medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios
medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios
medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
medtropole Aktuelles<br />
Nr. 16 Januar 2009<br />
HIRNMETASTASEN<br />
Was nun?<br />
MATERNALE THROMBOPHILIE<br />
Frühe intrauterine Wachstumsretardierung<br />
BURNOUT – THERAPIE UND PRÄVENTION<br />
Psychosomatisches Fachzentrum Falkenried<br />
<strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>einweisende</strong> <strong>Ärzte</strong>
Impressum<br />
Redaktion<br />
Jens Oliver Bonnet<br />
(verantw.)<br />
Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />
Prof. Dr. Christian Arning<br />
PD Dr. Oliver Detsch<br />
Dr. Birger Dulz<br />
PD Dr. Siegbert Faiss<br />
Dr. Christian Frerker<br />
Dr. Annette Hager<br />
Dr. Susanne Huggett<br />
Prof. Dr. Uwe Kehler<br />
Dr. Jürgen Ma<strong>der</strong>t<br />
Dr. Ulrich Müllerleile<br />
Dr. Ursula Scholz<br />
PD Dr. Gunther Harald Wiest<br />
Prof. Dr. Gerd Witte<br />
Cornelia Wolf<br />
Her<strong>aus</strong>geber<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />
Hamburg GmbH<br />
Unternehmenskommunikation<br />
Rudi Schmidt V. i. S. d. P.<br />
Rübenkamp 226<br />
22307 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-82 66 36<br />
Fax (0 40) 18 18-82 66 39<br />
E-Mail:<br />
medtropole@asklepios.com<br />
Auflage: 15.000<br />
Erscheinungsweise:<br />
4 x jährlich<br />
ISSN 1863-8341<br />
Editorial<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
<strong>der</strong> Aust<strong>aus</strong>ch zwischen <strong>Klinik</strong> und Praxis wird immer wie<strong>der</strong> von Kolleginnen<br />
und Kollegen als zentrales Anliegen unserer fachlichen Kommunikation<br />
genannt – erweist sich jedoch häufig als Stiefkind, nicht zuletzt behin<strong>der</strong>t<br />
durch strukturelle Vorgaben unseres Gesundheitssystems. Hier hat die medtropole<br />
eine wichtige Schlüsselfunktion übernommen und sich zu einem zentralen<br />
Kommunikationsmedium zwischen <strong>Klinik</strong>ärzten und Nie<strong>der</strong>gelassenen entwickelt.<br />
Als Vertreter eines Faches, das auf Kommunikation beson<strong>der</strong>en Wert legt,<br />
möchte ich insbeson<strong>der</strong>e den Sprachstil <strong>der</strong> Zeitschrift hervorheben: Klar und einprägsam, nicht<br />
belastet von zu viel wissenschaftlichen Verweisen und frei von dem, was Nie<strong>der</strong>gelassene oft als<br />
„Arroganz <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong>er“ erleben. Der Redaktion sei Dank!<br />
In <strong>der</strong> vorliegenden Ausgabe wird gleich zu Beginn die Fachkenntnis über das Symptom Depressivität<br />
getestet und am Beispiel <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung dargelegt. Die Differenzierung<br />
des therapeutischen Vorgehens zwischen <strong>der</strong> „gewöhnlichen Depression“ und <strong>der</strong>jenigen<br />
bei Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörungen ist von großer klinischer Bedeutung, <strong>für</strong> die Würdigung<br />
<strong>der</strong> Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen gebührt den Autoren zusätzlicher Dank.<br />
Der nächste Beitrag weist auf die klinische Bedeutung von Aortendissektion und -aneurysma hin<br />
sowie auf die Bedeutung einer frühzeitigen Diagnose. Die Zunahme periprothetischer Frakturen<br />
und die Notwendigkeit einer raschen Mobilisation bei den meist geriatrischen Patienten heben<br />
die nächsten Autoren hervor. Die Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität und -erwartung durch neurochirurgische<br />
Intervention bei Hirnmetastasen zeigt die beeindruckenden Möglichkeiten mikrochirurgischer<br />
Eingriffe. Zwei interessante und lehrreiche Fallbeispiele <strong>aus</strong> dem weiteren Umfeld<br />
<strong>der</strong> Geburtshilfe finden Sie in diesem Heft <strong>aus</strong> den Bereichen Pränatalmedizin und Neurochirurgie:<br />
Einmal geht es um den Zusammenhang zwischen Thrombophilien und fetalen Wachstumsretardierungen,<br />
einmal bedroht ein Hämangiom im Bereich <strong>der</strong> BWK die Schwangerschaft. Ein weiteres<br />
wichtiges Thema ist die State-of-the-art-Diagnostik <strong>der</strong> Halsarterien-Dissektion und ihre Bedeutung<br />
<strong>für</strong> die Schlaganfallprävention. Beson<strong>der</strong>e Bedeutung <strong>für</strong> die Zusammenarbeit von <strong>Klinik</strong><br />
und Praxis hat das Ambulante Studienzentrum in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg. Dem nie<strong>der</strong> -<br />
gelassenen Arzt wird die Möglichkeit zur Kooperation mit den <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en geboten, <strong>der</strong><br />
H<strong>aus</strong>- o<strong>der</strong> Facharzt empfiehlt seinen Patienten die Teilnahme an einer durch die <strong>Klinik</strong> durchgeführten<br />
Studie, wird fortlaufend über die Ergebnisse informiert und ermöglicht so Behandlungen<br />
außerhalb seines Praxisbudgets. Möglich sind auch Unterstützung bei <strong>der</strong> Durchführung klinischer<br />
Studien in <strong>der</strong> Praxis o<strong>der</strong> gemeinsame klinische Studien.<br />
Burnout ist das Thema des eigenen Beitrags. Diese immer weiter verbreitete Form <strong>der</strong> Dekompensation<br />
auf psychischer und psychosomatischer Ebene bedarf beson<strong>der</strong>er therapeutischer Konzeptionen.<br />
Ein spezieller Schwerpunkt des Beitrags ist die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Burnout-Syndromen<br />
in <strong>der</strong> <strong>Ärzte</strong>schaft, <strong>der</strong>en Häufigkeit eindrucksvoll ist. So ist allen Betroffenen im Bereich<br />
<strong>der</strong> Medizin Mut zu machen, sich bei Bedarf mit dieser Problematik <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>zusetzen und<br />
fachliche Hilfe aufzusuchen.<br />
Mit besten Wünschen <strong>für</strong> ein erfolgreiches neues Jahr<br />
Ihr<br />
Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />
Ärztlicher Direktor, <strong>Asklepios</strong> Westklinikum Hamburg
Inhalt<br />
612 | PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE<br />
Symptom Depressivität<br />
616 | HERZCHIRURGIE<br />
Chirurgische Aspekte akuter und chronischer Erkrankungen <strong>der</strong><br />
Aorta ascendens und des Aortenbogens<br />
620 | UNFALLCHIRURGIE<br />
Periprothetische Frakturen<br />
623 | NEUROCHIRURGIE<br />
Hirnmetastasen – was nun?<br />
626 | PRÄNATALMEDIZIN<br />
Frühe intrauterine Wachstumsretardierung<br />
bei maternaler Thrombophilie<br />
628 | NEUROCHIRURGIE UND -RADIOLOGIE<br />
Eine schwierige Geburt –<br />
Größenprogredientes Hämangiom des 8. BWK einer Schwangeren<br />
631 | PERSONALIA<br />
632 | NEUROLOGIE<br />
Diagnostik <strong>der</strong> Halsarterien-Dissektion<br />
636 | FORSCHUNG<br />
Ambulantes Studienzentrum –<br />
Plattform zur Kooperation<br />
637 | PSYCHOSOMATIK<br />
Burnout-Syndrom –<br />
Therapie und Prävention im Psychosomatischen Fachzentrum Falkenried<br />
640 | GESCHICHTE DER MEDIZIN<br />
Rettende Stromstöße <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Schuhcremedose<br />
S. 616<br />
S. 623<br />
S. 632
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
Symptom Depressivität<br />
Dr. Charlotte Ramb, Dr. Birger Dulz<br />
Rund 20 Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung leiden im Laufe des Lebens zumindest einmal unter einer klinisch relevanten<br />
depressiven Störung [4] und Depressionen werden vor<strong>aus</strong>sichtlich bis zum Jahr 2020 weltweit die zweithäufigste<br />
Ursache <strong>für</strong> Arbeitsunfähigkeit sein. [9] Dabei ist von einer großen Vielfalt bezüglich einer depressiven Symptomatik<br />
<strong>aus</strong>zugehen: Bei rund <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong> Betroffenen besteht eine prognostisch ungünstige Komorbidität mit weiteren<br />
psychischen Störungen. [2,7] Während von <strong>der</strong> Depression als eigenständigem Krankheitsbild (z. B. Major Depression<br />
– ICD-10: F32.2) in <strong>der</strong> nächsten Ausgabe zu lesen sein wird, soll hier eine Übersicht geliefert werden,<br />
welche an<strong>der</strong>en Störungsbil<strong>der</strong> und Krankheiten mit dem Auftreten einer depressiven Symptomatik, einer<br />
Depressivität, assoziiert sind. So wird deutlich, wie sich die hohe Prävalenz einer depressiven Symptomatik<br />
erklärt. Klinisch relevant wird die Differenzialdiagnostik auch, weil ein zum Beispiel depressiver Patient mit einer<br />
zugrunde liegenden Bor<strong>der</strong>line-Störung besser „Bor<strong>der</strong>line-spezifisch“ behandelt wird als allein die Depressivität<br />
zu beachten.<br />
Bei den folgenden Störungsbil<strong>der</strong>n kommt eine depressive Symptomatik häufig vor:<br />
Krankheit ICD-10 Anmerkung<br />
Karzinome und an<strong>der</strong>e somatische Erkrankungen<br />
Demenz F00 ICD-10: Differenzialdiagnosen: depressive Störung (F30-39)<br />
Organische affektive Störungen F06.3 ICD-10: Organische depressive Störung (F06.32)<br />
Entzugssyndrom F1x.3 ICD-10: Angst, Depression, Schlafstörungen<br />
Schizophrenie F20.4 ICD-10: Depressive Symptome (können) quälend im Vor<strong>der</strong>grund stehen<br />
Phobische Störung F40 ICD-10: … tritt häufig gleichzeitig mit Depression auf<br />
Generalisierte Angststörung<br />
ICD-10: Beson<strong>der</strong>s ... Depression … schließt eine generalisierte Angststörung als Hauptdiagnose<br />
F41.1<br />
nicht <strong>aus</strong><br />
Angst und depressive Störung, gemischt F41.2<br />
Zwangsstörung F42.0 ICD-10: Enge Verbindung zwischen Zwangssymptomen … und Depression<br />
Posttraumatische Belastungsstörung F43.1 ICD-10: Angst und Depression sind häufig<br />
Hypochondrische Störung F45.2 ICD-10: Häufig beträchtliche Depression und Angst<br />
Somatoforme Störung F45.4 ICD-10: Offensichtlich depressive Symptome<br />
Leichte psychische und Verhaltensstörung im Wochenbett F53.0 ICD-10: Postpartale Depression<br />
Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung F60.31 Emotionale Instabilität; häufig depressive Symptomatik (siehe hierzu unten)<br />
Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung<br />
ICD-10: Umfassende Gefühle von ... Besorgtheit, … Gefühle von … Min<strong>der</strong>wertigkeit.<br />
F60.6<br />
Isolierung … kann depressive Verstimmungen bedingen [8]<br />
Abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung F60.7 10 – 20 % Depression [8]<br />
Narzisstische Persönlichkeitsstörung F60.8 Narzisstische „innere Leere“ und depressive Verstimmung [8]<br />
Andauernde Persönlichkeitsän<strong>der</strong>ung nach Extrembelastung F62.0 ICD-10: Gefühl <strong>der</strong> Leere und Hoffnungslosigkeit<br />
612
Depressivität am Beispiel <strong>der</strong><br />
Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung<br />
Bei Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung<br />
auf Bor<strong>der</strong>line-Strukturniveau kann<br />
es im Verlauf zu schweren, manchmal<br />
lebensbedrohlichen depressiven Verstimmungen<br />
kommen. Während bei neurotischen<br />
Depressionen (z. B. Dysthymia –<br />
ICD-10: F34.1, o<strong>der</strong> leichte depressive Episode<br />
– ICD-10: F32.0) und psychotischen<br />
Depressionen (z. B. schwere depressive<br />
Episode mit psychotischen Symptomen –<br />
ICD-10: F32.3) Beschwerden wie Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühle,<br />
Gewissensbisse, Schuldund<br />
Schamgefühle sowie bei psychotischen<br />
Depressionen auch Schuld-, Kleinheits-,<br />
Verarmungs- und Versündigungswahn<br />
bestehen, scheinen bei „Bor<strong>der</strong>line-Depressivitäten“<br />
eher Gefühle <strong>der</strong> Leere und Langeweile<br />
die Grundstimmung zu prägen.<br />
Dem „aufgesetzt“ treten bei emotional<br />
instabilen Patienten depressive Symptome<br />
auch noch in Form heftiger depressivsuizidaler<br />
Krisen auf, als schwere Selbstwertkrisen<br />
mit starkem Selbsthass, Selbstbestrafungstendenzen<br />
und schwerem<br />
selbstverletzendem Verhalten, o<strong>der</strong> aber in<br />
Form plötzlicher depressiver „Abstürze“<br />
bei extremen Stimmungs- und Selbstwertschwankungen<br />
im Sinne von „himmelhochjauchzend-zu-Tode-betrübt“.Schuldzuweisungen<br />
gegen sich selbst und Selbstvorwürfe<br />
<strong>der</strong> Patienten können fehlen. Stattdessen<br />
ist oft eine große depressive Leere<br />
o<strong>der</strong> auch unglaubliche Wut gegen sich<br />
selbst zu spüren, die sich massiv äußern<br />
und bis zu massiven Selbstverstümmelungen<br />
gehen kann. So wie sich die Bor<strong>der</strong> -<br />
line-Störung insgesamt durch eine große<br />
Vielfalt, Wechselhaftigkeit und manchmal<br />
auch Flüchtigkeit ihrer Symptome <strong>aus</strong>zeichnet,<br />
gilt dies auch <strong>für</strong> die depressive<br />
Symptomatik <strong>der</strong> „Bor<strong>der</strong>line“-Patienten<br />
(Polysymptomatik).<br />
Die Patienten schil<strong>der</strong>n <strong>der</strong>artige Zustände<br />
manchmal als grauenhafte, unerträgliche<br />
Leere o<strong>der</strong> aber auch wie ein endloses Fallen.<br />
Oft können sie diese Empfindungen<br />
erst retrospektiv schil<strong>der</strong>n, da sie während<br />
solcher Zustände aufgrund ihres „Abgetrenntseins“<br />
von an<strong>der</strong>en Menschen dazu<br />
kaum in <strong>der</strong> Lage scheinen. Dies scheint<br />
übrigens in deutlichem Kontrast zu neurotischen<br />
Depressionen zu stehen, aber nicht<br />
so sehr zu psychotischen beziehungsweise<br />
„endogenen“ Depressionen. Bei Bor<strong>der</strong>line-<br />
Psychiatrie und Psychotherapie<br />
Depressivitäten spielt <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e (psychoanalytisch:<br />
das Objekt) eine geringe bis gar<br />
keine Rolle, es ist ein subjektbezogener<br />
(allein auf den Patienten selbst bezogener)<br />
und eher objektloser Zustand innerer (narzisstischer)<br />
Leere. [3] Bei neurotischen De -<br />
pressionen spielt <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e eine ebenso<br />
große Rolle wie das Subjekt, also <strong>der</strong><br />
Patient.<br />
Eine sichere Differenzierung zwischen solchen<br />
Zuständen innerer Leere und einer<br />
„echten“ Depression ist natürlich nicht<br />
immer möglich, da ja auch eine schwere<br />
vitale Depression mit quälenden Zuständen<br />
innerer Trostlosigkeit, Gefühllosigkeit<br />
und Leblosigkeit („inneres Abgestorbensein“)<br />
einhergehen kann. Dennoch hat<br />
nach unseren Erfahrungen eine bestimmte<br />
Form <strong>der</strong> Depressivität, die man vielleicht<br />
auch als „frühe Depression“ <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong> -<br />
line-Patienten bezeichnen könnte, eine<br />
an<strong>der</strong>e Qualität als die schweren depressiven<br />
Verstimmungszustände bei primär<br />
depressiv erkrankten Menschen.<br />
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin,<br />
dass Depressivität bei „Bor<strong>der</strong>linern“,<br />
an<strong>der</strong>s als bei den meisten primär depres-<br />
613
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
siv Erkrankten, häufig nicht als solche zu<br />
erkennen ist. Oft besteht eine große Diskrepanz<br />
zwischen dem innerpsychischen Erleben<br />
<strong>der</strong> Betroffenen und ihrer nach außen<br />
gezeigten „heiteren Fassade“. In manchen<br />
Fällen spricht man hier auch von einem<br />
sogenannten Falschen Selbst. [10] Patienten<br />
mit Bor<strong>der</strong>line-Störung haben in den ersten<br />
Lebensjahren schwere emotionale Mangelund/o<strong>der</strong><br />
Gewalterfahrungen durchmachen<br />
müssen. Sie bekamen keine „hinlänglich<br />
gute mütterliche Betreuung in <strong>der</strong> frühen<br />
kritischen Phase“, sodass ihnen kein<br />
sicherer, geborgener, för<strong>der</strong>licher „Übergangsraum“<br />
<strong>für</strong> ihre psychische und emotionale<br />
Entwicklung zur Verfügung stand.<br />
Unter diesen Bedingungen mit unzureichen<strong>der</strong><br />
Feinfühligkeit und Verlässlichkeit<br />
bis hin zur Bedrohlichkeit und Gefährlichkeit<br />
<strong>der</strong> Versorgungspersonen konnten sie<br />
kein stabiles Selbst-Konzept aufbauen.<br />
Stattdessen waren die Betroffenen schon<br />
sehr früh (oft schon im Säuglingsalter!) zu<br />
extremen Anpassungsprozessen und<br />
Abwehrreaktionen im Umgang mit ihren<br />
Bezugspersonen genötigt, etwa um diese<br />
nicht zu verstimmen.<br />
Ähnlich wie Patienten mit einer Bor<strong>der</strong> -<br />
line-Persönlichkeitsstörung haben auch<br />
primär depressiv Erkrankte in ihrer frühen<br />
Kindheit häufig emotionale Mangel- und<br />
traumatische Beziehungserfahrungen<br />
gemacht. Doch weisen Bor<strong>der</strong>line-Patienten<br />
im Vergleich dazu meist wesentlich<br />
stärkere Ich-strukturelle Beeinträchtigungen<br />
auf, eine unreifere Abwehrorganisation<br />
und eine deutlich höhere emotionale Insta-<br />
614<br />
bilität. Dies schützt sie in gewisser Hinsicht<br />
sogar davor, in einen länger andauernden<br />
(objektbezogenen = personenabhängigen)<br />
depressiven Zustand zu geraten.<br />
Zur Gegenübertragung: Dementsprechend<br />
lösen Patienten mit einer primären, also<br />
neurotischen o<strong>der</strong> psychotischen Depression<br />
in <strong>der</strong> Regel im Behandler eindeutigere<br />
und durchgängigere Impulse des Helfenwollens<br />
<strong>aus</strong>. Das stellt sich bei Bor<strong>der</strong>line-<br />
Patienten mit depressiver Stimmungslage<br />
oft ganz an<strong>der</strong>s dar: Die Bor<strong>der</strong>line-Depressivität<br />
kann sich in deutlich an<strong>der</strong>en Ge -<br />
genübertragungsgefühlen im Umgang mit<br />
depressiven „Bor<strong>der</strong>linern“ mitteilen:<br />
Ohnmacht, Leere, Hilflosigkeit, „dumpfes<br />
Grauen“, Irritation, Gleichgültigkeit, Sichabwenden-Wollen,<br />
„abgrundtiefe“ Traurigkeit.<br />
Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Wenn<br />
eine Frau mit einer Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstruktur<br />
gerade von ihrem Freund<br />
verlassen worden und dadurch in eine<br />
psychische Krise geraten ist und nun mit<br />
Selbstmordgedanken in die <strong>Klinik</strong>ambulanz<br />
kommt, wird sie sich vermutlich<br />
ziemlich an<strong>der</strong>s verhalten als eine frisch<br />
verlassene depressiv strukturierte Patientin.<br />
So könnte die Bor<strong>der</strong>line-Patientin<br />
(zunächst noch ähnlich wie die depressive<br />
Patientin) die Tendenz haben, die Behandler<br />
zunächst stark <strong>für</strong> sich einzunehmen,<br />
anschließend aber versuchen, sie massiv<br />
„einzuspannen“ o<strong>der</strong> zu bedrängen – fast<br />
bis zur Erpressung („Sie sind <strong>der</strong> Einzige,<br />
<strong>der</strong> mich jetzt noch retten kann! Sie müs-<br />
sen ihn anrufen und ihm sagen, dass er zu<br />
mir zurückkommen muss! Sonst bringe ich<br />
mich um!“). Wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Personen (o<strong>der</strong><br />
auch nach kurzer Zeit dieselben, die sie<br />
kurz vorher noch idealisiert hat, z. B. <strong>der</strong><br />
behandelnde Arzt) werden von ihr massiv<br />
angeschuldigt, vielleicht auch beschimpft<br />
und bepöbelt, o<strong>der</strong> gar als Verursacher<br />
<strong>für</strong> das erlittene Unglück und Unrecht<br />
<strong>aus</strong>gemacht. Darüber hin<strong>aus</strong> könnte die<br />
Bor<strong>der</strong>line-Patientin dazu tendieren, <strong>für</strong><br />
sie emotional unerträgliche Tatsachen<br />
zwischendurch auch „ganz einfach“ abzustreiten<br />
(„Er liebt mich immer noch, ich<br />
weiß es hun<strong>der</strong>tprozentig, er hat sich gar<br />
nicht wirklich getrennt, er hat es doch gar<br />
