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(„Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus“) Mk 1,29–31

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Fieberfrei und dienstbereit in die Jesusnachfolge (<strong>„Die</strong> <strong>Heilung</strong> <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Petrus“</strong>)<br />

<strong>Mk</strong> 1,<strong>29–31</strong> (Mt 8,14f.)<br />

29 Und sofort als sie aus <strong>der</strong> Synagoge hinausgingen, kamen sie in das Haus von Simon und<br />

Andreas (zusammen) mit Jakobus und Johannes. 30 Die <strong>Schwiegermutter</strong> Simons lag fiebernd<br />

danie<strong>der</strong>. Und sofort informieren sie ihn über sie. 31 Und als er herangetreten war, ergriff er<br />

die Hand und richtete sie auf. Und das Fieber verließ sie. Und sie diente ihnen.<br />

(1.) Sprachliche Analyse<br />

Die kurze Wun<strong>der</strong>geschichte, die mit <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong> <strong>des</strong> Petrus die erste weibliche<br />

Erzählfigur innerhalb <strong>des</strong> Markusevangeliums präsentiert, führt die Leserinnen und Leser<br />

vom öffentlichen Raum <strong>der</strong> Synagoge (<strong>Mk</strong> 1,21–28) in den privaten Bereich eines Hauses,<br />

dies allerdings innerhalb <strong>des</strong> gleichen Ortes und am gleichen Tag: in Kafarnaum am Sabbat<br />

(wobei die Problematik einer Sabbatheilung auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Erzählung keine Rolle spielt).<br />

Hier wie dort erweist sich Jesus als wun<strong>der</strong>tätiger und vollmächtiger (<strong>Mk</strong> 1,27) Heiler, <strong>der</strong><br />

sich unterschiedslos Mann und Frau zuwendet.<br />

Die Erzählung in <strong>Mk</strong> 1,<strong>29–31</strong> weist dabei eine dreiteilige Struktur auf. Die V. 29f. bilden die<br />

sehr breite Einleitung <strong>der</strong> Erzählung, in <strong>der</strong> alle Personen <strong>der</strong> Geschichte wie auch <strong>der</strong><br />

Handlungsort vorgestellt werden. Zudem werden Jesus und mit ihm die Leserinnen und Leser<br />

<strong>der</strong> Geschichte über die Situation im Haus erstmals informiert (V. 30), wobei auffällt, dass die<br />

Motivation für den Gang ins Haus zunächst unausgesprochen bleibt (Schenke 2005, 73) und<br />

daher kontextuell als Rückzug aus <strong>der</strong> durch die Wun<strong>der</strong>tat Jesu aufgewühlten Öffentlichkeit<br />

verstanden werden kann (<strong>Mk</strong> 1,21–28). Die <strong>Heilung</strong> <strong>der</strong> Kranken scheint jedenfalls nicht<br />

ursprünglich angezielt zu sein. Gerahmt ist die Einleitung durch die Wie<strong>der</strong>holung von „und<br />

sofort“ in V. 29a.30b. Im Zentrum <strong>der</strong> Erzählung steht V. 31a, <strong>der</strong> durch einen internen<br />

Ortswechsel – Jesus, und nur Jesus, tritt näher an die Kranke heran – von <strong>der</strong> Einleitung<br />

abgetrennt ist. Hier ist dann auch erstmals und ausschließlich innerhalb <strong>der</strong> Perikope Jesus<br />

allein das handelnde Subjekt. Er vollzieht die Wun<strong>der</strong>handlung. Den Abschluss <strong>der</strong><br />

Geschichte bilden die Versteile 31bc, die in zwei kurzen, parallel gebauten Sequenzen<br />

Reaktionen auf die Tat Jesu erzählen: zum einen verlässt das Fieber die Frau, zum an<strong>der</strong>en<br />

reagiert die Geheilte ihrerseits: Sie dient „ihnen“ – durch den Plural eine knappe, den V. 31a<br />

rahmende Rückblende auf alle Anwesenden, wie sie in <strong>der</strong> Einleitung vorgestellt wurden.<br />

Im Blick auf die in <strong>der</strong> Erzählung handelnden Figuren kommt <strong>der</strong> Text mit drei Aktanten aus.<br />

Die vier Begleiter Jesu, die umständlich allesamt in V. 29 namentlich genannt werden,<br />

verschmelzen im Verlauf <strong>der</strong> Erzählung zu einer Größe: Sie informieren Jesus über den<br />

Zustand <strong>der</strong> Kranken (V. 30) – sie stehen so in gewisser Weise zwischen Jesus und <strong>der</strong><br />

