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Zur Idee der Unsterblichkeit bei Fichte und bei Schelling

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Brüsseler Kongress <strong>der</strong> Internationalen <strong>Fichte</strong>-Gesellschaft (2009)<br />

Atelier 12<br />

<strong>Zur</strong> <strong>Idee</strong> <strong>der</strong> <strong>Unsterblichkeit</strong> <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong> <strong>und</strong> <strong>bei</strong> <strong>Schelling</strong><br />

Robert Marszałek<br />

Einleitung<br />

Das Problem <strong>der</strong> <strong>Unsterblichkeit</strong> ist keineswegs eine nur praktisch-religiöse Sache. Zuerst<br />

<strong>und</strong> vor allem denkt man natürlich in unserem Kulturkreise, vielleicht seitdem die religiösen<br />

Vorstellungen des alten Ägyptens reif geworden sind, an die individuelle <strong>Unsterblichkeit</strong> <strong>der</strong><br />

bestimmten Person im Jenseits. Sogleich aber vergegenwärtigen wir uns, daß es verschiedene<br />

Bedingungen erfüllt werden müssen, damit die Seele des einzelnen Menschen ewig leben<br />

könne, <strong>und</strong> daß es ebenfalls unterschiedliche Formen solchen Lebens gibt. Die Unendlichkeit<br />

des uns umfassenden Seins sowie die sich darauf stützende unverän<strong>der</strong>liche logische Struktur<br />

unserer Subjektivität scheinen die <strong>bei</strong>den Hauptvoraussetzungen des Fortbestehens nach dem<br />

körperlichen Tode zu sein. Doch folgt daraus noch nicht, daß auch die ans logisch-vernünftige<br />

Subjekt angeknüpfte individuelle Psyche fortdauert. 1 Was die Formen des ewigen Lebens<br />

anbetrifft, so darf man auf eine theistische, eine pantheistische <strong>und</strong> eine atheistische Form<br />

hinweisen. Die theistische bestünde im Anschmiegen an die unendliche Persönlichkeit Gottes,<br />

die pantheistische im Gefühl des Einswerdens mit <strong>der</strong> vergöttlichten Natur, schließlich die<br />

atheistische könnte die Einheit <strong>der</strong> nacheinen<strong>der</strong> folgenden Generationen <strong>und</strong> das<br />

Konstantbleiben ihrer Handlungsweise zur Gr<strong>und</strong>lage haben.<br />

Nun kommen alle diese Punkte sowohl <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong> als auch <strong>bei</strong> <strong>Schelling</strong> zum<br />

Vorschein. Deswegen mögen wir darauf insistieren, daß es <strong>bei</strong> <strong>bei</strong>den nachkantischen<br />

Idealisten so etwas wie eine systematische <strong>und</strong> ausgebaute Lehre von <strong>der</strong> <strong>Unsterblichkeit</strong> gibt.<br />

Die <strong>bei</strong>den obengenannten Hauptvoraussetzungen des Fortbestehens nach dem Tode werden<br />

unter denselben Stichwörtern – „Unendlichkeitsfrage“ <strong>und</strong> „Subjektivitätsstruktur“ – in bezug<br />

1 Man erinnere sich an die Probleme des Thomas von Aquin mit <strong>der</strong> Begründung <strong>der</strong> individuellen<br />

<strong>Unsterblichkeit</strong> (Summa theologiae, De homine, quaestio 75, art. 5, 6), indem für ihn <strong>der</strong> materielle <strong>und</strong><br />

sterbliche Leib das einzige Prinzip <strong>der</strong> Individualisierung des Menschen war.


auf unsere Autoren erläutert. Die weiteren Punkte werden ein bißchen differenzierter<br />

betrachtet werden müssen. So das theistische Anschmiegen hat <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong> die Gestalt einer<br />

mystischen Erfahrung, <strong>bei</strong> <strong>Schelling</strong> ists vielmehr eine symbolisch-mythologische Teilhabe<br />

an göttlicher Ordnung <strong>der</strong> Dinge; das pantheistische Einswerden mit <strong>der</strong> Natur drückt sich <strong>bei</strong><br />

<strong>Fichte</strong> im Bilde des Lichts, <strong>bei</strong> <strong>Schelling</strong> in <strong>der</strong> Totalität <strong>der</strong> Selbstvermittlung; <strong>und</strong> die<br />

eventuell atheistische Geschichtlichkeit wird entsprechend als Intersubjektivität o<strong>der</strong> als<br />

ekstatische Zeitlichkeit aufgefaßt. Darüber hinaus fügen sich an diese Systematik die <strong>der</strong><br />

individuellen <strong>Unsterblichkeit</strong> <strong>der</strong> Person gewidmeten Überlegungen <strong>Schelling</strong>s an – etwas<br />

analoges kaum zu finden <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong>.<br />

Unendlichkeitsfrage<br />

Die unendliche Gr<strong>und</strong>lage des Seins kann einerseits unter dem theoretischen, an<strong>der</strong>seits unter<br />

dem praktischen Aspekt gesehen werden. Drittens steht eine synthetische Sichtweise zur<br />

Verfügung.<br />

a. Der theoretische Aspekt<br />

Das fichtesche Ich erkennt seine freie unendliche Tätigkeit des Wissens zwar nicht<br />

unmittelbar, wohl aber im sich zugeeigneten Produkt, worin es sich als unendliche Tat in<br />

endlicher Form anschaut. 1 Ähnlich <strong>Schelling</strong> um 1800, als er den Wi<strong>der</strong>spruch zwischen den<br />

Tätigkeiten auflöst, die das transzendentale Subjekt konstituieren, nur mit dem Unterschied,<br />

daß jetzt das Produkt – die vergegenständlichte ideale o<strong>der</strong> bewußte Tat – zum realen<br />

Kunstwerk wird. 2 Vier Jahre später, an <strong>der</strong> Schwelle seiner Identitätsphilosophie also, <strong>und</strong><br />

zwar in dem Text Propädeutik <strong>der</strong> Philosophie 3 , stellt <strong>Schelling</strong> fest, in den dualistischen<br />

Systemen des reflexiven Denkens, wie die WL, gebe es tatsächlich keinen Übergang<br />

zwischen <strong>der</strong> Endlichkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Unendlichkeit; nur ein Monismus <strong>der</strong> Unendlichkeit könne<br />

hier etwas helfen, indem man die <strong>bei</strong>den Sphären nicht aufeinan<strong>der</strong> reduziere, son<strong>der</strong>n sie<br />

parallelisiere in einem einheitlichen ontologischen Bereich. Folglich konnte 1806 das<br />

deutsche philosophische Publikum lesen, Unendlichkeit (Einheit, Identität) <strong>und</strong> Endlichkeit<br />

1<br />

Vgl. Gr<strong>und</strong>riss des Eigentümlichen <strong>der</strong> Wissenschaftslehre in Rücksicht auf das theoretische Vermögen (1795),<br />

poln. Übers. in: J. G. <strong>Fichte</strong>, Teoria Wiedzy I, przeł. Marek J. Siemek, Warszawa, Wyd. Nauk. PWN, 1996, S.<br />

415 f.<br />

2<br />

Vgl. F. W. J. <strong>Schelling</strong>, System des transcendentalen Idealismus, in: <strong>der</strong>s., Ausgewählte Schriften, Bd. 1,<br />

Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1985, S. 684-688.<br />

3<br />

In: F. W. J. <strong>Schelling</strong>, Sämtliche Werke, I-6, Stuttgart <strong>und</strong> Augsburg, Cotta 1860.<br />

2


(Verschiedenheit, Form) machen die absolute Indifferenz aus, so daß <strong>bei</strong>de Seiten organisch<br />

ineinan<strong>der</strong> eingebaut sind. 1 Dazu gehören auch Äußerungen, welche das Individuum als das<br />

Medium des notwendigen Handelns nehmen 2 o<strong>der</strong> die einzelnen Dinge in die unendliche<br />

Potenz des Absoluten einschreiben 3 . Wir sehen darin Vorwegnahmen des späteren<br />

Standpunkts <strong>Schelling</strong>s, <strong>der</strong> seit dem Ende <strong>der</strong> ersten Dekade des XIX. Jahrhun<strong>der</strong>ts das<br />

Subjekt <strong>der</strong> neuzeitlichen Metaphysik zu depotenzieren, zu verkleinern angesichts Gottes<br />

sucht. 4 Deswegen wird sich Gott allmählich auch in <strong>der</strong> kommenden Geschichte offenbaren<br />

können. 5<br />

Damit stimmt <strong>Fichte</strong> um 1812 scheinbar überein, wenn er sagt, <strong>der</strong> Erkenntnisgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Notwendigkeit des Absoluten sei Tatsächlichkeit <strong>der</strong> autonomen <strong>und</strong> reflexiven Ichheit,<br />

die auf das existierende F<strong>und</strong>ament ihrer Einheit verweise, das seinerseits erscheinen müsse. 6<br />

In diesem Erscheinen jedoch verhält sich das Ich passiv, wie einer Kraft gegenüber, die von<br />

außen her eingreift. 7 Insofern büßt es seine revolutionäre Autonomie <strong>der</strong> ersten Fassungen <strong>der</strong><br />

WL ein, es wird auf schellingsche Weise vor Gott verkleinert. Allerdings das daraus<br />

entstandene individuelle Ich, das sich selbst als die Einheit in <strong>der</strong> Mannigfaltigkeit <strong>und</strong><br />

Vielheit <strong>der</strong> ähnlichen Wesen, als ein unabhängiger Trieb begreife, sei an sich – so das letzte<br />

Wort <strong>Fichte</strong>s – die absolute, reflektierte <strong>und</strong> losgerissene Sehkraft. 8 Mit Recht bemerkt also<br />

Heidegger zur Hauptfrage des <strong>Fichte</strong>schen Denkens, <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong> herrsche eine streng<br />

1 Vgl. Abhandlung über das Verhältniß des Realen <strong>und</strong> Idealen in <strong>der</strong> Natur als Teil <strong>der</strong> 2. Auflage des Von <strong>der</strong><br />

Seele, eine Hypothese <strong>der</strong> höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus, in: ebd., I-2, Stuttgart<br />

<strong>und</strong> Augsburg, Cotta, 1857, bes. S. 364, wo <strong>Schelling</strong> seine späteren Beschreibungen <strong>der</strong> ewigen Zeit als <strong>der</strong><br />

allumfassenden <strong>und</strong> überragenden Unterlage allen Geschehens vorausnimmt: „Das Band, das an sich das Ewige<br />

ist, ist in dem Verb<strong>und</strong>enen, als Verb<strong>und</strong>enen, die Zeit. Denn das Verb<strong>und</strong>ene als ein solches ist je<strong>der</strong>zeit nur<br />

dieses = B; das Band aber als das Wesende von B ist zumal das Wesende, die untheilbare Copula aller Dinge.<br />

Daher denn jenes (das Verb<strong>und</strong>ene, als das Verb<strong>und</strong>ene), von dem Ewigen (o<strong>der</strong> dem B<strong>und</strong>) gleichsam<br />

überschwellt, als ein bloßes Accidens, <strong>und</strong> zeitlich gesetzt ist. Zeitlich ist nämlich alles, dessen Wirklichkeit von<br />

dem Wesen übertroffen wird, o<strong>der</strong> in dessen Wesen mehr enthalten ist, als es <strong>der</strong> Wirklichkeit nach fassen<br />

kann.“<br />

2 Vgl. Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (gehalten 1802, erstmals veröffentlicht 1803),<br />

in: Die <strong>Idee</strong> <strong>der</strong> deutschen Universität. Die fünf Gr<strong>und</strong>schriften aus <strong>der</strong> Zeit ihrer Neubegründung durch<br />

klassischen Idealismus <strong>und</strong> romantischen Realismus, Darmstadt, Hermann Gentner, 1956, VIII („Über die<br />

historische Konstruktion des Christentums“), S. 69.<br />

3 Vgl. Darstellung meines Systems <strong>der</strong> Philosophie (1801), in: F. W. J. <strong>Schelling</strong>, Werke. Auswahl in drei<br />

Bänden, hrsg. von Otto Weiß, Bd. 2 (Schriften zur Identitätsphilosophie), Leipzig, Fritz Eckardt, 1907, §§ 40-42<br />

<strong>und</strong> 36.<br />

4 Vgl. R. Adolphi, Die Depotenzierung <strong>der</strong> Subjektphilosophie <strong>bei</strong>m späten <strong>Schelling</strong>. <strong>Zur</strong> geschichtlichen<br />

Reformulierung des Subjektdenkens: Freiheit – Lassen – Weltbil<strong>der</strong>, in: H. M. Baumgartner, W. G. Jacobs<br />

(Hrsg.), Philosophie <strong>der</strong> Subjektivität? <strong>Zur</strong> Bestimmung des neuzeitlichen Philosophierens, Bd. 2 <strong>Schelling</strong>s Weg<br />