nicht so gemeint“). Sie könnte auch mit<br />
Suizid drohen, sich schwere Selbstverletzungen<br />
zufügen und/o<strong>der</strong> dieses ankündigen.<br />
Bei einem Versuch, ein geordnetes<br />
Gespräch zu führen, wird <strong>der</strong> Arzt sie<br />
möglicherweise gar nicht „erreichen“ können:<br />
Sie ist we<strong>der</strong> kommunikationsbereit<br />
noch -fähig, springt stattdessen möglicherweise<br />
von einem Thema zum nächsten, im<br />
Kontakt und in <strong>der</strong> Stimmung extrem<br />
schwankend zwischen anklammernd-bittend<br />
und vorwurfsvoll-gereizt bis schimpfend-drohend.<br />
Auch wird sie eventuell laut<br />
weinen o<strong>der</strong> wie „weggedriftet“ o<strong>der</strong><br />
„abwesend“ wirken, was die Situation<br />
noch undurchsichtiger und bedrohlicher<br />
macht. Kurzum: Ein einziges Chaos …<br />
Therapieverläufe<br />
Von <strong>der</strong> beschriebenen „frühen“, objektlosen<br />
Depressivität zu trennen sind die im
späteren Verlauf <strong>der</strong> Psychodynamischen<br />
Psychotherapie notwendig auftretenden<br />
Phasen <strong>der</strong> Traurigkeit und „reiferen“<br />
Depressivität, die die Patienten durchmachen<br />
müssen, um ihre Therapie voranzubringen.<br />
Entscheidend am „Durchleben“<br />
<strong>der</strong> depressiven Zustände beziehungsweise<br />
<strong>der</strong> Trauer ist <strong>für</strong> die Bor<strong>der</strong>line-Patienten<br />
unter an<strong>der</strong>em, dass sie im Therapieverlauf<br />
lernen können, kaum erträgliche negative<br />
Gefühle besser <strong>aus</strong>zuhalten und dabei<br />
nach und nach besser in ihre möglichen<br />
Bestandteile zu differenzieren: Wut, Angst,<br />
Enttäuschung, Scham, Ekel etc. (Arbeit an<br />
Affekttoleranz und Affektdifferenzierung).<br />
Vor allem können sie die wichtige Erfahrung<br />
machen, beim Durchleben dieser<br />
Gefühle nicht allein zu sein, dass an<strong>der</strong>e<br />
(zunächst das Behandlungsteam) <strong>für</strong> sie<br />
„da“ sind und sie trösten und beruhigen,<br />
ihnen gegebenenfalls auch helfen, das<br />
Erlebte in Worte zu fassen (Mentalisierungsarbeit).<br />
Indem das Behandlungsteam<br />
sich ihrer aktuellen und früheren Probleme<br />
und Leidensgeschichten annimmt, kann es<br />
den Patienten gelingen, die negativen<br />
Gefühle zuzuordnen, sie möglicherweise<br />
auch in einen aktuellen o<strong>der</strong> früheren<br />
Beziehungszusammenhang, zum Beispiel<br />
Erlebnisse mit einem Elternteil, einzuordnen.<br />
Dies kann extrem schmerzlich, traurig,<br />
dabei zwar entlastend und notwendig,<br />
aber gleichzeitig auch unerträglich und<br />
zunächst einmal „unfassbar“ sein.<br />
Traurigkeit o<strong>der</strong> besser Trauer ist generell<br />
ein reifer, also anzustreben<strong>der</strong>, <strong>für</strong> unsere<br />
Patienten aber oft sehr harter und manch-<br />
mal auch gefährlicher Weg zur Bearbeitung,<br />
den wir in <strong>der</strong> „Beziehungszentrierten<br />
Psychodynamischen Psychotherapie“<br />
trotzdem insgesamt för<strong>der</strong>n. Er kann<br />
manchmal sowohl <strong>für</strong> den Patienten als<br />
auch <strong>für</strong> das Team ebenso schwer <strong>aus</strong>zuhalten<br />
wie zu kontrollieren sein. Unter<br />
Umständen kann Trauer sogar zu einer<br />
akuten Suizidalität führen. Aber: Nur <strong>aus</strong><br />
<strong>der</strong> durchlebten Trauer können Verän<strong>der</strong>ung<br />
und Neues erwachsen.<br />
Medikation<br />
Dass die Depressivität bei Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung<br />
an<strong>der</strong>s ist als eine<br />
„klassische“ Depression, zeigt auch die<br />
Wirkungslosigkeit sonst wirksamer Antidepressiva.<br />
Dementsprechend lautet die<br />
Empfehlung <strong>der</strong> „Gesellschaft zur Erforschung<br />
und Therapie von Persönlichkeitsstörungen<br />
(GePs) e.V.“ zur Pharmakotherapie<br />
bei Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörungen,<br />
Trizyklische Antidepressiva seien nicht<br />
empfehlenswert: „Bei relativ hoher Toxizität<br />
ist <strong>der</strong> Nutzen sehr zweifelhaft<br />
(‚unwirksam‘) und lag teilweise nur im<br />
Bereich von Plazebo.“ [1,5] Dies ist gewissermaßen<br />
ein pharmakogener Beleg da<strong>für</strong>,<br />
dass Depressivität und Depression „zwei<br />
paar Schuhe“ sein müssen – an<strong>der</strong>s wäre<br />
die völlig unterschiedliche Wirksamkeit<br />
von zum Beispiel Amitriptylin nicht zu<br />
erklären.<br />
Literatur<br />
[1] American Psychiatric Association (APA) (2005). Leit -<br />
linien zur Behandlung <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeits -<br />
störung. Bern: Huber.<br />
[2] Bramesfeld A, Schwartz FW (2007). Volkskrankheit<br />
Depression: Bestandsaufnahme und Perspektiven. Psychiatr<br />
Prax 2007; 34(Suppl. 3): S247-51.<br />
[3] Dulz B (2000) Der Formenkreis <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Störungen:<br />
Versuch einer deskriptiven Systematik. In: Kernberg<br />
OF, Dulz B, Sachsse U (Hrsg.) Handbuch <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-<br />
Störungen. Stuttgart: Schattauer; 57-74.<br />
[4] Klesse C, Bermejo I, Härter M (2007) Neue Versorgungsmodelle<br />
in <strong>der</strong> Depressionsbehandlung. Nervenarzt.<br />
2007; 78 Suppl 3: 585-94.<br />
[5] Moleman P, van Dam K, Dings V (2000). Pharmakotherapie<br />
<strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung – aktueller<br />
Wissensstand und Behandlungskonzepte. In: Handbuch<br />
<strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Störungen. Kernberg OF, Dulz B, Sachsse U<br />
(Hrsg). Stuttgart: Schattauer; 655-72.<br />
[6] Rudolf G (2003) Störungsmodelle und Interventionsstrategien<br />
in <strong>der</strong> psychodynamischen Depressionsbehandlung.<br />
Z Psychosom Med Psychother; 49, 363-76.<br />
[7] Rudolf S, Bermejo I, Schweiger U, Hohagen F, Härter M<br />
(2006) Diagnostik depressiver Störungen. Dt. <strong>Ärzte</strong>blatt<br />
103(25): A1754-62.<br />
[8] Tress W, Wöller W, Hartkamp N, Langenbach M, Ott J<br />
(2002) Persönlichkeitsstörungen. Leitlinie und Quellentext.<br />
Stuttgart: Schattauer.<br />
[9] Vasic N, Wolf RC, Walter H (2007) Exekutive Funktionen<br />
bei depressiven Patienten. Nervenarzt 78: 628-640.<br />
[10] Winnicott, DW (1960) Ich-Verzerrung in Form des<br />
Wahren und des Falschen Selbst. In: D. W. Winnicott, Reifungsprozesse<br />
und för<strong>der</strong>nde Umwelt. München: Kindler<br />
1974.<br />
Kontakt<br />
Dr. Charlotte Ramb<br />
Psychiatrie und Psychotherapie<br />
II. Psychiatrie –<br />
Persönlichkeitsstörungen/Trauma<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Ochsenzoll<br />
Langenhorner Ch<strong>aus</strong>see 560<br />
22419 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-87 28 17<br />
Fax (0 40) 18 18-87 27 77<br />
E-Mail: c.ramb@asklepios.com<br />
615
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
Chirurgische Aspekte akuter und<br />
chronischer Erkrankungen <strong>der</strong><br />
Aorta ascendens und des Aortenbogens<br />
Dr. Stephan Geidel, Priv.-Doz. Dr. Michael Laß, Prof. Dr. Jörg Ostermeyer<br />
In <strong>der</strong> Herzchirurgie haben akute und chronische Erkrankungen <strong>der</strong> Aorta ascendens (zwischen Aortenklappenanulus<br />
und Abgang des Truncus brachiocephalicus) sowie des angrenzenden Aortenbogens eine her<strong>aus</strong>ragende<br />
Bedeutung, da sie zu einer lebensbedrohlichen Blutung ins Perikard (Tamponade) und zur Beeinträchtigung <strong>der</strong><br />
hirnzuführenden Gefäße (Insult), <strong>der</strong> Aortenklappenfunktion (Insuffizienz) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Koronardurchblutung<br />
(Myokardischämie) führen können. Nicht selten ist neben dem Aortenbogen auch die Aorta descendens involviert.<br />
Als klinisch relevante Erkrankungen sind vor allem die sog. Aortendissektion und das Aortenaneurysma zu nennen.<br />
Vor allem bei akuter Ascendensdissektion gelten frühzeitige Diagnose und unmittelbare chirurgische Versorgung<br />
nach wie vor als große interdisziplinäre Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung, da die Letalität bis zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Operation<br />
stündlich um zwei Prozent zunimmt. [1]<br />
Aortendissektion<br />
Bei einer Dissektion dringt Blut über einen<br />
Einriss (= Entry) <strong>der</strong> Intima zwischen Ge -<br />
fäß-Media und Adventitia ein (Abb. 2) und<br />
bildet ein zusätzliches, „falsches“ Gefäßlumen.<br />
[1] Gewinnt <strong>der</strong> Blutstrom im falschen<br />
Lumen peripher wie<strong>der</strong> Anschluss an das<br />
wahre Lumen, bezeichnet man diesen<br />
zweiten Einriss als „Re-entry“. Die wesentlichen<br />
Vor<strong>aus</strong>setzungen <strong>für</strong> chirurgische<br />
Behandlungsmethoden <strong>der</strong> Aortendissektion<br />
wurden bereits in den 50er- und 60er-<br />
Jahren geschaffen. [1] Definitionsgemäß gilt<br />
eine Dissektion innerhalb <strong>der</strong> ersten zwei<br />
Wochen nach dem Schmerzereignis als<br />
„akut“, anschließend als „chronisch“. Hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> Inzidenz einer akuten Dissektion<br />
im Bereich Aorta ascendens/Bogen<br />
muss in Deutschland eine Häufigkeit von<br />
ca. 15/1 Mio. Einwohner pro Jahr angenommen<br />
werden. [5,6] Männer sind im Verhältnis<br />
von 3:1 häufiger betroffen, das<br />
altersbezogene Maximum des Auftretens ist<br />
die fünfte Lebensdekade. Ein arterieller<br />
Hypertonus besteht bei über 80 Prozent<br />
616<br />
<strong>der</strong> Patienten; unterhalb des 40. Lebensjahres<br />
ist ein Marfan-Syndrom häufig. Bei 20<br />
Prozent <strong>der</strong> Patienten mit akuter Aortendissektion<br />
findet man histologisch eine<br />
zystische Media-Degeneration, in weiteren<br />
20 Prozent be steht eine schwere Arterio -<br />
sklerose (Abb. 3). Eine bicuspidale Aortenklappenanlage<br />
ist mit einem gehäuften<br />
Auftreten einer Aortendissektion assoziiert.<br />
Klassifikationen<br />
Die Stanford-Klassifikation berücksichtigt<br />
<strong>aus</strong>schließlich die Ausdehnung des Doppellumens<br />
(Typ A: Aorta ascendens involviert<br />
– im Gegensatz zu Typ B), die De-<br />
Bakey-Einteilung die Lokalisation des primären<br />
Einrisses (Typ I: Entry in <strong>der</strong> Ascendens,<br />
Doppellumen bis in den Bogen o<strong>der</strong><br />
weiter reichend; Typ II: Entry in <strong>der</strong> Ascendens,<br />
Doppellumen auf die Ascendens<br />
beschränkt; Typ III: Entry + Doppellumen<br />
in <strong>der</strong> Descendens).<br />
<strong>Klinik</strong> und natürlicher Verlauf<br />
Bei akuter Typ-A-Dissektion besteht unbehandelt<br />
eine Letalität von 40 bis 50 Prozent<br />
innerhalb <strong>der</strong> ersten 24 Stunden. Ist ein<br />
chronisches Stadium erreicht (ca. zehn Prozent),<br />
überleben immerhin zwei Drittel<br />
ohne chirurgische Therapie die folgenden<br />
drei Jahre. Da die akute Aortendissektion<br />
nicht selten die gesamte Hauptschlaga<strong>der</strong><br />
betrifft, ist die Beschwerdesymptomatik<br />
vielfältig (häufig: starke linksseitig betonte<br />
o<strong>der</strong> in den Rücken <strong>aus</strong>strahlende thora -<br />
kale Schmerzen, kardiogener Schock, Dys -<br />
pnoe, wechselnde Pulse, neurologische<br />
Ausfälle, akutes Abdomen, akute Nieren -<br />
insuffizienz).<br />
Diagnostik und Operation<br />
Aufgrund <strong>der</strong> extrem hohen Letalität in -<br />
nerhalb <strong>der</strong> ersten Stunden spielt <strong>der</strong> „Faktor<br />
Zeit“ die entscheidende Rolle. Somit<br />
muss bei jedem akuten Thoraxschmerz<br />
(nach Infarkt<strong>aus</strong>schluss) eine Echokardiographie<br />
durchgeführt werden, die in zwei
Abb. 1: Operative Versorgung einer akuten Aortendissektion in <strong>der</strong> Herzchirurgischen Abteilung <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg (OP-Team bei <strong>der</strong> Thoraxeröffnung)<br />
Drittel <strong>der</strong> Fälle die Diagnose sichert. Bei<br />
unklarem o<strong>der</strong> negativem Echobefund wird<br />
zur Sicherung <strong>der</strong> OP-Indikation eine Thorax-CT<br />
durchgeführt. Ziel <strong>der</strong> Operation<br />
ist es, (1) das rupturgefährdete Gefäß areal<br />
durch eine Gefäßprothese zu ersetzen<br />
(Entry-Beseitigung), so (2) den Blutfluss im<br />
falschen Lumen zu unterbinden (Wie <strong>der</strong> -<br />
herstellen einer normalen Organperfusion),<br />
und (3) die eventuell beeinträchtigte Aortenklappenfunktion<br />
und/o<strong>der</strong> Koronarperfusion<br />
wie<strong>der</strong> herzustellen. Operiert wird<br />
unter den Bedingungen <strong>der</strong> extrakorporalen<br />
Zirkulation (EKZ) zum Teil in tiefer<br />
Hypothermie, wobei die arterielle Kanülierung<br />
über eine periphere Arterie (A. femoralis,<br />
A. subclavia) erfolgt. Das erkrankte<br />
Gefäßsegment wird entfernt (histologische<br />
Untersuchung) und ersetzt, die Gefäßwandschichten<br />
im Anastomosenbereich werden<br />
mit Filzleisten rekonstruiert (Abb. 4). Bei<br />
<strong>aus</strong>gedehnten Operationen im Bereich des<br />
Aortenbogens kommt <strong>der</strong> Hirnprotektion<br />
eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu (Hypothermie,<br />
ante-/retrograde Perfusion).<br />
Ergebnisse<br />
Bei akuter Ascendensdissektion wird die<br />
30-Tage-OP-Letalität in <strong>der</strong> Literatur mit<br />
10 bis 15 Prozent angegeben (chronisch:<br />
ca. fünf Prozent). Prognostisch entscheidend<br />
ist das bestehende Ausmaß <strong>der</strong> Organperfusionsstörung<br />
bei OP-Beginn. Die 10-Jahres-Überlebensrate<br />
beträgt 50 bis 60 Prozent.<br />
[1,5,6] Wichtigste Nachsorgemaßnahme<br />
ist die Blutdruckeinstellung. Routinemäßige<br />
Untersuchungen (alle ein bis zwei Jahre)<br />
mit bildgeben<strong>der</strong> Technik dienen <strong>der</strong> frühzeitigen<br />
Erfassung anastomosennaher Verän<strong>der</strong>ungen.<br />
Aortenaneurysma<br />
Ein Aneurysma ist eine pathologische Ge -<br />
fäßerweiterung bei ursächlicher Schwäche<br />
infolge Degeneration <strong>der</strong> Wandschichten.<br />
Bei Beteiligung aller Schichten spricht man<br />
vom Aneurysma verum, bei lokaler Aussackung,<br />
<strong>der</strong>en äußere Begrenzung lediglich<br />
durch die Adventitia gebildet wird, vom<br />
Aneurysma spurium. Der Begriff „dissezi-<br />
Herzchirurgie<br />
ierendes Aortenaneurysma“ ist irreführend,<br />
da Dissektionen auch bei primär normalem<br />
Kaliber vorkommen. Ätiologisch<br />
bedeutsam <strong>für</strong> die Ausbildung eines Aortenaneurysmas<br />
im Bereich des Bulbus aortae<br />
(= Sinus Valsalvae, Ursprung <strong>der</strong> Aorta<br />
<strong>aus</strong> dem linken Ventrikel mit Abgang <strong>der</strong><br />
Koronararterien), <strong>der</strong> angrenzenden Aorta<br />
ascendens und des Bogens ist die Arterio -<br />
sklerose, meist vergesellschaftet mit einem<br />
arteriellen Hypertonus. Seltener liegt eine<br />
Bindegewebserkrankung vor.<br />
<strong>Klinik</strong> und natürlicher Verlauf<br />
Der Durchmesser <strong>der</strong> Aorta und <strong>der</strong> Grad<br />
einer eventuell begleitenden Aortenklap -<br />
peninsuffizienz bestimmen klinische Be -<br />
schwerden und Prognose. [1,5,6] Eine reine<br />
Erweiterung <strong>der</strong> ascendierenden Aorta<br />
ohne Klappeninsuffizienz kann bis zur<br />
Ruptur klinisch stumm bleiben und wird<br />
nicht selten erst im Rahmen dieses Akut -<br />
ereignisses diagnostiziert. Risikopatienten<br />
(z. B. Marfan-Syndrom: echokardiographische<br />
Vorsorgeuntersuchungen ab <strong>der</strong><br />
617
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
Abb. 2: Akute Dissektion <strong>der</strong> Aorta ascendens mit Eintritt<br />
von Blut zwischen Gefäß-Media und -Adventitia<br />
(oben: gedeckte Perforation; OP-Situs nach Thoraxeröffnung<br />
und Absaugen eines blutigen Perikar<strong>der</strong>gusses, die<br />
Kanülierung zur extrakorporalen Zirkulation ist bereits<br />
erfolgt). Unten: <strong>der</strong> Intima-Einriss (Entry) wird sichtbar<br />
nach Abklemmen <strong>der</strong> Aorta und Eröffnung des Gefäßes.<br />
Pubertät) und Patienten mit bekannten<br />
Verän<strong>der</strong>ungen im Bereich <strong>der</strong> Aorta sollte<br />
ab einem Durchmesser <strong>der</strong> Aorta ascendens<br />
von fünf Zentimetern die Operation<br />
empfohlen werden, bei rascher Progression<br />
o<strong>der</strong> Dissektion in <strong>der</strong> Familienanamnese<br />
auch eher.<br />
Diagnostik und Operation<br />
Die chirurgische Therapie des Aneurysmas<br />
<strong>der</strong> Aorta ascendens besteht im prothetischen<br />
Ersatz des erweiterten Aortensegments.<br />
Bedeutsam sind sowohl Ätiologie<br />
als auch lokale Ausprägung des Befundes.<br />
Haben die Taschen <strong>der</strong> Aortenklappe<br />
durch die Erweiterung <strong>der</strong> Aortenwurzel<br />
ihre Koaptation verloren, kann ein rekonstruktiver<br />
Eingriff mit dem Ziel des Klappenerhalts<br />
in Kombination mit einem prothetischen<br />
Ersatz des Aortengewebes<br />
erfolgen (z. B. David-Operation, Abb. 5).<br />
Weist die Aortenklappe aber eine eigene<br />
komplexe Pathologie auf (z. B. Stenose<br />
o<strong>der</strong> bicuspide Anlage), ist die Indikation<br />
zum sogenannten Kompositersatz (= Con-<br />
618<br />
Abb. 3: Schwerste Arteriosklerose <strong>der</strong> Aorta bei einem<br />
Patienten mit arteriellem Hypertonus und Gefäßdissektion<br />
(histologisches Präparat nach Resektion)<br />
duit repair) von Aorta ascendens und Aortenklappe<br />
(sog. Bentall-Operation) gegeben,<br />
insbeson<strong>der</strong>e wenn die Aortenwurzel<br />
Verän<strong>der</strong>ungen aufweist (Abb. 6). Ist die<br />
Aortenwurzel intakt, erfolgt ein suprakoronarer<br />
Ascendensersatz (s. o.). Aufgrund <strong>der</strong><br />
Beson<strong>der</strong>heit eines Aortenbogeneingriffs<br />
im Sinne <strong>der</strong> Problematik potenzieller zerebraler<br />
Ischämien wird dem chirurgischen<br />
Vorgehen beim Bogenaneurysma vielerorts<br />
meist große Zurückhaltung entgegengebracht.<br />
Ergebnisse<br />
Die 30-Tage-OP-Letalität ist günstiger als<br />
bei akuter Ascendensdissektion und wird,<br />
je nach Schwere <strong>der</strong> Befunde, in <strong>der</strong> Literatur<br />
mit drei bis zehn Prozent angegeben,<br />
die 10-Jahres-Überlebensrate beträgt 60 bis<br />
70 Prozent. [1,5,6] Zur wichtigsten Maßnahme<br />
in <strong>der</strong> Nachsorge gehört die Blutdruckkontrolle.<br />
Routinemäßige Untersuchungen mit<br />
bildgebenden Verfahren sind beson<strong>der</strong>s bei<br />
Patienten mit nachgewiesener Bindegewebserkrankung<br />
von Bedeutung.<br />
Abb. 4: Rekonstruktion <strong>der</strong> Aortenklappe durch<br />
„Raffung“ und Ersatz <strong>der</strong> Aorta ascendens mittels einer<br />
exakt angepassten Gefäßprothese<br />
Kasuistik<br />
Eine 76-jährige Patientin wird mit rechtsseitig<br />
betontem akuten Thoraxschmerz in<br />
<strong>der</strong> Medizinischen Notaufnahme <strong>der</strong><br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg aufgenommen.<br />
Anamnestisch bestehen ein arterieller<br />
Hypertonus und ein kompletter Situs<br />
inversus (Häufigkeit ca. 1:15.000). Herzechokardiographie<br />
und Thorax-CT sichern<br />
die Diagnose einer akuten Typ-A-Dissektion<br />
(intraoperative Befunde s. Abb. 7; rein<br />
statistisch tritt ein solcher Fall nur ein- bis<br />
zweimal in zehn Jahren in Deutschland<br />
auf). Die Patientin tolerierte den Eingriff<br />
gut und konnte bei gutem Allgemeinbefinden<br />
bereits am siebten postoperativen Tag<br />
in eine geriatrisch <strong>aus</strong>gerichtete Rehabilitationsklinik<br />
verlegt werden.
