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Doris Klinger<br />
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong><br />
Demenz im Pflegeheim<br />
<strong>Master</strong>arbeit<br />
zur Erlangung des akademischen Grades<br />
<strong>Master</strong> of Science MSc (Pflegemanagement)<br />
im Rahmen des Universitätslehrganges<br />
Pflegemanagement<br />
Mag. Dr. Berta Schrems<br />
Karl-Franzens-Universität Graz<br />
und UNI for LIFE<br />
Dornbirn, Mai 2012
Ehrenwörtliche<br />
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne<br />
fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den<br />
Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht<br />
habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inlän-<br />
dischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröf-<br />
fentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Versi-<br />
on.<br />
5. Mai 2012
Was bleibt –<br />
Vergessen,<br />
Verwirrung,<br />
Veränderung,<br />
Was bleibt ist ein Mensch<br />
Angst,<br />
Aggression,<br />
Anstrengung,<br />
Was bleibt ist ein Mensch<br />
Unsicherheit,<br />
Hilflosigkeit,<br />
Herausforderung.<br />
Was bleibt ist ein Mensch.<br />
Mit Sehnsucht und Liebe,<br />
Freude und Leid,<br />
Bedürfnissen nach<br />
Zuwendung und nach Geborgenheit.<br />
Was immer bleibt ist ein Mensch. Immer!<br />
(Mathilde Tepper)
Vorwort und Dank<br />
Mein persönlicher Zugang zum Thema ergibt sich aus meiner langjährigen Tätigkeit<br />
als DGKS in der Langzeitpflege. Seit meinem Arbeitseintritt vor über acht Jahren, hat<br />
sich die Bewohnerstruktur in meiner Arbeitsstelle, dem Haus der Generationen in<br />
Götzis, gravierend verändert. Die Zahl der Menschen <strong>mit</strong> Demenz steigt kontinuier-<br />
lich und bildet inzwischen <strong>mit</strong> über 80% die größte Gruppe der Bewohnerschaft. In<br />
unserer Einrichtung leben Menschen <strong>mit</strong> und ohne Demenz in gemischten Gruppen<br />
zusammen. Anhaltendes Rufen und ständiges Wandern der BewohnerInnen <strong>mit</strong><br />
kognitiven Einschränkungen macht ein Miteinander oft schwierig und führt bisweilen<br />
zu einem enormen Stress auf allen Seiten. Im Haus der Generationen gibt es sehr<br />
gute Konzepte für den Umgang <strong>mit</strong> demenziell Erkrankten, zu denen das Integrative<br />
Pflegekonzept von Maria Riedl und die Methode der Validation nach Naomi Feil zäh-<br />
len. Es existiert jedoch kein spezielles Wohnkonzept.<br />
Ziel meiner Arbeit ist es, in der Literatur nach einer geeigneten Wohnalternative zu<br />
suchen, die den Bedürfnissen der Beteiligten gerecht wird und zur Verbesserung der<br />
jetzigen Situation führt.<br />
An dieser Stelle möchte ich mich vor allem bei meiner Betreuerin, Frau Mag. Dr. Ber-<br />
ta Schrems, für die hilfreichen Anregungen bedanken und dafür, dass sie mir <strong>mit</strong> Rat<br />
und Tat zur Seite gestanden ist. Ein herzliches Dankeschön meiner großen Tochter<br />
Sarah, die mir <strong>mit</strong> ihren Computerfachkenntnissen sehr weitergeholfen hat. Gleich-<br />
zeitig möchte ich meinem Mann Fritz, sowie meiner jüngeren Tochter Desiree´ und<br />
besonders meiner Freundin Barbara danken, die mich bei der <strong>Master</strong>arbeit und auch<br />
während des Studiums unterstützt und mir ihre Zeit geschenkt haben.
Zusammenfassung<br />
Die Zahl der Demenzkranken wird in den nächsten Jahren drastisch ansteigen. Dies<br />
geht aus einem <strong>aktuell</strong>en Bericht der Weltgesundheitsorganisation hervor. Als<br />
Hauptgrund wird die steigende Lebenserwartung angegeben. Inzwischen gelten De-<br />
menzerkrankungen als Hauptursache für einen Heimeintritt. Grund dafür sind vor<br />
allem psychiatrische Symptome und Verhaltensauffälligkeiten, die meistens bei<br />
schweren und <strong>mit</strong>telschweren Demenzen auftreten und eine erhebliche Belastung<br />
und Herausforderung sowohl für Betroffene, als auch für MitbewohnerInnen und<br />
Pflegende darstellen. Der hohe Anteil an dementen BewohnerInnen und die immer<br />
geringer werdende Anzahl an nichtdementen BewohnerInnen, führen auch im<br />
Wohnbereich der Verfasserin der vorliegenden Arbeit, zu regelmäßigen Konfliktsitua-<br />
tionen. Vor dem Hintergrund dieser Problematik, wird im Rahmen einer Literaturar-<br />
beit nach geeigneten Versorgungsansätzen gesucht. Im Zentrum der Arbeit steht die<br />
Frage, ob eine herkömmlich traditionelle integrative Wohnform ohne Konzept, wie<br />
dies bei der Verfasserin zutrifft, noch zeitgemäß ist. Zudem soll aufgezeigt werden,<br />
wie sich die jeweiligen Konzepte auf demente und nichtdemente BewohnerInnen und<br />
die Pflegepersonen auswirken. Der Inhalt der einzelnen Kapitel, soll das nötige<br />
Grundwissen zur Krankheit Demenz, herausforderndem Verhalten und den unter-<br />
schiedlichen Versorgungsformen ver<strong>mit</strong>teln. Das Für und Wider der verschiedenen-<br />
Versorgungskonzepte, wird <strong>mit</strong> der kontrollierten Hamburger Evaluationsstudie be-<br />
sondere stationäre Dementenbetreuung belegt. In der Studie zeigt sich, dass jedes<br />
Versorgungskonzept sowohl Vor- als auch Nachteile aufweist und dass besondere<br />
Betreuungsformen bei <strong>mit</strong>telschwerer und schwerer Demenz und herausforderndem<br />
Verhalten – durch ein bedürfnisangepasstes Umfeld – gegenüber einer traditionellen<br />
Versorgung deutlich überlegen sind.
Abstract<br />
According to a recent World Health Organization´s Report, the number of dementia<br />
patients will increase dramatically in the years to come. The main reason for this lies<br />
in a general increase of people's life expectancy. Meanwhile dementia is considered<br />
a principal reason for a move to a nursing home for the elderly. This decision is main-<br />
ly taken due to the behavioural problems and psychiatric symptoms that go along<br />
with severe and moderately severe dementia and which pose a great challenge and<br />
a considerable burden for both, the person affected as well as the care-givers and<br />
room-mates.<br />
The high proportion of demented residents, combined with the shrinking number of<br />
non-demented residents, leads to frequent conflict situations, also in the nursing ho-<br />
me for elderly in Götzis. Against this background suitable care concepts are analysed<br />
in this master thesis. It centers around the question which concepts of living could<br />
stand the challenges mentioned. Furthermore, it illustrates the effects that different<br />
concepts can have on demented and non-demented residents as well as on the nur-<br />
sing staff.<br />
The different chapters contain basic knowledge of dementia as such, of the challen-<br />
ging behaviour associated with it and of the various care concepts. Based on the<br />
evaluation-study „Besondere stationäre Dementenbetreuung“ from Hamburg, the<br />
pros and cons of various concepts are analysed.<br />
The study shows that there are assets and drawbacks with every care concept. Mo-<br />
reover, it proves that when it comes to severe and moderately severe dementia, spe-<br />
cial care approaches outmatch traditional approaches by far, due to an individually<br />
adapted environment. Based on the results of this research and on an As Is/To Be-<br />
Analysis conducted in Chapter five for the home area „Zwurms1“, a partly integrated<br />
care concept can be introduced in Götzis by the aid of an accompanying project plan.
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis ................................................................................................ 1<br />
Abbildungsverzeichnis ........................................................................................ 2<br />
Tabellenverzeichnis ............................................................................................. 1<br />
Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................... 1<br />
1 Einleitung........................................................................................................ 2<br />
1.1 Problemstellung....................................................................................... 2<br />
1.2 Zielsetzung der Arbeit.............................................................................. 2<br />
1.3 Vorgehensweise ...................................................................................... 3<br />
2 Grundlagen der Demenz................................................................................ 6<br />
2.1 Epidemiologie.......................................................................................... 7<br />
2.2 Demenzformen und Verlauf..................................................................... 8<br />
2.2.1 Primäre und sekundäre Demenzen .............................................. 8<br />
2.2.2 Verlauf in drei Stadien................................................................. 11<br />
2.3 Symptome und Diagnostik..................................................................... 14<br />
2.3.1 Symptome der Demenz .............................................................. 14<br />
2.3.2 Diagnostik der Demenz............................................................... 17<br />
2.4 Therapien .............................................................................................. 19<br />
2.4.1 Nicht medikamentöse Therapie .................................................. 20<br />
2.4.2 Medikamentöse Therapie............................................................ 21<br />
3 Herausforderndes Verhalten bei Demenz.................................................. 23<br />
3.1 Begriffserklärung und Klassifizierung .................................................... 23<br />
3.2 Spezifische Verhaltensweisen bei Demenz........................................... 27<br />
3.3 Ursachen für herausforderndes Verhalten............................................. 29<br />
3.4 Erfassung von Verhaltensstörungen...................................................... 31<br />
3.5 Auswirkungen von herausforderndem Verhalten................................... 32<br />
3.5.1 Das Erleben der Betroffenen selbst ............................................ 33<br />
3.5.2 Das Erleben der MitbewohnerInnen............................................ 34<br />
3.5.3 Das Erleben der Pflegepersonen ................................................ 34<br />
4 Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz ................................. 35
4.1 Integrative Wohnformen ........................................................................ 36<br />
4.2 Teilintegrative Wohnformen................................................................... 38<br />
4.3 Segregative Wohnformen...................................................................... 39<br />
4.4 Studie zur Dementenbetreuung in Hamburg ......................................... 45<br />
5 Aufbau eines speziellen Versorgungskonzeptes im Pflegeheim Götzis. 55<br />
5.1 Ausgangslage........................................................................................ 55<br />
5.2 Probleme durch herausfordernde Verhaltensweisen............................. 56<br />
5.3 Ziele und Grundsätze ............................................................................ 71<br />
5.4 Konzeptionelle Grundsatzentscheidung ................................................ 72<br />
5.5 Vom IST-Zustand zum SOLL-Zustand .................................................. 73<br />
6 Fazit und Überlegungen zum weiteren Vorgehen ..................................... 76<br />
7 Literaturverzeichnis..................................................................................... 77<br />
8 Anhang.......................................................................................................... 85<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 1: Entwicklung Prävalenz und Inzidenz in Österreich von 2000 – 2050 8<br />
Abbildung 2: Hauptursachen der primären Demenzen........................................... 9<br />
Abbildung 3: Stresssymptome.............................................................................. 32<br />
Abbildung 4: Mini-Mental Status und Uhrentest ................................................... 87
Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 1: Verlaufsstadien bei Demenz................................................................ 13<br />
Tabelle 2: Psychologische und verhaltensbezogene Symptome IPA 1998.......... 24<br />
Tabelle 3: BPSD (International Psychogeriatric Association [IPA] 1998) ............. 25<br />
Tabelle 4: Kategorisierung von Agitation nach Cohen-Mansfield (1996).............. 26<br />
Tabelle 5: Gründe für die Entstehung von herausforderndem Verhalten ............. 31<br />
Tabelle 6: Übersicht über stationäre Versorgungsangebote für demenziell<br />
Erkrankte.............................................................................................................. 45<br />
Tabelle 7Rahmenbedingungen für die besonere stationäre Dementenbetreuung 49<br />
Tabelle 8: Vorteile teilintegrative und segregative Versorgung............................. 52<br />
Tabelle 9: Einschätzungsbogen zur Erfassung der Demenz................................ 58
Abkürzungsverzeichnis<br />
APA American Psychiatric Association<br />
Aufl. Auflage<br />
BMASK Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz<br />
BMFSFJ Bundesministerium für Familie, Senioren und Jugend<br />
BMSK Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz<br />
BMG Bundesministerium für Gesundheit<br />
BSF Behörde für Soziales und Familie<br />
bzw. beziehungsweise<br />
CT Computertomographie<br />
CMAI Cohen-Mansfield Agitation Inventory<br />
etc. et cetera<br />
d.h. das heißt<br />
DIMDI Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information<br />
DSM Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders<br />
GDS Global Deterioration Scale<br />
HDG Haus der Generationen<br />
Hg. Herausgeber<br />
ICD International Classification of Diseases<br />
IPA International Psychogeriatric Association<br />
MA Mitarbeiter<br />
MRT Magnetresonanztherapie<br />
NDB Need-Driven Dementia-Compromised Behavior<br />
o.D. ohne Datum<br />
o.V. ohne Verfasser<br />
S. Seite<br />
überarb. überarbeitet<br />
v.a. vor allem<br />
vgl. vergleiche<br />
WHO Weltgesundheitsorganisation<br />
z.B. zum Beispiel<br />
zit. n. zitiert nach
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim 1 Einleitung<br />
1 Einleitung<br />
1.1 Problemstellung<br />
Die demografische Entwicklung zeigt, dass die Menschen immer älter werden und<br />
da<strong>mit</strong> auch die Anzahl der Demenzerkrankten rasant ansteigt. Laut Angaben des<br />
Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK) wird<br />
davon ausgegangen, dass österreichweit etwa ein Drittel der Hochaltrigen an De-<br />
menz erkranken. Bis zum Jahr 2050 wird insgesamt <strong>mit</strong> 233.800 demenziell er-<br />
krankten Menschen gerechnet (vgl. BMSK 2008, 8). Auch im Pflegeheim der Ge-<br />
meinde Götzis in Vorarlberg, macht sich der demografische Wandel stark bemerk-<br />
bar, denn der Anteil an demenziell erkrankten BewohnerInnen ist inzwischen auf<br />
80% angewachsen. In Götzis weist die Langzeitpflege einen integrativen Charak-<br />
ter auf, das heißt, Menschen <strong>mit</strong> und ohne Demenz werden gemeinsam in einer<br />
Wohngruppe betreut (vgl. Reggentin 2006, 34f.). Das herausfordernde Verhalten<br />
der demenziell Erkrankten, das sich vor allem darin zeigt, dass sie ruhelos her-<br />
umwandern, in Räume anderer BewohnerInnen eindringen, fremde Gegenstände<br />
verstecken oder ständig rufen, führt oft zu Auseinandersetzungen zwischen den<br />
BewohnerInnen (vgl. Messer 2009, 20). Dies lässt die bisherige Wohnform an ihre<br />
Grenzen stoßen und stellt so die altbewährte Wohngruppenform, in Frage (vgl.<br />
Bischof 2006, 35).<br />
1.2 Zielsetzung der Arbeit<br />
Aus der davor beschriebenen Problemstellung, lassen sich folgende Fragen ablei-<br />
ten:<br />
o Welche Versorgungskonzepte finden sich in der Literatur?<br />
o Wie wirkt sich das jeweilige Versorgungskonzept auf das Verhalten der Be-<br />
wohnerInnen aus?<br />
o Welche Wohnform lässt sich aus relevanten Rechercheergebnissen als ge-<br />
eignete für das Haus der Generationen in Götzis ableiten?<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 2
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim 1 Einleitung<br />
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, <strong>mit</strong> den gewonnenen Informationen ein geeig-<br />
netes Versorgungskonzept zu finden, das sowohl für BewohnerInnen <strong>mit</strong> und ohne<br />
Demenz, als auch für die Pflegenden eine Optimierung der gegenwärtigen Wohn-<br />
situation darstellt.<br />
1.3 Vorgehensweise<br />
Zur Beantwortung der Forschungsfragen dieser Arbeit wird die Methode der Lite-<br />
raturarbeit gewählt. Dieses Vorgehen bietet die Möglichkeit, durch eine systemati-<br />
sche Recherche relevante Ergebnisse aus Fachbüchern, Fachzeitschriften und<br />
elektronischen Datenbanken zusammenzutragen und die daraus gewonnen Er-<br />
kenntnisse darzustellen.<br />
Eine gezielte Suche nach medizinischer Fachliteratur erfolgte über das Suchportal<br />
MEDPILOT. Zudem wurde ein Zugang zu kostenlosen Broschüren über das Bun-<br />
desministerium für Gesundheit unter www.bmg.bund.de genützt. Die Literaturbe-<br />
schaffung erfolgte sowohl über den Buchhandel als auch über Bibliotheken (vor-<br />
wiegend über die Vorarlberger Landesbibliothek in Bregenz) <strong>mit</strong> einer gezielten<br />
Handsuche sowie einer Suche im Online-Katalog. Ergänzt wurde die Literaturre-<br />
cherche durch eine Internetsuche bei Google Scholar und Google Books. Bei den<br />
er<strong>mit</strong>telten Treffern wurde durch ein Schneeball-Verfahren nach weiterer relevan-<br />
ter Literatur gesucht. Bei der systematischen Literaturrecherche zum Thema<br />
Wohnalternativen im Pflegeheim fand keine zeitliche Eingrenzung statt. Schließ-<br />
lich wurden <strong>mit</strong> Hilfe des Übersetzungsprogrammes LEO.org<br />
(http://www.dict.cc/?s=Leo) für die Arbeit relevante Begriffe ins Englische<br />
übersetzt und anhand des Nachschlagwerkes Oxford English Dictionary<br />
überprüft.<br />
Die elektronische Datenbankrecherche wurde im November 2011 vom Deutschen<br />
Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) in folgenden ei-<br />
genen Datenbanken von DIMDI vorgenommen:<br />
o DAHTA Datenbank<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 3
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim 1 Einleitung<br />
o Deutsches Ärzteblatt<br />
o Springer Verlagsdatenbank<br />
o Thieme Verlagsdatenbank<br />
Eine weitere Literaturanalyse erfolgte durch die Fachdatenbanken<br />
o MEDLINE (größte medizinische Datenbank),<br />
o PubMed und<br />
o Gerolit (Gerontologie und Altenarbeit).<br />
Folgende Schlüsselwörter wurden gewählt: Demenz or dementia, integrativ and<br />
segregativ, herausforderndes Verhalten or Verhaltensauffälligkeiten and Demenz,<br />
Wohnalternativen and Demenz, nursing home and dementia. Die Schlüsselwörter<br />
wurden einzeln und in Verknüpfungen verwendet. Im Anschluss daran wurde ein<br />
Titel- und Abstractscreening durchgeführt. Die ausgewählten Arbeiten wurden<br />
teilweise übersetzt, zusammengefasst und in Abbildungen oder Tabellen darge-<br />
stellt.<br />
Die Arbeit ist in fünf Kapitel unterteilt. Ausgangslage im ersten Kapitel sind die<br />
demografischen und sozialen Entwicklungen, die eine bedürfnisangepasste Ver-<br />
sorgung in den Pflegeheimen dringend erforderlich machen.<br />
Im zweiten Kapitel werden die Grundlagen der Demenzerkrankung beschrieben,<br />
die eine Voraussetzung für die weitere Arbeit darstellen.<br />
Das dritte Kapitel beinhaltet das Thema herausforderndes Verhalten von Men-<br />
schen <strong>mit</strong> Demenz und die zugrunde liegende Problematik.<br />
Im daran anschließenden vierten Kapitel werden die Möglichkeiten der verschie-<br />
