlasse i<strong>ch</strong> die Welt und gehe zum Vater. Gewiß<br />

sein sollen sie seines Ursprungs aus Gott, daß er aus Gott hervorgegangen<br />

ist, seines Eintritts in die Mens<strong>ch</strong>heit, daß er zu ihr getreten und in ihr sein Amt<br />

ausgeri<strong>ch</strong>tet hat, seiner Erhebung über das, was wir sind und die Welt in si<strong>ch</strong><br />

tragt, die er nun wieder verläßt, und seines Hingangs zum Vater. Daß Jesu<br />

Anfang und Ziel im Vater liegt, dazwis<strong>ch</strong>en aber seine Gegenwart bei uns ab


<strong>Johannes</strong> 16,26a—33b 217<br />

Glied der Mens<strong>ch</strong>heit steht, das ist das, was ihn von allen unters<strong>ch</strong>eidet und<br />

zum Herrn und Haupt für alle setzt. ,<br />

Die Jünger sind gestärkt und haben Li<strong>ch</strong>t empfangen. 16,29. 30: Die Jünger<br />

sagen zu ihm: Sieh! jetzt spri<strong>ch</strong>st du offen und sagst kein Glei<strong>ch</strong>nis. Jetzt wissen<br />

wir, daß du alles weißt und ni<strong>ch</strong>t nötig hast, daß di<strong>ch</strong> jemand frage. Dadur<strong>ch</strong><br />

glauben wir, daß du von Gott ausgingst. Dieses Wort Jesu hatte für sie<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr einen rätselhaften Klang, sondern gießt helles Li<strong>ch</strong>t auf seinen "Weg<br />

und ma<strong>ch</strong>t ihnen alles, was sie bei ihm erlebten, dur<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>tig. Göttli<strong>ch</strong>es und<br />

Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es sahen sie an ihm, Herrli<strong>ch</strong>keit und Niedrigkeit, Sterben und Leben;<br />

dieses Wort umfaßt beides und verknüpft es zu einem festgefügten Ganzen.<br />

Besonders erfreute sie, daß Jesus ihren Anstoß an der „kurzen Zeit", von<br />

der er spra<strong>ch</strong>, wahrnahm, ohne daß sie ihn fragten, und ihnen darauf Antwort<br />

gab. An diesem Blick in ihr Herz stärkte si<strong>ch</strong> ihr Glaube.<br />

16,31.32a: Jesus antwortete ihnen: Ihr glaubt jetzt. Seht, es kommt die<br />

Stunde, und sie ist gekommen, daß ihr zerstreut werdet, jeder in sein Eigentum,<br />

und mi<strong>ch</strong> allein laßt. Er bestätigt es, daß sie si<strong>ch</strong> ihm ergeben und verbunden<br />

haben, und do<strong>ch</strong> — sein Auge ruht auf einem s<strong>ch</strong>merzli<strong>ch</strong>en Gegensatz. Obglei<strong>ch</strong><br />

sie glauben, ist die Stunde da, in der er ganz allein bleibt, alle ihn verlassen,<br />

alle si<strong>ch</strong> dahin zerstreuen, wo jeder seine Unterkunft zu finden hofft, und von<br />

diesen Glaubenden keiner mehr bei ihm zu sehen ist. Ihr Glaube an ihn ma<strong>ch</strong>t<br />

sie no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ickt, jetzt neben ihm zu stehen. Do<strong>ch</strong> er fordert dies au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t von ihnen und hat ihnen verziehen, daß sie ihn jetzt verlassen. Seine<br />

Stärke entsteht ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die Jünger. 16,32b: Und i<strong>ch</strong> bin ni<strong>ch</strong>t allein, weil<br />

der Vater bei mir ist. Deshalb wird sein letztes Wort do<strong>ch</strong> für sie zum vollen<br />

Trost. 16,33a: <strong>Das</strong> habe i<strong>ch</strong> zu eu<strong>ch</strong> gespro<strong>ch</strong>en, damit ihr in mir Frieden habt.<br />

Au<strong>ch</strong> wenn er von ihrer S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit redet, die sie fliehen ma<strong>ch</strong>t, und davon<br />

spri<strong>ch</strong>t, daß ihre Treue versagt und er von ihnen allein gelassen wird, ges<strong>ch</strong>ah es<br />

ni<strong>ch</strong>t ihnen zur Bes<strong>ch</strong>uldigung und zum Geri<strong>ch</strong>t, vielmehr dazu, damit sie Frieden<br />

haben.Darum spri<strong>ch</strong>t er au<strong>ch</strong> von ihrer Versündigung; denn sein Wort ma<strong>ch</strong>t<br />

ihnen sein Vergeben offenbar und läßt sie seine Gnade sehen. Was ihnen den<br />

Frieden stören will, ist nur die Welt; er dagegen gibt ihnen denselben. 16,33b:<br />

In der Welt habt ihr Not; aber seid getrost; i<strong>ch</strong> habe die Welt überwunden.<br />

Die Welt freili<strong>ch</strong> bestreitet, drückt und ängstigt sie und ma<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong>, daß sie<br />

jetzt von ihm fliehen. Do<strong>ch</strong> vor den Mens<strong>ch</strong>en brau<strong>ch</strong>en sie ni<strong>ch</strong>t zu zagen,<br />

au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vor ihrer großen S<strong>ch</strong>ar, vor dem mä<strong>ch</strong>tigen, festverbundenen Ganzen,<br />

das mit derselben Denkweise und demselben Willen ihnen als „Welt" entgegentritt.<br />

Denn hier ist der Sieg s<strong>ch</strong>on erworben. An ihm ist der Angriff dieser<br />

ganzen Masse und Menge ges<strong>ch</strong>eitert. Unbezwüngen dur<strong>ch</strong> ihre Lust und ihren


21 8 • Jesu Gebet für die Seinen<br />

S<strong>ch</strong>merz, ihre Ehre und ihre S<strong>ch</strong>ande, ihre Güter und ihre Strafen tritt er auf<br />

die Kreuzesbahn, ni<strong>ch</strong>t nur selbst uners<strong>ch</strong>üttert dur<strong>ch</strong> sie, sondern so, daß er sie<br />

niederzwingt, indem er seine Königsma<strong>ch</strong>t aufri<strong>ch</strong>tet, der sie unterworfen ist,<br />

und seiner Gnade die sieghafte Stärke und überwindende Herrli<strong>ch</strong>keit gibt,<br />

um derentwillen er verhieß: Wenn i<strong>ch</strong> erhöht sein werde, werde i<strong>ch</strong> alle zu mir<br />

ziehen. Darum war es sein Abs<strong>ch</strong>iedswort an die Seinen: I<strong>ch</strong> habe die Welt<br />

überwunden; seid getrost!<br />

Kapitel 17<br />

Jesu Gebet für die Seinen<br />

Auf Jesu Wort an die Juden folgte Jesu Wort an die Seinen; do<strong>ch</strong> ist das<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t das letzte, was uns <strong>Johannes</strong> sagt. Er führt uns no<strong>ch</strong> einen S<strong>ch</strong>ritt<br />

weiter und zeigt uns, wie Jesus mit dem Vater für die Jünger spra<strong>ch</strong>. Damit<br />

erst haben wir ihn ganz vor uns in seiner Heilandsgestalt. Au<strong>ch</strong> aus dem Verkehr<br />

Jesu mit dem Vater gibt uns <strong>Johannes</strong> nur Jesu letztes, hö<strong>ch</strong>stes Wort.<br />

Man<strong>ch</strong>es Gebetswort hat er s<strong>ch</strong>on früher von ihm gehört; er stellt uns aber erst<br />

jetzt dar, wie und was Jesus betete, als er zum leztenmal auf Erden für die<br />

Seinen in ihrer Gegenwart mit dem Vater spra<strong>ch</strong> und seine Arbeit auf Erden<br />

dadur<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>loß, daß er sie in die Hände des Vaters übergab.<br />

Mit der ersten Bitte bat er für si<strong>ch</strong> selbst. 17,1: Dies redete Jesus und erhob<br />

seine Augen zum Himmel und spra<strong>ch</strong> :Vater, dieStuhde ist gekommen.Verklär e<br />

deinen Sohn, damit der Sohn di<strong>ch</strong> verkläre. Er nahm si<strong>ch</strong> seine Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

ni<strong>ch</strong>t selbst, sondern bat um sie, bat aber in der Gewißheit, daß der Vater sie<br />

jetzt seinem Sohne gebe. Vom Vater darf der Sohn den vollen Mitgenuß an<br />

dem, was des Vaters ist, erbitten, da er ja bei seiner Bitte völlig in der Liebe<br />

zum Vater bleibt. Wozu bittet er um die Befreiung vom S<strong>ch</strong>merz, um die Entledigung<br />

von der S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit, um die Erhebung aus der irdis<strong>ch</strong>en Enge, um<br />

die Erhöhung über das von der Natur uns auferlegte Maß? D.amit er Gott zu<br />

verherrli<strong>ch</strong>en vermöge. Was ihm der Vater gibt, gibt er ihm wieder zurück im<br />

vollen Ausglei<strong>ch</strong> der ganzen Liebe. Die Größe und Ma<strong>ch</strong>t, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der er verlangt,<br />

ma<strong>ch</strong>t den Vater groß. Ni<strong>ch</strong>t den Dienst will er s<strong>ch</strong>ließen, bloß die S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit<br />

und Gebundenheit, die jetzt seinen Dienst lähmt, damit er nun in der<br />

Ma<strong>ch</strong>t der Herrli<strong>ch</strong>keit dem Vater diene als der, der seine Majestät ins li<strong>ch</strong>t<br />

zu stellen vermag.<br />

17,2: da du ihm Ma<strong>ch</strong>t über alles Fleis<strong>ch</strong> gabst, damit er allem, was du ihm<br />

gegeben hast, ewiges Leben gebe. Auf das, was Gott ihm gab, gründete si<strong>ch</strong> seine<br />

Bitte, weil in der ges<strong>ch</strong>ehenen Tat Gottes das Verlangen <strong>na<strong>ch</strong></strong> der neuen Gabe<br />

seinen Grund findet und aus ihr seine Si<strong>ch</strong>erheit zieht. Dadur<strong>ch</strong> tritt in die Bitte


<strong>Johannes</strong> 17,1—4 219<br />

der Dank und verwebt si<strong>ch</strong> mit ihr zur vollen Einheit. Der Vater hat ihn zum<br />

Herrn der Mens<strong>ch</strong>heit gesetzt, damit er allen, die Gott ihm gegeben hat, ewiges<br />

Leben gebe. Weil ihm aufgetragen ist, am Mens<strong>ch</strong>en Gott zu verherrli<strong>ch</strong>en,<br />

indem er ihm ewiges Leben gibt, bittet er für si<strong>ch</strong> selbst um Herrli<strong>ch</strong>keit. <strong>Das</strong><br />

ewige Leben, das er den Mens<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>enken soll und kann, ist die "Wahrnehmung<br />

Gottes, das offene Auge, das Gott erkennt. 17,3: Dies aber ist das ewige<br />

Leben, daß sie di<strong>ch</strong>, den allein wahrhaftigen Gott, und den, den du sandtest,<br />

Jesus Christus, erkennen.<br />

Au<strong>ch</strong> hier stehen das Leben und das Li<strong>ch</strong>t in ihrer festen Einheit beisammen.,<br />

Leben geben heißt Erkenntnis Gottes geben, Erkenntnis Gottes geben Leben<br />

geben. Ein anderes Leben kennt Jesus ni<strong>ch</strong>t ab das, das den Blick auf den wahrhaftigen<br />

Gott in si<strong>ch</strong> hat. "Wo dieser Blick aufstrahlt, ist das Sterben vergangen<br />

und die Vergängli<strong>ch</strong>keit überwunden. Mit der Na<strong>ch</strong>t flieht au<strong>ch</strong> der Tod.<br />

Gott an seinem Bild und Werk erkennbar zu ma<strong>ch</strong>en, ist der Beruf des Sohnes;<br />

dur<strong>ch</strong> dieses Mittel wird er an uns zum S<strong>ch</strong>öpfer der ewigen Lebendigkeit, und<br />

zu diesem Zweck bittet er für si<strong>ch</strong> um Herrli<strong>ch</strong>keit. Weil Jesus der Geber des<br />

Lebens und Li<strong>ch</strong>tes ist, ist die Erkenntnis Gottes untrennbar mit der seines Boten<br />

vereint. Jesus kann uns den Blick auf Gott ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>enken, ohne unseren<br />

Blick auf si<strong>ch</strong> selbst zu wenden, damit wir ihn erkennen und verstehen. Dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß wir den, den Gott gesandt hat, erkennen, findet unser Auge den<br />

wahrhaftigen Gott, weshalb unser ewiges Leben wie auf die Erkenntnis des<br />

Vaters so auf die des Sohnes gegründet ist. <strong>Johannes</strong> nennt ihn hier wieder mit<br />

Beda<strong>ch</strong>t mit seinem vollen Namen Jesus Christus. Denn in der Erkenntnis des<br />

Mens<strong>ch</strong>en Jesus in seiner göttli<strong>ch</strong>en Sendung als des Christus wird das Leben<br />

erlangt.<br />

17,4: I<strong>ch</strong> habe di<strong>ch</strong> auf der Erde verklärt und das Werk vollendet, das du<br />

mir gegeben hast, daß i<strong>ch</strong> es tue. Der Tat des Vaters entspra<strong>ch</strong> die des Sohnes.<br />

Weil ihm der Vater die Ma<strong>ch</strong>t über uns gab, damit uns so ewiges Leben und<br />

Erkenntnis Gottes zuteil werde, hat der Sohn am irdis<strong>ch</strong>en Ort unter denen,<br />

die Gott ni<strong>ch</strong>t kennen, die Herrs<strong>ch</strong>aft des Vaters si<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t. Jetzt steht<br />

er am Ziel. Mehr zu tun hat ihm der Vater ni<strong>ch</strong>t gegeben; was ihm dagegen<br />

gegeben war, hat er ganz getan. Er war ganz gehorsam und ma<strong>ch</strong>te aus seiner<br />

Liebe eine ganze Tat. Ni<strong>ch</strong>t als Last ers<strong>ch</strong>eint ihm Gottes Werk, das er zu tun<br />

hatte, sondern als Gabe. Sein Gehorsam war mit der vollen Freude und Freiheit<br />

eigenen Willens eins. Bisher hatte er kein anderes Mittel, Gott auf Erden<br />

zu verherrli<strong>ch</strong>en, sondern hat* dies dadur<strong>ch</strong> errei<strong>ch</strong>t, daß er si<strong>ch</strong> den Mens<strong>ch</strong>en<br />

als den gezeigt hat, der si<strong>ch</strong> der Sendung Gottes ni<strong>ch</strong>t entzog und das Werk,<br />

das ihm gegeben war, ni<strong>ch</strong>t ungetan ließ, sondern es vollendete. Nun liegt es


22O Jesu Gebet für die Seinen<br />

wieder dem Vater ob zu handeln. "Weil Jesus mit seinem Dienst am Ziel ist,<br />

bittet er den Vater um die neue Gabe. 17,5: Und jetzt verkläre mi<strong>ch</strong> du,Vatery<br />

bei dir selbst mit der Herrli<strong>ch</strong>keit, die ido bei dir hatte, ehe die "Welt war. Nun<br />

will er zum Vater zurück; er verlangt da<strong>na<strong>ch</strong></strong>, daß er ihn zu si<strong>ch</strong> nehme, in seinem<br />

herrli<strong>ch</strong>en Ewigkeitsbewußtsein, in der Gewißheit, daß er wieder dorthin<br />

tritt, woher er kam, daß die Herrli<strong>ch</strong>keit, um die er bittet, sein ewiger Besitz<br />

und beim Vater ihm eigen war vor und über aller Zeit.<br />

Da leu<strong>ch</strong>tet uns das Geheimnis in Jesu Wesen an. Er hat si<strong>ch</strong> in die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Art und in den Kreuzesweg willig und ganz gefunden mit der Gewißheit<br />

im Herzen: ehe die Mens<strong>ch</strong>heit war, hatte i<strong>ch</strong> die Herrli<strong>ch</strong>keit des Ewigen und<br />

allein Wahrhaftigen. <strong>Das</strong> zeigt uns die Größe seines Verzi<strong>ch</strong>ts, die Tiefe in<br />

seinem Entbehren und Darben, erklärt uns aber au<strong>ch</strong> die wunderbare Ruhe,<br />

die auf seinem ganzen Gang liegt. Als Jerusalem stürzte, die Galiläer ihn verließen,<br />

der Teufel in den Juden und in Judas sein Werk tat und sein Blick auf<br />

den Kreuzespfahl geri<strong>ch</strong>tet war, bei allem begleitete ihn die Gewißheit ewiger<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater in ewiger Herrli<strong>ch</strong>keit.<br />

Nun wendet si<strong>ch</strong> sein Auge auf die Jünger; denn er kann ni<strong>ch</strong>t für si<strong>ch</strong><br />

allein beten, sondern steht vor Gott als der mit den Jüngern Verbundene. Ehe<br />

er jedo<strong>ch</strong> für sie eine Bitte an den Vater ri<strong>ch</strong>tet, spri<strong>ch</strong>t er zuerst dankbar aus,<br />

was ihn mit den Jüngern verbunden hält und gibt dadur<strong>ch</strong> seinem Bitten seine<br />

begründete Dringli<strong>ch</strong>keit und freudige Gewißheit. Mit klarem Blick übersieht<br />

er das Re<strong>ch</strong>t seiner Bitte für die Seinigen, daß und warum sie mit dem göttli<strong>ch</strong>en<br />

Willen einstimmig ist. Was der Vater tun wird, ruht au<strong>ch</strong> hier auf dem,<br />

was er getan hat, und die Gabe, die er gegeben hat, dient der neuen Gnade, die<br />

er geben wird, zum Grund. So wird au<strong>ch</strong>, indem er für die Jünger bittet, sein<br />

Gebet Anbetung, Bes<strong>ch</strong>auung der göttli<strong>ch</strong>en Gnade und Gabe, wie sie ihnen bereits<br />

gegeben ist.<br />

17,6: I<strong>ch</strong> habe deinen Namen den Mens<strong>ch</strong>en offenbar gema<strong>ch</strong>t, die du. mir<br />

aus der Welt gegeben hast. Dein waren sie, und mir gabst du sie, und sie haben<br />

dein Wort bewahrt. Daß sie Gottes Ges<strong>ch</strong>enk an ihn sind, verbindet sie<br />

mit ihm und ma<strong>ch</strong>t, daß er für sie bitten darf. Sodann hat sie der Vater deswegen<br />

zu ihm gebra<strong>ch</strong>t und ihm untergeben, damit ihnen dur<strong>ch</strong> ihn der Name<br />

Gottes deutli<strong>ch</strong> werde. Diesen hat er ihnen gezeigt. Dieses Ziel genügt Jesus<br />

ganz; er hat ni<strong>ch</strong>ts anderes erstrebt. Während dem Mens<strong>ch</strong>en Gottes Name<br />

dunkel, fremd, ein kaum no<strong>ch</strong> vernommener Klang ist, ma<strong>ch</strong>te Jesus ihn den<br />

Jüngern offenbar, gewiß und deutli<strong>ch</strong>, so daß dieser Name wieder seinen Inhalt<br />

bekam, über alle anderen Namen, au<strong>ch</strong> über ihren eigenen, si<strong>ch</strong> erhob, das<br />

Haupt- und Kernwort in ihrem Herzen wurde und ihr ganzes Denken und


<strong>Johannes</strong> 17,^—iib -' 2.2.1<br />

Wollen dur<strong>ch</strong>drang. <strong>Das</strong> konnte Jesus nur bei denen, die Gott ihm gab. Jesus<br />

spri<strong>ch</strong>t aus, was die Jünger dem Vater wert ma<strong>ch</strong>t und seine Gnade und Hilfe<br />

ihnen zuwendet. Für Gottes Eigentum bittet er, für die, die er Jesus gegeben<br />

hat, für die, die sein "Wort bewahrt haben.<br />

<strong>Das</strong> zuletzt genannte Band, das sie mit Gott verbindet und die Zuversi<strong>ch</strong>t<br />


222 - Jesu Gebet für die Seinen<br />

als ihr bester Besitz galt. Gottes Name ist das, was er in sie legt, so wie er ihn<br />

selbst empfangen hat, damit er sie halte und regiere, und darum bittet er den<br />

Vater, daß er die Jünger ni<strong>ch</strong>t von seinem Namen wei<strong>ch</strong>en lasse, ihnen denselben<br />

vielmehr so hell, so kräftig ma<strong>ch</strong>e, daß er sie immer und überall begleite,<br />

umfasse und regiere. An ihrem Blick auf Gott ist ihm alles gelegen. Kann der<br />

Jünger den Namen Gottes spre<strong>ch</strong>en, so daß er ihn mit Wahrheit spri<strong>ch</strong>t, dann<br />

ist er wohlgeborgen und ins volle Li<strong>ch</strong>t und ganze Leben hineinversetzt; denn<br />

Gott hört seinen Namen stets und bekennt si<strong>ch</strong> zu ihm. Würde ihm dagegen<br />

Gottes Name entfallen, stände er nur no<strong>ch</strong> als dunkle Erinnerung an vergangene<br />

Zeiten in seinem Herzen, so daß er ni<strong>ch</strong>t mehr das bildete, woran seine<br />

Seele denkt und was sie liebt, dann ginge ihm mit dem Verlust Gottes alles verloren.<br />

Daher faßt Jesus die ganze Gnade, die seine Liebe für die Jünger su<strong>ch</strong>t,<br />

in die eine Bitte: Bewahre sie in deinem Namen!<br />

Damit ist ihnen au<strong>ch</strong> das gegeben, was sie für ihre Gemeins<strong>ch</strong>aft miteinander<br />

nötig haben und woran das Gedeihen ihrer Arbeit hängt: dadur<strong>ch</strong> sind sie miteinander<br />

geeint. <strong>Das</strong> neue und einzige Gebot, das er ihnen gab, ist: Habt einander<br />

lieb; das, was er für sie vom Vater erfleht, ist: daß sie eins seien. Beides<br />

entspri<strong>ch</strong>t einander. Der Hirt sorgt für die Herde, daß sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zerstreue,<br />

der König für sein Rei<strong>ch</strong>, daß es" si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auflöse und zerfalle. Der Christus<br />

ist dazu gekommen, damit die Gemeinde entstehe; so bittet er nun darum, daß<br />

sie wirkli<strong>ch</strong> eine Gemeinde seien, die in der Einheit steht. Zertrennt sie Zwiespalt<br />

und Streit, ist ihr Wille widereinander, zerstört der eine, was der andere<br />

baut, dann hat ihnen Jesus umsonst gedient. Es gibt aber ein Mittel, das sie<br />

eins ma<strong>ch</strong>t: Erhalte sie in deinem Namen! Wenn jeden von ihnen Gottes Name<br />

bewegt, so gehen sie alle auf demselben Weg zum selben Ziel. S<strong>ch</strong>aut ihr Auge<br />

auf zu Gott, so sehen sie einmütig an denselben Ort. Fließt ihr Denken und<br />

Tra<strong>ch</strong>ten aus ihrem Blick auf Gott, so regiert eine und dieselbe Liebe sie alle.<br />