Abb. 5: Ascendensaneurysma; sog. David-Operation mit<br />
Rekonstruktion <strong>der</strong> Aortenklappe und Ersatz des pathologisch<br />
verän<strong>der</strong>ten Aortengewebes durch eine Gefäßprothese<br />
In ganz Deutschland wurden im Jahr 2006 n = 4.783 Operationen im Bereich <strong>der</strong> Aorta ascendens und<br />
des Aortenbogens durchgeführt, davon etwa ein Viertel bei akuter Gefäßdissektion. Die Herz chirurgische<br />
Abteilung <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg in Hamburg leistet in <strong>der</strong> Region einen hohen Anteil an <strong>der</strong><br />
Akutversorgung speziell dieser Patienten (Abb. 1).<br />
Jahr 2000 (30-Tage-Letalität) 2006 (30-Tage-Letalität)<br />
Isoliert suprakoronar* 726 10,5 % 1.166 9,3 %<br />
Infra- und suprakoronar** 1.224 7,9 % 2.742 5,9 %<br />
Mit Aortenbogenbeteiligung 270 14,8 % 875 12,3 %<br />
Gesamt 2.220 9,6 % 4.783 7,9 %<br />
*ohne Aortenklappenoperation; ** inklusive Aortenklappenoperation<br />
Literatur<br />
[1] Kouchoukos NT, Blackstone EH, Doty DB et al. In:<br />
Kirklin JW/Barratt-Boyes B: Cardiac Surgery, Third Edition<br />
(Churchill Livingstone, Philadelphia, USA). Diseases of the<br />
thoracic arteries and veins. 2003: Volume 2: 1799-938.<br />
[2] Kalmar P, Irrgang E: Cardiac Surgery in Germany<br />
during 2000. A report by the German Society for Thoracic<br />
and Cardiovascular Surgery. Thorac Cardiovasc Surg 2001;<br />
49: XXXII-XXXVIII.<br />
[3] Gummert JF, Funkat A, Beckmann A et al. Cardiac Surgery<br />
in Germany during 2006. A report on behalf of the<br />
German Society for Thoracic and Cardiovascular Surgery.<br />
Thorac Cardiovasc Surg 2007; 55: 343-50.<br />
Abb. 6: Implantation eines klappentragenden Conduits<br />
mit Re-Implantation <strong>der</strong> Koronarostien<br />
Tab. 1: Operationen im Bereich <strong>der</strong> Aorta ascendens und des Aortenbogens in ganz Deutschland<br />
[4] Bruckenberger E. Herzbericht 2006 mit Transplantationschirurgie;<br />
http://www.herzbericht.de.<br />
[5] Borst HG, Heinemann MK, Stone CD: Surgical treatment<br />
of Aortic dissection. (Churchill Livingstone, Philadelphia,<br />
USA) 1996.<br />
[6] Heinemann MK, Ziemer G in Hombach V: Interventionelle<br />
Kardiologie, Angiologie und Kardiovaskularchirurgie<br />
2001 (Schattauer, Stuttgart). Krankheiten <strong>der</strong> thorakalen<br />
Aorta: 649-65.<br />
Kontakt<br />
Herzchirurgie<br />
Abb. 7: Aortendissektion bei einer Patientin mit<br />
komplettem Situs inversus und Rechtslage des Herzens;<br />
Befund nach Ascendensersatz und Abgang von <strong>der</strong> EKZ<br />
Oberarzt Dr. Stephan Geidel<br />
Ltd. Oberarzt Priv.-Doz. Dr. Michael Laß<br />
Chefarzt Prof. Dr. Jörg Ostermeyer<br />
Hanseatisches Herzzentrum<br />
Abteilung <strong>für</strong> Herzchirurgie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />
Lohmühlenstraße 5<br />
20099 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-85 41 50 / 41 51<br />
(Sekretariat <strong>der</strong> Herzchirurgie)<br />
(0 40) 18 18-85 22 61<br />
(Herzchirurgische Normalstation)<br />
(0 40) 18 18-85 22 62<br />
(Herzchirurgische Intensivstation)<br />
(0 40) 18 18-85 22 85 (Privatstation)<br />
Fax: (0 40) 18 18-85 41 84<br />
E-Mail: s.geidel@asklepios.com<br />
619
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
Periprothetische Frakturen<br />
Priv.-Doz. Dr. Marc Schult, Helmut Weiberlenn<br />
Der künstliche Gelenkersatz ist seit vielen Jahren Routine und nimmt in Deutschland auch weiter zahlenmäßig<br />
von Jahr zu Jahr deutlich zu. Gründe hier<strong>für</strong> sind neben <strong>der</strong> viel zitierten demografischen Verän<strong>der</strong>ung auch das<br />
höhere Aktivitätsniveau älterer Menschen sowie <strong>der</strong>en gestiegene Lebenserwartung.<br />
Durch Standardisierung lässt sich das Risiko<br />
relevanter Komplikationen im Rahmen<br />
<strong>der</strong> Erstimplantation einer Prothese auf ein<br />
Minimum reduzieren. Die Qualität <strong>der</strong><br />
Implantate ist auf einem hohen Niveau, so<br />
dass man bei entsprechenden Beschwerden<br />
und Nachweis einer Arthrose mit gutem<br />
Gewissen zur Implantation einer Endoprothese<br />
raten kann. Problematisch ist jedoch<br />
<strong>der</strong> dadurch bedingte Anstieg periprothetischer<br />
Frakturen. Sie stellen nach wie vor<br />
eine große Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung dar, denn<br />
häufig sind Patienten mit periprothetischen<br />
Frakturen multimorbide und haben neben<br />
problematischen Weichteilverhältnissen oft<br />
eine relevante Osteoporose. Abhängig von<br />
Frakturmorphologie, Knochenqualität und<br />
Allgemeinzustand des Patienten kommen<br />
neben den vielfältigen Osteosynthesetechniken<br />
auch <strong>der</strong> Prothesenwechsel und –<br />
sehr selten – auch konservative Behandlungsmethoden<br />
zur Anwendung. [1]<br />
Aus therapeutischen Überlegungen sind<br />
bei postoperativ auftretenden periprothetischen<br />
Frakturen – intraoperativ entstandene<br />
Frakturen sind <strong>aus</strong> unserer Sicht eine<br />
eigene Entität und sollen hier nicht weiter<br />
620<br />
behandelt werden – zwei unterschiedliche<br />
Frakturtypen zu unterscheiden:<br />
1. Frakturen bei fest sitzen<strong>der</strong> Prothese<br />
treten meist nach einem adäquaten<br />
Trauma bzw. bei pathologisch verän<strong>der</strong>ten<br />
Knochen im Bereich <strong>der</strong> einliegenden<br />
Prothese auf.<br />
2. Frakturen bei gelockerter Endoprothese:<br />
Durch den gelockerten Zementmantel<br />
bzw. Knochenlysesäume im Bereich<br />
<strong>der</strong> Prothese kommt es zu einer Instabilität<br />
im Bereich des Prothesenlagers,<br />
<strong>der</strong> so vorgeschädigte Knochen kann<br />
bei normaler Belastung bzw. inadäquatem<br />
Trauma leicht brechen. [2,3]<br />
Trotz <strong>der</strong> auf den ersten Blick sehr heterogenen<br />
Frakturmuster und Lokalisationen<br />
lassen sich die periprothetischen Frakturen<br />
in verschiedene Typen einteilen. Die gängigen<br />
Klassifikationen berücksichtigen z. B.<br />
die Frakturlokalisation o<strong>der</strong> ihre Beziehung<br />
zur Prothese bzw. die Ätiologie. Im Großen<br />
und Ganzen wird aber keine <strong>der</strong> zahlreichen<br />
Klassifikationen den klinischen Be -<br />
dürfnissen gerecht.<br />
Die meisten periprothetischen Frakturen<br />
betreffen das Femur, entwe<strong>der</strong> nach Im -<br />
plantation einer Hüft- o<strong>der</strong> Kniegelenkprothese,<br />
seltener sind periprothetische Acetabulum-<br />
o<strong>der</strong> Tibiafrakturen.<br />
Die häufigste Lokalisation periprothetischer<br />
Femurfrakturen liegt im Bereich <strong>der</strong><br />
Prothesenspitze und wird durch eine ge -<br />
störte Knochenqualität, etwa bei Osteoporose,<br />
begünstigt. [4] Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e<br />
<strong>für</strong> zementfreie Prothesen, aber auch <strong>für</strong><br />
gelockerte zementierte. Bei fest sitzenden<br />
zementierten Implantaten treten dagegen<br />
eher subprothetische Frakturen auf. Ziele<br />
<strong>der</strong> Behandlung periprothetischer Frakturen<br />
sind neben einer unkomplizierten Knochenheilung<br />
auch die Rekonstruktion von<br />
Achse, Länge und Rotation <strong>der</strong> betroffenen<br />
Extremität sowie eine Belastungsstabilität,<br />
die möglichst frühzeitig eine Mobilisation<br />
und Rehabilitation ermöglicht.<br />
Die operative Versorgung periprothetischer<br />
Frakturen ist glücklicherweise nur in Ausnahmefällen<br />
(z. B. offene Frakturen) notfallmäßig<br />
indiziert, sollte aber zumindest früh -<br />
elektiv erfolgen. Deshalb bleibt in den
Fallbeispiel 1:<br />
Weiblich 48 Jahre, ASA 2,<br />
subprothetische Femurschaft fraktur<br />
rechts bei fest sitzen<strong>der</strong>, zementierter<br />
Hüft-TEP nach Sturz vom Barhocker<br />
meisten Fällen genug Zeit, den Patienten<br />
gut auf die belastenden Operationen vorzubereiten<br />
und differenzialtherapeutische<br />
Überlegungen anzustellen beziehungsweise<br />
die notwendigen Implantate zu<br />
beschaffen. Wichtig ist <strong>für</strong> den Operateur<br />
die Entscheidung zwischen Osteosynthese<br />
und Prothesenwechsel. Insbeson<strong>der</strong>e bei<br />
eingeschränkter Knochenqualität und großen<br />
einliegenden Prothesen ist die stabile<br />
Verankerung von Osteosynthesematerialien<br />
häufig sehr schwierig. Die heute in<br />
den meisten <strong>Klinik</strong>en routinemäßig verwendeten<br />
winkelstabilen Implantate, die<br />
zum Großteil auch minimal-invasiv eingebracht<br />
werden können, haben in den vergangenen<br />
Jahren die Versorgung periprothetischer<br />
Frakturen revolutioniert. [5]<br />
Dennoch bleibt beson<strong>der</strong>s bei größeren<br />
Knochendefekten und ungünstiger Lokalisation<br />
<strong>der</strong> Fraktur häufig nur <strong>der</strong> Prothesenwechsel,<br />
gegebenenfalls kombiniert mit<br />
einem entsprechenden Osteosyntheseverfahren.<br />
Grundsätzlich ist bei fest sitzenden Prothesen<br />
die Osteosynthese dem Prothesenwechsel<br />
vorzuziehen. Unterschiedliche<br />
Operative Versorgung durch offene<br />
Reposition und Platten osteosynthese<br />
Fallbeispiel 2:<br />
Weiblich 79 Jahre, ASA 2,<br />
periprothetische Femurschaftfraktur<br />
distal rechts, mehrfragmentär Zustand<br />
nach bikondylärem Oberflächenersatz<br />
zementiert<br />
Osteosyntheseverfahren kommen zur<br />
Anwendung, wobei neben winkelstabilen<br />
Implantaten unter an<strong>der</strong>em auch Zerklagen<br />
o<strong>der</strong> Titanbän<strong>der</strong> beziehungsweise<br />
Kabelsysteme eingesetzt werden. Biomechanisch<br />
ist bei <strong>der</strong> Planung <strong>der</strong> Osteosynthese<br />
zu berücksichtigen, dass die Spitze<br />
<strong>der</strong> Prothese in <strong>aus</strong>reichendem Maße überbrückt<br />
wird, um sogenannte Stress Riser<br />
und somit erneute Frakturen zu vermeiden.<br />
[6] Die Platzierung von Osteosyntheseschrauben<br />
ist häufig problematisch, da<br />
diese zum Beispiel bei zementierten Prothesen<br />
auch zu einer Schwächung des Ze -<br />
mentköchers mit schlimmstenfalls sekundärer<br />
Prothesenlockerung führen können.<br />
Eine offene Reposition und Plattenosteosynthese<br />
mit konventionellen Implantaten<br />
erleichtert zwar die anatomische Reposition,<br />
durch Schädigung <strong>der</strong> Weichteile und<br />
Denudierung des Frakturbereiches wird<br />
dabei aber häufig die Knochenheilung<br />
gestört. Winkelstabile Plattensysteme bieten<br />
dagegen eine höhere biomechanische<br />
Stabilität, können minimal-invasiv eingebracht<br />
werden und bewirken idealerweise<br />
eine Kraftumleitung <strong>aus</strong> dem Knochen in<br />
das Implantat. An<strong>der</strong>s als konventionelle<br />
Unfallchirurgie<br />
Operative Versorgung duch winkelstabiles<br />
Plattensystem <strong>für</strong> das distale Femur<br />
Platten wird das anatomisch vorgeformte<br />
Implantat nicht an den Knochen herangezogen.<br />
Daher wird die periostale Durchblutung<br />
im Bereich <strong>der</strong> Fraktur nicht be -<br />
hin<strong>der</strong>t. Diese sogenannten biologischen<br />
Osteosynthesen werden daher häufig auch<br />
als Fixateur interne bezeichnet. Ein entscheiden<strong>der</strong><br />
Nachteil dieser Implantate ist<br />
die eingeschränkte Variabilität bezüglich<br />
<strong>der</strong> Richtung <strong>der</strong> Verriegelungsbolzen: Bei<br />
korrekter Plattenlage lassen sich die Bolzen<br />
nicht vor o<strong>der</strong> hinter <strong>der</strong> Prothese platzieren.<br />
Daher müssen hier häufig kurze,<br />
monokortikale Bolzen o<strong>der</strong> konventionelle<br />
Schrauben eingebracht werden. Winkel -<br />
stabile Systeme mit <strong>der</strong> Möglichkeit einer<br />
polyaxialen o<strong>der</strong> multidirekten Besetzung<br />
<strong>der</strong> winkelstabilen Schrauben bieten die<br />
Möglichkeit, die Schrauben variabler im<br />
Bereich <strong>der</strong> Prothese zu positionieren.<br />
Bei gelockerten Prothesen ist im Regelfall<br />
<strong>der</strong> Wechsel notwendig. Dabei ist darauf<br />
zu achten, dass das eingebrachte Implantat<br />
beziehungsweise <strong>der</strong> Prothesenschaft die<br />
Fraktur <strong>aus</strong>reichend überbrückt. [7] Grundsätzlich<br />
kann <strong>der</strong> Wechsel zementiert o<strong>der</strong><br />
zementfrei erfolgen, wobei bei jüngeren<br />
621
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
Fallbeispiel 3:<br />
Männlich 58 Jahre, ASA 3,<br />
periprothetische Femurschaftfraktur links<br />
Zustand nach Knie-TEP-Implantation<br />
zementiert<br />
Patienten <strong>der</strong> zementfreie Wechsel vorzuziehen<br />
ist. Beim Einbringen eines zementierten<br />
Prothesenschaftes kann es dazu<br />
kommen, dass Zement in den Fraktur -<br />
bereich eindringt, <strong>der</strong> die Knochenheilung<br />
behin<strong>der</strong>t und zu einer Pseudoarthrose<br />
führen kann. Allerdings lässt sich nach<br />
Implantation einer zementierten Revisionsprothese<br />
meist eine vollbelastungsstabile<br />
Situation erreichen, sodass diese Option<br />
vor allem <strong>für</strong> ältere Patienten sinnvoll ist.<br />
Fazit<br />
Durch demografische Entwicklung und<br />
Steigerung <strong>der</strong> Endoprothesenimplantationen<br />
ist künftig mit einer deutlichen Zunahme<br />
periprothetischer Frakturen zu rechnen.<br />
Ziel <strong>der</strong> Behandlung solcher Verletzungen<br />
ist bei den häufig geriatrischen Patienten<br />
eine möglichst rasche Mobilisation zur Vermeidung<br />
von Sekundärkomplikationen<br />
und die Rehabilitation ins heimische Um -<br />
feld. In seltenen Fällen ist eine konservative<br />
Therapie angezeigt, meist muss eine<br />
operative Intervention erfolgen. Bei fest sitzenden<br />
Prothesen kommen bevorzugt anatomisch<br />
geformte, winkelstabile Systeme<br />
622<br />
Operative Versorgung durch offene Reposition und retrogrades Einbringen eines<br />
winkelstabilen Plattensystems <strong>für</strong> das distale Femur<br />
zur Anwendung, bei Frakturen im Bereich<br />
gelockerter Endoprothesen vorwiegend <strong>der</strong><br />
Wechsel auf zementierte o<strong>der</strong> zementfreie<br />
Revisionsprothesen.<br />
Literatur<br />
[1] Gruner A, Hockertz T, Reilmann H. Die periprothetische<br />
Fraktur. Unfallchirurg 2004; 107(1): 35-49.<br />
[2] Incavo SJ, Beard DM, Pupparo F,Ries M, Wiedel J.<br />
One-stage revision of periprothetic fractures aroud loose<br />
cemented total hip arthroplasty. Am J Orthop 1998; 27(1):<br />
35-41.<br />
[3] Tsiridis E, Haddad FS, Gie GA. The management of<br />
periprothetic femoral fractures aroud hip replacements.<br />
Injury 2003; 34(2): 95-105.<br />
[4] Wu CC, Au MK, Wu SS, Lin LC. Risk factors for postoperative<br />
femoral fracture in cemetless hip arthroplasty.<br />
J Formos Med Assoc 1999; 98(3): 190-4.<br />
[5] Rupprecht M, Großterlinden L, Barvencik F, et al. Periprothetische<br />
Femurfrakturen. Unfallchirurg 2008; 111(10):<br />
812-20.<br />
[6] Beals RK, Tower SS. Periprothetic fractures of the femur.<br />
An analysis of 93 fractures. Clin Orthop Relat Res 1996;<br />
327: 238-46.<br />
[7] Larson JE, Chao EY, Fitzgerald RH. Bypassing femoral<br />
cortical defects with cemented intramedullary stems.<br />
J Orthop Res 1991; 9(3): 414-21.<br />
Kontakt<br />
Priv.-Doz. Dr. Marc Schult<br />
Abteilung <strong>für</strong><br />
Unfallchirurgie/Orthopädische Chirurgie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />
Tangstedter Landstraße 400<br />
22417 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-87 32 11<br />
Fax (0 40) 18 18-87 32 12<br />
E-Mail: m.schult@asklepios.com
Hirnmetastasen – was nun?<br />
Dr. Marcus Lücke, Prof. Dr. Uwe Kehler<br />
Klinische Symptomatik und primäre<br />
supportive Maßnahmen<br />
Kardinalsymptome <strong>der</strong> Hirnmetastasen<br />
sind neurologische Defizite, neuropsychologische<br />
Symptome (insbeson<strong>der</strong>e Wesensän<strong>der</strong>ung<br />
und Orientierungsstörung),<br />
fokale o<strong>der</strong> generalisierte Krampfanfälle<br />
o<strong>der</strong> eine Hirndrucksymptomatik. Initial<br />
wird oft ein CCT durchgeführt, da die<br />
Symptomatik bei akutem Beginn dem<br />
eines Hirninfarkts o<strong>der</strong> einer Hirnblutung<br />
entsprechen kann. Diese sollte um ein<br />
MRT (Abb. 1 und 2) ergänzt werden, das<br />
wesentlich sensitiver weitere Hirnmetastasen<br />
und die genaue Morphologie aufzeigt.<br />
Besteht eine Tumorerkrankung, ist ein<br />
Staging, insbeson<strong>der</strong>e mittels Thorax- und<br />
Abdomen-CT sinnvoll, ebenso die onkologische<br />
Einschätzung <strong>der</strong> Gesamtprognose.<br />
An initialen supportiven Maßnahmen ist<br />
neben einer ggf. antiepileptischen Therapie<br />
eine antiödematöse Behandlung mit Dexamethason<br />
(z. B.: 3 x 4 mg bis 3 x 8 mg/Tag)<br />
indiziert, die oft schon nach wenigen Stunden<br />
die neurologischen Defizite bessern<br />
kann. Besteht mit Übelkeit, Erbrechen und<br />
Kopfschmerzen eine Hirndrucksymptoma-<br />
tik, o<strong>der</strong>, insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> relativ häufigen<br />
Lokalisation im Kleinhirn, die Gefahr<br />
eines Verschlusshydrocephalus, ist nach<br />
i.v.-Bolusgabe von bis zu 40 mg Dexamethason<br />
umgehend eine neurochirurgische<br />
Konsultation mit <strong>der</strong> Frage einer notfallmäßigen<br />
Intervention erfor<strong>der</strong>lich. In knapp<br />
20 Prozent <strong>der</strong> Fälle ist die klinische Symptomatik<br />
<strong>der</strong> Hirnmetastase die Erstmanifestation<br />
einer systemischen Neoplasie. Bildmorphologisch<br />