denen Versorgungskonzepte für demenerkrankte BewohnerInnen im Pflegeheim<br />
aufgezeigt.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 4
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim 1 Einleitung<br />
Im fünften Kapitel erfolgt die Vorstellung der eigenen Einrichtung, in der anhand<br />
einer IST-SOLL Analyse eine geeignete Wohnform für den Wohnbereich Zwurms1<br />
abgeleitet werden soll.<br />
Das sechste Kapitel beinhaltet eine Zusammenfassung der wesentlichen Aussa-<br />
gen und Ergebnisse.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 5
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
2 Grundlagen der Demenz<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Der Begriff Demenz leitet sich vom lateinischen Dementia ab und wird wörtlich <strong>mit</strong><br />
„ohne Geist“ übersetzt (vgl. Messer 2009, 14). Unter Demenz wird ein Sympto-<br />
menkomplex verstanden, der vor allem <strong>mit</strong> Störungen der Gedächtnisleistung ein-<br />
hergeht und einschneidende Veränderungen der Persönlichkeit verursacht (vgl.<br />
Gatterer & Croy 2005, 10). Das breit gefächerte Krankheitsbild zeigt unterschiedli-<br />
che Verlaufsstadien und kann bis zu 100 verschiedene Ursachen haben (vgl.<br />
Gerstner 2008, 12). Gegenwärtig stellt die Alzheimer Demenz die größte Gruppe<br />
der Demenzformen dar (vgl. Halek & Bartholomeyczik 2006, 21).<br />
Die gebräuchlichste Definition, nach der sich Demenzdiagnosen richten, ist die<br />
von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellte Internationale Klassifikation<br />
der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, die aus dem Englischen:<br />
International Classification of Deseases (ICD) abgeleitet ist (vgl. Reggentin &<br />
Dettbarn-Reggentin 2006, 18). Auf die Definition von Demenz in der <strong>aktuell</strong>en<br />
Version ICD-10, soll nun genauer eingegangen werden (vgl. Gerrig & Zimbardo,<br />
2008, 553).<br />
Laut ICD-10 ist Demenz „ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fort-<br />
schreitenden Krankheit des Gehirns <strong>mit</strong> Störung vieler höherer kortikaler Funktio-<br />
nen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen,<br />
Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen. Das Bewusstsein ist nicht getrübt.<br />
Die kognitiven Beeinträchtigungen werden gewöhnlich von Veränderungen der<br />
emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation begleitet, gele-<br />
gentlich treten diese auch eher auf“. (Messer 2009, 15)<br />
Für eine endgültige Diagnosestellung gemäß der ICD-10, müssen demenzielle<br />
Symptome seit mindestens sechs Monaten vorhanden sein (vgl. Reggentin &<br />
Dettbarn-Reggentin 2006, 21). Der Demenzverlauf wird in drei Stadien – leichte,<br />
<strong>mit</strong>telschwere und schwere Demenz – eingeteilt (vgl. Reggentin & Dettbarn-<br />
Reggentin 2006, 21).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 6
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Die folgenden Punkte geben einen kurzen Überblick über die charakteristischen<br />
Merkmale einer Demenz nach der ICD-10 Definition:<br />
Demenzdefinition nach ICD-10<br />
o Gedächtnisstörung<br />
o Abbau des Denkvermögens<br />
o Veränderungen der Persönlichkeit<br />
o Beeinträchtigung der Selbstständig-<br />
keit im Alltag<br />
o ohne Bewusstseinsstörung<br />
o Dauer der Symptomatik > 6 Monate<br />
2.1 Epidemiologie<br />
Die Epidemiologie beschäftigt sich <strong>mit</strong> der Häufigkeit und den Ursachen von<br />
Krankheiten in Bevölkerungsgruppen (vgl. Koletzko 2007, 608). Demenz ist die am<br />
häufigsten vorkommende psychische Erkrankung im Alter, wobei die Alzheimer<br />
Demenz <strong>mit</strong> einem Anteil von 60% bis 80% die größte Gruppe darstellt, gefolgt<br />
von der gefäßbedingten (vaskulären) Demenz <strong>mit</strong> 10% bis 25% (vgl. BMSK 2008,<br />
8). Hauptursache für die steigende Demenz, ist die immer älter werdende Bevöl-<br />
kerung (vgl. Schmidtke 2006, 5). „Wir können oder müssen sogar <strong>mit</strong> hoher Wahr-<br />
scheinlichkeit da<strong>mit</strong> rechnen, dement zu werden, wenn wir nur alt genug werden“,<br />
lautet dazu die aussagekräftige Botschaft von Prof. Dr. Burkhard (2011). Gleich-<br />
zeitig <strong>mit</strong> der Erhöhung des Lebensalters, ist ein steiler Anstieg von Prävalenz<br />
(Erkrankungsrate) und Inzidenz (Neuerkrankungsrate) festzustellen (vgl. BMSK<br />
2008, 8). Gab es im Jahr 2000 in Österreich noch rund 90.500 demenziell Er-<br />
krankte, wird im Jahr 2050 <strong>mit</strong> etwa 233.800 Betroffenen gerechnet (vgl. BMSK<br />
2008, 8). Es wird prognostiziert, dass der jährliche Zuwachs an Neuerkrankungen<br />
von 23.600 auf 59.500 ansteigen wird, was einer Verdoppelung der an Demenz<br />
erkrankten Menschen gleichkommen würde (vgl. BMSK 2008, 8). Die nachfolgen-<br />
de Abbildung 1 veranschaulicht den massiven Anstieg von Prävalenz und Inzidenz<br />
<strong>mit</strong> zunehmendem Alter:<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 7
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Abbildung 1: Entwicklung Prävalenz und Inzidenz in Österreich von 2000 – 2050<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
2.2 Demenzformen und Verlauf<br />
Das Demenzsyndrom umfasst eine Reihe von Krankheitsbildern <strong>mit</strong> verschiede-<br />
nen Ursachen und unterschiedlichen Verläufen. Überblicksmäßig lassen sich De-<br />
menzen in primäre und sekundäre Demenzen einteilen. Während primäre Demen-<br />
zen 80% bis 90% aller Demenzarten ausmachen, liegt das Auftreten von sekundä-<br />
ren Demenzen bei 10% bis 20% (vgl. Lind 2007, 37).<br />
2.2.1 Primäre und sekundäre Demenzen<br />
Primäre Demenzen<br />
Primäre Demenzen entstehen durch eine direkte Schädigung des Gehirns und<br />
lassen sich in degenerative (fortschreitende) und nichtdegenerative (nichtfort-<br />
schreitende) Demenzerkrankungen gliedern (vgl. Kastner & Löbach 2010, 29).<br />
Ausschlaggebend dafür ist, ob der Gehirnabbau weiter voranschreitet, oder ob<br />
eine einmalige Schädigung des Gehirns vorliegt (vgl. Kastner & Löbach 2010,<br />
29f.).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 8
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Degenerative Demenzen sind irreversibel, das heißt nicht heilbar, sie lassen sich<br />
bestenfalls hinauszögern. Als Ursachen gelten (siehe Abbildung 2):<br />
o Alzheimer Demenz<br />
o Vaskuläre Demenz (Multi-Infarkt-Demenz)<br />
o Frontotemporale Demenz<br />
o Mischformen von Alzheimer Demenz und vaskulärer Demenz<br />
o Lewy-Körperchen Demenz<br />
In Abbildung 2 werden die häufigsten Ätiologien demenzieller Erkrankungen dar-<br />
gestellt:<br />
15%<br />
10%<br />
15%<br />
5%<br />
55% - 70%<br />
Abbildung 2: Hauptursachen der primären Demenzen<br />
Alzheimer Demenz<br />
Vaskuläre Demenzen<br />
Frontotemporale Demenz<br />
Mischformen<br />
Lewy-Körperchen Demenz<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an LMU Klinikum Campus Innenstadt o.D.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 9
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Nichtdegenerative Demenzen sind teilweise heilbar, zumindest ist eine Verbesse-<br />
rung des Schweregrades möglich. Zu ihnen zählen:<br />
o Hirntumor<br />
o Schädel-Hirn-Trauma<br />
o Hydrozephalus<br />
o Gefäßentzündungen<br />
Sekundäre Demenzen<br />
Sekundäre Demenzen sind Folgeerscheinungen von Erkrankungen die außerhalb<br />
des Gehirns liegen und zum Teil behandelbar sind (vgl. Reggentin & Dettbarn-<br />
Reggentin 2006, 19). Durch eine erfolgreiche Therapie, kann es sogar zur Rück-<br />
bildung der Demenzsymptomatik kommen (vgl. Füsgen 2001, 38). Mögliche Ursa-<br />
chen für sekundäre Demenzen sind:<br />
o Medikamentös bedingte Demenzen<br />
o Alkoholdemenzen<br />
o Stoffwechselbedingte Demenzformen<br />
Differentialdiagnosen der Demenz<br />
Zur Abklärung einer primären Demenz sind neben sekundären Demenzen folgen-<br />
de Differentialdiagnosen auszuschließen, da diese behandelbar sind, bezie-<br />
hungsweise eine deutlich bessere Prognose aufweisen (vgl. Kastner & Löbach<br />
2010, 29f.):<br />
o Leichte kognitive Störung<br />
o Demenzsyndrom bei Depressionen (Pseudodemenz)<br />
o Akuter Verwirrtheitszustand (Delir)<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 10
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
2.2.2 Verlauf in drei Stadien<br />
Er wurde alt und vergaß was ist<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Er wurde alt und wusste nur noch was früher gewesen<br />
Er wurde alt und vergaß was früher gewesen<br />
Er wurde alt und vergaß vorgestern sich selbst<br />
Er wurde jung, jetzt da er auch das vergessen [sic!] vergaß.<br />
(Kurt Marit)<br />
Das vorangegangene Gedicht gibt einen ersten einprägsamen Einblick in die<br />
nachfolgenden Verlaufsstadien einer Demenz, bei der es in der dritten Phase zum<br />
Gedächtniszerfall kommt.<br />
Der Demenzverlauf wird in drei Stadien eingeteilt. Die Symptome treten bei jedem<br />
Menschen individuell auf (vgl. Kastner & Löbach 2010, 24). Oftmals gelten eine<br />
schwere Depression und beziehungsweise eine leichte kognitive Störung als Vor-<br />
läufer für eine demenzielle Entwicklung (vgl. Grond 2009, 48). Da Menschen <strong>mit</strong><br />
Demenz ihre Wünsche und Beschwerden nur schwer ausdrücken können, ist es<br />
wichtig zu beurteilen, in welchem Stadium sie sich gerade befinden (vgl. Lind<br />
2007, 35). Die verschiedenen Stadien der Demenz und ihre Merkmale orientieren<br />
sich an einer Einteilung nach Kurz (1995, 36f.):<br />
o Leichte Demenz (Vergessensstadium)<br />
o Gedächtnis: Vergesslichkeit steht im Vordergrund<br />
o Lebensführung: Lebensführung noch weitgehend selbstständig möglich<br />
o Sprache: Wortfindungsstörungen treten auf<br />
o Verhalten: Betroffene erleben sich als verändert, reagieren depressiv und<br />
<strong>mit</strong> Ausreden<br />
o Körperliche Befunde: körperlicher Befund ist unauffällig<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 11
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
o Mittelschwere Demenz (Verwirrtheitsstadium)<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
o Gedächtnis: Hochgradige Vergesslichkeit macht sich bemerkbar<br />
o Lebensführung: Selbstständige Lebensführung ist bereits stark einge-<br />
schränkt, die betroffenen Menschen sind im täglichen Leben deutlich auf<br />
Hilfe angewiesen<br />
o Sprache: Zunehmender Sprachzerfall, es kommen immer wieder dieselben<br />
Geschichten und Fragen<br />
o Verhalten: Vermehrt Angstzustände, Wahnphänomene, Unruhe und Ag-<br />
gressivität treten in den Vordergrund<br />
o Körperliche Befunde: Harninkontinenz und Verstopfung treten auf<br />
o Schwere Demenz (Hilflosigkeitsstadium)<br />
o Gedächtnis: Nun ist auch das Langzeitgedächtnis betroffen, die bekannte<br />
Umgebung und vertraute Personen werden nicht mehr erkannt<br />
o Lebensführung: Vollkommene Hilflosigkeit, Betroffene sind gänzlich auf Un-<br />
terstützung angewiesen<br />
o Sprache: Die Sprachfähigkeit geht immer mehr verloren<br />
o Verhalten: Ständige Unruhe wechselt <strong>mit</strong> Teilnahmslosigkeit (Apathie) ab,<br />
es kommt zu Schreien und Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus<br />
o Körperliche Befunde: Parkinsonähnliche Motorik tritt auf, ebenso Harn- und<br />
Stuhlinkontinenz; es kommt zu Schluckstörungen; letztendlich erfolgt durch<br />
das Schwinden der körperlichen Kräfte Bettlägerigkeit, verbunden <strong>mit</strong> einer<br />
erhöhten Infektionsgefahr (beispielsweise Lungenentzündung) (vgl. BMSK<br />
2008, 6).<br />
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Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Die folgende Tabelle 1 gibt einen Überblick über die drei Verlaufsstadien einer<br />
Demenz:<br />
Verlauf Leichte Demenz<br />
Pflege-Ort zu Hause<br />
Gedächtnis vergesslich<br />
Lebensführung<br />
weitgehend selbst-<br />
ständig<br />
Mittelschwere<br />
Demenz<br />
Sozialstation, Ta-<br />
gespflege<br />
hochgradige Ver-<br />
gesslichkeit<br />
eingeschränkt<br />
Schwere Demenz<br />
Heim (zu 70%)<br />
auch Langzeitge-<br />
dächtnis betroffen<br />
hilflos, total abhän-<br />
Entspricht dem Erwachsenenalter Schulkindalter Säuglingsalter<br />
Sprache Wortfindungsstörungen<br />
Verhalten reizbar, depressiv<br />
Körperliche<br />
Befunde<br />
unauffällig<br />
Sprachzerfall, er-<br />
zählt/fragtdassel- Karl-Franzens-Universität Graz 13<br />
be<br />
Angst, Wahn, Un-<br />
ruhe, Aggressivität<br />
Harninkontinenz,<br />
Verstopfung<br />
gig<br />
Sprachverlust<br />
Unruhe, Apathie,<br />
Schreien<br />
Harn- und Stuhlin-<br />
kontinenz,<br />
Hilfen Begleitung Versorgung Pflege<br />
Zugang rational<br />
Tabelle 1: Verlaufsstadien bei Demenz<br />
rational und emo-<br />
tional<br />
Quelle: in Anlehnung an Universität Witten/Herdecke 2007, [online].<br />
Schluckstörungen<br />
emotional
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
2.3 Symptome und Diagnostik<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Für die Diagnosestellung einer Demenzerkrankung ist eine genaue Beschreibung<br />
der Symptome erforderlich, auf die im Folgenden eingegangen werden soll (vgl.<br />
Kastner & Löbach 2010, 10).<br />
2.3.1 Symptome der Demenz<br />
Demenz ist ein Symptomenkomplex, bei dem es zu Störungen der kognitiven Leis-<br />
tungsfähigkeit, der Psyche, sowie des Verhaltens und der körperlichen Funktionen<br />
kommen kann.<br />
Nach Kastner & Löbach (2010, 10) werden Demenzsymptome folgenerdermaßen<br />
eingeteilt:<br />
o Kognitive Symptome<br />
o Psychische Symptome und Verhaltensveränderungen (Behavioural and<br />
Psychological Symptoms of Dementia )<br />
o Psychische Symptome<br />
o Verhaltensveränderungen (herausforderndes Verhalten)<br />
o Körperliche Symptome<br />
Kognitive Symptome<br />
Hauptmerkmal aller Demenzerkrankungen sind Gedächtnisstörungen (vgl. Kastner<br />
& Löbach 2010, 10). Anfangs stehen Kurzzeit- oder Merkstörungen im Vorder-<br />
grund, später folgen Langzeit- oder Erinnerungsstörungen (vgl. Grond 2009, 20).<br />
Zu den kognitiven Symptomen gehören laut Grond (2009, 20) folgende sechs<br />
Denk-Ausfälle:<br />
o Amnesie (Gedächtnisstörungen)<br />
o Aphasie (Wortfindungsstörungen)<br />
o Apraxie (Handlungsunfähigkeit)<br />
o Agnosie (Störung des Erkennens)<br />
o Abstraktions- (Rechnen-) und<br />
o Assessmentstörung (Urteilsstörung)<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 14
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Charakteristisch für alle Demenzen ist, dass sich gleichzeitig <strong>mit</strong> fortschreitender<br />
Erkrankung auch die kognitiven Symptome verschlechtern (vgl. Kastner & Löbach<br />
2010, 10).<br />
Psychische Störungen und Verhaltensveränderungen (Behavioural and Psy-<br />
chological Symptoms of Dementia)<br />
Innerhalb des Krankheitsverlaufs treten neben der kognitiven Symptomatik, nicht<br />
kognitive Symptome auf, zu denen psychische Störungen und Verhaltensverände-<br />
rungen zählen (vgl. Kastner & Löbach 2010, 13). Der nicht kognitive Symptomen-<br />
komplex ist für die Therapie und Betreuung enorm wichtig und wird als Behaviou-<br />
ral and Psychological Symptoms of Dementia (BPSD) bezeichnet (zu Deutsch:<br />
verhaltensbezogene und psychologische Symptome der Demenz) (vgl. Kastner &<br />
Löbach 2010, 13). In der Pflegewissenschaft hat sich schlussendlich aus einer<br />
Reihe von Begriffen die Bezeichnung „Herausforderndes Verhalten“ durchgesetzt<br />
(vgl. Kastner & Löbach 2010, 13). BPSD finden sich bei bis zu 92% der an De-<br />
menz erkrankten Menschen, wobei die Angaben über die Verteilung sehr unter-<br />
schiedlich sind (vgl. Grond 2005, 24). Psychische Störungen und Verhaltensver-<br />
änderungen werden von den Betreuenden als weitaus größere Belastung emp-<br />
funden, als das Auftreten kognitiver Symptome (vgl. Rodda, Boyce, Walker 2008,<br />
28).<br />
Psychische Symptome<br />
Für Kastner & Löbach (2010, 14f.) treten folgende psychischen Demenzsymptome<br />
gehäuft in Erscheinung:<br />
o Angst<br />
o Depressivität<br />
o Verkennungen und Halluzinationen<br />
o Frustrationen<br />
Im Gegensatz zu kognitiven Symptomen geht ein Fortschreiten der Erkrankung<br />
nicht immer <strong>mit</strong> einer Verschlechterung der psychischen Symptome einher, da<br />
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Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
sich diese zwischendurch wieder zurückbilden können (vgl. Kastner & Löbach<br />
2010, 13).<br />
Verhaltensveränderungen (herausforderndes Verhalten)<br />
Verhaltensveränderungen demenziell erkrankter Menschen, stellen eine hohe Be-<br />
lastung für die Betroffenen und ihr soziales Umfeld dar (vgl. Halek & Bartholo-<br />
meyczik 2006, 9). Eine wichtige Rolle spielt die Reaktion der Betreuenden, die<br />
sich positiv auswirken kann, jedoch auch eine negative Verstärkung der Verhal-<br />
tensweisen hervorrufen kann. Für Grond (2005, 24f.) stehen folgende Verhaltens-<br />
veränderungen im Vordergrund:<br />
o Unruhe<br />
o Weglaufen<br />
o Schreien<br />
o Aggressionen<br />
o Schlafstörungen<br />
o Antriebbsstörungen<br />
Es ist zu beobachten, dass die Häufigkeit der Verhaltensauffälligkeiten <strong>mit</strong> dem<br />
Schweregrad der Demenz steigt (vgl. Kastner & Löbach 2010, 13).<br />
Körperliche Symptome<br />
Körperliche Symptome zeigen sich je nach Art der Demenz, im Stadium der leich-<br />
ten, beziehungsweise schweren Demenz. Nach Kastner & Löbach (2010, 19f.)<br />
kommt es dabei zu<br />
o Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus – Schlafstörungen,<br />
o Mobilitätseinschränkungen,<br />
o Schmerzen und Sensibilitätsstörungen,<br />
o Harninkontinenz und<br />
o Schluck- und Essstörungen.<br />
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Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Das Auftreten körperlicher Symptome ist neben Aggressivität und starker Unruhe<br />
die Hauptursache für eine Aufnahme in ein Pflegeheim (vgl. Kastner & Löbach<br />
2010, 19).<br />
2.3.2 Diagnostik der Demenz<br />
Eine frühe Diagnosestellung verbunden <strong>mit</strong> einem raschen Therapiebeginn, kann<br />
die Prognose einer Demenz deutlich verbessern und hilft sowohl Betroffenen als<br />
auch Betreuenden, sich rechtzeitig auf kommende Veränderungen einzustellen<br />
(vgl. BMSK 2008, 7). Eine sorgfältige Diagnostik ermöglicht zudem den Aus-<br />
schluss von Symptomen des normalen Alterns beziehungsweise von behandelba-<br />
ren Krankheiten (vgl. BMSK 2008, 6f.). Die Erstellung einer Demenzdiagnose ist<br />
eine multiprofessionelle Aufgabe und beinhaltet laut Stoppe (2006, 57) folgende<br />
Verfahren:<br />
o Eigen- und Fremdanamnese<br />
o Körperliche und psychopathologische Untersuchungen<br />
o Screeningverfahren<br />
o Neuropsychologische Untersuchungen<br />
o Laboruntersuchungen<br />
o Bildgebende Verfahren<br />
Eigen- und Fremdanamnese<br />
Eine Anamnese bildet die Grundlage jeder Demenzdiagnostik, bei der Angaben<br />
von Angehörigen eine wichtige Rolle spielen, denn es oft vor, dass Betroffene ihre<br />
kognitiven Defizite verschweigen beziehungsweise verharmlosen, oder sie selbst<br />
nicht wahrnehmen (vgl. Schmidtke 2006, 32).<br />
Körperliche und psychopathologische Untersuchungen<br />
Körperliche Symptome wie Gangstörungen, Schluck- und Essstörungen, Inkonti-<br />
nenz oder ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus, müssen bereits in der Anamnese<br />
erhoben werden. Sowohl das Vorhandensein als auch das Fehlen können für die<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 17
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Diagnose sowie für die Feststellung des <strong>aktuell</strong>en Schweregrades von Bedeutung<br />
sein (vgl. Schmidtke 2006, 33f.).<br />
Psychopathologische Untersuchungen geben Aufschluss über psychiatrische Stö-<br />
rungen wie Wahn, Depressivität, Gedächtnisstörungen oder Störungen der Be-<br />