3.2), Stuttgart-Bad Cannstatt, Friedrich Frommann – Günther Holzboog, 1993, S. 348, 350, 353, 355.<br />

5 Vgl. H. J. Sandkühler, Die Philosophie <strong>der</strong> Geschichte, in: <strong>der</strong>s. (Hrsg.), F. W. J. <strong>Schelling</strong>, Stuttgart – Weimar,<br />

Metzler, 1998.<br />

6 Vgl. J. G. <strong>Fichte</strong>, Die Wissenschaftslehre (1812), in: <strong>Fichte</strong>s Werke, Bd. X, Berlin, Walter de Gruyter & Co.,<br />

1971, S. 343-346.<br />

7 Vgl. ebd., S. 432 f.<br />

8 S. ebd., S. 485: „Nicht es reißt sich los, son<strong>der</strong>n die absolute Sehkraft reißt sich los, <strong>und</strong> dieses wahrhafte<br />

Losreißen reflektiert sich nur als freies Losreißen des Ich.“<br />

3


idealistische Zumutung <strong>der</strong> Unbedingtheit des Ich, wi<strong>der</strong> sein besseres Wissen um irreduzible<br />

Begrenztheit des Wissenssubjekts. 1 Es än<strong>der</strong>t daran nichts, wenn man sich, wie Max W<strong>und</strong>t 2 ,<br />

auf die Hinwendung <strong>der</strong> WL nach 1800 zum Irrationalen beruft o<strong>der</strong>, wie Walter E. Wright 3 ,<br />

auf den Nexus dieser Lehre mit einer transzendenten Lichtordnung bezieht. Denn es ist<br />

letztendlich so wie es Wolfgang Janke dafürhält, daß nämlich die WL mit dem „inkludenten“<br />

o<strong>der</strong> „verschlossenen“ – erscheinenden, gar nicht sich offenbarenden – Absoluten abschließt. 4<br />

Das heißt, die aufs Absolute bezogene Ichheit prallt von ihm wie von einer <strong>und</strong>urchsichtigen<br />

Wand ab, um seine einzig erschließbare Eigenschaft, die massive Unität, usurpatorisch an sich<br />

selbst zu reißen. 5 Folglich kann ein solches Ich keine lebendige Wechselwirkung mit an<strong>der</strong>en<br />

Personen stiften, denn es trennt sich in jenem Akte <strong>der</strong> existentiellen Usurpation von ihnen<br />

<strong>und</strong> vom hypothetischen Urquell allen Lebens ab. 6<br />

b. Der praktische Aspekt<br />

Die praktische Seite <strong>der</strong> Unendlichkeitsfrage hat <strong>Fichte</strong> ausführlicher herausgear<strong>bei</strong>tet. Seit<br />

dem Beginn seiner philosophischen Tätigkeit sprach er von dem Subjekte als Person <strong>und</strong> dem<br />

ideellen Zwecke seines Handelns. Dieser Zweck als die allgemeine Form unserer Vernunft<br />

bestimmt die Wertvorstellungen sowie -orientierungen für das endliche, individuelle <strong>und</strong><br />

vernünftige Ich. Im praktischen Teil <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage von 1794 erfahren wir, daß es danach<br />

unendlich strebt, die Grenze seiner selbst stets verschiebend, alle Äußerlichkeit innerlich zu<br />

machen, sich also im Sein zu bestätigen, darin seine eigene Vernünftigkeit zu finden. Vier<br />

1 Vgl. M. Heidegger, Der deutsche Idealismus (<strong>Fichte</strong>, <strong>Schelling</strong>, Hegel) <strong>und</strong> die philosophische Problemlage<br />

<strong>der</strong> Gegenwart, in: Gesamtausgabe, Bd. 28, Frankfurt a. M., Vittorio Klostermann, 1997, II. Teil, 1. Abschn.:<br />

„<strong>Fichte</strong>“, S. 139, 151.<br />

2 In seinen <strong>Fichte</strong>-Forschungen, Stuttgart, Fr. Frommann (H. Kurtz), 1929.<br />

3 Im Aufsatz <strong>Fichte</strong>’s Latent Hermeneutics, in: K. Hammacher (Hrsg.), Der transzendentale Gedanke. Die<br />

gegenwärtige Darstellung <strong>der</strong> Philosophie <strong>Fichte</strong>s, Hamburg, F. Meiner, 1981.<br />

4 S. W. Janke, Vom Bilde des Absoluten. Gr<strong>und</strong>züge <strong>der</strong> Phänomenologie <strong>Fichte</strong>s, Berlin – New York, Walter de<br />

Gruyter, 1993, S. 115: das Absolute sei „von sich, aus sich, durch sich selber“; S. 116: „Sein ist nicht Prozeß,<br />

son<strong>der</strong>n werdeloses Leben, das immer schon in sich aufgegangen ist.“ Darum sind die religiösen Bil<strong>der</strong> <strong>bei</strong>m<br />

früheren <strong>Fichte</strong> als keine Wahrnehmungsfolgen, son<strong>der</strong>n als bloß spekulative Konstrukte <strong>der</strong> autonomen,<br />

irreligiösen Ethik zu deuten. – Vgl. dazu Ch. Danz, Das Bild als Bild. Aspekte <strong>der</strong> Phänomenologie <strong>Fichte</strong>s <strong>und</strong><br />

ihre religionstheoretischen Konsequenzen, in: „<strong>Fichte</strong>-Studien“ 18/2000, S. 15.<br />

5 Dies bestätigt Chukei Kumamoto in seiner Rekonstruktion <strong>der</strong> Entwicklung des Gottesbegriffs in <strong>der</strong> WL<br />

zwischen 1800 <strong>und</strong> 1806: Der Begriff Gottes in <strong>der</strong> Philosophie <strong>Fichte</strong>s um 1800, in: „<strong>Fichte</strong>-Studien“ 11/1997.<br />

Sven Jürgensen seinerseits betont, daß es <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong> zwei Bedeutungen von Ewigkeit gibt, <strong>und</strong> zwar Selbstbezug<br />

des Ich als <strong>der</strong> Vernunft (vor 1800) <strong>und</strong> kurzlebiger Selbstverzicht angesichts <strong>der</strong> Unendlichkeit Gottes (nach<br />

1800). Die zweite Bedeutung verbindet Jürgensen mit dem realen Prinzip des Lebens als <strong>der</strong> spontanen, auf sich<br />

selbst bezogenen, also nochmals als etwas autonomes erfaßten Freiheit. – Vgl. S. Jürgensen, Leben <strong>und</strong> Tod in<br />

<strong>der</strong> Philosophie <strong>Fichte</strong>s, in: „<strong>Fichte</strong>-Studien“ 8/1995; dazu auch L. de Vos, Die Realität <strong>der</strong> <strong>Idee</strong>, in: „<strong>Fichte</strong>-<br />

Studien“ 6/1994, wo über das unversiegbare „Streben“ gesprochen wird, das in <strong>der</strong> WL das Absolute „an sich“<br />

nie erreiche.<br />

6 Dazu A. K. Soller, Die Unbegreiflichkeit <strong>der</strong> Wechselwirkung <strong>der</strong> Geister. Das Problem einer<br />

„Interpersonalitätslehre“ <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong>, in: ebd.<br />

4


Jahre später, im System <strong>der</strong> Sittenlehre, spricht er vom durchgängig von uns selbst<br />

bestimmten Zweckbegriffe als Hintergr<strong>und</strong> dafür, daß alle Erscheinungen zum Ausdruck<br />

unserer wollenden Selbständigkeit werden. 1 Es zeigt sich nochmals, daß das „um <strong>der</strong> Freiheit<br />

willen“ gefor<strong>der</strong>te Streben nach einem so beschaffenen sittlichen Zwecke unendlich ist. Dies<br />

besagt, daß sich die moralische Ichheit allweil entwickelt, ständig ihre kräftige sowie<br />

intelligente Freiheit steigert. 2 Erst in diesem Prozeß <strong>der</strong> Herstellung von Zweckbegriffen <strong>und</strong><br />

des sukzessiven kausalen Handelns nach diesen Zwecken entsteht die Zeit. 3 Sie ist die durch<br />

den Bezug aufs mannigfaltige Wollen versinnlichte Form <strong>der</strong> intellektuellen Anschauung. 4 Es<br />

kristallisiert sich in analogen Überlegungen aus dem Jahre 1812 auch <strong>der</strong> für uns beson<strong>der</strong>s<br />

interessante religiöse Sinn des unendlichen Strebens heraus: das ewige Leben kann nicht<br />

bewiesen werden, aber man überzeugt sich davon, insofern man sehnend nach <strong>der</strong><br />

<strong>Unsterblichkeit</strong> trachtet <strong>und</strong> da<strong>bei</strong> seine Pflicht nicht versäumt 5 ; die sittliche Ewigkeit<br />

erlangen wir dank unserem Streben <strong>und</strong> dank <strong>der</strong> Gnade Gottes, <strong>der</strong> uns die innere ethische<br />

Kraft einflößen kann 6 . Aber die nun als die schon bekannte – absolute, reflektierte <strong>und</strong><br />

losgerissene – Sehkraft begriffene Ichheit unterstellt sich in <strong>der</strong> WL 1812 dem sittlichen<br />

Gesetz, um es in den eisernen Willen zur Verwirklichung <strong>der</strong> moralischen Ordnung in <strong>der</strong><br />

physischen Welt umzuschaffen. 7 Die Vorbereitung dazu war 1806 die <strong>Idee</strong> <strong>der</strong><br />

allumfassenden Liebe, die unsere endliche Reflexion an die Unendlichkeit des<br />

unpersönlichen, eben wie ein strenges hebräisches Gesetz anmutenden Gottes anknüpft. 8<br />

Ganz an<strong>der</strong>s <strong>bei</strong> <strong>Schelling</strong>, <strong>der</strong> zumindest seit <strong>der</strong> Freiheitsschrift keine Zuneigung<br />

mehr zum Sein <strong>und</strong> zur Umformung desselben zu hegen scheint. Man lese einfach seine<br />

1<br />

S. J. G. <strong>Fichte</strong>, Das System <strong>der</strong> Sittenlehre (1798), Hamburg, F. Meiner, 1963, S. 12: „Das ewige Absolute,<br />

worauf alles Bewußtsein, <strong>und</strong> alles Sein sich gründet, ist reine Tätigkeit. Diese erscheint, zufolge des Gesetzes<br />

des Bewußtseins, <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e zufolge seines Gr<strong>und</strong>gesetzes, daß das Tätige nur als vereinigtes Subjekt,<br />

<strong>und</strong> Objekt, (als Ich) erblickt werden kann, als Wirksamkeit auf etwas außer mir. Alles, was in dieser<br />

Erscheinung enthalten ist, von dem mir absolut durch mich selbst gesetzten Zwecke an, an dem einen Ende, bis<br />

zum rohen Stoffe <strong>der</strong> Welt, an dem an<strong>der</strong>en, sind vermittelnde Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erscheinung, sonach selbst auch nur<br />

Erscheinungen. Das Einige rein Wahre ist meine Selbständigkeit.“<br />

2<br />

Vgl. J. G. <strong>Fichte</strong>, Wissenschaftslehre nova methodo (1796-99, Krause-Nachschrift), Hamburg, F. Meiner.<br />

1982, S. 55. – Günter Zöller unterstreicht den engen, mittels des Willens hergestellten Zusammenhang <strong>der</strong><br />

sinnlichen <strong>und</strong> intelligiblen Welt in <strong>der</strong> WL nova methodo. – Vgl. G. Zöller, Bestimmung zur Selbstbestimmung:<br />

<strong>Fichte</strong>s Theorie des Willens, in: „<strong>Fichte</strong>-Studien“ 7/1995.<br />

3<br />

Vgl. ebd., S. 206.<br />

4<br />

Vgl. ebd., S. 136.<br />

5<br />

Vgl. J. G. <strong>Fichte</strong>, Das System <strong>der</strong> Sittenlehre (Vorgetragen von Ostern bis Michaelis 1812), in: <strong>Fichte</strong>s Werke,<br />

Bd. XI (Vermischte Schriften aus dem Nachlaß), Berlin, Walter de Gruyter & Co., 1971, S. 56.<br />

6<br />

Vgl. ebd., S. 58 f.<br />

7<br />

Vielleicht gab es in <strong>der</strong> ersten WL den Ort für die freien individualisierten Persönlichkeiten noch in dem<br />

hypothetischen vernünftigen Rechtszustand, wie es Alain Perrinjaquet meint (Individuum <strong>und</strong> Gemeinschaft in<br />

<strong>der</strong> Wissenschaftslehre zwischen 1796 <strong>und</strong> 1800, in: „<strong>Fichte</strong>-Studien“ 3/1991), doch die am Anfang <strong>der</strong> zweiten<br />

Dekade des XIX. Jahrhun<strong>der</strong>ts unzweideutig zum Ausdruck kommende Tendenz zur Vereinheitlichung <strong>der</strong><br />

interpersonalen Welt läßt sich schon in jenen früheren Fassungen <strong>der</strong> WL beobachten.<br />

