Partizipation in der Arbeit mit Kindern - und Jugendarbeit in der EKHN

Simone Reinisch
Achtes Sozialgesetzbuch,
Kinder- und
Jugendhilfegesetz
(KJHG)
„Wie halte ich es mit der
Beteiligung von Kindern?“
Der Prüfstein für
die eigene pädagogische
Auffassung.
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Partizipation in der Arbeit mit Kindern
Partizipation in der Arbeit mit Kindern
„Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie
betreffenden Entscheidungen... zu beteiligen“ (1)
So steht es im deutschen Kinder- und Jugendhilfegesetz. Kinder- und Ju-
gendverbände sind aufgefordert und in aller Regel tun sie es auch, Kinder
und Jugendliche bei Entscheidungen zu beteiligen. In der Praxis der Arbeit
mit Kindern stellen sich die Verantwortlichen häufig die Frage, wie und ab
welchem Alter, Kinder in der Lage sind mitzuentscheiden, bzw. Entschei-
dungen zu treffen.
Der „Boom“ von Kinderforen und -parlamenten fragt eher danach in wel-
cher Weise Kinder in politischen Entscheidungen mit einbezogen werden
können.
Diese Projekte sind sinnvoll, wenn sie Kinder nicht instrumentalisieren,
doch per se eher für ältere Kinder und Jugendliche geeignet.
Aus pädagogischer Sicht reichen solche Beteiligungsmodelle nicht aus,
schon gar nicht in der Evangelischen Arbeit mit Kindern.
Viel wichtiger ist es, den Kindern, die kontinuierlich und zu Projekten kom-
men, regelmäßig Partizipation zu ermöglichen. Das bedeutet, dass Kinder
von vorneherein ihre Räume und die Angebote mit- und umgestalten kön-
nen. Und das ist zuerst eine Frage der Haltung der Verantwortlichen. Mit-
gestaltungsmöglichkeiten müssen eingeübt werden, in der Regel von Päda-
gog/innen und Kindern.
„Die Frage: „Wie halten wir es mit der Partizipation von Kindern?“ ist unter
anderem eine Art Prüfstein für die eigene pädagogische Grundauffas-
sung.“(2)
„Neue Beteiligungsformen gibt es viele, drei davon sind verbreitet (3).“
Das sind erstens die repräsentativen Beteiligungsformen, zu ihnen zählen
Jugendgemeinderäte, sowie Kinder- und Jugendparlamente (4).
„Repräsentative Gremien haben etwa ein Fünftel der beteiligungsaktiven
Gemeinden und Städte eingeführt (5).“
Zweitens sind das die offenen Beteiligungsformen, zu ihnen zählen die Kin-
der- und Jugendforen, Jugendbürgerversammlungen, Kinderkonferenzen
und Jugendhearings (6). Die offenen Beteiligungsformen zeichnen sich durch
einen freien Zugang aller Kinder und Jugendlichen aus. Sie haben die Mög-
lichkeit, spontan teilzunehmen (7).

Partizipation in der Arbeit mit Kindern
Drittens sind das die projektorientierten Beteiligungsformen, zu ihnen zäh-
len Stadtteilerkundungen (Detektivspiele, Kinderstadtplan), Sozialraum-
gestaltung (Spielplätze, Trendsportanlagen, Schulhöfe), kinder- und jugend-
kulturelle Aktionen, Jugendhilfeplanung und Flächennutzungsplan (Bau-,
Infrastruktur- , Verkehrsplanung) (8).
Grundlage für alle Beteiligungsformen sind sowohl das Kinder- und Ju-
gendhilfegesetz (KJHG), sowie die UN-Kinderrechtskonvention.
Die „neuen“ Beteiligungsformen geben Kindern und Jugendlichen Möglich-
keiten der Teilhabe.
Jedoch ist deutlich, dass bereits mit der Auswahl der Beteiligungsform eine
Vorentscheidung getroffen wird, welche Kinder und ob überhaupt Kinder
oder Jugendliche angesprochen werden.
So müssen sich Verantwortliche klar darüber sein, dass die Wahl der Form
bereits nur bestimmte Zielgruppen ansprechen kann und deshalb nur eine
gewisse Reichweite von Partizipation ermöglicht (9).