wusstseinslage (vgl. Stoppe 2006, 60).<br />
Screeningverfahren und Neuropsychologische Untersuchungen (Erweiterte<br />
Testpsychologie)<br />
Screening Tests sind Kurztests zur Erfassung kognitiver Leistungen (vgl. Stoppe<br />
2006, 61). Sie stellen ohne viel Aufwand eine große Hilfe sowohl für die Pflegen-<br />
den als auch die Ärzteschaft dar und sind gute Parameter für weitere, möglicher-<br />
weise aufwändige Untersuchungen (vgl. Stoppe 2006, 61).<br />
Der international am häufigsten eingesetzte Screening Test, ist der Mini-Mental-<br />
Status-Test (MMST) nach Folstein (vgl. Kastner & Löbach 2010, 47). Er spielt eine<br />
wichtige Rolle in der Verlaufskontrolle der Demenz und sollte halbjährlich wieder-<br />
holt werden (vgl. Kastner & Löbach 2010, 47). Ein weiterer einfacher und schnell<br />
durchführbarer Test zur Demenzerkennung, ist der Uhrentest (vgl. Kastner & Lö-<br />
bach (2010, 48). Die offiziellen Fragebogen für MMST und Uhrentest von der Spe-<br />
zialambulanz für Gedächtnisstörungen am AKH Wien sind im Anhang (siehe<br />
Anhang) ersichtlich.<br />
Neuropsychologische Untersuchungen erfassen <strong>mit</strong> Hilfe von standardisierten<br />
psychometrischen Tests gezielt die Leistungsfähigkeit kognitiver Funktionen wie<br />
beispielsweise Konzentration, Gedächtnis und Sprache (vgl. Theml & Jahn o.D.,<br />
zit. n. Förstl 2009, 265). Neuropsychologische Tests unterscheiden sich von den<br />
kürzeren Screeningtests durch eine höhere Testgüte, was ein Garant für reliablere<br />
(genauere) und validere (gültigere) Ergebnisse ist (vgl. Theml & Jahn o.D., zit. n.<br />
Förstl 2009, 265).<br />
Laboruntersuchungen<br />
Mit Hilfe von Laboruntersuchungen können primäre Demenzen ausgeschlossen<br />
und reversible sekundäre Demenzen aufgedeckt werden (vgl. Wallesch & Förstl<br />
2005, 139). Zur differentialdiagnostischen Routineuntersuchung gehören die<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 18
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Schilddrüsenparameter, <strong>mit</strong> deren Hilfe eine Hypothyreose festgestellt werden<br />
kann, die zu einer der wichtigsten reversiblen Demenzen zählt (vgl. Stoppe 2006,<br />
94f.).<br />
Liquoruntersuchungen sind nicht obligatorisch, sie werden jedoch beispielsweise<br />
bei Verdacht auf Entzündungen (HIV, Borreliose), bei metastasierenden Tumoren,<br />
oder bei einem Demenzbeginn vor dem 55. Lebensjahr durchgeführt (vgl. Füsgen<br />
2001, 75). Durch die Untersuchung des Liquors, lassen sich überdies spezielle<br />
Eiweiße nachweisen, die den Verdacht auf eine Alzheimer Demenz stützen kön-<br />
nen (vgl. Kastner & Löbach 2010, 63).<br />
Bildgebende Verfahren<br />
Zu den beiden wichtigsten bildgebenden Verfahren der Demenzdiagnostik gehö-<br />
ren die Computertomographie (CT) und die Magnetresonanztherapie (MRT) (vgl.<br />
Kastner & Löbach 2010, 62). Beide Methoden ermöglichen den Nachweis bezie-<br />
hungsweise Ausschluss von sekundären Demenzen (Raumforderungen wie Tu-<br />
more oder Blutungen, Durchblutungsstörungen oder Entzündungen), sowie die<br />
Feststellung typischer Atrophiekonstellationen, die Hinweise auf wichtige sympto-<br />
matische Demenzursachen liefern können (vgl. Schmidtke 2006, 64f.). Mit Hilfe<br />
der MRT ist eine feinere Darstellung der Hirnsubstanz möglich als <strong>mit</strong> einer CT, da<br />
sie eine höhere Sensitivität aufweist (vgl. Kastner & Löbach 2010, 62).<br />
2.4 Therapien<br />
Da primäre Demenzerkrankungen gegenwärtig nicht heilbar sind, steht eine Stabi-<br />
lisierung oder Verlangsamung der Progredienz sowie eine Verminderung der Be-<br />
gleitsymptome im Vordergrund (vgl. Kastner & Löbach (2010, 65). Eine exakte<br />
Demenzabklärung, verbunden <strong>mit</strong> einem Gesamtbehandlungskonzept, das sowohl<br />
medikamentöse als auch nicht medikamentöse Therapien enthält, kann laut Förstl<br />
(2009, 54) einen Demenzverlauf über drei Jahre hinauszögern. Nachfolgend wer-<br />
den die gebräuchlichsten nicht medikamentösen und medikamentösen Therapie-<br />
formen vorgestellt.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 19
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
2.4.1 Nicht medikamentöse Therapie<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Demenzerkrankte Menschen und ebenso ihr Umfeld, sind dermaßen unterschied-<br />
lich, dass es nicht möglich ist, Empfehlungen für eine bestimmte Therapie ab-<br />
zugeben (vgl. Kastner & Löbach 2010, 65). Dies erklärt auch, warum sich jede<br />
Behandlung an der Situation des Einzelnen orientieren muss (vgl. Kastner &<br />
Löbach 2010, 65). Die wichtigsten nicht medikamentösen Therapieansätze die laut<br />
Grond (1998, 43f.) zur Anwendung kommen, sind:<br />
o Psychotherapie<br />
o Soziotherapie<br />
o Milieutherapie<br />
o Somato- oder Körpertherapie<br />
Psychotherapie<br />
Psychotherapie für demenzerkrankte Menschen wird laut Kastner & Löbach (2010,<br />
67) den individuellen Bedürfnissen angepasst und enthält folgende Therapiebau-<br />
steine (vgl. Grond 2009, 71):<br />
Basisverhalten erfordert Wertschätzung und Geduld der Betreuenden, sowie einen<br />
validierenden Umgang (Verzicht auf Kritik und Richtigstellung, Eingehen auf die<br />
Verhaltensweise des demenzerkrankten Menschen) (vgl. Wallesch & Förstl 2005,<br />
169).<br />
Hirnleistungstraining (use it or lose it) ist oft <strong>mit</strong> Bewegungselementen verbunden<br />
und unterstützt sowohl die Demenzprävention als auch eine Verlangsamung des<br />
kognitiven Abbaus im Anfangsstadium (vgl. Grond 2009, 75f.).<br />
Realitätsorientierungstraining (ROT) ermöglicht, dass sich Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
im frühen Stadium dank Hinweisschildern und orientierendem Verhalten der Pfle-<br />
genden besser zurechtfinden.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 20
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Kreative Therapien wie Musiktherapie und Kunsttherapie rufen Erinnerungen<br />
wach, sprechen Sinne und Emotionen an und helfen Gefühle und Erleben auszu-<br />
drücken.<br />
Soziotherapie<br />
Soziotherapie ist ein wichtiger Baustein, um sich an die neue soziale Situation an-<br />
passen zu können (vgl. Kastner & Löbach 2010, 70). Für dieses Behandlungspro-<br />
gramm braucht es sowohl konstante Bezugspersonen, Information an Betroffene,<br />
Angehörige und Pflegende, als auch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit <strong>mit</strong><br />
anderen Berufsgruppen (vgl. Grond 2009, 78f.). Über soziale Aktivitäten sollen<br />
Kontakte zur Außenwelt und die Alltagsbewältigung gefördert, sowie herausfor-<br />
dernde Verhaltensweisen reduziert werden (vgl. Höwler, 2004, 326).<br />
Milieutherapie<br />
Mit Hilfe der Milieutherapie werden für demenziell erkrankte Menschen – unter<br />
Einbeziehung der Biografie – geeignete Rahmenbedingungen geschaffen (vgl.<br />
Krämer & Förstl 2008, 175). Dazu gehören ebenso konstante, einfühlsame und<br />
biografisch arbeitende Bezugspersonen, wie ein strukturierter Tagesablauf und<br />
eine gut überschaubare, orientierungserleichternde Umgebung (Wegmarkierung,<br />
Uhr, Ansprechen <strong>mit</strong> Namen, Familienfotos) <strong>mit</strong> Rückzugsmöglichkeiten (vgl.<br />
Grond 1998, 47).<br />
Somato- oder Körpertherapie<br />
Zu den körpertherapeutischen Therapien zählen Beschäftigungstherapien und<br />
Bewegungstherapien, die den Erhalt der Selbstständigkeit sowie die geistige und<br />
körperliche Aktivierung unterstützen (vgl. Grond 1998, 48).<br />
2.4.2 Medikamentöse Therapie<br />
Bevor Medikamente für eine Therapie eingesetzt werden, muss genau geprüft<br />
werden, ob keine behandelbaren Ursachen vorliegen (vgl. Schmidtke 2006, 233).<br />
Erfolgt eine Medikation, ist diese regelmäßig auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen,<br />
beziehungsweise, muss in Abständen festgestellt werden, ob ein Medikamenten-<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 21
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
bedarf noch nötig ist (vgl. Kastner & Löbach 2010, 78). Medikamentöse Therapien<br />
beinhalten folgende Gruppen:<br />
o Antidementiva<br />
o Psychopharmaka<br />
o Behandelbare Risikofaktoren (vgl. Kastner & Löbach 2010, 78f.)<br />
Antidementiva<br />
Antidementiva sind Psychopharmaka, die zielgerichtet zur Therapie von Demenz-<br />
erkrankungen eingesetzt werden, um das Fortschreiten der demenziellen Sym-<br />
ptome hinauszuzögern (vgl. Kastner & Löbach 2010, 75). Je frühzeitiger die<br />
Verabreichung von Antidementiva erfolgt, umso positiver sind die Auswirkungen<br />
auf Gedächtnisfunktion und Aufmerksamkeit (vgl. Grond 2000, 49). Antidementiva<br />
werden vor allem gegen Demenz vom Typ Alzheimer und bei vaskulären<br />
Demenzen eingesetzt (vgl. Grond 2000, 49).<br />
Psychopharmaka<br />
Psychopharmaka greifen gezielt in den Gehirnstoffwechsel ein und zeigen gene-<br />
rell eine symptomatische Wirkung (vgl. Kastner & Löbach, 75). Die in Klammern<br />
gestellten Psychopharmaka werden gegen folgende psychischen Symptome und<br />
Verhaltensveränderungen (herausforderndes Verhalten) verabreicht (vgl. Kastner<br />
& Löbach, 78):<br />
o schwere Aggressivität, Halluzinationen (Antipsychotika, Neuroleptika)<br />
o Depressivität (Antidepressiva)<br />
o Angst (Antidepressiva, Anxiolytika)<br />
o Unruhe (Antipsychotika, Antidepressiva, Antieptileptikum)<br />
o Schlafstörungen (Hypnotika, Antidepressiva, Neuroleptika)<br />
Behandelbare Risikofaktoren<br />
Oft treten vaskuläre Risikofaktoren wie die arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus<br />
oder Hypercholesterinämie auf, die ein erhöhtes Risiko für eine Demenz darstellen<br />
und behandelt gehören (vgl. Förstl et al. 2005, 70).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 22
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
3 Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
So einzigartig jeder Mensch ist, ist auch sein Demenzverlauf. Nicht jedes Verhal-<br />
ten muss bei allen Demenzerkrankten auftreten (Haberstroh et al. 2011, 78). Ge-<br />
wisse Verhaltensweisen wie Aggression, Davonlaufen und Rufen, kommen jedoch<br />
im Zuge einer demenziellen Entwicklung gehäuft vor und stellen sowohl für die<br />
Betreuenden als auch für das Umfeld eine große Herausforderung dar.<br />
Verhaltensauffälligkeiten sind nicht zuletzt auf unangepasste Reaktionen der Um-<br />
welt zurückzuführen, wie Christian Müller-Hergl dies <strong>mit</strong> folgendem Zitat verdeut-<br />
licht:<br />
„Demenz allein muss für die Menschen kein furchtbares Unglück sein, wenn Milieu<br />
und Beziehung stimmen und sich entsprechend dem Menschen anpassen (der<br />
dies selbst nicht mehr kann). Es gibt genügend Beispiele von Menschen, die der<br />
Demenz zum Trotz relativ glücklich gelebt haben“. (Müller-Hergl 2001, 79)<br />
3.1 Begriffserklärung und Klassifizierung<br />
In der deutschsprachigen Pflegeliteratur werden für gleichartige demenzielle Er-<br />
scheinungsbilder, nicht nur unterschiedliche Begriffe wie Verhaltensauffälligkeiten,<br />
Verhaltensstörungen, oder Verhaltensveränderungen verwendet, sondern es exis-<br />
tieren auch verschiedenartige Definitionen (vgl. Halek & Bartholomeyczik 2006,<br />
21f.).<br />
Definition und Beschreibung von herausforderndem Verhalten<br />
Der für Demenz charakteristische Symptomenkomplex, wird im englischsprachi-<br />
gen Raum unter anderen als inappropriate behaviour (unangemessenes Verhal-<br />
ten), disruptive behaviour (störendes Verhalten), oder challenging behaviour (ent-<br />
spricht dem deutschen Begriff des herausfordernden Verhaltens) bezeichnet (vgl.<br />
Halek & Bartholomeyczik 2006, 22).Während die Begriffe im Englischen einen in-<br />
trinsischen Ursprung des Verhaltens aufweisen – es wird angenommen dass die<br />
Demenzerkrankten gewissermaßen selbst die Auslöser sind – steht im deutsch-<br />
sprachigen Raum der Einfluss des Umfeldes im Vordergrund (vgl. Moniz-Cook<br />
1998 zit. n. Halek & Bartholomeyczik 2006, 22).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 23
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Der Ausdruck „Verhaltensstörungen“ wurde im Jahre 1996 – im Rahmen einer<br />
Konsensuskonferenz – von 660 Experten der International Psychogeriatric Asso-<br />
ciation (IPA) durch „behavioural and psychological symptoms of dementia (BSPD)<br />
– verhaltensbezogene und psychologische Symptome der Demenz“ – ersetzt.<br />
BSPD wird definiert als „Symptoms of disturbed perception, thought content, mood<br />
or behavior that frequently occur in patients with dementia.“ (Finkel, Costa e Silva,<br />
Cohen, Miller, Sartorius 1996, 7)<br />
Klassifizierung von Verhaltensformen<br />
Klassifikationssysteme dienen dazu, sich in der Vielfalt der möglichen Verhaltens-<br />
weisen zurechtzufinden (vgl. Höwler 2008, 20). BSPD kann beispielsweise je nach<br />
Ziel und Absicht strukturiert werden, während eine Kategorisierung der Symptome<br />
nach Psychopathologie, nach Funktion oder spezifischen Verhaltensformen erfol-<br />
gen kann (vgl. Halek & Bartholomeyczik 2006, 27). Der demenziell erkrankte<br />
Mensch darf jedoch nicht nur infolge einer Einteilung auf seine Symptome redu-<br />
ziert gesehen werden, sondern er muss <strong>mit</strong> all seinen Verhaltensbotschaften und<br />
Bedürfnissen wahrgenommen werden (vgl. Höwler 2008, 20). In den herkömmli-<br />
chen Klassifikationssystemen der Demenz, ICD-10 und DSM-IV, wird das Phäno-<br />
men herausforderndes Verhalten bzw. BPSD nicht eindeutig definiert, sondern<br />
nach unterschiedlichen psychologischen, medizinischen oder pflegerischen Ge-<br />
sichtspunkten eingeordnet (vgl. Höwler 2008, 20). Die nachfolgenden Tabellen 2,<br />
3 und 4 geben einen Überblick über jene Kategorisierungsmöglichkeiten, die in der<br />
Literatur häufig dargestellt werden (vgl. Halek & Bartholomeyczik 2006, 27).<br />
Verhaltensbezogene<br />
Symptome<br />
Psychologische<br />
Symptome<br />
Beobachtbare Symptome wie Aggressivität, Schreien, Unruhe, Agitation,<br />
Wandern, sexuelle Enthemmung, Horten (hoarding), Fluchen<br />
Aus Gesprächen <strong>mit</strong> BewohnerInnen und Angehörigen abgeleitete Sym-<br />
ptome wie Angst, depressive Verstimmung, Halluzinationen und Wahnvor-<br />
stellungen (delusion)<br />
Tabelle 2: Psychologische und verhaltensbezogene Symptome IPA 1998<br />
Quelle: in Anlehnung an Halek & Bartholomeyczik 2006, 27.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 24
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Gruppe I<br />
Am häufigsten, be-<br />
sonders belastend<br />
Gruppe II<br />
Durchschnittliche<br />
Häufigkeit und Be-<br />
lastung<br />
Gruppe III<br />
Selten, leichter zu<br />
bewältigen<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Psychologische Symptome Verhalten<br />
Wahnvorstellungen<br />
Halluzinationen<br />
Depressive Verstimmung<br />
Schlaflosigkeit<br />
Angst<br />
Fehldeutungen<br />
(misidentifications)<br />
Schreiten (pacing)<br />
Physische Aggression<br />
Wandern<br />
Unruhe (restlessness)<br />
Antriebslosigkeit<br />
Agitation<br />
Kulturell unangemessenes<br />
Verhalten<br />
Schreien<br />
Schreien<br />
Fluchen<br />
Wiederholtes Fragen<br />
Verfolgen (shadowing)<br />
Tabelle 3: BPSD (International Psychogeriatric Association [IPA] 1998)<br />
Quelle: Halek & Bartholomeyczik 2006, 28.<br />
Für die amerikanische Psychiaterin Jiska Cohen-Mansfield haben Agitiertheit be-<br />
ziehungsweise Agitation und herausforderndes Verhalten die gleiche Bedeutung.<br />
Folglich definiert sie den Begriff Agitierheit als „unangemessene verbale, sprachli-<br />
che oder motorische Aktivität, die nicht durch eindeutige Bedürfnisse oder Verwir-<br />
rung an sich erklärt werden kann“ und unterteilt diese in vier Kategorien, die in<br />
Tabelle 4 genauer ausgeführt werden (Cohen-Mansfield 1999, zit. n. Höwler 2008,<br />
19):<br />
o physisch aggressives Verhalten (zum Beispiel Schlagen)<br />
o physisch nicht aggressives Verhalten (z.B. zielloses Herumwandern)<br />
o verbal aggressives Verhalten (Schreien)<br />
o verbal nicht aggressives Verhalten (zum Beispiel Verweigerung)<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 25
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Kategorie Subkategorie<br />
Physisch nicht<br />
aggressives Ver-<br />
halten<br />
Verbal nicht ag-<br />
gressivesVerhal- ten<br />
Physisch aggres-<br />
sives Verhalten<br />
Verbal aggressives<br />
Verhalten<br />
Allgemeine Unruhe<br />
Repetetiver Manierismus (zum Beispiel<br />
das Schnippen oder Drehen der Finger<br />
oder komplexe Bewegungen <strong>mit</strong> dem<br />
ganzen Körper)<br />
Schreiten Versuch, einen anderen Ort zu<br />
erreichen<br />
Unpassender Umgang <strong>mit</strong> Gegenständen<br />
Unpassendes An-/Ausziehen<br />
Wiederholen von Sätzen<br />
Negativismus<br />
Nichts mögen<br />
Ständiges Anfordern von Aufmerksamkeit<br />
Verbale Rechthaberei (bosiness)<br />
Jammern/Wimmern<br />
Relevante und irrelevante Unterbrechun-<br />
gen<br />
Schlagen<br />
Stoßen<br />
Kratzen<br />
Angrapschen von Gegenständen und<br />
Menschen<br />
Treten und Beißen<br />
Schreien<br />
Fluchen<br />
Temperamentausbrüche<br />
Merkwürdige Geräusche<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Auftreten (Population in<br />
Altenheimen und Tages-<br />
zentren)<br />
Bei BewohnerInnen <strong>mit</strong> ei-<br />
nem <strong>mit</strong>tleren bis höheren<br />
Grad an Beeiträchtigung<br />
Bei Frauen <strong>mit</strong> Depression,<br />
<strong>mit</strong> schlechtem Gesundheits-<br />
zustand und Schmerz, <strong>mit</strong><br />
minimalen bis <strong>mit</strong>tleren kog-<br />
nitiven Beeinträchtigungen<br />
und schlechten sozialen Be-<br />
ziehungen<br />
Menschen <strong>mit</strong> schlechten<br />
sozialen Beziehungen<br />
Starke kognitive Beeinträch-<br />
tigungen<br />
Menschen <strong>mit</strong> schlechten<br />
sozialen Beziehungen<br />
Menschen <strong>mit</strong> Depression<br />
und Gesundheitsproblemen<br />
Tabelle 4: Kategorisierung von Agitation nach Cohen-Mansfield (1996)<br />
Quelle entnommen aus Halek & Bartholomeyczik 2006; Originalquelle: Cohen-Mansfield 1996.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 26
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
3.2 Spezifische Verhaltensweisen bei Demenz<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Mit fortschreitender Erkrankung geht die Möglichkeit <strong>mit</strong> der Umwelt zu kommuni-<br />
zieren immer mehr verloren, sodass demenziell erkrankte Menschen ihre Bedürf-<br />
nisse nur noch durch ihr Verhalten ausdrücken können (vgl. Haberstroh, Neumey-<br />
er, Prantl 2011, 11). Die spezifischen Verhaltensweisen werden von Haberstroh et<br />
al. (2011, 78f.) folgendermaßen eingeteilt:<br />
o herausfordernde Stimmungen<br />
o herausfordernde Verhaltensweisen<br />
o krankhaftes herausforderndes Verhalten<br />
Herausfordernde Stimmungen<br />
Für jede Stimmungslage gibt es bestimmte Auslöser. Vor allem spezielle heraus-<br />
fordernde Stimmungen – wie beispielsweise Depressivität, Angst oder Aggressivi-<br />
tät – die in Folge einer demenziellen Entwicklung vermehrt auftreten können, er-<br />
schweren es Pflegepersonen sich in die Betroffenen einzufühlen (Haberstroh et al.<br />
2011, 78).<br />
Depressivität<br />
Unter Depressivität im Rahmen einer demenziellen Entwicklung, wird eine abge-<br />
schwächte Form von Niedergeschlagenheit verstanden. Sie tritt vor allem im An-<br />
fangsstadium einer Demenz auf, wenn Gedächtnisstörungen und der Verlust von<br />
Fähigkeiten – wie beispielsweise einen Urlaub zu planen – von den Betroffen be-<br />
wusst wahrgenommen werden (vgl. Haberstroh et al. 2011, 9). Depressivität kann<br />
bei längerem Andauern in eine Depression übergehen.<br />
Angst<br />
Ängste zeigen sich vor allem im frühen Stadium einer Demenz, wenn betroffene<br />
Menschen merken, dass eine Veränderung ihrer Persönlichkeit stattfindet.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 27