8<br />

Vgl. H. Traub, Über die Grenzen <strong>der</strong> Vernunft. Das Problem <strong>der</strong> Irrationalität <strong>bei</strong> Jacobi <strong>und</strong> <strong>Fichte</strong>, in:<br />

„<strong>Fichte</strong>-Studien“ 14/1998.<br />

5


symptomatischen Worte aus den Erlanger Vorträgen (1821-25) über die Überwindung des<br />

Seins als eine Voraussetzung des wahrhaft philosophischen Standpunkts:<br />

„Hier muß alles Endliche, alles, was noch ein Seyendes ist, verlassen werden, die<br />

letzte Anhänglichkeit schwinden; hier gilt es alles zu lassen – nicht bloß, wie man zu<br />

reden pflegt, Weib <strong>und</strong> Kind, son<strong>der</strong>n was nur Ist, selbst Gott, denn auch Gott ist auf<br />

diesem Standpunkt nur ein Seyendes.“ 1<br />

„Nur <strong>der</strong>jenige ist auf den Gr<strong>und</strong> seiner selbst gekommen <strong>und</strong> hat die ganze Tiefe des<br />

Lebens erkannt, <strong>der</strong> einmal alles verlassen hatte, <strong>und</strong> selbst von allem verlassen war,<br />

dem alles versank, <strong>und</strong> <strong>der</strong> mit dem Unendlichen sich allein gesehen: ein großer<br />

Schritt, den Platon mit dem Tode verglichen.“ 2<br />

Solche Personen, die ihre Anhänglichkeit an diese Welt <strong>und</strong> die Dinge darin hinter<br />

sich gelassen haben, wie Christus, bilden die Kirche als geschichtliche, um <strong>der</strong> Ewigkeit<br />

willen handelnde Gemeinschaft <strong>der</strong> im Geiste vereinigten Individuen. 3 Sowohl für diese<br />

Personen, die absolut frei sind, wie auch für Gott sei Freiheit das Höchste. Das hat <strong>Schelling</strong><br />

in den letzten 45 Jahren seines Lebens wie<strong>der</strong>holt zur Sprache gebracht, darauf macht auch<br />

heute ein <strong>der</strong> verdienstvollsten Kommentatoren des <strong>Schelling</strong>schen Werks, Walter E.<br />

Ehrhardt, <strong>bei</strong> je<strong>der</strong> Gelegenheit aufmerksam. 1<br />

c. Synthese<br />

Sucht man nach <strong>der</strong> Synthese des theoretischen <strong>und</strong> des praktischen Aspekts <strong>der</strong><br />

Unendlichkeitsfrage, so findet man die formelle Lösung in <strong>der</strong> Identitätsphilosophie<br />

<strong>Schelling</strong>s. 1804 sprach er von <strong>der</strong> individuellen Seele als <strong>der</strong> Realisierung o<strong>der</strong><br />

Bewußtwerdung <strong>der</strong> unendlichen Möglichkeit o<strong>der</strong> des Begriffs <strong>der</strong> Seele bzw. <strong>der</strong> Weltseele;<br />

insofern gleicht die verendlichte Seele dem Ich. Die Zeit entsteht als das Medium <strong>der</strong><br />

Angleichung unseres mangelhaften Erkennens <strong>der</strong> Dinge an die absolute <strong>und</strong> unendliche<br />

1 Über die Natur <strong>der</strong> Philosophie als Wissenschaft, in: <strong>Schelling</strong>s Werke, hrsg. von M. Schröter, 5. Hauptband,<br />

München, C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, 1927, 1965, S. 11.<br />

2 Ebd., S. 11 f.<br />

3 Vgl. Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, a. a. O., S. 71. – Von <strong>der</strong> Verankerung des<br />

Denkens in <strong>der</strong> Transzendenz <strong>bei</strong>m späten <strong>Schelling</strong> spricht Thomas Buchheim in: Das Wirkliche <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Abschied vom Ganzen. Zu <strong>Schelling</strong>s später philosophischer Einsicht, in: „Zeitschrift für philosophische<br />

Forschung“, Bd. 48, Heft 2, April-Juni 1994, S. 208.<br />

6


Einheit des Subjekts <strong>und</strong> Objekts. Dieses Einssein habe seine „diesseitige“ Entsprechung in<br />

<strong>der</strong> Freiheit als dem absoluten Handeln:<br />

„Außer aller Bestimmbarkeit durch Causalzusammenhang liegt nur, was das absolute<br />

Prius aller Zeit ist; das Ewige, das Wesen <strong>der</strong> Seele. Aber das Wesen <strong>der</strong> Seele ist<br />

göttlich; demnach absolut frei ist nur das Göttliche als das Wesen <strong>der</strong> Seele; <strong>der</strong><br />

Mensch ist nicht für sich selbst frei, son<strong>der</strong>n für sich <strong>und</strong> dem eignen Leben nach<br />

betrachtet, fällt er <strong>der</strong> Nothwendigkeit <strong>und</strong> dem Verhängniß in dem Maße anheim, in<br />

welchem er seine Freiheit als seine von <strong>der</strong> göttlichen trennt. Der Mensch ist nicht für<br />

sich selbst frei; nur das Handeln, was aus Gott stammt, ist frei, wie nur ein gleiches<br />

Wissen wahr ist.“ 2<br />

Darum bezweckt alles Handeln die Identität mit Gott. Die in diesem Punkt zu<br />

erreichende Synthese (Identität) von Freiheit <strong>und</strong> Notwendigkeit wird am besten in <strong>der</strong> Kunst<br />

zum Ausdruck gebracht, wo das freie Handeln des Künstlers zugleich die innere<br />

Determination seiner Natur k<strong>und</strong>tut. Den Stoff <strong>der</strong> Kunst machen Symbole aus, worin Stoff<br />

(Gegenstand) <strong>und</strong> Form eine organische Einheit bilden. Diese symbolische – objektive <strong>und</strong><br />

gegenbildliche – Darstellung <strong>der</strong> absoluten Identität des Unendlichen <strong>und</strong> Endlichen im<br />

Gegenstande heißt Schönheit. 3<br />

Wie es Ch. Danz richtig festgestellt hat, in <strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong> Offenbarung bringt<br />

<strong>Schelling</strong> seine versöhnende Ar<strong>bei</strong>t zu Ende, indem er die bedingte Freiheit des Menschen mit<br />

<strong>der</strong> unbedingten göttlichen in Christo zusammengefügt sieht. 4 An<strong>der</strong>s als <strong>Fichte</strong>, <strong>der</strong> unfähig<br />

1 Dazu auch W. G. Jacobs, Gottesbegriff <strong>und</strong> Geschichtsphilosophie in <strong>der</strong> Sicht <strong>Schelling</strong>s, Stuttgart-Bad<br />

Cannstatt, frommann-holzboog, 1993, bes. S. 265-267.<br />

2 System <strong>der</strong> gesammten Philosophie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Naturphilosophie insbeson<strong>der</strong>e (Aus dem handschriftlichen<br />

Nachlaß), in: F. W. J. <strong>Schelling</strong>, Sämtliche Werke, I-6, a. a. O., S. 542.<br />

3 Zum Begriff des Symbols vgl. Philosophie <strong>der</strong> Kunst, in: Ausgewählte Schriften, Bd. 2, a. a. O., S. 235 (§ 39):<br />

„Diejenige Darstellung, in welcher das Allgemeine das Beson<strong>der</strong>e bedeutet, o<strong>der</strong> in welcher das Beson<strong>der</strong>e<br />

durch das Allgemeine angeschaut wird, ist Schematismus.<br />

Diejenige Darstellung aber, in welcher das Beson<strong>der</strong>e das Allgemeine bedeutet, o<strong>der</strong> in welcher das<br />

Allgemeine durch das Beson<strong>der</strong>e angeschaut wird, ist allegorisch.<br />

Die Synthesis dieser <strong>bei</strong>den, wo we<strong>der</strong> das Allgemeine das Beson<strong>der</strong>e, noch das Beson<strong>der</strong>e das<br />

Allgemeine bedeutet, son<strong>der</strong>n wo <strong>bei</strong>de absolut eins sind, ist das Symbolische.“<br />

Etwas analoges begegnen wir in <strong>der</strong> WL 1812, wo die sinnliche Welt das Bild, das wahre Sehen <strong>der</strong><br />

höheren Welt in ihrer formalen Möglichkeit sei. – Vgl. dazu M. Brüggen, <strong>Fichte</strong>s Wissenschaftslehre. Das<br />

System in den seit 1801/02 entstandenen Fassungen, Hamburg, F. Meiner, 1979, S. 133 f.<br />

Dies Sehen bezieht sich aber immer auf das vergöttlichte Menschsein, was auch aus dem Aufsatz von<br />

Hansjürgen Verweyen (<strong>Fichte</strong>s Religionsphilosophie. Versuch eines Gesamtüberblicks, in: „<strong>Fichte</strong>-Studien“<br />

8/1995) folgt. Schon in <strong>der</strong> Darlegung des wahren Verhältnisses <strong>der</strong> Naturphilosophie zu <strong>der</strong> verbesserten<br />

<strong>Fichte</strong>schen Lehre aus dem Jahre 1807 (in: Sämtliche Werke, I-7) zeigt <strong>Schelling</strong>, nachdem er die gedankliche<br />

Leerheit <strong>der</strong> Anweisung zum seligen Leben erwiesen hat (S. 69-78), das erneuerte Denken <strong>Fichte</strong>s sei tödlich für<br />

die Religion (S. 88).<br />

4 Vgl. Ch. Danz, Die Philosophie <strong>der</strong> Offenbarung, in: F. W. J. <strong>Schelling</strong>, a. a. O.<br />

7


war, die Differenz des Wissens <strong>und</strong> Absoluten aufrechtzuerhalten, konnte <strong>Schelling</strong> diesen<br />

Unterschied in sein identisches Absolute integrieren. 1<br />

Das theistische Anschmiegen<br />

a. Mystizismus<br />

Eine Antizipation <strong>der</strong> nach 1800 ausgereiften mystischen Position finden wir schon in <strong>der</strong> WL<br />

nova methodo, wo <strong>Fichte</strong> vom Versinken des auf die Erfahrung bezogenen Denkens in <strong>der</strong><br />

ideellen intelligiblen Welt spricht. 2 Dazwischen liegen die Phantastereien des dritten Teils <strong>der</strong><br />

Bestimmung des Menschen von den möglichen unendlich vielen jenseitigen Welten, auf dem<br />

ewigen Willen aufgebauten Welten, die eine Sequenz <strong>der</strong> Sphären <strong>der</strong> immer<br />

vollkommeneren moralischen Erfüllung des Lebens bilden, bis zur absoluten Befreiung<br />

desselben. Aber erst in <strong>der</strong> ersten WL von 1804 beruft sich <strong>Fichte</strong> expressis verbis auf den<br />

wahren Mystizismus seines Standpunkts: von <strong>der</strong> intellektuellen Anschauung als <strong>der</strong><br />

allumfassenden Einsicht in die notwendige Einheit des faktischen Wissens ausgehend 3 , über<br />

die Abstraktion von <strong>der</strong> gegenständlichen Objektivität 4 , was zum Herausheben des wie das<br />

absolute Sein unwandelbaren Wissens führt 5 , weiter über den gescheiterten Versuch, in den<br />

Gr<strong>und</strong> des selbständigen Seins einzudringen 6 , kommt <strong>der</strong> Philosoph zur Bestimmung <strong>der</strong><br />

allgemein zugänglichen intuitiven Erschließung <strong>der</strong> tiefsten onto-theologischen Wahrheit:<br />

„Stirb nur ab dem Irrthum, ruft [die WL] jedem zu, das ist alles, was du kannst, u. was<br />

von dir verlangt wird. Die Wahrheit machen kannst du nicht, <strong>und</strong> sollst du nicht: aber<br />

sie wird unter jener Bedingung dir von selbst kommen. Darin unterscheidet sie sich<br />

nun von allem Mystizismus, <strong>der</strong> ein beson<strong>der</strong>es inneres Licht für Priviliegerte, dessen<br />

die übrigen entbehren, sonach ein eigenwilliges, u. gesezloses Absolute hat; dagegen<br />

das Absolute <strong>der</strong> W. L. geb<strong>und</strong>en ist, an das Gesez seines Wesens; nicht zu wohnen<br />

1 Vgl. Ch. Danz, Atheismus <strong>und</strong> spekulative Theo-Logie. <strong>Fichte</strong> <strong>und</strong> <strong>Schelling</strong>, in: „Kritisches Jahrbuch <strong>der</strong><br />

Philosophie“, Bd. 4: <strong>Fichte</strong>s Entlassung. Der Atheismusstreit vor 200 Jahren, hrsg. von K.-M. Kodalle et al.<br />