In Gott werden Mens<strong>ch</strong>en wahrhaft eins, nur in ihm. Als das herrli<strong>ch</strong>e Urbild<br />

vollkommener Einheit steht ihm das vor Augen, wie der Vater zu ihm und er<br />

si<strong>ch</strong> zum Vater hielt. Da ers<strong>ch</strong>ien die ganze Liebe, beim Vater ganzes Geben,<br />

beim Sohn ganzes Gehor<strong>ch</strong>en, bei beiden völlige Eintra<strong>ch</strong>t des Zusammenwirkens.<br />

Der Liebe der Seinen, die sie dur<strong>ch</strong> Willen, Dienst und Tat zusammenhält,<br />

stellt Jesus kein geringeres Ziel, als was sie an ihm in seinem Verhältnis<br />

zum Vater sehen. Au<strong>ch</strong> jetzt bat er ni<strong>ch</strong>t um Amtsgnaden für sie, ni<strong>ch</strong>t<br />

um Erfolge und glänzende Wirkungen; seine Liebe war e<strong>ch</strong>t und galt darum<br />

ihrer Person. Um das, was ihr inwendiges Selbst ausma<strong>ch</strong>t, kümmert er si<strong>ch</strong>,<br />

daß sie dort ni<strong>ch</strong>t verdorben, sondern dur<strong>ch</strong> den Namen Gottes geheiligt und


<strong>Johannes</strong> 17,12-15 225<br />

verbunden seien. <strong>Das</strong> bedingt alles, was ihr Amt und Werk <strong>na<strong>ch</strong></strong> außen heißen<br />

mag. • •_•<br />

17,12: Als i<strong>ch</strong> bei ihnen war, habe i<strong>ch</strong> sie in deinem Namen bewahrt, den du<br />

mir gegeben hast, und sie behütet, und keiner von ihnen kam um außer der<br />

Sohn des Verderbens, damit die S<strong>ch</strong>rift erfüllt werde. Da er jetzt von ihnen<br />

geht, übergibt er sein "Werk der Hand des Vaters: Tue du weiter an ihnen, was<br />

i<strong>ch</strong> bisher ihnen tat. Sein Dienst war an ihnen allen fru<strong>ch</strong>tbar und hat sie alle<br />

vor dem Verderben ges<strong>ch</strong>ützt; darum bittet er freudig. Der Vater läßt ni<strong>ch</strong>t in<br />

der Zukunft verderben, was er bisher dur<strong>ch</strong> Jesu Arbeit gerettet hat. Freili<strong>ch</strong>,<br />

der eine war, als Jesus betete, ni<strong>ch</strong>t mehr bei ihm, sondern auf dem Weg zu<br />

den Priestern, um Jesus den Tod zu bereiten. Jesus spri<strong>ch</strong>t aus, weshalb er<br />

gefallen ist. Er wehrte den Namen Gottes von si<strong>ch</strong> ab und ließ ni<strong>ch</strong>t zu, daß er<br />

mit Li<strong>ch</strong>t und Kraft gefüllt in seiner Seele leu<strong>ch</strong>te. Er blieb seinen eigenen<br />

Begierden Untertan, und das bra<strong>ch</strong>te ihm den Sturz. Jesus ist aber au<strong>ch</strong> jetzt,<br />

da er zum Vater spri<strong>ch</strong>t, dadur<strong>ch</strong> in seinem eigenen Herzen ni<strong>ch</strong>t verwirrt und<br />

verwundet, vielmehr gewiß, daß au<strong>ch</strong> damit Gottes "Wille ges<strong>ch</strong>ehen ist. Kein<br />

anderer kam um als der Sohn~des Verderbens, dessen Sinn und "Wille, Tat und<br />

Ges<strong>ch</strong>ick im Verderben enden mußte dur<strong>ch</strong> Gottes Geri<strong>ch</strong>t. Sein Sturz dient der<br />

S<strong>ch</strong>rift zur Erfüllung, die den Haß und die Feinds<strong>ch</strong>aft gegen den, der Gottes<br />

Namen bezeugte, au<strong>ch</strong> bei denen weissagte, die ihm am engsten verbunden sind.<br />

Jetzt hört die Sorge und Pflege, die Jesus in seinem irdis<strong>ch</strong>en Dienst den<br />

Seinigen gewährte, auf; er mö<strong>ch</strong>te aber jetzt, da er zum Vater kommt, den<br />

Jüngern eine volle Freude hinterlassen, und darum betet er für sie. 17,13 : Jetzt<br />

aber komme i<strong>ch</strong> zu dir, und das spre<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong> in der Welt, damit sie meine Freude<br />

vollendet in si<strong>ch</strong> haben. Weil er sie dem Vater übergibt, kann sie sein S<strong>ch</strong>eiden<br />

ni<strong>ch</strong>t betrüben. Es bleibt ihnen dadur<strong>ch</strong> die unvergängli<strong>ch</strong>e Fru<strong>ch</strong>t ihrer Verbundenheit<br />

mit ihm erhalten; denn was er für sie bittet, ges<strong>ch</strong>ieht. Sie wissen:<br />

er hat uns zum Vater gebra<strong>ch</strong>t. Darum läßt er sie au<strong>ch</strong> an seinem Gebet teilnehmen,<br />

damit sie hören, wie er für sie zum Vater spra<strong>ch</strong>, und daran für immer<br />

die volle Freude haben.<br />

Es gibt no<strong>ch</strong> einen anderen Grund, der Jesu Bitten für sie entzündet: sie tragen<br />

den Haß der Welt. 17,14: I<strong>ch</strong> gab ihnen dein Wort, und die Welt haßte<br />

sie, weil sie ni<strong>ch</strong>t aus der Welt sind, wie i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aus der Welt bin. Weil Jesus<br />

selbst ni<strong>ch</strong>t aus ihr stammt, hat er dur<strong>ch</strong> sein Wort au<strong>ch</strong> die Seinen aus der Welt<br />

herausgeholt. Nun haßt sie sie. Darin liegt S<strong>ch</strong>merz, Versu<strong>ch</strong>ung und Gefahr.<br />

17,15: I<strong>ch</strong> bitte ni<strong>ch</strong>t, daß du sie aus der Welt nehmest, sondern, daß du sie bewahrest<br />

vor dem Bösen. Ni<strong>ch</strong>t gegen den S<strong>ch</strong>merz, den Kampf und das Leiden,<br />

in die uns die Gemeins<strong>ch</strong>aft mit den Mens<strong>ch</strong>en immer verwickelt, bittet er,


* Jesu Gebet für die Seinen<br />

sondern gegen das Böse und den Bösen und zeigt damit au<strong>ch</strong> uns, was unser<br />

Bitten zu su<strong>ch</strong>en hat.<br />

Sofort folgt aber no<strong>ch</strong> eine weitere Bitte. Ist das Böse das, was Jesus von den<br />

Jüngern abwehrt, das Übel, das er von ihnen wegbetet, was ist die Gabe, die er<br />

für sie erbittet? No<strong>ch</strong>mals bezeugt er zuerst ihre Ges<strong>ch</strong>iedenheit von der Welt.<br />

17,16: Sie sind ni<strong>ch</strong>t aus der Welt, wie i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ans der Welt bin. Weil sie an<br />

ihm wie die Reben am Weinstock hängen, ma<strong>ch</strong>t seine Herkunft von oben,<br />

daß au<strong>ch</strong> ihres Lebens Ursprung in Gott liegt. Deshalb sind sie für Gottes<br />


<strong>Johannes</strong> 17,16—20 225<br />

Darum ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> Jesu Blick au<strong>ch</strong> darauf, daß er sie als seine Boten unter die<br />

Mens<strong>ch</strong>en stellt.<br />

17,18: Wie du mi<strong>ch</strong> in die Welt gesandt hast, habe au<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> sie in die Welt<br />

gesandt. Au<strong>ch</strong> in seinem Amt trägt der Jünger Jesu eigenes Bild. Auf der Sendung<br />

Jesu beruht die Sendung des Jüngers; darum ist au<strong>ch</strong> diese ein Glied im<br />

Werk des Vaters und Gottesdienst, wie Jesu Arbeit Gottesdienst gewesen ist.<br />

Darum beruht au<strong>ch</strong> ihre Heiligung auf Jesu Heiligung. 17,19- Und für sie heu<br />

Uge 'uh midi selbst, damit au<strong>ch</strong> sie in Wahrheit geheiligt seien.<br />

Da kommt der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en ihm und den Jüngern ans Li<strong>ch</strong>t. Nur<br />

von ihm gilt: I<strong>ch</strong> heilige mi<strong>ch</strong> selbst. Er gibt si<strong>ch</strong> in eigener Tatkraft seines<br />

eigenen Lebens die Eigens<strong>ch</strong>aft dessen, der Gott gehört; die Jünger dagegen<br />

empfingen ihre Heiligkeit, sind Geheiligte, die dur<strong>ch</strong> das heilig wurden, was<br />

Jesus für sie tat. Dazu hält si<strong>ch</strong> Jesus in der ganzen Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem<br />

Vater, damit dur<strong>ch</strong> ihn au<strong>ch</strong> den Seinen eine Heiligkeit zukomme, die Wahrheit<br />

ist. An seiner wahren, e<strong>ch</strong>ten, wesenhaften Heiligkeit wird au<strong>ch</strong> der göttli<strong>ch</strong>e<br />

Beruf und das heilige Amt der Jünger wahr und e<strong>ch</strong>t. Au<strong>ch</strong> seine Rreuzestat<br />

steht unter dem Wort: Für sie heilige i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> selbst. Steht er au<strong>ch</strong> in<br />

den Augen der Welt jetzt da als der Geä<strong>ch</strong>tete, Entweihte, zum Flu<strong>ch</strong> Gewordene,<br />

denno<strong>ch</strong> ist eben dies die Weise, wie si<strong>ch</strong> Jesus heiligt, si<strong>ch</strong> mit Gott vereinigt<br />

und si<strong>ch</strong> der Hoheit Gottes zu eigen gibt. Dur<strong>ch</strong> seine ganze Hingabe an<br />

den Vater, dur<strong>ch</strong> seinen vollen Gehorsam, dur<strong>ch</strong> die vollständige Liebe, die<br />

alles fahren läßt und ni<strong>ch</strong>ts als den Vater begehrt, ma<strong>ch</strong>t er si<strong>ch</strong> zum wahrhaft<br />

Heiligen und deckt si<strong>ch</strong> mit Gottes unverletzli<strong>ch</strong>er Majestät. Um deswillen<br />

sind au<strong>ch</strong> seine Boten Geheiligte, gerade weil sie die Boten des Gekreuzigten<br />

sind.<br />

Nun erweitert si<strong>ch</strong> Jesu Bitte no<strong>ch</strong> einmal. 17,20: Aber nidot für diese allein<br />

bitte id?, sondern aud> für die, die durdo ihr Wort an midi glauben. Wie er<br />

beim Abs<strong>ch</strong>iedswort an die Jünger ni<strong>ch</strong>t bloß an die S<strong>ch</strong>osse, die am Weinstock<br />

wu<strong>ch</strong>sen, da<strong>ch</strong>te, sondern auf die Fru<strong>ch</strong>t hinaussieht, die sie tragen werden, so<br />

blickt er au<strong>ch</strong> hier von si<strong>ch</strong> selbst zuerst hinüber zu den Seinen, dann von den<br />

Seinen zu denen, die dur<strong>ch</strong> ihr Wort an ihn glauben und die Fru<strong>ch</strong>t ihrer Arbeit<br />

sind. Er gab seinem Bitten au<strong>ch</strong> jetzt volle Einfalt und Wahrheit und ließ<br />

es ni<strong>ch</strong>t in die Weite s<strong>ch</strong>weifen zu entlegenen Dingen, sondern erfaßte mit<br />

festem Griff das, was ihm die Gegenwart als wirkli<strong>ch</strong>es Anliegen auf die Seele<br />

legte. Er selbst steht an der S<strong>ch</strong>welle der Herrli<strong>ch</strong>keit; <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihr verlangt es ihn.<br />

Die Seinen stehen um ihn her, die Gott ihm gab. Ihre Behütung und Heiligung<br />

übergibt er dem Vater. Sie sind aber darum die Fru<strong>ch</strong>t seines Lebens, weil sie<br />

seine Boten und Reben sind. Darum s<strong>ch</strong>aut seine Liebe und sein Gebet weiter


zz6 Jesu Gebet für die Seinen<br />

auf die, die von den Jüngern zum Glauben an ihn geführt werden. Für sie bat<br />

er um dasselbe, was er für die Jünger erbat. 17,21: daß alle eins seien, wie du,<br />

Vater, in mir bist und i<strong>ch</strong> in dir bin, damit au<strong>ch</strong> sie in uns seien, damit die<br />

Welt glaube, daß du mi<strong>ch</strong> gesandt hast. Je größer die S<strong>ch</strong>ar wird, um so dringender<br />

wird die Bitte, die auf ihre Verbundenheit in heiliger, e<strong>ch</strong>ter liebe<br />

geht. ,<br />

Was das Trennende zwis<strong>ch</strong>en ihnen weghebt und alle aus ihrer selbstsü<strong>ch</strong>tigen<br />

Verkne<strong>ch</strong>tung an das eigene I<strong>ch</strong> erlöst, das ist einzig die Unterordnung<br />

aller unter den einen Herrn. Darum ist au<strong>ch</strong> hier die Einheit der Gemeinde auf<br />

das Einssein Jesu mit dem Vater aufgebaut. In der Liebe Jesu entspringt für<br />

die Kir<strong>ch</strong>e der Quell ihrer Liebe; in seiner Verbundenheit mit dem Vater hat<br />

sie den Grund und die Regel für ihre\eigene Eintra<strong>ch</strong>t. Damit errei<strong>ch</strong>t Jesu<br />

Bitte au<strong>ch</strong> die Welt. Dur<strong>ch</strong> die Gemeinde wird au<strong>ch</strong> sie von seinem li<strong>ch</strong>t erfaßt,<br />

weil dur<strong>ch</strong> die Überwindung der Zertrennungen, die die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Lieblosigkeit s<strong>ch</strong>afft, die Gemeinde der Welt den Beweis für Jesu Sendung<br />

leistet und ihr zur Gewißheit bringt, daß er uns von Gott gegeben ist.<br />

S<strong>ch</strong>on jetzt legt Jesus auf diese später ihm Verbundenen den Rei<strong>ch</strong>tum seiner<br />

ganzen liebe. 17,22: Und i<strong>ch</strong> habe die Herrli<strong>ch</strong>keit, die du mir gegeben<br />

hast, ihnen gegeben, damit sie eins seien, wie wir eins sind. Er hat sie zum vollen<br />

Anteil an dem berufen, was ihn als den Sohn vor den Mens<strong>ch</strong>en offenbart.<br />

Er stellt au<strong>ch</strong> sie vor Gott neben si<strong>ch</strong>, daß au<strong>ch</strong> sie in ihm ihren Vater haben,<br />

au<strong>ch</strong> sie seinen Namen kennen, bitten und Wahrheit und Gnade vom Vater<br />

empfangen dürfen. Seine Liebe aber soll sie unter si<strong>ch</strong> vereinigen und sie als<br />

ein starkes Band zusammenhalten. Wie er den Jüngern sagte, daß er sie dazu<br />

geliebt habe, damit sie einander lieben, so spri<strong>ch</strong>t er au<strong>ch</strong> hier aus, daß er seinen<br />

Sohnesnamen und sein Sohnesre<strong>ch</strong>t dazu auf die Gemeinde übertrage, damit<br />

sie untereinander verbunden seien.<br />

Dazu ma<strong>ch</strong>t er, in dem der Vater seine Gegenwart hat, si<strong>ch</strong> in ihnen gegenwärtig.<br />

17,23: I<strong>ch</strong> in ihnen und du in mir, damit sie zur Eintra<strong>ch</strong>t vollendet<br />

seien, damit die Welt erkenne, daß du mi<strong>ch</strong> gesandt und sie geliebt hast, wie<br />

du mi<strong>ch</strong> geliebt hast. Gottes liebe und Leben breitet si<strong>ch</strong> so in die Weite und<br />

Fülle..aus: der Vater ist mit dem Sohn und dieser mit der Gemeinde vereint,<br />

die er dadur<strong>ch</strong>, daß er in allen ist, einig ma<strong>ch</strong>t. Soweit Zwiespalt und Widerspru<strong>ch</strong><br />

unter ihnen ist, sind sie no<strong>ch</strong> unfertig. Vollendet, aus dem Stückwerk<br />

emporgehoben, zum reifen, bleibenden Ziel gebra<strong>ch</strong>t sind sie erst dann, wenn<br />

sie geeinigt sind. Sie dienen dadur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur einander, sondern au<strong>ch</strong> dem<br />

Christus, weil sie so der Welt zur Erkenntnis der Sendung Jesu helfen, deren<br />

Ziel und Wahrheit darin offenbar wird, daß die liebe des Vaters au<strong>ch</strong> der


<strong>Johannes</strong> 17,21—26 227<br />

Gemeinde gegeben ist. Jede S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit und Befleckung in der Liebe der Christenheit<br />

ma<strong>ch</strong>t undeutli<strong>ch</strong>, daß sie die Liebe des Vaters besitzt. Nur im Lieben<br />

wird Liebe offenbar. Die uns gegebene göttli<strong>ch</strong>e Liebe können wir nur dadur<strong>ch</strong><br />

erweisen, daß wir selbst in ihr leben.<br />

Na<strong>ch</strong>dem Jesus für die Gemeinde zuerst um die Einigkeit gebeten hat, greift<br />

er nun vorwärts <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem letzten Ziel, zu dem er sie bringen will. Sein Bitten<br />

wird dringli<strong>ch</strong> und spri<strong>ch</strong>t seinen königli<strong>ch</strong>en "Willen aus. 17,24: Vater, von<br />

, dem, was du mir gegeben bast, will i<strong>ch</strong>, daß da, wo i<strong>ch</strong> bin, au<strong>ch</strong> sie bei mir<br />

seien, damit sie meine Herrli<strong>ch</strong>keit sehen, die du mir gegeben hast, weil du<br />

mi<strong>ch</strong> vor der Gründung der Welt geliebt hast. Indem er spri<strong>ch</strong>t: I<strong>ch</strong> will! verliert<br />

er die Demut des Sohnes ni<strong>ch</strong>t und hört ni<strong>ch</strong>t auf, der Bittende zu sein;<br />

er hält aber dem Vater seinen festen, klaren "Willen in der Gewißheit vor, daß<br />

das, was er will, au<strong>ch</strong> vom Vater gewollt und getan werde. Darum hat er au<strong>ch</strong><br />

oben ni<strong>ch</strong>t nur gesagt: I<strong>ch</strong> mö<strong>ch</strong>te ihnen meine Herrli<strong>ch</strong>keit geben, sondern:<br />

I<strong>ch</strong> habe sie ihnen gegeben. Er will alle, die dur<strong>ch</strong> das "Wort der. Apostel an ihn<br />

glauben, bei si<strong>ch</strong> haben und ihnen seine eigene Herrli<strong>ch</strong>keit si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>en,<br />

die aus der ewigen Liebe Gottes zum Sohn fließt. <strong>Das</strong> ist der Grund seines<br />

Ewigkeitsbewußtseins. Die ewige Liebe Gottes ist ihm gegeben, und es ist seine<br />

Freude, daß alle, die ihm glauben, sehen, was ihm diese gibt.<br />

Mit dem letzten, dankbaren, Gott preisenden "Wort umfaßt er alle seine<br />

Jünger, die gegenwärtigen und die künftigen, wie immer sie zum Glauben<br />

kommen. 17,25. 26: Gere<strong>ch</strong>ter Vater, die Welt erkannte di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, i<strong>ch</strong> aber erkannte<br />

di<strong>ch</strong>, und diese erkannten, daß du mi<strong>ch</strong> gesandt hast, und i<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>te<br />

ihnen deinen Namen bekannt und werde ihn bekannt ma<strong>ch</strong>en, damit die Liebe,<br />

mit der du mi<strong>ch</strong> geliebt hast, in ihnen und i<strong>ch</strong> in ihnen sei. Die Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

des Vaters betet er an, die den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en seiner Gemeinde und der<br />

Welt gesetzt hat und denselben bewahrt. Die Welt blieb Gott unbekannt, und<br />

darin widerfährt ihr Gere<strong>ch</strong>tigkeit; denn der Mens<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>t Gott ni<strong>ch</strong>t, findet<br />

ihn deshalb au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Jesus aber hat ihn erkannt, und die Jünger haben Jesu<br />

Sendung dur<strong>ch</strong> den Vater erkannt. Dadur<strong>ch</strong> ist ihr Ohr für Jesus offen, so daß<br />

er ihnen Gottes Namen mitteilen konnte, und wie er es getan hat, wird er es<br />

au<strong>ch</strong> ferner tun- Darum handelt Gottes Gere<strong>ch</strong>tigkeit an den Jüngern anders<br />

als an der Welt und vergißt es ni<strong>ch</strong>t, daß sie von Jesus Gottes Namen empfangen<br />

haben, sondern überträgt die Liebe, in der er selber steht, au<strong>ch</strong> auf sie. <strong>Das</strong><br />

ist Jesu letzte Bitte, daß dieselbe Liebe des Vaters, die er selbst erfuhr, au<strong>ch</strong><br />

von seiner Gemeinde erlebt werde als das, was sie innerli<strong>ch</strong> faßt und regiert..<br />

Und wenn die Liebe Gottes in sie hinüberstrahlt und ihr eigenes Herz bewegt<br />

und ihren Willen formt, dann sind sie die Stätte, in der Jesus wohnt, und die


2z8 Jesu Sterben<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft ist gestiftet, die ihn und in ihm den Vater ewig mit ihnen verbunden<br />

ma<strong>ch</strong>t. Dann ist das errei<strong>ch</strong>t, was Jesu Liebe für die Mens<strong>ch</strong>en su<strong>ch</strong>t,<br />

und sein Heilandswerk vollbra<strong>ch</strong>t.<br />

Es gibt keinen vollständigeren, umfassenderen und do<strong>ch</strong> zuglei<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong>eren<br />

Unterri<strong>ch</strong>t über das, was „Christentum" ist, als den, den uns <strong>Johannes</strong> mit<br />

Jesu letztem Gebet gegeben hat.<br />

Kapitel 18 und 19<br />

Jesu Sterben<br />

Nun erzählt uns <strong>Johannes</strong>, wie Jesus den Kreuzesweg vollendet hat, zuerst,<br />

wie er seine Jünger s<strong>ch</strong>ützte, als er selbst gefangen ward.<br />

18,1—3: Na<strong>ch</strong>dem Jesus dies gesagt batte, ging er mit seinen Jüngern hinaus<br />

auf die Ostseite des Ba<strong>ch</strong>es Kidron, wo ein Garten war, in den er und seine<br />

Jünger hineintraten. Aber au<strong>ch</strong> Judas, der ihn überantwortete, kannte den<br />

Ort, weil si<strong>ch</strong> Jesus oft mit seinen Jüngern dort versammelt hatte. Na<strong>ch</strong>dem<br />

nun Judas die Kohorte und von den Hohenpriestern und den Pharisäern Diener<br />

geholt hatte, kommt er dorthin mit Laternen und Fackeln und Waffen.<br />

Die S<strong>ch</strong>ar, die Judas führte, bestand ni<strong>ch</strong>t nur aus einem Teil der Tempelwa<strong>ch</strong>e<br />

und dem Gesinde der Hohenpriester, sondern au<strong>ch</strong> aus einer Abteilung<br />

Soldaten mit dem Offizier, der die Besatzung von Jerusalem führte und selbst<br />

unter dem Befehl des Statthalters stand. Da das Todesurteil des jüdis<strong>ch</strong>en Rats<br />

nur em vorläufiges sein konnte und Jesus am Morgen notwendig dem Statthalter<br />

vorgeführt werden mußte, zogen die Priester s<strong>ch</strong>on bei seiner Verhaftung<br />

die Truppen hinzu. Es kommt darin ihre Fur<strong>ch</strong>t zutage, die si<strong>ch</strong> auf<br />

"Widerstand von Seiten Jesu und seiner Jünger gefaßt ma<strong>ch</strong>te und eine größere<br />

Ma<strong>ch</strong>t zur Hand haben wollte für alles, was ges<strong>ch</strong>ehen mo<strong>ch</strong>te. Um so nötiger<br />

war es, daß Jesus selbst ausdrückli<strong>ch</strong> für die Seinen als ihr Bes<strong>ch</strong>irmer eingetreten<br />

ist.<br />

18,4—6: Nun ging Jesus, da er alles, was über ihn kam, wußte, hinaus und<br />

sagt zu ihnen: Wen su<strong>ch</strong>t ihr? Sie antworteten ihm: Jesus von Nazareth. Er<br />

sagt zu ihnen: I<strong>ch</strong> bin es. Aber au<strong>ch</strong> Judas, der ihn überantwortete, stand bei<br />

ihnen. Als er nun ihnen sagte: I<strong>ch</strong> bin es, wi<strong>ch</strong>en sie zurück und fielen zu Boden.<br />

Ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> selbst zugut ließ er sie seine Ma<strong>ch</strong>t sehen, sondern den Jüngern zum<br />

S<strong>ch</strong>utz. Au<strong>ch</strong> dann no<strong>ch</strong>, als er si<strong>ch</strong> in ihre Hände gab, hat er die Freiheit seines<br />

königli<strong>ch</strong>en Willens geoffenbart, der ni<strong>ch</strong>t von Mens<strong>ch</strong>en gekne<strong>ch</strong>tet, sondern<br />

im Gehorsam gegen den Vater als der Überwinder der Welt ins Sterben geht.<br />

Do<strong>ch</strong> diente diese <strong>Offenbarung</strong> seiner Ma<strong>ch</strong>t nur der Erhaltung der Jünger.