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Aggressivität<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Aggressivität kann durch eine demenziell bedingte Veränderung der Persönlichkeit<br />
auftreten und führt dazu, dass aus ehemals verträglichen Menschen streitsüchtige<br />
Querulanten werden (vgl. Haberstroh et al. 2011, 78).<br />
Herausfordernde Verhaltensweisen<br />
Weglaufen<br />
Zielloses Umhergehen und Weglaufen kann situativ bedingt sein, wenn Menschen<br />
<strong>mit</strong> Demenz ihre Eltern oder Freunde aus längst vergangener Zeit suchen, oder<br />
ihren eigenen Wohnsitz nicht mehr erkennen und nach Hause wollen, auch wenn<br />
sie in ihrem Zuhause sind. Mit nach Hause kann im übertragenen Sinn ein Ort<br />
gemeint sein, der früher Sicherheit und Geborgenheit ver<strong>mit</strong>telt hat (vgl. Haber-<br />
stroh et al. 2011, 79).<br />
Nächtliche Unruhe<br />
Da die innere Uhr von Demenzerkrankten nicht mehr richtig funktioniert, kann es<br />
zu einer Tag-Nacht Umkehr kommen. Die Folgen sind, dass die Nacht zum Tag<br />
wird und so<strong>mit</strong> die demenziell Erkrankten nachts durch das Haus wandern (vgl.<br />
Pace, Treolar, Scott 2011, 16).<br />
Vokale Störungen<br />
Vokale Störungen – wie beispielsweise sich ständig wiederholende Äußerungen –<br />
sind neben körperlicher Aggressivität die größten Belastungsquellen für die Men-<br />
schen im Umfeld Demenzerkrankter (vgl. Halek & Bartholomeyczik 2006,40f.).<br />
Passivität/Apathie<br />
Durch Angst zu versagen, stellt sich bei Menschen <strong>mit</strong> Demenz oft eine Passivität<br />
ein, die meist zu Langweile und schlechter Laune führt und eine schlechte körper-<br />
liche Verfassung sowie den Verlust des Selbstvertrauens <strong>mit</strong> sich bringt (vgl. Ha-<br />
berstroh et al. 2011, 80).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 28
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Krankhaftes herausforderndes Verhalten<br />
Misstrauen und Wahn<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Misstrauen entsteht entweder demenzbedingt, oder es tritt bei denjenigen auf, die<br />
schon zeitlebens argwöhnisch waren (vgl. Haberstroh et al. 2011, 80). Meistens<br />
richtet sich das Misstrauen gegen pflegende Angehörige oder Pflegepersonen im<br />
nahen Umfeld und kann einige Monate andauern. Wenn das Misstrauen ansteigt<br />
und sich zusätzlich gegen Fremde richtet, wird von Wahn gesprochen (vgl. Haber-<br />
stroh et al. 2011, 80).<br />
Halluzinationen und Illusionen<br />
Halluzinationen treten bei klarem Bewusstsein auf. Es kommt meist zu visuellen<br />
oder auditiven Wahrnehmungen, die dazu führen, dass Betroffene beispielsweise<br />
Eindringlinge sehen oder Stimmen hören.<br />
Unter Illusion wird eine verzerrte Wahrnehmung verstanden, bei der beispielswei-<br />
se anstelle eines Risses in der Wand, eine Schlange gesehen wird. Illusionen tre-<br />
ten häufiger auf, wenn der sensorische Input begrenzt ist, wie zum Beispiel bei<br />
schlechten Lichtverhältnissen oder Taubheit (vgl. Pace & Treolar & Scott 2011,<br />
17).<br />
3.3 Ursachen für herausforderndes Verhalten<br />
Demenzerkrankte Menschen können ihre Umwelt nicht angemessen erfassen,<br />
was zwangsläufig zu einer Überforderung beziehungsweise Bedrohung führt. Die<br />
vorhergehende Aussage soll an folgendem Beispiels verdeutlicht werden:<br />
„Man stelle sich vor, man wäre als Tourist in einer arabischen Altstadt. In 30 Minu-<br />
ten gilt es den Treffpunkt zu finden, an dem der Reisebus auf die Touristen wartet,<br />
um sie zum Flughafen zu bringen. Doch in den unüberschaubaren winkeligen<br />
Gassen <strong>mit</strong> den nicht lesbaren arabischen Schriftzeichen, den unverständlichen<br />
Worten der Einheimischen ist eine Orientierung nicht möglich. Angesichts der<br />
Furcht, den Termin zu verpassen, wird man in Panik geraten, hin und her hetzen,<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 29
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
fluchen, vielleicht auch schreien, aggressiv werden oder auch in völlige Apathie<br />
verfallen, je nach Temperament und Persönlichkeitsstruktur.“ (Lind 2007, 44)<br />
Da<strong>mit</strong> die Ursachen für herausforderndes Verhalten verstanden werden, ist es<br />
wichtig, die Demenzerkrankten genau zu beobachten und ihre Biografie zu kennen<br />
(vgl. Haberstroh et al. 2011, 82). Seit den 1990er Jahren werden demenzspezifi-<br />
sche Verhaltensformen international erforscht (vgl. Halek & Bartholomeyczik 2006,<br />
49). Aus unterschiedlichen Forschungsansätzen wurde das sogenannte Bedürf-<br />
nisorientierte Verhaltensmodell bei Demenz entwickelt, das aus dem Englischen<br />
Need-Driven Dementia-Compromised Behavior Model (NDB-Modell) abgeleitet<br />
wird (vgl. Algase, Beck, Kolanowsky, Whall, Berent, Richards, Beattie. 1996, 10-<br />
19 zit. n. Halek & Bartholomeyczik 2006, 50). Auf Basis dieses Modells wird der<br />
Begriff herausforderndes Verhalten für Pflegende nachvollziehbar (vgl. Höwler<br />
2008, 122). Das NBD-Modell (siehe Tabelle 4) liefert Hintergründe und nahe lie-<br />
gende Gründe, die für die Entstehung von herausforderndem Verhalten verant-<br />
wortlich sind. Die nahe liegenden Gründe sind im Gegensatz zu den Hintergrün-<br />
den eher beeinflussbar (vgl. Haberstroh et al. 2011, 82).<br />
Neurologischer Status:<br />
Hintergründe Nahe liegende Gründe<br />
Innere Uhr, motorische Fähigkeiten, Gedächt-<br />
nis/Merkfähigkeit<br />
Gesundheitsstatus:<br />
Allgemeinzustand, (instrumentelle) Aktivitäten<br />
des tägliche Lebens<br />
Demogarfische Variablen:<br />
Geschlecht, Abstammung, Familienstand,<br />
Schulbildung, Beruf<br />
Physiologische Bedürfnisse:<br />
Hunger, Durst, Ausscheidung, Schmerz,<br />
Unwohlsein, Schlafstörungen<br />
Psychosoziale Bedürfnisse:<br />
Gefühle (Angst, Langeweile); Wunsch, dass<br />
die Unterstützung an die Fähigkeiten ange-<br />
passt wird<br />
Physikalische Umgebung:<br />
Umgebungsgestaltung, Routine/Heimalltag,<br />
Lichtstärke, Geräuschstärke<br />
Soziale Umgebung:<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 30
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Psychosoziale Variablen<br />
Persönlichkeit, Verhaltensreaktion bei Stress<br />
Herausforderndes Verhalten<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Personalausstattung und -stabilität, Umge-<br />
bungsatmosphäre, Präsenz anderer<br />
Tabelle 5: Gründe für die Entstehung von herausforderndem Verhalten<br />
Quelle: in Anlehnung an Haberstroh, Neumeyer, Prantl 2011, 83.<br />
Für jedes Verhalten gibt es einen Grund, der für den betroffenen Menschen immer<br />
einen Sinn ergibt. Der Grund, warum demenziell erkrankte Menschen sich <strong>mit</strong> Hil-<br />
fe bestimmter Verhaltensweisen verständlich machen, liegt in der abhanden ge-<br />
kommenen Fähigkeit zu kommunizieren und wurde bereits in Kapitel 3.4 Spezifi-<br />
sche Verhaltensweisen bei Demenz beschrieben (vgl. Haberstroh et al. (2011,<br />
81f.).<br />
3.4 Erfassung von Verhaltensstörungen<br />
Die Cohen-Mansfield Skala beziehungsweise der Cohen-Mansfield Agitation In-<br />
ventory (CMAI), ist das am weitesten verbreitete Messinstrument zur Einschät-<br />
zung und Dokumentation der Agitation im Rahmen einer Demenz (siehe 8<br />
Anhang) (vgl. Pace, Treloar, Scott 2011, 193). Mit Hilfe der Skala wird die Häufig-<br />
keit von Verhaltensveränderungen – wie beispielsweise Kratzen, Schlagen oder<br />
zielloses Umherwandern – innerhalb einer Woche festgestellt. Ziel ist, die Verhal-<br />
tensweisen zu differenzieren und gehäuft auftretende Veränderungen zu erkennen<br />
um sodann geeignete Maßnahmen zu setzen (vgl. Kastner & Löbach 2010, 52).<br />
Weitere Assessments zur Einschätzung nicht kognitiver Symptome (Herausfor-<br />
dernde Verhaltensweisen) sind<br />
o die Nurses observation Scale for Geriatric Patients (NOSGER) (siehe<br />
Anhang), zur Auswertung von Gedächtnis, Stimmung, Aktivitäten und Sozi-<br />
alverhalten (vgl. Grond 2009, 97f.),<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 31
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
o die BEHAVE-AD Skala zur Beurteilung von Verhaltensveränderungen bei<br />
der Alzheimer Demenz und<br />
o das Neuropsychiatrisches Inventar (NPI) das als Instrument für wissen-<br />
schaftliche Studien dient und es ermöglicht, das Belastungsausmaß der<br />
Pflegenden zu erfassen (vgl. Kastner & Löbach 2010, 52).<br />
3.5 Auswirkungen von herausforderndem Verhalten<br />
Das steigende Unvermögen die Umwelt angemessen zu bewältigen, führt bei de-<br />
menziell Erkrankten zu einer Zunahme der Stresssymptome. Diese werden je<br />
nach Persönlichkeitsstruktur unterschiedlich verarbeitet (siehe Abbildung 2) (vgl.<br />
Lind 2007, 44f.).<br />
Abbildung 3: Stresssymptome<br />
Quelle: in Anlehnung an Lind 2007, 45.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 32
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
3.5.1 Das Erleben der Betroffenen selbst<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
Laut Aussage demenzerkrankter Menschen, lässt sich ihr Bewusstseinszustand<br />
<strong>mit</strong> der Aufwachphase vergleichen, in der ein Mensch zwar nicht mehr schläft, je-<br />
doch auch noch nicht ganz wach ist und alles unsicher und verschwommen wahr-<br />
nimmt. Aus diesem Grund bezeichnen Haberstroh et al. (2011, 8) eine Demenz<br />
als Erkrankung zwischen Traum und Realität.<br />
Der Sozialpsychologe Tom Kitwood beschreibt sieben Zugänge, die einen Einblick<br />
in die subjektive Welt demenzerkrankter Menschen ermöglichen sollen (vgl. Kit-<br />
wood 2008, zit. n. Zimmermann 2009, 22.). Die denkbaren Zugänge sind<br />
o Berichte Betroffener, die sie zu Beginn der Demenz geschrieben haben,<br />
o strukturiertes Zuhören Betroffener in herbeigeführten Situationen,<br />
o aufmerksames Zuhören der Äußerungen im Alltag,<br />
o Beobachtung von Verhaltensweisen der Betroffenen,<br />
o Befragung von Menschen, die eine Krankheit <strong>mit</strong> ähnlichen Symptomen wie<br />
Konzentrations- oder Aufmerksamkeitsstörungen erlebt haben sowie<br />
o Einsatz der eigenen poetischen Vorstellungskraft.<br />
Betroffene erleben ihre demenzielle Erkrankung auf unterschiedlichste Art und<br />
Weise, was laut dem Psychologen Alan Jacques nicht zuletzt auf ihre individuellen<br />
Erfahrungen im Leben sowie auf Persönlichkeitsmerkmale zurückzuführen ist. Er<br />
unterscheidet auf Grundlage klinischer Erfahrungen, folgende sechs Typen der<br />
Persönlichkeit (Jacques 1988, zit. n. Zimmermann 2009, 23):<br />
o Den Abhängigen, der gerne Hilfe annimmt und nur wider Willen Selbstinitia-<br />
tive ergreift.<br />
o Den Unabhängigen, der denkt, dass er die Kontrolle hat und seine Krank-<br />
heit nicht anerkennen möchte.<br />
o Den Paranoiden, der schnell anklagt und misstraut.<br />
o Den Zwanghaften, der den Verlust von Kontrolle und Ordnung fürchtet und<br />
den Selbstzweifel plagen.<br />
o Den Hysterischen, der Aufmerksamkeit sucht.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 33
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Herausforderndes Verhalten bei Demenz<br />
o Den Psychopaten, der sehr impulsiv ist und sich nur um sich sorgt.<br />
Die unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmale lassen einen Einblick zu, wie un-<br />
terschiedlich die Betroffenen ihre Erkrankung erfahren (vgl. Zimmermann 2009,<br />
24).<br />
3.5.2 Das Erleben der MitbewohnerInnen<br />
Grond (2009, 56) gibt Ängste der MitbewohnerInnen vor unberechenbarer Ag-<br />
gression oder die Furcht, selbst an Demenz zu erkranken, an. Zudem spricht er<br />
vom Ekel der MitbewohnerInnen, wenn demenzerkrankte BewohnerInnen bei-<br />
spielsweise eine Urinpfütze im Flur hinterlassen, oder Ärger, wenn Demenzer-<br />
krankte schreien, in fremden Kästen wühlen, oder nachts ihr Bett nicht finden.<br />
3.5.3 Das Erleben der Pflegepersonen<br />
Pflegepersonen erleben <strong>mit</strong> demenziell erkrankten Menschen sowohl Belastungen<br />
als auch Glücksmomente (vgl. Haberstroh et al. 2011, 15f.). Als Begründung für<br />
eine Belastung werden vorwiegend fehlende Zeit- und Personalressourcen sowie<br />
Unsicherheit und Ängste im Umgang <strong>mit</strong> demenziell Erkrankten in Folge mangeln-<br />
der gerontopsychiatrischer Ausbildung angegeben. Als überaus belastend zeigen<br />
sich Kommunikationsschwierigkeiten und herausfordernde Verhaltensweisen (vgl.<br />
Haberstroh et al. 2011, 5). Neben Belastungen, treten auch bisweilen Glücksmo-<br />
mente auf, die besonders beim Singen von altem Liedgut entstehen. Momente, in<br />
denen demente Menschen hellwach werden, sich glückselig im Takt bewegen und<br />
von längst vergangenen Tagen träumen – kleine glücksbringende Augenblicke, an<br />
denen auch die Pflegepersonen Anteil haben.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 34
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
4 Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Aufgrund der prognostizierten Bevölkerungsentwicklung und der da<strong>mit</strong> verbunde-<br />
nen Korrelation von Alter und Demenz, gewinnt die institutionelle Versorgung de-<br />
menzerkrankter Menschen immer mehr an Bedeutung (vgl. Zimmermann 2009,<br />
77). Erhebungen in verschiedenen Industrieländern zeigen, dass mindestens 40%,<br />
manchmal bis zu 75% der demenziell erkrankten Menschen, in stationären Ein-<br />
richtungen gepflegt und betreut werden und sich die Prozentanzahl der Aufnah-<br />
men <strong>mit</strong> ansteigendem Schweregrad der Demenz erhöht (vgl. Stoppe & Stiens<br />
2009, 20). Dies wird durch die Studie Canadian Study of Health and Aging nach-<br />
vollziehbar, <strong>mit</strong> der belegt wird, dass sich 20,6% der leicht, 44,6% der <strong>mit</strong>tel-<br />
schwer, sowie 85,4% der schwer an Demenz erkrankten Menschen in einer Insti-<br />
tution befinden (vgl. Graham et al. 1997, zit. n. Weyerer, Schäufele, Hendlmeier,<br />
Kofahl, Sattel, Jantzen, Schuhmacher 2004, 4). Reggentin & Dettbarn-Reggentin<br />
(2006, 11) geben an, dass der Anteil demenzerkrankter BewohnerInnen in den<br />
einzelnen Heimen sogar über 90% liegt. Dieser Entwicklung zufolge hat sich die<br />
Heimversorgung in den letzten Jahren stark gewandelt. Aus den ursprünglichen<br />
Altersheimen für körperlich beeinträchtigte Menschen, wurden vermehrt Pflege-<br />
heime für gerontopsychiatrische BewohnerInnen (vgl. Reggentin & Dettbarn-<br />
Reggentin 2006, 33). Sowohl in den Pflegeheimen, als auch außerhalb der statio-<br />
nären Einrichtungen, ist eine drastische Zunahme von <strong>mit</strong>telschweren und schwe-<br />
ren Demenzen festzustellen, die meist <strong>mit</strong> gravierenden Verhaltensveränderungen<br />
einhergehen und ein hohes Konfliktpotenzial im Zusammenleben von dementen<br />
<strong>mit</strong> nicht dementen BewohnerInnen darstellt (vgl. Weyerer et al. 2005, 1).<br />
In den meisten Pflegeheimen findet die bisher übliche traditionelle Versorgung<br />
statt, in der demenzerkrankte BewohnerInnen und nicht demenzerkrankte Bewoh-<br />
nerInnen gemeinsam versorgt werden, ohne dass nach einer besonderen Konzep-<br />
tion vorgegangen wird (vgl. Reggentin & Dettbarn-Reggentin 2006, 34). Viele<br />
Betreiber stationärer Einrichtungen sehen durch den Anstieg demenzieller Erkran-<br />
kungen die Grenzen dieser Versorgung und suchen vermehrt nach geeigneten<br />
Wohnalternativen (vgl. Reggentin & Dettbarn-Reggentin 2006, 34). In der Lang-<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 35
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
zeitpflege lassen sich folgende Wohnkonzepte für demenziell erkrankte Bewohne-<br />
rInnen unterscheiden:<br />
o das integrative Versorgungskonzept<br />
o das teilintegrative (teilsegregative) Versorgungskonzept oder Integrations-<br />
prinzip<br />
o das segregative Versorgungskonzept oder Domusmodell (vgl. Reggentin &<br />
Dettbarn-Reggentin 2006, 35)<br />
Ziel ist es, <strong>mit</strong> Hilfe der Konzepte die gewohnte Umgebung der BewohnerInnen<br />
aufrechtzuerhalten und auf ihre Bedürfnisse einzugehen (vgl. Zimmermann 2009,<br />
86). Im Folgenden werden die verschiedenen Wohnkonzepte und ihre Auswirkun-<br />
gen auf die BewohnerInnen und ihr Umfeld vorgestellt sowie die Vor- und Nachtei-<br />
le der unterschiedlichen Wohnformen <strong>mit</strong>einander verglichen.<br />
4.1 Integrative Wohnformen<br />
Von einer integrativen Versorgung wird gesprochen, wenn demenzerkrankte und<br />
nicht demenzerkrankte BewohnerInnen zusammenwohnen und während des Ta-<br />
ges gemeinsam betreut werden (vgl. Stoppe & Stiens 2009, 22). Die integrative<br />
Versorgungsform erfordert im Gegensatz zum traditionellen gemeinsamen Woh-<br />
nen ein Konzept und ist nur bei Menschen <strong>mit</strong> leichten, höchstenfalls <strong>mit</strong>telschwe-<br />
ren demenziellen Entwicklungen möglich, sofern keine schwerwiegenden Verhal-<br />
tensauffälligkeiten vorliegen (vgl. Grond 2009, 90).<br />
Das Konzept enthält vom Personal entwickelte Strategien – wie beispielsweise<br />
Maßnahmen zur Konfliktprävention – die ein Miteinander fördern sollen. Eine wich-<br />
tige Rolle nehmen orientierte MitbewohnerInnen ein, die in die Konzeptentwick-<br />
lung <strong>mit</strong> einbezogen werden, da<strong>mit</strong> sie Entscheidungen <strong>mit</strong>tragen können. Als<br />
Beispiel einer Entscheidung gilt der adäquate Umgang <strong>mit</strong> demenzerkrankten Be-<br />
wohnerInnen. Im Konzept ist festgelegt, dass für die kognitiv nicht eingeschränk-<br />
ten BewohnerInnen sowohl Rückzugsmöglichkeiten als auch entsprechende Akti-<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 36
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
vierungsangebote zur Verfügung stehen müssen. Da die unterschiedlichen Ver-<br />
sorgungsansätze noch zu wenig erforscht sind, existieren bisher kaum valide Er-<br />
gebnisse über die Auswirkungen auf die Betroffenen und ihr Umfeld. Die meisten<br />
Aussagen basieren auf den Erfahrungswerten des Pflegepersonals, die sie im<br />
Rahmen des Zusammenlebens beider Gruppen gesammelt haben und die auf den<br />
individuellen Situationen beruhen (vgl. Reggentin & Dettbarn-Reggentin 2006, 35).<br />
Pro integrative Versorgung<br />
Im Zusammenleben <strong>mit</strong> nicht demenzerkrankten BewohnerInnen wird beobachtet<br />
dass demenerkrankte BewohnerInnen<br />
o keine Stigmatisierung,<br />
o keine Ghettoisierung,<br />
o keine Umzüge in andere Wohnbereiche,<br />
o Normalität sowie<br />
o eine fördernde Umgebung erfahren (vgl. Kastner & Löbach 2010, 169).<br />
Contra integrative Versorgung<br />
Folgende Aspekte sprechen gegen ein Zusammenleben demenzkranker und nicht<br />
demenzkranker BewohnerInnen in einer integrativen Versorgungsform:<br />
o Überforderung demenzerkrankter BewohnerInnen im Alltag<br />
o hohes Konfliktpotenzial <strong>mit</strong> gesunden BewohnerInnen und deren Angehöri-<br />
gen<br />
o Demenzerkrankte erhalten disziplinarische Psychopharmaka-Gaben oder<br />
auf Wunsch/Zwang anderer<br />
o zu wenig Berücksichtigung der Bedürfnisse Demenzerkrankter<br />
o Ausgrenzung, Beschimpfungen und Unverständnis demenzkranker Bewoh-<br />
nerInnen durch Angehörige oder Menschen ohne kognitive Einschränkung<br />
o Ängste der Nicht-Erkrankten selbst dement zu werden<br />
o erschwerte Integration demenzerkrankter BewohnerInnen bei Verhaltens-<br />
änderung<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 37
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
o Ziel und Prioritätenkonflikt des Pflegepersonals<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
o Integratives Konzept als Testumgebung, bei Misslingen Wechsel der de-<br />
menzerkrankten BewohnerInnen in eine segregative Einrichtung (Kastner &<br />
Löbach 2010, 169).<br />
4.2 Teilintegrative Wohnformen<br />
In einer teilintegrativen Versorgung, die auch als teilsegregativ oder als Integrati-<br />