2 Vgl. Wissenschaftslehre nova methodo, a. a. O., S. 149, 151.<br />

3 Vgl. Erste Wissenschaftslehre von 1804, Stuttgart, W. Kohlhammer, 1969, S. 23, 72.<br />

4 Vgl. ebd., S. 50.<br />

5 Vgl. ebd., S. 53.<br />

6 Vgl. ebd., S. 67, 97.<br />

8


neben dem Irrthume, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verkehrtheit, schlechthin einzukehren, wo diese<br />

ausgegangen sind.“ 1<br />

In <strong>der</strong> zweiten Vorlesungsreihe desselben Jahres beschreibt <strong>Fichte</strong> das Christentum<br />

positiv als das lebendige Erkennen des ewigen, übersinnlichen Lebens 2 , um ein Jahr später auf<br />

das unbegriffliche <strong>und</strong> ungegenständliche, gefühlsmäßige, Wahrheit statt Freiheit bek<strong>und</strong>ende<br />

Erleben Gottes in uns, in unserem reinen Ich, hinzuweisen. 3 <strong>Zur</strong> selben Zeit lehrt <strong>Fichte</strong> in<br />

Berlin die spontane, liebevolle Ergebenheit in Hinblick auf die göttliche Weisheit <strong>und</strong> Güte. 4<br />

Dem individuellen menschlichen Subjekte wird da<strong>bei</strong> seine Substanz entzogen <strong>und</strong> an die<br />

gesetzliche Vernunft, an die Gattung, <strong>Idee</strong>, ans göttliche Leben delegiert. 5 In <strong>der</strong> Anweisung<br />

verschmilzt sich das Individuum mit unpersönlichem Gott in <strong>der</strong> liebevollen, vorreflexiven<br />

Einheit göttlichen Lebens. 6 W. Janke behauptet, die wahre religiöse Einstellung habe, wie die<br />

<strong>Fichte</strong>sche, die aus diesem Leben fließende Kraft des vernünftigen Umgestaltens <strong>der</strong> Welt mit<br />

zum Inhalt. 7 Der Kern dieser Kraft sei die auf das unendliche sittlich-vernünftige Ideal<br />

bezogene Liebe. 8<br />

b. Symbolhaftigkeit<br />

Auch <strong>Schelling</strong> sprach oft vom religiös geprägten Selbstverzicht. Beispiele haben wir schon<br />

gesehen. Es geht ihm nicht mehr, an<strong>der</strong>s wie <strong>Fichte</strong>, um den Rückgang in die Höhle. Wenn<br />

1<br />

Ebd., S. 124. – Vom <strong>Fichte</strong>schen Gedanken über den unmittelbaren Verkehr des Menschen mit <strong>der</strong> Wahrheit in<br />

Gott, aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> praktischen intellektuellen Anschauung, spricht Reinhard Lauth in seinem Buch <strong>Zur</strong> <strong>Idee</strong> <strong>der</strong><br />

Transzendentalphilosophie, München <strong>und</strong> Salzburg, Anton Pustet, 1965.<br />

2<br />

Vgl. Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahre 1804, Hamburg, F. Meiner, 1975, S. 255.<br />

3<br />

Vgl. Wissenschaftslehre 1805, aus dem Nachlaß hrsg. von Hans Gliwitzky, Hamburg, F. Meiner, 1984, 16.<br />

St<strong>und</strong>e, S. 87-89. – M. Brüggen sagt dazu in <strong>Fichte</strong>s Wissenschaftslehre..., a. a. O., S. 104: „Gott sei im Ich <strong>und</strong><br />

sei das Ich.“; vgl. auch ebd., S. 77.<br />

4<br />

Vgl. Die Gr<strong>und</strong>züge des gegenwärtigen Zeitalters, in: <strong>Fichte</strong>s Werke, Bd. VII, Berlin, Walter de Gruyter &<br />

Co., 1971, S. 252.<br />

5<br />

Vgl. ebd., S. 24 f., 37 f., 74, 142, 210. – Dazu J. Manzana, Erscheinung des Absoluten <strong>und</strong> praktische<br />

Philosophie im Spätwerk <strong>Fichte</strong>s, in: Der transzendentale Gedanke..., a. a. O., S. 244; M. W<strong>und</strong>t in seinen<br />

<strong>Fichte</strong>-Forschungen, a. a. O., spricht dagegen vom Neuplatonismus des späten <strong>Fichte</strong> im Kontext <strong>der</strong><br />

Begründung des Systems im Irrationalen.<br />

6<br />

Vgl. J. G. <strong>Fichte</strong>, Die Anweisung zum seligen Leben (1806), Deutsche Bibliothek in Berlin, 1912, S. 160-165. –<br />

Edith Düsing (Autonomie – soziale Heteronomie – Theonomie. <strong>Fichte</strong>s Theorie sittlicher Individualität, in:<br />

„<strong>Fichte</strong>-Studien“ 8/1995) erblickt darin den religiösen Selbstverzicht des Individuums zwecks <strong>der</strong><br />

„Wie<strong>der</strong>erlangung“ des metaphysischen Wesens <strong>der</strong> Subjektivität.<br />

7<br />

Vgl. Religion <strong>und</strong> Mystik. <strong>Fichte</strong>s Abwehr des Mystizismus, in: W. Janke, Entgegensetzungen. Studien zu<br />

<strong>Fichte</strong>-Konfrontationen von Rousseau bis Kierkegaard, Amsterdam-Atlanta GA, Rodopi, 1994. – 1812, in Ueber<br />

das Verhältniß <strong>der</strong> Logik zur Philosophie o<strong>der</strong> transscendentale Logik, besteht <strong>Fichte</strong> darauf, die Einheit <strong>der</strong><br />

Erscheinung Gottes sei die Bedingung <strong>der</strong> Einheit unserer Vorstellungen, <strong>und</strong> ein Jahr später, in Die Thatsachen<br />

des Bewußtseins, sieht er in <strong>der</strong> überwirklichen Existenz die sich selbst verstehende Erscheinung des ruhenden<br />

Absoluten, die durch den Willen, das reine Subjekt sowie die Einbildungskraft mit <strong>der</strong> Erfahrung verknüpft wird.<br />

8<br />

Vgl. W. Janke, Amor Dei intellectualis. Vernunft <strong>und</strong> Geschichte in Gipfelsätzen neuzeitlicher Systembildungen<br />

(Spinoza, Hegel, <strong>Schelling</strong> – <strong>Fichte</strong>), in: Entgegensetzungen..., a. a. O.<br />

9


<strong>der</strong> Mensch Gott gleich sein will, wie <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong>, verliert er die innere Bindung an Ihn, denn<br />

Göttlichkeit bestehe eben im unbedingten Selbstverzicht, nicht in <strong>der</strong> eitlen Selbstbehauptung:<br />

„Aber <strong>der</strong> Mensch ist Gott gleich, wenn er es sich gleichsam nicht [anzieht], inwiefern<br />

er nicht als Gott sein will: Er ist nicht Gott, um als Gott zu sein.“ 1<br />

Und es war Christus, <strong>der</strong> als Mensch die Versuchung, <strong>der</strong> geschaffenen Welt Herr zu<br />

werden, vorbildlich überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> eben deswegen den Tod besiegt hat, um den<br />

vergessenen Zusammenhang <strong>der</strong> Menschheit mit Gott wie<strong>der</strong>herzustellen. 2 An sich jedoch,<br />

seiner Substanz nach, gleichsam übergeschichtlich, blieb das menschliche Bewußtsein immer<br />

an Gott angewiesen. 3 Das heißt, das sich in Mythen ausdrückende menschliche Bewußtsein<br />

habe seine tiefste Wahrheit in <strong>der</strong> Mythologie, die symbolisch zu verstehen sei. 4 Die <strong>der</strong><br />

göttlichen Immanenz angehörigen inneren Mächte des Bewußtseins, die den mythologischen<br />

Prozeß vorantreiben, haben den Charakter <strong>der</strong> natürlichen, objektiven, universellen Potenzen,<br />

<strong>und</strong> so kann sich die Philosophie mit <strong>der</strong> Mythologie als ihrem eigentlichen Gegenstand<br />

beschäftigen. 5 Die Götter seien nämlich den <strong>Idee</strong>n gleich 6 , <strong>und</strong> je<strong>der</strong> von diesen konstituiere –<br />

wie <strong>bei</strong> Plotin – die Totalität des Numinosen, je<strong>der</strong> Gott sei selber Universum. 7 Zu allen<br />

Zeitaltern sollte die Kunst mittels <strong>der</strong> Mythologie ihren absoluten Wurzeln nachforschen. 8<br />

Wir geben natürlich zu, daß <strong>Schelling</strong> seine Theorie des Mythos än<strong>der</strong>te <strong>und</strong><br />

bereicherte. Zuerst dachte er daran, Mythologie rationell auszulegen (1793: Ueber Mythen,<br />

historische Sagen <strong>und</strong> Philosopheme <strong>der</strong> ältesten Welt). In <strong>der</strong> Identitätsphilosophie war<br />

Mythologie deckungsgleich mit <strong>der</strong> Poesie als <strong>der</strong> ursprünglichen Kreativität (Schöpferkraft),<br />

<strong>und</strong> innerhalb <strong>der</strong> Ästhetik wurde sie für reale Darstellung dessen genommen, was<br />

Philosophie auf ideale Weise adäquat wie<strong>der</strong>gibt. Schließlich in <strong>der</strong> letzten Periode, <strong>der</strong>en<br />

Anfang die Abhandlung Ueber die Gottheiten von Samothrake (1815) markiert, wurde<br />

Mythologie mit ihren positiven, religiös-historischen, <strong>und</strong>eduzierbaren Wahrheiten zur Quelle<br />

<strong>der</strong> Vernunft, <strong>und</strong> Mythen erwiesen sich als das aus <strong>der</strong> Menschennatur stammende religiöse<br />

1<br />

F. W. J. <strong>Schelling</strong>, Urfassung <strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong> Offenbarung, Teilband 1, Hamburg, F. Meiner, 1992, S. 223.<br />

2<br />

So u. a. in <strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong> Offenbarung 1841/42 (Paulus-Nachschrift), Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1977.<br />

3<br />

Vgl. F. W. J. <strong>Schelling</strong>, Historisch-kritische Einleitung in die Philosophie <strong>der</strong> Mythologie (1842), in: <strong>der</strong>s.,<br />

Ausgewählte Schriften, Bd. 5, a. a. O., VIII. Vorlesung, bes. S. 195.<br />

4<br />

VIII. Vorlesung <strong>der</strong> Historisch-kritischen...<br />

5<br />

Vgl. ebd., IX. Vorlesung, bes. S. 217.<br />

6<br />

Vgl. Philosophie <strong>der</strong> Kunst, a. a. O., S. 198, 219 (§ 28, Anm.).<br />

7<br />

Vgl. ebd., S. 219 f. (§ 30). – Dazu J. Hennigfeld, Mythos <strong>und</strong> Poesie. Interpretationen zu <strong>Schelling</strong>s<br />

„Philosophie <strong>der</strong> Kunst“ <strong>und</strong> „Philosophie <strong>der</strong> Mythologie“, Meisenheim am Glan, Anton Hain, 1973.<br />

8<br />

So in <strong>der</strong> von Winckelmann abhängigen Rede Ueber das Verhältniß <strong>der</strong> bildenden Künste zu <strong>der</strong> Natur (1807),<br />

in: Ausgewählte Schriften, Bd. 2, a. a. O., S. 617 f.<br />

10


Gesamtkunstwerk des Menschengeschlechts. 1 Nichtsdestoweniger läßt sich eine Kontinuität<br />

<strong>der</strong> <strong>Schelling</strong>schen Ansichten über die Mythologie leicht erkennen. 2 Mit Recht konstatiert<br />

Dieter Jähnig, obwohl er den transzendenten Bezug von Mythen in Klammern setzt:<br />

„Der Wesenszug <strong>und</strong> das besagt die Wirkungsweise <strong>der</strong> Mythologie bestände [...]<br />

darin, daß sie die Menschen eines Volkes mit den gemeinschaftlichen Beweggründen,<br />

den gemeinschaftlichen >>Motiven>Symbolikästhetischen>religiösen


Es ist <strong>Schelling</strong> zweifellos gelungen, in seiner „positiven“ Philosophie die Methode<br />

auszuar<strong>bei</strong>ten, die Mannigfaltigkeit des Lebens auf den Hintergr<strong>und</strong> des lebendigen,<br />

organischen, sich offenbarenden Absoluten hin zu projizieren (<strong>und</strong> schon im System des<br />

transzendentalen Idealismus sind die Ansätze zu solcher geschichtlichen Blickrichtung<br />

auffindbar 1 ). 2 Bei <strong>Fichte</strong> kann man höchstens von einem wegen seines Beharrens auf dem<br />