<strong>Schwiegermutter</strong> –, bitten aber im eigentlichen Sinne nicht explizit, son<strong>der</strong>n nur indirekt um<br />

die <strong>Heilung</strong> <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong>. Darin sind sie den vier (!) Trägern eines Gelähmten in <strong>Mk</strong><br />

2,1–12 auffallend ähnlich, zumal auch diese <strong>Heilung</strong> im nicht näher spezifizierten Haus in<br />

Kafarnaum – und hier kann dann eigentlich nur das Haus von Petrus und Andreas gemeint<br />

sein – stattfindet. Die <strong>Heilung</strong> selbst geht damit im Wesentlichen auf die Initiative Jesu<br />

zurück, <strong>der</strong> als Heiler die Rolle <strong>des</strong> Subjekts <strong>der</strong> Erzählung einnimmt. Ihm gegenüber steht als<br />

Objekt seiner Behandlung die kranke und nur passiv daliegende <strong>Schwiegermutter</strong>. Die<br />

<strong>Heilung</strong> selbst führt allerdings zu einem auffallenden Rollenwechsel. Aus <strong>der</strong> liegenden Frau<br />

wird das Subjekt, die Handlungsträgerin, <strong>der</strong> Erzählung. Ihre Aktivität besteht darin, die<br />

Anwesenden (etwa bei Tisch) zu bedienen, also min<strong>des</strong>tens Jesus und seine vier Begleiter<br />

(zur Interpretation <strong>des</strong> Dienens s. u.).<br />

Dieser Rollenwechsel im Rahmen <strong>des</strong> Aktantengefüges wird durch eine auffallende<br />

semantische Opposition innerhalb <strong>des</strong> Textes gestützt. Gemeint sind die beiden Begriffe


„danie<strong>der</strong>liegen“ und „dienen“, die aus dem semantischen Feld, das vor allem von Verben <strong>der</strong><br />

Bewegung geprägt ist (hinausgehen, kommen, herantreten, ergreifen, aufrichten, verlassen),<br />

herausstechen. Beide Verben stehen auf <strong>der</strong> Bedeutungsebene in Opposition: drückt das<br />

„Danie<strong>der</strong>liegen“ auf <strong>der</strong> einen Seite die Passivität <strong>der</strong> Kranken am stärksten aus, so das<br />

<strong>„Die</strong>nen“ auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ihre Aktivität. Beide Verben bilden darüber hinaus die<br />

einzigen Prädikate innerhalb von Sätzen, in denen die <strong>Schwiegermutter</strong> das grammatikalische<br />

Subjekt ist und sind auch auf dieser Ebene aufeinan<strong>der</strong> bezogen. Und schließlich sind es nur<br />

diese beiden Verben, die im Imperfekt (die Form ἤγειρεν [egeiren – aufrichten/erwecken]<br />

wird hier als Aorist verstanden, wiewohl grammatikalisch auch ein Imperfekt möglich ist)<br />

gebildet sind, wodurch die anhaltende Dauer von Krankheit und Dienst im Sinne eines<br />

durativen Imperfekts betont wird. Insbeson<strong>der</strong>e aufgrund dieser letzten Beobachtung liegt es<br />

nahe, die Übersetzung „sie diente ihnen“ <strong>der</strong> grammatikalisch ebenfalls möglichen<br />

Übersetzung „er diente ihnen“ (vgl. Mörtl 2002, 112), durch die Jesus zum Diener <strong>der</strong><br />

Anwesenden würde (vgl. etwa <strong>Mk</strong> 10,41–45), vorzuziehen.<br />

Die im Zentrum <strong>der</strong> Perikope stehende <strong>Heilung</strong> vollzieht sich auf den ersten Blick reichlich<br />

unspektakulär und ist doch gerade darin wun<strong>der</strong>bar. Jesus tritt an die Kranke näher heran,<br />

ergreift ihre Hand und richtet sie auf (ähnlich <strong>Mk</strong> 5,41; 9,27; zur Mehrdeutigkeit <strong>des</strong> Begriffs<br />

„aufrichten/erwecken“ im Markusevangelium vgl. Venetz 2005, 70). Mehr geschieht auf <strong>der</strong><br />

sichtbaren Ebene nicht. We<strong>der</strong> von wun<strong>der</strong>wirkenden Worten noch Gebeten o<strong>der</strong> heilenden<br />