onsprinzip bezeichnet wird, leben demenzerkrankte BewohnerInnen gemeinsam<br />
<strong>mit</strong> nicht demenzerkrankten BewohnerInnen in einem Wohnbereich, werden je-<br />
doch innerhalb der Einrichtung über einen bestimmten Zeitraum in einer speziellen<br />
Gruppe nur für demenzerkrankte BewohnerInnen betreut (vgl. Reggentin & Dett-<br />
barn-Reggentin 2006, 36). Je nach Personalressourcen erstreckt sich die Betreu-<br />
ung durch gerontopsychiatrisch geschultes Personal von wenigen Stunden in der<br />
Woche bis zu einer ganztägigen Separierung für sieben Tage die Woche (vgl.<br />
Reggentin & Dettbarn-Reggentin 2006, 36). Diese Versorgungsform soll die inte-<br />
grativen Ansätze eines Pflegeheimes unterstützen und ist durchführbar, wenn in-<br />
nerhalb eines Wohnbereiches weniger als ein Drittel der BewohnerInnen an einer<br />
<strong>mit</strong>telschweren Demenz leiden (vgl. Grond 2009, 90). In der speziellen Tages-<br />
betreuung besteht die Möglichkeit, dass auch BewohnerInnen aus anderen<br />
Wohngruppen <strong>mit</strong>versorgt werden. Wichtig ist dass die Zusammensetzung nach<br />
Schweregrad und/oder herausforderndem Verhalten erfolgt (vgl. Reggentin &<br />
Dettbarn-Reggentin 2006, 36). Die teilintegrative Wohnform bietet nicht nur für<br />
demenzspezifische Aktivitäten einen Rahmen, sondern auch für besondere thera-<br />
peutische Maßnahmen. Außer dass genügend Gruppenräume für Mahlzeit und<br />
Aktivitäten vorhanden sein müssen, sind nur geringe bauliche Erfordernisse zu<br />
erfüllen. Im Konzept ist vorgesehen, dass sich dir Pflegepersonrn fachspezifisch<br />
intern oder extern weiterbilden und auch unterschiedliche gerontopsychiatrische<br />
Versorgungskonzepte kennenlernen (vgl. Reggentin & Dettbarn-Reggentin 2006,<br />
36).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 38
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
4.3 Segregative Wohnformen<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Das segregative (trennende) Konzept wird auch als Domusmodell bezeichnet (vgl.<br />
Kastner & Löbach 2010, 169). In der segregativen Wohnform leben demenzer-<br />
krankte BewohnerInnen gemeinsam in einem Wohnbereich und werden rund um<br />
die Uhr betreut (vgl. Stoppe & Stiens 2009, 22). Segregation wird für Gemein-<br />
schaften von acht bis zehn an Demenz erkrankten BewohnerInnen empfohlen<br />
(vgl. Grond 2009, 91). Die Gruppenkonstellation der demenziell erkrankten Be-<br />
wohnerInnen sollte nach Sympathie und nicht nach Schwere der Demenz erfol-<br />
gen. Es wird beobachtet, dass sich immer wieder Demenzerkrankte zueinander<br />
gesellen, die sich sympathisch sind, auch wenn zwischen ihnen kein Gespräch<br />
stattfindet. (vgl. Grond 2009, 91). Kennzeichnend für das segregative Konzept<br />
sind familienähnliche Strukturen, in denen sich demente BewohnerInnen <strong>mit</strong> Un-<br />
terstützung einer fachlich qualifizierten Pflege- oder Bezugsperson, hauswirt-<br />
schaftlich betätigen können. Die Biografie der einzelnen BewohnerInnen nimmt in<br />
dieser Wohnform eine bedeutende Rolle ein und wird sowohl in die Betreuung und<br />
Pflege, als auch in die Umgebungsgestaltung <strong>mit</strong>einbezogen (vgl. Zimmermann<br />
2009, 88).<br />
Special Care Units (SCU) und Domus-Einrichtungen<br />
Ebenso segregativ, jedoch eher pflegerisch-therapeutisch ausgerichtet, sind die<br />
Special Care Units, eine aus den USA stammende Versorgungsform. Im Konzept<br />
ist eine Betreuung für 12 bis 30 <strong>mit</strong>telschwer bis schwer an Demenz Erkrankte <strong>mit</strong><br />
einem besonderen Betreuungsbedarf vorgesehen. Es steht eine fachliche Betreu-<br />
ung im Vordergrund und nicht – wie in den Wohngruppen – hauswirtschaftliche<br />
Tätigkeiten (vgl. Reggentin & Dettbarn-Reggentin 2006, 37). Räumliche Abgren-<br />
zungen des Demenzbereiches, markierte Laufwege und Alarmanlagen an den<br />
Türen sollen ein Weglaufen der BewohnerInnen reduzieren. Qualifiziertes Perso-<br />
nal, an die BewohnerInnen angepasste psychologische Angebote und die Einbe-<br />
ziehung der Angehörigen in den Pflegeprozess, sind ebenfalls Bestandteile des<br />
Konzeptes (vgl. Zimmermann 2009, 113). Charakteristisch für Special Care Units<br />
und Domus-Einrichtungen sind<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 39
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
o räumliche Trennung (<strong>mit</strong> eigenem Eingang),<br />
o dementengerechte Gestaltung der Umgebung,<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
o spezifische Aufnahme- und Entlassungskriterien für zu Betreuende,<br />
o bessere personelle Ausstattung,<br />
o eigene fachliche Leitung,<br />
o besondere Fortbildung des Personals und<br />
o spezifische Betreuungskonzepte (WOJNAR 2001, 49f. zit. n. Reggentin &<br />
Dettbarn-Reggentin 2006, 37).<br />
Im Folgenden wird aufgeführt, welche Argumente für, beziehungsweise gegen<br />
eine segregative Versorgung sprechen.<br />
Pro segregative Versorgung<br />
In einer segregativen Versorgung erfahren Demenzerkrankte<br />
o Spezialisierung,<br />
o ein therapeutisches Milieu,<br />
o Stressreduktion,<br />
o Reduktion von Psychopharmaka,<br />
o Überschaubarkeit der Gruppe,<br />
o Professionalisierung,<br />
o weniger Überforderung und<br />
o weniger Konfrontation <strong>mit</strong> Gesunden (vgl. Kastner & Löbach 2010, 169).<br />
Zudem ist für das Pflegepersonal kein Schlichten von Konflikten zwischen Ange-<br />
hörigen und Demenzerkrankten nötig, und es besteht für sie kein Rechtfertigungs-<br />
zwang bei Verhaltensauffälligkeiten.<br />
Für Gatterer & Croy ergeben sich aus einer segregativen Betreuung folgende Vor-<br />
teile:<br />
o ein erhöhter Selbst- und Fremdschutz bei aggressivem Verhalten,<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 40
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
o keine geringe Toleranz der MitbewohnerInnen, die bei Verhaltensauffällig-<br />
keiten der Demenzerkrankten oft aggressiv reagieren,<br />
o bauliche Gegebenheiten, die an die Bedürfnisse der dementen Bewohne-<br />
rInnen angepasst sind und ein<br />
o Wegfall vom Suchen der verwirrten BewohnerInnen (vgl. Gatterer & Croy<br />
2005, 147).<br />
Grond führt als positive Aspekte einer segregativen Versorgungsform an, dass<br />
o die Biografien der Demenzerkrankten häufiger erhoben werden und selten<br />
eine Fixation stattfindet,<br />
o Demenzerkrankte mehr Kontakte zu Pflegenden haben und dadurch ihr Ge-<br />
fühlsausdruck im Gesicht positiver wirkt,<br />
o Demenzerkrankte psychiatrisch <strong>mit</strong> mehr Antidementiva und weniger Neu-<br />
roleptika versorgt werden,<br />
o Demenzerkrankte weniger überfordert sind,<br />
o Demenzerkrankte in Kleingruppen gefördert werden und<br />
o das Stationsmilieu einfach und übersichtlich ist (vgl. Grond 2009, 92).<br />
Contra segregative Versorgung<br />
Gegen eine segregative Versorgung spricht für Kastner & Löbach (2010, 169)<br />
o die Gefahr der Abschiebung demenzkranker BewohnerInnen,<br />
o die Förderung der Demenz,<br />
o eine Steigerung der Verhaltensstörungen,<br />
o die Überlastung der MitarbeiterInnen,<br />
o eine Angstauslösung für Demenzerkrankte im leichten Stadium,<br />
o dass leicht Erkrankte und Bettlägerige nur wenig profitieren,<br />
o eine hohe psychische Belastung für die Pflegenden und<br />
o die Notwendigkeit zur psychiatrischen Weiterbildung des Personals.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 41
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Wohnformen in Europa<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
In europäischen Ländern wie den Niederlanden, Frankreich, Schweden, und Eng-<br />
land begann in den 1980er Jahren die Entwicklung demenzgerechter Spezialabtei-<br />
lungen. Diese werden nach amerikanischem Vorbild unter dem Namen Special<br />
Care Units for Dementia (SCU) zusammengefasst und verfolgen segregative An-<br />
sätze. Sie sind maßgeblich für die Entwicklung spezieller Wohnformen in Deutsch-<br />
land (vgl. Zimmermann 2009, 87). In Deutschland werden entsprechende Instituti-<br />
onen als Domus-Einrichtungen bezeichnet. Sie sind vor allem durch das Hambur-<br />
ger Modellprogramm stationäre Dementenbetreuung bekannt, in dem sich diese<br />
Versorgungsform in 30 stationären Einrichtungen etabliert hat (vgl. Reggentin &<br />
Dettbarn-Reggentin 2006, 37). In Österreich gibt es erst vereinzelt spezielle De-<br />
menzeinrichtungen dieser Art (vgl. BMSK 2008, 15f.). Als bekannteste europäi-<br />
sche Wohnkonzepte gelten<br />
o das Anton-Pick-Hofje in den Niederlanden,<br />
o das Cantou Modell in Frankreich,<br />
o das Schweden-Modell,<br />
o Domus-Einheiten in England,<br />
o Sonnweid in der Schweiz sowie<br />
o Haus- und Wohngemeinschaften, die in Deutschland weit verbreitet sind<br />
(vgl. Kastner & Löbach 2010, 172f.).<br />
Nachfolgend soll näher auf die verschiedenen Wohnkonzepte eingegangen wer-<br />
den.<br />
Warme zorg in den Niederlanden<br />
Im Anton-Pick-Hofje in Holland, wird demenziell erkrankten Menschen ermöglicht,<br />
dass sie gemeinsam <strong>mit</strong> ihren selbstständig lebenden PartnerInnen in häuslicher<br />
Atmosphäre, jedoch separaten Wohnbereichen zusammenzuwohnen. Die Betreu-<br />
ung erfolgt ohne feste Tagesstruktur (vgl. Zimmermann 2009, 112). Unter warme<br />
zorg wird ein gelassener Umgang in Bezug auf eine Altersdemenz verstanden<br />
(vgl. Kastner & Löbach 2010, 173).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 42
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Cantou in Frankreich<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Das Cantou Konzept besteht bereits seit den 1960er Jahren Der Name Cantou<br />
leitet sich von Feuerstelle, beziehungsweise Herd ab, da sich das Leben in dieser<br />
Wohnform rund um den Herd abspielt (vgl. Kleiner 2005, 10). Eine sogenannte<br />
Hausfrau nimmt eine zentrale Rolle ein und ist sowohl für hauswirtschaftliche Tä-<br />
tigkeiten als auch für die Pflege von 12 BewohnerInnen zuständig. Die Betreuung<br />
erfolgt unter starker Mitwirkung der Angehörigen (vgl. Kastner & Löbach 2010,<br />
172).<br />
Group living Schweden<br />
Als Group-living werden in Schweden Gruppen bezeichnet, die in normalen<br />
Wohnhäusern wohnen und von Fachpersonen rund um die Uhr betreut werden.<br />
Eine Gruppe besteht aus sechs bis neun demenziell erkrankte BewohnerInnen.<br />
Das Konzept stößt an seine Grenzen, wenn Verhaltensstörungen, oder eine redu-<br />
zierte Kommunikationsfähigkeit auftritt (vgl. Zimmermann 2009, 112).<br />
Domus-Einheiten in England (Großbritannien)<br />
In Domus-Einheiten in England werden demenziell erkrankte Menschen <strong>mit</strong><br />
schweren Verhaltensauffälligkeiten in Form einer 1:1 Betreuung bis an ihr Le-<br />
bensende betreut. Eine Gruppe besteht aus 12 bis 32 demenzerkrankten Bewoh-<br />
nerInnen. Auf die psychischen und emotionalen Bedürfnisse wird größeren Wert<br />
gelegt, als auf die physischen Aspekte (vgl. Kastner & Löbach 2010, 172).<br />
Sonnweid in der Schweiz<br />
In einer sogenannten Pflegeoase leben geistig und körperlich schwer beeinträch-<br />
tigte BewohnerInnen, gemeinsam in einem Mehrpersonenraum (vgl. Skawran<br />
2009, 95). Eine Gruppe besteht aus sechs bis acht BewohnerInnen die völlig auf<br />
die Hilfe Dritter angewiesen sind. In der Schweiz ist das Konzept der Pflegeoasen<br />
zu einem festen Bestandteil geworden (Grond 2009, 92).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 43
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Wohngemeinschaften und Hausgemeinschaften<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Haus- und Wohngemeinschaften für Menschen <strong>mit</strong> Demenz – vor allem für Alz-<br />
heimer Erkrankte – stellen in den letzten Jahren vermehrt eine Alternative zu den<br />
herkömmlichen Pflegeheimen dar und lassen sich einteilen in<br />
o Wohngemeinschaften im stationären Bereich,<br />
o Hausgemeinschaften <strong>mit</strong> zentraler Bezugsperson und<br />
o Pflegewohngemeinschaften (vgl. Kastner & Löbach 2010, 170).<br />
Wohngemeinschaft im stationären Bereich<br />
Unter einer Wohngemeinschaft im stationären Bereich werden teilautonome<br />
Räumlichkeiten <strong>mit</strong> einem familiären Charakter innerhalb des traditionellen Pfle-<br />
geheimes verstanden. In Gruppengrößen von 10 bis 20 BewohnerInnen spielen<br />
hauswirtschaftliche Tätigkeiten eine zentrale Rolle. Vorbild dafür ist das Cantou<br />
Konzept in Frankreich (vgl. Kastner & Löbach 2010, 170f).<br />
Hausgemeinschaft <strong>mit</strong> zentraler Bezugsperson<br />
In der sogenannten Hausgemeinschaft übernehmen tagsüber Haushaltshilfen die<br />
Versorgung von Demenzerkrankten oder älteren unterstützungsbedürftigen Men-<br />
schen. Je nach Betreuungsbedarf, wird diese Funktion von SozialarbeiterInnen<br />
oder HauswirtschafterInnen übernommen und die pflegerische Fürsorge erfolgt<br />
durch hinzugezogene ambulante Pflegedienste. Als Vorbild für diese Wohnform<br />
gilt das Anton-Piek-Hofje Modell in den Niederlanden (vgl. Kastner & Löbach<br />
2010, 170).<br />
Pflegewohngemeinschaften<br />
In einer Gemeinschaft lebende BewohnerInnen werden von einem ambulant be-<br />
schäftigten Pflegedienst betreut, der nach dem Pflegebedarf sämtlicher Personen<br />
berechnet wird. Die Bemessung des Personalschlüssels erfolgt nach Schweregrad<br />
der Pflegebedürftigkeit. Vermieter oder Betreiber der Institution sind Vereine oder<br />
Privatpersonen (vgl. Kastner & Löbach 2010, 171).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 44
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Die nachfolgende Tabelle gibt einen zusammenfassenden Überblick über die sta-<br />
tionären Versorgungsangebote demenziell Erkrankter.<br />
Normales<br />
Heim<br />
Ohne geson-<br />
dertes Konzept<br />
Demenzkranke<br />
und Nicht-<br />
Demenzkranke<br />
werden ge-<br />
meinsamver- sorgt<br />
Integratives Woh-<br />
nen im Heim<br />
Mit gesondertem<br />
Konzept für De-<br />
menzkranke<br />
Demenzkranke und<br />
Nicht-Demenzkranke<br />
werden zum Teil<br />
gemeinsam versorgt<br />
Integratives<br />
Wohnen und<br />
Tagesgruppe<br />
(teilintegrativ)<br />
Mit Tagesgrup-<br />
pe für Demenz-<br />
kranke<br />
Demenzkranke<br />
und Nicht-<br />
Demenzkranke<br />
verbringen nur<br />
bestimmte Zei-<br />
ten gemeinsam<br />
Wohnbereich<br />
<strong>mit</strong> spezieller<br />
Wohngruppe<br />
segregativ (Do-<br />
musprinzip)<br />
eine Eta-<br />
ge/mehrereGe- bäudeteile nur für<br />
demenziell Er-<br />
krankte<br />
Wohngruppe <strong>mit</strong><br />
Milieuorientierung<br />
oder anderen Kon-<br />
zepten<br />
Feste Wohngruppe<br />
für demenziell Er-<br />
krankte<br />
Jeweils selbststän-<br />
dige Einheit <strong>mit</strong> ca.<br />
6-15 BewohnerIn-<br />
nen, in Kleingrup-<br />
pen auch integrativ<br />
<strong>mit</strong> Demenzkranken<br />
durchführbar<br />
Tabelle 6: Übersicht über stationäre Versorgungsangebote für demenziell Erkrank-<br />
te<br />
Quelle: in Anlehnung an Reggentin & Dettbarn-Reggentin 2006, 35.<br />
Die in Hamburg durchgeführte Studie Besondere und traditionelle stationäre<br />
Betreuung demenzkranker Menschen im Vergleich soll im Folgenden vorgestellt<br />
werden. Sie ermöglicht einen Einblick in die verschiedenen Wohnalternativen und<br />
deren Auswirkungen auf die Betroffenen und ihr Umfeld (vgl. Stoppe & Stiens<br />
2009, 22).<br />
4.4 Studie zur Dementenbetreuung in Hamburg<br />
Im deutschsprachigen Raum wurde in den Jahren 2001 bis 2003 die erste und<br />
seither einzige, umfangreiche und kontrollierte Längsschnittstudie, zu den Auswir-<br />
kungen besonderer stationärer Betreuungsformen durchgeführt. Die Studie Be-<br />
sondere und traditionelle stationäre Betreuung demenzkranker Menschen im Ver-<br />
gleich, wurde im Jahre 2005 von Siegfried Weyerer, Martina Schäufele und Ingrid<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 45
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Hendelmeier aufgezeichnet und in der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie<br />
publiziert (vgl. Weyerer et al. 2005, 4). Ausgangslage für die Studie bildete das<br />
von 1991 bis 1993 durchgeführte Hamburger Modellprogramm stationäre Demen-<br />
tenbetreuung.<br />
Das Modellprogramm stationäre Dementenbetreuung (1991-1993)<br />
Bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Wohnkonzepte für demenzerkrankte<br />
BewohnerInnen spielen die in Hamburg erhaltenen Erkenntnisse, eine maßgebli-<br />
che Rolle (vgl. Stoppe & Stiens 2009, 22). Da sich die Heimsituation durch eine<br />
immer größer werdende Zahl demenzerkrankter BewohnerInnen gravierend ver-<br />
ändert hatte, beschloss der Hamburger Senat im Jahre 1991 die Einrichtung eines<br />
Dementenprogrammes, das die Bezeichnung Modellprogramm stationäre Demen-<br />
tenbetreuung erhielt. Ziel war es, belastende Situationen, die vor allem durch Ver-<br />
haltensveränderungen bei <strong>mit</strong>telschweren und schweren Demenzen hervorgeru-<br />
fen werden, für alle Beteiligten zu verbessern (vgl. Stoppe & Stiens 2009, 22). Das<br />
Modellprogramm hatte eine Laufzeit von drei Jahren (1991 bis 1993) und es betei-<br />
ligten sich insgesamt 17 Hamburger Pflegeheime daran (vgl. Reggentin & Dett-<br />
barn-Reggentin 2006, 44). Für die zugelassenen Träger wurde der Personal-<br />
schlüssel für drei Jahre auf insgesamt 60 Pflegepersonalstellen erhöht, zusätzlich<br />
wurden die verschiedenen Einrichtungen modellhaft umgestaltet (vgl. Bruder<br />
2001, 17). Sämtliche Institutionen, die am Modellprogramm teilnahmen, erhielten<br />
den Auftrag, eigene Konzepte zu entwickeln (vgl. Reggentin & Dettbarn-Reggentin<br />
2006, 44). Es entstanden folgende Versorgungsangebote:<br />
o eine 24h Betreuung für demenzerkrankte BewohnerInnen innerhalb eines<br />
speziellen Wohnbereichs<br />
o eine konstante Gruppe demenzerkrankter BewohnerInnen, die tagsüber für<br />
eine bestimmte Zeitspanne außerhalb des Wohnbereichs betreut wurden<br />
o offene Angebote für demente und nicht demente BewohnerInnen (vgl. Kel-<br />
lerhof & Cappell 2004, 4)<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 46
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Das Modellprogramm endete im Jahre 1993 <strong>mit</strong> dem Ergebnis, dass sich sämtli-<br />
che Betreuungsformen durchwegs positiv auf demenzerkrankte BewohnerInnen,<br />
sowie auf andere HeimbewohnerInnen und das Pflegepersonal auswirken. Grund-<br />
sätzlich wurde eine 24-Stunden Betreuung innerhalb eines speziellen Wohnbe-<br />
reichs <strong>mit</strong> einem erhöhten Personalschlüssel empfohlen (vgl. Kellerhof & Cappell<br />
2000, 4).<br />
Fortsetzung und Ausbau der besonderen Betreuung und Pflege Dementer<br />
(ab 1997)<br />
In Hinblick auf die erfreulichen Resultate des Modellprogramms, entschied sich<br />
der Hamburger Senat im Jahre 1997 das Modell fortzusetzen und die Versorgung<br />
für BewohnerInnen <strong>mit</strong> fortgeschrittener Demenz und ausgeprägten Verhal-<br />
tensauffälligkeiten auszubauen. Demgemäß wurden 750 Betreuungsplätze de-<br />
mentengerecht umgestaltet und es entstanden folgende zwei Wohnkonzepte:<br />
o das segregative Versorgungskonzept (Domusprinzip), in dem ausschließ-<br />
lich demenzerkrankte BewohnerInnen in einem Wohnbereich wohnen und<br />
rund um die Uhr eine besondere Betreuung erhalten und<br />
o das teilintegrative Versorgungskonzept (Integrationsprinzip), in dem Be-<br />
wohnerInnen <strong>mit</strong> und ohne Demenz im gleichen Wohnbereich leben, tags-<br />
über jedoch über einen bestimmten Zeitraum ein spezielles Betreuungsan-<br />
gebot in einem eigens dafür vorgesehenen Wohnbereich erhalten (vgl.<br />
Stoppe & Stiens 2009, 22)<br />
Die Auswahl der 750 Betreuungsplätze erfolgte nach einem transparenten Aus-<br />
wahlverfahren (Öffentliche Bekanntgabe). Die nötigen Rahmenvereinbarungen<br />
(siehe Tabelle 7) für die besondere stationäre Dementenbetreuung in Hamburg,<br />