Standpunkt des geschlossenen Selbstbewußtseins gescheiterten Versuch sprechen, dies zu<br />

erreichen. 3<br />

Pantheismus<br />

a. Das Licht<br />

Das synthetische Element <strong>der</strong> ontologischen Konstruktion <strong>der</strong> WL seit 1804 bleibt das Licht,<br />

das die innere Erfahrung des Wissensvollzugs mit dem Erscheinen des Absoluten, das Sehen<br />

mit dem gesehenen Bild vereint.<br />

„Der Eine Urgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Disjunktion u. Conjunktion <strong>der</strong> Glie<strong>der</strong> ist nun das Eine, sich<br />

selber, als sich darstellend, darstellende Eine Licht. [...] Und alle die Glie<strong>der</strong>, selbst<br />

das absolute in seinem Seyn nicht ausgenommen, sind nicht an sich, son<strong>der</strong>n sie sind<br />

nur als das Licht u. seine nothwendigen Modifikationen; <strong>und</strong> das Eine absolute ist<br />

das Ewige, unmittelbar unzugängliche, u. nur in seiner Sichdarstellung in<br />

seiner Lebendigkeit heraustretende Licht.“ 4<br />

In <strong>der</strong> zweiten WL von 1804 definiert <strong>Fichte</strong> das Licht als die absolute, nicht<br />

faktische, unkonstruierbare, also unbegriffliche, vorreflexive Einheit, die nur unter <strong>der</strong><br />

Voraussetzung <strong>der</strong> Vernichtung des Begriffs für uns o<strong>der</strong> vielmehr in uns ist. 5 Alle möglichen<br />

1 Dazu Ch. Danz, Geschichte als fortschreitende Offenbarung Gottes. Überlegungen zu <strong>Schelling</strong>s<br />

Geschichtsphilosophie, in: „Kritisches Jahrbuch <strong>der</strong> Philosophie“, Bd. 6 (System als Wirklichkeit. 200 Jahre<br />

<strong>Schelling</strong>s „System des transzendentalen Idealismus“), hrsg. von Ch. Danz et al., S. 80.<br />

2 Eine gründliche <strong>und</strong> vollständige Zusammenstellung <strong>der</strong> <strong>Schelling</strong>schen Fassungen des Verhältnisses zwischen<br />

dem Absoluten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Endlichkeit in: J. Habermas, Das Absolute <strong>und</strong> die Geschichte. Von <strong>der</strong> Zwiespältigkeit<br />

in <strong>Schelling</strong>s Denken, Inaugural-Diss. zur Erlangung <strong>der</strong> Doktorwürde <strong>der</strong> Philosoph. Fak. <strong>der</strong> Univ. Bonn 1954,<br />

II. Teil: „Das Absolute <strong>und</strong> das Endliche (<strong>Schelling</strong> 1795-1806)“.<br />

3 Mithin kann man Ch. Danz nur insofern zustimmen, als seine These über die Parallelität von <strong>Fichte</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Schelling</strong> in dieser Hinsicht auf eine ganz formelle Ähnlichkeit beschränkt bleibt. Vgl. Ch. Danz, Im Anfang war<br />

das Wort. <strong>Zur</strong> Interpretation des Johannes-Prologes <strong>bei</strong> <strong>Schelling</strong> <strong>und</strong> <strong>Fichte</strong>, in: „<strong>Fichte</strong>-Studien“ 8/1995.<br />

4 Erste Wissenschaftslehre von 1804, a. a. O., S. 116.<br />

5 Dazu: W. Janke, <strong>Fichte</strong>. Sein <strong>und</strong> Reflexion – Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong> kritischen Vernunft, Berlin, Walter <strong>der</strong> Gruyter<br />

& Co., 1970, S. 322; H.-P. Falk, Existenz <strong>und</strong> Licht. <strong>Zur</strong> Entwicklung des Wissensbegriffs in <strong>Fichte</strong>s<br />

12


Disjunktionen sind die inneren Modifikationen des Lichts. In <strong>der</strong> Erlanger Vorlesung vom<br />

Jahre 1805 wird „das inwendige Licht“ – das irreduzibel, weil allumfassend ist – zum<br />

vereinheitlichenden, als intellektuelle Anschauung fungierenden F<strong>und</strong>ament des Seins <strong>und</strong><br />

des Ich. 1 In <strong>der</strong> Form des sich abstufenden Lichts existiert Gott, dessen ruhiges Ansichsein<br />

eigentlich hinter dem Licht verhüllt ist. 2 Der Urgr<strong>und</strong> verbleibt im irrationalen Dunkel, das<br />

nicht mehr im Licht aufgeht. 3 In <strong>der</strong> Transzendentalen Logik wird das Licht zum lebendigen<br />

Erscheinen des Absoluten, worin Denken als gehaltloses Bilden <strong>und</strong> Anschauung als<br />

Hinwendung zum Sein ihren Ursprung haben. 4 Die WL 1812 beschreibt das Licht als an sich<br />

unsichtbar, sichtbar nur in Bezug auf das in ihm erscheinende Bild; in <strong>der</strong> Sichtbarkeit wird<br />

<strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> Beständigkeit (des Seins) mit dem <strong>der</strong> Genese (des reflexiven Erscheinens)<br />

verflochten; das erkennende Ich hängt vom Wesen des Bildes ab, das seinerseits im Lichte<br />

seine Grenze hat.<br />

b. Selbstvermittlung<br />

War <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong> das göttliche Licht die allumfassende Unterlage des Seins, so ist das<br />

pantheistische Motiv <strong>bei</strong> <strong>Schelling</strong> die Totalität <strong>der</strong> ans Absolute angeschlossenen<br />

Selbstvermittlung. Wir wenden uns nun <strong>der</strong> Identitätsphilosophie zu, wo diese Struktur am<br />

augenfälligsten ist. 5 In <strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong> Kunst wird die höchste Form <strong>der</strong><br />

Selbstvermittlung eingeführt in <strong>der</strong> <strong>Idee</strong> des sich unendlich bejahenden Gottes:<br />

„Gott begreift durch seine <strong>Idee</strong> sich selbst als unendlich Affirmirendes (denn er ist die<br />

Affirmation von sich selbst) <strong>und</strong> als unendlich Affirmirtes aus demselben Gr<strong>und</strong>e. Da<br />

es ferner ein <strong>und</strong> dasselbe ist, das affirmirt <strong>und</strong> das affirmirend ist, so begreift er sich<br />

auch als Indifferenz. Aber er ist selbst keines davon insbeson<strong>der</strong>e, denn er selbst ist<br />

nur die unendliche Affirmation [...].“ 6<br />

Wissenschaftslehre von 1805, in: „<strong>Fichte</strong>-Studien“ 7/1995, S. 56 f., wo <strong>der</strong> Autor das Ansich des Absoluten als<br />

die Projektion <strong>der</strong> unableitbaren Faktizität des Wissensvollzugs des Lichts deutet.<br />

1 Vgl. Wissenschaftslehre 1805, a. a. O., S. 40, 42 f. (7. St<strong>und</strong>e). – M. Brüggen, a. a. O., S. 74, hebt die<br />

Selbstbezogenheit des Lichts hervor als des existentiellen Aktes des Absoluten – in den Prinzipien <strong>der</strong> Gottes-,<br />

Sitten- <strong>und</strong> Rechtslehre (Winter 1805); vgl. auch ebd., S. 98.<br />

2 Vgl. Wissenschaftslehre 1805, a. a. O., S. 52, 54 f., 60 (9. bis 11. St<strong>und</strong>e).<br />

3 Vgl. ebd., S. 67 f. (12. St<strong>und</strong>e); dazu M. Brüggen, a. a. O., S. 101. Auf <strong>der</strong> Seite 66 des Vorlesungstextes verrät<br />

<strong>Fichte</strong> sein besseres Wissen über die subjektiven Bedingungen <strong>der</strong> Anwesenheit des Absoluten: nur dann, wenn<br />

man an sich selbst nicht mehr glaubt, öffnet sich das Absolute. Wir dürfen darin den Einfluß <strong>Schelling</strong>s spüren.<br />

4 Vgl. Ueber das Verhältniß <strong>der</strong> Logik..., a. a. O., S. 203.<br />

5 Für Walter Schulz (Die Vollendung des deutschen Idealismus in <strong>der</strong> Spätphilosophie <strong>Schelling</strong>s, Stuttgart u.<br />

Köln, W. Kohlhammer, 1965) hat die Selbstvermittlung des Subjekts ihre reale Gestalt erst in <strong>der</strong><br />

Spätphilosophie <strong>Schelling</strong>s erhalten.<br />

6 Philosophie <strong>der</strong> Kunst, a. a. O., S. 202.<br />

13


Solche Indifferenz des Realen <strong>und</strong> des Idealen 1 wie<strong>der</strong>holt sich in <strong>der</strong> Vernunft als<br />

dem Abbild des Absoluten. 2 Wir müssen nicht hinzusetzen, daß auch die <strong>Idee</strong>n eine<br />

organische Totalität im Absoluten ausmachen. 3 Folglich alles was ist hat den Charakter<br />

absoluter Identität. 4 Die Rückkehr zum Absoluten, sagt <strong>Schelling</strong> 1804 in <strong>der</strong> Philosophie <strong>und</strong><br />

Religion, bestehe in <strong>der</strong> immerwährenden Erweiterung des Kreises <strong>der</strong> Einheit, bis zum<br />

Moment, in welchem die abgeson<strong>der</strong>te Individualität aufgehoben wird um willen <strong>der</strong><br />

Universalität.<br />

Atheismus<br />

a. Intersubjektivität<br />

Unter atheistischer Form <strong>der</strong> <strong>Unsterblichkeit</strong> verstehen wir die Einheit <strong>der</strong> nacheinen<strong>der</strong><br />

folgenden Generationen <strong>und</strong> das Konstantbleiben ihrer Handlungsweise. Dies ist freilich eine<br />

nur relative <strong>Unsterblichkeit</strong>, an die günstigen Naturbedingungen <strong>und</strong> an das vorteilhafte<br />

Verhältnis zwischen Krieg <strong>und</strong> Frieden geb<strong>und</strong>en.<br />

Ende des XVIII. Jahrhun<strong>der</strong>ts begann das Interesse <strong>Fichte</strong>s für die lehrhafte<br />

Belichtung dieser Angelegenheiten immer größer zu werden. Der Gr<strong>und</strong> war nicht allein das<br />

rein theoretische Bedürfnis, die ethisch-naturrechtlichen Erwägungen abzur<strong>und</strong>en 5 , son<strong>der</strong>n<br />

darüber hinaus das Verlangen nach dem optimalen Design des Gemeinschaftslebens infolge<br />

des berüchtigten Atheismusstreits. 1798 erscheinen im selben Heft des „Philosophischen<br />

Journals einer Gesellschaft Teutscher Gelehrter“ zwei Texte zum Verhältnis <strong>der</strong> Religion <strong>und</strong><br />

Ethik. 6 Im ersten 7 weist <strong>Fichte</strong> nach, <strong>der</strong> Sinn <strong>der</strong> göttlichen Weltregierung sei kein an<strong>der</strong>er<br />

als ganz <strong>und</strong> gar menschliche Form des moralischen, freien, zweckhaften Handelns im<br />

irdischen Leben. Im unmittelbar darauf folgenden Aufsatz Entwickelung des Begriffs <strong>der</strong><br />

1<br />

Manfred Frank (Identität <strong>und</strong> Subjektivität, in: „Idea“ IV/1991) sieht darin die Überlegenheit des Standpunkts<br />

<strong>Schelling</strong>s gegenüber den einseitigen materialistischen o<strong>der</strong> idealistischen Theorien.<br />

2<br />

Vgl. ebd., S. 207 f.<br />

3<br />

Vgl. ebd., S. 308 f.<br />

4<br />

So u. a. im System <strong>der</strong> gesammten Philosophie...<br />

5<br />

1801 schreibt <strong>Fichte</strong> an <strong>Schelling</strong>: „Es fehlt <strong>der</strong> Wissenschaftslehre durchaus nicht in den Prinzipien; wohl aber<br />

fehlt es ihr an Vollendung; die höchste Synthesis nämlich ist noch nicht gemacht, die Synthesis <strong>der</strong> Geisterwelt.<br />

Als ich Anstalt machte, diese Synthesis zu machen, schrie man eben Atheismus.“ (M. Buhr, Johann Gottlieb<br />

<strong>Fichte</strong>. Briefe, Leipzig, Ph. Reclam jun., 1986, S. 322, Brief von 31.Mai – 7. August)<br />

6<br />

Es geht um das 1. Heft des VIII. Bandes, hrsg. von J. G. <strong>Fichte</strong> <strong>und</strong> F. I. Niethammer, Jena <strong>und</strong> Leipzig 1798.<br />

7<br />

Über den Gr<strong>und</strong> unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung, in: Appellation an das Publikum...<br />

Dokumente zum Atheismusstreit um <strong>Fichte</strong>, Forberg, Niethammer. Jena 1798/99, Leipzig, Ph. Reclam jun.,<br />

1987.<br />

14


Religion 1 macht Friedrich Karl Forberg die Lage noch schlimmer, indem er sagt u. a., daß das<br />