ist in diesem Fall aber auch<br />
bei multifokaler Lokalisation differenzialdiagnostisch<br />
an einen hirneigenen Tumor,<br />
seltener an einen Hirnabzess zu denken.<br />
Kommt ein Lymphom in Betracht, sollte<br />
auf Glukokortikoide verzichtet werden, da<br />
es hierunter zu einer Tumoreinschmelzung<br />
kommen kann. Die histologische Beurteilung<br />
ist dann erschwert o<strong>der</strong> gar unmöglich.<br />
Operation<br />
Liegen eine o<strong>der</strong> bis zu 3 – 4 operativ<br />
erreichbare Hirnmetastasen vor, ist unter<br />
Berücksichtigung prognostischer Faktoren<br />
die weitestmögliche Entfernung indiziert.<br />
Im Gegensatz zu hirneigenen Tumoren<br />
sind Hirnmetastasen meist relativ gut vom<br />
Neurochirurgie<br />
Hirnmetastasen sind die häufigsten malignen Tumoren des Gehirns, noch vor den hirneigenen Neoplasien.<br />
Sie treten im Verlauf systemischer Krebserkrankungen in etwa 20 bis 40 Prozent auf und sind meist Zeichen eines<br />
fortgeschrittenen Stadiums. Etwa die Hälfte <strong>der</strong> Hirnmetastasen hat ein Bronchialkarzinom als Primärtumor,<br />
15 bis 20 Prozent ein Mammakarzinom, zehn Prozent ein Melanom. Die Kombination von mikrochirurgischer<br />
Operation und Strahlentherapie verlängerte die sehr ernste Prognose von durchschnittlich vier bis sechs Monaten<br />
auf acht bis 13 Monate deutlich, in Einzelfällen ist ein Langzeitüberleben über viele Jahre möglich. Die gewebeschonenden<br />
mikrochirurgischen Eingriffe mit Neuronavigation und intraoperativer Bildgebung reduzieren die<br />
operative Morbidität und verbesserten damit gleichzeitig die Lebensqualität.<br />
Hirngewebe abgegrenzt, da ihre Infiltrationszone<br />
nur wenige Millimeter beträgt.<br />
Somit ist mikroneurochirurgisch oft eine<br />
vollständige Resektion möglich, sodass<br />
sich eine gute lokale Tumorkontrolle erreichen<br />
lässt. Durch Neuronavigation (Abb. 3),<br />
intraoperativen Ultraschall und das routinemäßig<br />
eingesetzte OP-Mikroskop kann<br />
<strong>der</strong> operative Zugang weniger traumatisierend<br />
mit bestmöglicher Schonung des Hirngewebes<br />
erfolgen. Hilfestellung zur Minimierung<br />
des Operationsrisikos können das<br />
funktionelle MRT zur Darstellung wichtiger<br />
Hirnzentren und die Darstellung von<br />
Leitungsbahnen im Diffusion Tensor Imaging<br />
(DTI) geben.<br />
Im Einzelfall kann es auch bei multiplen<br />
Hirnmetastasen sinnvoll sein, einzelne<br />
raumfor<strong>der</strong>nde Metastasen zu entfernen,<br />
wenn sie neurologische Ausfälle verursachen,<br />
die nach operativer Entlastung oft<br />
rasch rückläufig sind. Dies ist insbeson<strong>der</strong>e<br />
bei einer Lokalisation im Kleinhirn indiziert,<br />
da aufgrund <strong>der</strong> anatomischen<br />
Beson<strong>der</strong>heit in Beziehung zu Hirnstamm<br />
und Liquorräumen eine geringe Größenzunahme<br />
unmittelbar lebensgefährlich sein<br />
623
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
a<br />
Abb. 1: Hirnmetastase rechts frontal mit girlandenförmiger KM-Anreicherung um<br />
eine zentrale Nekrose im MRT in T1-Wichtung bei einem 74-jährigen Patienten<br />
mit bekanntem Bronchialkarzinom (a); postoperative Kontrolle mittels CCT (b)<br />
a<br />
Abb. 2: Hirnmetastase rechts präzentral in T1 mit KM; (a) Darstellung <strong>der</strong> ringförmigen<br />
KM-Anreicherung und zentraler Nekrose; in T2-Wichtung (b) Darstellung<br />
<strong>der</strong> Ausdehnung des perifokalen Ödems<br />
kann. Eine Bestrahlung führt dagegen oft<br />
durch eine transiente Zunahme des perifokalen<br />
Ödems zu einer zwischenzeitlichen<br />
Zunahme <strong>der</strong> Gesamtraumfor<strong>der</strong>ung. Ein<br />
weiterer Vorteil <strong>der</strong> Operation ist die Histologiegewinnung<br />
bei unbekanntem Pri-<br />
märtumor. [1,2]<br />
Im Fall eines Rezidivs einer Hirnfiliarisierung<br />
ist durch<strong>aus</strong> eine Re-Operation indiziert,<br />
wenn <strong>der</strong> Gesamtstatus dies zulässt,<br />
insbeson<strong>der</strong>e wenn nach erfolgter Strahlentherapie<br />
nur noch eingeschränkte Bestrahlungsoptionen<br />
vorliegen.<br />
Ist <strong>der</strong> Primärtumor unbekannt und die<br />
Metastase operativ schwer zugänglich,<br />
kann über eine Bohrlochtrepanation stereo -<br />
taktisch eine Biopsie ohne größeres Risiko<br />
<strong>für</strong> den Patienten gewonnen werden.<br />
Operationsindikationen sind in Tab. 1<br />
zusammengefasst.<br />
624<br />
b<br />
b<br />
Kriterien, die <strong>für</strong> eine operative Entfernung<br />
von Hirnmetastasen sprechen:<br />
■ Singuläre o<strong>der</strong> solitäre (keine extracerebrale<br />
Met.) Hirnmetastase<br />
■ Guter Allgemeinzustand<br />
(Karnofsky-Index > 70 %)<br />
■ Raumfor<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Effekt/<strong>aus</strong>geprägtes Ödem,<br />
insbeson<strong>der</strong>e mit neurologischen Defiziten<br />
■ Gute Kontrolle des systemischen Status <strong>der</strong><br />
neoplastischen Erkrankung<br />
■ Unbekannter Primärtumor/unklare Histologie<br />
■ Gute operative Entfernbarkeit/Lokalisation im<br />
Kleinhirn<br />
■ Eher chronischer Verlauf <strong>der</strong> neoplastischen<br />
Erkrankung (insbeson<strong>der</strong>e bei Mammakarzinom)<br />
Tab. 1<br />
Bestrahlung<br />
Stereotaktische Bestrahlung<br />
Bei tief liegenden o<strong>der</strong> in eloquenten Re -<br />
gionen (z. B. im Sprachzentrum) gelegenen<br />
Metastasen, die mikrochirurgisch schwer<br />
angehbar sind o<strong>der</strong> bei denen zusätzliche<br />
neurologische Ausfälle zu erwarten sind,<br />
ist die stereotaktische Bestrahlung (Cyberknife,<br />
Gamma-Knife, Lineac) eine wichtige<br />
Ergänzung. Nachteile sind die Größenbeschränkung<br />
des Tumors (< 3 cm), <strong>der</strong> retardierte<br />
Effekt auf die Raumfor<strong>der</strong>ung sowie<br />
Neurologisches Defizit, Krampfanfall,<br />
neuropsychologisches Defizit, Hirndrucksymptomatik,<br />
Routinediagnostik bei bek. Malignom<br />
(CCT), MRT (T1 +/- KM, T2, Flair)<br />
Cave: bei Hirnducksymptomatik o<strong>der</strong> drohendem Hydrocephalus<br />
40 mg Dexamethason i.v., Neurochirurg<br />
■ ggf. antiepileptische Therapie<br />
■ 3 x 4 – 3 x 8 mg Dexamethason<br />
■ Staging bei bek. Malignom (CT THX/Abd.)<br />
■ Onkologische Prognoseeinschätzung<br />
Solitäre/singuläre Metastase<br />
Ggf. bis zu 4 Metastasen<br />
Operation, im Einzelfall:<br />
stereotatische Bestrahlung<br />
(< 3 cm)<br />
Ganzhirnbestrahlung<br />
(alternativ im Einzelfall<br />
MRT-Kontrollen)<br />
MRT-Kontrollen<br />
Rezidiv: Operation o<strong>der</strong><br />
stereotatische Bestrahlung<br />
evtl. Chemotherapie<br />
Tab. 2 Ablaufschema: Diagnostik und Therapie bei Hirnmetastasen<br />
die langsame Rückbildung des Ödems und<br />
somit eine eher protrahierte Rekonvales -<br />
zenz. [3]<br />
Multiple Metastasen<br />
o<strong>der</strong> schlechter AZ o<strong>der</strong><br />
eingeschränkte Prognose bei<br />
singulären/solitären Metastasen<br />
Ganzhirnbestrahlung<br />
evtl. Chemotherapie<br />
MRT-Kontrollen<br />
Rezidiv: Im Einzelfall Operation<br />
o<strong>der</strong> stereotatische Bestrahlung<br />
evtl. Chemotherapie<br />
Ganzhirnbestrahlung<br />
Derzeitig ist die adjuvante Ganzhirn -<br />
bestrahlung nach erfolgter Operation Standard.<br />
Allerdings zeigen einige retrospektive<br />
Studien mit teilweise großen Fallzahlen<br />
keinen auf die mediane Überlebenszeit<br />
bezogenen Vorteil einer zusätzlichen<br />
Bestrahlung zur alleinigen Operation bei<br />
singulären o<strong>der</strong> solitären Metastasen: Die<br />
Lokalrezidivrate ist ohne zusätzliche<br />
Bestrahlung zwar größer, die Prognose<br />
wird aber wesentlich durch den Systemprogress<br />
bestimmt. Prospektive randomisierte<br />
Studien sollen diese Frage klären. In<br />
Abstimmung <strong>der</strong> Neurochirurgen mit den<br />
Onkologen und Strahlentherapeuten kann<br />
im Einzelfall auch jetzt auf eine Ganzhirnbestrahlung<br />
zugunsten einer engmaschigen<br />
MRT-Kontrolle verzichtet werden. Die<br />
fraktionierte Ganzhirnbestrahlung hat ihre<br />
Indikationen als primäre Therapie, insbeson<strong>der</strong>e<br />
bei einer multiplen, diffusen Hirnmetastasierung,<br />
bei <strong>der</strong> lokale Therapieformen<br />
nicht möglich o<strong>der</strong> sinnvoll sind.
Auch bei schlechtem Allgemeinzustand<br />
o<strong>der</strong> schlechter Gesamtprognose und fortgeschrittenem<br />
Alter wird die Ganzhirn -<br />
bestrahlung in Abwägung einer alleinigen<br />
supportiven Therapie eingesetzt. Beim<br />
kleinzelligen Bronchialkarzinom ist eine<br />
kombinierte Radio-/Chemotherapie indiziert,<br />
eine Operation nur in Einzelfällen.<br />
Chemotherapie<br />
Eine Chemotherapie dient in erster Linie<br />
zur Kontrolle <strong>der</strong> Systemerkrankung. Bei<br />
einigen Patienten wirkt sie auch auf die<br />
Hirnmetastasen, da die Blut-Hirn-Schranke<br />
meist durchbrochen ist. Die Datenlage ist<br />
aber noch nicht eindeutig. Beim kleinzelligen<br />
Bronchialkarzinom ist die Chemotherapie<br />
in Kombination mit <strong>der</strong> Bestrahlung<br />
indiziert. Bei einer diffusen Metastasierung<br />
<strong>der</strong> Hirnhäute (Meningeosis neoplastica)<br />
besteht eine sehr schlechte Prognose.<br />
Neben einer Bestrahlung kann hier auch<br />
eine intrathekale Chemotherapie (insbeson<strong>der</strong>e<br />
Methotrexat) durchgeführt werden,<br />
die über ein neurochirurgisch subgaleal<br />
implantiertes Portsystem in die Hirnkammern<br />
appliziert wird. [4]<br />
Interdisziplinäre Therapieentscheidung<br />
Eine interdisziplinäre Beurteilung wie in<br />
<strong>der</strong> wöchentlichen „Neuroonkologischen<br />
Konferenz“ <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />
mit Neurochirurgen, Neurologen, Onkologen,<br />
Strahlentherapeuten, Pathologen und<br />
Neuroradiologen ist essenziell, um individuell<br />
angemessen über einen multimodalen<br />
Therapieansatz zu entscheiden (Tab. 2). [5]<br />
Prognose<br />
Über Kombination <strong>der</strong> Operation mit einer<br />
Ganzhirnbestrahlung und ggf. mit einer<br />
zusätzlichen Chemotherapie lässt sich ein<br />
medianes Überleben von acht bis 13 Monaten<br />
erreichen. Dabei steht <strong>der</strong> Erhalt <strong>der</strong><br />
Lebensqualität im Fokus. Auch wenn eine<br />
Hirnfilialisierung ein signum mali darstellt,<br />
kann, insbeson<strong>der</strong>e bei chronischem Verlauf<br />
<strong>der</strong> Systemerkrankung (z. B. Mammakarzinom),<br />
durch<strong>aus</strong> ein Langzeitüberleben<br />
erreicht werden, im Einzelfall bis über<br />
zehn Jahre.<br />
Kontakt<br />
Prof. Dr. Uwe Kehler<br />
Neurochir<br />
Abb. 3: Beispiel <strong>für</strong> Neuronavigation mit Zugangsplanung<br />
und intraoperativem Bild <strong>der</strong> Metastase durch das<br />
Operationsmikroskop (rechts oben)<br />
Abteilung <strong>für</strong> Neurochirurgie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />
Paul-Ehrlich-Straße 1 – 22763 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 16 70<br />
Fax (0 40) 18 18-81 49 11<br />
E-Mail: u.kehler@asklepios.com<br />
Literatur<br />
[1] Patchell RA, Tibbs PA, Walsh JW et al. A randomised<br />
trial of surgery in the treatment of single metastases to the<br />
brain. N Engl J Med 1990; 322(8): 494-500.<br />
[2] Ranasinghe MG, Sheehan JM. Surgical management of<br />
brain metastases. Neurosurg Focus 2007; 22(3): E2.<br />
[3] Swinson BM, Friedman WA. Linear accelerator stereotactic<br />
radiosurgery for metastatic brain tumors: 17 years of<br />
experience at the University of Florida. Neurosurgery 2008;<br />
62(5): 1018-31.<br />
[4] Cavaliere R, Schiff D. Chemotherapy and cerebral<br />
metastases: misperception or reality? Neursurg Focus 2007;<br />
22(3): E6.<br />
[5] Schackert G, Felsberg J, Reifenberger G, Schlegel U.<br />
Hirnmetastasen. Neuropathologie – Allgemeine Therapiemaßnahmen<br />
– Operative Therapie. Der Onkologe 2008;<br />
14: 233-45.<br />
625
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
Frühe intrauterine Wachstumsretardierung<br />
bei maternaler Thrombophilie<br />
Dr. Wolf-Henning Becker<br />
Fetale Wachstumsretardierungen (intrauterine growth restriction = IUGR) gehen mit einer deutlich erhöhten<br />
perinatalen Mortalität und Morbidität einher. Als Ursache einer plazentaren Mangelversorgung werden zunehmend<br />
Thrombophilien erkannt. [5,6,7] Im beschriebenen schweren Fall ließ sich eine außergewöhnlich lange Schwangerschaftsprolongation<br />
unter Heparin erreichen. Beson<strong>der</strong>e Bedeutung hatte dabei die kooperative Verzahnung des<br />
ambulanten mit dem stationären Bereich.<br />
Eine 32-jährige Erstgravida/Nullipara<br />
wurde bei 27+3 Schwangerschaftswochen<br />
(SSW) mit <strong>der</strong> Verdachtsdiagnose „Wachstumsstillstand“<br />
zur weiterführenden ambu -<br />
lanten Diagnostik überwiesen. Familienund<br />
Eigenanamnese <strong>der</strong> Patientin waren<br />
unbelastet, <strong>der</strong> Schwangerschaftsverlauf<br />
bis dato unauffällig. Im „Pränatalzentrum<br />
Hamburg“ wurde folgen<strong>der</strong> Ultraschall -<br />
befund erhoben:<br />
■ IUGR mit einem geschätzten Fetal -<br />
gewicht von 628 g (< 3er Perzentile)<br />
■ Kopf-Rumpf-Wachstumsdiskrepanz<br />
(KU/AU 1,381)<br />
■ Oligohydramnie (größtes Depot 3,0 cm<br />
durchmessend)<br />
■ erhöhter uteroplacentarer Gefäßwi<strong>der</strong>stand,<br />
fetale Kreislaufzentralisation<br />
■ hyperechogener Darm<br />
■ kein Nachweis fetaler Fehlbildungen<br />
Die weitere Abklärungsdiagnostik zeigte<br />
folgende Befunde:<br />
■ unauffälliger weiblicher Karyotyp des<br />
Feten (46,XX)<br />
■ unauffällige Infektionsserologie auf<br />
CMV und Röteln<br />
626<br />
■ molekulargenetischer Nachweis thrombophilierelevanter<br />
Faktoren:<br />
– Faktor V Leiden – Mutation (heterozygot)<br />
– MTHFR – Mutation A1298C (homozygot)<br />
– PAI-1 Polymorphismen -675 4G/5G<br />
(heterozygot) und -844 A/G (hetero -<br />
zygot)<br />
■ Erhöhung <strong>der</strong> D-Dimere (389 ng/ml),<br />
Homocysteinspiegel im Normbereich<br />
(6,86 µmol/l)<br />
Wegen <strong>der</strong> IUGR-Situation mit Kreislaufzentralisation<br />
erfolgte umgehend die stationäre<br />
Aufnahme im Perinatalzentrum. In<br />
Erwartung einer Frühgeburt innerhalb <strong>der</strong><br />
nächsten acht Tage wurde eine Lungen -<br />
reifeinduktion mit 2 x 12 mg Betamethason<br />
durchgeführt. Die Patientin erhielt eine<br />
Heparintherapie mit Nadroparin 0,8 ml,<br />
wodurch sich die D-Dimere normalisierten.<br />
CTG-Kontrollen waren unauffällig. Dopp -<br />
lerultraschalluntersuchungen erfolgten im<br />
Zweitagesintervall. Dabei zeigte sich nach<br />
einigen Tagen eine allmähliche Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Hämodynamik mit Verschwinden<br />
<strong>der</strong> fetalen Kreislaufzentralisation: Der uteroplacentare<br />
Gefäßwi<strong>der</strong>stand nahm ab,<br />
die Weitstellung <strong>der</strong> A. cerebri media<br />
(brain sparing) war rückläufig und verschwand<br />
schließlich ganz. Das Kind zeigte<br />
ein perzentilenparalleles Wachstum, die<br />
Fruchtwassermenge nahm als Zeichen<br />
einer verbesserten Nierenperfusion und<br />
vermehrten Urinproduktion zu (Abb. 4).<br />
Unter Fortführung <strong>der</strong> Heparintherapie<br />
und <strong>der</strong> Dopplerkontrollen wurde die<br />
Patientin nach zwölf Tagen in die ambulante<br />
Betreuung entlassen. Der günstige<br />
Verlauf setzte sich fort, wobei die uterinen<br />
Gefäßwi<strong>der</strong>stände den Normbereich<br />
erreichten (Abb. 1 und 2). Wegen eines<br />
nachlassenden Intervallwachstums mit<br />
weiterer Entfernung vom Normalbereich<br />
(Abb. 3) wurde schließlich bei SSW 34+0<br />
die primäre Sectio indiziert. Das Geburtsgewicht<br />
des entbundenen Mädchens betrug<br />
1.340 g, APGAR 9/10/10, NabelarterienpH<br />
7,34. Neonatalphase und Wochenbett<br />
waren komplikationslos.<br />
Diskussion<br />
Die Ursachen <strong>für</strong> eine IUGR sind vielfältig<br />
und werden im Wesentlichen in mütterliche,<br />
plazentare und fetale Ursachen unterteilt.<br />
[2] Ein sonographischer Fehlbildungs<strong>aus</strong>schluss<br />
gehört heute zum Standard. Bis<br />
zu 38 % <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> mit Chromosomenaber-
Abb. 1: Verlauf des Resistance Index <strong>der</strong> A. uterina li.<br />
ration zeigen ein Mangelwachstum, [1] weshalb<br />
eine cytogenetische Abklärung angeboten<br />
werden sollte. Die hämodynamische<br />
Situation in Verbindung mit dem disproportionierten<br />
Wachstum geben in diesem<br />
Fall aber schon einen deutlichen Hinweis<br />
auf eine plazentare Ursache. Als Korrelat<br />
einer Gefäßreifungsstörung im uteroplazentaren<br />
Bereich (fehlende Erweiterung<br />
<strong>der</strong> Spiralarterien, gestörte Trophoblastinvasion)<br />
zeigt sich <strong>der</strong> persistierend hohe<br />
Wi<strong>der</strong>stand in den Aa. uterinae. [3] Diese<br />
Gefäßreifung ist nach 26 SSW normalerweise<br />
abgeschlossen. [4] Umso bemerkenswerter<br />
ist die späte Normalisierung in diesem<br />
Fall. Eine Thrombophilie begünstigt<br />
die Entstehung einer plazentaren Vaskulopathie<br />
mit Mikrothrombosen, [5] wobei hier<br />
eine Rekanalisation thrombotisch verschlossener<br />
Gefäße unter Heparin anzunehmen<br />
ist. Anamnestische Hinweise <strong>für</strong><br />
eine Thrombophilie <strong>der</strong> Patientin fehlten.<br />
Jedoch wird vor allem die Faktor-V-Leiden-Mutation<br />
bei Frauen mit IUGR in bis<br />
zu 35 % nachgewiesen. [6] Sie bewirkt, dass<br />
Faktor V resistent gegen die Inaktivierung<br />
durch Protein C wird. In Kombination mit<br />