wurden von den Anbieterverbänden, den Pflegekassen und der Sozialbehörde<br />
festgelegt.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 47
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Die folgende Übersicht stellt die wesentlichen Bedingungen der Rahmenvereinba-<br />
rung dar:<br />
Thema Inhalt Operationalisierung<br />
Zielgruppe<br />
Grundsätze der<br />
Betreuung<br />
Betreuungsform<br />
Raumausstattung<br />
Personalausstattung<br />
Stark verhaltensauffällige Demente,<br />
die in normaler Pflege kaum oder<br />
gar nicht angemessen zu versorgen<br />
sind.<br />
Der Lebensraum und die Tagesges-<br />
taltung müssen an die Bedürfnisse<br />
der Bewohner angepasst sein.<br />
Die Einrichtung entwirft hierzu ein<br />
umfassendes Konzept.<br />
Domus-Prinzip:<br />
Die Teilnehmer wohnen zusammen<br />
in einem Wohnbereich und werden<br />
rundum-die-Uhr nach bestimmten<br />
Prinzipien betreut.<br />
Integrations-Prinzip:<br />
Die Teilnehmer wohnen verstreut in<br />
der Einrichtung und werden über<br />
eine bestimmte Zeit des Tages ge-<br />
meinsam betreut.<br />
Die Räumlichkeiten erfordern eine<br />
Anpassung an die Bedürfnisse der<br />
demenzkranken BewohnerInnen.<br />
Grundsätze für die Er<strong>mit</strong>tlung des<br />
Personalbedarfs<br />
Demenz durch MMST<br />
Verhaltensauffälligkeit durch Co-<br />
hen-Mansfield-Agitation-Inventory<br />
Beachtung der Biographie<br />
Pflegedokumentation<br />
Pflegeplanung<br />
angepasster Tagesablauf<br />
konstantes Verhalten des Perso-<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 48<br />
nals<br />
Fallbesprechungen <strong>mit</strong> Geron-<br />
topsychiatern<br />
mindestens durchgehend fünf<br />
Tage/Woche acht Stunden<br />
Gruppenraum<br />
Rückzugsmöglichkeiten<br />
Platz zum Wandern<br />
geräumige Sanitäranlagen<br />
Hinweise zur Gestaltung<br />
eine anwesende Pflegekraft<br />
je acht Bewohner<br />
Leitung <strong>mit</strong> besonderer Fortbil-<br />
dung<br />
Weiterbildung für alle neu Anfan-
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Begrenzung des<br />
Angebotes auf eine<br />
bestimmte Platzzahl<br />
Die Berufsvereinigung von Arbeitge-<br />
bern für Gesundheits- & Sozialberu-<br />
fe geht von einem Bedarf von 750<br />
Plätzen für die oben genannte Ziel-<br />
gruppe aus.<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
genden<br />
Regelmäßige Weiterbildungen<br />
Tabelle 7Rahmenbedingungen für die besonere stationäre Dementenbetreuung<br />
Quelle: in Anlehnung an Kellerhof & Cappell 2000, 5f.<br />
Evaluation der besonderen stationären Dementenbetreuung in Hamburg<br />
Nach der Etablierung der speziellen Wohnformen in Hamburg, wurde die Arbeits-<br />
gruppe Psychogeriatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim<br />
unter der Leitung von Professor Dr. Siegfried Weyerer <strong>mit</strong> der Evaluierung des<br />
Modellprogrammes beauftragt (vgl. Zimmermann 2009, 114). Für die Evaluations-<br />
studie der besonderen stationären Dementenbetreuung in Hamburg wurde ein<br />
Längsschnitt-Vergleichsgruppen Design <strong>mit</strong> zwei Erhebungspunkten im Abstand<br />
von einem halben Jahr gewählt.<br />
Untersuchungspopulation<br />
Im Rahmen der Studie, wurde die Situation von demenzerkrankten BewohnerIn-<br />
nen in Hamburger Einrichtungen systematisch <strong>mit</strong> einer Kontrollgruppe aus Mann-<br />
heimer Altenpflegeheimen verglichen. Insgesamt nahmen 28 Hamburger Mo-<br />
delleinrichtungen, <strong>mit</strong> 594 BewohnerInnen teil. Als Vergleichsgruppe, wurden de-<br />
menzerkrankte BewohnerInnen aus einer Zufallsstichprobe von elf Mannheimer<br />
Altenpflegeheimen ausgesucht, von denen 573 Personen die Hamburger Kriterien<br />
erfüllten, also verhaltensauffällig und mobil waren. Die Mannheimer Gruppe wurde<br />
ausschließlich traditionell integrativ versorgt und erhielt weder spezielle Aktivie-<br />
rungsangebote, noch erfolgte eine zusätzliche personelle oder bauliche Verände-<br />
rung (vgl. Weyerer et al. 2005, 5).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 49
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Fragestellung und Ziele des Vorhabens<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Im Rahmen der Studie wurden folgende Fragestellungen untersucht:<br />
o Wie unterscheiden sich die Hamburger Gruppen, die segregativ (Do-<br />
musprinzip), beziehungsweise teilsegregativ (Integrationsprinzip) betreut<br />
werden voneinander?<br />
o Welche Unterschiede lassen sich zwischen Demenzerkrankten der beson-<br />
deren Versorgung (Hamburg) und einer vergleichbaren Gruppe, die traditi-<br />
onell integrativ versorgt wird (Mannheim) feststellen?<br />
o Wie unterscheiden sich Arbeitsbelastung und psychische Verfassung der<br />
Pflegenden in der besonderen Dementenbetreuung, im Vergleich zu Pfle-<br />
genden in traditionell integrativen Einrichtungen (vgl. Weyerer et al. 2005,<br />
16)<br />
Laut Aussage der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie am Zentralinstitut für Seelische<br />
Gesundheit in Mannheim unterscheiden sich demenzkranke BewohnerInnen in<br />
Hamburger Modelleinrichtungen im Querschnitt signifikant von BewohnerInnen in<br />
traditionellen Altenpflegeheimen. Um die Forschungsfragen beantworten zu kön-<br />
nen, wurden von ihnen die nachfolgenden fünf Hypothesen aufgestellt.<br />
Im Vergleich zur Referenzgruppe in traditionellen Altenpflegeheimen<br />
o weisen sie eine bessere Lebensqualität auf;<br />
o werden häufiger psychiatrisch versorgt;<br />
o ist die nicht sachgerechte Einnahme von Medikamenten (nach Beers et al.)<br />
niedriger;<br />
o werden freiheitseinschränkende Maßnahmen seltener angewandt;<br />
o werden Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals als weniger belastend er-<br />
lebt (vgl. Weyerer 2010, 26).<br />
Die verschiedenen methodischen Zugänge zur Messung der Lebensqualität waren<br />
die Selbstbeurteilung der Demenzerkrankten, eine systematische Beobachtung<br />
durch geschulte BeobachterInnen (beispielsweise Dementia Care Mapping) und<br />
Beurteilungen durch das Pflegepersonal (vgl. Weyerer 2010, 16).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 50
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Ergebnisse<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Vergleich teilintegrative und segregative Versorgung in Hamburg<br />
Im Vergleich zwischen dem teilintegrativen und dem segregativen Versorgungs-<br />
konzept, ergaben sich für die BewohnerInnen die nachfolgend angeführten Vor-<br />
und Nachteile.<br />
Vorteile der teilintegrativen Versorgung (Integrationsprinzip) gegenüber der<br />
segregativen Versorgung<br />
Sowohl die Besuchshäufigkeit (56,1% versus 33,7%) als auch die Einbindung in<br />
die Pflege und Betreuung (74,0% versus 62,8%) waren in der teilintegrativen<br />
Wohnform höher als in der segregativen Versorgungsform (vgl. Zimmermann<br />
2009, 115). Signifikante Unterschiede ergaben sich im Bereich der Aktivitäten, da<br />
bei den BewohnerInnen des Integrationsprinzip eine häufigere Teilnahme an den<br />
Aktivitäten erfolgte als bei den BewohnerInnen des Domusprinzips. Folgende Akti-<br />
vitäten standen beiden Gruppen zur Verfügung:<br />
o Heimveranstaltungen (71,4% versus 53,5%)<br />
o Aktivitäten außerhalb der Einrichtung (76,4% versus 64,1%)<br />
o Körperliche Aktivierung (93,0% versus 72,9%)<br />
o Gedächtnistraining (84,2% versus 55,3%)<br />
o Gruppenangebote (91,7% versus 72,9%)<br />
o Einzelbetreuung (75,0 versus 60,3%) (vgl. Weyerer et al. 2005, 6)<br />
Vorteile der segregativen Versorgung (Domusprinzip) gegenüber der teilin-<br />
tegrativen Versorgung<br />
Bei der segregativen Wohnform wurden häufigere Biographieerhebungen (83,4%<br />
versus 69,6%) festgestellt und es erfolgte eine höhere gerontopsychiatrische Be-<br />
handlung (67,0% versus 52,0%). Insgesamt wurden mehr Antidementiva und An-<br />
tidepressiva (80,6% versus 69,3%) verabreicht, dafür weniger Neuroleptika<br />
(37,3% vs. 47,8%). Die Vor- und Nachteile beider Versorgungskonzepte sind<br />
nachfolgend in einer Übersicht zusammengestellt.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 51
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Angehörige:<br />
•Besuchshäufigkeit<br />
•Einbindung in Pflege und<br />
Betreuung<br />
Aktivitätenrate<br />
Dekubitusrate<br />
Biographie erhoben<br />
gerontopsychiatrische Behand-<br />
lung<br />
Psychopharmakaeinnahme<br />
•Antidementiva,Antidepressiva<br />
•Neuroleptika<br />
häufiger<br />
häufiger<br />
häufiger<br />
häufiger<br />
seltener<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
häufiger<br />
häufiger<br />
insgesamt<br />
häufiger<br />
niedriger<br />
Tabelle 8: Vorteile teilintegrative und segregative Versorgung<br />
Quelle: vgl. Weyerer et al. 2005, 6.<br />
Vergleich der Situation Demenzerkrankter in der besonderen Dementen-<br />
betreuung in Hamburg und der traditionellen Versorgung in Mannheim<br />
In Bezug auf die Lebensqualität fanden sich deutliche Unterschiede in der beson-<br />
deren Dementenbetreuung in Hamburg im Vergleich zu der traditionell integrativen<br />
Versorgung in Mannheim. Den Hypothesen entsprechend war die besondere De-<br />
mentenbetreuung der traditionellen Versorgung gegenüber in vielen Bereichen<br />
überlegen. Die Ergebnisse sollen anhand der nachfolgenden Aspekte aufgezeigt<br />
werden. (vgl. Weyerer 2005, 6).<br />
Bei BewohnerInnen der besonderen Dementenbetreuung erfolgen<br />
o eine stärkere Einbindung der Angehörigen und Ehrenamtlichen (32,6 %<br />
versus 17,3%) als bei der traditionellen Versorgung,<br />
o mehr Sozialkontakte zum Pflegepersonal (49,7% versus 40,0%) als bei der<br />
traditionellen Versorgung,<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 52
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
o im Gesichtsausdruck sind häufiger positive Gefühle wie Interesse (49,3%<br />
versus 29,8%) und Freude (36,4% versus 26,0%) festzustellen als bei Be-<br />
wohnerInnen der traditionellen Versorgung,<br />
o es finden weniger freiheitsentziehende Maßnahmen wie Bettgitter (22,0%<br />
versus 40,1%) und Fixierung <strong>mit</strong> Gurt oder Stecktisch (7,3% versus 19, 1%)<br />
statt als bei der traditionellen Versorgung außerdem erhalten die Bewohner<br />
der besonderen Dementenbetreuung<br />
o eine bessere gerontopsychiatrische Versorgung (60,9% versus 35,3%) als<br />
diejenigen der traditionellen Versorgung (vgl. Weyerer 2005 5f.).<br />
Veränderungen im zeitlichen Verlauf der traditionell integrativen Versorgung<br />
Mannheim im Vergleich zu der besonderen Betreuung in Hamburg<br />
Entgegen den Erwartungen der Arbeitsgruppe rund um Professor Doktor Siegfried<br />
Weyerer nahmen die Verhaltensauffälligkeiten der traditionell integrativ versorgten<br />
BewohnerInnen in Mannheim im zeitlichen Verlauf stärker ab als bei den Demenz-<br />
kranken der besonderen Betreuung in Hamburg (vgl. Weyerer et al. 2005, 9).<br />
Vergleich der Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen des Pflegeper-<br />
sonals in Hamburg und Mannheim<br />
In Hamburg nahmen an der schriftlichen Mitarbeiterbefragung 21 von insgesamt<br />
31 Einrichtungen teil. In Mannheim beteiligten sich sämtliche 11 traditionell inte-<br />
grativen Institutionen an der Mitarbeiterbefragung. Die Arbeitssituation wurde – <strong>mit</strong><br />
Ausnahme des sozialen Klimas – von den Pflegenden in der besonderen Demen-<br />
tenbetreuung signifikant günstiger bewertet, als von den Beschäftigten der traditi-<br />
onellen Institutionen. Grund dafür waren vor allem die Umgebungsfaktoren, die<br />
dazu beigetragen haben, das herausfordernde Verhalten der demenzerkrankten<br />
BewohnerInnen zu reduzieren. Bei den Pflegenden in der besonderen Dementen-<br />
betreuung war zudem die Häufigkeit der depressiven Symptomatik erheblich ge-<br />
ringer als bei den Pflegenden der traditionell integrativen Versorgung (vgl. Weye-<br />
rer 2005, 18).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 53
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Umsetzung und Schlussfolgerungen<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Die Studie liefert eindeutige Hinweise, dass besondere Betreuungsformen für de-<br />
menziell erkrankte BewohnerInnen <strong>mit</strong> herausforderndem Verhalten gegenüber<br />
einer traditionellen Versorgung eine Reihe von Vorteilen haben. Dass Angehörige<br />
und Ehrenamtliche häufiger in die Pflege und Betreuung eingebunden werden<br />
zählen ebenso dazu wie die häufigeren Sozialkontakte demenzkranker Bewohne-<br />
rInnen zu den Pflegenden. Außerdem sind im Gefühlsausdruck der demenzer-<br />
krankten BewohnerInnen vermehrt Interesse und positive Gefühle festzustellen<br />
und die Aktivitätenrate innerhalb und außerhalb der Einrichtungen ist höher. Als<br />
weiterer positiver Effekt wurden weniger freiheitsentziehende Maßnahmen und<br />
eine bessere gerontopsychiatrische Versorgung nachgewiesen. Die hohe Arbeits-<br />
zufriedenheit der Pflegenden in der besonderen Dementenbetreuung ergibt sich<br />
aus einem erhöhten Personalschlüssel und den Qualifizierungen der Pflegeperso-<br />
nen (vgl. Zimmermann 2009, 126f.).<br />
Für die Verfasser der Studie wäre ein wichtiger nächster Schritt, hypothesengelei-<br />
tet zu überprüfen, in welchem Umfang sich die einzelnen Bausteine – wie bei-<br />
spielsweise ein höherer Personalschlüssel – auch in der traditionell integrativen<br />
Versorgung der demenzerkrankten BewohnerInnen auswirken (vgl. Weyerer et<br />
al.2005, 9).<br />
Vergleichsmöglichkeiten der Hamburger Studie zu anderen Studien<br />
Im deutschsprachigen Raum gibt es neben der Hamburger Studie kaum ver-<br />
gleichbare wissenschaftliche Arbeiten. Am ehesten lässt sich das Modellprojekt<br />
Einführung milieutherapeutisch orientierter Demenzgruppen im stationären Be-<br />
reich da<strong>mit</strong> vergleichen (vgl. Weyerer et al. (2004) zit. n. Zimmermann 2009, 120).<br />
Ziel des Modellprojektes war es, in der Langzeitpflege einen Beitrag zu einer ver-<br />
besserten Versorgung von BewohnerInnen <strong>mit</strong> einer <strong>mit</strong>telschweren Demenz zu<br />
leisten (vgl. Zimmermann 2009, 120). Die Ergebnisse der Evaluationsstudie unter-<br />
schieden sich kaum von denen der Hamburger Studie. Ihnen fehlt es jedoch an<br />
Aussagekraft, da durch die niedrige Anzahl der untersuchten BewohnerInnen nur<br />
eine stark eingeschränkte quantitative Auswertungsmöglichkeit besteht<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 54
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
5 Aufbau eines speziellen Versorgungskonzeptes im<br />
Pflegeheim Götzis<br />
5.1 Ausgangslage<br />
Der größte Risikofaktor für eine Demenzerkrankung stellt das Alter dar. Laut Ex-<br />
pertenschätzungen liegt in Österreich die Zahl der an Demenz erkrankten Men-<br />
schen bei über 100.000 (vgl. BMASK 2008, 1). In einer bundesdeutschen Studie<br />
konnte gezeigt werden, dass Demenzerkrankungen <strong>mit</strong> 43% der Hauptgrund für<br />
eine Heimaufnahme sind (BMASK 2008, 9). Auch im Pflegeheim der Gemeinde<br />
Götzis in Vorarlberg, macht sich der demografische Wandel stark bemerkbar,<br />
denn der Anteil an demenziell erkrankten BewohnerInnen liegt inzwischen bei<br />
80%. In Götzis weist die Langzeitpflege einen traditionell integrativen Charakter<br />
auf, das heißt, Menschen <strong>mit</strong> und ohne Demenz werden gemeinsam in einer<br />
Wohngruppe betreut (vgl. Reggentin 2006, 34f.). Der hohe Anteil an demenzkran-<br />
ken BewohnerInnen und die immer geringer werdende Anzahl an nicht demenz-<br />
kranken BewohnerInnen führen derzeit vor allem im Wohnbereich Zwurms1 zu<br />
regelmäßigen Konfliktsituationen. Dies lässt die bisherige Wohnform an ihre Gren-<br />
zen stoßen und stellt so die altbewährte Wohngruppenform in Frage (vgl. Bischof<br />
2006, 35). Vor dem Hintergrund dieser Problematik wurde nach einer geeigneten<br />
Versorgungsform recherchiert, die – an die Bedürfnisse der BewohnerInnen <strong>mit</strong><br />
Demenz angepasst – im Wohnbereich Zwurms1 eingeführt werden soll.<br />
Kurzbeschreibung der Ausgangslage<br />
Ausgangslage für die Literaturarbeit ist die unzufriedenstellende gegenwärtige<br />
Wohnsituation im Wohnbereich Zwurms1.<br />
Vorstellung der Einrichtung<br />
Das Götzner Pflegeheim ist eines von 49 Pflegeheimen in Vorarlberg und im Haus<br />
der Generationen dessen Träger die Marktgemeinde ist, angesiedelt. Im Haus der<br />
Generationen, findet tagtäglich über verschiedene Betreuungsangebote ein buntes<br />
Miteinander der Generationen statt. Vor rund vier Jahren wurde gleichzeitig <strong>mit</strong><br />
der Generalsanierung des inzwischen 30 Jahre alten Haustraktes der Neubau des<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 55
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Pflegeheims eröffnet. Das Pflegeheim bietet 74 BewohnerInnen ein Daheim und<br />
ist über zwei Geschoße, in vier Wohnbereiche für jeweils 18 BewohnerInnen auf-<br />
geteilt. Die Wohnbereiche sind nach außen offen und die BewohnerInnen können<br />
sowohl den Wohnbereich als auch das Haus jederzeit verlassen. Die Betreuung<br />
der BewohnerInnen ist nach dem integrativen Pflegekonzept von Maria Riedl,<br />
ausgerichtet (Riedl 2006, 15f.). Es handelt sich dabei um ein ganzheitliches<br />
Betreuungskonzept, bei dem die Förderung des Selbsthilfepotenzials der Bewoh-<br />
nerInnen sowie die Biografiearbeit im Mittelpunkt stehen. Jeder der vier Wohnbe-<br />
reiche, die nach Götzner Aussichtspunkten benannt sind, hat ein fest zugeordne-<br />
tes Mitarbeiterteam.<br />
Vorstellung des Wohnbereiches Zwurms 1<br />
Der Wohnbereich Zwurms 1 befindet sich in der ersten Etage des neuen Traktes.<br />
Ein großer offener, lichtdurchfluteter Aufenthaltsraum <strong>mit</strong> einer integrierten Kü-<br />
chenzeile bildet das Zentrum des Wohnbereichs und ist <strong>mit</strong> allen Bewohnerzim-<br />
mern verbunden. Der <strong>mit</strong> Sichtbeton modern gehaltene Aufenthaltsraum, in dem<br />
die Mahlzeiten gemeinsam <strong>mit</strong> sämtlichen BewohnerInnen eingenommen werden,<br />
ist tagsüber von Präsenzkräften (Heimhilfen) besetzt. Zum Wohnbereich gehört<br />
eine große Terrasse. Ein langer, heller Gang verbindet den Neubau <strong>mit</strong> dem Alt-<br />
bau. Im Aufenthaltsbereich verteilt stehen Sofas und Sitzgelegenheiten, die von<br />
den Demenzerkrankten gerne für eine Rast in Anspruch genommen werden. Er-<br />
klärungstafeln, Gegenstände und Kalender geben Orientierung.<br />
5.2 Probleme durch herausfordernde Verhaltensweisen<br />
So einzigartig jeder Mensch ist, so ist auch sein Demenzverlauf. Nicht jedes Ver-<br />
halten muss bei allen Demenzerkrankten auftreten. Gewisse Verhaltensweisen<br />
wie Aggression, Weglaufen und ständiges Rufen, kommen jedoch bei <strong>mit</strong>tleren<br />
und schweren Stadien der Demenz gehäuft vor und stellen sowohl die Betreuen-<br />
den als auch die MitbewohnerInnen der demenzerkrankten BewohnerInnen vor<br />
große Herausforderungen (vgl. Haberstroh et al. 2011, 78). Um einen Einblick in<br />
die Problematik des Wohnbereichs Zwurms1 zu erhalten, sollen nachfolgend jene<br />
Situationen präzisiert werden, die durch herausfordernde Verhaltensweisen ent-<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 56
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
stehen und <strong>mit</strong> Hilfe eines geeigneten Versorgungskonzeptes gelöst werden sol-<br />
len.<br />
Beschreibung der BewohnnerInnen des Wohnbereichs Zwurms1<br />
Anhand der verschiedenen Demenzstadien sollen jene BewohnerInnen erfasst<br />
werden, die für eine spezielle Versorgung in Frage kommen (vgl. Bär 2010, 250).<br />
Im Wohnbereich Zwurms1 findet bei 75% der BewohnerInnen eine demenzielle<br />
Entwicklung statt. Von insgesamt 18 BewohnerInnen befinden sich fünf Bewohne-<br />
rInnen im Stadium der leichten beziehungsweise <strong>mit</strong>tleren Demenz, zwei Bewoh-<br />
