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Die Sprache des Parfums

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Kann man Parfumdüfte sprachlich angemessen beschreiben?<br />

<strong>Die</strong>s ist die zentrale Frage, die der Germanist und<br />

Semiotiker Peter Holz anhand einer empirischen Analyse<br />

von Werbetexten zu <strong>Parfums</strong> untersucht. Er kommt unter<br />

anderem zu dem Schluss, dass die <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong><br />

notgedrungen auf kreative poetische Mittel, insbesondere<br />

auf das Phänomen der sprachlichen Synästhesie, zurückgreifen<br />

muss, da ein konventionelles Vokabular <strong>des</strong><br />

Geruchs nicht existiert.<br />

Peter Holz<br />

studierte Germanistik, Philosophie, Kulturwissenschaft,<br />

Semiotik und Linguistik an<br />

den Universitäten Bremen, Osnabrück/<br />

Vechta, Leeds (England) und Århus<br />

(Dänemark).<br />

Zur Zeit arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im<br />

Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften an der<br />

Universität Bremen.<br />

ISBN 3-8300-1828-2<br />

Holz <strong>Die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong><br />

Peter Holz<br />

<strong>Die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong><br />

Eine empirische Untersuchung<br />

zur Grammatik, Metaphorik und Poetizität<br />

<strong>des</strong> Parfumwerbetextes<br />

Verlag Dr. Kovač


Inhaltsverzeichnis<br />

Einleitung 5<br />

1. Theorie: Begriffliche Grundlagen 17<br />

1.1. Zum Begriff der Poetizität aus linguistischer Perspektive 17<br />

1.1.1. Das funktionale Sprachmodell Roman Jakobsons 18<br />

1.1.1.1. Referentielle Funktion – Kontext 19<br />

1.1.1.2. Emotive Funktion – Sender 20<br />

1.1.1.3. Konative Funktion – Empfänger 21<br />

1.1.1.4. Phatische Funktion – Kontakt 22<br />

1.1.1.5. Metasprachliche Funktion – Kode 23<br />

1.1.1.6. Poetische Funktion – Nachricht 25<br />

1.1.1.7. Sprachfunktionen und Poetizität 28<br />

1.1.2. Poetizität als Selbstreferenz <strong>des</strong> sprachlichen Zeichens 30<br />

1.1.3. Poetizität als Deautomatisierung <strong>des</strong> Leseprozesses 33<br />

1.2. Poetisch relevante Textmerkmale 36<br />

1.2.1. Iteration auf der phonischen Ebene 37<br />

1.2.2. Iteration auf der lexikalischen Ebene 39<br />

1.2.3. Inkongruenz auf der morphologischen Ebene 42<br />

1.2.4. Inkongruenz auf der lexikalischen Ebene 44<br />

1.3. Synästhesie – Neuropsychologie vs. <strong>Sprache</strong> 45<br />

1.3.1. Synästhesie unter der Perspektive der Neuropsychologie 46<br />

1.3.1.1. Limbisches System und Neocortex 53<br />

1.3.1.2. Limbisches System und Emotion 53<br />

1.3.1.3. Limbisches System und Olfaktorik 56<br />

1.3.1.4. Neocortex und <strong>Sprache</strong> 57<br />

1.3.2. Synästhesie unter der Perspektive der Semiotik und Linguistik 60<br />

1.3.2.1. Metaphorische Synästhesie 61<br />

1.3.2.2. Sprachliche Synästhesie als Inkongruenzphänomen 64<br />

5


1.4. Semiotische Grundbegriffe 68<br />

1.4.1. Repräsentamen, Objekt, Interpretant 68<br />

1.4.2. Symbol, Index, Ikon 69<br />

1.4.3. Fokus: Ikonizität 73<br />

1.5. Das Problem der Kategorisierung olfaktorischer Wahrnehmung 78<br />

1.5.1. Das Problem der Versprachlichung von Geruchswahrnehmungen 82<br />

1.5.2. Versuche zur sprachlichen Klassifikation von Gerüchen 95<br />

1.5.3. Semiosemodi bei der Beschreibung von Geruchsqualitäten 103<br />

1.5.3.1. Ikonisch motivierte Prädikation 104<br />

1.5.3.2. Indexikalisch motivierte Prädikation 105<br />

1.5.3.3. Grenzfall – ikonische oder indexikalische Motivation 106<br />

1.5.3.4. Spezialfall – synästhetisch motivierte Adjektive 107<br />

2. Methode: Auf dem Weg zur <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> 109<br />

2.1. Sprachkode vs. <strong>Parfums</strong>til 110<br />

2.2. Das Prinzip Archileser – poetische Funktion vs. stilistische Funktion 113<br />

2.3. Das Aufspüren stilistischer Stimuli durch den Archileser 114<br />

2.4. Was ist eine strukturelle Besonderheit? – Riffaterres Kontext-Begriff 118<br />

2.4.1. Makrokontext, Mikrokontext, stilistisches Verfahren 122<br />

2.4.1.1. Varianten <strong>des</strong> Makrokontextes: Typ-1 123<br />

2.4.1.2. Varianten <strong>des</strong> Makrokontextes: Typ-2 124<br />

2.4.1.3. Varianten <strong>des</strong> Mikrokontextes: Typ-1 125<br />

2.4.1.4. Varianten <strong>des</strong> Mikrokontextes: Typ-2 130<br />

3. Empirie: Auswertung der Daten <strong>des</strong> Archilesers 133<br />

3.1. Operationalisierung <strong>des</strong> Archilesers 133<br />

3.1.1. Quantitative Aufbereitung der Archileser-Markierungen 135<br />

3.1.2. Qualitative Aufbereitung der Archileser-Markierungen 140<br />

3.2. Fokussierungen 143<br />

3.2.1. Fokus: Fachvokabular Parfum 145<br />

3.2.2. Fokus: Prädikationen/Attribuierungen 146<br />

3.2.3. Fokus: Verben 148<br />

6


3.3. Extrapolationen gegen das Gesamtkorpus 149<br />

3.4. Stichprobenanalyse 1: Fachvokabular Parfum 150<br />

3.5. Extrapolation <strong>des</strong> Fachvokabulars Parfum 161<br />

3.5.1. Synonyme der Fachbegriffe Akkord, Fond, Herznote im Gesamtkorpus 162<br />

3.5.2. Fachvokabeln als synästhetisch motivierte Neologismen 164<br />

3.5.3. Fachvokabeln und ihre kommunikative Funktion 174<br />

3.5.4. Fachvokabeln und ihre poetische Relevanz 175<br />

3.6. Stichprobenanalyse 2: Attribuierungen 178<br />

3.7. Extrapolation der Attribuierungen 203<br />

3.7.1. Attribuierungen und ihre kommunikative Funktion 214<br />

3.7.2. Attribuierungen und ihre poetische Relevanz 216<br />

3.8. Stichprobenanalyse 3: Verben 221<br />

3.9. Extrapolation der Verben 234<br />

3.9.1. Synästhetischer Gebrauch der Verben 243<br />

3.9.2. Prozessual-dynamische Verben 244<br />

3.9.3. Ikonizität als Motivation der prozessual-dynamischen Verben 249<br />

3.9.4. Verben und ihre kommunikative Funktion 251<br />

3.9.5. Verben und ihre poetische Relevanz 253<br />

4. Schlussbetrachtung 257<br />

4.1. Was <strong>Sprache</strong> kann und was nicht 257<br />

4.2. <strong>Die</strong> Überschätzung der referentiellen Sprachfunktion 260<br />

4.3. <strong>Die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> 263<br />

4.4. Jenseits <strong>des</strong> Duftes – Kreativität statt Informativität 269<br />

Anhang 275<br />

7


Einleitung<br />

Problemskizze, Zielsetzung, Hypothese<br />

Stellen Sie sich vor, jemand zeigt auf die Buchstaben, die Sie gerade le-<br />

sen und fordert Sie auf, die Farbe der Buchstaben mit einem Wort zu<br />

beschreiben. Sie würden wahrscheinlich ohne zu zögern mit schwarz<br />

antworten und jeder Andere würde zu der gleichen Antwort kommen.<br />

Stellen Sie sich nun vor, jemand hält Ihnen ein Fläschchen mit einer duf-<br />

tenden Flüssigkeit, die Sie nicht kennen, unter die Nase und fordert Sie<br />

auf, den Geruch mit einem Wort zu beschreiben. Hierbei wird es Ihnen<br />

schwer fallen, ein treffen<strong>des</strong> Wort zu finden. Vielleicht sagen Sie süß o-<br />

der süßlich. Andere, die man zum gleichen Geruch befragt, antworten<br />

aber vielleicht mit blumig, exotisch, fruchtig, bananig, aufdringlich oder<br />

erotisch…<br />

Mit diesen fiktiven Situationen lässt sich sehr gut die allgemeine Prob-<br />

lemstellung dieser Arbeit deutlich machen. Es geht um den Konflikt zwi-<br />

schen der individuellen Wahrnehmung von Gerüchen und deren sprach-<br />

licher Beschreibung. Während es im Bereich der visuellen Wahrneh-<br />

mung von Farben innerhalb einer Sprachgemeinschaft konventionell e-<br />

tablierte Wörter gibt (blau, gelb, rot etc.), mit denen man über farbliche<br />

Eigenschaften sprechen kann, trifft Analoges für den Bereich <strong>des</strong> Rie-<br />

chens nicht zu. Es gibt kein etabliertes konventionalisiertes Vokabular für<br />

die Bezeichnung von Geruchskategorien. <strong>Die</strong> Beschreibung von Gerü-<br />

chen ist eine hochgradig subjektive Angelegenheit, bei der die <strong>Sprache</strong><br />

als verbinden<strong>des</strong> Kommunikationsmedium an eine Grenze stößt.<br />

Aus dieser allgemeinen Problemstellung heraus leitet sich die Zielset-<br />

zung dieser Arbeit ab, wobei mehrere Anliegen verfolgt werden. Der An-<br />

fangsverdacht, den die obigen Gedankenspiele illustrieren und unter<br />

dem diese Arbeit entstand, ist der Zweifel daran, ob man Gerüche über-<br />

haupt angemessen sprachlich beschreiben kann. Anders formuliert, ob<br />

man bei der sprachlichen Beschreibung von Gerüchen überhaupt zu ei-<br />

ner kommunikativen Schnittmenge zwischen individueller Wahrnehmung<br />

9


und sozialer Kommunikation kommen kann. <strong>Die</strong>ser Zweifel wurde jedoch<br />

relativiert von der allgemein zugänglichen Beobachtung, dass man sehr<br />

wohl über Gerüche spricht und sie durchaus auch beschreiben kann. In<br />

der Regel geht es dabei aber um Geruchsbezeichnungen, die sich auf<br />

allgemein bekannte Substanzen beziehen. Sätze wie<br />

Das riecht wie Pfefferminze;<br />

Es riecht nach Kaffee<br />

können als typisch gelten. Wirklich interessant aber wird die Sache erst,<br />

wenn es um Gerüche geht, die nicht auf eine aus dem Alltag bekannte<br />

Substanz zurückzuführen sind, beispielsweise künstlich erzeugte hoch-<br />

komplexe Geruchsgemische wie <strong>Parfums</strong>.<br />

Wenn in der Parfumbranche die Geruchsqualitäten von <strong>Parfums</strong> be-<br />

schrieben werden, geschieht dies nicht in alltäglicher, sondern in recht<br />

ungewöhnlicher Weise. Dass ein Parfumduft beispielsweise beschrieben<br />

wird mit „Jasmin, Ylang-Ylang und Gewürznelken verleihen ihm in der<br />

Herznote ungeheure Dynamik“ (Bogner-Man Classic) kann wohl kaum<br />

als gewöhnlich bezeichnet werden.<br />

<strong>Die</strong> skizzierte Ambivalenz zwischen Geruchswahrnehmung und deren<br />

sprachlicher Repräsentation kann man etwas lapidar formuliert folgen-<br />

dermaßen auf den Punkt bringen: Eigentlich kann man viele künstlich<br />

erzeugte Gerüche sprachlich nicht direkt und präzise beschreiben, aber<br />

irgendwie wird es indirekt doch versucht.<br />

In diesem Spannungsfeld entstand die Hypothese, dass bei der<br />

Versprachlichung von Parfumdüften unkonventionelle sprachliche Stra-<br />

tegien zur Anwendung kommen, die das kreative, poetische Potenzial<br />

von <strong>Sprache</strong> herausfordern (= Poetizitäts-Hypothese).<br />

Typische Strukturen der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> herauszuarbeiten, die<br />

sich von konventionellem Sprachgebrauch abheben und ihr Zustande-<br />

kommen zu erklären, ist somit das zentrale Anliegen dieser Dissertation.<br />

Dabei gehe ich davon aus, dass die unterstellten unkonventionellen<br />

Strukturen mit dem Begriff der Poetizität aus linguistischer Perspektive<br />

und der poetischen Funktion der <strong>Sprache</strong> beschrieben werden können.<br />

10


Des Weiteren ist es nicht zufällig so, dass Geruchswahrnehmung und<br />

<strong>Sprache</strong> miteinander konfligieren. <strong>Die</strong>ser Konflikt ist ein notwendiger und<br />

hat Gründe, die aus der Funktionsweise <strong>des</strong> menschlichen Gehirns her-<br />

aus erklärt werden können. <strong>Die</strong> postulierte Notwendigkeit poetischer<br />

Sprachmittel in der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Geruchs/<strong>Parfums</strong> hängt zusammen mit<br />

dem problematischen neurophysiologischen Verhältnis zwischen Ge-<br />

ruchs- und Sprachverarbeitung im Gehirn. Es ist erwiesen, dass diejeni-<br />

gen Hirnareale, in denen olfaktorische Reize verarbeitet werden, mit<br />

denjenigen neural nur spärlich vernetzt sind, in denen Sprachprozesse<br />

organisiert werden.<br />

Zum Gegenstand der empirische Analysen<br />

Im speziellen Fokus <strong>des</strong> empirischen Teils der Untersuchung steht die<br />

Beschreibung von Parfumdüften in Produktbeschreibungen der Parfum-<br />

werbung.<br />

Häufig verzichten Parfumwerbungen zwar auf textliche Elemente. Sie<br />

transportieren ihre Botschaft hauptsächlich über suggestive Bilder. Da-<br />

her ist es recht schwierig, aussagefähiges Textmaterial über <strong>Parfums</strong><br />

zusammenzutragen. Aber wenn in Parfumwerbungen der Duft sprachlich<br />

beschrieben wird, lassen sich hochgradig interessante und außerge-<br />

wöhnliche Sprachkonstruktionen beobachten, die einem strukturellen<br />

Muster folgen, das für das Sprechen über Düfte typisch ist und mit lingu-<br />

istischen Mitteln herausgearbeitet werden kann.<br />

Ich konzentriere mich im empirischen Teil auf Produktbeschreibungen zu<br />

Männerparfums, die als Werbetexte auf der Internet-Seite <strong>des</strong> Parfum-<br />

vertreibers Douglas veröffentlicht sind und von diversen Parfumherstel-<br />

lern stammen (vgl. www.douglasbeauty.com). Dort findet man zahlreiche<br />

Texte, in denen unter anderem in ungewöhnlich konzentrierter Weise<br />

versucht wird, die Geruchsqualitäten <strong>des</strong> jeweiligen <strong>Parfums</strong> zu be-<br />

schreiben. Ich habe aus dieser Quelle per Zufallsstichprobe ein Korpus<br />

11


aus 48 Produktbeschreibungen erstellt. <strong>Die</strong>ses bildet die Grundlage der<br />

empirischen Analysen.<br />

<strong>Die</strong> Parfumtexte markieren den Grenzbereich zwischen professionellen<br />

Parfumherstellern und Konsumenten. Im Bereich der Hersteller nämlich<br />

gibt es in der Tat einen standardisierten elaborierten Kode, mit dem sich<br />

‚Eingeweihte’ über spezielle Duftsubstanzen und Herstellungsprozesse<br />

verständigen. <strong>Die</strong>ser Kode ist aber für eine alltagssprachliche Kommuni-<br />

kation über Parfumdüfte nicht geeignet, da er zum Teil hochgradig esote-<br />

rischen Charakter hat. <strong>Die</strong> untersuchten Texte hingegen, die sich explizit<br />

an den Endverbraucher richten, nehmen eine kommunikative Zwischen-<br />

position ein, in der sie zwischen der Fachsprache der Profis und dem<br />

konventionellen Sprachverständnis der Laien vermitteln müssen. Teil-<br />

weise bedienen sie sich <strong>des</strong> Fachvokabulars der Parfumeure, teilweise<br />

aber auch normalsprachlicher Mittel. Dabei kommt es naturgemäß immer<br />

wieder zu kommunikativen Reibungsverlusten, die manchmal besser,<br />

manchmal schlechter kompensiert werden. Eine begründete Stellung-<br />

nahme zum Gelingen oder Nichtgelingen dieser Kommunikation ist ein<br />

weiteres Teilergebnis, das diese Arbeit liefert.<br />

Das wesentliche Anliegen der Analysen <strong>des</strong> Empirieteils besteht jedoch<br />

in der empirischen Überprüfung der Poetizitäts-Hypothese. Das heißt es<br />

soll untersucht werden, ob sich diese Hypothese durch die großflächige<br />

Analyse <strong>des</strong> Korpus stützen lässt oder nicht. Ob sich also sprachliche<br />

Eigentümlichkeiten nachweisen lassen, die als poetisch relevant und als<br />

konstitutiv für die Textsorte Produktbeschreibung für <strong>Parfums</strong> gelten kön-<br />

nen.<br />

Es muss eingeräumt werden, dass die von mir durchgeführten Analysen<br />

der Parfumtexte nicht verallgemeinerbar sind für die <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Ge-<br />

ruchs insgesamt. Es kann auch nicht erwartet werden, dass sich aus den<br />

Analyseergebnissen letztgültige Aussagen über die gesamte Bandbreite<br />

<strong>des</strong> Sprachgebrauchs in Parfumwerbungen ableiten lassen. Ich habe<br />

mich absichtlich beschränkt auf ein fest umrissenes, aber dafür über-<br />

schaubares Spektrum hochspezifischer Texte, in denen das Kommuni-<br />

zieren über Gerüche gewissermaßen unter Laborbedingungen beobach-<br />

12


tet werden kann. Obwohl diese Entscheidung sicherlich die Erkenntnis-<br />

breite der Arbeit schmälert, hat sie den Vorteil, dass eine mikroskopische<br />

Tiefe erreicht werden kann, die zu hochinteressanten und fundierten Er-<br />

gebnissen über den untersuchten Teilbereich <strong>des</strong> Parfumdiskurses führt.<br />

Zur Methode<br />

Da der Anfangsverdacht, der zur Poetizitäts-Hypothese führte, meiner<br />

Intuition entstammt, habe ich für die empirische Untersuchung ein me-<br />

thodisches Verfahren gewählt, das zu dieser Intuition ein objektivieren-<br />

<strong>des</strong> Gegengewicht bildet. Meine Wahl fiel auf das aus der strukturalen<br />

Stilistik stammende Prinzip Archileser, einer speziellen Art der Datener-<br />

hebung, die auf einer Leserbefragung basiert. Bei diesem rezeptionsori-<br />

entierten Verfahren, das im Methodenteil ausführlich dargestellt wird,<br />

werden einer Lesergruppe Texte vorgelegt, die nach gewissen Vorgaben<br />

zu markieren und zu kommentieren sind. <strong>Die</strong>se für die Zwecke der vor-<br />

liegenden Untersuchung modifizierte Methode eignet sich dazu, unab-<br />

hängig von meiner Entscheidung aus einer Stichprobe (drei der 48 Tex-<br />

te) diejenigen Textsegmente zu isolieren, die versuchsweise als poetisch<br />

relevant betrachtet werden können. <strong>Die</strong> befragten Leser entscheiden al-<br />

so, an welchen Textsegmenten die <strong>des</strong>kriptive Analyse ansetzt, um die<br />

Poetizitäts-Hypothese zu testen.<br />

Inhaltlicher Überblick<br />

<strong>Die</strong> Arbeit gliedert sich inhaltlich in vier Teile mit den Überschriften Theo-<br />

rie, Methode, Empirie, Schlussbetrachtung.<br />

Im Theorieteil wird die bereits erwähnte Haupthypothese der Arbeit, die<br />

so genannte Poetizitäts-Hypothese, eingeführt und argumentativ unter-<br />

mauert. Zunächst werden die Begriffe poetische Funktion der <strong>Sprache</strong><br />