den hier vorliegenden Polymorphismen im<br />
Promoterbereich des PAI-1 Gens ist von<br />
einer Potenzierung <strong>der</strong> thrombotischen<br />
Abb. 2: Verlauf des Resistance Index <strong>der</strong> A. uterina re.<br />
Abb. 3: Nachlassendes Intervallwachstum Abb. 4: Zunahme <strong>der</strong> Fruchtwassermenge<br />
Wirkung <strong>aus</strong>zugehen. Der MTHFR-Mutation<br />
kommt bei normalem Homocysteinspiegel<br />
eine untergeordnete Rolle zu. [7] Die<br />
Datenlage zur thrombophilieassoziierten<br />
IUGR ist zurzeit allerdings nicht eindeu-<br />
tig. [6,8]<br />
Eine therapeutische Antikoagulation <strong>aus</strong><br />
fetaler Indikation stellt einen off-label-use<br />
dar, weshalb eine schriftliche Aufklärung<br />
erfolgen sollte. Der Einsatz nie<strong>der</strong>molekularen<br />
Heparins bietet dabei Vorteile gegenüber<br />
unfraktioniertem Heparin und Warfarin,<br />
vor allem wegen eines nur geringen<br />
Risikos <strong>für</strong> HIT und Osteoporose sowie<br />
fehlen<strong>der</strong> Plazentagängigkeit. [5]<br />
Durch Kooperation von Spezialpraxis und<br />
Perinatalzentrum <strong>der</strong> höchsten Versorgungsstufe<br />
werden Hochrisikopatientinnen<br />
<strong>aus</strong> einer Hand betreut. Die Behandlungsart<br />
(ambulant/stationär) wechselt dabei<br />
ohne Schnittstellenproblematik. Ein pränataler<br />
Rufdienst hält zudem die Kompetenz<br />
in Bereitschaftsdienstzeiten vor. Wie dieser<br />
Fall zeigt, ist eine leistungsstarke Humangenetik<br />
als Partner unentbehrlich.<br />
Literatur<br />
Pränatalmedizin<br />
[1] Khoury MJ, Erickson JD, Cor<strong>der</strong>o JF, McCarthy BJ. Congenital<br />
malformations and intrauterine growth retardation:<br />
a population study. Pediatrics. 1988; 82: 83-90.<br />
[2] Robson SC, Chang TC. Intrauterine growth retardation.<br />
In: Reed GB, Claireaux AE, Cockburn F (eds.): Diseases of<br />
the fetus and newborn. London: Chapman & Hall 1995:<br />
275-83.<br />
[3] Olofson P, Laurini RN, Marsal K. A high uterine artery<br />
pulsatility index reflects a defective development of placental<br />
spiral arteries in pregnancies complicated by hypertension<br />
and fetal growth retardation. Eur J Obstet Gynecol.<br />
1993; 49: 161-8.<br />
[4] Irion O, Masse J, Forest LC, Moutquin JM. Prediction of<br />
pre-eclampsia, low birth-weight for gestation and prematurity<br />
by artery blood flow velocity waveforms analysis in<br />
low risk nulliparous women. Brit J Obstet Gynaecol. 1998;<br />
105: 422-9.<br />
[5] Amiram E. Thrombophilia and its treatment in pregnancy.<br />
Journal of Thrombosis and Thrombolysis. 2001;<br />
12(1): 23-30.<br />
[6] Stella CL, How HY, Sibai BM. Thrombophilia and ad -<br />
verse maternal-perinatal outcome: Controversies in screening<br />
and management. Am J Perinatol. 2006; 23: 499-506.<br />
[7] Kupferminc MJ. Thrombophilia and pregnancy. Reproductive<br />
Biology and Endocrinology. 2003; 1: 111.<br />
[8] Nath CA, Ananth CV, DeMarco C, Vintzileos AM (on<br />
behalf of for The New Jersey-Placental Abruption Study<br />
Invetigators). Associations between 2 polymorphisms in<br />
the methylenetetrahydrofolate reductase gene and placental<br />
abruption. Am J Obstet Gynecol. 2008 March; 198(3):<br />
293.e1-293.e5.<br />
Kontakt<br />
Dr. Wolf-Henning Becker<br />
Perinatalzentrum Altona (Level 1)<br />
Leitung Pränatalmedizin<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />
Paul-Ehrlich-Straße 1 – 22763 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 16 99<br />
Fax (0 40) 18 18-81 49 27<br />
E-Mail: w.becker@asklepios.com<br />
Praxiszeiten Mo. – Fr. 8.00 – 13.00 Uhr<br />
und nach Vereinbarung, Anmeldung s. o.<br />
In Kooperation und Praxisgemeinschaft<br />
mit:<br />
Pränatalzentrum Hamburg<br />
und Humangenetik im Gynaecologikum<br />
Altonaer Straße 61<br />
20357 Hamburg<br />
627
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
Eine schwierige Geburt<br />
Größenprogredientes Hämangiom des 8. BWK einer Schwangeren<br />
Dr. Mathias Hamann, Dr. Einar Goebell, Priv.-Doz. Dr. Paul Kremer<br />
Bei einer 31-jährigen Schwangeren entwickelte sich über Wochen eine progrediente Querschnittssymptomatik auf<br />
dem Boden eines expansiv wachsenden Hämangioms des 8. Brustwirbelkörpers. Neben den operativen Maßnahmen<br />
mit spinaler Dekompression, Corporektomie mit Wirbelkörperersatz und dorsaler Stabilisierung wird die<br />
interdisziplinäre Zusammenarbeit von Anästhesie, Geburtshilfe, Neonatologie, Thoraxchirurgie, Neurochirurgie<br />
und Neuroradiologie bei diesem seltenen Krankheitsbild beschrieben.<br />
Fallbeschreibung<br />
Die 31-jährige erstgebärende Schwangere<br />
klagte seit <strong>der</strong> 24./25. Schwangerschaftswoche<br />
über leicht progrediente Taubheitsgefühle<br />
und eine rechtsbetonte Schwäche<br />
in beiden Beinen. Schmerzen im Bereich<br />
<strong>der</strong> Wirbelsäule wurden verneint, ein Trauma<br />
war zu keinem Zeitpunkt erinnerlich.<br />
Neurologisch beschrieb sie eine Querschnittssymptomatik<br />
mit sensibler Grenze<br />
ab TH 10. Eine vorliegende MRT-Untersuchung<br />
<strong>der</strong> HWS und BWS zeigte eine ex -<br />
pansiv wachsende, den gesamten 8. BWK<br />
durchsetzende Raumfor<strong>der</strong>ung mit paravertebraler<br />
und intraspinaler Ausdehnung<br />
und deutlicher Myelonkompression<br />
(Abb. 1). Da auf Röntgen-Nativaufnahmen<br />
des Thorax <strong>aus</strong> dem Jahre 2003 als Zufallsbefund<br />
ein Wirbelkörperhämangiom des<br />
8. BWK bekannt war, wurde in erster Linie<br />
ein größenprogredienter Tumor dieser<br />
Entität vermutet. Bei Aufnahme in unserer<br />
<strong>Klinik</strong> befand sich die Patientin in <strong>der</strong><br />
28. SSW, bot klinisch bei selbstständiger<br />
Gehfähigkeit ein ataktisches Gangbild mit<br />
628<br />
rechtsbetonten Fußkloni, im Beinhalteversuch<br />
zeigte sich eine Absinktendenz beidseits<br />
rechtsbetont bei gesteigert erhältlichen<br />
Beineigenreflexen und Hypästhesie ab<br />
TH 10 wie<strong>der</strong>um rechtsbetont, keine<br />
Blasen-/Mastdarmstörung.<br />
Nach Beratung mit den Kollegen <strong>der</strong><br />
Geburtshilfe und <strong>der</strong> Neonatologie wurde<br />
die Geburt zehn Tage nach stationärer Aufnahme<br />
bei unverän<strong>der</strong>t klinisch stabilem<br />
Zustand <strong>der</strong> Mutter per Sectio eingeleitet,<br />
um durch den Zeitgewinn eine weitere<br />
Rei fung des Frühgeborenen zu ermöglichen.<br />
Nach <strong>der</strong> Entbindung führte die<br />
neuroradiologische Abteilung neben einem<br />
BWS-CT (Abb. 2) eine spinale Angiographie<br />
(Abb. 3) durch, wodurch <strong>der</strong> vaskuläre<br />
Prozess im 8. BWK mit Partikeln teil -<br />
embolisiert werden konnte. Am folgenden<br />
Tag wurde eine dekompressive Teilhemilaminektomie<br />
mit Tumorteilexstirpation vorgenommen.<br />
Überraschen<strong>der</strong>weise war <strong>der</strong><br />
Prozess trotz Embolisation sehr gefäßreich<br />
und ging mit einem intraoperativen Blutverlust<br />
von zwei Litern einher. Eine befrie-<br />
digende Blutstillung ließ sich nur durch<br />
zusätzliches Einbringen von Hämostyptika<br />
erreichen. Entsprechend gelang die Myelondekompression<br />
nur in nicht befriedigendem<br />
Ausmaß. Histologisch bestätigte<br />
sich ein teils kavernöses, teils kapilläres<br />
Hämangiom.<br />
Nach anfänglicher klinischer Stabilisierung<br />
verschlechterte sich die neurologische<br />
Symptomatik erneut, sodass sieben Tage<br />
nach Erstoperation die Corporektomie des<br />
8. BWK mit Wirbelkörperersatz (distrahierbarer<br />
Titancage Obelisk, Fa. Ulrich) – über<br />
eine posterolaterale Thorakotomie in<br />
Zusammenarbeit mit den Kollegen <strong>der</strong><br />
Thoraxchirurgie <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong><br />
Harburg – durchgeführt wurde (Abb. 4).<br />
Der Blutverlust dabei war sehr gering. Die<br />
<strong>aus</strong> Stabilitätsgründen notwendige dorsolaterale<br />
Spondylodese BWK 6 auf 10 mit<br />
einem Stab-Schraubensystem unter Verwendung<br />
<strong>der</strong> spinalen Neuronavigation<br />
war wegen eines Wundinfekts im Bereich<br />
<strong>der</strong> Sectionarbe erst nach weiteren 14 Tagen<br />
möglich. Klinisch bildete sich die myeläre
Abb. 1: Die sagittalen Kernspintomographien <strong>der</strong> HWS und<br />
BWS sowie die axiale Aufnahme des 8. Brustwirbelkörpers<br />
(alle in T2-Wichtung) zeigen das expansive Wachstum in den<br />
Spinalkanal mit beidseitiger Kompression des Rückenmarks.<br />
Symptomatik langsam aber vollständig<br />
zurück, sodass die Patientin acht Wochen<br />
nach <strong>der</strong> letzten Operation ohne fremde<br />
Hilfe gehfähig war.<br />
Diskussion<br />
Wirbelkörperhämangiome gelten als sehr<br />
langsam wachsende, relativ häufig anzutreffende,<br />
benigne vaskuläre Tumoren [7]<br />
mit einer geschätzten Inzidenz von 10 bis<br />
12 Prozent [1,2] , Frauen bevorzugt. [12] In <strong>der</strong><br />
Regel sind sie asymptomatisch und werden<br />
als Zufallsbefund entdeckt. Überwiegend<br />
betroffen sind die mittlere/untere BWS und<br />
die LWS. Sie können einzeln o<strong>der</strong> multi -<br />
lokulär vorhanden sein. Lediglich 0,9 bis<br />
1,2 Prozent aller Wirbelkörperhämangiome<br />
werden symptomatisch, wobei sich das<br />
klinische Erscheinungsbild von Schmerzen<br />
über Nervenwurzelkompression bis zu<br />
schwersten neurologischen Ausfällen präsentieren<br />
kann. [5] Der Zusammenhang eines<br />
größenprogredienten Hämangioms in einer<br />
Schwangerschaft wurde erstmals 1927<br />
beschrieben. [3] Die Symptome treten meist<br />
im dritten Trimenon auf [11] und werden<br />
anfangs oft fehlgedeutet. Im vorliegenden<br />
Fall ließen sich die Symptome schnell <strong>der</strong><br />
Diagnose zuordnen, da ein ursprünglich<br />
asymptomatisches Wirbelkörperhämangiom<br />
bekannt war.<br />
Physiologische Verän<strong>der</strong>ungen auf vaskulärer,<br />
hämodynamischer und hormoneller<br />
Ebene in <strong>der</strong> Schwangerschaft erscheinen<br />
als ursächlich, ein präexistentes Hämangiom<br />
expansiv wachsen zu lassen, wobei<br />
<strong>der</strong> Anstieg des venösen Druckes durch<br />
die mechanische Obstruktion <strong>der</strong> V. cava<br />
inferior durch den Föten als wichtigster<br />
pathogenetischer Faktor zu vermuten<br />
ist. [9,10] Progesteron- und Östrogenrezeptoren<br />
ließen sich in Hämangiomen, die sich<br />
histologisch kavernös, kapillär o<strong>der</strong><br />
gemischt darstellen, nicht nachweisen. [8]<br />
Bei einem größenprogredienten Wirbel -<br />
körperhämangiom ist die Kernspintomographie<br />
das wichtigste und wenig belastende<br />
Diagnostikum. Sie erlaubt eine<br />
sichere Zuordnung <strong>der</strong> seltenen Tumor -<br />
Neurochirurgie und -radiologie<br />
Abb. 2: Coronare und sagittale CT-Rekonstruktion des BWK 8 mit typischer strähniger<br />
Knochenstruktur eines Hämangiomwirbels<br />
entität in T1- und T2-Sequenzen und weist<br />
auch die Ausmaße <strong>der</strong> tumorösen Durchsetzung<br />
des Wirbelkörpers, des expansiven<br />
intraspinalen Tumoranteils und <strong>der</strong> dadurch<br />
bedingten Rückenmarksbedrängung schnell<br />
und zuverlässig nach.<br />
Am Primat <strong>der</strong> chirurgischen Therapie bei<br />
einem größenprogredienten Wirbelkörperhämangiom<br />
mit langsam fortschreiten<strong>der</strong><br />
Querschnittssymptomatik besteht kein<br />
Zweifel, wobei <strong>der</strong> Zeitpunkt <strong>der</strong> Intervention<br />
zum einen vom klinischen Zustand <strong>der</strong><br />
Mutter, zum an<strong>der</strong>en vom reifenden Fötus<br />
abhängt. In diesem Spannungsfeld gilt es,<br />
den richtigen Zeitpunkt zu finden.<br />
Als effektives Verfahren bietet sich die dorsale<br />
Dekompression über eine (Teil-)Lamin -<br />
ektomie [4] nach vorheriger Embolisation an.<br />
Letzteres wird von den meisten Autoren<br />
aufgrund möglicher bedrohlicher intraoperativer<br />
Blutverluste angeraten. Führt dies,<br />
wie in unserem Fall, nicht zum ge wünsch -<br />
ten Ergebnis, muss die Behandlungsoption<br />
erweitert werden, wobei neuere Arbeiten<br />
629
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
Abb. 3: Angiographische Darstellung des Tumors vor<br />
und nach selektiver Embolisation <strong>der</strong> Segmentarterien<br />
bds. mit PVA-Partikeln<br />
das aggressivere Vorgehen – Corporektomie<br />
mit anschließen<strong>der</strong> Stabilisierung, sog.<br />
360°-Instrumentierung – favorisieren. [1]<br />
Dieses Verfahren weist heute eine geringe<br />
Komorbidität auf. Weitere Therapieoptionen<br />
wie Bestrahlung, intravertebrale Alkohol -<br />
injektionen [6] und Vertebro-/Kyphoplastie<br />
mit PMMA-Zement sind <strong>der</strong> Vollständigkeit<br />
halber erwähnt, führen aber nicht zu<br />
einer raschen und <strong>aus</strong>reichenden Myelondekompression.<br />
Literatur<br />
[1] Acosta FL, Christopher F, Chin C, Tihan T, Ames CP,<br />
Weinstein PR. Current treatment strategies and outcomes<br />
in the management of symptomatic vertebral hemangiomas.<br />
Neurosurgery 2006; (58)2: 287-95.<br />
[2] Bandiera S, Gasbarinni A, De Iure F, Cappuccio M,<br />
Picci P, Boriani S. Symptomatic vertebral hemangioma. The<br />
treat ment of 23 cases and a review of the literature. Chir<br />
Organi Mov. 2002; (87)1: 1-15.<br />
[3] Chi JH, Manley GT, Chou D. Pregnancy-related vertrebral<br />
hemangioma. Case report, review of the literature, and<br />
management algorithm. Neurosurg Focus 2005; (19)3: E7.<br />
[4] Inamasu J, Nichols TA, Guiot BH. Vertebral hemangioma<br />
symptomatic during pregnancy treated by posterior<br />
decompression, intraoperative vertebroplasty, and segmental<br />
fixation. J Spinal Disord Tech. 2006; (19)6: 451-4.<br />
630<br />
Abb. 4: Postoperative CT nach Wirbelkörperersatz mit einem distrahierbaren Titancage und<br />
dorsolateraler Spondylodese BWK 6 auf 10<br />
[5] Karaeminogullari O, Tuncay C, Demirors H, et al. Multilevel<br />
vertebral hemangiomas: two episodes of spinal cord<br />
compression at separate levels 10 years apart. Eur Spine J<br />
2005; (14): 706-10.<br />
[6] Murugan L, Samson RS, Chandy MJ. Management of<br />
symptomatic vertebral hemangiomas: review of 13 patients.<br />
Neurol India 2002; (50): 300-5.<br />
[7] Redekop GJ, Del Maestro RF. Vertebral hemangioma<br />
c<strong>aus</strong>ing spinal cord compression during pregnancy. Surg<br />
Neurol 1992; (38)3: 210-5.<br />
[8] Roelvink NC, Kamphorst W, August H, van Alphen M,<br />
Rao BR. Literature statistics do not support a growth stimulating<br />
role of female sex steroid hormones in haemangiomas<br />
and meningiomas. J Neurooncol. 1991; (11)3: 243-53.<br />
[9] Tekök IH, Açìgöz B, Saglam S, Önol B. Verterbral hemangioma<br />
symptomatic during pregnancy – report of a case<br />
and review of the literature. Neurosugery 1993; (32)2:<br />
302-6.<br />
[10] Vijay K, Ajoy PS, Rajasekaran S. Symptomatic vertebral<br />
hemangioma in pregnancy treated antepartum. A case<br />
report with review of literature. Eur Spine J 2008; (17)Suppl<br />
2: 299-303.<br />
[11]Yuksel M, Zafer Yuksel K, Tuncel D, Zencirci B, Bakaris<br />
S. Symptomatic vertebral hemangioma related to pregnancy.<br />
Emerg Radiol 2007; (13): 259-63.<br />
[12]Yung BCK, Loke TKL, Yuen NWF, Chan CC. Spinal<br />
cord compression c<strong>aus</strong>ed by thoracic vertebral hemangioma<br />
involving only the posterior elements of two contiguous<br />
vertebrae. Skeletal Radiol 1998; (27): 169-72.<br />
Kontakt<br />
Dr. Mathias Hamann<br />
Priv.-Doz. Dr. Paul Kremer<br />
Abteilung <strong>für</strong> Neurochirurgie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />
Tangstedter Landstraße 400<br />
22417 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-87 33 48<br />
Fax (0 40) 18 18-87 36 73<br />
E-Mail: ma.hamann@asklepios.com<br />
Dr. Einar Goebell<br />
Abteilung <strong>für</strong> Radiologie/Neuroradiologie<br />
Bereichsleiter interventionelle Radiologie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />
Tangstedter Landstraße 400<br />
22417 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-87 33 32<br />
Fax (0 40) 18 18-87 36 88<br />
E-Mail: e.goebell@asklepios.com
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona: Neuer Chefarzt <strong>der</strong> Allgemein- und Viszeralchirurgie<br />
Prof. Dr. Wolfgang Schwenk (45) trat am<br />
2. Januar 2009 die Nachfolge von Prof.<br />
Dr. Wolfgang Teichmann als Chefarzt <strong>der</strong><br />
I. Chirurgischen Abteilung in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong><br />
<strong>Klinik</strong> Altona an. Schwenk wurde in Düsseldorf<br />
geboren, ist verheiratet und lebte<br />
mit seiner Frau und zwei Kin<strong>der</strong>n in Berlin.<br />
Er studierte Humanmedizin an <strong>der</strong> Heinrich-Heine-Universität<br />
Düsseldorf und am<br />
Baylor College of Medicine im texanischen<br />
Houston, promovierte 1992 zum Thema<br />
„Zur Bedeutung des intraluminalen Shunts<br />
und des intraoperativen Monitorings mittels<br />
somatosensibel evozierter Potentiale bei<br />
rekonstruktiven Eingriffen an supraaortalen<br />
Gefäßen“ unter Prof. Dr. W. Sandmann.<br />
Seine Weiterbildung zum Facharzt <strong>für</strong><br />
Chirurgie absolvierte Schwenk im Marien-<br />
Hospital Düsseldorf unter Prof. Dr. W.<br />
Stock und später an <strong>der</strong> Universitätsklinik<br />
und Poliklinik <strong>für</strong> Chirurgie <strong>der</strong> Medizinischen<br />
Fakultät <strong>der</strong> Humboldt-Universität<br />
zu Berlin, Charité.<br />
1997 habilitierte er sich mit <strong>der</strong> Schrift<br />
„Unterschiede im kurzfristigen postoperativen<br />
