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4. Brain-Machine-Interfaces

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Technisierung des Menschen?


Was versteht man unter BMI / BCI?<br />

<strong>Brain</strong> <strong>Machine</strong> <strong>Interfaces</strong> oder <strong>Brain</strong> Computer <strong>Interfaces</strong> bezeichnen<br />

ganz allgemein Geräte und Verfahren, die eine Verbindung zwischen dem<br />

Gehirn und einer Maschine herstellen können. Daher werden sie auch<br />

häufig als Gehirn-Computer-Schnittstellen bezeichnet.<br />

Genau wie wir über die Augen und Ohren, den Sprechapparat und unsere<br />

Mimik Kontakt zur Außenwelt aufnehmen, kann dies auch durch<br />

Hirnstromübersetzung erfolgen.<br />

Dies bietet vor allem für motorisch eingeschränkte Menschen eine große<br />

Chance mit ihrer Umwelt kommunikativ und selbstbestimmt in Kontakt zu<br />

treten.<br />

Bei der Verwirklichung kommen verschiedene Verfahren zum Einsatz, die<br />

allerdings immer auf einer Input-Komponente, Decodierungskomponente<br />

sowie Output-Komponente basieren.<br />

Ganz allgemein kommt es zu einer Verbindung zwischen Mensch und<br />

Maschine, was natürlich zahlreiche ethische Fragen aufwirft.<br />

1


Funktionsprinzip<br />

Input-Komponente: Verschiedenste invasive sowie vasive Verfahren<br />

ermöglichen das Erfassen von Hirnströmungen an einem bestimmten Ort<br />

zu einer bestimmten Zeit.<br />

Decodierungskomponente: Gemessene neuronale Potentiale werden<br />

über spezielle Algorithmen oder Mustererkennung interpretiert, die eine<br />

Prognose über die zu erfolgende Bewegung abgeben.<br />

Output-Komponente: Ergebnisse der Decodierungskomponente werden<br />

nun über unterschiedliche technische Geräte umgesetzt.<br />

Die Patienten müssen hierbei lernen, diejenigen neuronalen Signale zu<br />

erzeugen, die auch das gewünschte Ergebnis hervorrufen. Die<br />

Anpassungsfähigkeit des Gehirns erleichtert den Lernprozess hierbei<br />

ungemein und ermöglicht dem Patienten Hirnströme willentlich zu<br />

kontrollieren.<br />

2


„Elektrische“ Aktivitätsmessung<br />

Elektroenzephalographie (EEG) wird verwendet um Spannungsschwankungen<br />

an der Kopfoberfläche aufzuzeichnen, die entsprechend<br />

ausgewertet werden. Die gemessenen Hirnströme können ab- und in<br />

einen Computer weitergeleitet werden. Hierbei kommt eine Art<br />

„Badekappe“, die dem Patienten aufgesetzt wird, zum Einsatz. Diesem<br />

Prinzip folgt auch ein neu entwickelter Helm, der eine leichtere<br />

Handhabung ermöglichen soll.<br />

3


Ein weiteres Verfahren, das die Hirnströme noch genauer und gezielter<br />

messen kann, jedoch invasiv ist, bietet die Implantation von Elektroden.<br />

Dies geschieht entweder auf der Kortexoberfläche (epicortikal) oder<br />

intracortikal in gewissen Hirnarealen. Um den gewünschten Ort für die<br />

Implantation möglichst genau bestimmen zu können, bedient man sich<br />

Computertomographien oder auch der Stereotaxie, einem Verfahren, bei<br />

dem der Kopf des Patienten mittels eines fest sitzenden Rahmens ruhig<br />

gehalten und somit bestmöglich fixiert wird.<br />

4


Hämodynamische Aktivitätsmessung<br />

Neben der Messung elektrischer Aktivität im Gehirn gibt es auch Verfahren, die<br />

über Veränderungen des Blutflusses arbeiten.<br />

So zum Beispiel die Nahinfrarotspektroskopie, die anhand der Lichtdurch-<br />

lässigkeit dieSauerstoffkonzentration, sowie besonders aktive (stark<br />

durchblutete) Hirnareale anzeigt.<br />

Ähnlich aufschlussreich ist die Magnetresonanztomographie, die auf den sich<br />

verändernden magnetischen Eigenschaften des Hämoglobins basiert.<br />

Problematisch ist allerdings, dass diese Verfahren nur indirekt Aussage über die<br />