Kinder und Jugendliche, die sich beispielsweise von Arbeitsformen und
regelmäßigen Sitzungen, Diskussionen, Wahlen, Beschlüssen und Aktionen
(noch) nicht angesprochen fühlen, werden in der Regel weder von reprä-
sentativen Beteiligungsformen, noch von offenen Formen angesprochen.
Mit den projektorientierten Beteiligungsformen verhält es sich anders, da
dadurch in der Regel ein breites Spektrum von Teilnehmer/innen angespro-
chen wird. Aber auch hier gilt, wie in allen anderen Projekten, entscheidend
ist, dass die Verantwortlichen wollen, dass Kinder und Jugendliche sich
wirklich einmischen, bzw. sie als gleichberechtigte Menschen mit eigener
Subjektstellung begreifen. Sobald Kinder und Jugendliche merken, dass sie
instrumentalisiert werden von der Kommune, den Vereinen, Verbänden
oder Kirche, wenn gestartete Aktionen sich als „Spielwiesen“ entpuppen,
aus denen keine Veränderungen erfolgen, dann sind alle Beteilungsmodelle
gleich welcher Couleur zum Scheitern verurteilt.
Wichtig ist, dass Partizipation sich gerade in der Evangelischen Kinder- und
Jugendarbeit in allen Gruppen und Aktivitäten wiederfindet.
„Partizipation von Kindern und Jugendlichen muss immer die Bereitstel-
lung von Partizipationsräumen und die Entwicklung von Partizipationsfä-
higkeiten beinhalten (10).“
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UN-Kinderrechtskonvention
Partizipation beinhaltet
die Bereitstellung von
Räumen und die Entwicklung
von Partizipationsfähigkeiten.

Partizipation geschieht
im alltäglichem Leben
und vollzieht sich sogleich
in Beziehungen.
Versammlung der
Kinder.
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Partizipation in der Arbeit mit Kindern
Es muss den Verantwortlichen, also Pädagog/innen auf der einen Seite und
Anstellungs- und Entscheidungsträger/innen auf der anderen Seite darum
gehen, Partizipation grundsätzlich verwirklichen zu wollen und Kinder
(und Jugendliche) darin zu unterstützen „sich Beteiligungsfähigkeiten anzu-
eignen und ständig zu verbessern (11).“
Solche Mitgestaltungsmöglichkeiten müssen gelernt werden von allen Be-
teiligten. Pädagog/innen haben darin eine wirkliche, eine politische Auf-
gabe. Sie müssen von ihnen initiiert und begleitet werden, dazu gehört auch
die Fortbildung von ehrenamtlichen Mitwirkenden und Honorarmitarbei-
ter/innen.
Laut Knaur und Brandt sind damit zwei Ziele verbunden:
Es geht um
die Verbesserung kindlicher Lebensräume (in der Gemeinde, der
Kindertagesstätte, der Schule, etc.) durch die Beteiligung derer, die am
ehesten „Experten in eigener Sache“ sind – die Kinder und Jugendli-
chen.
Die Entwicklung von Demokratiefähigkeit durch die Erfahrung, dass ich
mitverantwortlich für meine Lebenswelt bin, ich habe Möglichkeiten,
Einfluss zu nehmen (12).
Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Kirchengemeinden, De-
kanaten und Einrichtungen müssen in den Alltagssituationen erfolgen. „Nur
das, was alltäglich als Selbstverständlichkeit erlebt und eingeübt wird, kann
von Kindern als Kompetenz erworben werden, auf die später zurückgegrif-
fen werden kann (13).“
Zur Verwirklichung von Partizipation, die im alltäglichen Leben mit Kin-
dern geschieht, also eine „Partizipation in Beziehung (14)“ ist, gibt es keine
Rezepte oder nur den einen sinnvollen Weg. Es gibt viele Wege, die be-
schritten werden können und es gibt viele Modelle, bei denen man sich An-
regungen holen kann.
Ein mögliches Modell ist die Versammlung der Kinder, dies ist ein Partizi-
pationsmodell, das schon Janusz Korczak und Maria Montessori mit Kin-
dern verwirklicht haben, um miteinander ins Gespräch zu kommen, bzw.
dass Kinder sich mitteilen, was ihnen wichtig ist.