Verlauf nach konventionellen und<br />
laparoskopischen kolorektalen Resektionen“<br />
und erhielt die Venia legendi <strong>für</strong> das<br />
Fach Chirurgie. Seit 1999 arbeitete er als<br />
Oberarzt an <strong>der</strong> Universitätsklinik <strong>für</strong> Allgemein-,<br />
Visceral-, Gefäß- und Thoraxchirurgie,<br />
Charité Universitätsmedizin Berlin<br />
Campus Mitte, seit 2002 als Stellvertreten<strong>der</strong><br />
<strong>Klinik</strong>direktor und leiten<strong>der</strong> Oberarzt.<br />
2001 erhielt Schwenk die Anerkennung <strong>für</strong><br />
die Teilgebietsbezeichnung Gefäßchirurgie,<br />
2002 <strong>für</strong> Viszeralchirurgie, 2003 wurde er<br />
zum Außerplanmäßigen Professor <strong>für</strong><br />
Chirurgie berufen. Schwerpunkte seiner<br />
klinischen und wissenschaftlichen Tätigkeit<br />
in Berlin waren unter an<strong>der</strong>em Tumor-,<br />
minimal-invasive und kolorektale Chirurgie,<br />
onkologische Chirurgie, perioperative<br />
Pathophysiologie, „Fast-track“-Chirurgie,<br />
perioperative Schmerztherapie sowie die<br />
Lebensqualität chirurgischer Patienten.<br />
1996 erhielt Schwenk den Fritz Lin<strong>der</strong>-<br />
Forum Preis <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft<br />
<strong>für</strong> Chirurgie <strong>für</strong> die Arbeit „Einfluss des<br />
Pneumoperitoneums mit Kohlendioxid,<br />
Helium und Argon auf die Leber- und Nierendurchblutung<br />
und kardiorespiratorische<br />
Parameter“, 1998 den Von Mikulicz-<br />
Kelling-Preis <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft<br />
<strong>für</strong> Chirurgie <strong>für</strong> die „Prospektiv-randomisierte<br />
Untersuchung klinisch relevanter<br />
Unterschiede im postoperativen Verlauf<br />
nach laparoskopischen und konventionellen<br />
Resektionen kolorektaler Tumore“ und<br />
2008 den För<strong>der</strong>preis <strong>für</strong> perioperative<br />
Medizin <strong>für</strong> eine Publikation zu den Ergebnissen<br />
<strong>der</strong> „Fast-track“-Rehabilitation bei<br />
elektiven Dickdarmoperationen.<br />
Schwenk ist Mitglied nationaler und internationaler<br />
Fachgesellschaften, Vorstandsmitglied<br />
<strong>der</strong> Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft<br />
<strong>für</strong> minimal-invasive Chirurgie<br />
(CAMIC) und Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> chirurgischen<br />
Arbeitsgemeinschaft <strong>für</strong> Perioperative<br />
Medizin.<br />
In Altona wird Prof. Schwenk mit seinem<br />
Team die von Professor Teichmann eta-<br />
Personalia<br />
blierten Schwerpunkte in <strong>der</strong> Viszeral -<br />
chirurgie, nämlich die Chirurgie gut- und<br />
bösartiger Tumoren, die minimal-invasive<br />
Chirurgie, die endokrine Chirurgie und die<br />
chirurgische Behandlung <strong>der</strong> Bauchfellentzündung<br />
fortsetzen und <strong>aus</strong>bauen. Weiterhin<br />
sollen in enger Kooperation mit den<br />
<strong>Klinik</strong>en <strong>für</strong> Anästhesiologie und Gastro -<br />
enterologie mo<strong>der</strong>ne Konzepte zur Be -<br />
schleunigung <strong>der</strong> Genesung nach operativen<br />
Eingriffen und Vermeidung postoperativer<br />
Komplikationen („Fast-track“-Rehabilitation)<br />
etabliert werden. Schließlich möchte<br />
Prof. Schwenk im zertifizierten Zentrum<br />
<strong>für</strong> Onkologie und zertifizierten organ -<br />
spezifischen Zentren in enger Zusammenarbeit<br />
mit Onkologie, Radiologie, Strahlentherapie<br />
und nie<strong>der</strong>gelassenen Kolleginnen<br />
und Kollegen die Behandlung von Patienten<br />
mit Tumorerkrankungen weiter optimieren.<br />
Kontakt<br />
Prof. Dr. Wolfgang Schwenk<br />
I. Chirurgische Abteilung –<br />
Allgemein- und Viszeralchirurgie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />
Paul-Ehrlich-Straße 1<br />
22763 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 16 01<br />
Fax (0 40) 18 18-81 49 07<br />
E-Mail: w.schwenk@asklepios.com<br />
631
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
Diagnostik <strong>der</strong> Halsarterien-Dissektion<br />
Prof. Dr. Christian Arning, Dr. Jürgen Rieper<br />
Dissektionen <strong>der</strong> A. carotis und A. vertebralis zählen zu den häufigen Schlaganfallursachen junger Patienten<br />
(< 45 Jahre). Therapiestandard ist die Antikoagulation mit Heparin und Marcumar. Dazu muss die beson<strong>der</strong>e<br />
Gefäßpathologie frühzeitig nachgewiesen werden. Als diagnostischer Goldstandard gilt heute die MR-Tomographie<br />
in Kombination mit MR-Angiographie: Das Wandhämatom lässt sich als Signalanhebung in speziellen MR-<br />
Sequenzen (T1-Wichtung mit Fettsättigung) nachweisen (Abb. 1). Der Nachweis hängt aber unter an<strong>der</strong>em vom<br />
Alter <strong>der</strong> Dissektion ab und gelingt nicht immer, an <strong>der</strong> A. vertebralis sogar nur in etwa jedem vierten Fall. [1]<br />
Inzwischen hat sich die Sonographie mit hochauflösenden Systemen zu einer wichtigen Alternative <strong>für</strong> die<br />
Diagnostik <strong>der</strong> Halsarterien-Dissektion entwickelt.<br />
Dissektionen entstehen durch Austritt von<br />
Blut in die Arterienwand, entwe<strong>der</strong> nach<br />
vor<strong>aus</strong>gegangenem Intimaeinriss o<strong>der</strong> <strong>aus</strong><br />
einer Blutung <strong>der</strong> Vasa vasorum. [2] Abhängig<br />
von <strong>der</strong> Ursache <strong>der</strong> Einblutung kann<br />
eine Verbindung zum Gefäßlumen vorhanden<br />
sein o<strong>der</strong> fehlen. An den zervikalen<br />
Arterien wird auch ein intramurales Hä -<br />
matom ohne Intimaruptur als Dissektion<br />
bezeichnet (Abb. 2). Drei verschiedene<br />
Krankheitsbil<strong>der</strong> können Ursache <strong>der</strong><br />
Halsarterien-Dissektion sein (Tab. 1). Weit<strong>aus</strong><br />
am häufigsten sind spontane Dissektionen.<br />
Krankheitsbil<strong>der</strong> mit Dissektion <strong>der</strong> Halsarterien<br />
■ Spontane Dissektion einschließlich Dissektion<br />
bei Bagatelltrauma<br />
■ Gefäßverletzung und iatrogene Läsion durch<br />
Punktion<br />
■ Aortendissektion Typ Stanford A mit Ausbreitung<br />
in supraaortale Gefäße<br />
Tab. 1<br />
632<br />
Spontane Halsarterien-Dissektion<br />
Diese Dissektionserkrankung manifestiert<br />
sich an <strong>der</strong> A. carotis interna (ACI) und A.<br />
vertebralis (AVT), selten an an<strong>der</strong>en Zervikalarterien.<br />
[3] Es entsteht ein intramurales<br />
Hämatom, nur selten kommt es zu einer<br />
Intimaruptur o<strong>der</strong> zur Ausbildung eines<br />
doppelten Lumens. Das Wandhämatom<br />
führt zu einer Stenosierung des Lumens<br />
bis zum Gefäßverschluss und/o<strong>der</strong> zu<br />
einer Raumfor<strong>der</strong>ung nach außen mit<br />
möglicher Ausbildung eines Pseudoaneurysmas.<br />
Oft lässt sich in Zusammenhang<br />
mit dem Auftreten <strong>der</strong> Dissektion ein<br />
Bagatelltrauma erfragen, z. B. eine ruckartige<br />
Kopfbewegung beim Tennisspiel o<strong>der</strong><br />
bei an<strong>der</strong>en Sportarten, eine plötzliche<br />
Kopfwendung beim Autofahren o<strong>der</strong> eine<br />
manualtherapeutische Maßnahme an <strong>der</strong><br />
Halswirbelsäule.<br />
Bei ACI-Dissektion ist regelmäßig <strong>der</strong><br />
rostrale extrakranielle Gefäßabschnitt vor<br />
Eintritt <strong>der</strong> Arterie in die Schädelbasis<br />
betroffen (Abb. 3). Von hier <strong>aus</strong> kann sich<br />
die Dissektion nach kaudal bis zur Bifurka-<br />
tion <strong>aus</strong>breiten. Die AVT-Dissektion kommt<br />
in allen Gefäßabschnitten vor, beson<strong>der</strong>s<br />
häufig im oberen und unteren Teil <strong>der</strong><br />
Atlasschleife. Sie betrifft oft langstreckig<br />
mehrere Segmente und kann auch intrakraniell<br />
lokalisiert sein. In etwa 20 Prozent<br />
<strong>der</strong> Fälle tritt die Dissektion bilateral o<strong>der</strong><br />
gleichzeitig an ACI und AVT auf. [4] Rezidive<br />
einer spontanen Dissektion sind selten<br />
und kommen eher bei Patienten mit fibromuskulärer<br />
Dysplasie o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Bindegewebserkrankungen<br />
vor. Das intramurale<br />
Hämatom verursacht drei Arten von<br />
Symptomen (Tab. 2), wobei Schmerzen<br />
und Symptome <strong>der</strong> Gefäßerweiterung<br />
sofort, Schlaganfälle aber meist erst nach<br />
Tagen auftreten. Das Wandhämatom bildet<br />
sich in <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Fälle im Verlauf<br />
von Wochen zurück, dementsprechend<br />
kommt es dann zu einer spontanen Rückbildung<br />
aller Befunde.<br />
Diagnostik <strong>der</strong> ACI-Dissektion<br />
Vor<strong>aus</strong>setzung <strong>für</strong> den Nachweis ist die<br />
klinische Verdachtsdiagnose, da die Diag -<br />
nose mit MRT o<strong>der</strong> Ultraschall immer spe-
Abb. 1: Bilaterale ACI-Dissektion im MRT: Nachweis<br />
des exzentrischen Wandhämatoms als Signalanhebung<br />
in T1-Wichtung mit Fettsättigung<br />
Klinische Symptome <strong>der</strong> spontanen Dissektion<br />
1. Symptome <strong>der</strong> Gefäßwand: Schmerz<br />
■ ACI-Dissektion: Projektion in die ipsilaterale<br />
Gesichts- und Schläfenregion<br />
■ AVT-Dissektion: Projektion in Nacken und<br />
Hinterkopf ipsilateral<br />
2. Symptome <strong>der</strong> Lumeneinengung<br />
■ Stenose, initial meist sehr hochgradig,<br />
intraluminäre Thromben möglich<br />
■ pulssynchrones Ohrgeräusch<br />
3. Symptome <strong>der</strong> Gefäßerweiterung nach außen<br />
■ ACI-Dissektion: Horner-Syndrom und/o<strong>der</strong><br />
Läsion kaudaler Hirnnerven<br />
■ AVT-Dissektion: zervikale Wurzelschädigung<br />
Tab. 2<br />
zielle Sequenzen beziehungsweise Einstellungen<br />
erfor<strong>der</strong>t. Ziel ist die frühe Erkennung<br />
<strong>der</strong> Dissektion vor Eintritt des Schlaganfalls:<br />
Leitsymptom ist <strong>der</strong> einseitige<br />
Schmerz in Verbindung mit lokalen Symptomen<br />
durch das Wandhämatom (Tab. 2),<br />
zum Beispiel ein Horner-Syndrom (Abb. 4).<br />
Für kurzstreckige ACI-Dissektionen unter<br />
<strong>der</strong> Schädelbasis ist die MRT-Diagnostik<br />
vorteilhaft (Abb. 1), da dieser Gefäßabschnitt<br />
im Ultraschallbild nicht direkt dargestellt<br />
werden kann. Hochgradig stenosie-<br />
Abb. 2: Pathoanatomie bei Dissektion <strong>der</strong> Aorta und <strong>der</strong><br />
Halsarterien. a: Intimaruptur mit falschem Lumen bei<br />
Aorten dissektion. b: Intramurales Hämatom bei spontaner<br />
Dissektion <strong>der</strong> Halsarterien, nur selten liegt eine<br />
Intimaruptur vor.<br />
rende Dissektionen, die mit einem hohen<br />
Schlaganfallrisiko verbunden sind, lassen<br />
sich aber mittels indirekter Dopplersonographie-Kriterien<br />
erkennen. [5] Breitet sich<br />
die Dissektion langstreckig nach kaudal<br />
<strong>aus</strong>, ist <strong>der</strong> direkte sonographische Nachweis<br />
immer möglich: Wesentliches diagnostisches<br />
Kriterium ist dann, wie im<br />
MRT, <strong>der</strong> Nachweis des Wand hämatoms<br />
(Abb. 5). Abweichend von <strong>der</strong> Routine -<br />
untersuchung wird das Gefäß nicht nur im<br />
Bereich <strong>der</strong> Bifurkation, son<strong>der</strong>n so weit<br />
wie möglich nach kranial dargestellt. Dies<br />
gelingt mit niedriger Sendefrequenz und<br />
empfindlicher Farbdoppler-Einstellung. [6]<br />
Die Sonographie erlaubt den Nachweis<br />
hochgradig stenosieren<strong>der</strong> ACI-Dissektio -<br />
nen, die mit einem hohen Schlaganfallrisiko<br />
verbunden sind, mit einer Sensitivität<br />
von 96 %. [7] Bei gering stenosierenden Dissektionen<br />
ist die Sensitivität <strong>der</strong> Sonographie<br />
deutlich niedriger, [8] allerdings sind<br />
diese Befunde wahrscheinlich nur mit<br />
einer geringen Schlaganfallgefährdung<br />
verbunden.<br />
Diagnostik <strong>der</strong> AVT-Dissektion<br />
Neurologie<br />
Abb. 3: Typische Angiographiebefunde bei Dissektion<br />
<strong>der</strong> A. carotis interna (schematisch); a: langstreckige<br />
filiforme Stenosierung; b: kurzstreckige Stenose vor<br />
Eintritt in das Felsenbein.<br />
Auch zum Nachweis <strong>der</strong> AVT-Dissektion<br />
ist die klinische Verdachtsdiagnose wichtig:<br />
Mit MRT werden die o. a. speziellen<br />
Sequenzen angefertigt, die Sonographie<br />
erfolgt abweichend von <strong>der</strong> Routineuntersuchung<br />
mit kontinuierlicher Darstellung<br />
des Gefäßes im gesamten extrakraniellen<br />
Verlauf. Beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit erfor<strong>der</strong>t<br />
die Untersuchung <strong>der</strong> Atlasschleife,<br />
oberhalb und unterhalb von C1. Diagnostisches<br />
Kriterium <strong>der</strong> Sonographie ist – wie<br />
an <strong>der</strong> ACI und wie im MRT – <strong>der</strong> Nachweis<br />
des Wandhämatoms (Abb. 6). Das<br />
Ultraschallbild weist Ähnlichkeiten zum<br />
Halo-Zeichen bei Vaskulitis auf, die Lokalisation<br />
<strong>der</strong> Wandverdickung (bei Dissektion<br />
exzentrisch, bei Vaskulitis konzentrisch)<br />
erlaubt aber die Unterscheidung. [8] Da die<br />
AVT – an<strong>der</strong>s als die ACI – mit Ultraschall<br />
kontinuierlich dargestellt werden kann, ist<br />
die Sonographie zum Nachweis <strong>der</strong> AVT-<br />
Dissektion beson<strong>der</strong>s geeignet, während<br />
sich bei <strong>der</strong> MR-Diagnostik an den AVT-<br />
Schleifen oft Probleme ergeben. [1] Valide<br />
Vergleichsuntersuchungen <strong>der</strong> Methoden<br />
633
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
Abb. 4: Horner-Syndrom links bei ACI-Dissektion.<br />
Die klinische Verdachtsdiagnose ist wichtig <strong>für</strong> die<br />
Diagnostik <strong>der</strong> Dissektion.<br />
liegen bisher nicht vor. Abb. 7 zeigt eine<br />
AVT-Dissektion im Methodenvergleich:<br />
MRT und MRA weisen zwar die Stenose<br />
nach, aber nur mit Ultraschall ist die Art<br />
<strong>der</strong> Stenose (Dissektion mit Wandhämatom)<br />
eindeutig erkennbar.<br />
Traumatische Dissektion und iatrogene<br />
Läsion<br />
Scharfe o<strong>der</strong> stumpfe Verletzungen können<br />
sich ganz verschieden auf die Gefäßwand<br />
<strong>aus</strong>wirken: Sie können mit einer Ruptur<br />
<strong>der</strong> Gefäßwandschichten verbunden sein<br />
o<strong>der</strong> ein intramurales Hämatom ohne<br />
Wandruptur verursachen. Häufigste Ursache<br />
einer Gefäßverletzung ist die iatrogene<br />
Läsion durch Fehlpunktion: Hier können<br />
Wandeinblutungen o<strong>der</strong> Intimaeinrisse<br />
entstehen. Am häufigsten ist die A. carotis<br />
communis (ACC), seltener die AVT betroffen.<br />
Ungewöhnlich sind traumatische Dissektionen<br />
<strong>der</strong> ACI.<br />
Methode <strong>der</strong> Wahl zur Diagnostik <strong>der</strong><br />
traumatischen Dissektion ist die Sonographie,<br />
die die betroffenen Arterien (ACC,<br />
634<br />
Abb. 5: ACI-Dissektion mit Wandhämatom:<br />
exzentrische Auftreibung <strong>der</strong> Gefäßwand (Pfeile)<br />
seltener AVT) und ihre Wandstruktur mit<br />
hoher Auflösung abbilden kann. Dem breiten<br />
Spektrum möglicher pathologisch-anatomischer<br />
Verän<strong>der</strong>ungen entsprechend<br />
zeigt die Sonographie ganz unterschiedliche<br />
Befunde: Wandhämatome mit o<strong>der</strong><br />
ohne Intimaruptur, falsche Lumina o<strong>der</strong><br />
Pseudoaneurysmen. Wandhämatome sind<br />
wie bei spontanen Dissektionen exzentrisch<br />
lokalisiert. Die Sonographie ist auch<br />
<strong>für</strong> Verlaufsuntersuchungen sehr gut<br />
geeignet. Vergleichsuntersuchungen mit<br />
an<strong>der</strong>en bildgebenden Verfahren liegen<br />
nicht vor.<br />
Aortendissektion mit Ausbreitung in die<br />
Halsarterien<br />
Ursache ist eine Intimaruptur im Bereich<br />
<strong>der</strong> Aorta ascendens (Typ Stanford A), die<br />
zur Einblutung in die Gefäßwand und<br />
Ausbildung eines falschen Lumens führt.<br />
Die Dissektion kann sich über den Aortenbogen<br />
in die supraaortalen Gefäße <strong>aus</strong>breiten<br />
und betrifft dann oft die A. subclavia<br />
und die ACC, nicht selten beidseitig. Das<br />
falsche Lumen ist hier meist langstreckig<br />
a<br />
b<br />
Abb. 6: AVT-Dissektion im prävertebralen Segment<br />
unterhalb C6: exzentrisches Wandhämatom;<br />
a: Initialbefund; b: Kontrolle nach 4 Wochen<br />
offen, die Strömung im falschen Lumen<br />
kann orthograd, alternierend o<strong>der</strong> retrograd<br />
sein. Leitsymptom <strong>der</strong> akuten Aortendissektion<br />
ist <strong>der</strong> akut einsetzende, heftige<br />
Thoraxschmerz. In einem Teil <strong>der</strong> Fälle<br />
manifestiert sich die Aortendissektion<br />
schmerzlos und kann dann initial übersehen<br />
werden. So kann es vorkommen, dass<br />
die Dissektion erst bei <strong>der</strong> Halsarterien -<br />
sonographie (z. B. im Rahmen einer Schlaganfalldiagnostik)<br />
erkannt wird. [9]<br />
Diagnostik <strong>der</strong> ACC-Dissektion<br />
bei Aortendissektion<br />
Transösophageale Echokardiographie,<br />
CT o<strong>der</strong> MRT sind die Standardmethoden<br />
zum Nachweis <strong>der</strong> Aortendissektion. Zur<br />
Frage einer Ausbreitung <strong>der</strong> Dissektion in<br />
die Halsarterien (insbeson<strong>der</strong>e ACC) ist die<br />
Sonographie die Methode <strong>der</strong> Wahl, auch<br />
zur Darstellung <strong>der</strong> Dissektionsmembran<br />
und <strong>der</strong> Perfusion des falschen Lumens<br />
(Abb. 8): Die Sonographie ist das bildgebende<br />
Verfahren mit <strong>der</strong> höchsten räumlichen<br />
Auflösung und die ACC ist mit<br />
Ultraschall sehr gut zu beurteilen.