Mitteln ist die Rede. Auch von Vorbedingungen auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> zu Heilenden (etwa ein<br />

vorhandener Glaube) ist nicht die Rede (<strong>der</strong> Dienst <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong> ist Reaktion auf und<br />

nicht Bedingung für die <strong>Heilung</strong>). All das ist offensichtlich nicht nötig, denn das Ergreifen <strong>der</strong><br />

Hand inklusive Aufrichtung führt – wohl als Kraftübertragung gedacht (vgl. <strong>Mk</strong> 5,30) – zur<br />

unmittelbaren <strong>Heilung</strong>. Der Text konstatiert, dass das Fieber die Frau verlässt. Als sichtbares<br />

Zeichen für die <strong>Heilung</strong> lässt sich <strong>der</strong> abschließende Dienst <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong> verstehen,<br />

gleichsam <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>eintritt in die Sphäre <strong>der</strong> Aktivität. Dieser Kontrast von unscheinbarem<br />

<strong>Heilung</strong>saufwand bei bereits länger andauern<strong>der</strong> Krankheit auf <strong>der</strong> einen und nachweislich<br />

erfolgreicher <strong>Heilung</strong> auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite macht für die Leserinnen und Leser damals wie<br />

heute das Wun<strong>der</strong>bare dieser Erzählung aus.<br />

Die Erzählung fügt sich nahtlos in den literarischen Kontext <strong>der</strong> Perikope ein. Sie ist dabei<br />

durch die Einheit von Ort (und Zeit) nicht nur mit <strong>der</strong> vorausgehenden Wun<strong>der</strong>geschichte<br />

verbunden (<strong>Mk</strong> 1,21–28), son<strong>der</strong>n auch mit dem anschließenden <strong>Heilung</strong>ssummarium (<strong>Mk</strong><br />

1,32–34). Denn Jesus verlässt nach erfolgreicher <strong>Heilung</strong> das Haus nicht. Er bleibt bis zum<br />

Abend. An diesem Abend, in jüdischer Perspektive ist <strong>der</strong> Sabbat beendet und hat ein neuer<br />

Tag begonnen, kommt die ganze Stadt mit ihren Kranken und Besessenen zur explizit<br />

erwähnten Tür <strong>des</strong> Hauses. Und Jesus heilt und treibt Dämonen aus. Und auch wenn Jesus<br />

noch in <strong>der</strong> Nacht sich an einen einsamen Ort aufmacht und Kafarnaum hinter sich lässt,<br />

begegnet den aufmerksamen Lesern das Haus <strong>der</strong> <strong>Heilung</strong> in Kafarnaum sehr bald wie<strong>der</strong>.<br />

Denn nach seinem Ausflug in nicht exakt benannte Gegenden (<strong>Mk</strong> 1,35–45) kehrt Jesus<br />

wie<strong>der</strong> in das Haus zurück und heilt vor großem Publikum – hier wird wie<strong>der</strong> die Tür <strong>des</strong><br />

Hauses erwähnt (vgl. <strong>Mk</strong> 2,2 mit <strong>Mk</strong> 1,33) – einen Gelähmten, wobei diese <strong>Heilung</strong><br />

gleichzeitig als Nachweis <strong>der</strong> Sündenvergebungskompetenz <strong>des</strong> Menschensohns dient (<strong>Mk</strong><br />

2,1–12). Das Haus wird so zum zentralen Stützpunkt <strong>der</strong> Jesusgruppe in Kafarnaum, wird<br />

zum „Gemeindehaus“, zum Ort von <strong>Heilung</strong> und impliziter Lehre (vgl. <strong>Mk</strong> 9,33; zum Haus<br />

als Lernort im Markusevangelium Klauck 1981, 60–62; Ebner 2007, 26f.).<br />

(2.) Sozial- und realgeschichtlicher Hintergrund<br />

Fieber (vgl. zur Realie ausführlich Horn 1969), in unserem Text gepaart mit nie<strong>der</strong>drücken<strong>der</strong><br />

Schwäche, ist ein in <strong>der</strong> Antike verbreitetes, z. T. als lebensgefährlich bewertetes<br />

Krankheitsphänomen (vgl. Joh 4,46b–54; Apg 28,8), das als solches noch keine Rückschlüsse


auf spezielle, benennbare Krankheiten zulässt. Als eine mögliche Ursache für den Ausbruch<br />

von Fieber gelten im antiken Volksglauben Dämonen (Kollmann 1996, 223; Theißen 7 1998,<br />

95). Reste einer solchen dämonischen Konnotation lassen sich vielleicht noch in <strong>Mk</strong> 1,31<br />

ausmachen, wenn es heißt, dass das Fieber die Frau verlässt. Damit findet eine gewisse<br />