In Kinderversammlungen geht es um Regeln für das gemeinsame Leben,
Spielen und Arbeiten. Vor allem geht es darum, Lösungsmöglichkeiten für

Partizipation in der Arbeit mit Kindern
Konflikte zu finden. Oder bei aktuellen Vorhaben und Problemen, gemein-
sam nach Möglichkeiten zu suchen und spontan die Kinderversammlung
einzuberufen. Bei sehr großen Gruppen ist das im Plenum nicht möglich, so
dass (gewählte) Kinder in Kleingruppen Regeln, Problemlösungen, etc. erar-
beiten können, um sie dann der Großgruppe zu präsentieren. Kinder lernen
so nebenher sich in großen Gruppen zu äußern, ihre Ideen zu präsentieren
und den Diskussionsprozess zu moderieren.
Eine weitere Möglichkeit sind die Morgenkreise, Stuhlkreise, bzw. Ab-
schlussrunden. Sie sind in vielen Kindergruppen selbstverständlich zu Be-
ginn der Gruppenstunden. Sie sind auch ein häufiges Instrument bei Ferien-
spielen und Freizeiten, so dass die Kinder, die zeitweise in Kleingruppen
gearbeitet haben „verschiedene Ergebnisse präsentieren sollen und dürfen.
Diese Arbeitsergebnisse oder auch Sichtweisen gilt es in einem gemeinsa-
men Sitzkreis aufzuarbeiten und auszutauschen (15).“
In Sitzkreisen sollte eingeübt werden, dass die Kinder selbst moderieren
bzw. sich ein/e Kindermoderator/in wählen. Die Sitzkreise werden bereits
häufiger genutzt als die Kinderversammlungen, da die Kinder von ihren
Erlebnissen und Gefühle erzählen können (16).
Eine weitere Möglichkeit ist ein Zeitungsprojekt von und für Kinder. Den
Kindern wird dadurch die Möglichkeit eröffnet, sich gegenseitig, aber auch
den Eltern und Pädagog/innen sich mitzuteilen und ihre Arbeit zu doku-
mentieren.
„Zeitungen für Kinder gibt es heute viele. Zeitungen von Kindern sind aber
eher die Ausnahme geblieben (17).“
Ähnlich wie ein Zeitungsprojekt könnten heute auch andere Medien, wie
Radiosendungen, Dokumentationen auf Kassettenrecorder, Video und In-
ternet genutzt werden, wie das vielfach schon geschieht. Leider werden
solche Medien eher für Jugendliche, aber immer noch selten mit und für
Kinder eingesetzt.
Um Kinder angemessen zu beteiligen, sollte es auch immer Auswertungs-
runden und Erhebungen durch Fragebögen oder Interviews geben, um von
Kindern zu erfahren, was sie warum befürworten und weiterhin gestalten
möchten.
Partizipation lässt sich dann gut gestalten, wenn man möglichst nah an den
Erfahrungen und der Lebenswelt der Kinder ansetzt. Da aus der Kindheits-
forschung bekannt ist, dass in erster Linie die Familie, dann die Schule und
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Morgenkreise,
Stuhlkreise,
Abschlussrunden.
Zeitungsprojekt
Radiosendungen,
Dokumentationen auf
Kassettenrecorder,
Video, Internet.
Auswertungsrunden,
Erhebungen durch
Fragebögen oder
Interviews.
An den Erfahrungen
der Kinder ansetzen

Wohnumgebung
„besetzen“
Beteiligung der Eltern
Die Pädagogin/der
Pädagoge als Hörende/r,
Annehmende/r und
Lernende/r.
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Partizipation in der Arbeit mit Kindern
drittens die Wohnumgebung für Kinder eine wichtige Rolle für ihr Wohlbe-
finden spielen, ist es wichtig die Plätze in ihrer näheren Wohnumgebung
mit ihnen und für sie zu „besetzen“. Von Kindern werden Spiel- und Frei-
zeitangebote, begrünte Gebiete und mehr Natur in ihrer Nähe bevorzugt (18).
Und wer solche Schritte der Beteilung gegangen ist mit Kindern und ihre
Alltagserfahrungen so in den Mittelpunkt des Interesses und Geschehens
rückt, wird in der Regel auch das nahe soziale Umfeld der Kinder mitbetei-
ligen, d.h. in erster Linie die Eltern.