Gewissen keinen Gott, son<strong>der</strong>n allein Religion benötige, diese aber den gleichen Umfang wie<br />

die Rechtschaffenheit habe 2 , denn <strong>bei</strong>de trachten danach, das Vernunftideal des Guten zu<br />

verwirklichen. Alle Rechtschaffenen bilden eine Kirche als die „Gemeine <strong>der</strong> Heiligen auf<br />

Erden“. 3 In <strong>der</strong> Verteidigungsschrift vom Jahre 1799 4 mil<strong>der</strong>t <strong>Fichte</strong> die Aussagekraft <strong>bei</strong><strong>der</strong><br />

ersten Texte. Er unterscheidet zwischen einer eudämonistischen <strong>und</strong> einer moralistischen<br />

Religiosität. Die moralistische Religiosität setze zwar voraus, das höchste Gut sei das<br />

vernünftige, Freiheit anstrebende Handeln gemäß <strong>der</strong> inneren Stimme <strong>der</strong> Pflicht, doch <strong>der</strong><br />

sich im handelnden Ich einnistende Gott mache die unvermittelte Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> den Kern<br />

unseres freien Handelns aus, so daß man keine eudämonistischen Prämissen mehr brauche in<br />

<strong>der</strong> Gestalt einer vergegenständlichten, Genuß garantierenden Gottheit. 5<br />

Nur in <strong>der</strong> Wechselwirkung mit an<strong>der</strong>en Zentren des freien persönlichen Seins nimmt<br />

das Subjekt in seiner Welt an <strong>der</strong> Bedeutsamkeit zu. 6 In <strong>der</strong> unmittelbaren Lichtanschauung<br />

ist das Ich gleich <strong>der</strong> Vielheit <strong>der</strong> analogen Subjekte. 7 Da ist <strong>der</strong> Ort, wo auch die Nation ihre<br />

Wurzel hat, denn Nation sei nichts an<strong>der</strong>es als ein lebendiges Reich <strong>der</strong> tätig gedachten<br />

Vorstellungen o<strong>der</strong> Anschauungen. Die höchste Nation sei diese, <strong>der</strong>en Leben rein sittlich <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong>en Sprache höchst original wäre. 8 Ein solches Volk, als Gemeinschaft göttlich frei <strong>und</strong><br />

schöpferisch, lehrt an<strong>der</strong>e Völker Kultur <strong>und</strong> Freiheit – mit gutem Beispiel vorangehend o<strong>der</strong><br />

1<br />

In: ebd.<br />

2<br />

Ebd., S. 36.<br />

3<br />

Ebd., S. 29.<br />

4<br />

J. G. <strong>Fichte</strong>s, des philosophischen Doktors <strong>und</strong> ordentlichen Professors zu Jena, Appellation an das Publikum<br />

über die durch ein Kurfürstlich Sächsisches Konfiskationsreskript ihm <strong>bei</strong>gemessenen atheistischen Äußerungen.<br />

Eine Schrift, die man erst zu lesen bittet, ehe man sie konfisziert, in: Appellation..., a. a. O.<br />

5<br />

Diese Immanenz Gottes in unserem Handeln entspricht <strong>der</strong> <strong>Idee</strong> einer universellen Religion, die dazu dienen<br />

soll, auf die Welt freimaurerisch einzuwirken. – S. dazu J. G. <strong>Fichte</strong>, Philosophie <strong>der</strong> Maurerei. Briefe an<br />

Konstant (1802), in: <strong>der</strong>s., Werke 1801-1806, Stuttgart-Bad Cannstatt, Friedrich Frommann (Günter Holzboog),<br />

1991, S. 449: „Sie [die Religion] ist ihm [dem Maurer] nicht etwas, das er sich noch macht, daran er sich<br />

erinnerte <strong>und</strong> ermahnte, son<strong>der</strong>n dasjenige, wodurch er, seiner selbst unbewußt, alles an<strong>der</strong>e macht. Sie ist das<br />

Auge seines Lebens.“ Im selben Text nimmt <strong>Fichte</strong> vorweg seinen späteren Begriff des inkludenten Absoluten:<br />

„Nur das ihm unsichtbare <strong>und</strong> unbegreifliche Ewige, das hinter dieser Hülle des Irdischen verborgen ist, strebt er<br />

[<strong>der</strong> wahre Maurer] an.“ (S. 446 f.) Die taktische Zweideutigkeit im <strong>Fichte</strong>schen Gottesbegriff kommt hier<br />

unmißverständlich zur Sprache.<br />

6<br />

So in <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801, in: <strong>Fichte</strong>s Werke, Bd. II, Berlin, Walter de<br />

Gruyter & Co., 1971.<br />

7<br />

Vgl. Erste Wissenschaftslehre von 1804, a. a. O., S. 150. – In den Thatsachen..., a. a. O., leitet <strong>Fichte</strong> die<br />

Vielheit <strong>der</strong> empirischen Subjekte aus dem Zusammentreffen vom reinen Denken des transzendentalen Ich <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> mannigfaltigen, <strong>und</strong>eduzierbaren Empfindungen ab. M. Brüggen, a. a. O., bemerkt zu den Prinzipien <strong>der</strong><br />

Gottes-, Sitten- <strong>und</strong> Rechtslehre (1805), die Individuen seien die numerische Vervielfältigung des einen Ich, das<br />

die Anschauung gründet, woraus die Identität <strong>der</strong> Welt für uns alle.<br />

8<br />

Vgl. F. G. <strong>Fichte</strong>, Reden an die deutsche Nation (1808), Leipzig, Ph. Reclam jun., o. D., bes. 7. Rede: „Noch<br />

tiefere Erfassung <strong>der</strong> Ursprünglichkeit <strong>und</strong> Deutschheit eines Volkes“.<br />

15


zwangsweise. 1 Denn Gottimmanenz <strong>und</strong> Sittlichkeit unseres Handelns sind ein <strong>und</strong> dasselbe. 2<br />

Gott „offenbart sich“ <strong>und</strong> „ist“ in <strong>der</strong> Erkenntnis „durch das Verstehen <strong>der</strong> Erkenntnis selbst“,<br />

aber keineswegs durch eine „Anschauung von ihm“. 3 Also eigentlich keine Offenbarung, nur<br />

Mißbrauch des Wortes. Wahrhaft wirklich ist nur das werdende Bild Gottes als die werdende<br />

Freiheit. 4 Das Christentum dient da<strong>bei</strong> als Vorbereitung zum Leben in dem Staate <strong>der</strong> Freiheit<br />

<strong>und</strong> des Verstandes. „[D]as Christentum ist nicht bloss Lehre, son<strong>der</strong>n es ist historisches<br />

Princip, Staatsstiftung.“ 5 Gott wird herrschen nicht allein als Lehrer, sagt <strong>Fichte</strong> 1813,<br />

son<strong>der</strong>n als lebendige <strong>und</strong> belebende Kraft. 6<br />

b. Zeitlichkeit<br />

Wem sich das Absolute offenbart, <strong>der</strong> muß es mit <strong>der</strong> Zeitfolge in Einklang bringen, denn<br />

Offenbarung setzt das endliche Dasein als ihr Feld. Solch ein Problem bestand für <strong>Fichte</strong><br />

nicht, <strong>der</strong> sich in allen Fassungen <strong>der</strong> WL mit den überzeitlichen transzendental-<br />

epistemologischen o<strong>der</strong> ontotheologischen Strukturen beschäftigte. Die ersten<br />

Formulierungen bezüglich des prozessualen Gr<strong>und</strong>zuges des Absoluten sind in den Schriften<br />

zur Identitätsphilosophie zu finden, z. B. im System <strong>der</strong> gesamten Philosophie... von 1804:<br />

„Die Gesammtheit <strong>der</strong> Dinge, inwiefern sie bloß in Gott sind, kein Seyn an sich haben,<br />

<strong>und</strong> in ihrem Nichtseyn nur Wi<strong>der</strong>schein des All sind, ist die reflektierte o<strong>der</strong><br />

abgebildete Welt (Natura naturata), das All aber, als die unendliche Affirmation<br />

Gottes, o<strong>der</strong> als das, in dem alles ist, was ist, ist absolutes All o<strong>der</strong> die schaffende<br />

Natur (Natura naturans).“ 7<br />

1 Vgl. J. G. <strong>Fichte</strong>, Die Staatslehre o<strong>der</strong> über das Verhältnis des Urstaates zum Vernunftreiche, in Vorlesungen,<br />

gehalten im Sommer 1813 auf <strong>der</strong> Universität zu Berlin, in: <strong>Fichte</strong>s Werke, Bd. IV, Berlin, Walter de Gruyter &<br />

Co., 1971, S. 471 ff.<br />

2 Vgl. ebd., S. 466-469.<br />

3 Ebd., S. 381 f. – Nochmals sei hier auf H.-P. Falk, Existenz <strong>und</strong> Licht..., a. a. O., verwiesen. J. Manzana, a. a.<br />

O., S. 244, macht darauf aufmerksam, daß <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong> nach 1800 eine Wechselwirkung obwaltet zwischen dem<br />

Absoluten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vernunft; die empirische Realisierung dieser Wechselwirkung sei die Intersubjektivität <strong>der</strong><br />

alltäglichen Erfahrung o<strong>der</strong> des geschichtlichen Prozesses.<br />

4 Vgl. ebd., S. 386 f.<br />

5 J. G. <strong>Fichte</strong>, Excurse zur Staatslehre 1813, in: <strong>Fichte</strong>s Werke, Bd. VII, Berlin, Walter de Gruyter & Co., 1971,<br />

S. 613. – Dominik Schmidig (Vom Intersubjektiv-Werden Gottes, in: „<strong>Fichte</strong>-Studien“ 8/1995) erinnert daran,<br />

daß auch für <strong>Fichte</strong> Christus <strong>der</strong> Stellvertreter Gottes auf Erden war. Christus habe es uns allen ermöglicht, am<br />

Leben Gottes teilzunehmen.<br />

6 Vgl. ebd. – Joachim Widmann (J. G. <strong>Fichte</strong>, Berlin-New York, Walter de Gruyter, 1982) sieht <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong> um<br />

1813 die Auffassung des göttlichen Verstandes als existieren<strong>der</strong> absoluter Wirklichkeit. Deren Bewohner sind<br />

die vollwertigen freien Individuen, welche die emanatistische, organische Gemeinschaft mitkonstituieren (so E.<br />

Lask, <strong>Fichte</strong>s Idealismus <strong>und</strong> die Geschichte, in. <strong>der</strong>s., Gesammelte Schriften, I. Bd., Tübingen , J. C. B. Mohr<br />

[Paul Siebeck], 1923).<br />

7 System <strong>der</strong> gesammten Philosophie..., a. a. O., S. 199.<br />

16


Die Gestalt <strong>der</strong> geschaffenen Welt folgt aus <strong>der</strong> unendlich gesteigerten Unendlichkeit<br />

des Absoluten. Das Bejahende <strong>und</strong> das Bejahte greifen ineinan<strong>der</strong>, die darauf aufgebaute Welt<br />

wird also <strong>bei</strong>de Gr<strong>und</strong>eigenschaften des Idealen <strong>und</strong> des Realen an sich haben müssen. 1 Die<br />

Unterschiede zwischen den Welten o<strong>der</strong> den sog. Potenzen sind nur quantitativer, nicht<br />

qualitativer Natur. Je näher die Dinge in ihrer Beson<strong>der</strong>heit dem All sind, je ähnlicher dem<br />

Organismus des Absoluten, desto vollkommener sind sie. 2 Diese These läßt sich auch auf den<br />

menschlichen Willen anwenden: je universeller <strong>und</strong> vernünftiger unsere Motivierung ist,<br />

desto sittlich besseren unsere Handlungen <strong>und</strong> unser Charakter, desto himmlischer unser<br />

Benehmen – <strong>und</strong> umgekehrt: je partikulärer unsere Motive, desto schneller gleiten wir vom<br />

rechten Wege ab, um ins Gegengöttliche, ins Böse zu verfallen, uns von Gott abzuwenden<br />

<strong>und</strong> tödliche Krankheit zu erleiden. 3 Aber die tiefste Motivation ist vielmehr die Sache <strong>der</strong><br />

unvordenklichen, irrationalen, gr<strong>und</strong>losen Wahl, <strong>der</strong> Kontraktion Gottes ähnlich. 4 Der<br />

Mensch entschließt sich zu einer gr<strong>und</strong>legenden Handlungsweise, <strong>und</strong> in diesem Akt bringt er<br />

etwas hinter sich, setzt es als Vergangenheit, um sich die Zukunft aneignen zu können. 5<br />

„Zuvor“ hat sich Gott dazu entschlossen, das Chaos seiner Natur 6 hinter sich zu bringen <strong>und</strong><br />

in <strong>der</strong> Ewigkeit die Zeit zu etablieren, <strong>und</strong> zwar als Gleichzeitigkeit von Vergangenheit<br />

(Natur), Gegenwart (Sein <strong>und</strong> Wissen im Wesen Gottes) <strong>und</strong> Zukunft (alle existentiellen<br />