13


(Roman Jakobson) und Poetizität aus der Perspektive der Linguistik re-<br />

konstruiert und diskutiert.<br />

Dann folgt ein kognitionswissenschaftlicher Abschnitt über die neurophy-<br />

siologische Organisation der Geruchswahrnehmung sowie deren Zu-<br />

sammenhang mit der Sprachverarbeitung. Hierbei stehen funktionale<br />

Konflikte zwischen der linken Hemisphäre der Großhirnrinde (= Sprach-<br />

verarbeitung) und dem limbischen System (= Verarbeitung von Geruchs-<br />

reizen und Emotionen) im Vordergrund.<br />

Dem Phänomen der Synästhesie wird besonders Rechnung getragen.<br />

Dabei gilt es, zwei verschiedene Gebrauchsweisen dieses Begriffes zu<br />

unterscheiden. Zum Einen bezeichnet der Ausdruck Synästhesie eine<br />

perzeptorische Eigentümlichkeit, bei der Wahrnehmungen verschiedener<br />

Sinnesorgane sich ‚vermischen’. Zum Anderen meint der Begriff einen<br />

ästhetischen Zeichenprozess, bei dem diese ‚Vermischung’ semiotisch<br />

inszeniert wird.<br />

Danach werden zentrale semiotische Fachbegriffe eingeführt, die für die<br />

späteren Beschreibungen als Werkzeuge gebraucht werden. Es sind die<br />

Begriffe Zeichenträger, Objekt, Interpretant, Index, Ikon, Symbol. Dem<br />

semiotischen Phänomen der Ikonizität ist ein eigener Abschnitt gewid-<br />

met.<br />

Schließlich wird das Problem der Versprachlichung von Geruchswahr-<br />

nehmungen aus der Perspektive der Prototypentheorie und der kogniti-<br />

ven Linguistik skizziert. In diesem Zusammenhang werden mehrere<br />

Klassifikationssysteme für Gerüche in Synopse referiert, wodurch trans-<br />

parent gemacht wird, dass weder kognitive Kategorisierungsversuche<br />

der Geruchswahrnehmung noch deren Versprachlichung zu zufrieden<br />

stellenden Ergebnissen führen.<br />

Im Methodenkapitel wird in sehr stringenter Form das bereits erwähnte<br />

Verfahren <strong>des</strong> Archilesers rekonstruiert und <strong>des</strong>sen Modifikation für die<br />

Zwecke dieser Arbeit dargelegt.<br />

Im Empiriekapitel werden die Daten der Archileser-Umfrage ausgewer-<br />

tet. Bei der detaillierten Beschreibung der Lesermarkierungen und Le-<br />

14


serkommentare stellte sich heraus, dass vor allem drei Phänomene auf-<br />

fallend häufig thematisiert wurden:<br />

Fachvokabeln der Parfumindustrie,<br />

Eigenschaftszuschreibungen (so genannte Attribuierungen),<br />

Verben.<br />

<strong>Die</strong> von den Lesern gelieferten Stichprobendaten werden zunächst aus-<br />

führlich gemäß den theoretischen Vorgaben mit linguistischen Fachbeg-<br />

riffen beschrieben. Dabei sind folgende Beschreibungsbegriffe und Prob-<br />

lempunkte von besonderer Bedeutung:<br />

Neologismen, Ad-hoc-Bildungen, semantische Inkongruenzen in Nomi-<br />

nalgruppen und in Prädikat-Subjekt-Relationen sowie ikonische Qualitä-<br />

ten der verwendeten Verben.<br />

In einem weiteren Schritt werden dann die Stichprobenergebnisse als<br />

Sprungbrett genutzt, um das Gesamtkorpus nach den herausgearbeite-<br />

ten Textstrukturen zu durchsuchen. Erst diese Extrapolation führt zu<br />

stichhaltigen Aussagen über die Verifizierung oder Falsifizierung der<br />

Poetizitäts-Hypothese.<br />

Mit der feuilletonistisch konzipierten Abschlussbetrachtung werden meh-<br />

rere Ziele verfolgt.<br />

Zum Einen werden noch einmal kurz die Ergebnisse der empirischen<br />

Analysen der Parfumtexte thematisiert. <strong>Die</strong> Arbeitsergebnisse werden in<br />

einen verallgemeinernden sprachtheoretischen Zusammenhang gestellt,<br />

der den Bereich der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> beziehungsweise der <strong>Sprache</strong><br />

<strong>des</strong> Geruchs überschreitet. Dabei wird immer wieder Bezug genommen<br />

auf ausgewählte Aphorismen aus Ludwig Wittgensteins Philosophischen<br />

Untersuchungen (Wittgenstein 2 1980). <strong>Die</strong>se stellen eine assoziative<br />

Verbindung her zu allgemeineren kommunikativen Problemsituationen,<br />

die denen <strong>des</strong> Parfumdiskurses analog sind.<br />

Abschließend wird die <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>, wie sie in den analysierten<br />

Parfumtexten praktiziert wird, einer elementaren Kritik unterzogen.<br />

Grundlage hierfür ist der argumentativ untermauerte Standpunkt der<br />

prinzipiellen Überschätzung der referentiellen Sprachfunktion sowie<br />

demgegenüber die prinzipielle Unterschätzung der Notwendigkeit poeti-<br />

15


scher Sprachmittel im Parfumdiskurs sowie in anderen Bereichen der<br />

sozialen Kommunikation.<br />

16


„Nicht eigentlich die Poesie, sondern allgemeiner die Poetizität und die Pro-<br />

zesse der (...) Semiose <strong>des</strong> Poetischen sind (...) der Untersuchungsgegen-<br />

stand der Semiotik <strong>des</strong> Poetischen“ (Nöth 2 2000: 449).<br />

1. THEORIE: BEGRIFFLICHE GRUNDLAGEN<br />

Im Theorieteil der Arbeit werden elementare Fachbegriffe eingeführt und<br />

diskutiert, die für die spätere empirische Analyse relevant sind. <strong>Die</strong>se<br />

Begriffe betreffen mehrere Wissenschaftsbereiche, nämlich die linguisti-<br />

sche Poetizitätsforschung, die Kognitionswissenschaft (Neuropsycholo-<br />

gie), die allgemeine Semiotik sowie die kognitive Linguistik.<br />

<strong>Die</strong> Begriffe poetische Funktion der <strong>Sprache</strong> und Poetizität stehen dabei<br />

im Zentrum.<br />

1.1. Zum Begriff der Poetizität aus linguistischer Perspekti-<br />

ve<br />

Der Begriff der Poetizität aus linguistischer Perspektive, der im Folgen-<br />

den referiert wird, ist von zentraler Bedeutung für diese Arbeit.<br />

<strong>Die</strong> parallel skizzierte Diskussion der Standpunkte verschiedener ein-<br />

schlägiger Autoren stellt problematisierend heraus, dass weder der Beg-<br />

riff der Poetizität noch die Einschätzung der poetischen Sprachfunktion<br />

innerhalb <strong>des</strong> linguistischen Diskurses uneingeschränkt konsensfähig ist.<br />

Über die Diskussion <strong>des</strong> Begriffs der Poetizität hinaus wird an konkreten<br />

Textbeispielen demonstriert, wie sich das Wirken der poetischen Sprach-<br />

funktion beobachten und mit linguistischen Mitteln beschreiben lässt.<br />

Der elementare theoretische Ausgangspunkt ist das funktionale Sprach-<br />

modell Roman Jakobsons (vgl. Jakobson 1981), das zunächst rekon-<br />

struiert wird (vgl. auch Nöth 2 2000: 449. Zur Diskussion <strong>des</strong> Modells vgl.<br />

Coseriu 1981: 56 ff.; Holenstein 1975: 153 ff.).<br />

17


1.1.1. Das funktionale Sprachmodell Roman Jakobsons<br />

Jakobson (1981) unterscheidet für die verbale Kommunikation sechs<br />

verschiedene konstitutive Faktoren der <strong>Sprache</strong> sowie korrelierend<br />

sechs Sprachfunktionen, die in Tabelle 1 dargestellt sind.<br />

Der allgemeine sprachtheoretische Hintergrund, vor dem diese Aufspal-<br />

tung <strong>des</strong> Phänomens <strong>Sprache</strong> entstanden ist, vermittelt sich am ein-<br />

leuchtendsten, wenn man das Jakobsonsche Basisaxiom akzeptiert, das<br />

der <strong>Sprache</strong> eine prinzipielle kommunikative Intention unterstellt:<br />

„(...) any verbal behavior is goal-directed, but the aims are different and the<br />

conformity of the means used to the effect aimed at is a problem that (...) pre-<br />

occupies inquirers into the diverse kinds of verbal communication“ (Jakobson<br />

1981: 19).<br />

Faktor Korrelierende Sprachfunktion<br />

Context (Kontext) Referential function (referentielle Funktion)<br />

Addresser (Sender) Emotive Function (emotive Funktion)<br />

Addressee (Empfänger) Conative Function (konative Funktion)<br />

Contact (Kontakt) Phatic Function (phatische Funktion)<br />

Code (Kode) Metalingual Function (metasprachliche Funktion)<br />

Message (Nachricht) Poetic function (poetische Funktion)<br />

Tabelle 1: <strong>Die</strong> sechs konstitutiven Faktoren der sprachlichen Kommunikation<br />

und die sechs ihnen zugeordneten Sprachfunktionen (vgl. Jakobson 1981: 22<br />

und 27)<br />

18


1.1.1.1. Referentielle Funktion – Kontext<br />

<strong>Die</strong> referentielle Funktion korrespondiert mit dem Faktor Kontext, also<br />

grob gesprochen mit der außersprachlichen Wirklichkeit, über die wir uns<br />

mittels <strong>Sprache</strong> Informationen verschaffen.<br />

Eine wissenschaftstheoretische Diskussion dieser Startposition wird<br />

nicht eröffnet. Ich gehe im Sinne eines erkenntnistheoretischen Realis-<br />

mus davon aus, dass „wir mit unseren sinnlichen Erfahrungen Zugang zu<br />

einer bewußtseinsunabhängigen Wirklichkeit haben“ (Hügli/Lübcke:<br />

529). Einschränkend muss aber betont werden, dass es sich bei dieser<br />

Auffassung nicht um einen naiven, sondern repräsentativen erkenntnis-<br />

theoretischen Realismus handelt, „nach welchem unsere sinnlichen Er-<br />

fahrungen zwar von der physischen Wirklichkeit verursacht sind, uns a-<br />

ber niemals sichere Erkenntnis vermitteln können. Was wir erfahren, sind<br />

stets Repräsentationen der Wirklichkeit“ (ibidem). Es wird ferner ange-<br />

nommen, dass wir über die individuelle Wahrnehmung und materielle<br />

Konstitution dieser Außenwelt sprachlich kommunizieren können. Aller-<br />

dings müssen dabei kommunikative Reibungsverluste in Kauf genom-<br />

men werden, wie sich im Laufe dieser Arbeit herausstellen wird. Zu den<br />

Gegenständen der Welt sind natürlich nicht nur de facto existierende<br />

physikalische Gegenstände zu zählen, sondern auch deren mentale<br />

Repräsentationen (= Gedanken, Phantasien, Assoziationen) sowie fikti-<br />

ve, theoretisch denkbare Entitäten, wie beispielsweise außerirdische<br />

Wesen.<br />

Eine typische Äußerung, bei der die referentielle Funktion dominiert, ist<br />

beispielsweise der Satz<br />

Es regnet.<br />

In diesem Fall wird eine sachliche Information über die nichtsprachliche<br />

Realität lanciert, nämlich die Tatsache, dass Wassertropfen vom Himmel<br />

fallen. Der faktische – manchmal auch nur hypothetische – Realitätsbe-<br />

zug dieses Beispielsatzes kann paraphrasiert werden durch die proposi-<br />

tionale Aussage<br />

19


Es ist der Fall, dass es regnet.<br />

Wenn ein Referenzbereich (= Kontext) kognitiv gut vorstrukturiert ist wie<br />

im Falle <strong>des</strong> unter anderem visuell wahrnehmbaren Regens, kann man<br />

annehmen, dass die <strong>Sprache</strong> faktisch die Fähigkeit hat, auf einen exis-<br />

tierenden oder zumin<strong>des</strong>t denkbaren Sachverhalt zu referieren. <strong>Die</strong> refe-<br />

rentielle Funktion ist laut Jakobson in den meisten Kommunikationssitua-<br />

tionen dominant, während weitere Sprachfunktionen hinzutreten und die<br />

Referenz eines Sprachzeichens funktional modifizieren können. (vgl. Ja-<br />

kobson 1981: 22). Er gibt dort auch die Begriffsalternativen „denotative“<br />

and „cognitive function“ (ibidem).<br />

1.1.1.2. Emotive Funktion – Sender<br />

<strong>Die</strong> emotive Funktion korrespondiert mit dem Faktor Sender. Eine funkti-<br />

onale Modifikation der prinzipiell immer vorhandenen referentiellen Funk-<br />

tion kann beispielsweise geschehen, indem ein Sender (Sprecher) bei<br />

der Äußerung <strong>des</strong> obigen Satzes seiner Stimme eine charakteristische<br />

Modulation verleiht und somit auf prosodische Weise emotionale Zusatz-<br />

information transportiert (z.B. Begeisterung oder Verärgerung). In einem<br />

solchen Fall würde man davon sprechen, dass die emotive Funktion zu-<br />

sätzlich wirkt und die Zielrichtung <strong>des</strong> Kommunikationsaktes verändert.<br />

Folgende Situation kann zum Zweck der Illustration herangezogen wer-<br />

den:<br />

Ein genervter Vater steht im Hauseingang. Auf der Straße steht sein<br />

Kind mit dem Fahrrad und will fahren, obwohl es angefangen hat zu reg-<br />

nen. Es entsteht ein Streit, in <strong>des</strong>sen Verlauf der Vater seine Stimme er-<br />

hebt und den Satz Es regnet mit deutlich lauterer Stimme und mit einer<br />

begleitenden Verzerrung der mimischen Gesichtsmuskulatur äußert. Der<br />

Fokus der Äußerung liegt hier sicherlich nicht auf der referentiellen In-<br />

formation, dass es regnet; das merkt das Kind selber. Insofern ist die re-<br />

ferentielle Information, obwohl sie geliefert wird, sekundär, uneigentlich<br />

und damit streng genommen redundant. <strong>Die</strong> eigentliche, subtiler kodierte<br />

20


Information betrifft den emotionalen Zustand <strong>des</strong> Vaters. Sie ist um-<br />

gangssprachlich paraphrasierbar mit dem Satz:<br />

Ich bin genervt und gleich platzt mir der Kragen!<br />

In einem solchen Fall kann man davon sprechen, dass die emotive<br />

Funktion die funktionale Dominanz der Kommunikationssituation über-<br />

nommen hat. Jakobson vermeidet explizit den Begriff emotionale Funkti-<br />

on. Sein Begriff der emotiven Funktion impliziert, dass man mit sprachli-<br />

chen und anderen semiotischen Mitteln auch emotionale Zustände simu-<br />

lieren kann, ohne dass sie faktisch im kognitiven System <strong>des</strong> Senders<br />

vorliegen (vgl. Jakobson 1981: 22).<br />

1.1.1.3. Konative Funktion – Empfänger<br />

<strong>Die</strong> konative Funktion korrespondiert mit dem Faktor Empfänger. <strong>Die</strong><br />

skizzierte Vater-Kind-Situation birgt noch eine weitere Information, wenn<br />

man den Kommunikationsfaktor Empfänger fokussiert. <strong>Die</strong> unter dem<br />

Referenzaspekt in dieser Situation redundante Aussage Es regnet trans-<br />

portiert ebenfalls eine auffordernde, appellative Information. <strong>Die</strong>se impli-<br />

zite Information muss vom Kind als dem Adressaten der Nachricht de-<br />

chiffriert werden zu der vom Vater gemeinten Aufforderung<br />

Komm ins Haus!<br />

Mit der Entschlüsselung realisiert das Kind zusätzlich zur wiederholten<br />

Regeninformation und der aufgeladenen Stimmung <strong>des</strong> Vaters die Auf-<br />

forderung, ins Haus zu kommen und das Fahrradfahren abzubrechen.<br />

Hierbei würde zur referentiellen und zur emotiven noch die konative<br />

Funktion hinzukommen, deren kommunikative Aufgabe es ist, durch eine<br />

vom Sender lancierte Nachricht eine Verhaltensänderung <strong>des</strong> Adressa-<br />

ten zu bewirken.<br />

21


1.1.1.4. Phatische Funktion – Kontakt<br />

<strong>Die</strong> phatische Funktion korrespondiert mit dem Faktor Kontakt. Sie rückt<br />

den Kommunikationskanal zwischen den beteiligten Kommunikanten ins<br />

Zentrum <strong>des</strong> Interesses.<br />

Dass jede Kommunikationssituation eines sinnlich wahrnehmbaren Me-<br />

diums, eines physikalischen Kanals bedarf, ist im Grunde trivial. Im Falle<br />

der gesprochenen <strong>Sprache</strong> sind dies Schallwellen, die über die Luft das<br />

auditive Wahrnehmungssystem affizieren. Im Falle der Schriftsprache<br />

handelt es sich um elektromagnetische Wellen im Wellenlängenbereich<br />

<strong>des</strong> sichtbaren Lichts, die durch das visuelle System auf unseren kogni-<br />

tiven Apparat einwirken. (Das paranormale Phänomen der Telepathie<br />

sowie denkbare mystische Kommunikationssituationen mit metaphysi-<br />

schen Entitäten liegen jenseits dieser Arbeit und müssen unberücksich-<br />

tigt bleiben.)<br />

Ganz allgemein gesprochen ist bei jeder verbalen Kommunikation die<br />

phatische Funktion immer wirksam, insofern jede vom Sender ausge-<br />

schickte und beim Empfänger ankommende Nachricht die Funktionsfä-<br />

higkeit <strong>des</strong> Kanals bestätigt. <strong>Die</strong> klassische Frage Bist du noch dran?<br />

während eines Telefongesprächs ist überdies als plastische Dominanz<br />

der phatischen Funktion identifizierbar. <strong>Die</strong> Frage dient einzig der Über-<br />

prüfung, ob die Leitung, der Kanal noch funktioniert, ob es noch einen<br />

kommunikativen Kontakt gibt.<br />

Aber die phatische Sprachfunktion macht sich auch auf wesentlich subti-<br />

lere und keineswegs triviale Weise bemerkbar. In einer alltäglichen Ge-<br />

sprächssituation zweier Nachbarn, die sich nur oberflächlich kennen und<br />

sich im Treppenhaus begegnen, würde innerhalb eines Dialogs der Satz<br />

Es regnet wohl kaum von der referentiellen Funktion dominiert. Das Wet-<br />

ter als klassisches Gesprächsthema ist derart trivial, von jedem wahr-<br />

nehmbar und damit referentiell selbstverständlich, dass man darüber ei-<br />

gentlich gar nicht zu sprechen bräuchte – jedenfalls nicht unter dem Do-<br />

minanzaspekt der referentiellen Funktion. Wenn man sich jedoch nicht<br />

gut kennt (oder einem der Gesprächsstoff ausgeht), ist das Wetter stets<br />

22


ein dankbares Thema, weil jeder daran ‚teilnimmt’, eine kommunikative<br />

Schnittmenge also jederzeit gewährleistet ist. Nichts<strong>des</strong>totrotz erfüllen<br />

Wetter- und ähnlich gelagerte Gespräche einen elementaren kommuni-<br />

kativen Zweck, der weithin unterschätzt wird. Grußformeln, Befindlich-<br />

keitserkundigungen der Art Wie geht’s? oder auch die zwischenmensch-<br />

lich wichtige Tatsache, dass einem einfach zugehört wird, dass jemand<br />

einem gelegentlich sein Ohr leiht, egal was der Inhalt <strong>des</strong> Gesprochenen<br />

ist, gehören in den häufig sogar therapeutisch relevanten Wirkungsbe-<br />

reich der phatischen Sprachfunktion.<br />

Dominiert die phatische Funktion eine Kommunikationssituation, hat sie<br />

den Zweck, eine Kommunikationssituation einzuleiten oder aufrecht zu<br />

erhalten und die schlichte Tatsache <strong>des</strong> Kommunizierens zu bestätigen.<br />

<strong>Die</strong>s läuft unter der Devise: Ich bin hier, du bist da und wir teilen eine<br />

kommunikative Schnittmenge.<br />

1.1.1.5. Metasprachliche Funktion – Kode<br />

<strong>Die</strong> metasprachliche Funktion korrespondiert mit dem Faktor Kode. Wird<br />

zum Beispiel der Satz Es regnet im Kontextrahmen eines Deutschkurses<br />

von einem nichtmuttersprachlichen Deutschlerner geäußert und als<br />

deutscher Satz erkannt – ob es nun regnet oder nicht –, macht der Satz<br />

insofern eine Aussage über das deutsche Sprachsystem, als er in der<br />

Minimalkonfiguration Subjekt + Prädikat ein korrekter Satz <strong>des</strong> Deut-<br />

schen ist. In diesem Falle würde etwas über den der Äußerung zu Grun-<br />

de liegenden Kode ausgesagt, auf den sich die metasprachliche Funkti-<br />

on bezieht. In dieser Situation würde die Aufmerksamkeit durch den<br />

Sprecher auf sprachliches Wissen gelenkt. Das Beispiel Es regnet dient<br />

im skizzierten Sprachlernkontext nicht dazu, einen sprachexternen<br />

Sachverhalt zu beschreiben, sondern eine grammatische Regel der<br />

deutschen Syntax zu veranschaulichen.<br />

Vor allem in der analytischen Sprachphilosophie und der formalen Logik<br />

<strong>des</strong> 20. Jahrhunderts wurde dieses Problem als Konflikt zwischen Ob-<br />

23


jekt- vs. Metasprache thematisiert (vgl. überblickartig Salmon 1983: 240<br />

ff. und im Plauderton Carnap 1993: 82 ff.). <strong>Die</strong> rein theoretisch-<br />

begriffliche Unterscheidung zwischen Objekt- und Metasprache ist je-<br />

doch nur scheinbar eindeutig. Sie birgt das Dilemma, dass im Grunde<br />

alle objektsprachlichen Äußerungen automatisch immer schon als meta-<br />

sprachliche Aussagen verstanden werden können, da sie sich als Indi-<br />

zien für die Zugehörigkeit zu einem Sprachsystem zu erkennen geben.<br />

<strong>Die</strong> metasprachliche Funktion ist also im Grunde immer schon aktiv,<br />

wenn irgendein konkret verwendetes Sprachzeichen (auf der Ebene der<br />

Parole) als Sprachzeichen erkannt und einem Sprachsystem (= Langue)<br />

zugeordnet werden kann. <strong>Die</strong> schwierige Frage es vielmehr, plausible<br />