<strong>Johannes</strong> i8,i—xi • 229<br />

Er selbst blieb ruhig vor der S<strong>ch</strong>ar stehen. 18,7. 8: Nun fragte er sie no<strong>ch</strong>mals:<br />

Wen su<strong>ch</strong>t ihr? Sie aber sagten: Jesus von Nazareth. Jesus antwortete: I<strong>ch</strong><br />

sagte eu<strong>ch</strong>, daß i<strong>ch</strong> es hin. Wenn ihr nun mi<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>t, so laßt diese gehen. Er ließ<br />

es si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> einmal von ihnen bestätigen, daß sie ihn su<strong>ch</strong>en, niemand sonst,<br />

und verbot ihnen darauf, si<strong>ch</strong> auf die Jünger zu stürzen. Und da er es ihnen<br />

spürbar gema<strong>ch</strong>t hatte, daß sein "Wort Ma<strong>ch</strong>t bei si<strong>ch</strong> hat, gehor<strong>ch</strong>en sie. Der<br />

Weg wurde den Jüngern freigelassen, und Jesus blieb allein.<br />

<strong>Johannes</strong> erinnert uns an Jesu Fürbitte. 18,9: damit das Wort erfüllt werde,<br />

das er spra<strong>ch</strong>: Von denen, die du mir gegeben hast, habe i<strong>ch</strong> keinen verloren.<br />

Sie konnten ihm jetzt, wie er es Petrus gesagt hatte, ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong>folgen. "Wären<br />

sie mit ihm zum Rat und ans Kreuz geführt worden, so wären sie mit erlös<strong>ch</strong>endem<br />

Glauben und verzagendem Herzen mitgegangen; deswegen beruht<br />

ihre Erhaltung darauf, daß sie Jesus s<strong>ch</strong>ützt.<br />

Wie nötig sein S<strong>ch</strong>utz ihnen war, zeigt, was Petrus tat. 18,10: Nun zog Simon<br />

Petrus, der ein S<strong>ch</strong>wert hatte, dieses heraus und s<strong>ch</strong>lug <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Kne<strong>ch</strong>t<br />

des Hohenpriesters und hieb sein re<strong>ch</strong>tes Ohr ab; der Kne<strong>ch</strong>t hatte aber den<br />

Namen Mal<strong>ch</strong>us. Jesus muß ihn halten, sonst reißt ihn sein Zorn fort, und er<br />

verfällt als Missetäter dem Geri<strong>ch</strong>t. 18,11: Nun sagte Jesus zu Petrus: Stecke<br />

das S<strong>ch</strong>wert in die S<strong>ch</strong>eide! Soll i<strong>ch</strong> den Kel<strong>ch</strong>, den mir der Vater gegeben hat,<br />

ni<strong>ch</strong>t trinken? Er ma<strong>ch</strong>t ihm deutli<strong>ch</strong>, was er ihm dur<strong>ch</strong> seine heiße Tat zumutet.<br />

Er soll den Be<strong>ch</strong>er abweisen, den ihm der Vater gab! Aus der Bahn des<br />

Gehorsams will er ihn ziehen; weil dem Jünger das Leiden ni<strong>ch</strong>t gefällt, soll<br />

si<strong>ch</strong> Jesus dem Vater widersetzen. <strong>Das</strong> ist no<strong>ch</strong>mals derjenige Petrus, der si<strong>ch</strong><br />

mit der Kraft eines starken Willens gegen Jesu Hinri<strong>ch</strong>tung sträubt und das,<br />

was mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist, im Sinne hat, ni<strong>ch</strong>t das, was göttli<strong>ch</strong> ist. Jesus bleibt dagegen<br />

auf den Vater gewandt, und dadur<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ützt er au<strong>ch</strong> Petrus vor der Gefahr,<br />

in die ihn sein eigener, leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> verirrter Wille zog.<br />

Matthäus hat uns erzählt, wie Jesus, während er auf den Verräter wartete,<br />

den S<strong>ch</strong>merz des Kreuzes in voller Bitterkeit empfand und dur<strong>ch</strong> das Gebet<br />

trug und sein gehorsames Bleiben im Willen des Vaters errang. Im Beri<strong>ch</strong>t des<br />

Matthäus ist dieses Stück von großer Bedeutung, weil er uns dadur<strong>ch</strong> das inwendige<br />

Opfer, das Jesus dem Vater sterbend darbringt, erkennbar ma<strong>ch</strong>t.<br />

<strong>Johannes</strong> hat uns jedo<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on vorher in vielen Worten Jesu die Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

seines Gehorsams dargestellt, au<strong>ch</strong> wenn er an dieser Stelle ni<strong>ch</strong>t mehr von Jesu<br />

Bitte und Opfer spri<strong>ch</strong>t.<br />

Unter den Priestern hatten damals zwei Männer den größten Einfluß auf<br />

die Leitung des Volks. Der eine war der Hohepriester Kajaphas, der amtli<strong>ch</strong><br />

an der Spitze der Priesters<strong>ch</strong>aft stand und dadur<strong>ch</strong> der hö<strong>ch</strong>ste Würdenträger


¿3° - Jesu Sterben<br />

in der Gemeinde war. Sein S<strong>ch</strong>wiegervater, Hannas, war einst selbst au<strong>ch</strong><br />

Hoherpriester gewesen, mußte dann, weil die Statthalter die "Würde ni<strong>ch</strong>t<br />

lange in derselben Hand ließen, dieselbe abgeben, hatte es aber errei<strong>ch</strong>t, daß<br />

sie vor allem in seiner Familie blieb und nur wenige andere Familien an derselben<br />

Anteil bekamen. Als das Haupt der wi<strong>ch</strong>tigsten hohepriesterli<strong>ch</strong>en Fa-,<br />

milie, mit der au<strong>ch</strong> der regierende Hohepriester selbst vers<strong>ch</strong>wägert war, und<br />

als erfahrener, erprobter Staatsmann besaß er darum einen großen Einfluß, so<br />

daß in Jerusalem ni<strong>ch</strong>ts "Wi<strong>ch</strong>tiges ohne ihn ges<strong>ch</strong>ah. Ihm wurde Jesus zuerst<br />

vorgeführt. 18,12—14: Nun ergriffen die Kohorte und der Oberst und die<br />

Diener der Juden Jesus, banden ihn und führten ihn zuerst zu Hannas; denn<br />

er war der S<strong>ch</strong>wiegervater des Kajaphas, der der Hohepriester jenes Jahres<br />

war. Kajaphas aber war der, der den Juden geraten hatte, es sei besser, daß ein<br />

einziger Mens<strong>ch</strong> sterbe statt des Volks.<br />

Petrus und <strong>Johannes</strong> begleiteten den Zug. 18,15: Aber Simon Petrus und ein<br />

anderer Jünger folgten Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong>. Jener Jünger war aber mit dem Hohenpriester<br />

bekannt und ging mit Jesus in den Hof des Hohenpriesters hinein.<br />

<strong>Johannes</strong> sagt uns ni<strong>ch</strong>t, wie er zu dieser vornehmen Bekannts<strong>ch</strong>aft kam; denn<br />

er erzählt uns von ihr nur deshalb, um uns begreifli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en, wie die beiden<br />

Jünger in den bewa<strong>ch</strong>ten Hof hineinkamen und warum nur Petrus, ni<strong>ch</strong>t<br />

<strong>Johannes</strong>, zur Verleugnung Jesu fortgetrieben worden ist. Man kannte <strong>Johannes</strong><br />

im Hause, und jedermann wußte längst, daß er zu Jesu Begleitern gehörte.<br />

Ihn spra<strong>ch</strong> darum niemand.besonders darauf an, wie ihm au<strong>ch</strong> das Leugnen<br />

ni<strong>ch</strong>ts geholfen hätte. 18,16: Petrus aber stand draußen bei der Tür. Nun ging<br />

der andere Jünger, der mit dem Hohenpriester bekannt war, hinaus und spra<strong>ch</strong><br />

mit der Türhüterin und führte Petrus hinein. Als unbekannter Mann fand<br />

Petrus zunä<strong>ch</strong>st keinen Einlaß in den Hof. <strong>Johannes</strong> aber erwarb ihm den Eintritt,<br />

da er zu der die Tür bewa<strong>ch</strong>enden Magd hinausging und es dur<strong>ch</strong> seine<br />

Fürspra<strong>ch</strong>e errei<strong>ch</strong>te, daß au<strong>ch</strong> Petrus ni<strong>ch</strong>t auf der Gasse warten mußte, sondern<br />

in den Hof eintreten durfte. 18,17a: Nun sagt die die Tür hütende Magd<br />

zu Petrus: Gehörst etwa au<strong>ch</strong> du zu den Jüngern des Mens<strong>ch</strong>en? Die Vermutung<br />

lag nahe genug, da ja <strong>Johannes</strong> für ihn um Einlaß si<strong>ch</strong> beworben hatte<br />

und au<strong>ch</strong> sein Wuns<strong>ch</strong>, jetzt im Hofe in der Nähe Jesu zu sein, auf einen Jünger<br />

s<strong>ch</strong>ließen ließ. 18,17b. 18: Jener sagt: Nein. Die Kne<strong>ch</strong>te und Diener standen<br />

aber bei einem Kohlenfeuer, das sie si<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t hatten, denn es war kalt,<br />

und wärmten si<strong>ch</strong>. Aber au<strong>ch</strong> Petrus stand bei ihnen und wärmte si<strong>ch</strong>.<br />

Als ihm Jesus davon spra<strong>ch</strong>: Du wirst verleugnen, mag er an den Hohenpriester<br />

oder an den Statthalter geda<strong>ch</strong>t haben, der ihn seiner Jüngers<strong>ch</strong>aft<br />

wegen befrage, ni<strong>ch</strong>t aber an die Magd, die ihm glei<strong>ch</strong> beim Eintritt spöttis<strong>ch</strong>


<strong>Johannes</strong> 18,12—24 231<br />

seine Jüngers<strong>ch</strong>aft vorhielt. Unvermerkt, wo er sie ni<strong>ch</strong>t vermutet hatte, war<br />

ihm die Versu<strong>ch</strong>ung genaht. Ob er ni<strong>ch</strong>t aus dem Hofe, in den ihn sein Herz<br />

zog, hinausgewiesen werde, wenn er si<strong>ch</strong> als Jünger nannte, war ungewiß.<br />

Jedenfalls blieb er so eher unbelästigt und war ni<strong>ch</strong>t böswilliger Beoba<strong>ch</strong>tung<br />

und bitterem Spott ausgesetzt. Die Lüge, die ihm über die Lippen flog, war<br />

aber das, beredte Zei<strong>ch</strong>en dafür, daß ihm jetzt bittere und zweifelnde Gedanken<br />

den gläubigen Blick auf Jesus völlig verdunkelten.<br />

Jesus selber hat s<strong>ch</strong>on dadur<strong>ch</strong>, daß er von der Verleugnung des Petrus im<br />

Jüngerkreise gespro<strong>ch</strong>en hatte, die Versündigung des Petrus ni<strong>ch</strong>t als eine<br />

Sa<strong>ch</strong>e behandelt, die Petrus allein angehe. So wie er sind au<strong>ch</strong> die anderen; sein<br />

Fall ma<strong>ch</strong>te die S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit aller si<strong>ch</strong>tbar und zeigt, daß einzig Jesus ni<strong>ch</strong>t<br />

s<strong>ch</strong>wankte, und wird dadur<strong>ch</strong>, daß si<strong>ch</strong> mit ihm Jesu Wort erfüllt, au<strong>ch</strong> seinerseits<br />

zu einem Erweis seiner Hoheit, die ihn au<strong>ch</strong> auf dem Kreuzesweg ni<strong>ch</strong>t<br />

verließ. Darum hat uns au<strong>ch</strong> <strong>Johannes</strong> erzählt, wie er selbst die Erfüllung des<br />

Wortes Jesu in der nä<strong>ch</strong>sten Nähe mitansah, ja selbst, ohne es zu wissen, zu ihr<br />

mit beigetragen hat, da er es war, der Petrus in den Hof hineinhalf und ihn<br />

damit in die Lage bra<strong>ch</strong>te, in der ihn die Versu<strong>ch</strong>ung niederwarf, ähnli<strong>ch</strong> wie<br />

er uns erzählt hat, daß er es miterlebt hat, wie Jesus den Verräter aus dem<br />

Jüngerkreise stieß.<br />

18,19—21: Nun befragte der Hohepriester Jesus über seine Jünger und über<br />

seine Lehre. Jesus antwortete ihm: I<strong>ch</strong> habe öffentli<strong>ch</strong> zur Welt gespro<strong>ch</strong>en. I<strong>ch</strong><br />

habe beständig in der Versammlung und im Tempel gelehrt, wo alle Juden<br />

zusammenkommen, und ni<strong>ch</strong>ts im Verborgenen geredet. Warum fragst du<br />

mi<strong>ch</strong>? Befrage die, die es gehört haben, was i<strong>ch</strong> zu ihnen geredet habef Sieh!<br />

diese wissen, was i<strong>ch</strong> sagte. Da der Hohepriester* eine Untersu<strong>ch</strong>ung über Jesu<br />

Jünger und Lehre eröffnen wollte, widerstand ihm Jesus. Er berief si<strong>ch</strong> auf die<br />

freie Öffentli<strong>ch</strong>keit seines Wortes. Was er gesagt hat, war für jedermann geredet;<br />

darum hat si<strong>ch</strong> der Priester ni<strong>ch</strong>t an ihn, sondern an seine Hörer zu<br />

wenden. Au<strong>ch</strong> hier deckte Jesus die Seinigen mit seiner s<strong>ch</strong>ützenden Hand und<br />

ließ ni<strong>ch</strong>t zu, daß sie jetzt mit auf den Kreuzesweg gerissen wurden.<br />

18,22—24: Als er aber dies sagte, gab einer der Diener, der dabeistand, Jesus<br />

einen Backenstrei<strong>ch</strong> und sagte: Antwortest du dem Hohenpriester soi Jesus<br />

antwortete ihm: Wenn i<strong>ch</strong> boshaft gespro<strong>ch</strong>en habe, dann spri<strong>ch</strong> vom Bösen<br />

als Zeuge; wenn i<strong>ch</strong> aber ri<strong>ch</strong>tig spra<strong>ch</strong>, warum s<strong>ch</strong>lägst du mi<strong>ch</strong>? Nun sandte<br />

ihn Hannas gebunden zu Kajaphas, dem Hohenpriester. Der zur Tempel wa<strong>ch</strong>e<br />

gehörende Mann, der Jesus bewa<strong>ch</strong>te, wollte ihn zur Unterwürfigkeit gegen<br />

• Es ist aas den Worten des <strong>Johannes</strong> ni<strong>ch</strong>t klar ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, ob Kajaphas bei Hannas anwesend war<br />

und das Verhör vornahm oder ob hier unter dem Hohenpriester Hannas zu verstehen ist; vgl. Vers 24.


z$2. Jesu Sterben<br />

den Hohenpriester zwingen. Seine Antwort zeigte allen, daß Versu<strong>ch</strong>e, ihn<br />

einzus<strong>ch</strong>ü<strong>ch</strong>tern, vergebli<strong>ch</strong> seien. Jesus verweist den Mann auf den Weg des<br />

Re<strong>ch</strong>ts. Meint er, er habe an ihm etwas Böses wahrgenommen, so soll er als<br />

Zeuge gegen ihn reden und re<strong>ch</strong>tmäßig auf seine Bestrafung hinwirken. Die<br />

Wa<strong>ch</strong>e wußte aber wohl, was sie si<strong>ch</strong> gestatten durfte. Jesus war s<strong>ch</strong>on längst<br />

s<strong>ch</strong>uldig und verurteilt, ehe das Urteil des S<strong>ch</strong>eins wegen gespro<strong>ch</strong>en worden ist.<br />

Was sonst im Rat der Priester ges<strong>ch</strong>ah, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem Jesus zum regierenden<br />

Hohenpriester geführt worden war, erzählt uns <strong>Johannes</strong> ni<strong>ch</strong>t. Er hat uns ja<br />

s<strong>ch</strong>on in hellster Deutli<strong>ch</strong>keit gesagt, daß die Hohenpriester und Häupter des<br />

Volks den Tod Jesu wollten und warum sie ihn wollten. Er beri<strong>ch</strong>tet nur no<strong>ch</strong>,<br />

wie es Petrus im Hofe weiter erging. 18,25—27: Aber Simon Petrus stand und<br />

wärmte si<strong>ch</strong>. Nun sagten sie zu ihm: Gehörst ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> du zu seinen Jüngern?<br />

Er leugnete und jagte: Nein. Einer von den Kne<strong>ch</strong>ten des Hohenpriesters, ein<br />

Verwandter dessen, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte, sagt: Sah i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t im Garten bei ihml. Nun leugnete Petrus wieder, und sofort rief der<br />

Hahn.<br />

Eingehend hören wir nun, wie Pilatus dazu gebra<strong>ch</strong>t wurde, über Jesus das<br />

Todesurteil zu fällen. 18,28a: Nun führen sie Jesus von Kajaphas in das<br />

S<strong>ch</strong>loß. Es war aber frühmorgens. Pilatus wohnte wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> im mä<strong>ch</strong>tigen<br />

S<strong>ch</strong>loß, das si<strong>ch</strong> Herodes erbaut hatte, am Jaffator. Der Vorgang, der si<strong>ch</strong><br />

glei<strong>ch</strong> bei der Ankunft des Zuges am Tor zum S<strong>ch</strong>losse zutrug, ist <strong>Johannes</strong><br />

wi<strong>ch</strong>tig. 18,28b: Und sie gingen ni<strong>ch</strong>t in das S<strong>ch</strong>loß hinein, damit sie ni<strong>ch</strong>t unrein<br />

würden, sondern das Pas<strong>ch</strong>a essen könnten. Die Auslegung der Worte ist<br />

hier wieder unsi<strong>ch</strong>er, weil die Eingliederung des Tages, an dem Jesus gekreuzigt<br />

wurde, in die Festwo<strong>ch</strong>e von <strong>Johannes</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> eine si<strong>ch</strong>ere Angabe vollzogen<br />

ist. Wenn er 13,1 im Unters<strong>ch</strong>ied von Matthäus den letzten Abend no<strong>ch</strong><br />

vor die Pas<strong>ch</strong>afeier stellt, so werden die Worte sagen: die Juden da<strong>ch</strong>ten an<br />

das Pas<strong>ch</strong>alamm, das sie am Abend dieses Tages essen wollten, und traten<br />

darum ni<strong>ch</strong>t in den von Heiden bewohnten Raum, damit keine Verunreinigung<br />

an sie komme und der Genuß des Pas<strong>ch</strong>alamms ihnen unverboten sei.<br />

Wenn er* dagegen den Lauf der Dinge in derselben Weise in Erinnerung hat wie<br />

Matthäus, so daß das Pas<strong>ch</strong>alamm bereits in der vergangenen Na<strong>ch</strong>t gegessen<br />

war, dann denkt er an die große Menge der Opfer, die den ersten großen<br />

Feiertag der Festwo<strong>ch</strong>e auszei<strong>ch</strong>neten und die festli<strong>ch</strong>en Mahlzeiten des Tages<br />

bildeten. <strong>Das</strong> waren aber alles ho<strong>ch</strong>heilige Speisen, vom Altar her geweiht und<br />

dem, der ni<strong>ch</strong>t rein war, strengstens verboten.<br />

Diese Sorge der Juden, ja ni<strong>ch</strong>t ihre Reinheit zu verlieren und das Opfermahl<br />

ni<strong>ch</strong>t preisgeben zu müssen, im selben Augenblick, während sie Gottes


