6. Neurowissenschaften und Willensfreiheit
6. Neurowissenschaften und Willensfreiheit
6. Neurowissenschaften und Willensfreiheit
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<strong>Neurowissenschaften</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Willensfreiheit</strong><br />
Juri Friedel <strong>und</strong> Jonas Bedford-Strohm
Gr<strong>und</strong>sätzliches<br />
“Wie frei ist der Mensch in seinen<br />
Handlungen?”<br />
Man muss kein Philosoph sein, um diese Frage<br />
zu stellen, denn sie ist wohl eine der<br />
essentiellsten Fragen, der sich ein denkender<br />
Mensch früher oder später gegenüber sehen<br />
wird. So ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass es zu<br />
diesem Aspekt verschiedenste Ausführungen<br />
<strong>und</strong> Theorien gibt; von klassischen Philosphen<br />
vergangener Tage bis hin zur modernen<br />
Naturwissenschaft.
Freiheitsbegriffe<br />
Zum Verständnis muss zunächst der Begriff<br />
Freiheit definiert werden. Hierbei unterscheiden<br />
wir zwei Arten der Freiheit.<br />
Handlungsfreiheit <strong>und</strong> <strong>Willensfreiheit</strong>
Handlungsfreiheit<br />
Handlungsfreiheit bedeutet, dass man eine<br />
Handlung willentlich durchführen möchte; wird<br />
diese eingeschränkt, so geschieht dies durch<br />
äußere Umstände.<br />
Beispiel: Berta wäre gerne Priesterin. Da die<br />
katholische Kirche keine Frauen im Amt einer<br />
Priesterin akzeptiert, ist dies nicht möglich. Ihre<br />
Handlungsfreiheit ist durch den äußeren<br />
Umstand der Regelungen der kath. Kirche<br />
eingeschränkt.
<strong>Willensfreiheit</strong><br />
Die <strong>Willensfreiheit</strong> ist die Freiheit in der<br />
Entscheidung einer Handlung. Wird diese<br />
eingeschränkt, wird also der Wille einer Person<br />
beeinflusst.<br />
Beispiele hierfür sind psychische Krankheiten
Vor allem der Aspekt der <strong>Willensfreiheit</strong> bietet<br />
Raum für Diskussionen. Wird die<br />
Handlungsfreiheit beeinträchtigt, so ist dies meist<br />
äußerlich sichtbar <strong>und</strong> leicht erkennbar. Bei der<br />
<strong>Willensfreiheit</strong> ist das schwieriger, man kann sich<br />
auch frei fühlen, wenn diese eingeschränkt wird.<br />
Dieses Gefühl drückt sich folgendermaßen aus:
Man hat das Gefühl, dass<br />
man selbst die Quelle des Willens <strong>und</strong> somit<br />
der Durchführung einer Handlung ist<br />
unser Wille unseren Handlung voraus geht <strong>und</strong><br />
diese direkt <strong>und</strong> nicht kausal verursacht<br />
man für seine Handlungen verantwortlich ist<br />
man in einer bestimmten Situation „auch anders<br />
hätte handeln können“, wenn man nur gewollt<br />
hätte
Für die Beantwortung der Frage, ob <strong>und</strong><br />
inwiefern der Wille des Menschen frei bzw.<br />
determiniert, d.h. vorherbestimmt ist, ist es<br />
daher wichtig, sich zunächst klarzumachen,<br />
welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um von<br />
einer freien Handlung sprechen zu können.
Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit eine<br />
Handlung frei ist?<br />
Es müssen Alternativen gegeben sein<br />
Die Entscheidung muss von der Person selbst<br />
getroffen werden<br />
Die Entscheidung muss bewusst getroffen<br />
werden<br />
Sie darf nicht durch einen Zwang beeinflusst<br />
werden
Auffassungen zur<br />
<strong>Willensfreiheit</strong><br />
Klassische Freiheitsauffassungen in<br />
Philosophie <strong>und</strong> Literatur<br />
Freier Wille existiert/macht das Wesen des<br />
Menschen aus<br />
z.B. Kant, Schiller<br />
Freier Wille ist eine Einbildung<br />
z.B. Schopenhauer, Büchner
Moderne naturwissenschaftliche<br />
Freiheitsauffassungen<br />
• sind vor allem von den Experimenten Libets<br />
gesprägt<br />
• Diese Ergebnisse wurden teilweise so ausgelegt,<br />
dass dem freien Willen des Menschen eine<br />
große Beeinflussung durch das limbische<br />
System, also durch das Unterbewusstsein<br />
attestiert wurde. Der Naturwissenschaftler<br />
Gerhard Roth geht sogar soweit, dem Menschen<br />
den Besitz eines freien Willens gänzlich<br />
abzusprechen
Libet-Experiment<br />
Der Neurowissenschaftler Benjamin Libet führte Versuche<br />
durch, die den Entscheidungsprozess im Gehirn darstellen<br />
<strong>und</strong> erklären sollten<br />
Ergebnisse: 550 ms vor einer spontanen Handlung trat ein<br />