Gründe anzuführen, in welchen Fällen die metasprachliche Funktion als<br />

über andere Sprachfunktionen dominierend gewertet werden kann. Vor<br />

allem ihre Abgrenzung von der Dominanz der poetischen Funktion ist<br />

innerhalb dieser Untersuchung bedeutsam und analytisch ein sehr an-<br />

strengender Prozess, der nicht immer zu eindeutigen Zuordnungen führt.<br />

Eine weitere Problemzone der metasprachlichen Funktion stellen sicher-<br />

lich so genannte Pseudowörter oder Quasi-Neologismen dar, die zwar<br />

den jeweiligen Wortbildungsregeln einer <strong>Sprache</strong> gemäß erzeugt wur-<br />

den, denen jedoch ein konventionelles Signifikat fehlt.<br />

Nehmen wir als Beispiel das von mir erdachte Pseudoverb vertrieren.<br />

Auf der morphologischen Analyseebene deuten das Präfix ver- und das<br />

Flexionsmorphem -en auf die Wortart Verb <strong>des</strong> Deutschen in der Form<br />

<strong>des</strong> Infinitivs hin. Man kann weiterhin als Verbalstamm -trier- identifizie-<br />

ren. Das Auftauchen eines solchen erfundenen asemantischen Wortes,<br />

das sich formal korrekt an die Wortbildungsregeln <strong>des</strong> Deutschen hält,<br />

zieht auf Grund der fehlenden Semantik die Aufmerksamkeit auf die<br />

grammatische Form. Man denkt: Es muss ein Verb sein, auch wenn ich<br />

die Bedeutung nicht kenne. Hier wird also der funktionale Akzent auf ei-<br />

nen formalen Wortbildungsmechanismus, somit auf das Sprachsystem<br />

gelenkt, womit die Schlussfolgerung nahe liegt, dass die metasprachli-<br />

che Funktion in diesem Fall die dominante ist.<br />

24


1.1.1.6. Poetische Funktion – Nachricht<br />

<strong>Die</strong> im Rahmen dieser Arbeit interessanteste Sprachfunktion ist die poe-<br />

tische. <strong>Die</strong> poetische Funktion korrespondiert mit dem Faktor Nachricht.<br />

<strong>Die</strong>selbe Information wie der obige Beispielsatz, nämlich dass es regnet,<br />

transportiert auch der Satz:<br />

Herab, herab der Regen fällt; der Regen, Regen fällt herab.<br />

Aber hinzu tritt eine für das Deutsche sehr ungewöhnliche Form der Prä-<br />

sentation <strong>des</strong> recht trivialen Sachverhalts, deren Besonderheit mit dem<br />

Begriff der poetische Funktion der <strong>Sprache</strong> charakterisiert werden kann.<br />

<strong>Die</strong> poetische Funktion lenkt die Aufmerksamkeit <strong>des</strong> Empfängers einer<br />

Nachricht darauf, wie eine Information innerhalb der Nachricht transpor-<br />

tiert wird, also auf eine spezielle Konfiguration der sprachlichen Elemen-<br />

te auf der syntagmatischen Ebene. Der Fokus liegt somit in erster Linie<br />

auf der „message for its own sake“ (Jakobson 1981: 25).<br />

Man kann in meinem erfundenen Beispiel (unter anderem) eine unge-<br />

wöhnliche Regelmäßigkeit bezüglich <strong>des</strong> Alternierens unbetonter und<br />

betonter Silben beobachten. Zur Veranschaulichung folgende strukturier-<br />

te Darstellung (betonte Silben sind fett gedruckt):<br />

Herab, herab der Regen fällt; der Regen, Regen fällt herab.<br />

<strong>Die</strong> poetische Funktion der <strong>Sprache</strong> hat den Effekt, durch formale, sinn-<br />

lich wahrnehmbare Mittel (lautliche und visuelle) einen Text von der Sei-<br />

te <strong>des</strong> Signifikanten her zu strukturieren. In poetisch relevanten Texten<br />

geschieht dies unter anderem durch – bewusst oder halbbewusst – ver-<br />

wendete charakteristische Wiederholungssequenzen, die als rhythmi-<br />

sche Struktur und somit als Ausprägungen der poetischen Funktion der<br />

<strong>Sprache</strong> beschreibbar sind.<br />

<strong>Die</strong> Dynamik, die die poetische Funktion der <strong>Sprache</strong> charakterisiert,<br />

spitzt Jakobson (1981) im folgenden, viel zitierten Diktum zu:<br />

„The poetic function projects the principle of equivalence from the axis of se-<br />

lection into the axis of combination” (Jakobson 1981: 26).<br />

25


Gemeint ist damit, dass erwartungsgemäß in paradigmatischer Relation<br />

stehende linguistische Einheiten, die sich durch eine assoziative Oder-<br />

Beziehung auszeichnen und mit einer vertikalen Achse veranschaulicht<br />

werden können, auf der syntagmatischen, horizontalen Achse kombiniert<br />

werden und sich damit dann in einer Und-Beziehung zueinander befin-<br />

den. Das Prinzip der Äquivalenz wird ersetzt durch das Prinzip der Kon-<br />

tiguität (vgl. zur elementaren Unterscheidung zwischen syntagmatischen<br />

und assoziativen Beziehungen in der <strong>Sprache</strong> Saussure 2 2001: 147 ff.).<br />

Beispiel zu Äquivalenz<br />

In folgenden Sätzen stehen die Verben der Fortbewegung (laufen, stür-<br />

zen, eilen, hasten) in paradigmatischer Beziehung zueinander; sie sind<br />

als partielle Synonyme einander semantisch ähnlich (Äquivalenzprinzip)<br />

und damit zu einem gewissen Grad austauschbar. Durch den Austausch<br />

der Verben in dem Satz ändert sich <strong>des</strong>sen Bedeutung nur minimal (vgl.<br />

zu verschiedenen Arten von Äquivalenz auf verschiedenen Textebenen<br />

Plett 2 1979).<br />

Ich verwende Notationssymbole aus der formalen Logik, nämlich ‚’ für<br />

die Konkatenation, also das gleichzeitige, additive Auftreten sprachlicher<br />

Elemente in einem Syntagma und ‚’ für die Oder-Relation, wobei es<br />

sich um das ausschließende oder handelt, also entweder-oder.<br />

Ich (a) laufe ins Haus, weil es regnet.<br />

()<br />

Ich (b) eile ins Haus, weil es regnet.<br />

()<br />

Ich (c) stürze ins Haus, weil es regnet.<br />

()<br />

Ich (d) haste ins Haus, weil es regnet.<br />

26


<strong>Die</strong> Formalisierung der paradigmatischen Relation der Verben in den<br />

Sätzen ist folgendermaßen:<br />

a b c d<br />

Beispiel zu Kontiguität<br />

<strong>Die</strong> Verben der Fortbewegung tauchen hier aneinandergereiht innerhalb<br />

einer syntagmatischen Konfiguration an der Textoberfläche auf.<br />

Ich (a) laufe, (b) eile, (c) stürze, (d) haste ins Haus, weil <br />

es regnet.<br />

<strong>Die</strong> Formalisierung der syntagmatischen Kombination der Verben im<br />

Satz gestaltet sich dann so:<br />

a b c d<br />

Das benachbarte Vorkommen dieser partiell synonymen Verben, also<br />

ihre Kontiguität innerhalb eines Syntagmas ist für die Übermittlung der<br />

referentiellen Information <strong>des</strong> Sich-ins-Haus-Begebens nahezu redun-<br />

dant. <strong>Die</strong> referentielle Funktion ist jedoch nicht völlig außer Kraft gesetzt.<br />

<strong>Die</strong> Beispielverben laufen, eilen, stürzen, hasten können nicht als reine<br />

Synonyme verstanden werden, denn sie fügen dem semantisch neutrals-<br />

ten Verb laufen sukzessive weitere semantische Merkmale hinzu, die<br />

folgendermaßen charakterisiert werden können:<br />

eilen [+ unter Zeitdruck],<br />

stürzen [+ motorische Unkoordiniertheit],<br />

hasten [+ Gestresstheit].<br />

Der Informationsgehalt wird also progressiv erweitert. <strong>Die</strong> Verbwiederho-<br />

lung führt somit zu einer Intensivierung der Elementarsemantik der<br />

schnellen Fortbewegung, die dieser Satz transportiert.<br />

27


Wird jedoch ein Satz mit einer derart starken Akkumulation äquivalenter<br />

Elemente konstruiert, muss man eine zusätzliche Motivation annehmen<br />

als das reine Lancieren von Information. <strong>Die</strong> silbische Struktur der Ver-<br />

ben ist jeweils identisch (betont vs. unbetont); der Wortakzent liegt je-<br />

weils auf der ersten Silbe. <strong>Die</strong> Juxtaposition der vier Verben etabliert<br />

durch diese Regelmäßigkeit eine Sequenz, die rhythmisch so stark struk-<br />

turiert ist, dass sie als metrisch bezeichnet werden kann. (Es handelt<br />

sich um einen Trochäus mit Auftakt, um einen Begriff aus der traditionel-<br />

len Verslehre zu bemühen.) <strong>Die</strong>se unübliche Regelmäßigkeit sich wie-<br />

derholender, äquivalenter Elemente (hier: Verben der Fortbewegung)<br />

und dazu noch der regelmäßige Wechsel der Silben zwischen unbetont<br />

und betont fällt auf und hat eine Relevanz, keine primär referentielle,<br />

sondern eine primär poetische. Man kann behaupten, dass die Verbak-<br />

kumulation min<strong>des</strong>tens zwei kommunikative Effekte hat, nämlich zum<br />

Einen eine Intensivierung <strong>des</strong> referentiellen Konzeptes der schnellen<br />

Bewegung und zum Anderen durch die Iteration und auffallende Metri-<br />

sierung einen poetischen, der die formale Anordnung der Wörter fokus-<br />

siert.<br />

1.1.1.7. Sprachfunktionen und Poetizität<br />

Es muss zugestanden werden, dass es sich bei den sechs Sprachfunkti-<br />

onen nicht um objektiv messbare Größen handelt. <strong>Die</strong> jeweilige Domi-<br />

nanz einer Funktion und damit deren funktionale Relevanz im Kommuni-<br />

kationsprozess kann also nicht exakt bestimmt werden.<br />

Es ist nicht nur in dem etwas ausführlicher diskutierten Fall (referentiell<br />

vs. poetisch) schwer zu entscheiden, welche Sprachfunktion innerhalb<br />

einer Äußerung in einem gegebenen Kontext nach dem Jakobsonschen<br />

Modell als dominierend angenommen werden muss. Vielmehr ist die a-<br />

nalytische Aufspaltung eines Kommunikationsaktes in die von Jakobson<br />

vorgeschlagenen Funktionen als theoretisches Elementarwerkzeug zu<br />

verstehen, das kohärente Aussagen über Kommunikation und deren<br />

28


Funktion überhaupt erst ermöglichen soll. Es scheint mir pragmatischer<br />

und damit klüger zu sein, bei der funktionalen Dominanzbestimmung<br />

kein Ausschließlichkeitsdogma zu postulieren. Holistisch formuliert muss<br />

man davon ausgehen, dass in jeder Kommunikationssituation mehrere<br />

bis alle der sechs Funktionen aktiv sind, die sich weder gegenseitig aus-<br />

schließen, noch notwendig miteinander konkurrieren. Sie bilden mit den<br />

ihnen zugeordneten sechs Sprachfaktoren das komplexe System Kom-<br />

munikation, bei dem die Aufgabe <strong>des</strong> Wissenschaftlers darin besteht,<br />

stets argumentativ zu untermauert, welche Funktion(en) die jeweils füh-<br />

rende(n) Rolle(n) spielt/spielen.<br />

Bisher ist das Konzept der poetischen Sprachfunktion, auf dem in dieser<br />

Arbeit das theoretische Hauptaugenmerk liegt, noch recht abstrakt<br />

geblieben. Es muss noch exemplarisch aufgezeigt werden, wie sich die<br />

poetische Funktion an konkretem Textmaterial bemerkbar macht. Erst<br />

danach wird deutlich, welche Textmerkmale einer entsprechenden lingu-<br />

istischen Beschreibung zugänglich sind.<br />

Man kann die Summe der spezifischen Eigenschaften eines Textes, die<br />

das dominierende Wirken der poetischen Funktion anzeigen, als Poetizi-<br />

tät dieses Textes bezeichnen. Um einer Verwechslung vorzubeugen: Bei<br />

dem hier verwendeten Konzept von Poetizität geht es (zunächst) nicht<br />

um die Frage, ob ein gegebener Text von Seiten <strong>des</strong> Rezipienten als<br />

(mehr oder weniger) subjektiv poetisch empfunden wird. Sondern es<br />

stehen intersubjektiv überprüfbare Texteigenschaften zur Debatte, die<br />

sich theoretisch konsistent aus dem Postulat der poetischen Funktion<br />

ergeben und die mit linguistischer Terminologie begrifflich erfasst werden<br />

können.<br />

<strong>Die</strong> Frage der folgenden Ausführungen lautet demnach: Mit welchen lin-<br />

guistischen Begriffen lässt sich die Texteigenschaft der Poetizität be-<br />

schreiben, die durch das postulierte Wirken der poetischen Funktion zu<br />

Stande kommt?<br />

29


1.1.2. Poetizität als Selbstreferenz <strong>des</strong> sprachlichen Zeichens<br />

<strong>Die</strong> poetische Funktion lenkt nach Jakobson die Aufmerksamkeit auf die<br />

Nachricht als solche (vgl. Jakobson 1981: 25). <strong>Die</strong>s kann beispielsweise<br />

folgendermaßen geschehen. <strong>Die</strong> signifikantenseitig erzeugte, auditiv<br />

wahrnehmbare Qualität der regelmäßigen (= ungewöhnlichen) Lautung<br />

in dem oben bereits erwähnten Beispielsatz<br />

Herab, herab der Regen fällt; der Regen, Regen fällt herab<br />

hat durch seine ungewöhnliche lautliche Regelmäßigkeit, durch sein<br />

Metrum, die Eigenschaft, die Aufmerksamkeit <strong>des</strong> Lesers an das lautli-<br />

che Material zu binden und sie von der Signifikatenseite abzulenken.<br />

Link (1992) spricht angesichts dieses Phänomens von der Desemantisie-<br />

rung <strong>des</strong> Signifikaten zugunsten einer Semantisierung <strong>des</strong> Signifikanten<br />

und bezeichnet diesen Prozess als Überstrukturierung und als ein konsti-<br />

tutives Merkmal für so genannte überstrukturierte Texte (vgl. Link 1992:<br />

95 ff.). Bei der Konstruktion derartiger Texte besteht „das (…) Verfahren<br />

(…) darin, gleichzeitig lautliche und semantische Paradigmata auf das<br />

Syntagma <strong>des</strong> Textes abzubilden (…)“ (Link 1992: 93) und damit die<br />

Signifikantenseite zu semantisieren, also ihr gewissermaßen eine kom-<br />

munikative Relevanz zuzuschreiben sowie die Signifikatenseite zu de-<br />

semantisieren, also von der referentiellen Bedeutung abzulenken. Der<br />

Satz liefert einerseits die referentielle Information <strong>des</strong> Regnens. Ande-<br />

rerseits kann man argumentieren, dass die metrische Struktur <strong>des</strong> Bei-<br />

spielsatzes das Fallen der Regentropfen ikonisch repräsentiert, indem<br />

sie eine Ähnlichkeit aufweist mit dem zumin<strong>des</strong>t potenziell rhythmischen<br />

Tropfen <strong>des</strong> Regens. (Der Begriff der Ikonizität als motivierter Semiose-<br />

modus wird ausführlich rekonstruiert in Kapitel 1.4.3.)<br />

„Dadurch, daß das Prinzip der Abbildung einer paradigmatischen Ordnung auf<br />

ein Syntagma mehrfach (auf mehreren Ebenen der Struktur gleichzeitig) an-<br />

gewendet wird, entsteht eine enge gegenseitige Beziehung zwischen den E-<br />

benen. (...). Solche Texte sind (...) überstrukturiert“ (Link 1992: 93).<br />

30


Das Doppelprinzip der (De-)Semantisierung ist als komplementäres<br />

Phänomen zu verstehen, wobei „der Semantisierung der Signifikant-<br />

Ebenen eine Desemantisierung der Ebene der Denotation entspricht“<br />

(Link 1992: 97).<br />

Analytisch angewendet auf meinen zweiten Beispielsatz<br />

Ich (a) laufe, (b) eile, (c) stürze, (d) haste ins Haus, <br />

weil es regnet<br />

würde dies folgendermaßen aussehen:<br />

<strong>Die</strong> Semantisierung der Signifikantenseite wird erneut erreicht durch die<br />

regelmäßige Abfolge unbetonter und betonter Silben, die man als phoni-<br />

sche Metrisierung bezeichnen kann. <strong>Die</strong> Desemantisierung der Signifika-<br />

tenseite wird erzeugt durch die Aneinanderreihung mehrerer (quasi-<br />

)äquivalenter Verben. <strong>Die</strong>ses Manöver kann man als lexikalische Metri-<br />

sierung bezeichnen. Es führt zu einer gewissen, wenn auch nicht absolu-<br />

ten Redundanz. Eine Erweiterung <strong>des</strong> Begriffes Metrum gegenüber ei-<br />

nem in der Literaturwissenschaft engeren Verständnis bringt Koch<br />

(1981) ins Spiel, wenn er von „syntaktischen Metren“ spricht und sogar<br />

„konsequenterweise (...) die topikale Rekurrenz als Metrum“ ansieht.<br />

„<strong>Die</strong>ser [der topikale] Rekurrenztyp beinhaltet zwar einen relativ offenen Pa-<br />

rameter von allgemeiner informationeller Analyse; doch könnte er nach dem<br />

Strukturierungsprozeß noch als Metrum benutzt und erfahren werden“ (Koch<br />

1981: 48).<br />

Es ist also möglich, dass eine Zeichenkette so konstruiert sein kann,<br />

dass das eigentlich Wichtige an ihr die in den Vordergrund der Wahr-<br />

nehmung gerückten formalen, also sinnlich (= visuell/auditiv) wahrnehm-<br />

baren, Signifikanten sind und die kommunizierten Inhalte, die Signifika-<br />

ten, in ihrer kognitiven Wirkung auf den Rezipienten gegenüber der Form<br />

zurücktreten. <strong>Die</strong> Tatsache, dass sprachliche Zeichen einen (zumin<strong>des</strong>t<br />

potenziell) materiellen Zeichenträger nötig haben um kommunizierbar zu<br />

sein (eine Phonemfolge, eine Graphemfolge, die auch mental repräsen-<br />

tiert sein kann) ist nur scheinbar trivial. <strong>Die</strong> poetische Funktion hat den<br />

Effekt, diese Trivialität zu enttrivialisieren und den materiellen Zeichen-<br />

31


träger ins Zentrum <strong>des</strong> semiotischen Interesses zu rücken. <strong>Die</strong> meist un-<br />

hinterfragte Selbstverständlichkeit der „Verbindung der Vorstellung mit<br />

dem Lautbild“ (Saussure 2 1967: 78), die Saussure „das Zeichen“ (ibi-<br />

dem) nennt, wird außer Kraft gesetzt. Man kann also von einer gewissen<br />

Autonomie oder Selbstreferentialität <strong>des</strong> Zeichens sprechen, wenn es<br />

der Fall ist, dass die poetische Funktion als dominant angenommen wird<br />

und der Zeichenträger dann sein eigenes Signifikat bildet und somit auf<br />

sich selbst verweist.<br />

Kloepfer (1975) sieht das selbstreferentielle Moment der poetischen<br />

Funktion allerdings eher als einen zeitlich begrenzten Prozess bei der<br />

Zeichenrezeption. Er hält es für möglich, „daß durch die poetische Funk-<br />

tion das Zeichen zuerst einmal nur auf sich selbst verweist (also zeitwei-<br />

se autonom wird), dann aber nach diesem Prozeß wieder auf etwas au-<br />

ßerhalb seiner selbst gerichtet ist, d.h. eine semantische oder pragmati-<br />

sche Funktion haben kann: Zeichen mit einer ‚Aussage’ über die Wirk-<br />

lichkeit ist, mit einem Appell an seine Leser etc.“ (Kloepfer 1975: 45).<br />

Der von Kloepfer erwähnte Prozess der Zeichenrezeption im Rahmen<br />

einer poetisch dominierten Kommunikationssituation kann auch als eine<br />

Art Semiose bezeichnet werden, also als Konstitution einer bedeutungs-<br />

vollen Relation zwischen Signifikant und Signifikat. Denn „Semiose ist<br />

der Prozeß, in dem ein Zeichen seine Wirkung entfaltet. (...). Kommuni-<br />

kation ist (...) ein besonderer Fall der Semiose, nämlich Semiose, an der<br />

ein Kommunikator, ein Zeichen und ein Rezipient beteiligt ist“ (Nöth<br />

2 2000: 227).<br />

Unter der Annahme, dass es sich bei dem Prozess der Semiose in der<br />

Tat um einen dynamischen Prozess und nicht um einen statischen Zu-<br />

stand handelt, scheint allerdings die Auffassung einer zeitweiligen Auto-<br />

nomie <strong>des</strong> Zeichens plausibler gegenüber der Auffassung einer totalen<br />

Autonomie.<br />

32


1.1.3. Poetizität als Deautomatisierung <strong>des</strong> Leseprozesses<br />

Im Rahmen der Poetizitätstheorie <strong>des</strong> russischen Formalismus wird das<br />