Personalisierung <strong>des</strong> Fiebers statt, das wie ein Mensch o<strong>der</strong> Tier die <strong>Schwiegermutter</strong> verlässt<br />

(vgl. <strong>Mk</strong> 10,28f.; 13,34; 14,50). In <strong>der</strong> lukanischen Bearbeitung <strong>des</strong> Textes wird diese<br />

dämonische Seite <strong>des</strong> Fiebers wie<strong>der</strong> stärker betont (Lk 4,38f.).<br />

Neben dieser medizinischen Realie führt die sozialgeschichtliche Lektüre <strong>des</strong> Textes in die<br />

Welt <strong>des</strong> Hauses und <strong>der</strong> Familie. „Haus“ (οἰκία o<strong>der</strong> οἶκος [oikia/oikos – Haus]) ist in <strong>der</strong><br />

griechisch-römischen Antike mehr als nur ein Gebäude. Es ist Ausdruck für einen ganzen<br />

Familien- und Sozialverband: Eltern und Kin<strong>der</strong>, Großeltern, Brü<strong>der</strong> und Schwestern,<br />

Verwandte, sogar Sklaven können zusammen ein „Haus“ bilden (vgl. Klauck 1981, 15–20).<br />

In ein solches Haus tritt in <strong>Mk</strong> 1,29 Jesus ein. Das Haus wird als Besitz <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> (<strong>Mk</strong> 1,16)<br />

Simon und Andreas bezeichnet und könnte ihnen – aber das muss Spekulation bleiben, weil<br />

<strong>der</strong> Text an solchen historisch-sozialgeschichtlichen Details kaum Interesse zu haben scheint<br />

– als gemeinsames Erbe zugefallen sein. So kann man vermuten, dass <strong>der</strong> Vater dieser beiden<br />

bereits verstorben ist, jedenfalls wird er im Kontext <strong>der</strong> Berufung in <strong>Mk</strong> 1,16–20 nicht<br />

erwähnt – und zwar im Gegensatz zum Vater <strong>der</strong> beiden Zebedaiden (<strong>Mk</strong> 1,20). In diesem<br />

Haus lebt, das wird man in den Text eintragen dürfen, neben den beiden Brü<strong>der</strong>n min<strong>des</strong>tens<br />

noch die Frau <strong>des</strong> Petrus (vgl. 1 Kor 9,5), vielleicht auch Kin<strong>der</strong> <strong>des</strong> Paares und sonstige<br />

Personen, sicherlich aber die <strong>Schwiegermutter</strong> <strong>des</strong> Petrus. Sie im Haus ihres Schwiegersohns<br />

(und <strong>des</strong>sen Bru<strong>der</strong>s) anzutreffen, macht eigentlich nur Sinn, wenn ihr Mann bereits<br />

verstorben ist und die Tochter <strong>des</strong> Paares, eben die Frau <strong>des</strong> Petrus, im Sinne <strong>des</strong><br />

alttestamentlichen Elterngebots (dazu Jungbauer 2002) die Versorgung <strong>der</strong> Witwe und Mutter<br />

übernommen hat (alternative Rekonstruktion bei Gnilka 5 1998, 85 mit Anm. 11; Gundry<br />

2000, 89). Seltsamerweise wird die Frau <strong>des</strong> Petrus aber mit keinem Wort im Text erwähnt.<br />

Generell ist die Grenze <strong>der</strong> effektiven Versorgung <strong>der</strong> Mutter/<strong>Schwiegermutter</strong> durch die<br />

Hausgemeinschaft angesichts <strong>des</strong> andauernden Fiebers erreicht. In dieser Situation springt<br />

Jesus gleichsam in die Bresche und lässt <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong> das zukommen, was ihr kein<br />

Angehöriger <strong>des</strong> Hauses geben kann: Gesundheit und damit Reintegration in die aktive<br />

Hausgemeinschaft, zu <strong>der</strong> für den Moment auch Jesus gehört.<br />

(3.) Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund<br />

Wer die Wun<strong>der</strong>geschichte, gattungskritisch eine auf wenige Motive verkürzte Therapie,<br />

nicht für eine durch und durch markinische Bildung hält, son<strong>der</strong>n mit einer längeren<br />

Traditionsgeschichte rechnet, wofür sich in <strong>der</strong> Sekundärliteratur literar- und<br />

redaktionskritische Argumente finden lassen, wird auch nach den Triebfe<strong>der</strong>n für die<br />

vormarkinische Bildung und Überlieferung und damit letztlich nach <strong>der</strong> Historizität <strong>der</strong><br />