<strong>Johannes</strong> 18,25-33 23 3<br />

lebendige Gabe töteten, setzte no<strong>ch</strong>mals die große Lüge hell ans Li<strong>ch</strong>t, die<br />

ihren ganzen Gottesdienst verdarb. Sie hat bewirkt, daß die Verhandlung<br />

über Jesus in heller Öffentli<strong>ch</strong>keit und darum unter der Beteiligung des Volks<br />

geführt worden ist. Über Jesus wurde das Urteil ni<strong>ch</strong>t so gefällt, daß si<strong>ch</strong> im<br />

Verborgenen Jesu Gegner mit dem Statthalter verständigten. Vielmehr ges<strong>ch</strong>ah<br />

die Verhandlung vor dem S<strong>ch</strong>loß. Der Statthalter war längst gewohnt,<br />

den Gewissensbedenken der jüdis<strong>ch</strong>en Männer si<strong>ch</strong> anzupassen und ihnen<br />

ni<strong>ch</strong>ts zuzumuten, was gegen das Gesetz verstieß. Mit steifem Trotz wehrte<br />

si<strong>ch</strong> das Volk gegen alles, was die Geltung des Gesetzes zu gefährden s<strong>ch</strong>ien,<br />

und der Statthalter mußte, wollte er Frieden haben, damit immer re<strong>ch</strong>nen. Da<br />

er Jesus ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> verurteilen, sondern wissen wollte, warum ihn die<br />

Hohenpriester ihm zuführten, so kam er aus dem S<strong>ch</strong>loß heraus.<br />

18,29—32: Nun kam Pilatus zu ihnen heraus und sagt: Was für eine Anklage<br />

bringt ihr gegen diesen Mens<strong>ch</strong>en? Sie antworteten und sagten zu ihm:<br />

Täte dieser ni<strong>ch</strong>ts Böses, so hätten wir ihn dir ni<strong>ch</strong>t überantwortet. Nun sagte<br />

Pilatus zu ihnen: Nehmt ihr ihn, und fällt über ihn das Urteil <strong>na<strong>ch</strong></strong> eurem Gesetz.<br />

Die Juden sagten zu ihm: Wir haben ni<strong>ch</strong>t das Re<strong>ch</strong>t, jemand zu töten.<br />

Dies ges<strong>ch</strong>ah, damit das Wort Jesu erfüllt werde, das er spra<strong>ch</strong>, als er andeutete,<br />

dur<strong>ch</strong> was für einen Tod er sterben werde. Damals fiel die Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

über die "Weise, wie Jesus getötet wurde. Spra<strong>ch</strong> ihm der Römer das Urteil, so<br />

wurde er ans Kreuz gehängt. <strong>Das</strong> Gesetz Moses wußte dagegen ni<strong>ch</strong>ts von der<br />

Kreuzigung, sondern strafte Gotteslästerung und ähnli<strong>ch</strong>e Verbre<strong>ch</strong>en mit der<br />

Steinigung. Nun wäre es den Juden zwar hö<strong>ch</strong>st erwüns<strong>ch</strong>t gewesen, wenn sie<br />

selbst das Urteil über Jesus hätten spre<strong>ch</strong>en können, da der römis<strong>ch</strong>e Beamte<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Meinung ni<strong>ch</strong>ts von dem verstand, was zwis<strong>ch</strong>en Jesus und ihnen<br />

den Streitpunkt bildete. Israels Hoffnung kam in Frage, die Verheißung der<br />

S<strong>ch</strong>rift, ob Jesus der Christus sei, lauter Dinge, worüber si<strong>ch</strong> die Juden das Urteil<br />

allein zus<strong>ch</strong>rieben. Sie su<strong>ch</strong>ten darum Pilatus sofort zur Verurteilung zu<br />

drängen und von einer Verhandlung abzubringen; Jesus sei selbstverständli<strong>ch</strong><br />

ein Übeltäter, da sie ihm ja denselben zur Hinri<strong>ch</strong>tung zuführen; Pilatus<br />

brau<strong>ch</strong>e nur zu genehmigen, daß er getötet werde. <strong>Das</strong> war für Pilatus do<strong>ch</strong> zu<br />

erniedrigend; er nahm die Stellung für si<strong>ch</strong> in Anspru<strong>ch</strong>, die dem Vertreter<br />

des Kaisers über die Judens<strong>ch</strong>aft gebührt. Soll er Ri<strong>ch</strong>ter sein, so will er au<strong>ch</strong><br />

selbst die Untersu<strong>ch</strong>ung führen. Lassen sie dies ni<strong>ch</strong>t zu, so mögen sie das Urteil<br />

spre<strong>ch</strong>en. <strong>Das</strong> war aber für die Juden deshalb ni<strong>ch</strong>t annehmbar, weil sie ein<br />

Todesurteil gegen Jesus haben wollten und ein sol<strong>ch</strong>es dem jüdis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>ter<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr zustand, seit das Land unter ait römis<strong>ch</strong>e Verwaltung gebra<strong>ch</strong>t und<br />

dem Statthalter untergeben war. In den Synagogen wurde zwar immer no<strong>ch</strong>


234 Jesu Sterben<br />

Geri<strong>ch</strong>t gehalten, weil man die Aufsi<strong>ch</strong>t über die religiösen Dinge ni<strong>ch</strong>t den<br />

Heiden überließ. Bei sol<strong>ch</strong>en Verhandlungen aber ein Todesurteil zu fällen<br />

war den jüdis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tern verboten, und sie wagten vor allem in Jerusalem<br />

und am Fest unter den Augen des Statthalters ni<strong>ch</strong>t, dem Staatsgesetz zu<br />

trotzen. Sie mußten deshalb, weil es ihnen an der öffentli<strong>ch</strong>en und s<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>vollen<br />

Hinri<strong>ch</strong>tung Jesu lag, seine Sa<strong>ch</strong>e in die Hand des Römers legen, und es<br />

erfüllten si<strong>ch</strong> die Worte Jesu, die s<strong>ch</strong>on längst auf die Art seines Todes hingezeigt<br />

haben. Oft genug war sein Leben in Gefahr gewesen; allein niemals,<br />

au<strong>ch</strong> wenn seine Gegner no<strong>ch</strong> so erbittert waren, wurde ein Stein gegen ihn<br />

ges<strong>ch</strong>leudert, der ihn getroffen hätte. Vom Erhöhtwerden hat er gespro<strong>ch</strong>en<br />

und von der S<strong>ch</strong>lange, die am Pfahle hing. <strong>Das</strong> erfüllte si<strong>ch</strong> nun, weil er <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

den Formen des römis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts dur<strong>ch</strong> einen öffentli<strong>ch</strong>en Urteilsspru<strong>ch</strong> des<br />

Statthalters verdammt worden ist.<br />

18,33: Nun ging Pilatus wieder in das S<strong>ch</strong>loß hinein, rief Jesus und sagte<br />

zu ihm: Bist du der König der Juden? "Weil die Verkläger Jesu ihm seine Sa<strong>ch</strong>e<br />

übergeben mußten, haben sie ihm au<strong>ch</strong> erklärt, was sie gegen Jesus hatten, und<br />

wir hören, daß sie ihn als einen fals<strong>ch</strong>en Christus verklagt haben. Na<strong>ch</strong> der<br />

Anklage der Juden hatte es Pilatus in Jesus mit einem Mens<strong>ch</strong>en zu tun, der<br />

si<strong>ch</strong> zum König ma<strong>ch</strong>en will und Aufruhr beginnt. Pilatus fragte ihn ni<strong>ch</strong>t:<br />

Gibst du vor, du seiest der König der Juden, sondern: Bist du das? und diese<br />

Frage zeigt, daß der Anspru<strong>ch</strong> Jesu an das Königtum über Israel ihn ernst bes<strong>ch</strong>äftigte.<br />

Daß er etwas von Israels Hoffnung auf den Christus wußte, ist<br />

si<strong>ch</strong>er anzunehmen. "Wie weit er über das unterri<strong>ch</strong>tet war,» was Jesus in Jerusalem<br />

getan hatte, können wir ni<strong>ch</strong>t ermessen; jedenfalls war er darüber bereits<br />

klar, daß er in Jesus keinen Lügner und Übeltäter vor si<strong>ch</strong> hatte.<br />

18,34: Jesus antwortete: Sagst du das aus dir selbst, oder haben andere mit<br />

dir über midi gespro<strong>ch</strong>en? Er hieß ihn bedenken, daß es für ihn einen großen<br />

Unters<strong>ch</strong>ied ausma<strong>ch</strong>e, ob er seine Frage aus eigenem Antrieb an ihn ri<strong>ch</strong>te,<br />

weil ihn das, was er selbst sieht und weiß, zu ihr bewegt, oder ob er nur deshalb<br />

so frage, weil andere ihm diesen Beri<strong>ch</strong>t über Jesus gaben. Ist seine Frage<br />

seine eigene Frage, dann zeigt sie persönli<strong>ch</strong>e Ergriffenheit dur<strong>ch</strong> das, was er<br />

an Jesus sieht, und kann zum Glauben werden. Einer sol<strong>ch</strong>en Frage kann Jesus<br />

anders antworten, als wenn er nur die Rede anderer Leute wiederholt und si<strong>ch</strong><br />

selber fern von Jesus hält. Au<strong>ch</strong> den Pilatus hat Jesus als Mens<strong>ch</strong>en behandelt,<br />

der selbst <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem, was Jesus ist, fragen darf und soll und si<strong>ch</strong> um eine eigene<br />

Überzeugung über ihn zu kümmern hat. "Was Jesus ist, geht au<strong>ch</strong> ihn an, bringt<br />

au<strong>ch</strong> ihm Leben oder Tod, und vollends, da er über ihn als Ri<strong>ch</strong>ter zu urteilen<br />

hat, kann er ni<strong>ch</strong>t nur auf andere hören und <strong>na<strong>ch</strong></strong> anderer Leute Mund reden.


<strong>Johannes</strong> 18,33-370 235<br />

18,35: Pilatus antwortete: Bin i


236 Jesu Sterben<br />

Dur<strong>ch</strong> seine Stimme lenkt der Hirtc die S<strong>ch</strong>afe, und durdi den Geist der "Wahrheit<br />

führt er seine Sa<strong>ch</strong>e. Dur<strong>ch</strong> die Wahrheit ist aber er selbst zum Herrs<strong>ch</strong>er<br />

gema<strong>ch</strong>t, weil er sein Leben und seinen Platz in der "Welt deshalb empfangen<br />

hat, um ihr Zeuge zu sein. Sie entsteht freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erst dur<strong>ch</strong> seine Geburt<br />

oder dur<strong>ch</strong> seinen Dienst, sondern ist Gottes ewiger Besitz. Sie bedarf aber auf<br />

Erden des Zeugen, dessen, der für sie redet und mit "Wort und Werk kundtut<br />

und erweist. <strong>Das</strong> ist Jesu Amt, zu dem er und keiner sonst geboren ist. Au<strong>ch</strong> ist<br />

er kein König ohne Rei<strong>ch</strong>, obwohl jetzt niemand die Hand für ihn regt¿ Denn<br />

es gibt Mens<strong>ch</strong>en, die aus der Wahrheit sind, die, von denen er den Juden<br />

sagte, sie seien aus Gott, 8,47, die, die er Nikodemus bes<strong>ch</strong>rieb als die, die ihr<br />

Werk in Gott tun, 3,21. Den Heiden, dem Gott ganz im Dunkeln steht, erinnert<br />

Jesus ni<strong>ch</strong>t an Gott, den er ni<strong>ch</strong>t kennt, dagegen an die Wahrheit als an<br />

die Ma<strong>ch</strong>t, die uns unseren Sinn und Willen geben und unser Wort und Werk<br />

uns s<strong>ch</strong>enken kann, so daß sie die Wurzel ist, aus der unser inwendiges Wesen<br />

wird und wä<strong>ch</strong>st. Diese alle, die dur<strong>ch</strong> die Wahrheit leben, heißt Jesus sein<br />

eigen. Die sind sein Rei<strong>ch</strong>; über sie ist er Herr und König in wirksamer Ma<strong>ch</strong>t.<br />

Denn diese erkennen in seiner Stimme die Stimme dessen, der zum Zeugen der<br />

Wahrheit geboren ist, und sind ihr Untertan.<br />

Zu dieser Art von Königsma<strong>ch</strong>t hat Pilatus kein Vertrauen. 18,38a: Pilatus<br />

sagt zu ihm: Was ist Wahrheit? Wer kann sagen, was sie ist? und was ri<strong>ch</strong>tet<br />

man mit ihr in dieser Welt aus, in der ganz andere Mä<strong>ch</strong>te gelten und der<br />

Zeuge der Wahrheit als Verbre<strong>ch</strong>er den Kreuzesweg geht? Und do<strong>ch</strong> verspürte<br />

er eben jetzt ihre Ma<strong>ch</strong>t und erlebte es, daß die Anklagen der Juden vor ihr<br />

zergingen und es ihm in heller Gewißheit in der Seele stand: er hat keine<br />

S<strong>ch</strong>uld; es ist wahr, wenn er sagt, er baue seine Herrs<strong>ch</strong>aft ni<strong>ch</strong>t auf diese Welt,<br />

und wahr, wenn er sagt, seine Waffe sei die Wahrheit allein.<br />

18,38b: Und als er dies gesagt hatte, ging er wieder zu den Juden hinaus und<br />

sagt zu ihnen: I<strong>ch</strong> finde an ihm keine S<strong>ch</strong>uld. Aber weil sie ihn ja verurteilt hatten<br />

und Pilatus als ein kluger Regent niemand zu verletzen und eine für alle<br />

erträgli<strong>ch</strong>e Form zu finden wüns<strong>ch</strong>te, so s<strong>ch</strong>lug er ihnen vor, das Gewohnheitsre<strong>ch</strong>t,<br />

das verlangte, daß der Statthalter am Pas<strong>ch</strong>a einen Gefangenen freigebe,<br />

auf Jesus anzuwenden. So blieb der Spru<strong>ch</strong> der Juden in Kraft und wurde vom<br />

Statthalter ni<strong>ch</strong>t förmli<strong>ch</strong> umgestoßen, und der Statthalter kam zu seiner Re<strong>ch</strong>nung<br />

und brau<strong>ch</strong>te das Todesurteil ni<strong>ch</strong>t über den auszuspre<strong>ch</strong>en, den er für uns<strong>ch</strong>uldig<br />

hielt, und Jesus erhielt die Freiheit wieder. Pilatus s<strong>ch</strong>ien es klug; wie<br />

es der Wahrheit dabei gehe, sorgte er ni<strong>ch</strong>t; was ist do<strong>ch</strong> sie! 18,39: Es besteht<br />

aber bei eu<strong>ch</strong> die Gewohnheit, daß i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> am Pas<strong>ch</strong>a einen freilasse. Wollt ihr<br />

nun, so lasse i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> den König der Juden frei. Es war <strong>Johannes</strong> wi<strong>ch</strong>tig, daß


<strong>Johannes</strong> 18,380—40; 19,1-5 237<br />

Pilatus <strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong> und beharrli<strong>ch</strong> Jesus den König der Juden hieß. Der<br />

Heide wird zum Zeugen Jesu, und Israel verwirft ihn ausdrückli<strong>ch</strong> deshalb,<br />

weil er ihm als sein König vorgestellt worden ist. "Was in der Seele des Pilatus<br />

dabei lag, läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ums<strong>ch</strong>reiben. Der Stobt des Römers mag si<strong>ch</strong> dabei<br />

regen, der den Juden einen sol<strong>ch</strong>en König gönnte, au<strong>ch</strong> ein Gefühl der Ra<strong>ch</strong>su<strong>ch</strong>t<br />

gegen die Männer, die ihn zu einem Urteil mißbrau<strong>ch</strong>ten, das er verwarf,<br />

und das sie ihm do<strong>ch</strong> auftrotzten, weshalb er es ihnen absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> vorhielt:<br />

Euer König ist er, jedo<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>er au<strong>ch</strong> die Überzeugung: Jesus hat re<strong>ch</strong>t; wenn<br />

irgendeiner der verheißene König ist, auf den die Juden warten, so ist es er.<br />

Aber sowie Pilatus Jesus König nannte, bra<strong>ch</strong> der Zorn der Menge wild hervor.<br />

Daß sie in Jesus den wiederfinden sollen, der ihre Hoffnung erfüllte, zumal<br />

jetzt, da er gebunden in den Händen des Statthalters ist, das erbittert sie<br />

nur zu wildem Zorn.<br />

18,40: Nun riefen sie wieder: Ni<strong>ch</strong>t diesen, sondern den Bar abb as. Bar abbas<br />

aber war ein Räuber. Der aus seinem Dorf Geflohene, der mit den "Waffen in<br />

der Hand den Lebensunterhalt nahm, wo er ihn fand, und dabei au<strong>ch</strong> das<br />

•Mens<strong>ch</strong>enleben ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>onte, war in ihren Augen ein Mann, für den Freiheit<br />

und Leben zu erbitten si<strong>ch</strong> lohnte. Trotz und Gewalttat, S<strong>ch</strong>wert und Aufruhr,<br />

den vergebli<strong>ch</strong>en Griff <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Freiheit im Hader mit Gott und der<br />

"Welt erwählten sie; den, der dur<strong>ch</strong> die Gnade und die Wahrheit König ist,<br />

verwarfen sie.<br />

Pilatus tat den ersten S<strong>ch</strong>ritt zur Verurteilung Jesu und verfügte die Geißelung.<br />

19,1—3: Da nahm nun Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln, und die Soldaten<br />

flo<strong>ch</strong>ten einen Kranz aus Dornen und setzten ihn auf seinen Kopf und<br />

legten ihm einen purpurnen Mantel um und traten zu ihm und sagten: Sei<br />

gegrüßt König der Juden! und gaben ihm Backenstrei<strong>ch</strong>e. Nun s<strong>ch</strong>ien es Pilatus<br />

genug, und er erwartete, au<strong>ch</strong> der Zorn der Juden lege si<strong>ch</strong>. Au<strong>ch</strong> für <strong>Johannes</strong><br />

haben die königli<strong>ch</strong>en Abzei<strong>ch</strong>en, die Jesus so erhielt, ihre tiefe Bedeutsamkeit.<br />

Mit diesen hat ihn Pilatus vor das Volk gestellt. 19,4. y. Und Pilatus kam wieder<br />

heraus und sagt zu ihnen: Seht, i<strong>ch</strong> führe ihn zu eu<strong>ch</strong> heraus, damit ihr<br />

erkennt, daß i<strong>ch</strong> keine S<strong>ch</strong>uld an ihm finde. Nun kam Jesus heraus, indem er<br />

die Dornenkrone und den purpurnen Mantel trug. Und er sagt zu ihnen: Seht!<br />

der Mens<strong>ch</strong>! Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit war das, was im Römer edel war und das Raubtier<br />

in ihm bändigte. Sogar der Jude war für den Römer no<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>; sogar<br />

der mit Dornen gekrönte Christus war es. A<strong>ch</strong>tet den Mens<strong>ch</strong>en, sagt Pilatus,<br />

entehrt ihn ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> mehr; er hat genug gelitten und für sein wahnsinniges<br />

Königtum eine harte Buße bezahlt, da er die Dornenkrone trägt. Aber an den<br />

Juden prallt der Appell an die Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit ab. Gott! das ist der Kampfruf,


238 Jesu Sterben<br />

der Pilatus entgegentönt. Gottes Ehre wird verteidigt, Gottes Gesetz gehandhabt.<br />

Der, der si<strong>ch</strong> an Gott vergangen hat, muß sterben. "Weil wir zwis<strong>ch</strong>en<br />

unfrommer Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit und unmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Frömmigkeit s<strong>ch</strong>wanken, trug<br />

Jesus das Kreuz. „Der Mens<strong>ch</strong>!" Jesus widerspra<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t; er bekennt si<strong>ch</strong> zu<br />

uns, su<strong>ch</strong>t uns, verzeiht uns, heilt uns und bringt uns zu Ehren; dies tut er aber<br />

als der, der Gott gehor<strong>ch</strong>t und si<strong>ch</strong> uns zum Heil für Gott geheiligt hat. 19,6.7:<br />

Als ihn nun die Hohenpriester und die Diener sahen, riefen sie: Kreuzige,<br />

kreuzige ihn! Pilatus sagt zu ihnen: Nehmt ihr ihn und kreuzigt ihn. Denn i<strong>ch</strong><br />

finde keine S<strong>ch</strong>uld an ihm. Die Juden antworteten ihm: Wir haben ein Gesetz,<br />

und <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Gesetz muß er sterben, weil er si<strong>ch</strong> selbst zu Gottes Sohn gema<strong>ch</strong>t<br />

hat. Sie wollen Pilatus begreifli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en, weshalb sie ihn getötet haben<br />

wollen, obwohl er keine S<strong>ch</strong>uld an ihm zu finden vermöge, und heißen<br />

darum seinen Anspru<strong>ch</strong> an die Sohns<strong>ch</strong>aft Gottes das fur<strong>ch</strong>tbare Verbre<strong>ch</strong>en,<br />

das <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrem Gesetz mit dem Tod geahndet werden müsse. Dadur<strong>ch</strong> kam<br />

ein neuer Punkt in die Erörterung hinein, dur<strong>ch</strong> den sie si<strong>ch</strong> die Erfüllung ihres<br />

Begehrens selbst wieder ers<strong>ch</strong>werten. Sohn Gottes! das setzte Pilatus in Fur<strong>ch</strong>t.<br />

Jesus hatte si<strong>ch</strong> also zu Gott in ein geheimnisvolles, vertrautes Verhältnis<br />

gesetzt. Pilatus war ni<strong>ch</strong>t geneigt, darüber lei<strong>ch</strong>t hinwegzugehen. Israel verhöhnte<br />

den Sohn Gottes, und den Heiden, so blind seine Gedanken über Gott<br />

waren, so wenig er mit seinem wirren und krummen Herzen auf die „Wahrheit"<br />

gab, setzte die Erinnerung an Gott in Fur<strong>ch</strong>t, und er wagte ni<strong>ch</strong>t, was<br />

Jesus über seine Herkunft aus Gott gesagt hatte, lei<strong>ch</strong>thin zu vera<strong>ch</strong>ten.<br />