Wirken der poetischen Funktion mit dem Phänomen der so genannten<br />

Deautomatisierung <strong>des</strong> Rezeptionsprozesses in Verbindung gebracht<br />

(vgl. Erlich 1964: v.a. 284 ff.).<br />

Man kann davon ausgehen, dass in einem standardsprachlichen Text<br />

die Zeichenrelation der Elemente, aus denen der Text aufgebaut ist,<br />

durch den jeweiligen Kode konventionell determiniert ist. <strong>Die</strong>s führt beim<br />

Leseprozess zu einer konventionell-routinierten, automatisierten Bedeu-<br />

tungskonstitution oder automatisierten Dekodierung. Man kann also sa-<br />

gen, dass bei der Rezeption eines normalsprachlichen Textes die Semi-<br />

ose konventionell durch den Kode determiniert ist und darum kognitiv<br />

automatisiert abläuft. Der kognitive Prozess der Semiose selbst ist wäh-<br />

rend <strong>des</strong> Lesens im Normalfall nicht Gegenstand der Reflexion. Man<br />

macht sich nicht bei jedem gelesenen Wort Gedanken darüber, dass<br />

man gerade Signifikant und Signifikat in eine zeichenkonstituierende Be-<br />

ziehung bringt.<br />

Demgegenüber steht die Auffassung <strong>des</strong> russischen Formalismus, dass<br />

die wesentliche Funktion der poetischen <strong>Sprache</strong> darin besteht, durch<br />

formale (phonologische, morphologische, syntaktische) Eigentümlichkei-<br />

ten und damit durch unerwartete syntagmatische Konfigurationen<br />

sprachlicher Zeichen (oder Pseudozeichen) diese automatisierte Wahr-<br />

nehmung zu deautomatisieren und dem formalen Material der <strong>Sprache</strong><br />

zu einem hervorgehobenen Status zu verhelfen (vgl. Nöth 2 2000: 95).<br />

<strong>Die</strong> zentrale Funktion <strong>des</strong> poetischen Verfahrens besteht also im Prinzip<br />

in der Verfremdung der Norm, in der Abweichung von der Konvention.<br />

In einer solchen Situation entsteht allerdings das Problem, dass die auf-<br />

fälligen Elemente nicht nur einfach auffallen, sondern der Prozess ihres<br />

Zustandekommens und die Art der Eigentümlichkeit in den Fokus der<br />

bewussten Wahrnehmung geraten. Wenn man dann linguistisch be-<br />

schreibende Aussagen über derartige Textstellen macht, bewegt man<br />

sich auf der Ebene der Metasprache. Man thematisiert den Kode oder<br />

33


gegebenenfalls entsprechende Abweichungen davon. Wird aber der Ko-<br />

de zum Gegenstand der sprachlichen Kommunikation, ist laut Jakobson<br />

die metasprachliche Funktion dominant (vgl. Jakobson 1981: 25).<br />

Auf diese Differenzierungsschwierigkeit weist auch Koch (1981) hin. Er<br />

merkt kritisch an:<br />

„<strong>Die</strong> in (...) stilembefrachteten Sätzen zusätzlich aufzuwendende Energie be-<br />

wirkt, daß sich Operationen selbst der Aufmerksamkeit und dem Bewußtsein<br />

<strong>des</strong> Textrezipienten aufdrängen (...). <strong>Die</strong> Realisationen dieser Operationen<br />

sind (...) Metasprache. (...). Meine Annahme führt also dazu, daß Stilphäno-<br />

mene, Abweichung u.ä. dem Bereich der Metasprache zugerechnet werden“<br />

(Koch 1981: 41).<br />

Es ist in derartigen postulierten Deautomatisierungssituationen wahr-<br />

scheinlich nie eindeutig zu entscheiden, ob die poetische oder die meta-<br />

sprachliche Funktion die dominante Rolle im Kommunikationsprozess<br />

spielt oder ob die rigide Trennung beider überhaupt sinnvoll ist. Hier wird<br />

jedenfalls der vermittelnde Standpunkt vertreten, dass die poetische<br />

Funktion auf der perzeptorischen Ebene gewissermaßen als initiatori-<br />

sche Vorstufe zu verstehen ist zu der sekundären, kognitiv reflektierten<br />

Beschreibung auf der Metaebene.<br />

Am massivsten drängt sich die poetische Funktion sicherlich in so ge-<br />

nannten poetischen Texten in der Wahrnehmungsvordergrund, wo sie<br />

nach Auffassung <strong>des</strong> russischen Formalismus per definitionem pro-<br />

grammatisch anzutreffen ist. Derartige Texte treten allerdings mit einem<br />

explizit ästhetischen Wirkungsanspruch auf.<br />

„Durch Abweichung vom alltäglichen Sprachgebrauch soll in der [sic!] Poesie<br />

zu einer neuen Wahrnehmung (...) der sprachlichen Phänomene führen, die<br />

dem Prozeß der Automatisierung, der Gewöhnung an die Strukturen, entge-<br />

genwirkt“ (Nöth 2 2000: 95).<br />

<strong>Die</strong>s sieht Sklovskij (1923) sogar als Aufgabe <strong>des</strong> Dichters, wenn er sehr<br />

plastisch und geradezu kämpferisch schreibt:<br />

„Gerade diesem unerbittlichen Zwang der Routine, der Gewohnheit muß der<br />

Dichter entgegenwirken. Indem er das Objekt aus seinem gewohnten Zusam-<br />

menhang reißt, indem er disparate Ideen zusammenbringt, gibt der Dichter<br />

34


den Wortklischees und abgedroschenen Redensarten den Gnadenstoß und<br />

zwingt uns, die Dinge und ihr sinnliches Gewebe mit einem wacheren Be-<br />

wußtsein aufzunehmen“ (zitiert nach Erlich 1964: 195).<br />

Der Begriff Deautomatisierung, den auch Kloepfer (1975) als Konse-<br />

quenz <strong>des</strong> Wirkens der poetischen Funktion versteht, hat in unterschied-<br />

lichen Strömungen der Poetizitätsforschung <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts immer<br />

wieder unterschiedliche Etiketten erhalten, so etwa in der Tradition der<br />

Prager Schule:<br />

„<strong>Die</strong> Deautomatisierung hat zur Folge, daß das Zeichen (oder der Zeichenpro-<br />

zess) als solches wahrgenommen wird, weshalb die Prager von Aktualisierung<br />

sprachen; das Zeichen tritt in den Vordergrund <strong>des</strong> Bewußtseins, was die eng-<br />

lische Übersetzung ‚foregrounding’ ausdrücken soll; es wird – zumin<strong>des</strong>t par-<br />

tiell und für kurze Zeit – aus einem Zeichen zu einem ‚Ding’, weshalb man im<br />

Französischen oft von ‚matérialisation’ spricht. Auf Deautomatisierung folgt<br />

immer dann Aktualisierung, wenn der Rezipient nicht die gestörte Kommunika-<br />

tion übergeht, wenn er nicht ‚abschaltet’“ (Kloepfer 1975: 47; vgl. auch Koch<br />

1981: 40).<br />

(Vgl. Des Weiteren zum Begriff Deautomatisierung aus der Sicht der ge-<br />

nerativen Transformationsgrammatik Levin 1971; aus der Sicht <strong>des</strong> Pra-<br />

ger Strukturalismus im Überblick Garvin, Ed., 1964, dort vor allem den<br />

Artikel von Jan Mukarovsky; aus Sicht <strong>des</strong> französischen Strukturalismus<br />

Greimas 1970.)<br />

Küper (1976) konstruiert eine interdependente Relation zwischen den<br />

poetischen Prinzipien Selbstreferenz und Deautomatisierung. Er macht<br />

sehr pointiert darauf aufmerksam, dass durch die Selbstreferenz der<br />

Nachricht und die daraus resultierende Deautomatisierung <strong>des</strong> Rezepti-<br />

onsprozesses „das Zeichen, das in der poetischen Kommunikation ver-<br />

wendet wird, als ikonisches Zeichen [zu] interpretieren [ist], <strong>des</strong>sen ma-<br />

terielle Seite in einer Beziehung der Ähnlichkeit zu dem Zeicheninhalt<br />

steht (...). Das Verhältnis zwischen Signifikant und Signifikat ist nicht ar-<br />

biträr, sondern beruht auf Ähnlichkeit“ (Küper 1976: 37).<br />

Hierhin passt auch das sprachliche Phänomen der Kookurrrenz, die<br />

dann vorliegt, „wenn die Ausdrucksseite eines Zeichens bereits in ir-<br />

35


gendeiner Form ein Element der Inhaltsseite abbildet. (...). Bei der Koo-<br />

kurrenz bildet der Ausdruckskörper Beziehungen nach, die unserem<br />

Wahrnehmungsmodell <strong>des</strong> Gegenstan<strong>des</strong> in irgendeiner Weise entspre-<br />

chen“ (Kloepfer 1975: 102 f.).<br />

Worin jedoch im Einzelnen unter der Wirkung der poetischen Funktion<br />

diese Ähnlichkeit zwischen Signifikant und Signifikat, also die ikonische<br />

Qualität <strong>des</strong> Zeichenträgers bestehen soll, bleibt leider sowohl bei Küper<br />

als auch bei Kloepfer rein theoretisch. Weiterhin ist fraglich, ob ein Leser<br />

im deautomatisierten Rezeptionsmodus die von Seiten der Theorie pos-<br />

tulierten Effekte, im Besonderen die postulierte Ikonizitätsrelation, über-<br />

haupt als solche wahrnimmt. Wie so oft fehlt den theoretischen Spekula-<br />

tionen die empirische Basis. Zwei, drei herangezogene Beispiele sind für<br />

ein solch elementares Theorem allzu schwache Stützen.<br />

Nachdem nun mittels der Begriffe Selbstreferenz und Deautomatisierung<br />

das Konzept der poetischen Sprachfunktion etwas plastischer dargestellt<br />

wurde, soll an Hand konkreter Sprachbeispiele gezeigt werden, wie die-<br />

se sich empirisch beobachtbar im Text ausprägt.<br />

1.2. Poetisch relevante Textmerkmale<br />

Eine Theorie besteht bekanntermaßen aus möglichst konsistenten Hypo-<br />

thesen und sollte, wenn sie den Anspruch erhebt, brauchbar zu sein,<br />

Voraussagen im Hinblick auf eine empirische Verifizierung oder Falsifi-<br />

zierung machen. Eine detaillierte <strong>des</strong>kriptive Anwendung der eingeführ-<br />

ten Begriffe zur poetischen Sprachfunktion wird im korpusbasierten Em-<br />

pirieteil der Arbeit erprobt. Aber zuvor wird exemplarisch vorgeführt, wel-<br />

che empirisch beschreibbaren sprachlichen Phänomene überhaupt in<br />

Frage kommen, die Aufmerksamkeit <strong>des</strong> Rezipienten von anderen kon-<br />

stitutiven Faktoren der Kommunikation auf „the message for its own sa-<br />

ke” (Jakobson 1981: 25) zu lenken. Hierfür werde ich nun die theoreti-<br />

schen Begriffe, deren Intension im vorausgegangenen Abschnitt in den<br />

Blick genommen wurde, mit ausgewählten musterhaften Syntagmen ver-<br />

36


schiedener linguistischer Ebenen füllen und damit die potenzielle Exten-<br />

sion dieser Begriffe ausweisen. Es gilt also zu präzisieren, wonach bei<br />

der späteren empirischen Analyse überhaupt prinzipiell zu suchen ist.<br />

Das Grundproblem jede Poetizitätsforschung, die mit Begriffen wie Ver-<br />

fremdung, Abweichung, Deautomatisierung arbeitet, ist die Unterschei-<br />

dung zwischen dem ‚normalsprachlichen’ Standard und der ‚unnormalen’<br />

poetisch markierten, das heißt poetisch relevanten Variante. <strong>Die</strong>se Un-<br />

terscheidung ist nicht gänzlich ohne die Intuition <strong>des</strong> Wissenschaftlers zu<br />

bestimmen und damit zu einem gewissen Grad immer subjektiv gefärbt.<br />

Will man ermitteln, wie poetisch relevante Textstellen auf Leser wirken,<br />

wird die Intuition <strong>des</strong> Wissenschaftlers zu einem methodischen Problem:<br />

In das Gehirn eines Leser kann er nicht hineinschauen.<br />

Man muss also mit der relativen Unklarheit darüber umgehen, was ein<br />

fiktiver Leser während der Lektüre als normal, das heißt automatisch ko-<br />

dierbar empfindet und was im Text demgegenüber seinen automatisier-<br />

ten Leseprozess aufhält und damit deautomatisiert rezipiert werden<br />

muss und folglich einen Hinweis auf das Wirken der poetischen Funktion<br />

geben kann.<br />

1.2.1. Iteration auf der phonischen Ebene<br />

Unter lautlicher Iteration auf der phonischen Ebene definiere ich zwei<br />

Phänomene, die als poetisch relevant bezeichnet werden können. Dabei<br />

muss man zwischen den <strong>Sprache</strong>benen Phonetik und Phonologie unter-<br />

scheiden.<br />

Auf der phonetischen Ebene kann eine ungewöhnlich regelmäßige Ak-<br />

kumulation von Sprachlauten, die über eine gewisse Strecke <strong>des</strong> Textes<br />

eine lautliche Dominanz erzeugen, die Aufmerksamkeit von der Seman-<br />

tik auf das phonetische Material, also vom Signifikaten auf den Signifi-<br />

kanten lenken.<br />

Als Illustration soll hier ein Textbeispiel referiert werden, das Jürgen Link<br />

in seinem Aufsatz Elemente der Lyrik anführt (vgl. Link 1992: 92 ff.). Link<br />

37


demonstriert das oben abstrakt eingeführte Projektionsprinzip Roman<br />

Jakobsons an zwei Zeilen aus einem Opernlibretto Richard Wagners:<br />

„Winterstürme wichen dem Wonnemond<br />

In mildem Lichte leuchtet der Lenz“<br />

(zitiert nach Link 1992: 92 ff.; Hervorhebungen von mir).<br />

<strong>Die</strong> lautliche Rekurrenz bezieht sich im ersten Vers auf die hervorgeho-<br />

benen stimmhaften, labialen Frikative [v] und im zweiten auf die Laterale<br />

[l], die jeweils als Anlaute auftreten. Link beschreibt dieses in der Litera-<br />

turwissenschaft als Alliteration oder Stabreim bekannte Stilmittel mit all-<br />

gemeineren Begriffen aus der strukturalen Linguistik, leider jedoch ohne<br />

sich der in der Linguistik zur Charakterisierung von Sprachlauten übli-<br />

chen phonetischen Umschrift zu bedienen:<br />

„Ein Paradigma wird hier von allen mit ‚w’ anlautenden Wörtern gebildet, ein<br />

zweites von allen, mit ‚l’ beginnenden. <strong>Die</strong>se paradigmatische Ordnung wird<br />

zum organisierenden Prinzip <strong>des</strong> Syntagmas erhoben. (...). <strong>Die</strong> Alliteration läßt<br />

sich als Abbildung eines lautlichen Paradigmas auf ein lautliches Syntagma<br />

definieren" (Link 1992: 92).<br />

Im Rückgriff auf das Deautomatisierungsprinzip kann man behaupten,<br />

dass die Häufung gleicher Anlaute in einem kurzen Textabschnitt unge-<br />

wöhnlich und auffällig ist und die Leseraufmerksamkeit dadurch zeitwei-<br />

lig von der semantischen Dekodierung ablenkt. <strong>Die</strong> eigentümliche lautli-<br />

che Struktur verleiht den Syntagmen eine poetische Zusatzqualität. Der<br />

Informationsgehalt einer solchen Textsequenz wird gewissermaßen<br />

durch lautliche Mittel angereichert. <strong>Die</strong> Phoneme verlieren in solchen<br />

Fällen zwar nicht ihre primäre Funktion innerhalb eines Sprachsystems,<br />

nämlich die der Bedeutungsunterscheidung. Aber auf Grund der uner-<br />

warteten Häufung äquivalenter Phoneme tritt deren distinktive Funktion<br />

zurück zugunsten einer Konzentration auf ihre phonetischen (materiel-<br />

len) Eigenschaften. Es handelt sich um einen Konkretisierungs- oder<br />

Versinnlichungsprozess, der der Sequenz eine poetische Relevanz zu-<br />

schreibt. Bei der poetologischen Diagnose bewährt sich das Jakobson-<br />

sche Projektionsprinzip. Phonetisch äquivalente Sprachlaute tauchen in<br />

38


ungewöhnlicher Häufung in einer syntagmatischen Konfiguration auf und<br />

stechen derart ins Ohr, dass eine motivierte funktionale Relevanz anzu-<br />

nehmen ist. Eine zufällige Häufung ist in diesem explizit lyrischen Text-<br />

stück ausgeschlossen.<br />

Auf der phonologischen Ebene ist in diesem Fall die linguistisch durch-<br />

aus umstrittene <strong>Sprache</strong>inheit der Silbe interessant. Bußmann ( 3 2002)<br />

stellt fest, dass die Silbe als „phonetisch-phonologische Grundeinheit<br />

<strong>des</strong> Wortes (...) zwar intuitiv nachweisbar ist, wissenschaftlich aber keine<br />

einheitliche Definition hat“ (Bußmann 3 2002: 600). Eine tiefer gehende<br />

Problematisierung soll hier aber nicht erfolgen (vgl. hierzu Vennemann<br />

1982). Für den Zweck dieser Arbeit genügt es, für das Deutsche das ar-<br />

tikulatorische Kriterium <strong>des</strong> Wortakzents, also <strong>des</strong> erhöhten Schalldrucks<br />

während gewisser Artikulationsphasen eines Wortes, heranzuziehen.<br />

Somit kommt man zu einer Unterscheidung von betonten und unbeton-<br />

ten Silben. Durch ein intentionales, ungewöhnlich regelmäßiges Arran-<br />

gement von betonten und unbetonten Silben können Abschnitte eines<br />

Textes lautlich strukturiert und damit metrisiert werden. <strong>Die</strong>s ist der Fall<br />

in dem bereits oben ausführlich diskutierten Beispiel, das hier nochmals<br />

genannt sei:<br />

Herab, herab der Regen fällt; der Regen, Regen fällt herab.<br />

Auch hier wird eine paradigmatische Ordnung in ungewöhnlicher Weise<br />

auf ein Syntagma abgebildet, nämlich das Paradigma der betonten und<br />

das der unbetonten Silben. Hieraus entsteht ein kommunikatives<br />

Surplus, das als poetisch relevant klassifizierbar ist.<br />

1.2.2. Iteration auf der lexikalischen Ebene<br />

Das wiederholte Auftauchen eines lexikalischen Elements innerhalb ei-<br />

ner Textsequenz ist nicht die Norm. Im Gegenteil wird Schülern oft<br />

Wortwiederholung als Ausdrucksfehler angekreidet, womit das Prinzip<br />

der Wiederholung leider prinzipiell und oft unangemessenerweise in<br />

Misskredit gerät.<br />

39


Im folgenden umgangssprachlichen und streckenweise recht vulgären<br />

Textauszug aus dem Rap-Song Soldier <strong>des</strong> Detroiter Hip-Hop-Poeten<br />

Eminem (= Marshall Mathers) taucht während einer Phase <strong>des</strong> Lie<strong>des</strong><br />

die Präposition off in ungewöhnlicher Häufung auf. <strong>Die</strong>s kann kein Zufall<br />

sein, sondern muss als motiviert angenommen werden:<br />

„I love pissing you off, it gets me off, like my lawyers, when the fucking judge<br />

lets me off, all you motherfuckers got to do is set me off, I violate and the<br />

motherfucking bets be off” (Eminem 2002: Soldier; Hervorhebungen von mir).<br />

An fünf Stellen taucht off als obligatorische Präpositionalergänzung zu<br />

einem Verb auf. Aus dem Text isoliert und durch die deutsche Überset-<br />

zung ergänzt sehen die off-Konstruktionen folgendermaßen aus:<br />

Amerikanisches Englisch Deutsch<br />

to piss some one off jemanden provozieren<br />

to get some one off jemanden sexuell erregen<br />

to let some one off jemanden davonkommen lassen<br />

to set some one/something off etwas/jemanden losgehen lassen (z.B. Bombe)<br />

to be off unwichtig werden/annulliert werden<br />

Tabelle 2: Eminem: Soldier – Partiell synonyme Verben mit präpositionaler Er-<br />

gänzung<br />

Es wäre möglich gewesen andere Verben zu benutzen, die als partielle<br />

Synonyme die gleiche referentielle Information transportieren. Statt piss<br />

off könnte to annoy stehen, statt let off wäre to set free oder to release<br />

denkbar. Allerdings würden diese Alternativen auf Kosten <strong>des</strong> morpholo-<br />

gischen Musters der off-Konstruktionen gehen.<br />

Erneut lässt sich das Jakobsonsche Projektionsprinzip als Erklärung für<br />

eine poetische Motivation der off-Konstruktionen heranziehen. <strong>Die</strong> engli-<br />

schen Verben aus dem morphologischen Paradigma Basisverb + off<br />

werden in ungewohnter Häufigkeit auf der syntagmatischen Achse ver-<br />

teilt. Sie ziehen durch die Wiederholung <strong>des</strong> analogen morphosyntakt-<br />

sche Musters die Aufmerksamkeit auf sich. <strong>Die</strong> relative Regelmäßigkeit<br />