Das ist ein Phänomen, das sehr stark in den 70er Jahren in den sogenannten
Kinderläden vorherrschte. Heute sind vielfach aus diesen Kinderläden El-
terninitiativen geworden, mit einer großen Bereitschaft auf die Individuali-
tät von Eltern und Kindern einzugehen, aber ihre Mitarbeit beim Putzen,
Kochen und „Betreuen“ stringent einzufordern (19).
Wer in solcher Weise Kinder mitgestalten lässt, wird zwangsweise umges-
talten, aber auch umgestaltet werden, sie/er wird so zum Hörenden/An-
nehmenden und Lernenden und kann schlechterdings Wissen von oben
herab verkünden.
In diesem Sinne versteht sich die Evangelische Arbeit mit Kindern als ein
Experimentier-, Lern- und Übungsfeld von aktiver Teilhabe, um mit Kin-
dern Beteiligungskirche erlebbar zu machen (20).
Anmerkungen:
(1) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BFSFJ) (Hrsg.:) Achtes Buch
Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfegesetz, Bonn 1997
(2) R. Knauer, P. Brandt, Kinder können mitentscheiden, Beteiligung von Kindern und
Jugendlichen im Kindergarten, Schule und Jugendarbeit, Neuwied, Kriftel, Berlin 1998,
Seite 12
(3) vgl. dazu: BFSFJ (Hrsg.:) Partizipation – ein Kinderspiel?, Beteiligungsmodelle in
Kindertagesstätten, Schulen, Kommunen und Verbänden, Berlin 2001, Seite 53 ff.
(4) vgl. dazu: BFSFJ (Hrsg.:) Elfter Kinder- und Jugendbericht, Bericht über die
Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in
Deutschland, Berlin 2001, Seite 192 ff.
(5) vgl. dazu BFSFJ (Hrsg.:) Partizipation – ein Kinderspiel?, Beteiligungsmodelle in
Kindertagesstätten, Schulen, Kommunen und Verbänden, Berlin 2001, Seite 53
(6) vgl. dazu: BFSFJ (Hrsg.:) Elfter Kinder- und Jugendbericht, Bericht über die
Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in
Deutschland, Berlin 2001, Seite 192
(7) vgl. dazu BFSFJ (Hrsg.:) Partizipation – ein Kinderspiel?, Beteiligungsmodelle in
Kindertagesstätten, Schulen, Kommunen und Verbänden, Berlin 2001, Seite 57
(8) vgl. dazu: BFSFJ (Hrsg.:) Elfter Kinder- und Jugendbericht, Bericht über die
Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in
Deutschland, Berlin 2001, Seite 192
(9) vgl. dazu: BFSFJ (Hrsg.:) Partizipation – ein Kinderspiel?, Beteiligungsmodelle in
Kindertagesstätten, Schulen, Kommunen und Verbänden, Berlin 2001, Seite 57
(10) R. Knauer, P. Brandt, Kinder können mitentscheiden, Beteiligung von Kindern und
Jugendlichen im Kindergarten, Schule und Jugendarbeit, Neuwied, Kriftel, Berlin 1998,
Seite 82
(11) ebd., Seite 82

Partizipation in der Arbeit mit Kindern
(12) ebd., Seite 83 f.
(13) ebd., Seite 85
(14) ebd., Seite 86
(15) vgl. dazu U. Carle, A. Kaiser (Hrsg.:) Rechte der Kinder, Hohengehren 1998, Seite 73
(16) vgl auch: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.:), DJI Bulletin, Beteiligungsmöglichkeiten in
Kindertagesstätten, Heft 55, München 2002, Seite 7
(17) R. Knauer, P. Brandt, Kinder können mitentscheiden, Beteiligung von Kindern und
Jugendlichen in Kindergarten, Schule und Jugendarbeit, Neuwied, Kriftel, Berlin 1998,
Seite 22
(18) vgl. auch: Hessisches Sozialministerium (Hrsg.:), Aktionsprogramm Partizipation, Ergebnisbericht,
Wiesbaden (ohne Jahr), Seite 100
(19) R. Knauer, P. Brandt, Kinder können mitentscheiden, Beteiligung von Kindern und
Jugendlichen in Kindergarten, Schule und Jugendarbeit, Neuwied, Kriftel, Berlin 1998,
Seite 49
(20) siehe auch: Amt für Kinder- und Jugendarbeit der EKHN (Hrsg.), Bericht zur Lage der
Jugend und zur Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der EKHN, Darmstadt 2002, Seite
64
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