Erzählung fragen müssen. In <strong>der</strong> Forschung wird diese Frage, sofern sie gestellt wird, z. B.<br />

dahingehend beantwortet, dass mit <strong>der</strong> Geschichte die Erinnerung an eine historische <strong>Heilung</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong> <strong>des</strong> Petrus durch Jesus bewahrt wird und aufgrund <strong>des</strong> biographischen<br />

Interesses an <strong>der</strong> Figur <strong>des</strong> Petrus im frühen Christentum überliefert worden ist (vgl. mit<br />

unterschiedlichen Graden <strong>der</strong> historischen Gewissheit Gnilka 5 1998, 83–85; Kollmann 1996,<br />

222f.; Pesch 2 1977, 129.131). Alternativ wird die Wun<strong>der</strong>geschichte auch als historische<br />

„Gemeindegründungslegende“ im Blick auf eine Hausgemeinde in Kafarnaum, in <strong>der</strong> die<br />

<strong>Schwiegermutter</strong> <strong>des</strong> Petrus eine bedeutende Rolle gespielt hat, verstanden (Fan<strong>der</strong> 2 1990,<br />

30f.).<br />

Religionsgeschichtliche Parallelen stellen die erzählten Fieberheilungen in <strong>der</strong> jüdischen und<br />

hellenistisch-römischen Umwelt <strong>des</strong> frühen Christentums dar. Exemplarisch wird dabei auf<br />

das Wirken <strong>des</strong> jüdischen Gebetscharismatikers Chanina ben Dosa verwiesen, <strong>der</strong> im Rahmen


einer Fernheilung durch Gebet einen Jungen vom Fieber heilen konnte (Kollmann 1996, 142–<br />

144.223; Pesch 2 1977, 130; Gundry 2000, 90). Überblickt man diese und an<strong>der</strong>e Parallelen<br />

insgesamt, so fällt die Schlichtheit <strong>des</strong> Heilvorgangs in <strong>Mk</strong> 1,31 auf. Wo an<strong>der</strong>e intensiv<br />

beten o<strong>der</strong> auch magische Praktiken vollziehen müssen, da kann Jesus aus augenscheinlich<br />

eigener Kraft und mit minimalem Aufwand heilen und überbietet so an<strong>der</strong>e Wun<strong>der</strong>täter.<br />

(4.) Verstehensangebote/Deutungshorizonte<br />

Im Rahmen traditionsgeschichtlicher Erwägungen wurde deutlich, dass die Wun<strong>der</strong>erzählung<br />

von einer Reihe von Exegeten als Reminiszenz an ein historisches Ereignis im Leben Jesu,<br />

eben eine wun<strong>der</strong>bare <strong>Heilung</strong> <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong> <strong>des</strong> Petrus, verstanden wird. Diese<br />

historisierende Deutung ist aber nicht die einzige Möglichkeit, die Erzählung mit Sinn zu<br />

füllen.<br />

Tiefenpsychologische Exegese (Drewermann 1987, 202–209; dazu Lüdemann 1992, 74–77)<br />

sieht hinter dem heilenden Handeln Jesu an <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong>, hinter Begegnung und<br />

Berührung, die für die Leserinnen und Leser <strong>des</strong> Markusevangeliums paradigmatische<br />

Erzählung eines Befreiungsprozesses aus den krankmachenden Zwängen <strong>des</strong> Alltags, <strong>des</strong><br />

Sorgens, <strong>des</strong> bürgerlich Normalen. Dieses scheinbar Normale ist für E. Drewermann in<br />

Wahrheit „ein völlig wahnsinniges ‚Fieber‘“ (Drewermann 1987, 206), an dem auch die<br />

<strong>Schwiegermutter</strong> <strong>des</strong> Petrus leide und das gerade im Anschluss an den Ausstieg <strong>des</strong><br />

Schwiegersohnes aus dem bürgerlichen System, auf den die <strong>Schwiegermutter</strong> nur mit<br />

Ablehnung reagieren konnte, heftig um sich greife. Erst die direkte, befreiende Begegnung<br />

mit Jesus, habe sie ihre Opposition zum scheinbar sorglosen Leben Jesu und seiner Anhänger<br />

überwinden lassen – eine Deutung <strong>der</strong> Erzählung, die sich auch auf den Alltag heutiger<br />

Bibelleserinnen und -leser übertragen lässt und eine Identifikation mit <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong><br />

ermöglicht, wobei die tiefenpsychologische Ausdeutung <strong>der</strong> Erzählung zugleich zum<br />

kritischen und vielleicht befreienden Korrektiv für in Alltagssorgen Verstrickte wird.<br />