19,8.9: Als nun Pilatus dieses Wort hörte, für<strong>ch</strong>tete er si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> mehr und<br />

ging wieder in das S<strong>ch</strong>loß hinein und sagte zu Jesus: Woher bist du? Jesus gab,<br />

ihm aber keine Antwort. Als Pilatus Jesus darüber verhören wollte, wie es<br />

si<strong>ch</strong> mit seiner Gottessohns<strong>ch</strong>aft verhalte, woher er sei, aus dem Himmel oder<br />

daher, woher wir Mens<strong>ch</strong>en sind, s<strong>ch</strong>wieg er. Er konnte mit Pilatus ni<strong>ch</strong>t über<br />

den Vater reden und ihm den Namen des Vaters kundtun.<br />

Pilatus po<strong>ch</strong>te auf seine ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>t. 19,10. na: Nun sagt Pilatus zu<br />

ihm: Mit mir redest du ni<strong>ch</strong>t? Weißt du ni<strong>ch</strong>t, daß i<strong>ch</strong> die Ma<strong>ch</strong>t habe, di<strong>ch</strong><br />

freizulassen, und die Ma<strong>ch</strong>t habe, di<strong>ch</strong> zu kreuzigen. Jesus antwortete: Du<br />

hättest keine Ma<strong>ch</strong>t gegen mi<strong>ch</strong>, wenn es dir ni<strong>ch</strong>t von oben gegeben wäre. Jesus<br />

anerkennt, daß Gott Pilatus zu seinem Ri<strong>ch</strong>ter bestellt habe, damit sein<br />

Leben das Ende finde, das ihm vom Vater geordnet ist. <strong>Das</strong> gibt Pilatus freili<strong>ch</strong><br />

kein Re<strong>ch</strong>t, auf seine Ma<strong>ch</strong>t zu po<strong>ch</strong>en. Die Ergebung, mit der si<strong>ch</strong> Jesus<br />

unter sein Urteil beugt, gilt ni<strong>ch</strong>t ihm, sondern dem Vater, der ihm die Gewalt<br />

über ihn gegeben hat. Do<strong>ch</strong> ist die S<strong>ch</strong>uld des Pilatus dadur<strong>ch</strong> gemildert und<br />

ihm eine gewisse Entlastung gewährt. 19,11b: Deswegen hat der, der mi<strong>ch</strong> dir


<strong>Johannes</strong> ig,6-14a 239<br />

überantwortet hat, größere Sünde. Kajaphás, der Priester, die Juden, hatten<br />

keinen Auftrag, Jesus zu ri<strong>ch</strong>ten, nahmen vielmehr ihre Ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> selbst, zogen<br />

ihr Re<strong>ch</strong>t aus ihrem Haß und griffen <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem Leben, weil sie dem<br />

Fürsten der Welt dienten. Ihr Ri<strong>ch</strong>teramt kam von unten, ni<strong>ch</strong>t von oben.<br />

Ihre Sünde ist somit die größere. Sie taten in Freiheit, was sie gegen Jesus<br />

unternahmen; Pilatus dagegen war an seinen Platz gestellt und mußte dort<br />

stehen. Sie warfen si<strong>ch</strong> selbst zu Ri<strong>ch</strong>tern über Jesus auf; Pilatus dagegen war<br />

das Urteil über ihn aufgetragen. Au<strong>ch</strong> er ist ni<strong>ch</strong>t uns<strong>ch</strong>uldig; denn er handelt<br />

mit Wissen und Willen gegen die Wahrheit und das Re<strong>ch</strong>t; die größere Sünde<br />

liegt jedo<strong>ch</strong> auf den anderen.<br />

19,12a: Von da an wollte ihn Pilatus freilassen. S<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> war es ihm je<br />

begegnet, daß ihm jemand, der vor seinem Ri<strong>ch</strong>terstuhl stand, seine Sünde<br />

vorgehalten hatte, und dies so, daß er si<strong>ch</strong> beugen mußte. Aus Jesu Worten<br />

war deutli<strong>ch</strong>, daß er au<strong>ch</strong> den Kreuzesweg unter Gottes Leitung ging, sein Urteil<br />

aus Gottes Hand hinnahm, frei von Erbitterung, in heiligem Ernst, der die<br />

Sünde aller ans Li<strong>ch</strong>t stellt und Gottes Regierung ehrt.<br />

Aber bei der Ausführung seines Bes<strong>ch</strong>lusses stieß Pilatus auf ein Hindernis,<br />

das für ihn unüberwindli<strong>ch</strong> war. 19,12b: Aber die Juden riefen: Wenn du diesen<br />

freilassest, bist du kein Freund des Kaisers. Jeder, der sido zum König<br />

ma<strong>ch</strong>t, widersetzt si<strong>ch</strong> dem Kaiser. Davor wi<strong>ch</strong> er. Als die Erinnerung an Gott<br />

in die Verhandlung kam, weil von der Gottessohns<strong>ch</strong>aft Jesu die Rede war,<br />

wollte er ihn freigeben. Als ihm der Kaiser entgegengehalten wurde, verurteilte<br />

er ihn. Die Fur<strong>ch</strong>t vor Gott vers<strong>ch</strong>wand vor der Fur<strong>ch</strong>t vor dem Kaiser.<br />

Israel wählte Barabbas und verwarf Jesus; Pilatus erwählte die Gunst des<br />

Kaisers und vera<strong>ch</strong>tete Gott.<br />

19,13.14a: Als nun Pilatus diese Worte hörte, führte er Jesus heraus und<br />

setzte sieb auf den Ri<strong>ch</strong>terstuhl an dem Platz, der das Steinpflaster, auf Hebräis<strong>ch</strong><br />

Gabbat ha heißt. Es war aber der Rüsttag des Pas<strong>ch</strong>a; die Stunde war<br />

etwa die se<strong>ch</strong>ste. Die Tribüne, auf der der römis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>ter sitzend das re<strong>ch</strong>tskräftige<br />

Urteil spra<strong>ch</strong>, befand si<strong>ch</strong> unter freiem Himmel, weil die Fällung der<br />

Urteile öffentli<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ehen sollte. Der Platz hatte sowohl einen grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en<br />

als einen hebräis<strong>ch</strong>en Namen, da ja in Jerusalem damals beide Spra<strong>ch</strong>en eingebürgert<br />

waren. Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> nannte man ihn <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Pflasterung des Platzes<br />

mit Steinplatten. <strong>Johannes</strong> gibt uns den Tag und die Stunde an. Die Angabe<br />

über den Tag heißt, wenn <strong>Johannes</strong> si<strong>ch</strong> die Tage wie Matthäus denkt: es war<br />

der Freitag der Pas<strong>ch</strong>awo<strong>ch</strong>e. Stellte er dagegen das Pas<strong>ch</strong>amahl um einen<br />

Tag später, so wird sie bedeuten: es war der Rüsttag und Vorabend zum<br />

Pas<strong>ch</strong>a, derjenige Tag, an dem <strong>na<strong>ch</strong></strong>mittags die Pas<strong>ch</strong>alämmer ges<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tet


24° Jesu Sterben<br />

wurden. Die Zeit, da Pilatus das Urteil spra<strong>ch</strong>, fiel <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>Johannes</strong> etwa auf<br />

den Mittag.<br />

19,140—16: Und er sagt zu den Juden: Seht, euer König! Nun riefen sie:<br />

Weg mit ihm, weg mit ihm, kreuzige ihn! Pilatus sagt zu ihnen: Soll i<strong>ch</strong> euren<br />

König kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König<br />

als den Kaiser. Darauf übergab er ihnen Jesus, daß er gekreuzigt werde. No<strong>ch</strong><br />

auf dem Ri<strong>ch</strong>terstuhl hat Pilatus Jesus wiederholt den König der Juden genannt.<br />

Er erhielt au<strong>ch</strong> damals, als das Urteil über ihn gefällt wurde, den Namen,<br />

der ihn als den Verheißenen bes<strong>ch</strong>rieb, und in diesem Namen hat ihn die<br />

Judens<strong>ch</strong>aft verworfen und niemand als den Kaiser ihren König genannt. Jerusalem<br />

war darin mit Pilatus eines Sinnes, daß au<strong>ch</strong> ihm die Ma<strong>ch</strong>t und der<br />

Glanz des Kaisertums weit mehr galt als Jesu stille Herrli<strong>ch</strong>keit und Gottes<br />

verborgenes Rei<strong>ch</strong>. Hätten sie freili<strong>ch</strong> Jesus zugetraut, daß er den Kaiser an<br />

Ma<strong>ch</strong>t und Geld überbiete, so hätten sie si<strong>ch</strong> sofort eifrig gegen den Kaiser erklärt;<br />

nun aber, da sie zwis<strong>ch</strong>en der Kreuzesgestalt Jesu und dem Kaiser, dem<br />

Beherrs<strong>ch</strong>er der Erde, zu wählen hatten, hießen sie ni<strong>ch</strong>t jenen, sondern 1 '-allein<br />

diesen ihren Herrn.<br />

19,17—22: Nun nahmen sie Jesus, und er trug für sid) das Kreuz und ging<br />

hinaus an die Stätte, die Ort des S<strong>ch</strong>ädels, auf hebräis<strong>ch</strong> Golgatha heißt, wo<br />

sie ihn kreuzigten und mit ihm zwei andere auf beiden Seiten, in der Mitte<br />

aber Jesus. Pilatus s<strong>ch</strong>rieb au<strong>ch</strong> eine Aufs<strong>ch</strong>rift und tat sie ans Kreuz. Es war<br />

aber ges<strong>ch</strong>rieben: Jesus aus Nazareth, der König der Juden. Nun lasen viele<br />

von den Juden diese Aufs<strong>ch</strong>rift, weil die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde,<br />

nahe bei der Stadt war, und es war hebräis<strong>ch</strong>, römis<strong>ch</strong> und grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>rieben.<br />

Nun sagten die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: S<strong>ch</strong>reibe ni<strong>ch</strong>t: Der<br />

König der Juden, sondern, daß er gesagt hat: I<strong>ch</strong> bin König der Juden. Pilatus<br />

antwortete: Was i<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>rieben habe, habe i<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>rieben. <strong>Johannes</strong> a<strong>ch</strong>tet<br />

bei dem, was am Kreuz ges<strong>ch</strong>ah, auf die alles dur<strong>ch</strong>waltende Regierung Gottes,<br />

die Jesus au<strong>ch</strong> jetzt, au<strong>ch</strong> in der tiefsten Erniedrigung, als er von Gott verlassen<br />

dahing, das Zeugnis vers<strong>ch</strong>afft, er sei der Christus. Da die Kreuze<br />

nahe bei der Stadt standen und das Plakat, das seine S<strong>ch</strong>uld kundtat, ihn ausdrückli<strong>ch</strong><br />

als den König der Juden bezei<strong>ch</strong>nete, so sahen es viele mit ihren<br />

eigenen Augen, was Jesu Verheißung war und was ihm Israel dafür tat. <strong>Johannes</strong><br />

hebt hervor, wie si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> jetzt der Widerstand der Priester gegen den<br />

Christusnamen Jesu kundgab, so daß einzig der Römer sein königli<strong>ch</strong>es Amt<br />

bezeugt. Ihrem Verlangen, daß er seinen Namen als eine Lüge brandmarke,<br />

gab er ni<strong>ch</strong>t mehr <strong>na<strong>ch</strong></strong>. Er hatte den Juden den Willen getan und Jesus ihnen<br />

preisgegeben; daß er ihn am Kreuz no<strong>ch</strong> als Lügner verhöhne, war ihm wider-


<strong>Johannes</strong> 19,140—2? 241<br />

wärtig; so viel Re<strong>ch</strong>t ließ er Jesus, daß er Jesu eigenes Bekenntnis ihm als<br />

S<strong>ch</strong>uld ans Kreuz heftete und ihm das zur Last legte, wofür er selbst in den<br />

Tod gegangen war.<br />

Au<strong>ch</strong> das, was mit seinen Kleidern ges<strong>ch</strong>ah, wird zum Zeugnis für Jesus,<br />

daß er der Verheißene sei. 19,23.24: Als nun die Soldaten Jesus gekreuzigt<br />

hatten, nahmen sie seine Kleider und ma<strong>ch</strong>ten vier Teile, für jeden Soldaten<br />

einen Teil, und den Rock. Der Rock aber war ungenäht, vom oberen Rand an<br />

in einem Stück gewoben. Nun sagten sie zueinander: Wir wollen ihn ni<strong>ch</strong>t zers<strong>ch</strong>neiden,<br />

sondern um ihn losen, wem er gehören soll; damit die S<strong>ch</strong>rift erfüllet<br />

werde: Sie verteilten meine Kleider unter si<strong>ch</strong> und warfen über mein Gewand<br />

das Los (Psalm 22,19). Nun taten die Soldaten dies. Beide Sätze des;<br />

Psalms paßten somit wörtli<strong>ch</strong> auf das, was mit Jesus ges<strong>ch</strong>ah.<br />

Darauf erzählt <strong>Johannes</strong>, wie Jesus vom Kreuze herab ihm dadur<strong>ch</strong> einen<br />

besonderen Dienst übertragen hat, daß er ihm die Mutter übergab. 19,25—27;<br />

Beim Kreuze Jesu standen aber seine Mutter und die S<strong>ch</strong>wester seiner Mutter,<br />

Mar : a, die Frau des Klopas, und Maria aus Magdala. Nun sagt Jesus, der die<br />

Mutter und den Jünger, den er liebte, dabei stehen sah, zur Mutter: Frau, sieh!<br />

dein Sohn. Darauf sagt er zum Jünger: Sieh! deine Mutter. Und von jener<br />

Stunde an nahm sie der Jünger zu si<strong>ch</strong>. Die um das Kreuz Stehenden we<strong>ch</strong>selten;<br />

Vorübergehende traten herzu und gingen wieder weg; Zus<strong>ch</strong>auer kamen<br />

aus der Stadt und entfernten si<strong>ch</strong> wieder. So war es au<strong>ch</strong> den Seinigen mögli<strong>ch</strong>,<br />

wenn es um das Kreuz her leerer wurde, si<strong>ch</strong> ihm zu nähern. Mit der Mutter<br />

Jesu kam au<strong>ch</strong> Maria, die Frau des Klopas, von dem uns aus, der jüdis<strong>ch</strong>en<br />

Kir<strong>ch</strong>e überliefert ist, er sei der Bruder Josephs gewesen, so daß die beiden<br />

Marien als S<strong>ch</strong>wägerinnen miteinander verwandt waren; dann au<strong>ch</strong> Maria<br />

von Magdala, die mit Jesus dur<strong>ch</strong> besondere Dankbarkeit und Liebe verbunden<br />

war. <strong>Johannes</strong> hatte Jesu Mutter begleitet und stand neben ihr am Kreuze.<br />

Matthäus sagt uns, 27,56, daß au<strong>ch</strong> des <strong>Johannes</strong> eigene Mutter anwesend war;<br />

do<strong>ch</strong> davon spri<strong>ch</strong>t <strong>Johannes</strong> selber ni<strong>ch</strong>t, weil er unser Auge ni<strong>ch</strong>t auf si<strong>ch</strong>,<br />

sondern auf Jesus ri<strong>ch</strong>tet und uns nur das eine erzählt, wie Jesus ihm an seiner<br />

Sorge für die Mutter Anteil gab. Sie hatte den Sohn Gott hingeben müssen;<br />

Jesus lohnte es ihr no<strong>ch</strong> vom Kreuze her und gibt ihr den Jünger, den er liebhatte,<br />

zum Sohn und heißt ihn ihr tun, was der Sohn der Mutter tut. Au<strong>ch</strong><br />

jetzt wieder, wie in Kana, nennt er sie „Frau"; anders als damals und do<strong>ch</strong><br />

wieder ähnli<strong>ch</strong>. Au<strong>ch</strong> jetzt spri<strong>ch</strong>t dieser Name aus, daß die irdis<strong>ch</strong>en Bande,<br />

die ihn mit der Mutter verbanden, gelöst sind; aber au<strong>ch</strong> jetzt zerreißt er sie<br />

ni<strong>ch</strong>t mit Gerings<strong>ch</strong>ätzung, als ers<strong>ch</strong>ienen ihm diese irdis<strong>ch</strong>en Verhältnisse<br />

völlig ni<strong>ch</strong>tig und bedeutungslos; vielmehr bedenkt er ihren S<strong>ch</strong>merz und ihre


242. Jesu Sterben<br />

Verlassenheit, ermißt, daß sie Trost, Stärkung und Versorgung bedarf, und<br />

sorgt für sie, indem er ihr an seiner Statt den zum Sohn gibt, der ihm am<br />

innigsten verbunden war.<br />

Es liegt über der "Weise, wie <strong>Johannes</strong> seinen Anteil am Leiden Jesu beri<strong>ch</strong>tet,<br />

die zarte Bes<strong>ch</strong>eidenheit der e<strong>ch</strong>ten Liebe und des Glaubens. Ni<strong>ch</strong>t das<br />

erzählt er uns, daß er Jesus selbst irgendwie Trost und Stärkung hätte geben<br />

können; vielmehr steht er in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t in der starken Gewißheit, daß<br />

Mens<strong>ch</strong>en Jesus ni<strong>ch</strong>ts geben konnten, daß er am Vater hing und aus ihm allein<br />

seine Stärke und Freude zog. Nur die Last konnte der Jünger mit ihm tragen,<br />

die ihm aus der Gemeins<strong>ch</strong>aft mit den Seinen erwu<strong>ch</strong>s. Als er den verlorenen<br />

Jünger ausstieß, zog er <strong>Johannes</strong> heran, daß er mit ihm wußte, was er tat; als<br />

seine Weissagung an Petrus si<strong>ch</strong> erfüllte, sah es <strong>Johannes</strong> mit an, wie das Wort<br />

Jesu ges<strong>ch</strong>ah, und als er auf den S<strong>ch</strong>merz der Mutter sah und ihr das Trostwort<br />

hinterließ, da war es der Dienst des <strong>Johannes</strong>, den Jesus in Anspru<strong>ch</strong><br />

nahm. Den großen Kampf, daß er au<strong>ch</strong> in der Todesnot beim Vater blieb und<br />

den Fürsten der Welt überwand und ihre Sünde trug, vollbra<strong>ch</strong>te Jesus allein.<br />

Vom Ende Jesu sagt <strong>Johannes</strong>, daß es von der Gewißheit dur<strong>ch</strong>leu<strong>ch</strong>tet war,<br />

es sei alles vollbra<strong>ch</strong>t. 19,28—30: Darauf, da Jesus wußte, daß s<strong>ch</strong>on alles vollbra<strong>ch</strong>t<br />

ist, damit die S<strong>ch</strong>rift vollführt werde, sagt er: I<strong>ch</strong> dürste. Es stand ein<br />

Gefäß voll Essig da. Nun taten sie einen S<strong>ch</strong>wamm voll Essig an einen Ysop<br />

und legten ihn ihm an den Mund. Als nun Jesus den Essig genommen hatte,<br />

sagte er: Es ist vollbra<strong>ch</strong>t! neigte das Haupt und gab den Geist auf. Kurz vor<br />

dem Ende wurde Jesus, weil er über seinen brennenden Durst klagte, mit<br />

etwas Essig getränkt. <strong>Johannes</strong> denkt au<strong>ch</strong> hier an die S<strong>ch</strong>rift, Psalm 69,22, und<br />

re<strong>ch</strong>net au<strong>ch</strong> diese Bitte, die die Tränkung mit Essig zur Folge hatte, zu dem,<br />

was in Jesu Auftrag lag. Au<strong>ch</strong> dieses Offenbarwerden seiner Qual und Hilflosigkeit<br />

war dur<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>rift ihm zugeteilt, und er weigerte si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dieses<br />

Stücks seiner Erniedrigung ni<strong>ch</strong>t. Dann wurde seine Seele still; er wußte, daß<br />

sein Dienst vollendet, sein Kampf überstanden sei. Nun kam der letzte Augenblick,<br />

und er übergab seinen Geist in des Vaters Hand.<br />

Weil Jesus no<strong>ch</strong> vor dem S<strong>ch</strong>luß des Tages starb, blieb sein Leib unversehrt,<br />

und seine Glieder wurden ihm ni<strong>ch</strong>t zers<strong>ch</strong>mettert. 19,31: Nun baten die Juden,<br />

da es Vorabend war, damit die Leiber ni<strong>ch</strong>t am Sabbat am Kreuz blieben,<br />

denn der Tag jenes Sabbats war groß, Pilatus darum, daß ihre S<strong>ch</strong>enkel zerbro<strong>ch</strong>en<br />

und sie abgenommen würden. Wie immer wir uns die Ordnung der<br />

Tage denken, der Sabbat in der Festwo<strong>ch</strong>e lag den Juden besonders am Herzen.<br />

Sie hielten mit doppeltem Eifer darauf, daß hier ni<strong>ch</strong>ts ges<strong>ch</strong>ehe, was eine<br />

Entweihung des Sabbats wäre. Da es darum unmögli<strong>ch</strong> war, die Lei<strong>ch</strong>en am


<strong>Johannes</strong> 19,28-37 245<br />

folgenden Tage abzunehmen, mußten sie entweder glei<strong>ch</strong> entfernt oder über<br />

den Sabbat hinaus am Kreuz gelassen werden. Dies wollten aber die Juden<br />

ni<strong>ch</strong>t. Um die Si<strong>ch</strong>erheit zu s<strong>ch</strong>affen, daß die Gekreuzigten jedenfalls stürben,<br />

au<strong>ch</strong> wenn sie no<strong>ch</strong> an diesem Abend abgenommen wurden, wurden ihnen die<br />

S<strong>ch</strong>enkel zers<strong>ch</strong>mettert. <strong>Das</strong> ges<strong>ch</strong>ah aber nur bei denen, die no<strong>ch</strong> lebten. Eine<br />

Lei<strong>ch</strong>e zu martern hatte keinen Sinn. 19,32—34: Nun kamen die Soldaten und<br />

zerbra<strong>ch</strong>en dem ersten die S<strong>ch</strong>enkel und dem anderen, der mit ihm gekreuzigt<br />

war. Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, daß er s<strong>ch</strong>on gestorben war, zerbra<strong>ch</strong>en<br />

sie seine S<strong>ch</strong>enkel ni<strong>ch</strong>t, sondern einer der Soldaten sta<strong>ch</strong> mit einer<br />

Lanze in seine Seite, und sofort floß Blut und Wasser heraus. So war si<strong>ch</strong>ergestellt,<br />

daß Jesus tot sei. Dazu hat <strong>Johannes</strong> eine besondere Versi<strong>ch</strong>erung ge-<br />

1 setzt und si<strong>ch</strong> auf sein eigenes Sehen und auf die e<strong>ch</strong>te, zuverlässige Art seines<br />

Zeugnisses berufen. 19,35—37: Und der, der es gesehen hat, hat Zeugnis abgelegt,<br />

und sein Zeugnis ist wahrhaftig, und er weiß, daß er das sagt, was wahr<br />

ist, damit au<strong>ch</strong> ihr glaubt. Denn dies ges<strong>ch</strong>ah, damit der Spru<strong>ch</strong> erfüllt werde;<br />

Kein Kno<strong>ch</strong>en soll an ihm zerbro<strong>ch</strong>en werden (2. Mose 12,46), und no<strong>ch</strong>mals<br />

sagt ein anderer Spru<strong>ch</strong>: Sie werden den sehen, in den sie sta<strong>ch</strong>en (Sa<strong>ch</strong>arja<br />

12,10). Die beiden Anführungen aus der S<strong>ch</strong>rift .zeigen, daß ihm dabei der<br />

ganze Vorgang wi<strong>ch</strong>tig war: sowohl daß er selbst es sah, daß Jesu Leben zu<br />