40


der morphologischen Form der Verben auf engem textlichen Raum fügt<br />

ihrer Semantik noch eine Qualität hinzufügt, nämlich eine poetische.<br />

Als subtilerer Sonderfall der lexikalischen Rekurrenz kann die Akkumula-<br />

tion von Lexemen eines speziellen lexikalischen Fel<strong>des</strong> verstanden wer-<br />

den.<br />

Der Lyriker Georg Trakl verwendet dem Gedicht Verfall (entstanden<br />

1909) eine hohe Zahl an Adjektiven, die visuelle/farbliche Beschrei-<br />

bungsqualitäten haben. Sie können dem lexikalischen Feld Farbbe-<br />

schreibungen zugeordnet werden. Sie gehören somit einem Paradigma<br />

an und werden in diesem Gedicht in auffälliger Dichte auf die syntagma-<br />

tische Linearität <strong>des</strong> Textes projiziert.<br />

„Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,<br />

Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,<br />

<strong>Die</strong> lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen<br />

Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.<br />

Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten<br />

Träum ich nach ihren helleren Geschicken<br />

Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.<br />

So folg ich über Wolken ihren Fahrten.<br />

Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.<br />

<strong>Die</strong> Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.<br />

Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,<br />

In<strong>des</strong> wie blasser Kinder To<strong>des</strong>reigen<br />

Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,<br />

Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen“<br />

(Trakl 1913: Verfall; Hervorhebungen von mir).<br />

<strong>Die</strong> acht isolierten Adjektive sind:<br />

klar, dämmervoll, hell, rot, rostig, blass, dunkel, blau.<br />

Unabhängig von einer eventuellen Intention <strong>des</strong> Autors kann man fest-<br />

stellen, dass die häufige Nennung entsprechender Farbbezeichnungen<br />

41


in dem kurzen Text den Effekt haben, die Assoziation eines Herbst-<br />

abends zu unterstützen. <strong>Die</strong> Suggestivkraft, die zu einer kognitiven Rep-<br />

räsentation führt (oder zumin<strong>des</strong>t führen kann), liegt in der Häufung der<br />

Farbbezeichnungen, die über den Text verteilt die Aufmerksamkeit auf<br />

sich ziehen.<br />

1.2.3. Inkongruenz auf der morphologischen Ebene<br />

Eine Ausprägung semantischer Inkongruenz, die im Hinblick auf die em-<br />

pirischen Analysen relevant ist, bezieht sich auf den grammatischen Be-<br />

reich der morphologischen Wortbildung. Als Illustrationsbeispiel soll das<br />

Pseudoadjektiv unkaputtbar dienen. Mit dem Attribut unkaputtbar wurden<br />

im Rahmen einer Werbekampagne der Firma Coca Cola in den 80er<br />

Jahren damals neuartige Plastikflaschen beworben, die mittlerweile die<br />

herkömmlichen Glasflaschen abgelöst haben.<br />

<strong>Die</strong> morphologische Analyse ergibt als Basismorphem das Adjektiv -<br />

kaputt- und als Derivationsaffixe das Negationsmorphem un- sowie das<br />

adjektivbildende Suffix -bar.<br />

<strong>Die</strong> Funktion <strong>des</strong> Derivationssuffixes -bar ist im deutschen Wortbildungs-<br />

system allerdings für Adjektivableitungen aus Verben reserviert (vgl. Du-<br />

den 6 1998: § 970 und § 980). Selten dient es auch der Umwandlung von<br />

Substantiven in Adjektive (vgl. Duden 6 1998: § 987). Etwas unkonventio-<br />

nell, formal jedoch korrekt kann man unkaputtbar mit unkaputtmachbar<br />

paraphrasieren. Als standardsprachliches Synonym kann das im Wort-<br />

schatz <strong>des</strong> Deutschen existierende Adjektiv unzerstörbar gelten. <strong>Die</strong>ses<br />

enthält den verbalen lexikalischen Kern -zerstör- und ist zweifelsfrei auf<br />

grammatisch korrekte Weise gebildet.<br />

Während unkaputtbar und unzerstörbar einen identischen semantischen<br />

Sachverhalt behaupten – ob dies in der Tat zutrifft, ist irrelevant –, näm-<br />

lich dass man die Flasche nicht kaputt machen/zerstören kann, wählte<br />

Coca Cola die offensichtliche grammatische Fehlkonstruktion. <strong>Die</strong> Moti-<br />

vation liegt auf der Hand: Man kann zwar den semantischen Gehalt<br />

42


leicht dekodieren, erkennt aber intuitiv, dass an der Form etwas nicht<br />

stimmt. <strong>Die</strong> Aufmerksamkeit <strong>des</strong> Lesers wird notwendig auf die fehlerhaf-<br />

te Form gelenkt, was eine taktische Unterbrechung <strong>des</strong> Rezeptionsvor-<br />

gangs impliziert, die als Deautomatisierung zu bezeichnen ist. Der ge-<br />

wollte grammatische Fehler ist im Sinne der oben angeführten Hypothe-<br />

sen poetisch relevant; er aktiviert die poetische Sprachfunktion.<br />

Man kann Ähnliches auch bei der linguistischen Einheit der Phrase beo-<br />

bachten. In komplexen Wortgruppen wie etwa Nominalgruppen gibt es<br />

zwischen den einzelnen lexikalischen Elementen, aus denen sie zu-<br />

sammengesetzt sind, Abhängigkeitsverhältnisse. In dieser Arbeit werden<br />

die Begriffe Nominalgruppe (abgekürzt: NGr) und Nominalphrase (abge-<br />

kürzt: NP) synonym verwendet.<br />

Bei der im Deutschen gängigen Nominalphrase klirrende Kälte in dem<br />

Satz<br />

Klirrende Kälte machte ihnen das Leben zur Hölle<br />

fordert das Genus femininum von Kälte bei fehlendem Artikel (= in der so<br />

genannten starken Deklination) regelhaft eine spezielle Flexionsendung,<br />

weshalb das Adjektiv klirrend mit dem Flexionsmorphem -e markiert<br />

werden muss (vgl. Rahmstorf 1983: 173; Olsen 1991: 65 ff., Bhatt 1990:<br />

79 ff. und 89 ff. sowie Kniffka 1996: 7 ff.).<br />

Im Falle <strong>des</strong> semantisch äquivalenten maskulinen Substantivs Frost wä-<br />

re der entsprechende Ausgang -er, also analog<br />

Klirrender Frost machte ihnen das Leben zur Hölle.<br />

Offensichtlich fehlerhaft hingegen ist der Satz<br />

*Klirrende Frost machte ihnen das Leben zur Hölle.<br />

In diesem Fall würde der Fehler *klirrende statt korrekt klirrender als for-<br />

male (morphologische) Inkongruenz zu beschreiben sein.<br />

43


1.2.4. Inkongruenz auf der lexikalischen Ebene<br />

Inkongruenz auf der lexikalischen <strong>Sprache</strong>bene liegt vor, wenn in korrekt<br />

gebildeten Wortgruppen (z.B. Nominalguppen) die Bedeutungen der ein-<br />

zelnen Komponenten auf Grund konfligierender semantischer Merkmale<br />

nicht zueinander passen, wenn irgendeine Art von lexikalischer Solidari-<br />

tätsverletzung vorliegt und sich dadurch eine Abweichung zur Norm ma-<br />

nifestiert. Hoffstaedter (1986) betont, dass „eine zentrale Klasse seman-<br />

tischer Abweichungen (...) in der Verletzung von Selektionsrestriktionen“<br />

besteht (Hoffstaedter 1986: 22).<br />

Eine NGr bestehend aus Artikel + attributiv gebrauchtem Adjektiv als Ad-<br />

junkt + Substantiv ist im Deutschen ein Standardsyntagma, so dass sie<br />

im Satz<br />

Das grüne Auto nahm mich mit<br />

selbstverständlich ist. Variiert man aber den Satz zu<br />

*Das wütende Auto nahm mich mit<br />

fällt das Adjektiv wütend auf, weil es das semantische Merkmal [+<br />

menschliche Eigenschaft] enthält, Auto aber nicht ein Element aus der<br />

Kategorie Mensch ist, also in dem semantischen Merkmal [menschlich]<br />

nicht mit wütend übereinstimmt. Sicherlich können neben Menschen<br />

auch Tiere wütend sein. Tierische Wut wird aber in dieser Arbeit keine<br />

Rolle spielen. Der fiktive Umstand, dass in dem Roman Christine (King<br />

1986) ein Auto menschliche Charakterzüge annimmt, wütend wird und<br />

rachevolle Jagd auf Menschen macht, ist originell, aber als Marginalie zu<br />

behandeln.<br />

Zwischen wütend und Auto herrscht in jedem Fall semantische Inkon-<br />

gruenz. Auch hierbei wird der Leseprozess unterbrochen, weil die Kon-<br />

gruenzverletzung als ‚semantischer Fehler’ auffällt und dadurch geson-<br />

derte Aufmerksamkeit beansprucht. Man findet also erneut die Deauto-<br />

matisierung <strong>des</strong> Leseprozesses als Effekt der poetischen Sprachfunktion<br />

bestätigt.<br />

44


Ein im Hinblick auf die empirischen Analysen der Parfumwerbetexte<br />

hochgradig relevanter Spezialfall semantischer Inkongruenz ist das Phä-<br />

nomen der Synästhesie. Daher soll dieses Phänomen im folgenden Ab-<br />

schnitt sowohl aus neuropsychologischer als auch aus semiotischer Per-<br />

spektive ausführlich dargestellt werden.<br />

1.3. Synästhesie – Neuropsychologie vs. <strong>Sprache</strong><br />

Das Phänomen der Synästhesie hat zwei Dimensionen, die aus zwei un-<br />

terschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven beschrieben werden<br />

müssen. Einerseits wird unter Synästhesie eine kognitive Wahrneh-<br />

mungseigentümlichkeit verstanden, die sich in neuralen Strukturen <strong>des</strong><br />

Gehirns von Individuen abspielt und damit in den Wissenschaftsbereich<br />

der Neuropsychologie gehört. Bei neuropsychologischer Synästhesie<br />

handelt es sich um die „(...) Miterregung eines Sinnesorgans bei Reizung<br />

eines anderen (z. B. Farbwahrnehmung bei akustischem Reiz) (...)“ (Du-<br />

den 1982: 743).<br />

Ein terminologisches Detail, das rechtzeitig geklärt werden soll, betrifft<br />

die Unterscheidung der Adjektive neural und neuronal. Ich folge dabei<br />

der Differenzierung von Damasio/Damasio (1992), die feststellen:<br />

„(...) ‚neural’ bedeutet allgemein die Nerven – (...) das Zentralnervensystem –<br />

betreffend, ‚neuronal’ bezieht sich spezifischer auf die Nervenzellen mit ihren<br />

Fortsätzen, die Neuronen“ (Damasio/Damasio 1992: 80).<br />

Da ich mich innerhalb der neuropsychologischen Abschnitte meiner Ar-<br />

beit allgemein mit dem Nervensystem beschäftige und mich weder auf<br />

das Feld der Neurochemie, noch das der Neurophysik begebe, wird das<br />

Adjektiv neuronal kaum verwendet.<br />

Im Bereich der <strong>Sprache</strong> hingegen kann man Synästhesie beschreiben,<br />

als eine spezielle Ausprägung uneigentlichen, metaphorischen Sprach-<br />

gebrauchs. Es geht dabei um „(...) durch sprachlichen Ausdruck hervor-<br />

gerufene Verschmelzung mehrerer Sinneseindrücke (z. B. schreien<strong>des</strong><br />

Grün) (...)“ (Duden 1982: 743). Dabei werden Lexeme kombiniert, die –<br />

45


wie im obigen Beispiel klirrende Kälte – auf Entitäten referieren, welche<br />

aus unterschiedlichen Sinnesbereichen stammen, die also bezüglich ih-<br />

res perzeptorischen Referenzbereiches inkongruent sind.<br />

1.3.1. Synästhesie unter der Perspektive der Neuropsychologie<br />

Wenn man sich mit dem Phänomen der Synästhesie befasst, muss man<br />

vorab klären, wie viele ‚Sinne’ der Mensch eigentlich hat. Das Problem<br />

der Klassifizierung der menschlichen Sinneswahrnehmung ist nämlich<br />

keineswegs trivial (vgl. die Überblicksdarstellung in Zimmer 9 2001: 55<br />

ff.). <strong>Die</strong> Anzahl der verschiedenen Sinnesmodalitäten oder Sinnessyste-<br />

me divergiert zum Teil erheblich, je nachdem welche Klassifizierungskri-<br />

terien man zu Grunde legt.<br />

<strong>Die</strong> herkömmliche, schon bei Aristoteles anzutreffende, Unterteilung in<br />

die ‚klassischen’ fünf Sinne (Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tas-<br />

ten), die sich an den sichtbaren Sinnesorganen Augen, Ohren, Mund,<br />

Nase, Haut orientiert, basiert auf der Intuition <strong>des</strong> common sense. Sie<br />

kann aber keineswegs als wissenschaftlich fundiert gelten. Stadler (et al.<br />

1975) sprechen bei ihrer psychologisch ausgerichteten Klassifizierung<br />

von „Sinnesgebieten“ und kommen auf eine Zahl von 13:<br />

46


Sinnesgebiete<br />

1 Gesichtssinn<br />

2 Gehör<br />

3 Tastsinn<br />

4 Geruchssinn<br />

5 Geschmackssinn<br />

6 Druck- und Berührungssinn<br />

7 Temperatursinn<br />

8 Schmerzsinn<br />

9 Organempfindungen<br />

10 Stellungssinn<br />

11 Spannungs-, Kraftsinn<br />

12 Lage- und Bewegungssinn<br />

13 Drehbewegungssinn<br />

Tabelle 3: Klassifikation der Sinnesgebiete nach Stadler (et al. 1975: 80 f.)<br />

Der Anthroposoph Rudolf Steiner (Steiner 2 1981), der von zwölf Sinnen<br />

ausgeht, bezieht in seine Konzeption Kategorien ein, die über die eigene<br />

Körperlichkeit hinausgehen. Er nimmt zusäzlich noch einen „Lebens-<br />

sinn“, einen „Sprach- und Wortsinn“ einen „Gedankensinn“ und einen<br />

„Ichsinn“ an (Steiner 2 1981: 45). <strong>Die</strong>ser Ansatz hat sich zwar fest in der<br />

pädagogischen Konzeption der Waldorfschulen etabliert, spielt aber im<br />

sinnesphysiologischen und wahrnehmungspsychologischen Diskurs der<br />

Kognitionswissenschaften keine Rolle (vgl. Zimmer 9 2001: 57).<br />

Als weitere Grundlage <strong>des</strong> empirischen Teils dieser Dissertation beziehe<br />

ich mich auf ein Klassifikationssystem mit sieben Perzeptionskategorien,<br />

das Renate Zimmer vorschlägt und das in Tabelle 4 (mit geringfügigen<br />

Verkürzungen) dargestellt ist. Sie spricht bei ihrer Unterteilung von Sin-<br />

nessystemen und legt dabei physiologische Kriterien zu Grunde (ver-<br />

schiedenartige Rezeptorzellen), physikalische (verschiedenartige Arten<br />

47


adäquater Stimuli) und psychologische (die Art der gewonnenen Infor-<br />

mation). <br />

Sinnes-<br />

system<br />

1 Visuelles<br />

System<br />

2 Auditives<br />

System<br />

3 Taktiles<br />

System<br />

4 Kinästheti-<br />

sches<br />

System<br />

5 Vestibulä-<br />

res<br />

System<br />

Sinnes-<br />

organ<br />

Augen Lichtwellen<br />

Reiz Rezeptoren Gewonnene<br />

Ohren Schalldruck-<br />

Haut,<br />

Hand,<br />

Mund<br />

Sehnen,<br />

Muskeln,<br />

Gelenke<br />

Vestibu-<br />

lar-<br />

appparat <br />

wellen<br />

Mechanische<br />

Reize,<br />

Hautberührung<br />

Muskelkontrak-<br />

tion, <br />

Eigenbewe-<br />

gung<br />

Lineare<br />

Beschleuni-<br />

gung, <br />

Winkelbe-<br />

schleunigung<br />

48<br />

Photorezeptoren<br />

Mechanorezep-<br />

toren<br />

(akustische Re-<br />

zeptoren)<br />

Berührungs- und<br />

Temperaturre-<br />

zeptoren, <br />

Mechanorezep-<br />

toren<br />

Propriozeptoren<br />

Mechanorezep-<br />

toren<br />

Information<br />

Helligkeit, Farben,<br />

Form, Beurteilung<br />

und Lage von Ob-<br />

jekten und Lebewe-<br />

sen<br />

Tonhöhe, Klänge,<br />

Lautstärke, Geräu-<br />

sche, <strong>Sprache</strong>, Art<br />

und Ort von Schall-<br />

ereignissen<br />

Größe, Form, Kon-<br />

sistenz,Oberflä- chenbeschaffenheit<br />

von Objekten, Tem-<br />

peratur<br />

Stellung der Körper-<br />

teile zueinander,<br />

Muskelspannung,<br />

Kraft <strong>des</strong> eigenen<br />

Körpers, Gewicht<br />

von Objekten<br />

Lage und Orientie-<br />

rung im Raum, Be-<br />

schleunigung <strong>des</strong><br />

eigenen Körpers,<br />

Gleichgewichtsemp-<br />

findungen


6 Gustatori-<br />

sches<br />

System<br />

7 Olfaktori-<br />

sches<br />

System<br />

Mund,<br />

Zunge,<br />

Mundhöh-<br />

le,<br />

Gaumen<br />

Nase,<br />

Nasen-<br />

höhle<br />

Chemische<br />

Reize<br />

Gasförmige,<br />

chemische<br />

Verbindungen<br />

49<br />

Chemorezepto-<br />

ren, <br />

Mechanorezep-<br />

toren, <br />

Geschmacks-<br />

knospen <br />

Chemorezepto-<br />

ren,<br />

Riechzellen<br />

Nahrungskontrolle,<br />

Steuerung der Nah-<br />

rungsaufnahme und<br />

–verarbeitung<br />

Umweltkontrolle,<br />

Hygiene, Nahrungs-<br />

kontrolle<br />

Tabelle 4: Klassifikationssystem der Sinneswahrnehmung (nach Zimmer 9 2001:<br />

80 f.)<br />

<strong>Die</strong> Integration der Kriterien aus unterschiedlichen Wissenschaftsberei-<br />

chen scheint mir eine kluge Herangehensweise zu sein, bei der mög-<br />

lichst viele Aspekte <strong>des</strong> äußerst komplexen Vorgangs der Sinneswahr-<br />

nehmung berücksichtigt werden.<br />

Trotz der wissenschaftlich sinnvollen analytischen Aufgliederung <strong>des</strong> ge-<br />

samten Wahrnehmungssystems in sieben Subsysteme betont die Auto-<br />

rin nachdrücklich, dass „die Trennung der einzelnen Sinnessysteme (...)<br />

natürlich nicht der Realität [entspricht] – in Wirklichkeit arbeiten die Sin-<br />

nessysteme zusammen, und meistens gewinnen wir Informationen aus<br />

unserer Umwelt über mehrere Sinneskanäle. Für das Verständnis der<br />

Bedeutung der Sinneswahrnehmung kann es jedoch sehr hilfreich sein,<br />

sich der Funktionsweise einzelner Prozesse bewußt zu werden und auch<br />

in der Praxis ist es sinnvoll die Sinne wieder stärker ins Bewußtsein<br />

kommen zu lassen, die im Alltag von dominanteren Systemen überdeckt<br />

werden“ (Zimmer 2001: 59).<br />

Obwohl Zimmers 7-er-Klassifikation im Prinzip einleuchtet, fasse ich für<br />

meine Zwecke die Kategorien kinästhetisches System und vestibulares<br />

System zur Kategorie kinästhetischen Wahrnehmung zusammen. Beide<br />

Subsysteme liefern dem Gehirn derart ähnliche, nämlich auf die Bewe-<br />

gung <strong>des</strong> Körpers bezogene Information, dass eine Unterscheidung hier<br />

als unangemessen subtil erscheint. Bei den Ausführungen über Synäs-


thesie sowie im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird daher eine Differen-<br />

zierung <strong>des</strong> Sinnesapparates in sechs Sinnesmodalitäten angenommen.<br />

Synästhesie (englisch: synesthesia) im kognitiven Sinne ist eine außer-<br />

gewöhnliche und recht selten vorkommende Wahrnehmungsfähigkeit.<br />

„The word synesthesia comes from the Greek syn (union) and aisthesis (sen-<br />

sation), literally a joining of the senses“ (Cytowic 1989: 1).<br />

Sie „wird auch als ‚Vermischung der Sinne’ bezeichnet. Darunter ver-<br />

steht man, dass es bei Stimulation einer Sinnesqualität – beispielsweise<br />

<strong>des</strong> Hörens oder <strong>des</strong> Riechens – zusätzlich in einer anderen Sinnesqua-<br />

lität, wie dem Sehen von Farben oder von geometrischen Figuren, zu<br />

einer Sinneswahrnehmung kommt“ (Emrich et al. 2000: 11).<br />

Menschen, die eine synästhetische Wahrnehmungsfähigkeit haben,<br />

nennt man Synästhetiker (englisch: synesthetes). Das häufigste synäs-<br />

thetische Phänomen ist „das so genannte (...) Farbenhören (...). Dabei<br />

führen Geräusche, Musik, Stimmen, ausgesprochene Buchstaben und<br />

Zahlen typischerweise zur Wahrnehmung bewegter Farben und Formen“<br />

(Emrich et al. 2002: 11). Ein Synästhetiker, der über die Fähigkeit <strong>des</strong><br />