Sozialgeschichtlich und feministisch arbeitende Exegetinnen und Exegeten, die zugleich die<br />

Erzählung im literarischen Horizont <strong>des</strong> ganzen Markusevangeliums lesen und im Blick auf<br />

ihre pragmatische Funktion befragen (redaktionskritische bzw. pragmatische Exegese), betten<br />

die Erzählung in den Diskurs um Nachfolge und Schülerschaft im Markusevangelium ein<br />

(vgl. etwa Fan<strong>der</strong> 2 1990, 32–34; Hentschel 2007, 200–202; Schottroff 1994, 300f.313).<br />

Ausgangspunkt ist <strong>der</strong> explizit formulierte <strong>„Die</strong>nst“ <strong>der</strong> Frau (<strong>Mk</strong> 1,31). Dienen (διακονέω<br />

[diakoneo – dienen]) ist ein positiv besetztes Leitwort im Markusevangelium und<br />

kennzeichnet, auch über die engere Bedeutung als Tischdienst hinaus, die von Jesus<br />

favorisierte Form <strong>der</strong> Nachfolge, <strong>der</strong> sich Frau und Mann unterschiedslos zu stellen haben<br />

(<strong>Mk</strong> 9,35; 10,43.45). Dienen ist daher keine spezifisch weibliche Form <strong>der</strong> Jesusnachfolge,<br />

wie dies in älterer exegetischer Literatur manchmal zu finden ist. Dienen und Nachfolge<br />

gehören für Markus aufs Engste zusammen. Im Text <strong>des</strong> Evangeliums wird dies explizit<br />

positiv allerdings nur von Engeln und Frauen (und implizit natürlich Jesus) erzählt, wobei die<br />

<strong>Schwiegermutter</strong> die erste menschliche Erzählfigur ist, die dem dienenden Vorbild <strong>der</strong> Engel<br />

(<strong>Mk</strong> 1,13) wie selbstverständlich und ohne vorherige Belehrung durch Jesus folgt. Dass ihr<br />

Dienst auf Dauer angelegt ist und sie in die Jesusnachfolge eintritt (Fan<strong>der</strong> 2 1990, 28, spricht<br />

von einer „Berufungslegende“), zeigt das verwendete Imperfekt deutlich an. Insofern wird<br />

man sich unter den summarisch genannten, die Kreuzigung betrachtenden Frauen (<strong>Mk</strong><br />

15,40f.), die bereits in Galiläa Jesus nachfolgten und dienten, auch die <strong>Schwiegermutter</strong><br />

vorstellen, die damit am Anfang und am Ende <strong>des</strong> Gesamttextes einen dezenten Auftritt hat.<br />

Und vielleicht ist es genau diese <strong>Schwiegermutter</strong>, die in <strong>Mk</strong> 3,34 von Jesus auch als<br />

„Mutter“ bezeichnet wird, weil sie den Willen Gottes tut; so könnte man jedenfalls die<br />

auffallende Singularformulierung im Gegenüber zu den „Brü<strong>der</strong>n“ verstehen, zumal sich<br />

Jesus ab <strong>Mk</strong> 3,20 wie<strong>der</strong> im Haus befindet (vermutlich ist eben das Haus in Kafarnaum


gemeint; Gnilka 5 1998, 148). In dieser Perspektive ist die geheilte und dienend nachfolgende<br />

<strong>Schwiegermutter</strong> ein Vorbild für die in <strong>der</strong> Jesusnachfolge stehenden Leserinnen und Leser<br />

<strong>des</strong> Textes wie auch für die erzählten Figuren im Markusevangelium, die sich in <strong>der</strong><br />

Nachfolge versuchen und damit ihre liebe Not haben. Denn gerade den männlichen Schülern<br />

Jesu fällt es offensichtlich schwer, Nachfolge und Bereitschaft zum Dienst zusammen zu<br />

denken (vgl. auch <strong>Mk</strong> 10,35–45). Für sie zählt, wer <strong>der</strong> Größte in ihrer Runde ist (<strong>Mk</strong> 9,34) –<br />

und sie müssen von Jesus geson<strong>der</strong>t lernen, dass man um Größter sein zu wollen, <strong>der</strong> Diener<br />

aller sein muss (<strong>Mk</strong> 9,35). Und es gäbe wohl keinen besseren Ort im Markusevangelium um<br />

dies zu lernen, als im Haus in Kafarnaum, wo diese Belehrung stattfindet (<strong>Mk</strong> 9,33) (vgl. zur<br />