a<br />
b<br />
Abb. 7: AVT-Dissektion (prävertebrales Segment) im<br />
Methodenvergleich; a: Nachweis <strong>der</strong> Stenose mit MRA;<br />
b: Nachweis <strong>der</strong> Dissektion (Wandhämatom) im<br />
Ultraschallbild. MRT in T1w mit Fettsättigung war in<br />
<strong>der</strong> unteren Halsregion nicht möglich (Artefakte)<br />
Fazit<br />
Die frühzeitige Erkennung von Dissektionen<br />
ist wichtig <strong>für</strong> die Schlaganfallprävention.<br />
Bei klinischem Verdacht wird die<br />
bildgebende Diagnostik gezielt eingesetzt,<br />
dabei ergänzen sich MRT/MRA und Ultraschall.<br />
Abhängig von <strong>der</strong> Erfahrung des<br />
Untersuchers kann die Sonographie gegenüber<br />
an<strong>der</strong>en Verfahren vorteilhaft sein,<br />
insbeson<strong>der</strong>e zur Diagnostik <strong>der</strong> A. carotis<br />
communis und A. vertebralis.<br />
a<br />
b<br />
Abb. 8: Dissektion <strong>der</strong> A. carotis communis <strong>aus</strong>gehend<br />
von Aortendissektion Typ Stanford A (Transversalschnitt);<br />
a: B-Bild – Nachweis von zwei Lumina und Dissektionsmembran;<br />
b: Farb-Doppler-Bild: Nachweis von<br />
zwei perfundierten Lumina<br />
Literatur<br />
[1] Auer A, Felber S, Schmidauer C et al. Magnetic resonance<br />
angiographic and clinical features of extracranial<br />
vertebral artery dissection. J Neurol Neurosurg Psychiatry<br />
1998; 64: 474-81.<br />
[2] Caplan LR. Dissections of brain-supplying arteries. Nat<br />
Clin Pract Neurol. 2008; 4: 34-42.<br />
[3] Arning C. Spontane Dissektion <strong>der</strong> A. subclavia und<br />
ihrer Äste. VASA 2005; 34: 50-2.<br />
[4] Guillon B, Levy C, Bousser MG. Internal carotid artery<br />
dissection: an update. J Neurol Sci 1998; 153: 146-58.<br />
[5] Arning C. Ultrasonographic criteria for diagnosing a<br />
dissection of the internal carotid artery. Ultraschall Med<br />
2005; 26: 24-8.<br />
[6] Arning C. Farbkodierte Duplexsonographie <strong>der</strong> hirnversorgenden<br />
Arterien. Ein Text-Bild-Atlas <strong>der</strong> methodischen<br />
Grundlagen, normalen und pathologischen Befunde,<br />
3. Auflage. Stuttgart – New York, Thieme, 2002<br />
[7] Benninger DH, Georgiadis D, Gandjour J, Baumgartner<br />
RW. Accuracy of color duplex ultrasound diagnosis of<br />
spontaneous carotid dissection c<strong>aus</strong>ing ischemia. Stroke<br />
2006; 37: 377-81.<br />
[8] Arning C, Rieper J, Kazarians H. Nichtarteriosklerotische<br />
Erkrankungen <strong>der</strong> Halsarterien. Ultraschall Med 2008; 29:<br />
576-99.<br />
[9] Arning C, Oelze A, Lachenmayer L. Eine seltene<br />
Schlaganfallursache: Die Aortendissektion. Aktuel Neurol<br />
1995; 22: 189-92.<br />
Kontakt<br />
Prof. Dr. Christian Arning<br />
Abteilung Neurologie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek<br />
Alphonsstraße 14<br />
22043 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-83 14 13<br />
Fax (0 40) 18 18-83 16 31<br />
E-Mail: c.arning@asklepios.com<br />
Neurologie<br />
635
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
Ambulantes Studienzentrum –<br />
Plattform zur Kooperation<br />
Cornelia Wolf<br />
Ansprechpartnerin Jennifer Wagner<br />
Budgetrestriktionen bei <strong>der</strong> Behandlung<br />
von Patienten, knappe Zeit, (zu) wenig<br />
Personal: Das sind die Rahmenbedingungen<br />
im Gesundheitswesen – über alle Sektorengrenzen<br />
hinweg. Zusätzliche Leistungen<br />
<strong>für</strong> Patienten anzubieten, ist ein möglicher<br />
Weg <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Misere. Aber: IGeLn funktioniert<br />
nur in begrenztem Umfang und ist<br />
abhängig vom Standort <strong>der</strong> Praxis und<br />
angesichts <strong>der</strong> drohenden Wirtschaftskrise<br />
kein verlässliches Instrument.<br />
Gleichzeitig erlebt die klinische Forschung<br />
in Deutschland ein Comeback, trotz hartem<br />
Wettbewerb mit den osteuropäischen<br />
Staaten. Die forschende Industrie sucht insbeson<strong>der</strong>e<br />
in deutschen Ballungsräumen<br />
geeignete Praxen und <strong>Klinik</strong>en, die professionell<br />
und schnell die klinischen Studien<br />
durchführen. Die Metropole Hamburg ist<br />
durch ihre Struktur im Gesundheitswesen<br />
– rund drei Millionen Einwohner in <strong>der</strong><br />
Stadt und im Umland, hohe Facharztdichte<br />
und große Krankenhäuser – im Fokus <strong>der</strong><br />
forschenden Industrie angekommen.<br />
Mehrere Praxen in und um Hamburg be -<br />
fassen sich <strong>aus</strong>schließlich mit <strong>der</strong> Behandlung<br />
von Patienten in klinischen Studien,<br />
die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en behandeln jährlich<br />
636<br />
fast 4.000 ihrer Patienten auch in klinischen<br />
Prüfungen: Beste Vor<strong>aus</strong>setzungen <strong>für</strong><br />
Hamburgs <strong>Ärzte</strong>, das Feld Klinische Studien<br />
zu besetzen. Und das nicht vorrangig<br />
<strong>aus</strong> monetären Gründen: Durch klinische<br />
Studien gelingt es, Patienten zusätzliche<br />
Diagnostik und Therapie zukommen zu<br />
lassen, ohne das knappe Budget zu belasten.<br />
Die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en haben im September<br />
2008 ihr Ambulantes Studienzentrum<br />
an <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg eröffnet.<br />
Dieser Schritt bedeutet keinen Wettbewerb<br />
um Patienten, son<strong>der</strong>n bietet im Gegenteil<br />
dem nie<strong>der</strong>gelassenen Arzt eine weitere<br />
Form <strong>der</strong> Kooperation mit den <strong>Asklepios</strong><br />
<strong>Klinik</strong>en. Kein Patient wird <strong>der</strong> „normalen“<br />
Versorgung durch H<strong>aus</strong>- und Facharzt entzogen.<br />
Die Behandlung im Ambulanten<br />
Studienzentrum erfolgt in engster Abstimmung<br />
mit dem behandelnden Arzt. Die<br />
Einwilligung des Patienten vor<strong>aus</strong>gesetzt,<br />
erhält <strong>der</strong> behandelnde Arzt während <strong>der</strong><br />
Behandlung im Ambulanten Studienzentrum<br />
unter an<strong>der</strong>em laufend die Ergebnisse<br />
<strong>der</strong> Untersuchungen, z. B. Laborwerte,<br />
EKG, Röntgenbefunde etc.<br />
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen<br />
und Schmerzbehandlung sind<br />
Forschung<br />
die Schwerpunkte unserer Arbeit an <strong>der</strong><br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg. Im Laufe <strong>der</strong><br />
Zeit werden weitere Indikationen hinzukommen.<br />
Wir suchen die Zusammenarbeit mit den<br />
nie<strong>der</strong>gelassenen <strong>Ärzte</strong>n. Dabei werden<br />
verschiedene Formen <strong>der</strong> Kooperation<br />
zum Tragen kommen: Unterstützung Ihrer<br />
Praxis bei <strong>der</strong> Durchführung klinischer<br />
Studien, Zusammenarbeit bei <strong>der</strong> studienspezifischen<br />
Behandlung <strong>der</strong> Patienten,<br />
Überleitung von Studienpatienten in die<br />
Praxis und die gemeinsame Durchführung<br />
klinischer Studien. Im Ambulanten Studienzentrum<br />
an <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />
stehen zwei <strong>Ärzte</strong>, ein Facharzt sowie drei<br />
Study Nurses zur Verfügung. Sprechen Sie<br />
uns an, wenn Sie an <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
mit unserem Ambulanten Studienzentrum<br />
interessiert sind. Als Ansprechpartnerin<br />
steht unsere Ärztin Jennifer Wagner unter<br />
<strong>der</strong> Telefonnummer (0 40) 18 18-85 33 02<br />
<strong>für</strong> Ihre Fragen und Wünsche zur Verfügung.<br />
Kontakt<br />
Cornelia Wolf, MBA<br />
Leiterin ASKLEPIOS proresearch<br />
Lohmühlenstraße 5, H<strong>aus</strong> J<br />
20099 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-85 31 60<br />
Fax (0 40) 18 18-85 31 59<br />
E-Mail: co.wolf@asklepios.com<br />
Ambulantes Studienzentrum<br />
c/o ASKLEPIOS proresearch<br />
Leitung: Jennifer Wagner<br />
Lohmühlenstraße 5, H<strong>aus</strong> O, EG<br />
20099 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-85 33 02<br />
Fax (0 40) 18 18-85 31 59<br />
E-Mail: j.wagner@asklepios.com
Burnout-Syndrom<br />
Die Entwicklung des Burnout verläuft<br />
meist schleichend und wird vom Betroffenen<br />
entwe<strong>der</strong> überhaupt nicht bemerkt<br />
o<strong>der</strong> falsch zugeordnet (Fehlattribution).<br />
Sie gleicht einer in Phasen verlaufenden<br />
Kaskade, in <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Zusammenbruch<br />
<strong>der</strong> Abwehr- und Bewältigungssysteme<br />
manifestiert:<br />
Phase 1: Überfor<strong>der</strong>ung – Anstrengung –<br />
Schuld gefühle<br />
Phase 2: Vermehrte Anstrengungen –<br />
Erfolglosigkeit – Schlafstörungen<br />
Phase 3: Erschöpfung – Wi<strong>der</strong>wille –<br />
Somatisierungsstörung – Apathie<br />
Phase 4: Depression – Ängste – totale<br />
Erschöpfung<br />
Das Wechselspiel zwischen Anstrengung<br />
und Erschöpfung, gesteigerter Anstrengung<br />
und tiefer Erschöpfung führt letztlich<br />
in die Sackgasse des Burnout.<br />
Burnout ist als Krankheit nicht eindeutig<br />
klassifizierbar im Sinne <strong>der</strong> Kriterien nach<br />
ICD. Das Krankheitsgeschehen vollzieht<br />
sich vielmehr im „ICD-Dreieck“ (Abb. 1).<br />
Die Ausprägung <strong>der</strong> Symptomatik wird<br />
durch die Reaktionsmuster des Betroffenen<br />
bestimmt, <strong>der</strong>en Akzentuierung kann im<br />
Laufe des Krankheitsgeschehens wechseln.<br />
Steht die depressive Entwicklung im Vor -<br />
<strong>der</strong>grund, werden chronische Müdigkeit,<br />
Konzentrations-, Motivations- und Kreativitätsmangel<br />
spürbar. Sozialer Rückzug<br />
und die Entwicklung negativer Einstellungen<br />
gegenüber jeglicher Anfor<strong>der</strong>ung, insbeson<strong>der</strong>e<br />
im Arbeitsbereich, komplettieren<br />
das Bild. Bei einer wesentlich durch<br />
Angst geprägten Entwicklung des Burnout<br />
stehen Ängste vor sozialen Kontakten und<br />
beruflichen Aufgaben („Meetings“, Sitzungen)<br />
im Vor<strong>der</strong>grund, Engegefühl in <strong>der</strong><br />
Brust verbunden mit Panikzuständen,<br />
Entwicklung von Vermeidungsverhalten,<br />
Flug-, Bahn- und Tunnelängste im Sinne<br />
einer Kl<strong>aus</strong>trophobie. Diese psychischen<br />
Symptome werden zunächst verleugnet,<br />
Psychosomatik<br />
Therapie und Prävention im Psychosomatischen Fachzentrum Falkenried<br />
Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />
In <strong>der</strong> medtropole beschrieb Prof. Sadre-Chirazi-Stark Burnout als „Laster <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne“, entstanden im Spannungsfeld<br />
<strong>der</strong> betroffenen Persönlichkeit mit ihren (mangelnden) Ressourcen und den (überfor<strong>der</strong>nden) Bedingungen<br />
in <strong>der</strong>en Umfeld, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Arbeitssituation. [1] Burnout ist definiert als „eine körperliche, emotionale<br />
und geistige Erschöpfung aufgrund (beruflicher) Überlastung. Dabei handelt es sich nicht um eine Arbeitsmüdigkeit,<br />
son<strong>der</strong>n um einen fortschreitenden Prozess, <strong>der</strong> mit wechselnden Gefühlen <strong>der</strong> Erschöpfung und Anspannung<br />
sowie körperlichen Begleitreaktionen einhergeht“. [2]<br />
Depression<br />
Abb. 1: ICD-Dreieck<br />
Somatisierungsstörung<br />
BURNOUT<br />
Angsstörung<br />
mit Panikattacken<br />
dann als Irritation vermerkt und erst im<br />
fortgeschrittenen Stadium als gravierendes<br />
Problem identifiziert. Getriggert von diesen<br />
emotionalen Störungen kommt es zu<br />
körperlichen Befindlichkeitsstörungen wie<br />
Kopfschmerzen, Muskelverspannungen,<br />
Magen-Darm-Beschwerden, Tachykardien,<br />
Hypertonien, Reduktion <strong>der</strong> Immunabwehr<br />
mit Infektanfälligkeit im Sinne einer<br />
Somatisierungsstörung.<br />
<strong>Ärzte</strong> und Burnout<br />
Die Berufsgruppe <strong>der</strong> <strong>Ärzte</strong> ist einer Vielzahl<br />
von Belastungsfaktoren nach Burnout-<br />
Kriterien <strong>aus</strong>gesetzt. Nach einer Studie von<br />
Rösing sind 15 bis 30 Prozent <strong>der</strong> deutschen<br />
<strong>Ärzte</strong> von Burnout betroffen. [3] Die Berücksichtigung<br />
<strong>der</strong> spezifischen Stressoren, die<br />
auf diese Berufsgruppe einwirken, ist <strong>für</strong><br />
eine effektive Unterstützung unabdingbar.<br />
Diese sind in <strong>der</strong> Tabelle 1 aufgeführt, die<br />
nach Bergner [4] leicht modifiziert wurde.<br />
Im Psychosomatischen Fachzentrum Falkenried<br />
wurde ein spezifisches Beratungsund<br />
Behandlungskonzept <strong>für</strong> diese Berufsgruppe<br />
entwickelt, das inhaltlich unter<br />
an<strong>der</strong>em auf diese Stressfaktoren <strong>aus</strong>gerichtet<br />
ist.<br />
637
Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />
Art <strong>der</strong> Ausbildung Ausbildung nach militärischen Grundsätzen („Ober-Arzt“)<br />
Missachtung zentraler, <strong>für</strong> das Arzt-Therapeutensein notwendiger Inhalte wie<br />
– Kreativität<br />
– Empathie<br />
– soziales Engagement<br />
fehlende, zielgerichtete Vermittlung persönlichen Kompetenz<strong>aus</strong>b<strong>aus</strong>, beispielsweise<br />
– Betriebswirtschaft<br />
– Präsentation und Mo<strong>der</strong>ation<br />
– Kommunikation<br />
– Konfliktmanagement<br />
– ärztliche Führung<br />
– standes- und gesellschaftspolitische Fragen<br />
Selbstwahrnehmung<br />
Persönlichkeit des Arztes alles selbst machen inklusive Eigentherapie<br />
Kernüberzeugungen wie „Ich darf nicht aufgeben.“ o<strong>der</strong> „Auf mich kann man sich verlassen.“<br />
mangelnde emotionale Kompetenzen vermin<strong>der</strong>te o<strong>der</strong> verzerrte Selbstwahrnehmung<br />
unzureichende Selbstkontrolle<br />
mangelhaftes soziales Bewusstsein<br />
mangelhaftes Beziehungsmanagement<br />
hohe Belastung/geringer Eigeneinfluss strukturelle Belastungen wie Einzelpraxis<br />
zu hohe Wochenarbeitszeit (45 Stunden sollten auf Dauer nicht überschritten werden)<br />
berufstypische, inhaltliche Belastungen wie Angst, Leiden, Tod<br />
sichtbare Erfolge fehlen<br />
fehlende gesellschaftliche Anerkennung Arztbild in verschiedenen Medien<br />
Min<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> beruflichen Lebensqualität Autonomieverlust: Bevormundung durch Ökonomen, Kontrollsysteme („Qualitätsmanagement“)<br />
unzureichende Honorierung abnehmende gesellschaftliche Anerkennung als nicht materielle Schädigung<br />
unzureichende materielle Entschädigung<br />
Das Psychosomatische Fachzentrum<br />
Falkenried<br />
Seit Februar 2008 bietet die private Tagesklinik<br />
und Fachambulanz im Hamburger<br />
Falkenried-Areal unter ärztlicher Leitung<br />
von Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens ein integratives<br />
Behandlungskonzept mit inter -<br />
disziplinären Therapieformen sowie ein<br />
umfassendes Gesundheits-Präventionsprogramm<br />
an. Partner in diesem Programm<br />
sind Prof. Sadre-Chirazi-Stark, Chefarzt<br />
<strong>für</strong> Psychiatrie und Psychotherapie am<br />
<strong>Asklepios</strong> Westklinikum Hamburg und<br />
Dr. Christian Trabandt, nie<strong>der</strong>gelassener<br />
Facharzt <strong>für</strong> Psychosomatische Medizin<br />
und Psychotherapie.<br />
Eine Beson<strong>der</strong>heit des Therapiekonzepts<br />
ist die integrative und kombinierte Psychotherapie<br />
mit tiefenpsychologischen und<br />
verhaltenstherapeutischen Elementen, die<br />
sowohl konflikt- als auch lösungsorientiert<br />
<strong>aus</strong>gerichtet sind, wie die Kombination<br />
mit differenzierten Körpertherapien. Die<br />