nerinnen leiden an einer schweren Demenz. Sämtliche BewohnerInnen im <strong>mit</strong>tle-<br />
ren Demenzstadium wurden <strong>mit</strong> Hilfe eines Mini-Mental-Status-Test (MMST) nach<br />
Folstein gerontopsychiatrisch abgeklärt. Um eine erste Übersicht darüber zu erhal-<br />
ten, in welcher Demenzstufe sich die BewohnerInnen befinden, wurde der Bogen<br />
zur Erfassung der Demenz aus der Literatur von Marion Bär verwendet. Der Bo-<br />
gen ist im Rahmen des Projekts neue Betreuungsmodelle entstanden und soll im<br />
Anschluss vorgestellt werden (Bär, 2010, 251).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 57
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Einschätzungsbogen zur Erfassung des Demenzstadiums<br />
Grad der Beeinträchtigung Anzeichen<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Leichte Demenz Erkennbare Beeinträchtigung des Gedächtnisses, vor<br />
allem bei Ereignissen, die gerade erst vergangen sind<br />
(Beispiel Verlegen von Gegenständen, Vergessen von<br />
Terminen).<br />
Hin und wieder sind Schwierigkeiten in der Orientierung<br />
erkennbar, vor allem im Bereich der zeitlichen Orientie-<br />
rung (welcher Tag ist heute? Welches Jahr?) und der<br />
örtlichen Orientierung (in welcher Ortschaft befinde ich<br />
mich?).<br />
Schwierigkeiten treten auf bei Tätigkeiten und Freizeitbe-<br />
schäftigungen, die kompliziert und nicht vertraut sind.<br />
Es besteht noch kaum Hilfebedarf bei der Körperpflege<br />
und beim Ankleiden.<br />
Mittelgradige Demenz Ernsthafte Beeinträchtigung des Gedächtnisses. Nur<br />
sehr gut gelerntes Material wird behalten.<br />
Es können keine Angaben mehr darüber gemacht wer-<br />
den, wo man lebt und welches Datum/Jahr gerade ist.<br />
Auch vertraute Tätigkeiten/Freizeitbeschäftigungen kön-<br />
nen, wenn sie kompliziert sind, nicht mehr problemlos<br />
ausgeübt werden (Beispiel: eine Bewohnerin, die ihr<br />
Leben lang viel gestrickt hat, kommt <strong>mit</strong> Nadel und Fa-<br />
den nicht mehr zurecht).<br />
Bei der Körperpflege und beim Ankleiden wird Aufsicht<br />
und teilweise Unterstützung nötig.<br />
Schwere Demenz Schwere Beeinträchtigung des Gedächtnisses. Selbst<br />
nahestehende Personen werden oft nicht erkannt.<br />
Auch einfache, gut eingeübte Tätigkeiten wie beispiels-<br />
weise die Einnahme der Mahlzeiten können ohne Unter-<br />
stützung nicht mehr bewältigt werden.<br />
Bei der Grundpflege wird umfassende Unterstützung<br />
benötigt.<br />
Tabelle 9: Einschätzungsbogen zur Erfassung der Demenz<br />
Quelle: Bär 2010, 251.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 58
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Spezifische Verhaltensweisen<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Bei den BewohnerInnen des Wohnbereichs Zwurms1 zeigt sich folgende De-<br />
menzsymptomatik:<br />
Sieben BewohnerInnen weisen folgende kognitiven Symptome auf:<br />
o Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus – Schlafstörungen (2)<br />
o Mobilitätseinschränkungen (6)<br />
o Harninkontinenz (7)<br />
o Schluck- und Essstörungen (2)<br />
Drei BewohnerInnen weisen folgende psychischen Symptome auf:<br />
o Angst (1)<br />
o Depressivität (1)<br />
o Halluzinationen (1)<br />
Sieben BewohnerInnen weisen folgende herausfordernden Verhaltensweisen auf:<br />
o Unruhe (2)<br />
o Weglaufen (1)<br />
o Rufen (1)<br />
o Aggressionen (1)<br />
o Schlafstörungen (2)<br />
o Antriebbsstörungen (1)<br />
o Gegenstände verstecken (1)<br />
o Wandern (2)<br />
Die folgenden Beispiele sollen die <strong>aktuell</strong>e Situation und Problematik und deren<br />
Ursachen und Auswirkungen im Wohnbereich Zwurms1 wiedergeben, die durch<br />
das Zusammenleben der BewohnerInnen <strong>mit</strong> und ohne Demenz entsteht.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 59
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Alltag in Zwurms1<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Die Fallbeispiele wurden von der Verfasserin selbst erlebt und beschrieben. Es<br />
sind Gegebenheiten, die jeden Tag – manchmal mehrmals am Tag – vorkommen.<br />
Quelle: Privatarchiv<br />
Frau L. wandert und wandert<br />
Es ist sieben Uhr morgens und Dienstwechsel. Frau L. wandert von einem Ende<br />
des Ganges zum anderen. Die Nachschwester informiert, dass sie schon seit drei<br />
Stunden unterwegs ist. Jeder der ihr im Wohnbereich begegnet und sie begrüßt,<br />
wird kurz von ihr zur Kenntnis genommen. Manchmal lächelt sie und nimmt dann<br />
ihren Weg sogleich wieder auf. Lift und Treppenhaus werden vom Pflegepersonal<br />
<strong>mit</strong> Blumenstöcken etwas verdeckt gehalten, sämtliche Stiegen im Haus sind <strong>mit</strong><br />
kleinen Türen verschlossen. Trotzdem ist das Team ständig auf der Suche nach<br />
Frau L. und macht sich Sorgen, wenn sie wieder einmal nicht auffindbar ist. Es<br />
kommt immer wieder vor, dass Frau L. es schafft, die Stiegentüre selbst zu öffnen,<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 60
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
oder sie begleitet fremde Besucher, die in Richtung Ausgang gehen und verlässt<br />
so meist unbemerkt das Haus. Frau L. hat früher in einer Nachbargemeinde von<br />
Götzis gewohnt. Den Weg dorthin kennt sie noch, die Bedeutung einer roten Am-<br />
pel ist ihr jedoch verloren gegangen. Dies hat laut Passanten schon zu gefährli-<br />
chen Situationen auf der Straße geführt hat. Gegen 19 Uhr geht sie zu Bett und<br />
schläft dann meistens bis um fünf Uhr morgens. Dann wandert sie wieder weiter.<br />
Symptomatik<br />
o umherwandern<br />
o weglaufen<br />
Auswirkungen der Weglauftendenz<br />
o Belastung für Mitarbeiter<br />
o Sorge für Angehörige und Pflegepersonen<br />
o Gefahr für die Betroffene<br />
Frau L. wandert weiter<br />
Das Pflegeteam hat die Tochter von Frau L. gebeten, Hausanzüge für ihre Mutter<br />
zu bringen, da<strong>mit</strong> sie bei ihrer Wanderung im leichten Nachthemd nicht friert. In<br />
ihrer Mobilität ist Frau L. nicht eingeschränkt, sie ist körperlich fit und hat Ausdau-<br />
er. Sie hat keine Zeit für eine Morgenwäsche oder das Anziehen der Tagesklei-<br />
dung. Trotzdem ist sie im Laufe des Vor<strong>mit</strong>tags in Hose und Pullover unterwegs,<br />
denn jede Mitarbeiterin des Pflegeteams zieht Frau L., wenn sie bereit dafür ist,<br />
ein Kleidungsstück mehr an. Bis sie fertig angekleidet ist.<br />
Symptomatik<br />
o umherwandern<br />
Auswirkungen<br />
o Belastung für Mitarbeiter (tägliche Pflege, ankleiden) worin zeigt sich kon-<br />
kret die Belastung?<br />
Keine Zeit zum Essen<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 61
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Frau K. tagsüber beinahe ohne Unterbrechung unterwegs. Manchmal trifft sie Frau<br />
L., die ebenfalls wandert. Sie nehmen kurz Kenntnis voneinander ohne stehen zu<br />
bleiben. Dazwischen macht sie Ruhepausen auf einem Sofa oder setzt sich auf<br />
einen Stuhl- es muss kein bestimmter sein. Es kommt oft vor, dass ihr jemand<br />
vom Pflegeteam einen kleinen Tisch dorthin stellt, wo sie sich gerade niedergelas-<br />
sen hat. Dann isst sie.<br />
Symptomatik<br />
o fehlendes Interesse am Essen, Ablenkung oder Konzentrationsstörung<br />
Auswirkungen<br />
o Gewichtsabnahme<br />
Verschlossene Zimmertüren<br />
Frau N. ist wütend. Sie möchte, dass ihr Zimmer abgesperrt wird. In ihrer Nasszel-<br />
le ist eine große Pfütze. Ihre Unterwäsche wurde dafür zum Aufwischen benutzt.<br />
Außerdem fehlen ihre Hausschuhe. Diejenigen, die vor ihrem Bett stehen, sind ihr<br />
viel zu groß. Sie sagt, dass sie schon weiß, wer die Übeltäterin ist.<br />
Symptomatik<br />
o Betreten fremder Zimmer, benützen fremder Gegenstände<br />
Auswirkungen<br />
o Ärger und verbale Ausfälligkeiten bei den MitbewohnerInnen<br />
Unverständnis<br />
Herr W. sitzt im Rollstuhl. Um sich da<strong>mit</strong> fortzubewegen, stößt er sich <strong>mit</strong> den Bei-<br />
nen vom Boden ab. Aus der Biografie geht hervor, dass Herr W. vor seiner de-<br />
menziellen Entwicklung ein sehr kommunikativer Mensch war. Er kann sich zwar<br />
verbal nicht mehr <strong>mit</strong>teilen, sucht jedoch den Kontakt zu seinem Umfeld, indem er<br />
<strong>mit</strong> dem Rollstuhl zu jedem hinfährt und ihm die Hand zur Begrüßung entgegen-<br />
streckt. Diese Art der Kontaktaufnahme praktiziert er den ganzen Tag über, denn<br />
er braucht keine Ruhephasen. Zwischendurch öffnet er die Türen der Bewohner-<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 62
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
zimmer und besucht seine MitbwohnerInnen. Er ist selten ein willkommener Gast<br />
und bekommt dies jeden Tag –meistens verbal – zu spüren. Mit großem Unver-<br />
ständnis nimmt er dies entgegen.<br />
Symptomatik<br />
o kann sich verbal nicht <strong>mit</strong>teilen<br />
Auswirkungen<br />
o Unverständnis beim Betroffenen selbst<br />
o Unverständnis und Stresssituationen beim Umfeld<br />
o Orientierte BewohnerInnen wünschen keinen Kontakt <strong>mit</strong> Herrn W.<br />
Kleiderlos<br />
Es ist Kaffeezeit und im Aufenthaltsbereich sitzen BewohnerInnen und Angehöri-<br />
ge. Lautes Schimpfen und Gelächter ertönt, denn Frau L. sitzt ohne Kleidung auf<br />
der orangen Couch. Eine Angehörige legt schützend die Hand vor die Augen ihrer<br />
kleinen Tochter. „Das ist doch allerhand“, meint sie. Ein Mitbewohner ruft empört:<br />
„Du Sau“. Schnell hüllt eine Pflegende Frau L. in eine schützende Decke und be-<br />
gleitet sie in ihr Zimmer. Sie sagt nichts und ist ihr beim Ankleiden behilflich. Ein<br />
wenig später sitzt Frau L. kauernd in einem Winkel des Aufenthaltsraumes. Sie<br />
weint.<br />
Symptomatik<br />
o enthemmt<br />
Auswirkungen<br />
o Unverständnis, Schamgefühl bei den BewohnerInnen und Angehörigen<br />
o große Traurigkeit bei der Betroffenen (ein Herz wird nicht dement)<br />
Aggressivität<br />
Die Tochter von Frau K. informiert, dass sie ihre Mutter am Sonntag zu einer Fa-<br />
milienfeier abholen möchte. Sie bittet darum, dass die Mutter zu diesem Anlass<br />
eine schöne Frisur erhält. Die Bewohnerin wehrt sich lautstark und wird tätlich. Sie<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 63
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
schlägt die Pflegende, tritt nach ihr und lässt keine Haarwäsche zu. Im Laufe des<br />
Tages bemühen sich zwei weitere Kolleginnen die Haare der Bewohnerin zu wa-<br />
schen. Ohne Erfolg. Die Tochter ist verärgert, dass ihre Mutter eine ungepflegte<br />
Frisur hat.<br />
Symptomatik<br />
o aggressiv<br />
Auswirkungen<br />
o Pflegende fühlt sich überfordert und doppelt schuldig. Einerseits der Be-<br />
wohnerin gegenüber und andererseits der Tochter gegenüber<br />
o Stresssituation für Betroffene und Pflegende<br />
o Tochter ist verärgert<br />
Konkurrenz<br />
Die Töchter von Frau M. sind traurig und zugleich verärgert. Ihre Mutter wiegt lie-<br />
bevoll eine Puppe im Arm. Sie nennt sie ihr Kind. Sie spricht flüsternd <strong>mit</strong> dem<br />
Kind, streichelt und tätschelt es. „Für uns hatte sie nie Zeit, als wir Kinder waren.<br />
Sie war mehr Geschäftsfrau als Mutter. Daran, dass sie uns gestreichelt hat, kön-<br />
nen wir uns überhaupt nicht erinnern. Und diese Plastikpuppe ist ihr Ein und Al-<br />
les.“ Eine Pflegende erklärt den Töchtern, dass die Puppe keine Konkurrenz für<br />
sie darstelle. Ihre Mutter befinde sich durch ihre demenzielle Entwicklung, auf der<br />
Erreichbarkeitsstufe eines Kindergartenkindes. In diesem Alter würden viele Mäd-<br />
chen gerne <strong>mit</strong> Puppen spielen. Die Töchter atmen sichtlich auf.<br />
Symptomatik<br />
o Bewohnerin befindet sich auf der Zeitebene ihrer Kindheit<br />
Auswirkungen<br />
o Anfängliches Unverständnis der Töchter<br />
o Aufklärungsbedarf von Seiten des Pflegepersonals nötig<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 64
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Andauerndes Rufen<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Frau P. ruft tagsüber ständig „ja und hallo“. Herr F. rät ihr in unfeiner Art „die Klap-<br />
pe zu halten“ und zwar sofort. Frau P. ruft weiter. Herr F. ärgert sich immer mehr<br />
und schimpft immer lauter zurück. Nun beginnt auch Frau W. „hallo“ zu rufen. Sie<br />
hat Demenz im schweren Stadium. Herr F. verlangt die Polizei.<br />
Symptomatik<br />
o Rufen<br />
Auswirkungen<br />
o Stresssituation für Herrn F. und die Pflegenden<br />
Gegenstände verstecken<br />
Herr Sch. sucht seine Lieblingsjacke. Sie ist seit drei Tagen nicht auffindbar. Eine<br />
Pflegende fragt Frau L. ob sie die Jacke vielleicht gesehen hat. Diese verneint. Sie<br />
suchen gemeinsam im Zimmer von Frau L. Diese holt einen Koffer unter dem Bett<br />
hervor. Im Koffer ist ein Polster, darin ist die Jacke.<br />
Symptomatik<br />
o Gegenstände verstecken<br />
Auswirkungen<br />
o Traurigkeit bei Herrn Sch.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 65
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Quelle: Privatarchiv<br />
Mögliche Gründe für herausforderndes Verhalten<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Menschen <strong>mit</strong> Demenz verlieren nach und nach die Fähigkeit zu kommunizieren.<br />
Umso wichtiger ist es, sensibel auf ihre Bedürfnisse zu reagieren. Die nachfolgen-<br />
den Bedürfnisse können Auslöser für herausfordernde Verhaltensweisen darstel-<br />
len.<br />
Physiologische Bedürfnisse<br />
Zu den physiologischen Bedürfnissen zählen Hunger, Durst, Ausscheidung,<br />
Schmerz, Unwohlsein und Schlafstörungen.<br />
Psychosoziale Bedürfnisse<br />
Gefühle wie Angst und Langeweile können ebenfalls Gründe für herausforderndes<br />
Verhalten sein. Zu den psychosozialen Bedürfnissen zählt, dass die BewohnerIn-<br />
nen in ihren verbliebenen Fähigkeiten unterstützt und gefördert werden.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 66
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Physikalische Umgebung<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Eine an die demenzerkrankten BewohnerInnen angepasste Umgebungsgestaltung<br />
reduziert oftmals herausfordernde Verhaltensweisen. Bespiele dafür sind die<br />
Lichtstärke und die Lautstärke. Im eigenen Heimalltag ist zu beobachten, dass die<br />
BewohnerInnen auf Geräusche sehr empfindlich reagieren- sei es <strong>mit</strong> Angst,<br />
Flucht oder Aggression.<br />
Soziale Umgebung<br />
Um herausfordernde Verhaltensweisen zu reduzieren genügt oftmals die Präsenz<br />
von bekannten Personen. Es müssen nicht unbedingt Angehörige sein, sondern<br />
es können auch Bezugspflegepersonen sein. Eine Umgebungsatmosphäre die<br />
demenzerkrankten BewohnerInnen entspricht (Biografie) trägt zur Entspannung<br />
für die Betroffenen und ihr Umfeld bei.<br />
Probleme die durch herausforderndes Verhalten entstehen können<br />
Die durch herausfordernde Verhaltensweisen entstehende Problematik lässt sich<br />
aus den geschilderten Fallbesprechungen in Kapitel 5.2 ableiten.<br />
Probleme der demenzerkrankten BewohnerInnen<br />
o sie stoßen auf Ablehnung bei den MitbewohnerInnen<br />
o tägliche Konfrontation <strong>mit</strong> den eigenen Defiziten die ihnen von den Mitbe-<br />
wohnerInnen transportiert werden, führen zu Angst und Unsicherheit<br />
o Einweisung auf die Gerontopsychiatrie<br />
o Orientierungslosigkeit<br />
o können sich nicht äußern, <strong>mit</strong>teilen, Sprachstörungen treten auf<br />
o Angst durch Verkennungen<br />
o Verlust der Identität<br />
o Ausgrenzung, Beschimpfung und Unverständnis<br />
o Störreize: Aktivierung, Radio, die für demenziell erkrankte Menschen nötige<br />
ruhige Atmosphäre fehlt (Besuche, Aktivierungsrunden)<br />
o zeigen Verhaltensauffälligkeiten wie beispielsweise Aggression<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 67
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
o Gefahr der Unterernährung<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
o Probleme bei der Körperpflege, Einnahme der Mahlzeiten und Medikamen-<br />
te<br />
o Selbst- und Fremdgefährdung (Weglauftendenz- rote Ampel, Betreten<br />
fremder Zimmer)<br />
o psychiatrische Symptome (Verfolgungswahn, Rückzug)<br />
o anhaltende Unruhe (ruheloses Umhergehen, gestörter Tag/Nachtrhythmus)<br />
Probleme der orientierten BewohnerInnen<br />
o Benutzung der Toilette durch MitbewohnerInnen, Gegenstände werden ver-<br />
steckt<br />
o Schamgefühl, wenn BewohnerIn sich entkleidet und nackt im Aufenthalts-<br />
bereich sitzt<br />
o Angst selber so zu enden („lieber erschießen, bevor ich so werde“)<br />
o „Lauter Verrückte, <strong>mit</strong> diesen Depperten will ich nichts zu tun haben“<br />
o fühlen sich gestört durch ständiges Rufen<br />
o Zimmer wird von Fremden betreten<br />
o zeigen kein Verständnis für ein Leben in der Vergangenheit (Dementen-<br />
puppe als Kind)<br />
o Konfliktpotentiale (Verteilen von Ausscheidungen, fremde Gegenstände<br />
nehmen)<br />
Probleme der der Pflegenden entstehen durch<br />
o verbale, teilweise körperliche Aggression (Psyche)<br />
o verschlossene Zimmertüren- aufsperren/ betreten fremder Zimmer (Zeitfak-<br />
tor, stört den Arbeitsfluss)<br />
o weglaufen und Weglauftendenz (Zeitfaktor, Sorge und Belastung, Verant-<br />
wortung)<br />
o durch fehlende Kommunikation sind Schmerzen schwer zu erkennen (Hilf-<br />
losigkeit)<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 68
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
o psychiatrische Symptome wie Depression, Verfolgungswahn (Psyche)<br />
o zu wenig gerontopsychiatrisch ausgebildetes Pflegepersonal (Hilflosigkeit)<br />
o körperliche Störungen wie Inkontinenz (Ekel) Gehstörungen, Schluckstö-<br />
rungen (Hilflosigkeit)<br />
o Umfeld richtet sich nach den BewohnerInnen- Essenszeiten (gute Teamar-<br />
beit nötig, Flexibilität)<br />
o demenzerkrankte und orientierte BewohnerInnen- zwei Lebenswelten sto-<br />
ßen aufeinander (unbefriedigende Situation, Überforderung)<br />
o Rechtfertigung gegenüber Angehörigen (Frisur), BesucherInnen und Mit-<br />
bewohnerInnen<br />
o zwischen zwei Stühlen stehen, können nicht jeder Bewohnergruppe gerecht<br />
werden (Frustration)<br />
o schwierige Beziehungsarbeit trotz Validationsausbildung (Hilflosigkeit)<br />
o Einhaltung von Wertschätzung und Würde trotz herausforderndem Verhal-<br />
ten (Überforderung)<br />
o gestörter Schlaf- Wachrhythmus (Psyche)<br />
o ständiges Rufen während der Aktivierung (Störung)<br />
o keine Rückzugsmöglichkeiten (Belastung)<br />
o Umgebung passt sich an BewohnerInnen an (Flexibilität)<br />
o großmöglichste Mobilität ermöglichen (Rundlauf, Personalressourcen)<br />
o Herausforderung Demenz (geringere Bezahlung als in Akutpflege führt zu<br />
Ärger und Unverständnis<br />
Probleme, die durch die offene Wohnstruktur entstehen<br />
Im Wohnbereich Zwurms1 liegt eine offene Wohnstruktur vor. Die einzige Rück-<br />
zugsmöglichkeit ist das eigene Bewohnerzimmer. Eine erhebliche Belastung durch<br />
herausfordernde Verhaltensweisen wie ständiges Rufen tritt vor allem im Zeitraum<br />
von 15 bis 17 Uhr auf. Zu dieser Zeit finden die Nach<strong>mit</strong>tagsjause und anschlie-<br />
ßend die einstündige Nach<strong>mit</strong>tagsaktivierung statt.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 69
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Andererseits…<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
o Gesunde können demenzerkrankten, orientierungslosen BewohnerInnen<br />
helfen und sie unterstützen. So können Ressourcen gestärkt und eine Stei-<br />
gerung des Selbstwertgefühls bei den orientierten BewohnerInnen bewirkt<br />
werden.<br />
o Gesunde sehen, dass sie integriert bleiben, wenn sie erkranken und haben<br />
so eventuell weniger Angst vor einer eigenen Erkrankung. Im Wohnbereich<br />
Zwurms1 sind schon vereinzelt Freundschaften zwischen orientierten und<br />
demenzerkrankten BewohnerInnen entstanden.<br />