Farbenhörens verfügt, sieht gewissermaßen die Töne. Aber es gibt auch<br />

diverse andere Kombinationen der verschiedenen Wahrnehmungsmoda-<br />

litäten.<br />

„Seltenere Formen von Synästhesie sind Farbvisionen beim Wahrnehmen von<br />

Gerüchen (Farben-Riechen) sowie das Sehen von Farben oder das Fühlen<br />

von Formen beim Schmecken. Vereinzelt wird auch berichtet (...) von Phäno-<br />

menen wie Formenhören (beim Hören von Klängen werden spezifische For-<br />

men gesehen oder taktile Empfindungen auf der Haut gespürt) (...)<br />

(Kneip/Jewanski 2002: 20).<br />

Man kann also verallgemeinernd sagen, dass Synästhetiker die Eigen-<br />

schaft zu einer pluralistischen oder intermodalen Wahrnehmung haben.<br />

<strong>Die</strong> kognitive Integration ihrer einzelnen Wahrnehmungssysteme ist of-<br />

fensichtlich anders organisiert als bei Menschen, denen diese Eigen-<br />

schaft fehlt, was (leider) auf die meisten von uns zutrifft. <strong>Die</strong> einzelnen<br />

Sinnesmodalitäten sind auf neurologischer Ebene nicht eindeutig gegen-<br />

einander abgegrenzt, so dass es zu kategorialen Vermischungen oder<br />

50


Überlappungen kommen kann. Über das neuropsychologische Zustan-<br />

dekommen synästhetischer Wahrnehmung im Laufe der Ontogenese<br />

gibt es unterschiedliche Auffassungen. <strong>Die</strong>se theoretische Diskussion ist<br />

hochinteressant, kann aber hier nicht referiert werden (vgl. dazu<br />

Kneip/Jewanski 2002: 21 ff.).<br />

Was die Häufigkeit <strong>des</strong> Auftretens von Synästhesie angeht, herrschen<br />

innerhalb der Forschung stark divergierende Zahlen. Man liest von Ver-<br />

hältnissen (Synästhetiker : Nicht-Synästhetiker) von 1 : 5.000 bis 1 :<br />

25.000 (vgl. Kneip/Jewanski 2002: 11).<br />

Synästhetische Eigenschaften, die in ihren individuellen Ausprägungen<br />

hochgradig variabel sind, gehören als festverankerte Charaktereigen-<br />

schaft zur Persönlichkeit <strong>des</strong> Synästhetikers und zeichnen sich durch<br />

eine lebenslange Stabilität aus. Cytowic (1989) stellt fest:<br />

„The synesthesiae change little, if at all, over the course of their lifetime and<br />

there is little that they [the synesthetes] can do to intensify or minimize the<br />

sense” (Cytowic 1989: 41).<br />

Experimente haben hierüber hinaus die neurophysiologische Authentizi-<br />

tät der Synästhesie belegt und sogar diejenigen Gehirnareale lokalisiert,<br />

in denen sie sich neuronal abspielt. Emrich (et al. 2002) berichten von<br />

Untersuchungen, die auf einem elektrophysiologischen Versuchsverfah-<br />

ren basieren. Dabei wurden in Elektroenzephalogrammen (EEG) von<br />

Synästhetikern so genannte „ereigniskorrelierte Potenziale (EKP)“ beo-<br />

bachtet (Emrich et al. 2002: 47). <strong>Die</strong>s „sind Schwankungen in einem<br />

Hirnstrombild (...), die an ein bestimmtes Ereignis wie einen Sinnesreiz<br />

gekoppelt sind und zu diesem synchron verlaufen“ (ibidem). Es konnten<br />

bei Synästhetikern in der Großhirnrinde (= zerebraler Neocortex), ge-<br />

nauer gesagt „im Stirnlappenbereich auffällige Potenziale im 400-<br />

Millisekunden-Rhythmus [gemessen werden], die mit den Reizen auftra-<br />

ten“ (Emrich et al. 2002: 48).<br />

<strong>Die</strong> Großhirnrinde besteht aus zwei Hemisphären (links und rechts), die<br />

ihrerseits in vier anatomisch zu unterscheidende Bereiche aufgeteilt<br />

werden, in den Stirnlappen (lobus frontalis/frontal lobe), den Schläfen-<br />

lappen (lobus temporalis/temporal lobe), den Scheitellappen (lobus pa-<br />

51


ietalis/parietal lobe) und den Hinterhauptslappen (lobus occipita-<br />

lis/occipital lobe). <strong>Die</strong>se Untergliederung <strong>des</strong> Neocortex ist in Abbildung<br />

1 der Farbtafel im Anhang dargestellt. <strong>Die</strong> präfrontale Hirnrinde, die für<br />

synästhetische Wahrnehmung maßgeblich ist, bildet einen Teil <strong>des</strong> Stirn-<br />

lappens und befindet sich hinter dem linken Auge.<br />

Harrison/Baron-Cohen (1997) führen andere bildgebende Verfahren ze-<br />

rebraler Aktivitäten an wie die positron emission tomography (PET) und<br />

das functional magnetic resonance imaging (fMRI). <strong>Die</strong>se bieten eben-<br />

falls „an opportunity to image the brains of individuals with synaesthesia<br />

in vivo (...).” (Harrison/Baron-Cohen 1997: 6). Sie schlussfolgern:<br />

„Given the marked consistency of patterns of activation in synaesthetes (…), it<br />

might ultimately prove possible to determine the presence of synaesthesia ob-<br />

jectively” (ibidem).<br />

Harrison/Baron-Cohen (1997) unterscheiden bei den neurophysiologisch<br />

objektiv messbaren Formen von Synästhesie drei verschiedene Unter-<br />

gruppen:<br />

die originäre Synästhesie, die sie als „developmental synaesthesia“<br />

(Harrison/Baron-Cohen 1997: 7) oder auch „genuine synaesthesia“<br />

(ibidem) bezeichnen,<br />

die „synaesthesia caused by neurological disfunction” (ibidem), die<br />

beispielsweise als Begleiterscheinung der Alzheimer-Krankheit auf-<br />

treten kann und<br />

die „synaesthesia as a consequence of psychoactive drug use” (i-<br />

bidem), die man durch den Konsum psychedelischer Substanzen<br />

wie LSD inszenieren kann. Derartige Wahrnehmungserlebnisse<br />

schildert übrigens der britische Autor Aldous Huxley (1894-1963) in<br />

seinem Buch <strong>Die</strong> Pforten der Wahrnehmung (vgl. Huxley 5 1974).<br />

In den nächsten Abschnitten sollen noch einige neurophysiologische<br />

Grundbegriffe erläutert werden, die für sowohl für das neuropsychologi-<br />

sche als auch für das linguistisch-semiotische Verständnis synästheti-<br />

scher Phänomene relevant sind.<br />

52


1.3.1.1. Limbisches System und Neocortex<br />

Wie eben gezeigt wurde, spielt bei der neurophysiologischen Lokalisati-<br />

on von Synästhesiephänomenen der präfrontale Cortex eine zentrale<br />

Rolle. Interessanterweise ist der präfrontale Cortex genau die Hirnregion,<br />

in der offenbar Informationen der Großhirnrinde mit der <strong>des</strong> so genann-<br />

ten limbischen Systems verknüpft werden (vgl. Emrich et al. 2002: 48).<br />

Das Verhältnis zwischen Neocortex und den Gehirnteilen, die üblicher-<br />

weise unter dem Begriff limbisches System zusammengefasst werden,<br />

ist für die Argumentationslinie dieser Arbeit ausgesprochen wichtig und<br />

soll daher intensiv beleuchtet werden. In einer ersten groben Differenzie-<br />

rung kann man behaupten, dass die Großhirnrinde, also der Neocortex,<br />

für alle kognitiven Prozesse zuständig ist, die wir unter dem Begriff Be-<br />

wusstsein zusammenfassen. Demgegenüber steht das Konzept limbi-<br />

sches System für die nicht bewusst steuerbaren Abläufe im menschli-<br />

chen Organismus. Im Folgenden wird zunächst das Verhältnis zwischen<br />

limbischem System und der Verarbeitung von emotionalen Zuständen im<br />

Gehirn behandelt. Danach wird ein Bezug hergestellt zwischen dem lim-<br />

bischen System und der Geruchswahrnehmung und schließlich wird die<br />

Rolle <strong>des</strong> Neocortex bei der Produktion und Rezeption von <strong>Sprache</strong> the-<br />

matisiert.<br />

1.3.1.2. Limbisches System und Emotion<br />

„Als ‚limbisches System’ werden Strukturen im Gehirn bezeichnet, die das ve-<br />

getative (Eingeweide-)Nervensystem kontrollieren und die Reaktionen innerer<br />

Organe sowie unsere Motivation und Emotion koordinieren. Das limbische<br />

System ist damit an allen Verhaltens- und Denkprozessen beteiligt. Gefühle<br />

wie Angst, Wut, Aggression, Lust aber auch Lernprozess und Gedächtnisfunk-<br />

tionen werden durch das limbische System stark beeinflusst“ (Emrich et al:<br />

2002: 25 f.).<br />

53


<strong>Die</strong> anatomisch gut zu identifizierenden Teile, die das so genannte limbi-<br />

sche System (von lat. limbus/limbi = Saum, Bordüre; eigentlich ‚das He-<br />

rabhängende’; vgl. Langenscheidt 1963: 311) konstituieren, liegen unter-<br />

halb <strong>des</strong> Neocortex, der sich seinerseits unmittelbar unter der Schädel-<br />

decke befindet.<br />

<strong>Die</strong> Darstellung <strong>des</strong> limbischen Systems folgt Bear (et al. 2 2001: 584 ff.),<br />

Emrich (et al. 2002: 25 f.), MacLean (1996: 451 ff.) und Luft (et al. 1997:<br />

Stichwort Paleocortex) und Arbib (et al. 1998: 5 ff.).<br />

Zum limbischen System werden folgende Komponenten gerechnet:<br />

der Gyrus cinguli (cingulate cortex), ein Teil <strong>des</strong> Paloecortex, der<br />

auch als Riechhirn bezeichnet wird.<br />

Der Paloecortex ist eine aus nur drei bis vier Zellschichten bestehende<br />

und evolutionsgeschichtlich ältere Hirnrindenschicht. Sie liegt klar abge-<br />

grenzt unterhalb <strong>des</strong> phylogenetisch jüngeren Neocortex, der seinerseits<br />

aus sechs und mehr Zellschichten aufgebaut ist (vgl. Luft et al.: Stichwort<br />

Paleocortex). <strong>Die</strong> Angaben zur Histologie <strong>des</strong> Paleocortex bzw. <strong>des</strong><br />

Riechhirns sind widersprüchlich. Bear (et al. 2 2001) sprechen bezüglich<br />

<strong>des</strong> „olfatory cortex“ von einem „type of cortex that has only two cell lay-<br />

ers” (Bear et al. 2 2001: 194). <strong>Die</strong> histologischen Detailfragen sind für die-<br />

se Arbeit nicht entscheidend. Wichtig ist nur, dass man Paleocortex und<br />

Neocortex sowohl anatomisch als auch physiologisch (funktional) von-<br />

einander trennen kann.<br />

Während der Gyrus cinguli, der den Hirnstamm von oben umwölbt, zu<br />

den rindenartigen (= kortikalen) Gewebestrukturen <strong>des</strong> Großhirns zählt,<br />

liegen die anderen Teile <strong>des</strong> limbischen Systems weiter unterhalb im<br />

Zentrum <strong>des</strong> Schädels, weshalb sie zusammenfassend auch als subkor-<br />

tikale Strukturen bezeichnet werden. Hierbei sind vor allem zu nennen:<br />

der Hippocampus, der die Wölbung um den Hirnstamm nach unten<br />

hin weiterführt und mit dem Gyrus cinguli und dem Hippocampus<br />

den so genannten limbic lobe bildet, <strong>des</strong>sen histologische Beson-<br />

derheit Paul Broca bereits 1878 beschrieb (vgl. Bear et al. 2 2001:<br />

584),<br />

der vordere Teil <strong>des</strong> Thalamus,<br />

54


der Hypothalamus,<br />

der Fornix (ein bogenartiges Bündel von Nervenfasern).<br />

<strong>Die</strong>se Gehirnteile bilden zusammen mit dem Hippocampus und dem Gy-<br />

rus cinguli den so genannten Papez-Kreis (englisch: Papez circuit; be-<br />

nannt nach dem amerikanischen Neurologen James Papez), „a circuit of<br />

anatomical structures interconnecting the hypothalamus and cortex,<br />

which Papez proposed to be an emotion system” (Bear et al. 2 2001:<br />

822).<br />

Weiterhin sind zu nennen<br />

die Amygdala (Mandelkern) und schließlich<br />

der Bulbus olfactorius (Riechkolben).<br />

<strong>Die</strong> wichtigsten Teile <strong>des</strong> limbischen Systems sind in Abbildung 2 der<br />

Farbtafel im Anhang zu sehen. Leider lassen sich nicht alle Bestandteile<br />

gleichzeitig darstellen.<br />

Obwohl die Bezeichnung limbisches System in der Gehirnforschung fest<br />

etabliert und <strong>des</strong>sen Beteiligung an der Verarbeitung emotionaler Pro-<br />

zesse unumstritten ist, weisen Bear (et al. 2 2001) zurecht darauf hin,<br />

dass eine eindimensionale Identifikation von limbischem System mit<br />

Emotionsverarbeitung problematisch ist. Der Begriff System suggeriert<br />

eine anatomische und funktionale Einheit, die der organisatorischen<br />

Komplexität <strong>des</strong> Gehirns nicht gerecht wird, sondern diese unzulässi-<br />

gerweise vereinfacht (vgl. Bear et al. 2 2001: 584 und 588). Sie betonen<br />

daher, gestützt auf experimentelle Erkenntnisse, dass „solid evidence<br />

indicates that some structures involved in emotion are also involved in<br />

other functions; there is no one-to-one relationship between structure<br />

and function” (Bear et al. 2 2001: 588).<br />

Das Konzept limbisches System sollte also eher als ein funktionales<br />

Konsortium verschiedener Gehirnteile verstanden werden, die an der ze-<br />

rebralen Verarbeitung von Emotionen zwar entscheidenden Anteil ha-<br />

ben, aber auch in vielen anderen neuralen Subsystemen eine Rolle spie-<br />

len.<br />

55


1.3.1.3. Limbisches System und Olfaktorik<br />

Im speziellen Zusammenhang dieser Arbeit, die letztlich immer wieder<br />

um das Problem der Versprachlichung von Geruchswahrnehmungen<br />

kreist, sind die vorigen Ausführungen <strong>des</strong>halb so interessant, weil die<br />

primäre Verarbeitung von Geruchsreizen ebenfalls in genau den Gehirn-<br />

teilen geleistet wird, die zum limbischen System gerechnet werden (vgl.<br />

Bear et al. 2 2001: 584).<br />

<strong>Die</strong> zerebrale Topografie <strong>des</strong> Riechsystems ist in Abbildung 3 der Farb-<br />

tafel im Anhang dargestellt. Der Vergleich der Abbildungen 2 und 3 zeigt<br />

die offensichtlichen anatomischen Überlappungen von limbischem Sys-<br />

tem und Riechsystem.<br />

Der oben bereits im Zusammenhang mit der Anatomie <strong>des</strong> limbischen<br />

Systems erwähnte Paleocortex „ist das Riechhirn und besteht aus der<br />

Riechbahn und den unmittelbar angrenzenden Strukturen. Neben der<br />

primären Funktion als Riechzentrum beteiligen sich paleokortikale Areale<br />

an Entstehung und Ausdruck emotionalen Verhaltens. (...). Der Paleo-<br />

cortex besitzt enge Verbindungen zu subkortikalen Strukturen wie dem<br />

Hypothalamus (vegetatives Zentrum), was die Beziehung zwischen emo-<br />

tionalem und vegetativem System zeigt“ (Luft et al. 1997: Stichwort Pa-<br />

leocortex).<br />

<strong>Die</strong>ser Hirnrindentyp kommt zwar in allen Säugetieren vor, ist aber ver-<br />

glichen mit dem Neocortex relativ einfach gebaut.<br />

„It is called the olfactory cortex, because it is continuous with the olfactory<br />

bulb, which sits further anterior. The olfactory cortex is separated (…) from (…)<br />

the neocortex, which has many cell layers” (Bear et al. 2 2001: 194 f.).<br />

Geruchssignale, die die olfaktorischen Rezeptorzellen in der Nasen-<br />

schleimhaut registrieren, konvergieren im Riechkolben (bulbus olfactori-<br />

us, vgl. Abbildung 3 der Farbtafel im Anhang), der bereits als Teil <strong>des</strong><br />

limbischen Systems angesehen wird.<br />

„<strong>Die</strong> Axone der olfaktorischen Rezeptorzellen ziehen in Bündeln (Filia olfacto-<br />

ria) (...) zum Bulbus olfactorius derselben Hirnhemisphäre. (...). Hierbei kommt<br />

es zu einer deutlichen Reduktion der Duftinformationskanäle. (...). Alle Befun-<br />

56


de sprechen dafür, daß hauptsächlich hier, im Bulbus olfactorius (...) die durch<br />

Duftreize ausgelösten Impulsmuster der Rezeptorzellen verarbeitet, analysiert<br />

und möglicherweise auch schon ‚entschlüsselt’ werden, während die eigentli-<br />

chen Riechempfindungen wahrscheinlich erst in höheren (kortikalen) Hirnzent-<br />

ren entstehen“ (Burdach 1988: 22).<br />

<strong>Die</strong> Vorverarbeitung der Geruchsimpulse im Bulbus olfactorius bedeutet,<br />

dass sie bereits einen Effekt auf den menschlichen Organismus haben,<br />

bevor sie im Neocortex überhaupt bewusst als Geruch wahrgenommen<br />

werden. Vom Bulbus olfactorius werden die gebündelten Impulse direkt<br />

durch die Riechbahn (tractus olfactorius) weitergeleitet in eine unterhalb<br />

<strong>des</strong> Neocortex liegende Hirnrindenschicht (Gyrus cingulus), die wie oben<br />

dargestellt ebenfalls zum limbischen System gerechnet und auch als<br />

Riechhirn bezeichnet wird.<br />

„Each olfactory tract projects directly into the primitive regions of the cerebral<br />

cortex; from here information passes to the thalamus before projecting to the<br />

neocortex” Bear et al. 2 2001: 275).<br />

Der Thalamus, <strong>des</strong>sen vorderer Kern ebenfalls zum limbischen System<br />

gerechnet wird, spielt in der Vermittlung zwischen eingehenden Sinnes-<br />

reizen und der bewussten Wahrnehmung dieser Reize als Empfindung<br />

eine besondere Rolle, er ist „the gateway to the neocortex“ (Bear et al.<br />

2 2001: 195). Aber während die Nervenbahnen aller anderen Sinnessys-<br />

teme zuerst durch den Thalamus und dann in den Neocortex führen, bil-<br />

det der Geruchssinn hier eine entscheidende Ausnahme. Bevor die ol-<br />

faktorischen Signale den Thalamus passieren und im Neocortex an-<br />

kommen, wurden sie schon im olfaktorischen Cortex verarbeitet und ste-<br />

hen damit dem Organismus als vorbewusste Information zur Verfügung.<br />

1.3.1.4. Neocortex und <strong>Sprache</strong><br />

Im vorangegangenen Abschnitt stand das limbische System im Zentrum<br />

<strong>des</strong> Interesses. Es wurde dargelegt, dass zwischen den Gehirnteilen, die<br />

an der Verarbeitung emotionaler Prozesse beteiligt sind und denen, die<br />

57


das olfaktorische Wahrnehmungssystem bilden, sowohl anatomische als<br />

auch funktionale Zusammenhänge bestehen.<br />

Nun soll die Großhirnrinde in den Mittelpunkt rücken und zwar mit dem<br />

speziellen Fokus auf die Hirnareale, die für die kognitive Verarbeitung<br />

von <strong>Sprache</strong> zuständig sind. <strong>Die</strong> zerebrale Sprachverarbeitung ist unge-<br />

heurer komplex und kann hier nicht erschöpfend behandelt werden. Es<br />

wird hier nur ein grober Überblick gegeben, der zur Orientierung für die<br />

spätere Problematisierung <strong>des</strong> Verhältnisses <strong>Sprache</strong> – Geruch – Emo-<br />

tion gedacht ist. Sprachrezeption und –produktion finden im Neocortex<br />

statt, der äußersten Hirnrindenschicht, die im homo sapiens sapiens ihr<br />

evolutionär elaboriertestes Stadium erreicht hat. Bear (et al. 2 2001)<br />

schreiben über den Zusammenhang von <strong>Sprache</strong> und Gehirn:<br />

„Our use of language – the fact that we have a brain sophisticated enough for<br />

language – is one of the key features that distinguishes humans from other<br />

animals (...). More than just sounds, language is a system by which sounds,<br />

symbols, and gestures are used for communication” (Bear et al. 2 2001: 639).<br />

Wie neurophysiologische Tests ergeben haben, ist bei 96% aller<br />

Rechtshänder und bei 70% aller Linkshänder die linke Hirnhemisphäre<br />

dominant für Sprachprozesse (vgl. Bear et al. 2 2001: 641). In ihr liegen<br />

die beiden Sprachzentren, für die sich in der neurolinguistischen Literatur<br />

die Termini Broca’s area (Broca-Zentrum) und Wernicke’s area (Werni-<br />

cke-Zentrum) etabliert haben. Sie sind benannt nach den Gehirnfor-<br />

schern Paul Broca (1824-1880) und Karl Wernicke (1848-1905), die die<br />

in Abbildung 4 der Farbtafel im Anhang dargestellten Sprachzentren<br />

1863 beziehungsweise 1874 entdeckt haben.<br />

<strong>Die</strong> eindeutige Lokalisierung und funktionale Abgrenzung dieser Areale<br />

ist allerdings schwieriger als die vereinfachte Abbildung zeigt. Bear (et al.<br />