Vorgänge auf neuronaler Ebene geben.<br />

5


Nicht implantierte BCIs<br />

Kopf:<br />

Tonguepoint: Eingabegerät, dass auf die Zunge gelegt wird<br />

zur Cursorsteuerung eines PCs.<br />

Headmouse: Kameras beobachten und analysieren die Kopfbewegung,<br />

durch die dann ein Cursor gesteuert wird.<br />

EOG-Interface: Steuerung eines Cursors allein durch die Blickrichtung,<br />

Elektroden messen eine Spannung, die je nach Blickrichtung entsteht, und<br />

verwerten sie. Die Elektroden sollen zukünftig wie eine Brille aufgesetzt<br />

werden können<br />

6


Implantierte BCIs<br />

Ohr:<br />

Cochlea-Implantat: wird bei gehörlosen Patienten eingesetzt, deren<br />

Nervenleitungen noch intakt sind. Der Schall wird durch ein Mikrophon<br />

aufgefangen, verarbeitet und an den Hörnerv weitergeleitet.<br />

Auditorisches Hirnstamm Implantat: funktioniert wie Cochlea-Implantat,<br />

nur, dass hier der aufgefangene Schall direkt an den Hirnstamm geleitet<br />

wird, da bei diesen Patienten der Hörnerv ebenfalls beschädigt ist.<br />

7


Auge:<br />

Retina - Implantat: Blindheit durch geschädigte Retina.<br />

2 Möglichkeiten: entweder lichtempfindlichen Chip auf die Retina implantieren<br />

oder darunter. Der Chip gibt das Signal dann an die Ganglienzellen weiter und<br />

diese an das Gehirn.<br />

Problem: Die Augenflüssigkeit zerstört das Implantat nach kurzer Zeit<br />

Gesundes Auge Retina-Implantat<br />

Visual - Cortex - Implantat: wenn der Sehnerv zerstört ist, hilft kein Retina -<br />

Implantat und es muss der Visuelle Cortex direkt stimuliert werden.<br />

8


Gehirn: zur Steuerung von Mauscursorn, damit schwerwiegend<br />

Gelähmte Kontakt zur Außenwelt aufnehmen können<br />

P300-Interface: Tastaturreihen werden auf einem Monitor abwechselnd<br />

beleuchtet. Wenn der Buchstabe aufleuchtet, geht ein Signal vom Gehirn<br />

an den PC und dieser schreibt den Buchstaben.<br />

ERS- Interface (Event Related Synchronisation): Cursor wird nur durch die<br />

Vorstellung der Handbewegung gesteuert<br />

Mu Rhythm Interface: Der Cursor wird allein durch den Willen ohne äußere<br />

Reize, wie eine leuchtende Tastatur, gesteuert. Für vollständig gelähmte<br />

Patienten, die noch bei vollem Bewusstsein sind (Locked-In-Syndrom).<br />

9


Der erste Brief eines Patienten mit einem BCI – Verfahren.<br />

Das Schreiben dieses Briefes dauerte 16 Stunden.<br />

10


Ethische Fragen<br />

Input-Komponente: Die Öffnung des Schädels und die Implantation einer<br />

Elektrode sollte eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Analyse nach sich ziehen,<br />

denn jede Operation ist mit Gefahren verbunden, die vor allem im Gehirn<br />

große Auswirkungen nach sich ziehen. Auch gibt es im Bereich der <strong>Brain</strong><br />

<strong>Machine</strong> <strong>Interfaces</strong> keine aussagekräftige Langzeitstudie, die dem<br />