Schlussfolgerungen und Lösungsansätze<br />
Aus den Problemen der angeführten Gruppen lassen sich folgende Schlüsse zie-<br />
hen:<br />
Demenzerkrankte BewohnerInnen benötigen<br />
eine bedürfnisangepasste Betreuung und Umgebung – möglicherweise in eigenen<br />
Räumlichkeiten – kann entscheidend zur Entspannung der Situation beitragen Da-<br />
zu gehören Validation und Biografiearbeit ebenso, wie spezialisierte gerontopsy-<br />
chiatrische Hilfeleistungen und angepasste Aktivierungsangebote. Eine Lärm- und<br />
Geräuschreduktion, Orientierung durch Schilder und das Schaffen eines entspre-<br />
chenden Milieus entspricht ebenfalls den Bedürfnissen der demenzerkrankten<br />
BewohnerInnen.<br />
Orientierte BewohnerInnen benötigen<br />
Informationen zum Thema Demenz und Auszeiten von ihren demenzerkrankten<br />
MitbewohnerInnen.<br />
Pflegende benötigen<br />
durch den hohen Aufwand für Betreuung und Beaufsichtigung und um für sämtli-<br />
che BewohnerInnen die nötige Sicherheit zu gewährleisten einen angemessenen<br />
Personalschlüssel. Zudem sind Fort- und Weiterbildungen im gerontopsychiatri-<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 70
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
schen Bereich, Schulungen in Validation und biografischem Arbeiten erforderlich.<br />
Ethische Konflikte (BewohnerInnen lassen Körperpflege nicht zu Abwehr bei Ag-<br />
gression), Hilflosigkeit und Überforderung erfordern Psychohygiene, Ausgleich in<br />
der Freizeit, Teamsitzungen und bei Bedarf Angebote für Supervision. Eine Ko-<br />
operation <strong>mit</strong> den Konsiliarärzten ist für eine adäquate Behandlung und Versor-<br />
gung unerlässlich. Insgesamt benötigen die Pflegenden ein – an die Bedürfnisse<br />
der BewohnerInnen angepasstes – Wohnkonzept.<br />
Eine offene Wohnstruktur benötigt<br />
eine Rückzugsmöglichkeit für demenzerkrankte BewohnerInnen. Speziell für den<br />
Wohnbereich Zwurms1 zwischen 14 und 17 Uhr. Genügend Ruheplätze und Ni-<br />
schen und freie Wege um den Bewegungsdrang ausleben zu können sollten<br />
ebenfalls vorhanden sein.<br />
5.3 Ziele und Grundsätze<br />
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, <strong>mit</strong> den gewonnenen Informationen der Litera-<br />
turrecherche ein geeignetes Versorgungskonzept zu finden, das sowohl für Be-<br />
wohnerInnen <strong>mit</strong> und ohne Demenz, als auch für die Pflegenden eine Optimierung<br />
der gegenwärtigen Wohnsituation darstellt.<br />
In der Langzeitpflege lassen sich neben der traditionellen integrativen Versorgung<br />
folgende Wohnkonzepte für demenziell erkrankte BewohnerInnen unterscheiden:<br />
o Teilintegratives oder teilsegregatives Versorgungskonzept (Integrations-<br />
prinzip): demenzerkrankte und nichtdemenzerkrankte BewohnerInnen le-<br />
ben gemeinsam in einem Wohnbereich und werden tagsüber in eigenen<br />
Räumlichkeiten in einer speziellen Gruppe nur für demenzerkrankte Be-<br />
wohnerInnen betreut.<br />
o Segregative Betreuung (Domusmodell): Demenzerkrankte BewohnerInnen<br />
leben gemeinsam in einem demenzgerecht gestalteten Wohnbereich und<br />
erhalten eine rund um die Uhr Betreuung<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 71
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Mit der Einführung eines neuen Wohnkonzeptes sollen folgende Ziele erreicht<br />
werden:<br />
o es soll eine an die demenzerkrankten BewohnerInnen angepasste de-<br />
menzgerechte Versorgung ermöglicht werden<br />
o es soll zur Entlastung der MitbewohnerInnen führen<br />
o es soll eine Entschleunigung der Pflegepersonen ermöglichen<br />
o das Wohlbefinden für sämtliche Beteiligten soll gefördert werden<br />
5.4 Konzeptionelle Grundsatzentscheidung<br />
Aus den relevanten Rechercheergebnissen lässt sich für den Wohnbereich<br />
Zwurms1 eine teilintegrative Wohnform ableiten. Es soll ein ausgeglichenes Mit-<br />
einander von demenzerkrankten und nichtdemenzerkrankten BewohnerInnen er-<br />
möglicht werden, indem die demenzerkrankten BewohnerInnen tagsüber in eige-<br />
nen Räumlichkeiten in einer speziellen Gruppe betreut werden. Eine teilintegrative<br />
Versorgung, ist durchführbar, wenn innerhalb eines Wohnbereiches, bei weniger<br />
als einem Drittel der BewohnerInnen, eine <strong>mit</strong>telschwere Demenz auftritt (vgl.<br />
Grond 2009, 90). Dies trifft im Wohnbereich Zwurms1 derzeit zu. Zu diesem Er-<br />
gebnis haben auch die Erkenntnisse aus den verschiedenen Praktikas beigetra-<br />
gen, auf die nun eingegangen wird.<br />
Entscheidungshilfe durch fachspezifische Praktikumsstellen<br />
Im Rahmen der <strong>Master</strong>ausbildung erhielt die Verfasserin während verschiedener<br />
Praktikas einen Einblick in teilintegrative und segregative Versorgungskonzepte.<br />
Jedes der angeführten Konzepte wies sowohl Vor- als auch Nachteile auf. Es ließ<br />
den Schluss zu, dass keines der Konzepte direkt für die eigene Einrichtung über-<br />
nommen werden kann, sondern eine Anpassung auf die dortige Situation (wie bei-<br />
spielsweise Schweregrade der Demenz, Personalsituation, bauliche Umgebung)<br />
erfolgen muss. Da im Wohnbereich Zwurms1 die größte Belastung vor allem<br />
hauptsächlich in die Zeit der Nach<strong>mit</strong>tagsjause zwischen 14 und 17 Uhr durch<br />
ständiges Rufen fällt, würde eine teilintegrative Betreuung, in der die BewohnerIn-<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 72
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
nen vor allem <strong>mit</strong> herausforderndem Verhalten Zeitraum eine spezielle Betreuung<br />
erhalten, was zu einer Entlastung für alle Beteiligten bringen/darstellen führen.<br />
Zudem war zu beobachten, dass orientierte BewohnerInnen gegenüber den her-<br />
ausforderndem Verhalten ihrer MitbewohnerInnen toleranter sind, wenn sie wis-<br />
sen, dass diese in einem geregelten Zeitraum in eigenen Wohn betreut werden.<br />
Auffallend war, dass die BewohnerInnen die in der traditionellen Versorgungsform<br />
ständig am Wandern waren und Weglauftendenz hatten, im Zeitraum von 14 und<br />
17 Uhr, in der sie separat betreut wurden und angepasst dies nicht der Fall war.<br />
Dies konnte über einen Zeitraum von einer Woche beobachtet werden. Für die<br />
teilintegrative Versorgung erhielten die Pflegepersonen einen höheren Personal-<br />
schlüssel als bei der traditionellen Versorgung und laufende Fort- und Weitebil-<br />
dungen zum Thema Demenz.<br />
5.5 Vom IST-Zustand zum SOLL-Zustand<br />
Erst wenn man weiß, welchen Hafen man ansteuert,<br />
kann man den Wind richtig nutzen. (aus Dürrmann 2001, 129)<br />
Mit Hilfe den folgenden vier Phasen eines Projekts soll ein beispielhafter Projekt-<br />
auftrag für die Einführung eines teilintegrativen Versorgungskonzeptes entstehen.<br />
o Definitionsphase oder Anfangsphase<br />
o Planungsphase<br />
o Umsetzungsphase<br />
o Reflexion und Projektabschluss<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 73
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Definitionsphase<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
Mit der Gewinnung der MitarbeiterInnen soll bereits in der Definitionsphase be-<br />
gonnen werden. Wichtig ist dabei, dass sie sich freiwillig und gerne dafür ent-<br />
scheiden.<br />
Arbeitsschwerpunkte der Definitionsphase:<br />
o Durchführung einer IST-SOLL Analyse<br />
o Festlegung der Projektziele<br />
o Analyse der verfügbaren Ressourcen<br />
o Grobplanung<br />
o Projektauftrag (vgl. Bär 2010, 51ff.)<br />
Erstellung eines Projektauftrages<br />
Für die Erstellung eines Projektauftrages, werden im Rahmen einer Grobplanung<br />
die <strong>mit</strong> den Zielen im Zusammenhang stehenden Aufgaben definiert.<br />
Projekt<br />
„Leben <strong>mit</strong> Demenz im Wohnbereich Zwurms1“<br />
Ziel: Entwicklung und Einführung eines integrativen Versorgungskonzeptes zur<br />
bedürfnisorientierten Betreuung demenziellerkrankter BewohnerInnen <strong>mit</strong> <strong>mit</strong>tlerer<br />
und schwerer Demenz im Wohnbereich Zwurms1 im Pflegeheim Götzis bis Okto-<br />
ber 2013<br />
Aufgabenstellung:<br />
• Zusammenstellung des Pflege- und Betreuungsteams,<br />
• Qualifizierung der MA,<br />
• Entwicklung eine gemeinsamen Leitbildes,<br />
• Einarbeitung in und Auswahl von methodischen Ansätzen zur Pflege und<br />
Betreuung,<br />
• Neustrukturierung des Tagesablaufs,<br />
• Neugestaltung der Innenausstattung des Wohnbereichs<br />
• Auswahl und Erarbeitung der Konzeptbestandteile,<br />
• Umstellung der Pflegeplanung und –dokumentation<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 74
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Bis zum Projektende soll Folgendes erreicht sein:<br />
Stationäre Wohnformen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz<br />
• Alle MitarbeiterInnen des Pflege- und Betreuungsteams haben eine Fortbil-<br />
dung zur Betreuung demenzkranker Menschen besucht,<br />
• Ausstattung der neuen Räumlichkeit <strong>mit</strong> alltagsnahem Mobiliar ist abge-<br />
schlossen,<br />
• Leitfaden für die Pflegplanung, der sich an den Erfordernissen in der Ver-<br />
sorgung zur Betreuung demenzerkrankter Menschen orientiert, ist erstellt<br />
und wird angewendet,<br />
• Geontopsychiatrische Pflegestandards sind eingeführt und werden in der<br />
Pflegeplanung verwendet,<br />
• Biografiebogen für die Pflegedokumentation ist entwickelt und wird kontinu-<br />
ierlich geführt,<br />
• Das schriftliche Pflege- und Betreuungskonzept ist fertiggestellt.<br />
Budget:<br />
• Innenausstattung des Wohnbereichs<br />
• Basisfortbildung der MitarbeiterInnen<br />
Termine, Meilensteine:<br />
• Prokjektstart<br />
• Beginn der Planung<br />
• Eröffnung des neuen Wohnbereichs Stüble/Beginn der Umsetzung<br />
• Fertigstellung/schriftliche Konzept<br />
• Projektende<br />
AuftaggeberIn:<br />
ProjektleiterIn:<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 75
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim<br />
Fazit und Überlegungen zum weiteren Vorgehen<br />
6 Fazit und Überlegungen zum weiteren Vorgehen<br />
Es wurde deutlich, dass eine bedürfnisgerechte Versorgung für demenzerkrankte<br />
BewohnerInnen <strong>mit</strong> dem hohen Anteil an <strong>mit</strong>tleren und schweren Demenzerkran-<br />
kungen erforderlich ist. Eine stationäre Einrichtung in der die demenzerkrankten<br />
BewohnerInnen <strong>mit</strong> den nicht demenzerkrankten BewohnerInnen ohne Konzept<br />
<strong>mit</strong>versorgt werden, scheint sowohl für die Betroffenen als auch für die Mitbewoh-<br />
nerInnen und Pflegenden nicht mehr tragbar und zeitgemäß. Ob die Versorgung<br />
teilintegrativ oder segregativ erfolgen soll, ist in jedem Setting neu zu überprüfen.<br />
Da jeder demenziell erkrankte Mensch als Individuum seine individuellen Bedürf-<br />
nisse hat, gibt es kein Einheitskonzept. Aus den Recherchen ging jedoch hervor,<br />
dass eine integrative Wohnform für BewohnerInnen <strong>mit</strong> leichter Demenz und die<br />
segregative Wohnform für <strong>mit</strong>tlere bis schwer demenziell erkrankte BewohnerIn-<br />
nen <strong>mit</strong> herausfordernden Verhaltensweisen geeignet ist. Für den Wohnbereich<br />
Zwurms1 wird eine teilintegrative Versorgung vorgesehen.<br />
Gut vorstellbar ist, dass sich zwei Wohnbereiche am Versorgungskonzept beteili-<br />
gen, so können personelle Ressourcen genützt werden.<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 76
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim Literaturverzeichnis<br />
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TEPPER, M. (o.D.): Zitate zum Thema Demenz. Online im Internet<br />
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10.02.2012]<br />
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Karl-Franzens-Universität Graz 82
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim Literaturverzeichnis<br />
WALEWSKI, M. (2002b): Herausforderung Demenz: Die Pflege zwischen An-<br />
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e/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Demenz-<strong>aktuell</strong>e-<br />
Foschung-und-<br />
Projek-<br />
te,property%3Dpdf,bereich%3Dbmfsfj,sprache%3Dde,rwb%3Dtrue.pdf+:Qu<br />
erschnittsbefra-<br />
gung+anhand+eines+von+der+Arbeitsgruppe+Psychogeriatrie+entwickelte<br />
n+und+validierten+Fragebogens&hl=de&gl=at&pid=bl&srcid=ADGEESg9Ef<br />
w6lV_xhiz-<br />
bUiRrzHHK6SJ0fD5S70ySAxUKUUPWaISe0wEFMSTehM6gQNtfkUoywvl<br />
N4B7ck1xT6KB8cDNzvBZ-<br />
TbkzqAC_AiPVJQELbQC1ZMAaBNbOrrR2efJv33VBaGC&sig=AHIEtbTJ5<br />
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WEYERER, S.; SCHÄUFELE, M.; HENDLMEIER, I. (2005): Besondere und tradi-<br />
tionelle stationäre Betreuung demenzkranker Menschen im Vergleich. In:<br />
Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. Band 38, Nummer 293, Steinkopff<br />
Verlag, Darmstadt, S. 1-10<br />
WITTEN/HERDECKE (2007): Demenz-Leitlinie Haupttext. Online im Internet unter<br />
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intern/Demenz_Start/DemenzText/demenztext.html [Stand 11.02.2012]<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 83
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim Literaturverzeichnis<br />
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sondere stationäre Dementenbetreuung, Verlag W. Kohlhammer GmbH,<br />
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ZIMMERMANN; J. (2009): Leben <strong>mit</strong> Demenz: Spezielle Wohnformen für demen-<br />
ziell erkrankte Menschen, Diplomica Verlag GmbH, Hamburg<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 84
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim 8 Anhang<br />
8 Anhang<br />
Die nachfolgenden Fragebogen für MMST und Uhrentest von der Spezialambu-<br />
lanz für Gedächtnisstörungen am AKH Wien zur Verfügung gestellt.<br />
Der Mini-Mental-Status<br />
Orientierungsvermögen<br />
Richtige<br />
Antwort = 1<br />
Punkt<br />
Total<br />
Punkte<br />
1. Fragen Sie nach: Jahr 1<br />
Jahreszeit 1<br />
Monat 1<br />
Datum 1<br />
Wochentag 1<br />
2. Fragen Sie nach: Staat 1<br />
Merkfähigkeit<br />
Bundesland 1<br />
Stadt bzw. Ortschaft 1<br />
Spital 1<br />
Stockwerk 1<br />
3. Nennen Sie 3 Gegenstände (z.B. Uhr, Schilling,<br />
Boot). Der Patient soll sie wiederholen (1 Punkt für<br />
jede korrekte Antwort). Wiederholen Sie die 3 Beg-<br />
riffe, bis der Patient alle gelernt hat.<br />
Aufmerksamkeit und Rechnen<br />
4. Beginnend <strong>mit</strong> 100, jeweils 7 subtrahieren (1<br />
Punkt für jede korrekte Antwort; Stopp nach 5<br />
Antworten). Andere Möglichkeit: Lassen Sie ein<br />
Wort <strong>mit</strong> 5 Buchstaben rückwärts buchstabieren<br />
(z.B. WIESE).<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 85<br />
3<br />
5
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim 8 Anhang<br />
Erinnerungsfähigkeit<br />
5. Fragen Sie nach den Namen der unter (3) ge-<br />
nannten Gegenstände (1 Punkt für jeden richtigen<br />
Begriff).<br />
Sprachvermögen und Verständnis<br />
6. Zeigen Sie einen Bleistift und eine Uhr. Der<br />
Patient soll diese benennen (1 Punkt pro richtiger<br />
Antwort).<br />
7. Lassen Sie nachsprechen: "Bitte kein Wenn und<br />
Aber."<br />
8. Lassen Sie eine 3teilige Anweisung ausführen,<br />
z.B. "Nehmen Sie das Blatt Papier in die rechte<br />
Hand, falten Sie es in der Mitte und legen Sie es<br />
auf den Boden"<br />
9. Der Patient soll folgende auf einem Blatt (groß!)<br />
geschriebene Aufforderung lesen und sie befolgen:<br />
"Schließen Sie die Augen."<br />
10. Lassen Sie den Patienten einen Satz eigener<br />
Wahl schreiben: <strong>mit</strong> Subjekt und Prädikat; soll<br />
einen Sinn ergeben. (Bei der Bewertung spielen<br />
Schreibfehler keine Rolle.)<br />
11. Lassen Sie den Patienten unten stehende Abb.<br />
nachzeichnen (1 Punkt, wenn alle Seiten und Win-<br />
kel richtig sind und die Überschneidungen ein<br />
Viereck bilden).<br />
Total Punkte 30<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 86<br />
3<br />
2<br />
1<br />
3<br />
1<br />
1<br />
1
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim 8 Anhang<br />
Abbildung 4: Mini-Mental Status und Uhrentest<br />
Der Mini-Mental-Status (Mini Mental State Examination, MMSE, nach Folstein et al. 1975).<br />
Uhren - Test<br />
Sagen Sie dem Patienten: "Bitte zeichnen Sie eine Uhr <strong>mit</strong> allen Zahlen und Zei-<br />
gern. Die Zeiger sollen die Zeit 9:30 anzeigen. "<br />
Auswertung Uhren-Test:<br />
1. Ist die Zahl "12" oben ? 2 Punkte<br />
2. Sind alle 12 Zahlen vorhanden ? 1 Punkt<br />
3. Sind der Stunden- und Minutenzeiger vorhanden ? 2 Punkte<br />
4. Entspricht die von Ihnen angegebene Uhrzeit der Zeigerstellung ? 2 Punkte<br />
Maximum mögliche Punkte 7 Punkte<br />
Quelle: Arbeitsgruppe Psychogeriatrie, ZI Mannheim, J5, 68159 Mannheim<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 87
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim 8 Anhang<br />
Quelle: https://docs.google.com/viewer?a=v&q=cache:w9wFh2efQaIJ:www.kleeblatt-<br />
ggmbh.de/fileadmin/kleeblatt/user_upload/PDF/Cohen-Mansfield-Skala.pdf+Quelle:+Cohen-<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 88
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim 8 Anhang<br />
Mans-<br />
field+Skala+(mod.)&hl=de&gl=at&pid=bl&srcid=ADGEESihcXnJaobPQD4jfXeTPvaq21ofPLuu1D8<br />
1dNHIfiJeNWJcZfFIkvthHyiyHP6wwzWkz4nEstITJPj1h6KB-<br />
Mnd_TPTMz02DLQ8s63t79_alqaYMLXY1V9O2nzq5kZW215UZetH&sig=AHIEtbSfNImaHqkjmwd<br />
ZYHxz6rK7J7QRlg<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 89
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim 8 Anhang<br />
Quelle: http://www.demenz-wg.de/texte/0_NOSGER-Skala.pdf<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 90
Wohnalternativen für Menschen <strong>mit</strong> Demenz im Pflegeheim 8 Anhang<br />
Bestimmung des Schweregrades der Demenz in 7 Stufen durch die Global Deteri-<br />
oration Scale (GDS) nach Berry Reisberg:<br />
Stadium 1<br />
Keine Einbußen<br />
Stadium 2<br />
Zweifelhafte kognitive Einbußen<br />
Vergisst vertraute Gegenstände und früher bekannte Namen.<br />
Stadium 3<br />
Geringe kognitive Einbrüche<br />
Wortfindung, Objektbeschreibung, Konzept-Definition, verbale Flüssigkeit, Orientierung an fremden<br />
Orten, verlegt und verliert Wertgegenstände, Arbeitsleistung, Konzentration, Ausbildung von<br />
Gedächtnis, depressive Verstimmung.<br />
Stadium 4<br />
Mäßige Einbußen<br />
Wortfindung…, Schreiben nach Diktat, Ausbildung von Gedächtnis, komplexe Aufgaben (z.B. Umgang <strong>mit</strong> Finan-<br />
zen oder serielle Subtraktion), Mimik-Gestik, Erinnerung der letzten 10 Jahre des eigenen Lebenslaufs, Orientie-<br />
rung an bekannten Orten.<br />
Stadium 5<br />
Mittelschwere kognitive Störung<br />
Auch formale Aspekte der Sprache, koordinatives Assoziieren, Schreiben nach Diktat, kommt ohne Hilfe nicht mehr zurecht - z.B.<br />
bei der Auswahl situationsgerechter Kleidung; Mimik-Gestik; der eigene Lebenszusammenhang; Orientierung generell in Raum und<br />
Zeit, auch in bekannter Umgebung.<br />
Stadium 6<br />
Schwere kognitive Einbrüche<br />
Sprache; apraktische Störungen; Kleidung, Ernährung, Hygiene; Tag-Nacht-Rhythmus: Lebenszusammenhang; Zählen -1 bis 10- vorwärts und<br />
rückwärts, Persönlichkeitsveränderungen und Gefühlsstörungen; Inkontinenz.<br />
Stadium 7<br />
Sehr schwere kognitive Einbrüche<br />
Häufig totaler Sprachverlust; Verlust der Fähigkeit zu gehen und der Fähigkeit zu sitzen; Verlust der Fähigkeit zu lächeln; Das Gehirn scheint den Körper nicht mehr<br />
zu steuern; Inkontinenz; Gedächtnis; Orientierung; Stupor; Koma.<br />
Üblich ist zur Schweregrad-Bestimmung auch das Clinical Dementia Rating (CDR).<br />
cc<br />
CDR 0 = keine Demenz<br />
CDR 0,5 = fragliche Demenz<br />
CDR 1 = leichte Demenz<br />
CDR 2 = <strong>mit</strong>telschwere Demenz<br />
CDR 3 = schwere Demenz<br />
Quelle: Die Alzheimer-Krankheit, Christoph Hock, Gunter Narr Verlag, 2000<br />
Karl-Franzens-Universität Graz 91