Sache auch Dschulnigg 2007, 83f.; Edwards 2002, 60; Kinukawa 1995, 136–139; Mörtl 2007;<br />

Schenke 2005, 73f.; Venetz 2005, 71).<br />

(5.) Aspekte <strong>der</strong> Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte<br />

Die Erzählung von <strong>der</strong> <strong>Heilung</strong> <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong> <strong>des</strong> Petrus ist von Matthäus mit<br />

signifikanten Unterschieden in sein Evangelium (Mt 8,14f.) übernommen worden. Die<br />

Verän<strong>der</strong>ungen, die die markinische Perikope erfährt, betreffen dabei sowohl den konkreten<br />

Text als auch die Verortung <strong>der</strong> Erzählung innerhalb <strong>der</strong> matthäischen Jesusgeschichte (vgl.<br />

Hagner 1993, 207–211; Luz 1990, 7f.17–19; Nolland 2005, 358–360). Beginnen wir mit<br />

Letzterem. Mt platziert eine große Anzahl von Wun<strong>der</strong>geschichten, die er aus dem<br />

Markusevangelium und <strong>der</strong> Logienquelle übernimmt, im Anschluss an die programmatische<br />

Bergpredigt Jesu in Mt 5–7. Auf die Worte Jesu sollen, so kann man diese Komposition<br />

verstehen, entsprechende Taten folgen. In diesem Wun<strong>der</strong>geschichtenkomplex, <strong>der</strong> Jesus als<br />

großen Wun<strong>der</strong>täter stilisiert, bildet die Erzählung von <strong>der</strong> <strong>Heilung</strong> <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong> <strong>des</strong><br />

Petrus die dritte Wun<strong>der</strong>geschichte. Ihr gehen die <strong>Heilung</strong> eines Aussätzigen (<strong>Mk</strong> 1,40–45 par<br />

Mt 8,1–4) sowie die aus <strong>der</strong> Logienquelle stammende Erzählung über den Hauptmann von<br />

Kafarnaum (Mt 8,5–13) voraus. Den Exorzismus aus <strong>Mk</strong> 1,21–28 lässt Matthäus hingegen<br />

aus. Dafür übernimmt er mit Abwandlungen die globale Aussage über eine Vielzahl von<br />

<strong>Heilung</strong>en am Abend (<strong>Mk</strong> 1,32–34 par Mt 8,16f.) und positioniert sie, parallel zum<br />

Markusevangelium, im Anschluss an die <strong>Heilung</strong> <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong>, wobei er den<br />

Erzählkomplex über Markus hinaus durch ein Erfüllungszitat, <strong>des</strong>sen Text aus Jes 53,4<br />

stammt, beschließt. Die drei <strong>Heilung</strong>sgeschichten, die durch Leitworte miteinan<strong>der</strong> verbunden<br />

sind, präsentieren Jesus – auch angesichts <strong>des</strong> Erfüllungszitats – als jemanden, <strong>der</strong> alle<br />

Krankheiten und Schwächen überwinden kann und gerade darin als wirkmächtigen Messias<br />

für sein Volk (vgl. Mt 4,23; 8,17).<br />

Diese Fokussierung auf die Bedeutung Jesu schlägt sich auch in <strong>der</strong> konkreten Bearbeitung<br />

<strong>der</strong> markinischen Perikope durch Matthäus nie<strong>der</strong>. Er nimmt massive Kürzungen <strong>der</strong><br />

markinischen Erzählung vor, die vor allem zu einer Konzentration auf Jesus führen. Im<br />

Einzelnen streicht er beinahe die gesamte Einleitung aus <strong>Mk</strong> 1,29 (auch weil im<br />

Vorausgehenden von einer Synagoge nicht die Rede war). Jesus geht allein in das Haus <strong>des</strong><br />

Petrus, <strong>der</strong> gegen Markus durchgehend Petrus und nicht Simon genannt und als alleiniger<br />

Hausbesitzer stilisiert wird. Zum vollmächtigen Heiler Jesus passt auch, dass er auf einen<br />

Blick das Problem <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong> sieht (Mt 8,14; als Verb über Markus hinaus<br />

eingetragen). Eine Vermittlung durch an<strong>der</strong>e ist nicht nötig. Auch hier streicht Matthäus den<br />

markinischen Text (<strong>Mk</strong> 1,30b). Dezenter fällt schließlich auch <strong>der</strong> Heilvorgang aus. Das<br />

markinische Partizip „ergreifen“, dem immer auch <strong>der</strong> Charakter <strong>des</strong> sich Bemächtigens eigen<br />

ist (im Markusevangelium wird das Verb auch im Sinne von Verhaften verwendet: <strong>Mk</strong> 3,21;<br />