Ende und sein Sterben vollständig war, als daß sein Leib vor einer gewaltsamen<br />

Verstümmelung behütet und dadur<strong>ch</strong> seine Erneuerung am Auferstehungsmorgen<br />

vorbereitet ward. Ebenso wird si<strong>ch</strong> seine Bezeugung darauf<br />

erstrecken, daß Wasser und Blut aus Jesu Leib getreten ist. Wir brau<strong>ch</strong>en<br />

uns ni<strong>ch</strong>t dabei aufzuhalten, wie ein Arzt das, was <strong>Johannes</strong> aus der Wunde<br />

Jesu fließen sah, bes<strong>ch</strong>rieben hätte; für <strong>Johannes</strong> hat das, was hier vergossen<br />

ward, der Verheißung Jesu wegen Bedeutung. Dur<strong>ch</strong> Wasser und Geist kommt<br />

dem Mens<strong>ch</strong>en das neue Leben; als den, der lebendiges Wasser gibt, hat Jesus<br />

si<strong>ch</strong> bezeugt und sein Blut dem Glaubenden als den re<strong>ch</strong>ten Trank verspro<strong>ch</strong>en.<br />

Mit dem Wasser der Taufe wird der Gemeinde sein Vergeben ges<strong>ch</strong>enkt; und<br />

weil sie seinen Kel<strong>ch</strong> empfängt, soll sie glauben, daß sein Blut für sie vergossen<br />

sei. So ist Wasser und Blut das, was der Gemeinde Jesu Gnade bezeugt, vermittelt<br />

und gewährt. Darum war es <strong>Johannes</strong> eine wi<strong>ch</strong>tige Sa<strong>ch</strong>e, daß beides<br />

am Kreuz aus seinem Leib hervortrat als das, was er der Welt hinterläßt, als<br />

das si<strong>ch</strong>tbare Wahrzei<strong>ch</strong>en seiner Gnade, die dur<strong>ch</strong> das Kreuz begründet ist und<br />

von der Gemeinde dur<strong>ch</strong> das, was sie in seinem Ñamen tut, immer neu empfangenwird.<br />

Um Jesus ein ehrli<strong>ch</strong>es Grab zu vers<strong>ch</strong>affen, waren mä<strong>ch</strong>tigere Leute nötig<br />

als die Jünger. Wenn au<strong>ch</strong> Pilatus keinen Haß gegen Jesus hatte, so daß er au<strong>ch</strong>


244 -D*£ Gemeins<strong>ch</strong>aft des Auferstandenen mit den Jüngern<br />

no<strong>ch</strong> seine Lei<strong>ch</strong>e mit Lust bes<strong>ch</strong>impft und mißhandelt hätte, so mußte si<strong>ch</strong><br />

do<strong>ch</strong> jemand finden, der ho<strong>ch</strong> genug stand, um si<strong>ch</strong> bei ihm für sie verwenden<br />

zu können. Es gehört für <strong>Johannes</strong> mit zur Fürsorge Gottes für Jesus au<strong>ch</strong> auf<br />

dem Kreuzesweg, daß Joseph von Arimathia den Gang zu Pilatus auf si<strong>ch</strong><br />

nahm und die Lei<strong>ch</strong>e für die Jünger frei ma<strong>ch</strong>te. 19,38: Her<strong>na<strong>ch</strong></strong> bat Joseph aus<br />

Arimathia, der ein Jünger Jesu war, si<strong>ch</strong> aber verborgen hielt aus Fur<strong>ch</strong>t vor<br />

den Juden, Pilatus, daß er den Leib Jesu fortnehmen dürfe, und Pilatus gestattete<br />

es. Ein weiteres Zei<strong>ch</strong>en, daß Jesus ni<strong>ch</strong>t umsonst gestorben war, bildet<br />

für <strong>Johannes</strong> das, daß si<strong>ch</strong> jetzt Nikodemus ihnen beigesellte. 19,39.40: Es<br />

kam aber au<strong>ch</strong> Nikodemus, der zuerst in der Na<strong>ch</strong>t zu ihm gekommen war,<br />

und bra<strong>ch</strong>te ein Gemenge von Myrrhe und Aloe, etwa hundert Pfund. Nun<br />

nahmen sie den Leib Jesu und banden ihn ein in linnene Binden samt den wohlrie<strong>ch</strong>enden<br />

Pulvern, wie es bei den Juden Sitte ist zu bestatten. Nikodemus<br />

bringt eine Mis<strong>ch</strong>ung der wohlrie<strong>ch</strong>enden Harze und Pulver, die zwis<strong>ch</strong>en die<br />

Leinwandbinden gelegt wurden, mit denen die Lei<strong>ch</strong>e umwickelt wurde. Bis<br />

Jesu Gang vollendet war, s<strong>ch</strong>wankte und zweifelte er; als er vollendet war,<br />

gab er ihm das Zeugnis, daß er ihn mit reinem Herzen und mit fest auf Gott<br />

geri<strong>ch</strong>tetem Blick vollbra<strong>ch</strong>t habe. Glaube war es no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, sondern Klage<br />

um den Ges<strong>ch</strong>iedenen, do<strong>ch</strong> eine deutli<strong>ch</strong>e und tapfere S<strong>ch</strong>eidung vom Urteil<br />

der Judens<strong>ch</strong>aft und ihrer Versündigung.<br />

19,41.42: Es war aber an dem Ort, wo er gekreuzigt wurde, ein Garten<br />

und im Garten ein neues Grab, in das no<strong>ch</strong> nie jemand gelegt worden war.<br />

Dorthin legten sie nun Jesus wegen des Rüsttages der Juden, weil das Grab<br />

nahe war. Er wurde in eine fris<strong>ch</strong> in den Felsen gehauene Grabhöhle gelegt,<br />

in die nodi keine Lei<strong>ch</strong>e gebra<strong>ch</strong>t worden war. In diesem reinen Gema<strong>ch</strong> wurde<br />

sein Leib um des Sabbats willen eilig auf die Steinbank gelegt und die kleine<br />

Tür zu demselben dur<strong>ch</strong> die Steinplatte vers<strong>ch</strong>lossen. Erst <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem der Sabbat<br />

vorüber war, kamen die Jünger wieder zum Grab.<br />

Kapitel 20 und 21<br />

Die Gemeins<strong>ch</strong>aft des Auferstandenen mit den Jüngern<br />

<strong>Johannes</strong> erzählt seinen eigenen Anteil an der Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Die erste<br />

Bots<strong>ch</strong>aft bekam er früh am Ostermorgen dur<strong>ch</strong> Maria Magdalena, die am<br />

Grabe gewesen war und es offen gefunden hatte. 20,1.2: Am ersten Tag <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

dem Sabbat geht Maria aus Magdala frühmorgens, als es no<strong>ch</strong> dunkel war,<br />

zum Grab und sieht den Stein vom Grab weggenommen. Nun läuft sie und<br />

kommt zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, den Jesus liebhatte, und


<strong>Johannes</strong> 19,38—42; 20,1-9 245<br />

sagt zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grab fort genommen, und wir<br />

wissen ni<strong>ch</strong>t, wo sie ihn hingelegt haben. Sie konnte no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Jesu Aufr<br />

erstehung verkündigen, sondern meldet bloß das mit S<strong>ch</strong>recken, daß das Grab<br />

geöffnet sei. Darin sieht sie einen s<strong>ch</strong>weren S<strong>ch</strong>lag für die Jünger, da sie so<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr wissen, wo der Leib Jesu sei und was mit ihm ges<strong>ch</strong>ehe. Die Bots<strong>ch</strong>aft<br />

trieb Petrus und <strong>Johannes</strong> zum Grab. 20,3.4: Nun gingen Petrus und<br />

der andere Jünger fort und gingen zum Grab. Es liefen aber die beiden miteinander.<br />

Und der andere Jünger lief ras<strong>ch</strong>er vor Petrus voran und kam zuerst<br />

zum Grab. <strong>Johannes</strong> hatte ein starkes Verlangen, mit eigenen Augen zu sehen,<br />

was dem Grab widerfahren sei. Es lag ihm wohl s<strong>ch</strong>on damals die Verheißung<br />

Jesu von seinem Leben und neuen Kommen zu den Jüngern im Sinn.<br />

20,5—8: Und er beugte si<strong>ch</strong> hinein und sieht die Binden daliegen, ging aber<br />

ni<strong>ch</strong>t hinein. Nun kommt au<strong>ch</strong> Simon Petrus, der ihm folgte, und ging in das<br />

Grab hinein und sieht die Binden daliegen und das S<strong>ch</strong>weißtu<strong>ch</strong>, das auf seinem<br />

Kopf lag, nicfjt zu den Binden gelegt, sondern besonders zusammengewickelt<br />

an einem eigenen Ort. Da ging nun au<strong>ch</strong> der andere Jünger hinein, der zuerst<br />

zum Grab gekommen war, und sah und glaubte. Zuerst hat eine starke Empfindung<br />

<strong>Johannes</strong> am Tür<strong>ch</strong>en zurückgehalten und gehindert, das Gema<strong>ch</strong> zu<br />

betreten, in das der Herr gelegt worden war und das er wieder verlassen hatte.<br />

Petrus dagegen war darauf beda<strong>ch</strong>t, alles genau zu erkunden, und blieb darum<br />

ni<strong>ch</strong>t nur an der Tür stehen. So sahen sie, daß alles, was der Lei<strong>ch</strong>e mitgegeben<br />

war, weggelegt war als ni<strong>ch</strong>t mehr nötig. Zur Meinung der Magdalene<br />

stimmte das ni<strong>ch</strong>t; wäre die Lei<strong>ch</strong>e weggetragen worden, so wäre sie zusammen<br />

mit ihrer Einhüllung fortgebra<strong>ch</strong>t worden. Daß diese zurückgeblieben<br />

war, wies darauf hin, daß er wieder ins Leben getreten sei. <strong>Johannes</strong> sagt<br />

uns, was dieser Anblick ihm gab: er sah und glaubte, Er sagt uns aber ni<strong>ch</strong>t;<br />

S<strong>ch</strong>on im Anblick des leeren Grabes glaubte i<strong>ch</strong>, vielmehr: Erst damals glaubte<br />

i<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on früher, ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on damals, als wir ihn sterben sahen, tot vom<br />

Kreuz herabholten und die Lei<strong>ch</strong>e zur Ruhe rüsteten. 20,9: Denn sie kannten<br />

die S<strong>ch</strong>rift no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß er aus den Toten auferstehen mußte. <strong>Johannes</strong> sagt,<br />

die S<strong>ch</strong>rift hätte ihnen zwar als Glaubensgrund dienen können; aber damals<br />

hatte no<strong>ch</strong> keines ihrer Worte für sie die Bedeutung gewonnen, daß es ihnen<br />

die Auferstehung Jesu verbürgt hätte. Sie lasen ein Psalmwort wie; Du wirst<br />

deinen Heiligen die Verwesung ni<strong>ch</strong>t sehen lassen, Psalm 16,8 ff., no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als<br />

Verbürgung der Auferstehung Jesu. Erst als sie den Auferstandenen gesehen<br />

hatten, wurden dur<strong>ch</strong> die von ihnen erlebte und ges<strong>ch</strong>aute Tat Gottes au<strong>ch</strong><br />

sol<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>riftworte für sie zum kräftigen Glaubensgrund.<br />

Den ersten Anblick des Auferstandenen empfingen ni<strong>ch</strong>t die Jünger, son-


2^6 Die Gemeins<strong>ch</strong>aft dés Auferstandenen mit den Jüngern<br />

dem Maria. 20,10. na: Nun gingen die Jünger wieder heim. Maria aber stand<br />

beim Grab draußen und weinte. Audi die Ostertaten Jesu zeigen denselben<br />

Hirtensinn wie sein irdis<strong>ch</strong>er Dienst, der si<strong>ch</strong> dem S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en hingibt, das Verirrte<br />

su<strong>ch</strong>t, àie neunundneunzig S<strong>ch</strong>afe stehen läßt und si<strong>ch</strong> dem einen widmet,<br />

das eben jetzt der Hilfe bedarf. Ni<strong>ch</strong>t eine große <strong>Offenbarung</strong> an die Welt ges<strong>ch</strong>ieht<br />

am Ostermorgen, ni<strong>ch</strong>t einmal glei<strong>ch</strong> die Bestellung der Jünger zu<br />

ihrem hohen Amt, sondern die Tröstung einer Frau war die erste Tat des Auferstandenen,<br />

weil sie an seinem Grabe trostlos darüber weinte, daß ihr Jesus<br />

mit dem Verlust seiner Lei<strong>ch</strong>e ganz verloren und vers<strong>ch</strong>wunden sei. 20.1 ib—13:<br />

Wie sie nun weinte, beugte sie si<strong>ch</strong> in das Grab und sieht zwei Engel in weißen<br />

Gewändern sitzen, den einen beim Kopf und den anderen bei den Füßen, wo<br />

Jesu Leib früher lag. Und sie sagen zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie sagt zu<br />

ihnen: Sie nahmen meinen Herrn weg, und i<strong>ch</strong> weiß ni<strong>ch</strong>t, wohin sie ihn gelegt<br />

haben. <strong>Johannes</strong> ma<strong>ch</strong>t uns an Maria si<strong>ch</strong>tbar, wie mä<strong>ch</strong>tig der Eindruck<br />

des Todes Jesu auf die Jünger war. Im Anblick desselben waren alle Gedanken<br />

an die Auferstehung und Herrli<strong>ch</strong>keit Jesu ihnen zergangen. Obwohl Maria<br />

den Anblick zweier himmlis<strong>ch</strong>er Boten empfängt, die am Kopf- und Fußende<br />

der steinernen Bank sitzen, auf der Jesu Lei<strong>ch</strong>e ruhen sollte, und si<strong>ch</strong> diese ihr<br />

als Tröster anbieten, hört sie do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf sie, sondern klagt über die ents<strong>ch</strong>wundene<br />

Lei<strong>ch</strong>e. Aber au<strong>ch</strong> Jesus selbst ist gegenwärtig und ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> ihr<br />

si<strong>ch</strong>tbar. Sie verharrt aber au<strong>ch</strong> ihm gegenüber no<strong>ch</strong> in ihrem S<strong>ch</strong>merz. 20,14—<br />

17a: Als sie dies gesagt hatte, wandte sie si<strong>ch</strong> rückwärts und sieht Jesus dastehen<br />

und wußte ni<strong>ch</strong>t, daß es Jesus ist. Jesus sagt zu ihr: Frau, warum weinst<br />

du? Wen su<strong>ch</strong>st du? Jene meinte, daß er der Hüter des Gartens sei, und sagt<br />

zu ihm: Herr, wenn du ihn fortgetragen hast, so sage mir, wo du ihn hingelegt<br />

hast, so will i<strong>ch</strong> ihn holen. Jesus sagt zu ihr: Maria. Sie wandte si<strong>ch</strong> um<br />

und sagt zu ihm auf hebräis<strong>ch</strong>: Rabbuni, das heißt: Lehrer. Jesus sagt zu ihr:<br />

Fasse mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t an; denn i<strong>ch</strong> bin no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zum Vater hinaufgegangen. Er<br />

bezeugt si<strong>ch</strong> ihr als lebend, do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu einer ungehemmten und bleibenden<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu jenem Beisammensein, das er an das Ende seiner<br />

Verheißung gestellt hatte. Erst folgt sein Gang zum Vater, sein Eintritt in den<br />

himmlis<strong>ch</strong>en Ort. Darum sendet er sie au<strong>ch</strong> von si<strong>ch</strong> weg und läßt sie, so rei<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> Seligkeit jetzt ihr Herz dur<strong>ch</strong>wogt, ni<strong>ch</strong>t bei ihm verweilen. 20,17b: Geh<br />

aber zu meinen Brüdern und sage ihnen: I<strong>ch</strong> gehe hinauf zu meinem Vater und<br />

zu eurem Vater und zu meinem Gott und zu eurem Gott. Als er s<strong>ch</strong>ied, nannte<br />

er sie seine Freunde; nun hebt er ihren Namen no<strong>ch</strong>mals höher und stellt sie<br />

au<strong>ch</strong> in seiner Herrli<strong>ch</strong>keit neben si<strong>ch</strong> als seine Brüder.<br />

Die Bots<strong>ch</strong>aft, die sie ihnen bringen soll, ist, daß er zum Vater geht, der au<strong>ch</strong>


<strong>Johannes</strong> 2O,xo—23 247<br />

ihr Vater ist, zu seinem Gott, der au<strong>ch</strong> ihr Gott ist. "Wie er auf Erden sein ganzes<br />

Tra<strong>ch</strong>ten und Handeln darin zusammenfaßt, ihnen den Namen Gottes zu<br />

geben, so ist es au<strong>ch</strong> das Anliegen des Auferstandenen, daß sie Gottes gewiß<br />

seien und es fassen, daß sein Vater ihr Vater, sein Gott ihr Gott ist. Weil er zu<br />

seinem und ihrem Vater geht, ist sein Weggang für sie lauter Segen, Gnade<br />

und Gewinn. 20,18: Maria aus Magdala kommt und verkündigt den Jungern:<br />

I<strong>ch</strong> habe den Herrn gesehen, und daß er dies zu ihr gesagt hatte. Dur<strong>ch</strong> sie<br />

empfing <strong>Johannes</strong> das erste Osterzeugnis.<br />

Es wurde Abend, bis er selbst den Herrn sah. 20,19: Als es nun Abend war<br />

an jenem Tag, am ersten <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Sabbat, und da, wo die Jünger waren, die<br />

Türen vers<strong>ch</strong>lossen waren aus Fur<strong>ch</strong>t vor den Juden, kam Jesus und trat in die<br />

Mitte und sagt zu ihnen: Friede sei mit eu<strong>ch</strong>! In der Stille der Na<strong>ch</strong>t, als sie alle<br />

beisammen waren, von der Welt getrennt, da sie das Haus, in dem sie die<br />

Na<strong>ch</strong>t zubra<strong>ch</strong>ten, verriegelt hatten, weil ihre Lage gefährli<strong>ch</strong> war und sie<br />

einen Überfall befür<strong>ch</strong>teten, da trat Jesus dur<strong>ch</strong> Riegel und Tür ni<strong>ch</strong>t gehindert<br />

in geheimnisvoller Beherrs<strong>ch</strong>ung des Raums und der Natur unter sie. Nur<br />

für die Seinen war sein Anblick bestimmt in ungestörter Abges<strong>ch</strong>iedenheit. Er<br />

spri<strong>ch</strong>t den Gruß, den er wie jedermann bei jeder Zusammenkunft spra<strong>ch</strong>, der<br />

aber jetzt in seinem Munde das ganze <strong>Evangelium</strong> in si<strong>ch</strong> hat. Ihr Herr,<br />

Freund und Bruder ist er au<strong>ch</strong> in der Auferstehungsgestalt; sie bleiben die Seinen,<br />

von ihm mit seiner liebe umfaßt und in den Frieden gestellt. Nur zwei<br />

Dinge erzählt uns <strong>Johannes</strong> aus der Stunde, in der sie den Herrn sahen: einmal,<br />

daß er ihnen an seinen Händen und an seiner Seite die Zei<strong>ch</strong>en der Kreuzigung<br />

zeigte, um ihnen die volle Wirkli<strong>ch</strong>keit dessen, was ihre Augen sahen,<br />

kundzutun und si<strong>ch</strong> ihnen als denselben Jesus zu bewähren, den sie zuletzt am<br />

Kreuze hatten hängen sehen, wodur<strong>ch</strong> die Freude der Jünger gewiß und stark<br />

wurde; sodann, daß er ihnen die Sendung als seine Boten gab. 20,20—23: Und<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er dies gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und die Seite. Nun<br />

freuten si<strong>ch</strong> die Jünger, da sie den Herrn sahen. Nun sagte Jesus no<strong>ch</strong>mals zu<br />

ihnen: Friede sei mit eu<strong>ch</strong>! Wie mi<strong>ch</strong> der Vater gesandt hat, so s<strong>ch</strong>icke au<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong><br />

eu<strong>ch</strong>. Und als er dies sagte, hau<strong>ch</strong>te er sie an und sagt zu ihnen: Nehmt heiligen<br />

Geist! Wenn ihr jemand die Sünden verzeiht, dem sind sie verziehen, und<br />

wenn ihr sie jemand behaltet, dem sind sie behalten.<br />

Seine eigene Sendung dur<strong>ch</strong> den Vater ist der Grund, auf dem das Botenamt,<br />

das er ihnen erteilt, beruht, und ihre Ausrüstung zu diesem ist heiliger<br />

Geist. <strong>Das</strong> Fleis<strong>ch</strong> hilft ni<strong>ch</strong>ts, hatte er gesagt, als er selbst im natürli<strong>ch</strong>en Fleis<strong>ch</strong>esleibe<br />

lebte; jetzt als Auferstandener weist er ni<strong>ch</strong>t nur mit Worten über<br />

das, was Fleis<strong>ch</strong> und Blut ist, empor, sondern tritt als der Geber heiligen


248 Die Gemeins<strong>ch</strong>aft des Auferstandenen mit den Jüngern<br />

Geistes vor sie. Als seine Gabe empfangen sie den Geist, als Anteil an dem, was<br />

ihn selbst inwendig belebt und erfüllt. Dazu bildet sein Odem, der ihnen entgegenweht,<br />

den wahrnehmbaren Träger und das verbürgende Zei<strong>ch</strong>en. Wie<br />

sein Odem aus ihm heraus in sie hineinweht, so faßt sein Geist ihr Herz und<br />

hält es in seiner Ma<strong>ch</strong>t. Diese Gemeins<strong>ch</strong>aft des Geistes stellt er zwis<strong>ch</strong>en ihnen<br />

her, damit sie die Sünden vergeben oder behalten. Wie ihm der Täufer das<br />

Wort mitgab, Lamm Gottes zu sein, das die Sünde der Welt forthebt, und ihm<br />

damit seinen ganzen Beruf bes<strong>ch</strong>rieb, so bestimmt nun er seinen Jüngern ihren<br />

Beruf darin, daß sie die Sünden vergeben, und dies so, daß da, wo sie ni<strong>ch</strong>t<br />

vergeben, die S<strong>ch</strong>uld bleibt und geri<strong>ch</strong>tet wird. Damit sie dies in Kraft tun<br />

und ihr Verzeihen ein wahrhaftes Verzeihen, ihr Strafen ein wahrhaftes Strafen<br />

sei, kann es ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>em Sinn, nur mit mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Liebe und<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>em Zorn ges<strong>ch</strong>ehen, sondern sie bedürfen dazu eines Auges, das der<br />

Geist erleu<strong>ch</strong>tet, eines Herzens, das der Geist gereinigt, eines Wortes, das der<br />

Geist ihnen gegeben hat. Sie sollen Jesus beim Werk seiner Gnade helfen, sollen<br />