Abstufung und Schwerpunktsetzung erfolgt<br />
abhängig vom Beschwerdebild des Patienten<br />
(„den Patienten dort abholen, wo er<br />
steht“). Darüber hin<strong>aus</strong> hält das Behandlungskonzept<br />
optionale Einheiten vor, die<br />
individuell auf die persönlichen Anforde-<br />
638<br />
rungen abgestimmt und in den Therapieplan<br />
eingefügt werden: spezifische Körpertherapien<br />
wie Feldenkrais, Shiatsu, Craniosakraltherapie,<br />
psychodynamische Körpertherapien,<br />
Entspannungsverfahren sowie<br />
homöopathische Behandlungen.<br />
Die spezielle Organisationsform ermöglicht<br />
es, Patienten sehr kurzfristig aufzunehmen<br />
und ihnen eine schnelle, hoch qualifizierte<br />
Behandlung anzubieten. Die gestaffelten,<br />
flexiblen Therapieeinheiten sind exakt auf<br />
den Einzelnen, seine Bedürfnisse und<br />
Möglichkeiten <strong>aus</strong>gerichtet. Behandlungskonzept,<br />
Organisationsablauf und Therapiedichte<br />
werden darauf abgestimmt. Die<br />
Behandlungen werden mit einer Frequenz<br />
von ein bis fünf Tagen pro Woche angeboten.<br />
Die verbleibende Zeit, Abende und<br />
Wochenenden verbringen die Patienten im<br />
familiären Umfeld. Das ermöglicht eine<br />
zeitlich angepasste, aber intensive therapeutische<br />
Begleitung. Bei Bedarf ist die<br />
Behandlung auch berufsbegleitend in den<br />
Nachmittags- und Abendstunden möglich,<br />
die Patienten können parallel o<strong>der</strong> in reduziertem<br />
Umfang ihrer Arbeitstätigkeit<br />
nachgehen.<br />
Spezielle Angebote<br />
Tabelle 1:<br />
Beispiele <strong>für</strong> Belastungs -<br />
situationen im ärztlichen<br />
Bereich<br />
Beratung<br />
Das Selbstkonzept Burnout bedeutet <strong>für</strong><br />
den Betroffenen zunächst, seine Lebensbedingungen,<br />
insbeson<strong>der</strong>e die Arbeitssituation<br />
ist Schuld an seinem Zustand. Diese<br />
„Opferposition“ exkulpiert ihn in Bezug<br />
auf eigene Einflüsse auf die Burnout-Entwicklung,<br />
wird <strong>der</strong> Komplexität des Ge -<br />
schehens aber meist nicht gerecht. Bergner<br />
fasst diese Ausgangssituation treffend<br />
zusammen: [5] „Verän<strong>der</strong>n kann man nicht<br />
jede Situation, aber man kann sich bemühen,<br />
seine Einstellung zu ihr zu überprüfen.<br />
Verlassen kann man jede Situation,<br />
sofern man fähig und bereit ist, den Preis,<br />
den es kostet, zu zahlen. Jedoch ist die <strong>für</strong><br />
Burnout <strong>aus</strong>schlaggebende Situation in<br />
Wahrheit nicht immer die, welche zunächst<br />
vom Betroffenen vermutet wird. Nicht selten<br />
sind es Partnerschaftsprobleme o<strong>der</strong><br />
Traumata <strong>der</strong> Kindheit, die auf den Beruf<br />
gespiegelt werden.“ So ist die Beratungsaufgabe<br />
zunächst in <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong><br />
Bedingungszusammenhänge zu sehen,<br />
unter denen sich das Burnout-Syndrom<br />
entwickelt hat. Das Zusammenspiel von<br />
Persönlichkeitsmerkmalen, personalen Ressourcen,<br />
privaten Lebensverhältnissen und<br />
beruflicher Situation ist sorgfältig zu analy-
sieren und gemeinsam zu definieren. Darauf<br />
aufbauend kann eine Empfehlung <strong>für</strong><br />
das weitere Vorgehen erarbeitet werden.<br />
Diese hat auch die Differenzialdiagnostik<br />
zu depressiven Erkrankungen, Angst- o<strong>der</strong><br />
Somatisierungsstörung einzubeziehen.<br />
Coaching<br />
In den ersten beiden Phasen <strong>der</strong> Burnout-<br />
Entwicklung kann Coaching eine angemessene<br />
Hilfe leisten. Coaching ist eine professionelle<br />
Unterstützung, um an Problemen,<br />
schwierigen Entscheidungen o<strong>der</strong> Zielen<br />
zu arbeiten. Dabei stehen beruflich motivierte<br />
Fragen im Vor<strong>der</strong>grund, <strong>der</strong> Blick<br />
wird aber auch auf die gegenwärtigen und<br />
zukünftigen Situationen des Betroffenen<br />
gerichtet. Hierbei werden sowohl sachbezogene<br />
als auch persönliche und private<br />
Aspekte berücksichtigt. Coaching hilft<br />
Lösungen zu entwickeln sowie den Zugang<br />
zu eigenen Ressourcen zu finden und diese<br />
zu nutzen. Durch gezieltes Vorgehen und<br />
Analyseverfahren werden Mechanismen<br />
und Hintergründe <strong>der</strong> Burnout-Entwicklung<br />
transparent gemacht und eine Strategie<br />
<strong>für</strong> <strong>der</strong>en Überwindung entwickelt. In<br />
<strong>der</strong> Begleitung <strong>der</strong> Umsetzung schließt <strong>der</strong><br />
Coach seinen Auftrag ab.<br />
Therapie<br />
Therapeutische Interventionen sind notwendig,<br />
wenn <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Befindlichkeits- und<br />
Leistungsstörung ein krankheitswertiger<br />
Zustand wird. Der therapeutische Auftrag<br />
muss auf die Beson<strong>der</strong>heiten des Burnout-<br />
Patienten zugeschnitten sein:<br />
■ Die Akzeptanz <strong>der</strong> Krankenrolle ist <strong>für</strong><br />
diesen Patiententyp häufig sehr schwierig<br />
(„<strong>der</strong> hilfsbedürftige Macher“).<br />
■ Das Therapieangebot muss schnell<br />
durch Wirksamkeitserfahrungen überzeugen,<br />
um die Compliance zu sichern.<br />
■ Die Organisation <strong>der</strong> Therapieangebote<br />
muss <strong>der</strong> ohnehin belasteten Berufs -<br />
situation Rechnung tragen und darf<br />
nicht zu einer zusätzlichen Belastung<br />
werden.<br />
■ Das Therapiekonzept ist zielorientiert<br />
zu gestalten, um den Patienten <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />
passiv-defensiven in eine aktive Position<br />
zu bringen.<br />
■ Der zeitliche Rahmen <strong>der</strong> Therapie<br />
muss begrenzt sein („sichtbarer Zeit -<br />
horizont“), um berufliche Risiken zu<br />
minimieren.<br />
■ Die Therapie ist entsprechend effektiv<br />
und nachhaltig zu gestalten, auf die<br />
persönliche Situation des Patienten<br />
inhaltlich und organisatorisch zugeschnitten<br />
(„maßgeschnei<strong>der</strong>t“).<br />
Der aufnehmende Arzt kann gemeinsam<br />
mit dem Patienten ein passendes und<br />
wirksames Angebot zusammenstellen, das<br />
im Laufe <strong>der</strong> Behandlung auch modifiziert<br />
werden kann.<br />
Prävention<br />
Meist erfolgt <strong>der</strong> präventive Auftrag im<br />
Sinne einer Sekundärprävention, Burnout-<br />
Entwicklung, Coaching und/o<strong>der</strong> Therapie<br />
sind schon durchlaufen, die psychischen<br />
Ressourcen des Patienten und <strong>der</strong>en Mängel<br />
analysiert. Diese sollen <strong>aus</strong>geglichen,<br />
neue Reaktions- und Verarbeitungsmuster<br />
aufgebaut werden, um bei künftigen Belastungen<br />
vor einer Dekompensation zu<br />
schützen. Sind die psychosozialen Zu sam -<br />
menhänge transparent gemacht und aufgearbeitet,<br />
ist <strong>der</strong> Grundstein <strong>für</strong> ein tragfähiges<br />
Präventionskonzept gelegt. Den individuellen<br />
Schwachstellen entsprechend<br />
werden die einzelnen Facetten des Präventionskonzeptes<br />
vermittelt: Abbau von<br />
Stressempfinden, Entschärfung von Stressoren,<br />
Abbau von Zeitnot, Abbau einer<br />
unerträglichen Situation, Steigerung <strong>der</strong><br />
emotionalen Kompetenz, Aufbau <strong>der</strong><br />
Selbstwirksamkeit und des Selbstbewusstseins,<br />
Aufbau eines konstanten Maßes an<br />
persönlicher Zufriedenheit, Erkennen, welche<br />
Rollen <strong>der</strong> betroffene Mensch spielen<br />
will und welche nicht, Erkennen <strong>der</strong><br />
mittel- und langfristigen Ziele und Erkennen,<br />
worum es im eigenen Leben geht.<br />
Kontakt<br />
Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />
Psychosomatik<br />
Psychosomatisches Fachzentrum Falkenried<br />
Lehmweg 17<br />
20251 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 41 34 34 30<br />
www.psychosomatik-falkenried.de<br />
Bei Bedarf bieten wir auch gezielte Begleitung<br />
in Belastungsphasen an.<br />
Ausblick<br />
Unsere ersten Erfahrungen mit dem neuen<br />
Therapiekonzept sind ermutigend: Die<br />
Zielgruppe fühlt sich offenbar angesprochen,<br />
so haben wir – <strong>für</strong> psychosomatische<br />
Einrichtungen eher ungewöhnlich – zu<br />
gleichen Teilen männliche und weibliche<br />
Patienten. Für viele ist es <strong>der</strong> erste Kontakt<br />
mit einer psychotherapeutischen Institution,<br />
die Abbrecherquote ist bisher minimal.<br />
Nach unserer Entlassungsstatistik<br />
werden die vereinbarten Therapieziele in<br />
<strong>der</strong> Regel erreicht, zur Überprüfung <strong>der</strong><br />
Nachhaltigkeit bedarf es allerdings längerer<br />
Fristen. Wir führen zur Kontrolle unserer<br />
therapeutischen Maßnahmen eine wissenschaftliche<br />
Begleituntersuchung durch,<br />
um kontinuierlich die Angemessenheit<br />
unseres therapeutischen Vorgehens zu<br />
überprüfen.<br />
Literatur<br />
[1] Sadre Chirazi-Stark M. Burnout – das Laster <strong>der</strong><br />
Mo<strong>der</strong>ne. medtropole 2007;10: 466-7.<br />
[2] Jaggi F. Burnout – praxisnah. Thieme 2008.<br />
[3] Rösing I. Ist die Burnout-Forschung <strong>aus</strong>gebrannt?<br />
Heidelberg Asanger 2003.<br />
[4] Bergner TMH. Burnout bei <strong>Ärzte</strong>n. Stuttgart Schattauer<br />
2007.<br />
[5] Bergner TMH. Burnout-Prävention <strong>für</strong> <strong>Ärzte</strong> und<br />
Therapeuten. Ärztliche Psychotherapie 2008(3): 243-50.<br />
639
ISSN 1863-8341<br />
Rettende Stromstöße<br />
<strong>aus</strong> <strong>der</strong> Schuhcremedose<br />
Jens Oliver Bonnet<br />
Es waren die Überzeugungskraft seiner<br />
Ehefrau und eine Schuhcremedose, die<br />
1958 Arne Larsson das Leben retteten. Der<br />
43-jährige Schwede litt an einem Adams-<br />
Stokes-Syndrom, fiel mit einer Pulsfrequenz<br />
von 20 Schlägen pro Minute immer wie<strong>der</strong><br />
in Ohnmacht und musste schließlich mehrmals<br />
pro Tag reanimiert werden. Else-Marie<br />
Larsson überzeugte den Chirurgen Åke<br />
Senning und den Ingenieur Rune Elmquist<br />
schließlich, ihrem Mann <strong>der</strong>en gerade entwickelten<br />
und gar nicht <strong>für</strong> den Einsatz am<br />
Menschen vorgesehenen Prototyp eines<br />
Herzschrittmachers zu implantieren.<br />
Sie gossen die Bauteile, zwei Transistoren,<br />
eine Nickel-Cadmium-Batterie und eine<br />
Spule, in Epoxydharz ein – als Form diente<br />
eine leere Schuhcremedose. Das Gerät gab<br />
konstant 72 Impulse pro Minute ab, die<br />
über eine auf die Herzwand aufgenähte<br />
Elektrode übertragen wurden. Am 8. Okto -<br />
ber 1958 implantierten sie den Prototyp<br />
ihrem Patienten. [1] Er hielt nur wenige<br />
Stunden, sodass sie ihn am nächsten Tag<br />
gegen ein zweites Gerät <strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>chen muss -<br />
ten. Das Verfahren war ein voller Erfolg:<br />
Arne Larsson starb 2001 im Alter von<br />
86 Jahren mit seinem 26. Schrittmacher an<br />
Krebs.<br />
Doch die Geschichte des Herzschrittmachers<br />
beginnt viel früher: Schon Aristoteles<br />
(384 – 322 v. Chr.) stufte den regelmäßigen<br />
und unregelmäßigen Herzschlag als<br />
be deutsam ein. Girolamo Mercuriale<br />
(1530 – 1606) prägte 1580 den Begriff <strong>der</strong><br />
„Synkope“ und machte einen zu langsamen<br />
Puls da<strong>für</strong> verantwortlich. Bichet berichtete<br />
1800 über Experimente, bei denen die<br />
Herzen Enthaupteter durch Stromstöße<br />
wie<strong>der</strong> zum Schlagen gebracht worden<br />
sein sollen. Im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t erkannten<br />
Robert Adams und William Stokes, dass<br />
eine Bradykardie ihren Ursprung nicht im<br />
Hirn, son<strong>der</strong>n im Herzen hat. 1882 stimulierte<br />
Hugo Wilhelm von Ziemssen das<br />
www.medtropole.de<br />
Replik des ersten vollimplantierten Herzschrittmachers<br />
Herz mit Galvanischem Strom und verän<strong>der</strong>te<br />
die Herzfrequenz. 1932 entwickelte<br />
<strong>der</strong> New Yorker Arzt Albert Hyman den<br />
ersten Herzschrittmacher. Es handelte sich<br />
um ein sieben Kilogramm schweres Gerät<br />
mit einem Stromunterbrecher und einer<br />
bipolaren Nadelelektrode, dessen Strom<br />
von einem Uhrwerksgenerator erzeugt<br />
wurde. [2] Alle sechs Minuten musste es<br />
über einen Fe<strong>der</strong>motor geladen werden.<br />
Ob das Gerät tatsächlich seinen Zweck<br />
erfüllte und Patienten rettete, ist unklar. [3]<br />
Zeitgleich mit den Schweden Senning und<br />
Elmquist hatte <strong>der</strong> Amerikaner Wilson<br />
Greatbatch einen voll implantier baren<br />
Schrittmacher entwickelt. Er wurde aber<br />
erst 1960 erstmals einem Menschen eingepflanzt.<br />
[4] Auch <strong>der</strong> erste in Deutschland<br />
eingesetzte Schrittmacher stammte <strong>aus</strong> seiner<br />
Werkstatt: Am 6. Oktober 1961 implantierte<br />
<strong>der</strong> Düsseldorfer Heinz-Joachim<br />
Sykosch einem 18-Jährigen nach einem<br />
Motorradunfall einen Chardack-Greatbatch-Pacer<br />
mit fester Frequenz, die Zink -<br />
oxidbatterien hielten 18 Monate. [5]<br />
Die Haltbarkeit <strong>der</strong> Batterien lag Greatbatch<br />
beson<strong>der</strong>s am Herzen. Er übertrug<br />
sein Schrittmacher-Patent <strong>der</strong> US-Firma<br />
Medtronic und konzentrierte sich auf die<br />
Batterieentwicklung. Der entscheidende<br />
Durchbruch gelang 1970 mit <strong>der</strong> rund zehn<br />
Jahre haltbaren Lithium-Jod-Batterie. In<br />
den 70er-Jahren wurden sogar nuklear -<br />
getriebene Schrittmacher entwickelt, die<br />
Radioisotope zur Energiegewinnung nutzten<br />
und eine Lebensdauer von rund 20 Jahren<br />
aufwiesen. [6] Doch die Entwicklung <strong>der</strong><br />
Schrittmachertechnologie beschränkte sich<br />
nicht auf die Energieversorgung: Bereits<br />
1963 erfand <strong>der</strong> tschechische Ingenieur<br />
Barouh Berkovits den ersten Demand-<br />
Schrittmacher (WI). [7] Dem externen Gerät<br />
folgten implantierbare Modelle. 1970 führte<br />
er den bifokalen Zweikammer-Demand-<br />
Schrittmacher (DVI) ein. [8] Weitere Meilensteine<br />
waren zum Beispiel die Einführung<br />
des AV-universellen Zweikammerschrittmachers<br />
(DDD) 1978, sensorgesteuerte<br />
Schrittmacher in den 80ern und die kardiale<br />
Resynchronisationstherapie (CRT) in den<br />
90er-Jahren. Heute wiegt ein Herzschrittmacher<br />
etwa 20 Gramm, hat die Größe<br />
eines USB-Sticks und hält durchschnittlich<br />
acht Jahre. Allein in Deutschland werden<br />
nach Angaben <strong>der</strong> Deutschen Herzstiftung<br />
rund 65.000 Schrittmacher pro Jahr implantiert.<br />
Literatur<br />
[1] Senning A. Cardiac pacing in retrospect. Am J Surg.<br />
1983 Jun; 145(6): 733-9.<br />
[2] Hyman AS. Resuscitation of the stopped heart by intracardial<br />
therapy. II Experimental use of an artificial pace -<br />
maker. Arch Intern Med 1932; 50: 283-305.<br />
[3] Furman S, Jeffrey K, Szarka G. The Mysterious Fate of<br />
Hyman’s Pacemaker. PACE 2001; 24: 1126-37.<br />
[4] Greatbatch W. Origins of the implantable cardiac pacemaker.<br />
J Cardiovasc Nurs. 1991; 5(3): 80-5.<br />
[5] Sykosch HJ: Implantierbare Schrittmacher zur permanenten<br />
und intermittierenden Stimulation des Herzens.<br />
Langenbecks Arch Klin Chir Ver Dtsch Z Chir. 1964; 308:<br />
288-92.<br />
[6] Parsonnet V, Bernstein AD, Perry GY. The nuclear pacemaker:<br />
Is renewed interest warranted. Am J Cardiol 1990;<br />
66: 837-42.<br />
[7] Berkovits B. Demand pacing. Ann N Y Acad Sci. 1969;<br />
167(2): 891-5.<br />
[8] Berkovits BV, Castellanos Jr A, Lemberg L. Bifocal<br />
demand pacing. Circulation (Suppl) 1969; 40: III-44.