6,17; 12,12; 14,1.44.46.49.51), ersetzt Matthäus durch das Vorsicht und einen sanften<br />

Umgang mit <strong>der</strong> Patientin ausdrückende Verb „berühren“ (ἅπτομαι [haptomai – berühren]),<br />

nicht zuletzt auch, um eine Stichwortverbindung zur ersten Wun<strong>der</strong>geschichte dieses<br />

Komplexes zu schaffen (in Mt 8,3 berührt Jesus einen Aussätzigen). Auch den Abschluss <strong>der</strong>


Erzählung hat Matthäus gegen Markus variiert. Der singulären Stellung Jesu entsprechend,<br />

wird <strong>der</strong> Dienst <strong>der</strong> <strong>Schwiegermutter</strong> nur noch auf Jesus bezogen. Dass hinter dem ganzen<br />

Wun<strong>der</strong>geschehen schließlich Gott selbst steht und <strong>der</strong> Wun<strong>der</strong>täter Jesus mit diesem<br />

rettenden Gott aufs Engste verbunden ist, macht die matthäische Erzählung in V. 15 durch die<br />

Verwendung <strong>des</strong> Verbs „sie wurde aufgerichtet“ (in <strong>Mk</strong> 1,31 richtet Jesus die Frau auf)<br />

deutlich, eine Form, die man als theologisches Passiv (vgl. Mt 9,25; 14,2), das Gott verhüllt<br />

als eigentlichen Handlungsträger anzeigt, deuten kann (Fiedler 2006, 205f.). Insgesamt ist die<br />

matthäische Version <strong>der</strong> <strong>Heilung</strong>sgeschichte ein Beispiel dafür, wie durch Kürzungen <strong>der</strong><br />

Vorlage eine Konzentration auf den Wun<strong>der</strong>täter Jesus erfolgt – letztlich ein Mosaikstein in<br />

<strong>der</strong> Entwicklung zu einer höheren Christologie.<br />

Mit dieser frühen Wirkungsgeschichte <strong>der</strong> markinischen Erzählung von <strong>der</strong> <strong>Heilung</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Schwiegermutter</strong> kommt die Rezeption allerdings nicht an ihr Ende. Liturgisch finden die<br />

markinische und matthäische Version im Rahmen <strong>der</strong> gegenwärtigen römisch-katholischen<br />

Leseordnung Verwendung, vor allem auch anlässlich von Gottesdiensten mit Kranken und zur<br />

Krankensalbung. Hier setzt sich eine schon in <strong>der</strong> Alten Kirche bewährte Praxis fort,<br />

entsprechende Wun<strong>der</strong>geschichten Kranken im Rahmen von <strong>Heilung</strong>sversuchen vorzulesen<br />

(Kollmann 1996, 361). Topographisch-archäologisch bedeutsam ist das so genannte Haus <strong>des</strong><br />

Petrus in Kafarnaum, jene Wohninsula in unmittelbarer Nähe zur archäologisch gesicherten<br />

Synagoge, über <strong>der</strong> wohl im 4./5. Jh. n. Chr. eine oktogonale Kirche zur Erinnerung an das<br />

Wun<strong>der</strong> und Markierung <strong>des</strong> Wun<strong>der</strong>ortes errichtet wurde und sich auch heute eine christliche<br />

Kirche befindet, die die Ausgrabungen wie ein Zelt überdacht und dem Besucher für eine<br />

Besichtigung Schatten spendet.<br />

(6.) Literatur zum Weiterlesen<br />

M. Fan<strong>der</strong>, Die Stellung <strong>der</strong> Frau im Markusevangelium. Unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung<br />

kultur- und religiongsgeschichtlicher Hintergründe, MThA 8, Alternberge 2 1990, 17–34.<br />

A. Hentschel, Diakonia im Neuen Testament. Studien zur Semantik unter beson<strong>der</strong>er<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> Rolle von Frauen, WUNT II/226, Tübingen 2007, 200–202.<br />

H. Kinukawa, Frauen im Markusevangelium. Eine japanische Lektüre, Luzern 1995, 136–<br />

139.<br />

H.-J. Venetz, Er geht euch voraus nach Galiläa. Mit dem Markusevangelium auf dem Weg,<br />

Freiburg (Schweiz) 2005, 70f.<br />

Markus Lau

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