Mens<strong>ch</strong>en von der S<strong>ch</strong>uld lösen, sollen aber au<strong>ch</strong> im Werk des Geri<strong>ch</strong>ts seine<br />

Diener sein, wie er selbst au<strong>ch</strong> in seinem irdis<strong>ch</strong>en Dienst in völliger Eintra<strong>ch</strong>t<br />

beides zur <strong>Offenbarung</strong> bra<strong>ch</strong>te, wie Gott die Welt liebhat und wie sie sein<br />

Geri<strong>ch</strong>t an si<strong>ch</strong> erfährt. Au<strong>ch</strong> in ihrem Wort und Werk vereinigt er Gnade und<br />

Wahrheit, weshalb das Vergeben und das Behalten der Sünden in ihrem Beruf<br />

verbunden sind. Dazu bedürfen und empfangen sie aber heiligen Geist, der<br />

allein hierzu taugli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t.<br />

No<strong>ch</strong> fehlte im Kreise der Jünger Thomas. 20,24. 25: Thomas aber, einer<br />

von den Zwölf, mit dem Namen Didymus, war ni<strong>ch</strong>t bei ihnen, als Jesus kam.<br />

Nun sagten ihm die anderen Jünger: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber<br />

sagte zu ihnen: Wenn i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in seinen Händen das Nägelmal sehe und meinen<br />

Finger auf das Nägelmal lege und meine Hand in seine Seite lege, werde<br />

i<strong>ch</strong> es ni<strong>ch</strong>t glauben. Er hatte si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur am Ostertag von den Jüngern abgesondert,<br />

von der Bots<strong>ch</strong>aft der Maria und dem, was die Jünger über das<br />

Grab beri<strong>ch</strong>teten, ni<strong>ch</strong>t überzeugt, sondern war es au<strong>ch</strong> dann no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, als sie<br />

ihn alle sahen. <strong>Johannes</strong> glaubte, ehe er Jesus sah, als er in seinem verlassenen<br />

Grabe stand; Thomas glaubte no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, als er s<strong>ch</strong>on bei allen seinen Genossen<br />

die Gewißheit sah, daß Jesus auferstanden sei. So gab es Erste und Letzte<br />

im Jüngerkreis, Männer mit einem zarten, wa<strong>ch</strong>en Ohr, die Gottes Werk sofort<br />

faßten, und Männer, die si<strong>ch</strong> in hartem Kampf zur Gewißheit dur<strong>ch</strong>rangen.<br />

Au<strong>ch</strong> die letzteren hatten ihre Stelle im Apostelkreis, und ihre Erfahrung<br />

diente der ganzen Gemeinde. Indem uns <strong>Johannes</strong> erzählt, wie Thomas<br />

si<strong>ch</strong> fern hielt und was der Herr ihm tat, ma<strong>ch</strong>t er uns vollends deutli<strong>ch</strong>, wie


<strong>Johannes</strong> 20,24—29 249<br />

si<strong>ch</strong>er und gewiß die Osterbots<strong>ch</strong>aft ist und wie unmögli<strong>ch</strong> es für die Jünger<br />

war, am Auferstandenen zu zweifeln.<br />

Thomas blieb dabei, daß ihm nur der eigene Anblick Jesu genügen könne;<br />

nur so werde ihm das Herz fest und gegen jede Einrede verwahrt. Au<strong>ch</strong> wollte<br />

er ni<strong>ch</strong>t bloß sehen, sondern au<strong>ch</strong> greifen, damit er gegen jede Täus<strong>ch</strong>ung seiner<br />

Augen gesi<strong>ch</strong>ert sei. Er mußte zwar eine Wo<strong>ch</strong>e warten; dann aber bra<strong>ch</strong>te<br />

Jesus au<strong>ch</strong> ihn wieder zum glaubenden Jüngerkreis zurück. 20,261 Und <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

a<strong>ch</strong>t Tagen waren seine Jünger wieder im Hause und Thomas bei ihnen; Jesus<br />

kommt, als die Türen vers<strong>ch</strong>lossen waren, und trat in die Mitte und sagte:<br />

Friede sei mit eu<strong>ch</strong>! "Wieder war es ein Abend, an dem die Jünger im vers<strong>ch</strong>lossenen<br />

Hause abseits von anderen Leuten vereinigt waren; denn Jesu<br />

<strong>Offenbarung</strong> galt ni<strong>ch</strong>t der Welt, sondern den Seinen, wie uns dies sein Wort,<br />

14,20, erläutert hat. Thomas gehörte jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> zu denen, für die Jesus gebetet<br />

hat; ihn überläßt er ni<strong>ch</strong>t bleibend dem Zweifel und Unglauben.<br />

20,27: Darauf sagt er zu Thomas: Rei<strong>ch</strong>e deinen Finger hierher und sieh<br />

meine Hände und rei<strong>ch</strong>e deine Hand her und lege sie in meine Seite und werde<br />

ni<strong>ch</strong>t ungläubig, sondern gläubig! Er durfte tun, was er verlangt hatte, und die<br />

ans Kreuz erinnernden Zei<strong>ch</strong>en an Jesu Leib berühren, erhält aber au<strong>ch</strong> ein ihn<br />

freundli<strong>ch</strong> strafendes Wort. Er stand bisher im S<strong>ch</strong>wanken, in einer Bewegung<br />

seiner Seele, die ihn entweder zum Glauben oder zum Unglauben führen<br />

konnte. Wohin ihn Jesus bringen will und wohin er ihn au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> seine Treue<br />

bringt, indem er si<strong>ch</strong> ihm offenbart, sagt ihm sein Wort. Ein Glaubender soll<br />

er nun sein, der mit fester Gewißheit an Jesus hängt. 20,28: Thomas antwortete<br />

und spra<strong>ch</strong> zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Damit spri<strong>ch</strong>t er aus, was<br />

nun im Herzen aller Jünger als helle, feste Gewißheit stand. Es ist das alte<br />

Jüngerbekenntnis, do<strong>ch</strong> nun auf einer neuen Stufe, mit neuem Li<strong>ch</strong>t erfüllt und<br />

mit neuer Kraft in ihr Herz ges<strong>ch</strong>rieben, seit sie an ihm das ewige Leben mit<br />

Augen sahen. Jesus gibt sein bestätigendes Ja zu seinem Bekenntnis, blickt aber<br />

hinaus auf die Gemeinde, die dur<strong>ch</strong> den Dienst der Jünger von nun an gesammelt<br />

wird. 20,29: Jesus sagt zu ihm: Weil du mi<strong>ch</strong> gesehen hast, hast du geglaubt.<br />

Selig sind die, die ni<strong>ch</strong>t sehen und glauben. Der Gemeinde wird ni<strong>ch</strong>t<br />

dasselbe bes<strong>ch</strong>ert, was Thomas gegeben wurde, und sie darf ni<strong>ch</strong>t meinen, sie<br />

sei dadur<strong>ch</strong> verkürzt. Größeres wird ihr gegeben als das, was Thomas empfing,<br />

ni<strong>ch</strong>t nur der Glaube, der aus dem Anblick Jesu entstand, sondern der Glaube,<br />

der uns mit Jesus verbindet, ohne daß wir ihn sehen, weil er dur<strong>ch</strong> das Wort<br />

entsteht, das uns den Auferstandenen verkündigt, und dur<strong>ch</strong> den Geist gewirkt<br />

wird, der als der Anwalt des Wortes uns zu Jesus führt. Darin, daß uns der


250 Die Gemeins<strong>ch</strong>aft des Auferstandenen mit den Jüngern<br />

Glaube mit Jesus vereint, au<strong>ch</strong> ohne daß wir ihn sehen, sieht er das herrli<strong>ch</strong>e<br />

Werk der göttli<strong>ch</strong>en Gnade, mit dem sein Wirken auf Erden sein Ziel errei<strong>ch</strong>t.<br />

Mit diesem Wort des Herrn, das die Regel für den Christenstand aller Zeiten<br />

ausspri<strong>ch</strong>t, bringt <strong>Johannes</strong> den Hauptteil des <strong>Evangelium</strong>s zum S<strong>ch</strong>luß.<br />

20,30: No<strong>ch</strong> viele andere Zei<strong>ch</strong>en tat Jesus vor den Jüngern, die ni<strong>ch</strong>t in diesem<br />

Bu<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>rieben sind. Er kann ni<strong>ch</strong>t alle Zei<strong>ch</strong>en erzählen, die Jesus vor den<br />

Jüngern tat, weder die aus seiner irdis<strong>ch</strong>en Arbeit no<strong>ch</strong> die aus der Osterzeit,<br />

dur<strong>ch</strong> die er ihnen sein ewiges Leben im Vater kundgetan hat. Au<strong>ch</strong> was er uns<br />

von den Ostertagen erzählt, gibt uns wohl einen Einblick in das, was die Jünger<br />

damals erlebten, umspannt aber bei weitem ni<strong>ch</strong>t die ganze herrli<strong>ch</strong>e,<br />

freudvolle Fülle jener Tage. Wie s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t, zart, bes<strong>ch</strong>eiden bleibt au<strong>ch</strong> hier die<br />

Auswahl. Alles, was ins inwendige Gebiet der Erweckung und Stärkung der<br />

einzelnen Mens<strong>ch</strong>enseele gehört, wie z. B. Jesus dem verleugnenden Petrus das<br />

erstemal entgegentrat, wie er der Mutter wieder begegnete, wie er den Bruder<br />

su<strong>ch</strong>te und fand, und wie vieles andere sonst no<strong>ch</strong> stellt <strong>Johannes</strong> in die Verborgenheit<br />

und lenkt unseren Blick allein auf das, was Jesu Werk für alle in<br />

jenen Tagen war, wie er dem für die Welt bestimmten <strong>Evangelium</strong> die Vollendung<br />

und Gewißheit gab und der ganzen Kir<strong>ch</strong>e zu jeder Zeit den Glaubensgrund<br />

bereitete. Dabei deutet <strong>Johannes</strong> darauf hin, daß es neben seinem Bu<strong>ch</strong><br />

no<strong>ch</strong> andere Bü<strong>ch</strong>er von Jesus gebe, die andere seiner Zei<strong>ch</strong>en erzählen, und er<br />

will ni<strong>ch</strong>t, daß wir das, was die anderen Boten Jesu beri<strong>ch</strong>ten, deswegen bezweifeln,<br />

weil wir dasselbe ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> bei ihm lesen. Er hat ni<strong>ch</strong>t alles in „diesem<br />

Bu<strong>ch</strong>" erzählt; was er aber erzählt hat, sollen wir zu seinem re<strong>ch</strong>ten Zweck<br />

brau<strong>ch</strong>en. 20,31 : Diese aber sind ges<strong>ch</strong>rieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der<br />

Christus, der Sohn Gottes, ist und daß ihr dadur<strong>ch</strong>, daß ihr glaubt, Leben in<br />

seinem Namen habt. <strong>Johannes</strong> will uns dur<strong>ch</strong> sein Bu<strong>ch</strong> Jesu Namen ins Herz<br />

legen und uns mit allem, was wir sind, zu ihm stellen und auf ihn gründen.<br />

Von hier aus sieht er weiter auf das hinaus, was mit dem Glauben entsteht und<br />

unser Eigentum wird, nämli<strong>ch</strong>, daß wir als die Glaubenden das Leben haben,<br />

wie er uns ja s<strong>ch</strong>on im Anfang des <strong>Evangelium</strong>s gesagt hat, daß uns das Wort<br />

darum verkündigt werde, weil im Wort das Leben ist.<br />

Nur no<strong>ch</strong> eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te fügt <strong>Johannes</strong> bei, die eine Art Na<strong>ch</strong>trag zum<br />

Hauptberi<strong>ch</strong>t bildet, weil sie das spätere Werk der Apostel bedeutsam vorbereitet<br />

und den weiteren Gang der Kir<strong>ch</strong>e unter der Führung des Christus erkennbar<br />

ma<strong>ch</strong>t. Da die Erzählung sowohl in den kleinen Besonderheiten des<br />

Ausdrucks als au<strong>ch</strong> in der Grundans<strong>ch</strong>auung, die sie gestaltet, völlig mit dem<br />

übrigen <strong>Evangelium</strong> zusammenstimmt, läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zweifeln, daß au<strong>ch</strong> sie


<strong>Johannes</strong> 20,30—31; 2iyi—8 251<br />

von <strong>Johannes</strong> selbst, wenn audi viellei<strong>ch</strong>t erst <strong>na<strong>ch</strong></strong>trägli<strong>ch</strong>, hinzugefügt ist. Es<br />

ist eine Begegnung des Auferstandenen mit den Jüngern am galiläis<strong>ch</strong>en See.<br />

Au<strong>ch</strong> Matthäus erzählt uns, daß Jesus die Jünger heimkehren ließ. Die<br />

Ostertage bra<strong>ch</strong>ten ihnen eine starke Freude, lautes Lob Gottes, stetige Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

untereinander; Jesus gönnte ihnen das ungehindert, ni<strong>ch</strong>t im engen<br />

Jerusalem mit seinen vielen böswilligen Augen und mä<strong>ch</strong>tigen Hassern. "Wann<br />

die Jünger zurückzogen, ob innerhalb der a<strong>ch</strong>t Tage, die vor der Ers<strong>ch</strong>einung<br />

Jesu für Thomas liegen, oder erst <strong>na<strong>ch</strong></strong> denselben, sagt uns <strong>Johannes</strong> ni<strong>ch</strong>t,<br />

sondern beginnt ohne weitere Vorbereitung damit, daß Petrus auf den See<br />

zum Fis<strong>ch</strong>fang geht und dabei von se<strong>ch</strong>s anderen Jüngern begleitet wird,<br />

darunter au<strong>ch</strong> von <strong>Johannes</strong>. Er hat si<strong>ch</strong> selbst au<strong>ch</strong> an dieser Stelle ni<strong>ch</strong>t mit<br />

Namen genannt, sondern mit dem Bruder zusammen bezei<strong>ch</strong>net: die Söhne des<br />

Zebedäus gingen mit.<br />

21,1—4: Her<strong>na<strong>ch</strong></strong> ma<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> Jesus no<strong>ch</strong>mals den Jüngern offenbar am See<br />

von Tiberias. Er ma<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> aber so offenbar. Es waren beisammen Simon<br />

Petrus und Thomas mit dem Namen Didymus und Nathanael aus Kana in<br />

Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern. Simon<br />

Petrus sagt zu ihnen: I<strong>ch</strong> gehe fort, um zu fis<strong>ch</strong>en. Sie sagen zu ihm: Au<strong>ch</strong><br />

wir kommen mit dir. Sie gingen aus und stiegen in das Sdoiff und fingen in<br />

jener Na<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>ts. Als es aber s<strong>ch</strong>on Morgen geworden war, stand Jesus am<br />

Strand. Die Jünger wußten es aber ni<strong>ch</strong>t, daß es Jesus ist. Wie er si<strong>ch</strong> ihnen zur<br />

Erkenntnis bra<strong>ch</strong>te, das ist das, was <strong>Johannes</strong> bei der Erinnerung an jenen<br />

Morgen bedeutsam ist.<br />

21,5—73: Nun sagt Jesus zu ihnen: Kindlein, habt ihr ni<strong>ch</strong>t einige Fis<strong>ch</strong>ef<br />

Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sagte zu ihnen: Werft das Netz auf der<br />

re<strong>ch</strong>ten Seite des S<strong>ch</strong>iffs aus; so werdet ihr sol<strong>ch</strong>e finden. Nun warfen sie es aus<br />

und konnten es vor der Menge der Fis<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t mehr ziehen. Nun sagt jener<br />

Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: Es ist der Herr. An sol<strong>ch</strong>em Geben,<br />

Helfen, Segnen erkennt <strong>Johannes</strong> den Herrn; daran hat er sein Zei<strong>ch</strong>en, das<br />

ihn offenbart. Niemand teilt das mit ihm; er allein leiht den Seinen seine gnädige<br />

Gottesma<strong>ch</strong>t.<br />

21,7b. 8: Wie nun Simon Petrus hörte, daß es der Herr ist, band er si<strong>ch</strong> den<br />

Umwurf um, denn er war nackt, und warf si<strong>ch</strong> in den See. Die anderen Jünger<br />

aber kamen mit dem S<strong>ch</strong>iff. Denn sie waren ni<strong>ch</strong>t weit vom Land, sondern<br />

etwa zweihundert Ellen entfernt und s<strong>ch</strong>leppten das Netz mit den Fis<strong>ch</strong>en.<br />

Petrus eilt zum Herrn; er mag ni<strong>ch</strong>t warten, bis das Boot das Ufer errei<strong>ch</strong>t,<br />

obglei<strong>ch</strong> es nur eine kleine Entfernung war, sondern s<strong>ch</strong>wimmt hinüber. Jo-


2.52 Die Gemeins<strong>ch</strong>aft des Auferstandenen mit de» Jüngern<br />

haïmes erzählt, daß er denno<strong>ch</strong> daran da<strong>ch</strong>te, daß er seine Kleider zur Arbeit<br />

abgelegt hatte. Es ist ja der Herr! vor ihn tritt er ni<strong>ch</strong>t ohne Kleid.<br />

21,9: Als sie nun an das Land gestiegen waren, sehen sie Kohlen daliegen<br />

und Fis<strong>ch</strong>e darauf gelegt und Brot. Am Lande finden sie das Mahl für sie bereitet.<br />

Es war wieder wie sooft vor dem Kreuz, nur.daß Jesus jetzt ihnen das<br />

Mahl gerüstet hatte, während sie früher für ihn es taten. 21,10: Jesus sagt zu<br />

ihnen: Bringt von den Fis<strong>ch</strong>en, die ihr jetzt gefangen habt. Sie legen es zusammen,<br />

das, was er ihnen bra<strong>ch</strong>te, und das, was sie dur<strong>ch</strong> seinen Segen fingen;<br />

ein Mahl gibt es in voller Gemeins<strong>ch</strong>aft. 21,11: Simon Petrus stieg ins S<strong>ch</strong>iff<br />

und zog das Netz an das Land voll von hundertdreiundfünfzig großen Fis<strong>ch</strong>en,<br />

Und obwohl es so viele waren, zerriß das Netz ni<strong>ch</strong>t. Si<strong>ch</strong>er gehen Jesu und<br />

au<strong>ch</strong> des Evangelisten Gedanken hinüber auf den apostolis<strong>ch</strong>en Dienst. Am<br />

leibli<strong>ch</strong>en Segen zeigt und verbürgt er ihnen die geistli<strong>ch</strong>e Segnung, am Gelingen<br />

ihrer irdis<strong>ch</strong>en Arbeit den Fortgang und die Fru<strong>ch</strong>tbarkeit ihres apostolis<strong>ch</strong>en<br />

Dienstes.<br />

21,12—14: Nun sagt Jesus zu ihnen: Kommt, haltet das Mahl! Keiner von<br />

den Jüngern wagte ihn auszufors<strong>ch</strong>en: Wer bist dui da sie wußten, daß es der<br />

Herr ist. Jesus kommt und nimmt das Brot und gibt es ihnen und die Fis<strong>ch</strong>e<br />

ebenso. Damit wurde Jesus s<strong>ch</strong>on zum drittenmal den Jüngern offenbar, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem<br />

er aus den Toten erweckt war. Er rei<strong>ch</strong>te ihnen das Brot und die Fis<strong>ch</strong>e<br />

wie einst, jetzt aber mit besonders eindringli<strong>ch</strong>er Bedeutsamkeit, da er ihnen<br />

als das lebendige Brot vom Himmel in heller Klarheit offenbar geworden war.<br />

<strong>Johannes</strong> hebt hervor, daß keiner der Jünger an ihn eine prüfende Frage<br />

stellte. Gewißheit dur<strong>ch</strong>drang sie alle unmittelbar und stellte sie in die tiefe<br />

Beugung, die es mit fröhli<strong>ch</strong>em Dank, do<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig mit starker Empfindung<br />

seiner heiligen Art mitansah, wie nah und freundli<strong>ch</strong> er si<strong>ch</strong> zu ihnen<br />

hielt.<br />

Do<strong>ch</strong> das Mahl verlief ni<strong>ch</strong>t ohne ein wi<strong>ch</strong>tiges "Wort. Jesus übergab Simon<br />

das Hirtenamt. 21,1 ja: Als sie nun gegessen hatten, sagt Jesus zu Simon Petrus:<br />

Simon, Sohn des <strong>Johannes</strong>, liebst du mi<strong>ch</strong> mehr als diese? Er kann ihn ni<strong>ch</strong>t<br />

zum Felsen ma<strong>ch</strong>en, der die Gemeinde trägt, wenn er ihn ni<strong>ch</strong>t liebt und stark<br />

liebt, stärker als alle. Er hat si<strong>ch</strong> versündigt, wie die anderen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t versündigten,<br />

und mehr als die anderen Verzeihung erhalten. "Wozu? Dazu, damit<br />

er viel liebe, mehr als die anderen. Wem viel vergeben ist, der liebt viel.<br />

Dazu hat ihm Jesus seine rei<strong>ch</strong>e Liebe ges<strong>ch</strong>enkt, damit in ihm selbst eine rei<strong>ch</strong>e<br />

Liebe erwa<strong>ch</strong>se. Nun tritt der Weingärtner zum Feigenbaum und su<strong>ch</strong>t die<br />

Fru<strong>ch</strong>t, und weil ihm viel vergeben war, su<strong>ch</strong>t er bei ihm mehr als bei den anderen.<br />

21,15b: Er sagt zu ihm: Ja, Herr; du selbst weißt, daß i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong> liebhabe.