Patienten eine beschwerdefreie Zukunft zusagen kann. Daneben sollte<br />

auch bedacht werden, dass es sich bei dem Gehirn als zentraler Aspekt<br />

unseres Selbstverständnisses um den Ort unserer Bewusstseinsfähigkeit,<br />

Persönlichkeit und Identität handelt. Eine Operation bedeutet eine<br />

Veränderung der aktuellen Gegebenheit, der materiellen Grundlage des<br />

Gehirns und könnte somit auch eine Veränderung der Person herbeiführen.<br />

Daher stellt sich die Frage:<br />

Ist ein Mensch nach einem so großen Eingriff noch der gleiche?<br />

11


Diese Bedenken kommen nicht von ungefähr, denn schon heute wird die<br />

Tiefenhirnstimulation dazu verwendet Depressionen, Angstzustände oder<br />

besondere Aggressivität zu unterbinden. Warum sollten sich Eingriffe am<br />

Gehirn dann nicht auch auf andere Facetten der Persönlichkeit, die den<br />

Patienten definieren und nicht einschränken, auswirken?<br />

Decodierungskomponente: Wie weiter vorne schon angesprochen muss<br />

der Patient lernen seine Hirnströme zu kontrollieren, wodurch es zu einer<br />

Veränderung der neuronalen Aktivität im Gehirn kommt.<br />

Diese Veränderungen könnten eventuell auch unbewusst Einfluss auf<br />

ganz andere Funktionen des Patientenhirns nehmen.<br />

Man kann hier allerdings nur spekulieren, ob es gar zu einer Veränderung<br />

der Verhaltensweise des Patienten kommt, wenn auf einmal Hirnareale<br />

beansprucht werden, die vorher nie in diesem Ausmaß hatten arbeiten<br />

müssen. Auch könnte es geschehen, dass sich auf der einen Seite<br />

Fähigkeiten entwickeln, die dem Patienten früher nicht eigen waren (z.B.<br />

besondere Musikalität), dass sich aber auf der anderen Seite<br />

Begabungen zurückentwickeln oder gar verloren gehen. Daher darf dieser<br />

Aspekt der BMI nicht leichtfertig unberücksichtigt bleiben, sondern sollte<br />

vom Patienten sowie von allen Involvierten unbedingt bedacht werden.<br />

12


Output-Komponente: Eine „kabellose“ Übertragung von Mensch auf<br />

Maschine bietet ein gewisses Missbrauchspotential durch<br />

Fremdeinwirkung. Um den Einfluss von Dritten zu unterbinden, wird häufig<br />

eingeräumt spezielle Frequenzbereiche zu bestimmen, die den<br />

Funkverbindungen in medizinischen Anwendungen vorbehalten sind.<br />

Doch wann kann man noch von medizinischer Anwendungen sprechen?<br />

Bedeutet eine zunehmende Technisierung des Menschen nicht vielmehr<br />

eine unmenschliche Optimierung des Einzelnen fern von gesundheitlichen<br />

Aspekten?<br />

Können durch <strong>Brain</strong> <strong>Machine</strong> <strong>Interfaces</strong> Leistungen und Fähigkeiten<br />

erworben oder gesteigert werden, die über das „Normalmaß“<br />

hinausgehen?<br />

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die zunehmend immer mehr von<br />

jedem einfordert und abverlangt. Dies zeigt sich zum Beispiel im sog. Burn-<br />

Out-Syndrom, das längst kein Einzelphänomen mehr darstellt. BMI<br />

könnten diesen Trend zunehmend verstärken unter Ausmerzung jeglicher<br />

„Schwächen“.<br />

13


Und wie weit soll das Spektrum der Output-Komponenten überhaupt<br />

reichen? Im militärischen Bereich eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten,<br />

so zum Beispiel Kampfjets, die durch Hirnströme gelenkt verheerende<br />

Auswirkungen haben können.<br />

Der Einsatz von Technik birgt zudem immer die Möglichkeit zur<br />

Fehlfunktion. Kommt es bei der Bewegungsprognose zu einer<br />

Fehlinterpretation entsteht die Problematik der Verantwortlichkeit für<br />

daraus resultierende Handlungen. Wird nun der Patient, der Hersteller oder<br />

gar der Programmierer für die Folgen zu Rechenschaft gezogen? Hier<br />

müsste es zu einer noch spezifischeren Entschlüsselung kognitiver<br />

Kontroll- und Vetoinstanzen im Gehirn kommen, die solche<br />

Fehlinterpretationen unterbinden könnten. Auch würde sich eine spezielle<br />

Versicherungspflicht für solche Patienten anbieten um auch rechtlich<br />

abgesichert zu sein.<br />

Abschließend kann nun also festgehalten werden, dass das Feld der <strong>Brain</strong><br />

<strong>Machine</strong> <strong>Interfaces</strong> einen großen Nutzen im Bereich der Medizin erbringt<br />

und dazu beiträgt die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen, sowie<br />

stückweit Normalität einkehren zu lassen.<br />

14


Dennoch sollte allen Beteiligten immer klar sein, welche Risiken mit einem<br />

solchen Verfahren einhergehen können. Hierbei ist nicht nur die<br />

gesundheitliche Situation des Patienten unter einer Nutzen-Risiko-Abwägung<br />

gemeint, sondern auch ein möglicher Missbrauch auf diesem Gebiet, der<br />

jeglichen medizinischen Anspruch vernachlässigt und dazu führt einen<br />

perfekten, heißt leistungsstarken Menschen zu formen.<br />

Fortschritt, Technisierung und Optimierung sind gut, solange sie ihr<br />

eigentliches Ziel, dem Menschen zu helfen, nicht aus den Augen verlieren<br />

und ihr rechtes Maß beibehalten.<br />

Die Wichtigkeit, die das Gehirn bei dem für uns „typischen“ Verhalten und den<br />

Charakter, der uns für andere erkennbar macht und für den wir von anderen<br />

geschätzt werden, einnimmt, zeigt sich auch bei Erkrankung des Gehirns,<br />

beispielsweise an Krebs. Viele Ärzte machen die Erfahrung, dass ein Tumor<br />

im Gehirn sich auch auf die Persönlichkeit des Patienten auswirkt, da gewisse<br />

Hirnareale einfach anders beansprucht werden als früher.<br />

15


Sekundärliteratur:<br />

International Review of Information Ethics:<br />

Jens Clausen – „Ethische Aspekte von Gehirn-Computer-Schnittstellen<br />

in motorischen Neuroprothesen“<br />

Andre Plümer – Doktorarbeit „Vergleich verschiedener<br />

strahlentherapeutischer Regimes bei der Behandlung von 1-2<br />

Hirnmetastasen“<br />

Christian Fichter – Nebenfacharbeit „<strong>Brain</strong>-Computer-<strong>Interfaces</strong>“<br />

G.Müller Putz – „Motorik und Mobilität durch <strong>Brain</strong>-Computer-<br />

<strong>Interfaces</strong>?“<br />

Projektgruppe: Daniela Beierlein und Laura Bleicher 16

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