Möglichkeiten im freien Willen Gottes). Diese drei Dimensionen lassen sich auf das<br />

„Strahlen“ <strong>der</strong> Gegenwart zurückführen. Sie sind alle wesensgleich:<br />

„... verschiedene Zeiten [...] können als die verschiedenen wohl zumal sein, ja genau<br />

zu reden, sind sie notwendig zumal. Die vergangene Zeit ist keine aufgehobene Zeit;<br />

1 Vgl. ebd., S. 205.<br />

2 Kuno Fischer behauptet, <strong>bei</strong> <strong>Schelling</strong> hätten die endlichen Dinge ihr wahres Sein im Absoluten (K. Fischer,<br />

<strong>Schelling</strong>s Leben, Werke <strong>und</strong> Lehre, 3. Aufl., Heidelberg, Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, 1902, S. 619-<br />

623).<br />

3 Der letzte Satz versucht, den moralischen Inhalt <strong>der</strong> Philosophischen Untersuchungen über das Wesen <strong>der</strong><br />

menschlichen Freiheit <strong>und</strong> die damit zusammenhängenden Gegenstände (1809) kurz darzustellen.<br />

4 Vgl. Stuttgarter Privatvorlesungen (1810, aus dem handschriftlichen Nachlaß), in: F. W. J. <strong>Schelling</strong>,<br />

Sämtliche Werke, I-8, Stuttgart <strong>und</strong> Augsburg, Cotta, 1861, S. 429 f.; Die Weltalter (1814/15 – Bruchstück aus<br />

dem handschriftlichen Nachlaß), in: ebd., S. 304. – In <strong>der</strong> Philosophischen Einleitung in die Philosophie <strong>der</strong><br />

Mythologie o<strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> reinrationalen Philosophie, in: Ausgewählte Schriften, Bd. 5, Frankfurt a. M.,<br />

Suhrkamp, 1985, XX. Vorlesung (bes. S. 473, 485 f., Anm. 1) faßt <strong>Schelling</strong> die Periode 1809-1815 – seine<br />

Lehren von <strong>der</strong> Charakterwahl, von <strong>der</strong> Gottesab- <strong>und</strong> -zuwendung – zusammen, indem er nicht allein vom<br />

individuellen, son<strong>der</strong>n auch vom geschichtlichen Schicksal spricht.<br />

5 Die Weltalter, a. a. O., S. 259.<br />

6 Dazu H. Fuhrmans, <strong>Schelling</strong>s Philosophie <strong>der</strong> Weltalter. <strong>Schelling</strong>s Philosophie in den Jahren 1806-1821.<br />

Zum Problem des <strong>Schelling</strong>schen Theismus, Düseldorf, L. Schwann, 1954. Fuhrmans deutet die Philosophie des<br />

mittleren <strong>Schelling</strong> als einen explikativen Theismus, <strong>der</strong> die Genese des Universums aus dem gottimmanenten<br />

Chaos vornimmt. Der damit mangelhafte, nach <strong>der</strong> Verkörperung des Idealen sehnende Gott wi<strong>der</strong>spricht, so<br />

Fuhrmanns, <strong>der</strong> christlichen Gottesauffassung.<br />

17


das Vergangene kann freilich nicht als ein Gegenwärtiges, wohl aber muß es als ein<br />

Vergangenes mit dem Gegenwärtigen zumal sein; das Zukünftige ist freilich nicht als<br />

ein jetzt Seiendes, wohl aber ist es mit dem Gegenwärtigen als ein zukünftig Seiendes<br />

zumal, <strong>und</strong> es ist gleich ungereimt, das Vergangen-sein wie das Zukünftig-sein als ein<br />

völliges Nichtsein zu denken.“ 1<br />

Diese organische Einheit <strong>der</strong> Zeitekstasen verunmöglicht es dem wahren<br />

philosophischen Subjekte – wohlverstanden, nicht dem empirischen Ich –, eine beständige<br />

Essenz zu haben, <strong>und</strong> macht die (ewige, ungegenständliche, urständliche) Freiheit zum Wesen<br />

desselben. 2 Ein solches absolut freie Subjekt kann seine Erfüllung nicht mehr im Staate<br />

finden, <strong>der</strong> nur eine Naturmacht ist, <strong>und</strong> muß sie entwe<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Kirche o<strong>der</strong> in einem in die<br />

Kirche übergehenden Staatswesen suchen. 3 Zwar stirbt <strong>der</strong> Staat nie vollständig ab, man darf<br />

aber von <strong>der</strong> inneren, geistigen Harmonie <strong>der</strong> individuellen Person, von <strong>der</strong> sittlich-religiösen<br />

Verträglichkeit von Willen <strong>und</strong> Welt als dem äußeren Zwecke <strong>der</strong> Entwicklung von<br />

Verfassungen sprechen. Freie Zeit, Monarchie, bürgerliches Engagement – dies sind die<br />

solchen Zweck am besten beför<strong>der</strong>nden Faktoren. 4 Die inkonstante kontemplative Rückkehr<br />

zu Gott hat die Phasen <strong>der</strong> mystischen Frömmigkeit, <strong>der</strong> Kunst sowie <strong>der</strong> kontemplativen, auf<br />

die göttliche Existenz hin gerichteten Wissenschaft. 5 Die ihrer Natur nach allgemeine, weil<br />

„auf Erkenntnis <strong>der</strong> Wahrheit“ gegründete Kirche muß neben dem Staate bestehen, <strong>der</strong><br />

äußerlich ist <strong>und</strong> deswegen nie universellen Umfang erreichen kann. 6 Die Kirche soll sich<br />

innerlich über den Staat erheben, nicht um zu herrschen, son<strong>der</strong>n um ihn mit <strong>der</strong><br />

Allgemeinheit des Glaubens zu durchtränken. 7<br />

Die <strong>Schelling</strong>sche Konzeption <strong>der</strong> Zeit hat ihre inspirierende Anziehungskraft bis<br />

heute <strong>bei</strong>behalten. 1956 analysiert Wolfgang Wieland den Zeitbegriff in <strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong><br />

Weltalter. Die Zeit wird als organisch, endlich, in <strong>der</strong> Ewigkeit begründet <strong>und</strong> als auf die<br />

endlichen Dinge bezogen aufgefaßt. Die ekstatische Zeitlichkeit sei eine ontologische Basis<br />

des menschlichen Seins, Denkens <strong>und</strong> Bewußtseins; man habe da<strong>bei</strong> zugleich mit <strong>der</strong> Ekstatik<br />

1<br />

Ebd., S. 302. – In <strong>der</strong> Paulus-Nachschrift wird vom ewigen Charakter <strong>der</strong> Zeitlichkeit geredet.<br />

2<br />

Vgl. Über die Natur <strong>der</strong> Philosophie..., a. a. O., S. 9, 14.<br />

3<br />

Vgl. Stuttgarter..., a. a. O., S. 461 f., 464.<br />

4<br />

Vgl. Philosophische Einleitung..., a. a. O., XXIII. Vorlesung<br />

5<br />

Vgl. ebd., XXIV. Vorlesung.<br />

6<br />

Vgl. F. W. J. <strong>Schelling</strong>, Philosophische Entwürfe <strong>und</strong> Tagebücher 1846. Philosophie <strong>der</strong> Mythologie <strong>und</strong><br />

reinrationale Philosophie, Hamburg, F. Meiner, 1998, S. 38. – Vielleicht ist das <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>, weswegen <strong>der</strong> junge<br />

Habermas in seiner Dissertation, a. a. O., III. Teil: „Mensch <strong>und</strong> Gott im Horizont <strong>der</strong> Weltalter (<strong>Schelling</strong> 1809-<br />

21)“, den alten <strong>Schelling</strong> <strong>der</strong> Abwendung von <strong>der</strong> Geschichtlichkeit des Absoluten bezichtigt.<br />

7<br />

Vgl. ebd., S. 39. – Zu den Wandlungen des <strong>Schelling</strong>schen Staatsbegriffs siehe M. Schraven, Recht, Staat <strong>und</strong><br />

Politik <strong>bei</strong> <strong>Schelling</strong>, in: F. W. J. <strong>Schelling</strong>, a. a. O.<br />

18


des zutiefst temporalen menschlichen Lebens selbst zu tun. 1 Diese anthropologische<br />

Fragestellung wird gegen Fuhrmans <strong>und</strong> Habermas ausgespielt: für den ersten sei <strong>der</strong><br />

theogonische Prozeß allzu wichtig, <strong>der</strong> zweite – von <strong>der</strong> Terminologie Heideggers abhängig –<br />

akzentuiere übermäßig <strong>und</strong> anachronistisch die existentiell verstandene Geschichtlichkeit statt<br />

<strong>der</strong> ursprünglichen Struktur <strong>der</strong> Zeit. 2 Es scheint Anfang <strong>der</strong> 60. Jahre, als ob Habermas diese<br />

Kritik beherzigt hätte, denn nun konzentriert er sich auf die Beschreibung <strong>der</strong> Genese <strong>der</strong> Zeit<br />

aus dem Zerreißen des Kreislaufs von Kontraktion <strong>und</strong> Expansion in <strong>der</strong> Innerlichkeit Gottes;<br />

<strong>der</strong> Mensch sei fähig, das Nacheinan<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zeitdimensionen mit ihrem ewigen Ineinan<strong>der</strong> im<br />

Bewußtsein zu synthetisieren. 3 Auf das konsequent prozessuale <strong>und</strong> theoretisch befriedigende<br />

Denken <strong>Schelling</strong>s seit <strong>der</strong> zweiten Dekade des XIX. Jahrhun<strong>der</strong>ts, auch auf den engen<br />

Zusammenhang des subjektiven, objektiven <strong>und</strong> absoluten Zeitbegriffs macht R. Adolphi<br />

aufmerksam 4 , <strong>der</strong> an einem an<strong>der</strong>en Ort die Merkmale <strong>der</strong> spekulativen Zeittheorie <strong>Schelling</strong>s<br />

aufzählt, darunter die Vielschichtigkeit des Begriffes <strong>der</strong> Zeit, die Zusammengehörigkeit <strong>der</strong><br />

Objektivität <strong>und</strong> <strong>der</strong> Subjektivität <strong>der</strong> Zeit, die Gleichursprünglichkeit <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zeit,<br />

die Folge <strong>der</strong> dreifachen Totalitäten von Zeitdimensionen, den existentiellen Vorrang <strong>der</strong><br />

Gegenwart sowie die Vermittlung von Vernünftigkeit <strong>und</strong> Irrationalität im prozessualen<br />

Absoluten. 5 Und schließlich for<strong>der</strong>t uns Claus-Artur Scheier auf, <strong>Schelling</strong> wegen seiner<br />

Zeittheorie als unseren Zeitgenossen zu betrachten:<br />

„Jedenfalls ist <strong>Schelling</strong> als Denker <strong>der</strong> ursprünglichen Zeitlichkeit ein<br />

>>Zeitgenosse>Bedürfnisdie Zeit <strong>und</strong> ihr<br />

1 Vgl. W. Wieland, <strong>Schelling</strong>s Lehre von <strong>der</strong> Zeit. Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Voraussetzungen <strong>der</strong> Weltalterphilosophie,<br />

Heidelberg, Carl Winter Universitätsverlag, 1956, S. 31.<br />

2 Vgl. ebd., Exkurs 2. – In <strong>der</strong> Vorlesung Die Metaphysik des deutschen Idealismus (<strong>Schelling</strong>): <strong>Zur</strong> erneuten<br />

Auslegung von <strong>Schelling</strong>: Philosophische Untersuchungen über das Wesen <strong>der</strong> menschlichen Freiheit <strong>und</strong> die<br />

damit zusammenhängenden Gegenstände (1809), in: Gesamtausgabe, Bd. 49, Frankfurt a. M., Vittorio<br />

Klostermann, 1991, S. 139, weist Heidegger auf die Systematik des göttlichen Verstandes hin, die aber noch<br />

kaum die Spuren <strong>der</strong> Temporalität verrät.<br />

3 Vgl. J. Habermas, Dialektischer Idealismus im Übergang zum Materialismus – Geschichtsphilosophische<br />

Folgerungen aus <strong>Schelling</strong>s <strong>Idee</strong> einer Contraction Gottes, poln. Übers. in: <strong>der</strong>s., Teoria i praktyka. Wybór pism,<br />

S. 251-253.<br />

4 S. R. Adolphi, „Geschehen aber zu denken ist immer das Schwierigste“. Zu den Problemen eines<br />

Prozeßansatzes in <strong>Schelling</strong>s Freiheitsphilosophie, in: H. M. Baumgartner <strong>und</strong> W. G. Jacobs (Hrsg.), <strong>Schelling</strong>s<br />

Weg zur Freiheitsschrift. Legende <strong>und</strong> Wirklichkeit – Akten <strong>der</strong> Fachtagung <strong>der</strong> Internationalen <strong>Schelling</strong>-<br />