Bereitschaftspotenzial im Gehirn auf, der berichtete<br />
Zeitpunkt des Bewusstwerden der Absicht lag jedoch bei<br />
200 ms vor der Handlung
Libet-Experiment<br />
100 ms vor der Ausführung der Handlung stellte Libet eine<br />
Möglichkeit zum Veto fest<br />
Folge: nach Libet liegt die Handlungsabsicht vor der<br />
bewussten Entscheidung, also hat der Mensch keine<br />
<strong>Willensfreiheit</strong>, sondern lediglich ein Vetorecht
Kritik am Libet-Experiment<br />
Manchen geht Libet nicht weit genug: “Das<br />
bewusste, denkende <strong>und</strong> wollende Ich ist<br />
nicht im moralischen Sinne verantwortlich<br />
für dasjenige, was das Gehirn tut, auch<br />
wenn dieses Gehirn „perfiderweise‟ dem<br />
Ich die entsprechende Illusion verleiht.”<br />
(Gerhard Roth)<br />
I<br />
Vertreter der totalen Determination des Menschen wie<br />
Schopenhauer gehen weiter als Libet, der zumindest<br />
durch das Vetorecht eine “gewisse Entscheidungsfreiheit”<br />
einräumt
Kritik am Libet-Experiment<br />
II<br />
Die Experimente können nichts über die<br />
Möglichkeit eines freien Willens aussagen, der<br />
Versuchsaufbau wurde nicht konzipiert um<br />
Aussagen zu Willesfreiheit <strong>und</strong> moralischer<br />
Verantwortlichkeit zu treffen<br />
Fehler Libets: spontane Handlungen sind nicht<br />
gleich <strong>Willensfreiheit</strong>, komplexen Handlungen<br />
geht eine mittelfristige Planungsphase voraus,<br />
die zeitlich weit vor dem ersten<br />
Bereitschaftspotenzial liegt
Frei – aber wovon?<br />
Angesichts dieser wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse ist es verständlich, wenn Menschen<br />
an der Freiheit des Willens zweifeln. Man muss<br />
sich jedoch auch vor Augen halten, was das<br />
genaue Gegenteil eines determinierten Willens<br />
ist - ein unbedingt freier Wille, der von nichts<br />
abhängt. Ihr Wille wäre irrational <strong>und</strong> völlig<br />
willkürlich; unabhängig von Ihrer Persönlichkeit,<br />
Ihren Gefühlen, Ihren Erfahrungen etc.<br />
Würden Sie dann noch sagen, es sei Ihr Wille?
Struktur der<br />
Rechtssprechung<br />
Die drei Aspekte der Rechtssprechung:<br />
Warum bestrafen wir Straftäter?<br />
• Schutz der Bevölkerung vor StraftäterInnen<br />
• Moralischer Aspekt, Sühne<br />
• Resozialisierung<br />
§
Problematik<br />
Geht man davon aus, dass der Mensch keinen<br />
freien Willen hat, so stellt sich das Problem, wie<br />
man mit den Handlungen anderer Personen<br />
umgeht. Führt die Wertung von Handlungen<br />
anderer nicht dazu, dass man diesen Personen<br />
nicht gerecht wird, wenn man davon ausgeht,<br />
dass keine Handlung aus freien Stücken<br />
geschieht?<br />
Vor allem bei der Rechtssprechung wird die<br />
Problematik deutlich. Wird nicht der Aspekt der<br />
Sühne/der moralischen Bestrafung bei einer<br />
solchen Annahme hinfällig?
Das Prinzip von Schuld <strong>und</strong> Verantwortung ist für<br />
das deutsche Strafrecht von zentraler Bedeutung<br />
(„Keine Strafe ohne Schuld“); die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />
Existenz eines freien Willens wird<br />
vorausgesetzt<br />
Dieses Prinzip der „moralischen Schuld“ wird<br />
durch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
bedroht.<br />
Mögliche notwendig werdende Veränderung in<br />
der Rechtssprechung bei Erhärtung der<br />
derzeitigen Kenntnisse könnten sein:
Ausrichtung mehr auf Heilung der Person <strong>und</strong><br />
Schutz der Gesellschaft statt auf<br />
Bestrafung/Vergeltung<br />
Berücksichtigung der individuellen<br />
Voraussetzungen (hirnorganische<br />
Zusammensetzung, Herkunft, soziale<br />
Abstammung, Biografie)<br />
Prävention <strong>und</strong> Früherkennung
Zum gesellschaftlichen Umgang mit Straftätern<br />
Vielleicht sollte man angesichts der Ergebnisse<br />
der Naturwissenschaft <strong>und</strong> der Vielzahl der<br />
Aspekte, die für die Existenz von<br />
Einschränkungen der <strong>Willensfreiheit</strong> des<br />
Menschen sprechen, bei der Bewertung mancher<br />
Handlungen nachsichtiger mit den betroffenen<br />
Personen umgehen. Die Hintergründe sind oft<br />
komplexer als man zunächst annimmt, was bei<br />
der Analyse berücksichtigt werden sollte.
Noch nicht bearbeitet<br />
Moderne philosophische Auffassungen<br />
Handlungsspielraum<br />
Praxisbezogenheit<br />
Antwort Christian Illies<br />
Sonst Bieri? (<strong>Willensfreiheit</strong> als Ideal)