2 2001) betonen daher zurecht:<br />

„Although the terms Broca’s area and Wernicke’s area are still commonly u-<br />

sed, the boundaries of these areas are not clearly defined, and they appear to<br />

be quite variable from one person to the next. Furthermore, each area may be<br />

involved in more than one language function” (Bear et al. 2 2001: 642).<br />

58


<strong>Die</strong> Erkenntnisse zur zerebralen Topografie der Sprachzentren stammen<br />

im Wesentlichen aus der Aphasieforschung, also aus dem Bereich der<br />

Sprachpathologie (Patholinguistik). Als Aphasie wird der auf Schädigun-<br />

gen <strong>des</strong> Gehirns (Läsionen) zurückzuführende komplette oder teilweise<br />

Verlust der Sprachfähigkeit verstanden. Oftmals sind andere, nicht-<br />

sprachliche kognitive Leistungen dabei nicht in Mitleidenschaft gezogen<br />

(vgl. Bear et al. 2 2001: 640; einen umfassenden Überblick über die ver-<br />

schiedenen Formen der Aphasie geben Kessler et al. 2003).<br />

Heutzutage können auch mit Hilfe der Positronenemissionstomografie<br />

(PET) Aufschlüsse über Gehirnbereiche gewonnen werden, die an spezi-<br />

fischen Sprachverarbeitungsprozessen beteiligt sind (vgl. Posner/Raichle<br />

1994: 115).<br />

Generell kann man über die Funktion der beiden Sprachzentren Folgen-<br />

<strong>des</strong> sagen:<br />

Das Wenicke-Sprachfeld wird als das sensorische Sprachzentrum be-<br />

zeichnet, das für die Rezeption von <strong>Sprache</strong> zuständig ist. Es ist Teil <strong>des</strong><br />

Schläfenlappens und weist starke neurale Verbindungen mit dem direkt<br />

neben ihm liegenden Hirnrindenbereich auf, der akustisch eingehende<br />

Signale verarbeitet (auditory cortex). Das „Wernicke-Sprachfeld verarbei-<br />

tet und assoziiert semantische Inhalte der <strong>Sprache</strong>“ (Luft 1997: Stichwort<br />

<strong>Sprache</strong> – Strukturen und Verschaltungen). Bei einer so genannten<br />

Wernicke-Aphasie ist typischerweise das sprachliche Verständnis stark<br />

eingeschränkt, während oft eine flüssige, grammatisch korrekte Sprach-<br />

produktion möglich ist, die aber starke semantische Fehler aufweist (vgl.<br />

Bußmann 3 2002: 86).<br />

Das Broca-Sprachfeld ist das motorische Sprachzentrum, das für die<br />

Sprachproduktion zuständig ist. Es ist Teil <strong>des</strong> Stirnlappens und zeigt<br />

vielfache neurale Verbindungen zu den unmittelbar benachbarten Hirn-<br />

rindenbereichen, in denen die motorische Beweglichkeit <strong>des</strong> Mun<strong>des</strong><br />

und der Lippen koordiniert wird (vgl. Luft 1997: Stichwort <strong>Sprache</strong> –<br />

Strukturen und Verschaltungen). Man kann hierüber hinaus sagen, dass<br />

das „Broca-Sprachfeld (...) an der syntaktischen Umsetzung <strong>des</strong> seman-<br />

tischen Ko<strong>des</strong> aus dem Wernicke-Sprachfeld beteiligt“ ist (ibidem). Bei<br />

59


einer so genannten Broca-Aphasie ist es typisch, dass das Verständnis<br />

der Betroffenen für einzelne Wörter großenteils intakt bleibt, während ih-<br />

re Aussprache stockend und auch die Grammatikalität der Äußerungen<br />

stark beeinträchtigt ist (vgl. Bear et al. 2 2001: 642 f.).<br />

1.3.2. Synästhesie unter der Perspektive der Semiotik und Linguis-<br />

tik<br />

Während im vorigen Abschnitt das Phänomen der Synästhesie aus neu-<br />

ropsychologischer Perspektive betrachtet wurde und <strong>des</strong>sen neurophy-<br />

siologische Grundlagen skizziert wurden, soll sie nun aus semiotischer<br />

Perspektive im Allgemeinen und aus linguistischer Perspektive im Be-<br />

sonderen beleuchtet werden. Synästhesie unter semiotischer Perspekti-<br />

ve zu betrachten heißt, sie als Zeichenprozess zu verstehen. Ausgangs-<br />

punkt hierfür ist die Beobachtung, dass bezüglich der auslösenden Sti-<br />

muli „konstitutionell synästhetisches Wahrnehmen (...) bemerkenswert<br />

oft an kodierte Zeichen (Buchstaben, Ziffern, Töne) gebunden“ ist (Pos-<br />

ner/Schmauks 2002: 8). <strong>Die</strong> beiden Autoren sehen in dieser Tatsache<br />

einen plausiblen Ansatzpunkt für eine „semiotische Klassifikation der<br />

Auslöser synästhetischen Wahrnehmens“ (Posner/Schmauks 2002: 8).<br />

Unter Zuhilfenahme semiotischer Basisterminologie unterscheiden Pos-<br />

ner/Schmauks (2002) vier Haupttypen der Synästhesie (vgl. Pos-<br />

ner/Schmauks 2002: 8 ff.). Es handelt sich um die:<br />

Stimulus-Synästhesie,<br />

Signifikanten-Synästhesie,<br />

Signifikat-Synästhesie,<br />

Referenten-Synästhesie.<br />

Für die Stimulus-Synästhesie ist typisch, dass ihr ein nicht-kodierter Reiz<br />

zu Grunde liegt. Ein solcher Auslöser kann beispielsweise eine gewisse<br />

geometrische Form (etwa ein Kreis) sein, der eine spezifische Farb-<br />

wahrnehmung nach sich zieht. Der Kreis als geometrische Form hat<br />

60


‚keine Bedeutung’, ihm ist kein konventionelles Signifikat zugeordnet,<br />

daher wird er als nicht-kodiert verstanden.<br />

Bei der Signifikanten-Synästhesie ist der Auslöser ein materieller Zei-<br />

chenträger, dem innerhalb eines Zeichensystems (Kode) ein Signifikat<br />

zugeordnet ist. Solche Auslöser rufen „Begleitempfindungen nur hervor,<br />

wenn sie als Signifikanten aus einem solchen Kode interpretiert werden“<br />

(Posner/Schmauks 2002: 8). Ein Beispiel wäre die Graphem-<br />

Synästhesie, bei der gewisse Buchstaben immer in einer gewissen Far-<br />

be wahrgenommen werden, unabhängig davon, mit welchem Schrifttyp<br />

sie gesetzt oder ob sie von Hand geschrieben sind.<br />

Unter die Kategorie Signifikat-Synästhesie fassen die Autoren Fälle, in<br />

denen sich beim Lesen oder Hören eines Wortes eine Begleitwahrneh-<br />

mung zu <strong>des</strong>sen Bedeutung einstellt. <strong>Die</strong>s wäre der Fall, wenn immer bei<br />

der Erwähnung eines Lexems aus einem bestimmten Wortfeld parallel<br />

ein charakteristisches Geräusch gehört oder eine Farbe gesehen wird.<br />

Es gibt auch Fälle, bei denen „Farbempfindungen (...) regelmäßig ins<br />

Spiel kommen, wenn ein Wochentag genannt wird – wobei es keinen<br />

Unterschied machen darf, ob zum Beispiel der sechste Tag als ‚Sams-<br />

tag’ oder als ‚Sonnabend’ bezeichnet wird“ (Posner/Schmauks 2002: 10).<br />

Typisch für die Referenten-Synästhesie ist, dass die Parallelempfindung<br />

durch ein kodiertes Zeichen ausgelöst wird, das auf einen bestimmten<br />

Gegenstand verweist. <strong>Die</strong> entsprechende synästhetische Empfindung<br />

tritt hingegen nicht auf, wenn der Gegenstand selbst erscheint oder ge-<br />

nannt wird. Als Beispiel nennen Posner/Schmauks (2002) farbwahrneh-<br />

mungsauslösende Gegenstände, die lediglich auf den eigenen PKW<br />

hinweisen, wie Autoschlüssel, Kennzeichen oder Fahrzeugschein.<br />

1.3.2.1. Metaphorische Synästhesie<br />

Von der oben beschriebenen Form der ‚genuinen Synästhesie’, die auch<br />

als „konstitutionelle Synästhesie“ (Posner/Schmauks 2002: 7) oder „de-<br />

velopmental synaesthesia“ (Harrison/Baron-Cohen 1997: 6) bezeichnet<br />

61


wird sowie den pathologischen oder durch Drogenkonsum ‚erworbenen’<br />

Synästhesieerscheinungen grenzen Emrich (et al. 2002) eine Wahrneh-<br />

mungsfähigkeit von Menschen ab, die als „metaphorische Synästheti-<br />

ker“, „Randgruppen-Synästhetiker“ oder „Gefühlssynästhetiker“ bezeich-<br />

net werden (Emrich et al. 2002: 37). Bei dieser Form der Synästhesie<br />

existiert keine situationsunabhängige stabile Reaktion zwischen Primär-<br />

reiz und paralleler synästhetischer Wahrnehmung. Es ist also bei ‚Ge-<br />

fühls-Synästhetikern’ nicht so, dass beispielsweise ein bestimmter Reiz<br />

immer eine stabil korrelierende modalitätsfremde Wahrnehmung auslöst.<br />

Außerdem sind die synästhetischen Phänomene immer mit starken emo-<br />

tionalen Regungen verknüpft, so dass Gefühle von Freude, Angst,<br />

schlechtem Gewissen o.ä. die Wahrnehmung gewissermaßen emotional<br />

einfärben, was bei genuinen Synästhetikern nicht der Fall ist.<br />

Emrich (et al. 2002) berichten von einer Gefühls-Synästhetikerin, für die<br />

manchmal sogar bestimmte Menschen in bestimmten Situationen in far-<br />

bigen Lichtern erscheinen. Für diese Frau hat dies dann eine besondere<br />

Bedeutung. Mittlerweile hält sie ihre spezifischen Wahrnehmungen in<br />

farbigen Zeichnungen fest. Sie selbst kommentiert ihr Wahrnehmungs-<br />

universum und <strong>des</strong>sen emotionale Färbung so:<br />

„Bevor ich etwas von Synästhesie wusste, habe ich zwar auch immer meine<br />

Bilder mit großer Freude betrachtet, habe mit ihnen und in ihnen gelebt, aber<br />

ich hatte im Hinterkopf einen Anflug von schlechtem Gewissen: Durfte ich<br />

doppelte Freude empfinden – z.B. Musik hören und sehen – erleben? (...).<br />

Jetzt erlebe ich alles noch viel bewusster und ohne schlechtes Gewissen. Im<br />

Bewusstsein, dass es Synästhesie ist, fühle ich mich innerlich gefestigt, ge-<br />

stärkt“ (zitiert nach Emrich et al. 2002: 40).<br />

„<strong>Die</strong> Eigenheit der Gefühlssynästhesie“, so fassen Emrich (et al. 2002)<br />

zusammen, besteht also darin, dass „die Wahrnehmung <strong>des</strong> ‚inneren<br />

Auges’ mit starken Emotionen verbunden“ ist (Emrich et al. 2002: 40).<br />

<strong>Die</strong> Autoren machen darauf aufmerksam, dass die Gefühls-Synästhesie<br />

bei den meisten Untersuchungen über Synästhesie außen vor bleibt (vgl.<br />

Emrich et al. 2002: 37). Der Grund hierfür ist ein methodologischer oder<br />

gar wissenschaftstheoretischer.<br />

62


„Mit üblichen naturwissenschaftlichen Methoden (...) [kann man] derartige<br />

Phänomene nicht erforschen, da die Versuche nicht wiederholt werden kön-<br />

nen. Niemals ist ein Gefühlszustand genau derselbe wie vorher oder nachher.<br />

Wenn also die Vorstellung stimmt, dass ein Teil der bildhaften Erscheinungen<br />

auf dem ‚inneren Monitor’ Abbildungen von Gefühlszuständen darstellt, so ist<br />

gerade das typisch für diese inneren Wahrnehmungen – sie können nicht re-<br />

produziert werden. <strong>Die</strong> Möglichkeiten, solche einmaligen Prozesse zu erfor-<br />

schen, sind sehr eingeschränkt“ (Emrich et al. 2002: 41).<br />

<strong>Die</strong> Erscheinungsform der Gefühls-Synästhesie deklarieren Harri-<br />

son/Baron-Cohen (1997) etwas weniger charmant mit dem Terminus<br />

„metaphor as pseudosynaesthesia“ (Harrison/Baron-Cohen 1997: 8). Sie<br />

nennen in diesem Zusammenhang illustre Namen kreativer Menschen<br />

aus den verschiedenen Bereichen der Kunst wie Arthur Rimbaud,<br />

Charles Baudelaire, Vladimir Nabokov, Wassily Kandinsky, Franz Liszt<br />

und Nicolai Rimsky-Korsakov, die alle im Ruf standen Synästhetiker ge-<br />

wesen zu sein. Wie dem auch sei: Sie wurden weder auf Synästhesie<br />

getestet und naturgemäß gibt es keine neurophysiologische Befunde,<br />

also muss ihr Status als genuine Synästhetiker ungeklärt bleiben. Harri-<br />

son/Baron-Cohen (1997) weisen sicherlich zurecht darauf hin, dass be-<br />

züglich der metaphorischen Synästhesie die Gefahr besteht, diese mit<br />

der developmental synaesthesia, also der genuinen Synästhesie zu ver-<br />

wechseln (vgl. hierzu auch Emrich et al. 2002: 37). <strong>Die</strong> beiden Autoren<br />

warnen:<br />

„Since metaphor is wi<strong>des</strong>pread in language this provi<strong>des</strong> ripe conditions for<br />

confusion with developmental synaesthesia“ (Harrison/Baron-Cohen 1997:<br />

11).<br />

Sie kommen bei ihrer Begriffsbestimmung zu dem Ergebnis, dass „rather<br />

than <strong>des</strong>cribing instances of genuine synaesthesia, much of the literature<br />

cited probably reflects a form of metaphor or analogy“ (Harrison/Baron-<br />

Cohen 1997: 11).<br />

Aber gerade diese Form der synästhetischen Fähigkeit ist für die semio-<br />

tische Perspektive, unter der diese Arbeit entstanden ist, die eigentlich<br />

interessante. Sie ist als ein kommunikatives, ästhetisches Phänomen zu<br />

63


werten, das von den neurophysiologischen Eigentümlichkeiten der genu-<br />

inen Synästhesie unabhängig ist und darum in einem kulturwissenschaft-<br />

lich-semiotischen Kontext beschrieben werden kann. Da diese Arbeit<br />

sich zwar neurophysiologischer Erklärungen der Synästhesie bedient,<br />

letztlich aber semiotisch-linguistischer Natur ist, ergibt sich automatisch<br />

die spannende Frage, welche Rolle abstrakte sprachliche und andere<br />

Zeichenprozesse innerhalb der metaphorischen Variante der Synästhe-<br />

sie spielen.<br />

1.3.2.2. Sprachliche Synästhesie als Inkongruenzphänomen<br />

Man kann als gegeben voraussetzen, dass <strong>Sprache</strong> die zentrale Vermitt-<br />

lungsfunktion zwischen individueller, subjektiver Wahrnehmung und in-<br />

tersubjektiver Kommunikation der wahrgenommenen Inhalte einnimmt.<br />

In der Synästhesieforschung gibt es diverse Berichte von Synästheti-<br />

kern, die ihre besondere Wahrnehmungsfähigkeit mit Worten beschrei-<br />

ben um sie anderen Menschen mitzuteilen (vgl. Emrich et al. 2002: 37 ff.;<br />

Cytowic 1989: 23 ff.; Harrison/Baron-Cohen 1997: 259 ff.; Edmondson<br />

2002: 51 ff.).<br />

<strong>Die</strong> Versprachlichungsfrage individueller Wahrnehmungsinhalte bezieht<br />

sich aber in meiner Untersuchung nicht darauf, wie Synästhetiker ihre<br />

Wahrnehmungseigentümlichkeiten sprachlich fassen; dabei wäre die<br />

Frage, wie es von der individuellen Wahrnehmung zur Versprachlichung<br />

kommt. Sondern genau der umgekehrte Prozess soll diskutiert werden:<br />

(Wie) kann von Seiten der <strong>Sprache</strong> Einfluss genommen werden auf kog-<br />

nitive Prozesse, die der genuinen Synästhesie analog sind oder ihr zu-<br />

min<strong>des</strong>t ähneln? Inwiefern eignet sich <strong>Sprache</strong> dazu, den kognitiven Zu-<br />

stand <strong>des</strong> pseudo-synästhetischen Erlebens nicht nur zu beschreiben<br />

sondern diesen sogar zu evozieren oder zumin<strong>des</strong>t zu simulieren?<br />

Posner/Schmauks (2002) bezeichnen eine zeichenvermittelte, also se-<br />

miotisch inszenierte Art von Synästhesie als ein „künstlerisches Pro-<br />

gramm, das Kunstwerke absichtlich so gestaltet, dass sie mit mehreren<br />

64


Sinnen gleichzeitig wahrgenommen werden“ (Posner/Schmauks 2002:<br />

4). Und <strong>Sprache</strong> als Zeichensystem zum Zwecke der Kommunikation<br />

bietet sich vorzüglich an als mediale Infrastruktur der metaphorischen<br />

Synästhesie zu fungieren.<br />

Zwar wird innerhalb der literaturwissenschaftlichen Forschung das Phä-<br />

nomen der sprachlichen Synästhesie fast ausschließlich als ästhetisches<br />

Phänomen verhandelt und mit einer Diskussion um den Begriff der Lite-<br />

rarizität eines Textes verknüpft (vgl. Gross 2002: 78 ff.). Aber Gross<br />

(2002) weist ebenso lakonisch wie zurecht darauf hin, dass „der Mythos<br />

von der essentiellen Differenz zwischen poetischer und Alltagssprache<br />

(...) mittlerweile zur Genüge widerlegt“ ist (Gross 2002: 80). <strong>Die</strong>se Auf-<br />

fassung wird auch für die vorliegende Untersuchung reklamiert, die im<br />

späteren Empirieteil <strong>des</strong>kriptiv poetische Sprachstrukturen an explizit<br />

nicht-literarischen Texten transparent macht.<br />

Im Folgenden werde ich zunächst aufzeigen, wie sich synästhetische<br />

Phänomene als spezielle Form <strong>des</strong> metaphorischen, also uneigentlichen<br />

Sprachgebrauchs ausprägen. Weiterhin werde ich die These vertreten,<br />

dass die Erzeugung synästhetischer Sprachkonstruktionen als äußerst<br />

produktiver und origineller Wortbildungsprozess betrachtet werden muss.<br />

Ich greife zunächst erneut zurück auf den weiter oben angeführten Bei-<br />

spielsatz<br />

Klirrende Kälte machte ihnen das Leben zur Hölle.<br />

<strong>Die</strong>ser weist eine durchaus subtile und besondere Spielart semantischer<br />

Inkongruenz auf. Das Syntagma klirrende Kälte erregt zwar im alltägli-<br />

chen Sprachgebrauch auf Grund seiner festen Etablierung im deutschen<br />

Wortschatz keinerlei Aufsehen, weil es allgemein üblich ist. Bei genaue-<br />

rem analytischen Hinsehen jedoch fällt auf, dass die Kombination von<br />

klirrend + Kälte hinsichtlich eines entscheidenden Merkmals eine Kon-<br />

gruenzverletzung aufweist. Beide Lexeme beschreiben zwar Zustände,<br />

die der menschlichen Sinneswahrnehmung zugänglich sind, allerdings<br />

stimmen sie nicht überein bezüglich der Sinnesmodalität, mit der unsere<br />

Wahrnehmung sich die von ihnen bezeichneten Weltbereiche erschließt.<br />

Während das Adjektiv klirrend als Spezifizierung eines Geräusches sich<br />

65


auf das Gehör bezieht, beschreibt das Substantiv Kälte eine taktile Emp-<br />

findung, die wir mit den Rezeptorzellen in der Haut wahrnehmen. Legt<br />

man Kälte als gegebenen Wahrnehmungszustand zu Grunde, ist klirrend<br />

ein Attribut, von dem man behaupten kann, dass es aus einem unpas-<br />

senden Sinnesbereich importiert wurde. Das Adjektiv klirrend wurde aus<br />

dem Bereich <strong>des</strong> Gehörs in das der Hautwahrnehmung übertragen. Es<br />

handelt sich also um eine metaphorische Sprachkonstruktion, die aller-<br />

dings als verblasst bezeichnet werden muss. Ihr metaphorischer Entste-<br />

hungsprozess ist jedoch relativ leicht zu rekonstruieren. <strong>Die</strong> eigentliche<br />

Unsinnigkeit <strong>des</strong> Syntagmas klirrende Kälte besteht darin, dass man ei-<br />

ne Temperatur eigentlich nicht hören kann. Allerdings fällt die Konstruk-<br />

tion nicht mehr als semantisch inkongruent auf. Formuliert in grammati-<br />

schem Jargon handelt es sich bei klirrende Kälte um eine NGr mit Adjek-<br />

tivadjunkt, in der sich der lexikalische Kopf der NGr (Kälte) und <strong>des</strong>sen<br />