<strong>Johannes</strong> 21,9—17e 253<br />

Simon antwortet freudig. Er darf es ihm mit Aufri<strong>ch</strong>tigkeit sagen: Du hast<br />

mi<strong>ch</strong> dir verbunden; mein Sinn, Herz und Wille gehören dir. Steht es so, so hat<br />

Jesus Arbeit für ihn. 21,15c: Er sagt zu ihm: Weide meine Lämmlein! Was an<br />

Liebe zu Jesus in Simon lebt, das soll er an der Gemeinde zeigen. Sie ist des<br />

Dienstes, der Pflege, der Behütung bedürftig wie das Lamm des Hirten. Dort<br />

laß deine Liebe in der Tat hervorbre<strong>ch</strong>en; dort tue sie ihr Helden werk.<br />

Jesus ist aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fertig. Simon muß fühlen, daß es eine ernste Sa<strong>ch</strong>e<br />

ist, ihm mit „Ja" zu antworten, wenn er fragt: Liebst du mi<strong>ch</strong>? und eine ernste<br />

Sa<strong>ch</strong>e, wenn er jemand das Hirtenamt erteilt und ihm die Sorge für die Seinen<br />

übergibt. Hier müssen Selbsttäus<strong>ch</strong>ungen, die Simon rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> kennt, ho<strong>ch</strong>fliegende<br />

Zuversi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>keit ohne Grund und Re<strong>ch</strong>t, warme Wallungen des Herzens<br />

ohne bleibenden, gefestigten Willen fernbleiben und ausges<strong>ch</strong>lossen sein.<br />

Es gilt, ernst ins eigene Herz zu s<strong>ch</strong>auen, ernst auf den erteilten Beruf. 21,16:<br />

Er sagt no<strong>ch</strong>mals zum zweitenmal zu ihm: Simon, Sohn des <strong>Johannes</strong>, liebst<br />

du mi<strong>ch</strong>? Er sagt zu ihm: Ja, Herr; du selbst weißt, daß i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong> liebe. Er sagt<br />

zu ihm: Weide meine S<strong>ch</strong>af lein! Petrus kann und will ni<strong>ch</strong>ts anderes anworten<br />

als das erstemal, und Jesus sagt ni<strong>ch</strong>t nein, nimmt vielmehr seine Antwort an<br />

und baut wieder die Berufung zum Dienst darauf. Aber er fragt zum drittenmal.<br />

21,17a: Er sagt zu ihm zum drittenmal: Simon, Sohn des <strong>Johannes</strong>, liebst<br />

du mi<strong>ch</strong>? Petrus wurde betrübt, daß er zum drittenmal zu ihm sagte: Liebst du<br />

mi<strong>ch</strong>? Der S<strong>ch</strong>merz bra<strong>ch</strong> in ihm auf; denn er wußte wohl, daß Jesus Grund<br />

hatte, sein Wort ni<strong>ch</strong>t als e<strong>ch</strong>t hinzunehmen und seiner Versi<strong>ch</strong>erung eine neue<br />

Frage entgegenzusetzen. Er hatte au<strong>ch</strong> vor dem Kreuze s<strong>ch</strong>on von seiner Liebe<br />

gespro<strong>ch</strong>en, die zu allem stark und willig sei, und si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t gekannt und<br />

saß jetzt nur deshalb am Tis<strong>ch</strong> des Auferstandenen als sein Genosse und<br />

Freund, weil er als das Lamm Gottes.an ihm gehandelt und die Sünde fortgetragen<br />

hatte. So wird an der Frage Jesu die Reue in ihm heiß und s<strong>ch</strong>merzhaft<br />

wa<strong>ch</strong>.<br />

Er flieht zu Jesu dur<strong>ch</strong>dringendem Auge. 21,17b: Und er spra<strong>ch</strong> zu ihm:<br />

Herr, alles weißt du; du erkennst, daß i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong> liebe. Gegen ihn deckt er si<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t mit S<strong>ch</strong>ein und Lüge; sein Herz und Wille ist ihm offen aufgedeckt.<br />

Würde er ihn fragen: Hast du mi<strong>ch</strong> verleugnet? so würde er es ni<strong>ch</strong>t ableugnen;<br />

fragt er ihn aber: Liebst du mi<strong>ch</strong>? so kann er au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts anderes sagen als<br />

das eine: Du weißt es. So bleibt es au<strong>ch</strong> bei Jesu Auftrag. 21,17c: Jesus sagt zu<br />

ihm: Weide meine S<strong>ch</strong>äflein! Dadur<strong>ch</strong> ist das, was Jesus als sein Eigentum<br />

werthält, ihm übergeben und er dur<strong>ch</strong> die Tür unter des Türhüters eigener<br />

Öffnung in die Hürde gestellt.<br />

Die Weise, wie Jesus hier seine Gnade in ihrer Einheit mit seinem heiligen-


254 Die Gemeins<strong>ch</strong>aft des Auferstandenen mit den Jüngern<br />

den Willen zur <strong>Offenbarung</strong> bra<strong>ch</strong>te, ist wunderbar groß. Wann ist je so vergeben<br />

worden? so zart, ohne jede bes<strong>ch</strong>ämende Erniedrigung des Gefallenen,<br />

vielmehr ihm zur vollen Aufri<strong>ch</strong>tung, und do<strong>ch</strong> so ernst, so kraftvoll den Willen<br />

fassend und vom Bösen lösend und den Fall verwandelnd in die Kraft der<br />

Liebe und àie Liebe verwandelnd in die Tat des Dienstes? <strong>Johannes</strong> hat der<br />

Kir<strong>ch</strong>e einen großen Dienst getan, daß er ihr ni<strong>ch</strong>t nur erzählte, wie freundli<strong>ch</strong><br />

und geduldig Jesus vor dem Kreuz den verleugnenden Apostel trug, sondern<br />

au<strong>ch</strong> wie kräftig und heilig er <strong>na<strong>ch</strong></strong>her als der Auferstandene ihn aufgeri<strong>ch</strong>tet<br />

hat.<br />

Jesu letztes Wort an ihn deutet ihm an, daß sein Dienst, den er ihm im Vertrauen<br />

zu seiner e<strong>ch</strong>ten, treuen Liebe übergibt, ihm Leiden bringt. 21,18a:<br />

Wahrli<strong>ch</strong>, wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage dir: Als du jung warst, gürtetest du di<strong>ch</strong> selbst<br />

und wandeltest, wo du wolltest. Damals war er von niemand abhängig, band<br />

si<strong>ch</strong> selbst den Gurt um, der ihm das lange Kleid so festhielt, wie er es zur<br />

rüstigen Wanderung oder zur ungehinderten Arbeit brau<strong>ch</strong>te, und ging seines<br />

Weges. So ungehemmt, von niemand belästigt, von Rücksi<strong>ch</strong>ten und Anfeindungen<br />

frei kann er seinen Aposteldienst ni<strong>ch</strong>t vollenden. Dieser bringt ihn in<br />

die Lage, daß er si<strong>ch</strong> fügen, tragen und leiden muß. 21,18b: Wirst du aber alt<br />

werden, so wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird di<strong>ch</strong> gürten<br />

und di<strong>ch</strong> dahin bringen, wohin du ni<strong>ch</strong>t gehen willst. Ab Greis wird er hilflos,<br />

der Stütze bedürftig, abhängig von denen, die um ihn sind, so daß er mit si<strong>ch</strong><br />

ges<strong>ch</strong>ehen lassen muß, was diesen beliebt. <strong>Das</strong> Wort hat einen spri<strong>ch</strong>wörtli<strong>ch</strong>en<br />

Ton, ähnli<strong>ch</strong> wie 4,37. Im Munde der Leute stellte ein sol<strong>ch</strong>er Satz den ergreifenden<br />

Gegensatz zwis<strong>ch</strong>en der rüstigen Jugend und dem gebre<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Alter<br />

dar; Jesus überträgt ihn dagegen mit vertiefter Bedeutung auf das Apostelwerk<br />

des Petrus, an dessen Ende ni<strong>ch</strong>t Überwindung der Welt und der Ruhm<br />

sieghafter Stärke, sondern S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit und Leiden stehen. <strong>Johannes</strong> sieht auf<br />

das Kreuz des Petrus hinüber als auf die letzte Erfüllung dieses Wortes, das der<br />

Auferstandene ihm mitgab in seinen Dienst. 21,19a: Dies sagte er aber, um anzudeuten,<br />

mit was für einem Tod er Gott verherrli<strong>ch</strong>en werde. Als er am<br />

Kreuzholz die Hände ausbreitete, der römis<strong>ch</strong>e Soldat ihm den Strick um die<br />

Hüften wand und mit dem Pfahle ihn in die Höhe hob, da kam dieser Spru<strong>ch</strong><br />

zu seiner wörtli<strong>ch</strong>en Erfüllung. <strong>Johannes</strong> nimmt aber alle Bitterkeit vom<br />

Kreuze weg; Petrus durfte so Gott verherrli<strong>ch</strong>en. In seiner Weise gilt au<strong>ch</strong> vom<br />

Kreuz des Petrus, daß damit die Größe der göttli<strong>ch</strong>en Gnade si<strong>ch</strong>tbar ward.<br />

Au<strong>ch</strong> an ihm wurde die Liebe offenbar, ni<strong>ch</strong>t die Liebe des Herrn, der uns<br />

zuerst geliebt und zu si<strong>ch</strong> berufen hat, wie im Kreuz von Golgatha, wohl aber<br />

die Liebe des Jüngers, der dem Auferstandenen einst am See von Tiberias mit


<strong>Johannes</strong> 21,i8a—22 255<br />

warmer, dringender Zusage verspro<strong>ch</strong>en hat: Du weißt allé Dinge, du weißt,<br />

daß i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong> liebhabe, und dies bis zu der Stunde halten durfte, in der er seine<br />

Hände am Pfahl ausbreitete.<br />

Au<strong>ch</strong> als Auferstandener hat Jesus somit den Seinen die Berufung zum Leiden<br />

und zum Kreuzesweg gegeben und ihnen all das bestätigt, was er ihnen<br />

über das notwendige, vorbehaltlose Opfer der Seele während seines irdis<strong>ch</strong>en<br />

Dienstes gesagt hatte. Aber au<strong>ch</strong> das verheißende Wort hat er ihnen erneuert.<br />

21,19b: Und als er das gesagt hatte, sagt er zu ihm: Folge mir! Petrus gehor<strong>ch</strong>t<br />

mit Freuden, und der Irdis<strong>ch</strong>e ging mit dem Himmlis<strong>ch</strong>en, der in der Sterbli<strong>ch</strong>keit<br />

Stehende mit dem ins Leben Getretenen, der in der Welt Heimis<strong>ch</strong>e mit<br />

dem beim Vater Wohnenden und wird von diesem geleitet und ist dadur<strong>ch</strong> des<br />

Zieles gewiß. Folge mir! dies Wort hat <strong>Johannes</strong> au<strong>ch</strong> auf si<strong>ch</strong> bezogen, und<br />

au<strong>ch</strong> er ging mit. 21,20.21: Wie si<strong>ch</strong> Petrus umwandte, sieht er den Jünger,<br />

den Jesus liebhatte, folgen, der au<strong>ch</strong> beim Mahl an seiner Brust gelegen und gesagt<br />

hatte: Herr, wer ist der, der di<strong>ch</strong> überantwortet? Wie nun Petrus diesen<br />

sah, sagt er zu Jesus: Herr, was soli aber der? Damit stand er s<strong>ch</strong>on an der<br />

Grenze des ihm übertragenen Dienstes und wird deshalb von Jesus zurückgewiesen.<br />

Hat ihm Jesus die Fürsorge für seine S<strong>ch</strong>afe übertragen, so bedeutet<br />

das ni<strong>ch</strong>t, daß er ni<strong>ch</strong>t selbst der Hirte bleibe, jedem der Seinen seinen Weg<br />

zeige und ihn mit seiner besonderen Leitung führe. Petrus ist dadur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

zum Herrn über die, die mit ihm Jesus dienen, eingesetzt, wird darum au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t in seinen Willen, der ihren Lebenslauf und ihre Arbeit ordnet, eingeweiht.<br />

Er tue das Seine und verri<strong>ch</strong>te seinen Dienst; <strong>Johannes</strong> wird Jesus führen<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem eigenen Willen.<br />

21,22: Jesus sagt zu ihm: Wenn i<strong>ch</strong> will, daß er bleibe, bis i<strong>ch</strong> komme, was<br />

ma<strong>ch</strong>t dir das? Du folge mir. Mit diesem Wort deutet er an, daß er ni<strong>ch</strong>t allen<br />

seinen Jüngern dasselbe Ende auferlegt. Der eine preist ihn am Kreuz; der andere<br />

bleibt. <strong>Das</strong> Maß ihres Dienstes und Leidens ist vers<strong>ch</strong>ieden; denno<strong>ch</strong> ist<br />

es ein und derselbe Dienst, eine und dieselbe Jüngers<strong>ch</strong>aft, ein und derselbe<br />

Herr, der sie alle führt. Es ist Jesu letztes Wort im <strong>Evangelium</strong>; dasselbe gilt<br />

<strong>Johannes</strong> wie das erste Wort, das er uns erzählt. Wie er Jesus fand, damit beginnt<br />

er; wie ihm Jesus die Apostelarbeit zumaß, damit endet er. Der Anfang<br />

war, daß der Täufer Jesus bei Israel und den Jüngern einführte; den S<strong>ch</strong>luß<br />

bildet, daß Jesus die Seinen in ihre Arbeit eingewiesen hat.<br />

Jesus erneuerte mit seinem letzten Wort zuglei<strong>ch</strong> den Jüngern die Verheißung<br />

seines Kommens. Weder Petrus no<strong>ch</strong> <strong>Johannes</strong> führen die Gemeinde<br />

zum Ziele; das tut er allein und führt allein selbst sein Werk auf Erden ans<br />

Ende und s<strong>ch</strong>afft allein die vollendete Gemeinde mit dem offenbar geworde-


256 Die Gemeins<strong>ch</strong>aft des Auferstandenen mit den Jüngern<br />

nen Leben, die ni<strong>ch</strong>t mehr hofft und ni<strong>ch</strong>t mehr leidet und ni<strong>ch</strong>t mehr im<br />

Seufzen der Kreatur mitseufzen muß, sondern die Erfüllung des Gebetes Jesu<br />

empfangen hat und seine Herrli<strong>ch</strong>keit sieht, ni<strong>ch</strong>t mehr nur glaubt. Jesus hat<br />

au<strong>ch</strong> jetzt den Blick auf sein Kommen den Seinen ni<strong>ch</strong>t in die Ferne gestellt;<br />

sie sollen an ihn als den Nahen, immer Bereiten, der ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> irgendein<br />

Hemmnis gebunden ist, ihr Hoffen heften. Do<strong>ch</strong> hebt <strong>Johannes</strong> hervor, daß<br />

ihm Jesus keine Zusage gab, die sein Kommen vor sein Sterben gesetzt und ihm<br />

das Leben zugespro<strong>ch</strong>en hätte bis auf den Tag, da er ers<strong>ch</strong>einen wird. 21,23:<br />

Nun kam dieses Wort zu den Brüdern hinaus: Jener Jünger stirbt ni<strong>ch</strong>t. Aber<br />

Jesus sagte ni<strong>ch</strong>t zu ihm, daß er ni<strong>ch</strong>t sterbe, sondern: Wenn i<strong>ch</strong> will, daß er<br />

bleibe, bis i<strong>ch</strong> komme, was ma<strong>ch</strong>t es dir? Er deutet dieses Wort ni<strong>ch</strong>t so, daß<br />

darin die Verheißung läge, Jesus werde kommen, ehe sein Dienst und Leben<br />

vollendet sei; vielmehr habe er damit Petrus an die königli<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>t seines<br />

Willens erinnert, mit der er die Seinen au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>irmen und erhalten könne, daß<br />

sie niemand antaste, niemand sie gegen ihren Willen gürte, kein Kreuz für<br />

sie erri<strong>ch</strong>tet werde, sondern sie bleiben, bis er kommt. <strong>Johannes</strong> spri<strong>ch</strong>t darüber,<br />

weil man in der Christenheit Jesu Wort zum Teil so verstand, als hätte Jesus<br />

ihm das Leben ohne Ende bis zu seiner Wiederkunft zugesagt, was ihnen, wenn<br />

ihn nun Jesus abruft, ein Anlaß zum Zweifel und Anstoß werden konnte. Er<br />

selbst steht anders zum Herrn, legt seinen Lebenslauf in seine Hände, bleibt,<br />

weil er ihn bleiben heißt und solange er ihn bleiben heißt, und stirbt ni<strong>ch</strong>t mit<br />

dem Vorwurf: Du hast mir dein Wort ni<strong>ch</strong>t gehalten, vielmehr mit lauter<br />

Dank und vollendeter Freude im Herzen, weil ihm Jesus seine Liebe gegeben<br />

hat und sein Wille in seiner königli<strong>ch</strong>en Hoheit zwar für alle ein Geheimnis,<br />

jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts anderes als reine, volle Gnade ist.<br />

So s<strong>ch</strong>ließt <strong>Johannes</strong> mit dem Bild der beiden Jünger, die beide ni<strong>ch</strong>ts Besseres<br />

kennen, als ihren Herrn zu lieben, beide in seinen Dienst ihr ganzes Leben<br />

legen, von denen der eine das Kreuz aus Jesu Hand entgegennimmt, der<br />

andere dagegen unter Jesu S<strong>ch</strong>utz seine Genossen überlebt und von einem<br />

jüngeren Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> ehrfür<strong>ch</strong>tig als der betra<strong>ch</strong>tet wird, der mit dem<br />

Herrn selbst gelebt hat, und beide sind mit ihrem Lose herzli<strong>ch</strong> einverstanden<br />

und haben die fröhli<strong>ch</strong>e Gewißheit, daß ihnen der Auferstandene ihren Weg<br />

geordnet habe, der sie zu seinem Mahle lud als die Seinigen und mit ihnen au<strong>ch</strong><br />

in der Herrli<strong>ch</strong>keit seines ewigen Lebens die volle Gemeins<strong>ch</strong>aft hielt.<br />

Der S<strong>ch</strong>lußsatz bezei<strong>ch</strong>net diesen Jünger als den Zeugen, der mit seinem Wort<br />

dafür einsteht, was wir gelesen haben, und es nieders<strong>ch</strong>rieb. 21,24. zy. Dieser<br />

ist der Jünger, der das bezeugt und das ges<strong>ch</strong>rieben hat, und wir wissen, daß<br />

sein Zeugnis wahr ist. Es gibt aber au<strong>ch</strong> vieles andere, was Jesus getan hat;


<strong>Johannes</strong> 21,23-25 257<br />

wenn dies im einzelnen aufges<strong>ch</strong>rieben würde, so würde, wie i<strong>ch</strong> meine, die<br />

Welt die Bü<strong>ch</strong>er ni<strong>ch</strong>t fassen, die ges<strong>ch</strong>rieben werden müßten. Hier wird viellei<strong>ch</strong>t<br />

eine andere Stimme hörbar, wie es s<strong>ch</strong>eint, ein größerer Kreis, der <strong>Johannes</strong><br />

no<strong>ch</strong> gekannt hat und seinem Bu<strong>ch</strong> das Zeugnis beigibt, daß wir mit demselben<br />

den Beri<strong>ch</strong>t des <strong>Johannes</strong> über Jesus erhalten und ihn mit voller Zuversi<strong>ch</strong>t<br />

entgegennehmen sollen. Da der Zusatz nirgends in den Texten fehlt,<br />

wurde er dem <strong>Evangelium</strong> wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> bald <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Abfassung beigegeben<br />

wohl im Kreis der Christen von Ephesus, in deren Gemeinde es zuerst<br />

verlesen worden ist. Dieselbe Hand mag au<strong>ch</strong> die Bemerkung hinzugefügt<br />

haben, die mit einem gewissen Bedauern feststellt, daß uns <strong>Johannes</strong> von dem,<br />

was Jesus getan habe, do<strong>ch</strong> nur weniges mitteile, uns aber daran erinnert, daß<br />

es unmögli<strong>ch</strong> sei, alles, was Jesus getan habe, in der S<strong>ch</strong>rift festzuhalten, weil<br />

sonst der Bü<strong>ch</strong>er zu viele würden. Von einem ähnli<strong>ch</strong>en Urteil geleitet hat<br />

s<strong>ch</strong>on <strong>Johannes</strong> selbst uns ni<strong>ch</strong>t einen großen Rei<strong>ch</strong>tum von vers<strong>ch</strong>iedenen Taten<br />

und Worten aus Jesu Leben mitgeteilt, wohl aber in mä<strong>ch</strong>tiger, ergreifender<br />

Deutli<strong>ch</strong>keit das herausgehoben, was in seinem Lebenslauf das Wesentli<strong>ch</strong>e<br />

ist, daß Jesus, wie er zum S<strong>ch</strong>luß den Jüngern sagte, vom Vater her zu uns<br />

gekommen ist und im Vater lebt und darum au<strong>ch</strong> uns Anteil an Gottes Wort<br />

und Leben gibt. Diesen Kern- und Hauptpunkt im Lebenslauf Jesu hat <strong>Johannes</strong><br />

dur<strong>ch</strong> das wenige, was er uns von ihm erzählte, mit herrli<strong>ch</strong>er Klarheit<br />

der Mens<strong>ch</strong>heit für immer erkennbar gema<strong>ch</strong>t.


Inhalt<br />

<strong>Das</strong> <strong>Evangelium</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>Johannes</strong><br />

Kapitel Seite<br />

i,i—18: <strong>Johannes</strong> spri<strong>ch</strong>t aus, was uns in Jesus gegeben ist 5<br />

1,19—4,54: Jesus offenbart die göttli<strong>ch</strong>e Gnade 16<br />

1,19—34: Der Täufer ma<strong>ch</strong>t Jesus Israel bekannt . 16<br />

1,35—52: Jesus empfängt die ersten Jünger 22<br />

2,1—11: <strong>Das</strong> Zei<strong>ch</strong>en für die Jünger 27<br />

2,12—22: Der Bru<strong>ch</strong> mit den Hütern des Tempels .. . . . . . 31<br />

2,23—3,21 : Jesus beruft den S<strong>ch</strong>riftgelehrten . . 35<br />

3,22—36: Der Täufer beruft seine Jünger zu Jesus 49<br />

4,i—42: Jesus beruft die Samariterin 5j<br />

4,43—54: Jesus hilft dem Königli<strong>ch</strong>en zum Glauben 73<br />

5 und 6: Jesus zeigt den Juden, was sie von ihm trennt 76<br />

5 : Der Kampf in Jerusalem 76<br />

6: Die Galiläer verlassen ihn 89<br />

7—12: Jesu Kampf mit Israels Gottlosigkeit 105<br />

7,1—13: Jesus geht heimli<strong>ch</strong> zum Laubhüttenfest 105<br />

7,14—36: Der Kampf in der Mitte des Festes 108<br />

7,37—52: Der Kampf am letzten Tag des Festes 113<br />

7,53—8,11: Der Zusatz: Jesus verzeiht der Ehebre<strong>ch</strong>erin 117<br />

8,12—5 9 : Der Kampf am letzten Tage des Laubhüttenfestes. Fortsetzung<br />

119<br />

9: Jesus wird für den Blinden zum Li<strong>ch</strong>t 134<br />

10,1—21: Jesus bes<strong>ch</strong>reibt den Hirten 140<br />

10,22—42: Der Kampf am Tempelweihfest 148<br />

11,1—53: Jesus offenbart si<strong>ch</strong> an Lazarus als das Leben. . . . 152<br />

11,54—12,50: Jesu letztes Zeugnis in Jerusalem 162<br />

13—17: Jesus begründet seine Gemeinde 175<br />

13,1—20: <strong>Das</strong> Zei<strong>ch</strong>en Jesu für die Jünger 175<br />

13,21—30: Jesus stößt den Verräter aus 181<br />

13,31—16,33: Die Verheißung des S<strong>ch</strong>eidenden 183<br />

17: Jesu Gebet für die Seinen 218<br />

18 und 19: Jesu Sterben 228<br />

20 und 21 : Die Gemeins<strong>ch</strong>aft des Auferstandenen mit den Jüngern 244

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