Gesellschaft 1992 („<strong>Schelling</strong>iana“, Bd. 5), Stuttgart-Bad Cannstatt, frommann-holzboog, 1996.<br />

5 S. R. Adolphi, Warum ist überhaupt Zeit <strong>und</strong> nicht vielmehr ewiges Sein <strong>und</strong> Wahrheit? <strong>Schelling</strong>s spekulative<br />

Theorie <strong>der</strong> Zeit <strong>und</strong> ihre antiken Bezüge. Eine Skizze, Maschinendruck, 1996. – Nach H. J. Sandkühler, Die<br />

Philosophie <strong>der</strong> Geschichte, in: F. W. J. <strong>Schelling</strong>, a. a. O., Zukunft bedeutet <strong>bei</strong> <strong>Schelling</strong> mehr als die<br />

Gegenwart. Die letzte Möglichkeit, die Betonung des Vorrangs <strong>der</strong> Vergangenheit, ergreift Aldo Lanfranconi in:<br />

19


‚Es war‘


Dieses Pathos <strong>der</strong> absoluten Selbstvermittlung, wenn auch in <strong>der</strong> unendlich entfernten<br />

Zukunft, wird nach 1800 vom Gefühl <strong>der</strong> Begrenztheit des transzendentalen Ich ersetzt. 1<br />

Schon in <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> WL (1801) begegnen wir <strong>der</strong> Unableitbarkeit des Inhalts <strong>der</strong><br />

Wahrnehmungen in <strong>der</strong> materiellen Welt, was in <strong>der</strong>selben Schrift seine Parallele in <strong>der</strong><br />

Irrationalität des Seins auf dem Felde des ursprünglichen Wissens hat. Aber in <strong>der</strong> engeren<br />

Sphäre des auf sich selbst besinnenden Sehens behält das Ich das Empfinden seiner selbst <strong>bei</strong><br />

als des absoluten, durchweg selbstbewußten Intellekts. 2 Der Verstand sei das Bild seiner<br />

selbst 3 , allerdings an das dinghafte Nicht-Ich angeb<strong>und</strong>en 4 .<br />

Planparallel zum frühen <strong>Fichte</strong> verlief die Entwicklung des jungen <strong>Schelling</strong>. Auch er<br />

meinte, das absolute, vom transzendentalen noch nicht streng getrennte Ich als die höchste<br />

Bedingung <strong>der</strong> Endlichkeit stifte die Sphäre des Nicht-Ich, denn die Begrenzung sei<br />

<strong>und</strong>enkbar ohne das Absolute. 5 Die Unbedingtheit <strong>und</strong> Absolutheit des Ich weist darauf hin,<br />

daß das Prinzip <strong>der</strong> Philosophie die Freiheit ist:<br />

„Der letzte Punkt, an dem unser ganzes Wissen <strong>und</strong> die ganze Reihe des bedingten<br />

hängt, muß schlechterdings durch nichts weiter begründet sein. Das ganze unsers<br />

Wissens hat keine Haltung, wenn es nicht durch irgend etwas gehalten wird, das sich<br />

durch eigene Kraft trägt, <strong>und</strong> dies ist nichts, als das durch Freiheit Wirkliche. Der<br />

Anfang <strong>und</strong> das Ende aller Philosophie ist – Freiheit!“ 6<br />

Den Sinn des absoluten Ich setzt <strong>Schelling</strong> daselbst auseinan<strong>der</strong> als reine Identität,<br />

Freiheit, zugänglich nur in <strong>der</strong> intellektuellen (d. h. ungegenständlichen) Anschauung, als<br />

schlechthinnige Einheit, alle Realität enthaltend, auf das Nicht-Ich bezogen, unendlich, als<br />

einzige Substanz, als die Quelle <strong>der</strong> Realität (des Wesens), schließlich als die absolute,<br />

1<br />

Wie G. Zöller im Aufsatz Bestimmung..., a. a. O., zeigt, führt in <strong>der</strong> Bestimmung des Menschen die<br />

Zusammensetzung <strong>der</strong> Bestimmung zur Selbstbestimmung mit <strong>der</strong> auf dem reinen Willen aufgebauten<br />

intelligiblen Ordnung zum moralphilosophischen Gottesbegriff.<br />

2<br />

Vgl. Wissenschaftslehre 1805, a. a. O., 26.-27. St<strong>und</strong>e, S. 136-142, 144. – Da ist auch <strong>der</strong> systematische Ort für<br />

die Tätigkeit des Genies, so wie sie 1794 (erschienen 1798) in Über Geist <strong>und</strong> Buchstab in <strong>der</strong> Philosophie von<br />

<strong>Fichte</strong> beschrieben worden ist. Allgemeiner faßt die Sache José L. Villacañas (<strong>Fichte</strong> <strong>und</strong> die charismatische<br />

Verklärung <strong>der</strong> Vernunft, „<strong>Fichte</strong>-Studien“ 5/1993), für den das Genie – ebenso wie <strong>der</strong> Gelehrte, <strong>der</strong> Künstler<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Politiker – als charismatisches (im Sinne Webers) Individuum an <strong>der</strong> intelligiblen Ordnung teilhat.<br />

3<br />

Vgl. J. G. <strong>Fichte</strong>, Die Wissenschaftslehre (1813), in: <strong>Fichte</strong>s Werke, Bd. X, Berlin, Walter de Gruyter & Co.,<br />

1971, S. 37.<br />

4<br />

Vgl. ebd., S. 85.<br />

5<br />

Im System <strong>der</strong> gesammten Philosophie..., a. a. O, S. 188 f., wird dieser Gedanke zur <strong>Idee</strong> des (relativen) Seins<br />

<strong>der</strong> endlichen Dinge außer dem Absoluten <strong>und</strong> des (relativen) Nichtseins <strong>der</strong>selben im Angesicht des Absoluten<br />

fortentwickelt.<br />

6<br />

F. W. J. <strong>Schelling</strong>, Vom Ich als Prinzip <strong>der</strong> Philosophie o<strong>der</strong> über das Unbedingte im menschlichen Wissen<br />

(1795), in: <strong>der</strong>s., Frühschriften, Bd. 1, Berlin, Akademie-Verlag, 1971.<br />

21


unterschiedslose Macht. 1 In den <strong>Idee</strong>n zu einer Philosophie <strong>der</strong> Natur (1797) wird das<br />

transzendentale Ich fichteanisch als <strong>der</strong> Ursprung <strong>der</strong> objektiven Existenz von subjektiven<br />

<strong>und</strong> rationellen Zweckform verstanden.<br />

Individuelle <strong>Unsterblichkeit</strong><br />

Sollten wir nach <strong>der</strong> <strong>Idee</strong> <strong>der</strong> individuellen <strong>Unsterblichkeit</strong> <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong> suchen, so müßten wir<br />

uns an dessen Religionsphilosophie wenden. In den Entwürfen <strong>der</strong> Fünffachheitslehre gehört<br />

die Religion immer <strong>der</strong> vierten Stufe, die <strong>der</strong> WL selbst untergeordnet ist. In <strong>der</strong> ersten WL<br />

von 1804 hat <strong>der</strong> religiöse Standpunkt den absoluten Charakter, alle nie<strong>der</strong>en Bindungen des<br />

Ich umgreifend, das sich als bedingter Schein des inneren Prinzips des Bildes betrachtet. 1812<br />

erfahren wir, daß das absolute Wissen unverän<strong>der</strong>lich sei, das wirkliche in <strong>der</strong> Zeit werde,<br />

<strong>bei</strong>de Wissensformen aber seien in Gott begründet. 2 Die wahre Religion habe ihren Gr<strong>und</strong> in<br />

<strong>der</strong> Selbstoffenbarung des Wissens. 3 Das Individuum könne dauern nur als Wi<strong>der</strong>schein <strong>der</strong><br />

Gotteserscheinung:<br />

„Dem Bewußtseyn des Individuum liegt zu Gr<strong>und</strong>e <strong>der</strong> übersinnliche, u. sittl.<br />

Charakter deßelben, u. das Bewußtseyn ich bin, selbständig, bleibend dasselbe in<br />

allem Wechsel, ist nur <strong>der</strong> unbegriffene Reflex dieses Charakters. Ohne diesen<br />

vermöchte keiner in sich selbständig dazuseyn.“ 4<br />

Das Individuum hat damit nur insofern Bedeutung, als es allgemeine ontologische <strong>und</strong><br />

sittliche Strukturen k<strong>und</strong>tut. Mit Recht faßt also Widmann die <strong>Unsterblichkeit</strong>slehre <strong>Fichte</strong>s<br />

so zusammen:<br />

„>>Himmel>Himmel


Himmel ist streng verstanden <strong>bei</strong> <strong>Fichte</strong> überhaupt kein Ausdruck für einen<br />

Teil <strong>der</strong> Gesamtwirklichkeit, sei dieser noch so hoch <strong>und</strong> erhaben gedacht – son<strong>der</strong>n<br />

die Bezeichnung für die Wahrheit <strong>der</strong> einen Erscheinungswirklichkeit, außer <strong>der</strong> es<br />

überhaupt keine an<strong>der</strong>e Wirklichkeit gibt. Wer darum zum >>Himmelreich>Bürger des Himmelreichs>dies kann je<strong>der</strong> werden zur<br />

St<strong>und</strong>e


„... kein Mensch erscheint in seinem Leben, ganz als <strong>der</strong> er Ist. Nach dem Tode ist er<br />

bloß noch Er selbst. Darin liegt das Erfreuliche des Todes für den einen, das<br />

Erschreckliche für den an<strong>der</strong>n. Das zufällig Gute, von dem hier das Böse, das zufällig<br />

Böse, von dem das Gute zugedeckt war, <strong>bei</strong>des verschwindet. Dieses Essentificirte, in<br />

dem auch das Physische bewahrt ist, muß ein höchst wirkliches Wesen, ja <strong>der</strong> wahren<br />

Schätzung nach <strong>bei</strong> weitem wirklicher seyn als <strong>der</strong> gegenwärtige Leib, <strong>der</strong> wegen <strong>der</strong><br />

gegenseitigen Ausschließung seiner Theile nur ein zusammengesetztes <strong>und</strong> eben<br />

darum gebrechliches <strong>und</strong> zerstörbares Ganze ist. Es gibt Ausdrücke in allen Sprachen,<br />

welche die erste, noch durch keine Reflexion gestörte Empfindung <strong>der</strong> Sache<br />

ausdrücken. Dahin gehört, daß man ein abgeschiedenes Wesen, inwiefern man es<br />

erscheinen läßt, einen Geist nennt, nicht etwa eine Seele, man denkt sich also da<strong>bei</strong><br />

den ganzen Menschen, nur vergeistigt, essentificirt.“ 2<br />

Man kann also Kuno Fischer nicht mehr zustimmen, wenn er <strong>der</strong> persönlichen<br />

Originalität <strong>und</strong> Geson<strong>der</strong>theit im Denken <strong>Schelling</strong>s jede Bedeutung abspricht, denn im Gott<br />

komme nach <strong>Schelling</strong> angeblich nur unpersönliche <strong>Unsterblichkeit</strong> ins Spiel, die<br />

Individualität sei dagegen ein unreiner Zustand, eine Art Strafe für unsere Sünden. 3 Wir<br />

heißen vielmehr dem sich dem späteren Denken <strong>Schelling</strong>s hineinknienden Horst Fuhrmans<br />

gut, <strong>der</strong> es betont, daß <strong>bei</strong> diesem Philosoph die geistige <strong>und</strong> physische Individualität nach<br />

dem Tode verbleibt in <strong>der</strong> essentiellen Form, nur die verkehrte, unwesentliche Seite <strong>der</strong><br />

Leiblichkeit weggeworfen werde. 4 Und nur die positive Philosophie mit ihrer<br />

Aufgeschlossenheit für Empirie könne solche Phänomene wie Mythologie, Religion,<br />

Christentum <strong>und</strong> psychophysiche <strong>Unsterblichkeit</strong> richtig einschätzen, denn Geschichtlichkeit,<br />

Freiheit, Sünde <strong>und</strong> Hoffnung auf die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> ursprünglichen Einheit mit Gott<br />

sind unableitbare Tatsachen 5 , die keine WL dulden.<br />

1<br />

Ebd., S. 484.<br />

2<br />

Drittes Buch <strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong> Offenbarung. Zweiter Theil, in: F. W. J. <strong>Schelling</strong>, Sämtliche Werke, II-4,<br />

Stuttgart <strong>und</strong> Augsburg, Cotta, 1858, S. 207 f.<br />

3<br />

Vgl. K. Fischer, a. a. O., S. 626.<br />

4<br />

Vgl. H. Fuhrmans, <strong>Schelling</strong>s letzte Philosophie. Die negative <strong>und</strong> positive Philosophie im Einsatz des<br />

Spätidealismus, Berlin, Junker <strong>und</strong> Dünnhaupt, 1940, S. 232-235.<br />

5<br />

Vgl. ebd., S. 219-238, 256.<br />

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