Adjunkt (klirrend) nicht in lexikalischer Solidarität befinden und sich somit<br />

logisch (eigentlich) ausschließen.<br />

Es existieren also in der Alltagssprache etablierte und damit lexikalisierte<br />

Sprachkonstruktionen, die – analog zur neuropsychologischen Synäs-<br />

thesie – Lexeme aus verschiedenen Sinnesbereichen syntagmatisch<br />

miteinander verknüpfen.<br />

<strong>Die</strong>se spezielle Variante eines metaphorischen Prozesses, bei dem Le-<br />

xeme aus verschiedenen Sinnesbereichen in einer interdependenten<br />

Wortgruppe zusammengefügt werden, bezeichne ich als sprachliche Si-<br />

mulation synästhetischer Sinneswahrnehmung oder kurz sprachliche<br />

Synästhesie. Sprachliche Synästhesien haben das Potenzial, durch ei-<br />

nen visuellen (schriftsprachlichen) oder auditiven (lautsprachlichen) Sti-<br />

mulus modalitätsübergreifende Assoziationen zu erzeugen und damit<br />

eine kommunikative Verdichtung und kognitive Intensivierung <strong>des</strong><br />

versprachlichten Sachverhalts zu erreichen. Im Grunde handelt es sich<br />

dabei um ein sprachökonomisches Verfahren: auf syntagmatisch engem<br />

Raum konvergieren kognitive Konzepte aus verschiedenen Sinnesberei-<br />

chen. Weitere Beispiele für sprachliche Synästhesie sind alltagssprachli-<br />

che Wendungen wie: „brüllende Hitze“, „düstere Stille“, „klebrige Blicke“<br />

66


(Posner/Schmauks 2002: 4). Zur Veranschaulichung dieser exemplari-<br />

schen synästhetischen NGr zeigt Tabelle 5 die analytische Rekonstrukti-<br />

on <strong>des</strong> synästhetischen Bildungsmusters:<br />

Adjektivadjunkt (Sinnesmodalität) Substantiv (Sinnesmodalität)<br />

brüllend (auditiv) Hitze (taktil/thermal)<br />

düster (visuell) Stille (auditiv)<br />

klebrig (taktil) Blick (visuell)<br />

Tabelle 5: Bildungsmuster synästhetischer Nominalgruppen<br />

Es gibt eine Verbindung zum Wortbildungsmechanismus der Wortkreu-<br />

zung (auch: Kontamination, Amalgamierung).<br />

„Unter Wortkreuzung versteht man die Verschmelzung von zwei Wörtern, die<br />

gleichzeitig in der Vorstellung <strong>des</strong> Sprechenden auftauchen, zu einem neuen“<br />

(Duden 6 1998: § 777).<br />

Kreationen wie „Stagflation (aus Stagnation und Inflation), Grusical (aus<br />

Musical und gruseln), Kurlaub (aus Kur und Urlaub)“ gehören in diese<br />

Kategorie (Duden 6 1998: § 777).<br />

Vater ( 2 1996) betont, dass die „Wortbildungsart Amalgamierung zu den<br />

produktivsten gehört“ (Vater 2 1996: 96). Und das Gleiche trifft, wie im<br />

Vorgriff auf die empirischen Analysen <strong>des</strong> Empirieteil angedeutet werden<br />

soll, auf den Kommunikationskontext der Werbesprache für <strong>Parfums</strong> zu.<br />

Bevor jedoch semiotische Eigentümlichkeiten <strong>des</strong> Sprechens über Gerü-<br />

che an einzelnen Textbeispielen veranschaulicht werden, ist es nötig, die<br />

entsprechende semiotische Begrifflichkeit zu etablieren, derer ich mich<br />

im weiteren Verlauf der Arbeit bedienen werde.<br />

67


1.4. Semiotische Grundbegriffe<br />

1.4.1. Repräsentamen, Objekt, Interpretant<br />

Charles Sanders Peirce entwickelt in seinen Collected Papers (Peirce<br />

1931-58) eine Konzeption <strong>des</strong> Zeichens, die er als prozesshafte triadi-<br />

sche Relation beschreibt. <strong>Die</strong>ses dynamische Prinzip der Semiose (eng-<br />

lisch: semiosis) charakterisiert Peirce als „action of a sign“ (Peirce 1931-<br />

58: § 5.472), also als aktive Handlung eines Zeichens. <strong>Die</strong> Semiose ist<br />

eine „action (...) which involves a coöperation [sic!] of three subjects,<br />

such as a sign, its object, and its interpretant” (Peirce 1931-58: § 5.484).<br />

Zu diesen drei Entitäten gibt er die folgende, vielzitierte Definition und<br />

eine Erläuterung:<br />

„A Sign, or Representamen, is a First which stands in such a genuine triadic<br />

relation to a Second, called its Object, as to be capable of determining a Third,<br />

called its Interpretant” (Peirce 1931-58: § 2.274).<br />

Und:<br />

„A sign, or representamen, is something which stands to somebody for so-<br />

mething in some respect or capacity. It addresses somebody, that is, creates<br />

in the mind of that person an equivalent sign, or perhaps a more developed<br />

sign. That sign which it creates I call the interpretant of the first sign. The sign<br />

stands for something, its object“ (Peirce 1931-58: § 2.228).<br />

Das Ärgerliche an der Peirceschen Terminologie ist der uneindeutige<br />

Gebrauch <strong>des</strong> Begriffes sign (deutsch: Zeichen), der häufig, aber nicht<br />

immer, mit representamen identifiziert wird. Ich plädiere für eine scharfe<br />

Trennung dieser beiden Begriffe. Representamen meint den materiellen<br />

Zeichenträger, das sinnlich wahrnehmbare Vehikel <strong>des</strong> Zeichenprozes-<br />

ses (= der Semiose). Das Wort Zeichen ist möglichst zu vermeiden, denn<br />

es erweckt den Anschein, als würde es eine Entität oder ein Element be-<br />

zeichnen. Es bezeichnet aber in der Tat eine dynamische Relation zwi-<br />

schen Elementen. Und um den relationalen und prozesshaften Charakter<br />

68


<strong>des</strong> Zeichenkonzepts sprachlich zu repräsentieren, eignet sich der Beg-<br />

riff der dynamischen Semiose viel besser.<br />

1.4.2. Symbol, Index, Ikon<br />

<strong>Die</strong> Grundoperation der Semiose kann also nach Peirce beschrieben<br />

werden als die Repräsentation eines abwesenden Objektes durch ein<br />

anwesen<strong>des</strong> Repräsentamen (= materieller Zeichenträger). <strong>Die</strong>se Rela-<br />

tion löst im Gehirn <strong>des</strong> Interpreten einen kognitiven Zustand aus, der als<br />

Interpretant bezeichnet wird. Der Prozess der Semiose kann von Seiten<br />

<strong>des</strong> Zeichenträgers auf drei Arten initiiert werden, nämlich symbolisch,<br />

indexikalisch oder ikonisch (vgl. v.a. Peirce 1931-58: § 2.247 und Nöth<br />

2 2000: 178 f.). Obwohl in der folgenden Begriffsrekonstruktion die Sub-<br />

stantive Symbol, Index und Ikon für die Charakterisierung <strong>des</strong> Zeichen-<br />

trägers verwendet werden, ziehe ich die entsprechenden Adjektive vor.<br />

<strong>Die</strong> Substantive suggerieren nach meiner Einschätzung immer eine mo-<br />

nolithische Abgeschlossenheit und kategoriale Ausschließlichkeit der<br />

einzelnen Zeichenträgertypen. Es entsteht durch die Substantive schnell<br />

der Eindruck, als sei ein Zeichenträger entweder ein Symbol oder ein In-<br />

dex oder ein Ikon. <strong>Die</strong>ser Eindruck wäre aber eine unzulässige Vereinfa-<br />

chung der phänomenologisch komplexen Qualität von Zeichenträgern.<br />

Ein differenzierterer Blick auf die Problematik legt es nahe, von anteili-<br />

gen symbolischen, indexikalischen und ikonischen Eigenschaften zu<br />

sprechen, die ein Zeichenträger hat oder in spezifischen Verwendungs-<br />

kontexten haben kann. Dabei ist es explizit nicht ausgeschlossen, dass<br />

alle drei Qualitäten gleichzeitig vorkommen. Ein Zeichenträger kann<br />

durchaus sowohl symbolische als auch indexikalische und ikonische Ei-<br />

genschaften gleichzeitig haben. <strong>Die</strong> Repräsentationsbeziehung zwischen<br />

Zeichenträger und Objekt kann also mehrdimensional sein und im Pro-<br />

zess der Semiose daher auch auf verschiedenen kognitive Weisen im<br />

Rezipienten Assoziationen auslösen, die dann als Interpretant ein vorläu-<br />

figes Zwischenziel der Semiose bilden.<br />

69


Fasst man Semiose als eine Entschlüsselungstätigkeit auf, durch die ein<br />

Individuum Bedeutung konstituiert, ist es sogar angemessen von symbo-<br />

lischen, indexikalischen und ikonischen Enkodierungs- bzw. Dekodie-<br />

rungs-Strategien zu sprechen. Und dieser Vorgang beschäftigt das inter-<br />

pretierende Gehirn gemäß den drei Repräsentationsmodi auf unter-<br />

schiedliche Weisen.<br />

Beim symbolischen Repräsentationsmodus beruht die Verbindung zwi-<br />

schen Zeichenträger und Objekt auf Gesetzmäßigkeit, Gewohnheit, Kon-<br />

ventionalität und Arbitrarität (vgl. Nöth 2 2000: 179). Das umfangreichste<br />

Symbolsystem in diesem Sinne ist sicherlich die menschliche <strong>Sprache</strong>,<br />

bei deren kognitiver Verarbeitung, wie ich oben dargestellt habe, Areale<br />

<strong>des</strong> Neocortex der linken Hirnhemisphäre maßgebend sind. <strong>Die</strong> linke<br />

Hemisphäre ist, gemäß der funktionalen Asymmetrie <strong>des</strong> Gehirns, ohne-<br />

hin zuständig für abstrakt-analytische Denkprozesse, in die auch die<br />

<strong>Sprache</strong> größtenteils fällt (vgl. Bear et al. 2 2001: 655 ff.). Der so gefasste<br />

Begriff <strong>des</strong> Symbols entspricht in strukturalistischer Terminologie dem<br />

Saussureschen Konzept <strong>des</strong> sprachlichen Zeichens als einer arbiträren<br />

Relation zwischen Signifikant und Signifikat (vgl. Saussure 3 2001: 76 ff.).<br />

Wenngleich für die meisten sprachlichen Zeichen die symbolische (= ar-<br />

biträre) Relation anzunehmen ist, werde ich innerhalb dieser Untersu-<br />

chung sprachliche Situationen herausarbeiten, in denen sprachliche Zei-<br />

chen entweder primär nicht-symbolisch kodiert sind oder zumin<strong>des</strong>t ei-<br />

nen hochgradig relevanten nicht-symbolischen Anteil haben.<br />

Indices gelten im Allgemeinen als hinweisende Zeichen. Das Kriterium<br />

um eine indexikalische Semioserelation zu konstatieren ist die „Voraus-<br />

setzung (...), dass das Objekt eine faktische Existenz in Zeit und Raum<br />

hat“ (Nöth 2 2000: 185). Es muss also eine raum-zeitliche Kontiguität zwi-<br />

schen Zeichenträger und Objekt herrschen. Oft kann man eine kausale<br />

Beziehung derart beobachten, dass das Objekt die Ursache für das Auf-<br />

treten eines indexikalischen Zeichenträgers ist, der seinerseits als Wir-<br />

kung zu betrachten ist. Darum kann man von einer motivierten Relation<br />

zwischen indexikalischem Zeichenträger und Objekt sprechen. Der inde-<br />

70


xikalische Zeichenträger verkörpert dann ein Signal oder Symptom, aus-<br />

gelöst durch das Objekt, auf das er referiert:<br />

„Indices sind hinweisende (auf Erfahrung basierende) Zeichen: ein beschleu-<br />

nigter Puls ist ein Index für Fieber, Rauch ein Index für Feuer“ (Bußmann<br />

3 2002: 296).<br />

Aber auch in der <strong>Sprache</strong> gibt es diverse primär arbiträr-konventionelle<br />

Bezeichnungen, die eine indexikalische Komponente haben. Beispiels-<br />

weise ein deiktisches Adverb wie hier, das auf einen Ort verweist, Pro-<br />

nomen, die intratextuelle Bezüge herstellen oder letztlich auch alle Ei-<br />

gennamen und die Quellenangaben in einem wissenschaftlichen Text<br />

(vgl. Nöth 2 2000: 186).<br />

Der ikonische Repräsentationsmodus beruht ebenfalls auf einer motivier-<br />

ten Beziehung zwischen Zeichenträger und Objekt. Er zeichnet sich grob<br />

gesprochen durch eine Ähnlichkeit zwischen dem Zeichenträger und<br />

dem bezeichneten Objekt aus. Beispielweise kann die Information Frau-<br />

en- beziehungsweise Männertoilette in einer Gastwirtschaft auf unter-<br />

schiedliche Weise geliefert werden. <strong>Die</strong> Abbildung 5 zeigt Toilettentüren<br />

in eines Bremer Lokals, auf denen die relevante Information zweifach<br />

kodiert ist. Um eine symbolische Kodierung handelt es sich bei den Wör-<br />

tern Damen beziehungsweise Herren; ikonisch kodiert wären die abstra-<br />

hierten Abbildungen einer Frau beziehungsweise eines Mannes.<br />

71


Abbildung 5: Toilettenschild in Deutschland<br />

Einfallsreicher aber auch zweifelhafter ist die ikonische Kodierung auf<br />

einer Fotografie, die in der Türkei aufgenommen wurde. Hier wird die<br />

Toiletteninformation sowohl symbolisch („W.C.“) als auch ikonisch über<br />

das metonymische Prinzip pars pro toto lanciert, indem mutmaßlich mar-<br />

kante Eigenschaften von Frauen (= stark geschwungene Lippen) und<br />

Männern (= Schnurrbart) abgebildet werden.<br />

72


Abbildung 6: Toilettenschild in der Türkei<br />

Unter gendertheoretischem Aspekt wäre eine kritische Evaluation der<br />

durch ikonisch kodierte Toilettenschilder lancierten gesellschaftlichen<br />

Stereotype nicht nur bei den beiden hier zitierten Beispielen hochinteres-<br />

sant bis -brisant. Sie kann hier aber nicht geleistet werden.<br />

Bei der zentralen Unterscheidung der drei Semiosemodi ist die Kategorie<br />

der ikonischen Repräsentation für die spätere empirische Analyse von<br />

Parfumwerbungen in hohem Maße relevant. Daher soll, wie weiter oben<br />

bereits angekündigt, das semiotische Phänomen der Ikonizität ausführli-<br />

cher referiert werden.<br />

1.4.3. Fokus: Ikonizität<br />

Zur Definition <strong>des</strong> Ikons schreibt Nöth ( 2 2000) sehr umfassend:<br />

„In der Terminologie der Allgemeinen Semiotik ist ein Ikon ein Zeichen, wel-<br />

ches das von ihm bezeichnete Objekt aufgrund einer Ähnlichkeitsbeziehung<br />

repräsentiert. Der Zeichenträger hat Merkmale oder Eigenschaften, die auch<br />

dem bezeichneten Objekt <strong>des</strong> Zeichens eigen sind und wird aus diesem<br />

Grunde als Zeichen für das Objekt interpretiert“ (Nöth 2 2000: 193).<br />

73


Bei Peirce selbst liest man:<br />

„An Icon is a sign which refers to the Object that it denotes merely by virtue of<br />

characters of its own, and which it possesses, just the same, whether any<br />

such Object actually exists or not“ (Peirce 1931-58: § 2.247).<br />

„That is, a quality that it has qua thing renders it fit to be a representamen.<br />

Thus, anything is fit to be a Substitute for anything that is like“ (Peirce 1931-<br />

58: § 2.276).<br />

Während Peirce aber das reine Ikon als bloße Möglichkeit, als Potenz<br />

der ikonischen Repräsentation versteht, führt er für konkrete Materialisie-<br />

rungen ikonischer Zeichenkorrelate den Begriff <strong>des</strong> Hypoikons ein.<br />

„A possibility alone is an Icon purely by virtue of its quality (...). But a sign may<br />

be iconic, that is, may represent its object mainly by its similarity, no matter<br />

what its mode of being. (...) an iconic representamen may be termed a hypoi-<br />

con“ (Peirce 1931-58: § 2.276).<br />

Weiterhin charakterisiert Peirce das Hypoikon als einen Zeichenträgerty-<br />

pus, „which stands for something merely because it resembles it“ (Peirce<br />

1931-58: § 3.362) und als „partaking in the characters of the object“<br />

(Peirce 1931-58: § 4.531).<br />

Hieran knüpft die Frage an, ob und wie die mit dem Begriff <strong>des</strong> Hypoi-<br />

kons eingeführte Relation der Ähnlichkeit zwischen Representamen und<br />

Objekt zu legitimieren ist.<br />

<strong>Die</strong> Gefahr einer möglichen Willkürlichkeit und Relativität der Ähnlich-<br />

keitsbeziehung sieht Peirce sehr wohl, wenn er zu bedenken gibt:<br />

„(...) any two objects in nature resemble each other, and indeed just as much<br />

as any other two; it is only with reference to our senses and needs that one<br />

resemblance counts for more than another. (...). Resemblance is an identity of<br />

characters; and this is the same as to say that the mind gathers the re-<br />

sembling ideas together into one conception“ (Peirce 1931-58: § 1.365).<br />

<strong>Die</strong> Ähnlichkeitsrelation zwischen Zeichenträger und Objekt ist also we-<br />

der notwendigerweise eindeutig noch unbedingt intuitiv einsichtig. Es<br />

kommt vielmehr darauf an, dass zwischen Zeichenträger und Objekt die<br />

logische Möglichkeit einer Ähnlichkeitsinterpretation angelegt ist, die<br />

74


durch den Interpreten eines Zeichens geleistet werden kann. Der Seite<br />

<strong>des</strong> Interpretant in Peirce’ trilateralem Semiosemodell kommt damit ent-<br />

scheidende Bedeutung zu. Sie ist es letztendlich, die die Offenheit <strong>des</strong><br />

ikonischen Repräsentationsmodus einschränkt und kognitiv fixiert. Peirce<br />

formuliert dies so:<br />

„(…) each icon partakes of some more or less overt character of its Object.<br />

They, one and all, partake of the most overt character of all lies and decepti-<br />

ons – their Overtness. Yet they have more to do with the living character of<br />

truth than have either Symbols or Indices. The Icon does not stand unequivo-<br />

cally for this or that existing thing, as the index does. Its Object may be a pure<br />

fiction, as to its existence. Much less is its Object necessarily a thing of a sort<br />

habitually met with. But there is one assurance that the Icon does afford in the<br />

highest degree. Namely, that which is displayed before the mind’s gaze – the<br />

form of the Icon, which is also its object – must be logically possible“ (Peirce<br />

1931-58: § 4.531).<br />

Der Rückgriff auf die logische Möglichkeit von Ikonizität als Legitimati-<br />

onskriterium scheint diesem Problem eine objektive Dimension zu ge-<br />

ben, die nach meiner Einschätzung jedoch nicht sehr überzeugend ist.<br />

Nöth ( 2 2000) beleuchtet das Ähnlichkeitsproblem anders, indem er „Iko-<br />

nizität, [als] die Eigenschaft eines Zeichens [fasst], sein Objekt ikonisch<br />

zu bezeichnen, [die] (...) nicht objektiv meßbar [ist]. Ebenso wie jede<br />

Ähnlichkeit ist auch Ikonizität relativ und eine Frage <strong>des</strong> Gra<strong>des</strong>“ (Nöth<br />

2000: 193).<br />

Indem auch Morris (1971) auf den graduellen Charakter von Ikonizität<br />

abhebt, befreit er diese aus dem Korsett <strong>des</strong> Anspruchs einer objektiven<br />

Entweder-Oder-Ausschließlichkeit.<br />

„A sign is iconic to the extent to which it itself has the properties of its denotata<br />

(...).“<br />

„An iconic sign (...) is any sign which is similar in some respect to what it deno-<br />

tes. Iconicity is thus a matter of degree. (...); the extent of iconicity is a difficult<br />

matter to determine” (Morris 1971: 98 und 273).<br />

Reimund (1992) sieht auch bereits bei Peirce die mögliche Lesart von<br />

Ikonizität als graduelles Phänomen angelegt:<br />

75


„Zeichen, bei denen der ikonische Aspekt dominiert, sog. ‘Hypoikone’ (Peirce<br />

1931-58: § 2.276 f.) (...) haben zudem unterschiedliche Eigenschaften mit dem<br />

Objekt gemeinsam, so daß auf der ikonischen Dimension bereits der PEIRCE-<br />

schen Zeichentheorie zufolge verschiedene Ikonizitätsgrade differenziert wer-<br />

den können. Ikonizität ist eine graduelle Frage. Ikonische Zeichen haben eini-<br />

ge und, vergleicht man sie untereinander, verschiedene Eigenschaften mit<br />

dem Objekt gemeinsam“ (Reimund 1992: 13).<br />

<strong>Die</strong>se relativierende Perspektive löst das Problem der potenziellen Be-<br />

liebigkeit der Ähnlichkeit zwar nicht, geht aber mit ihm weniger rigide um<br />

und rettet damit einen kreativen Gebrauch <strong>des</strong> Begriffs Ikonizität als se-<br />

miotisches Analyseinstrument der Beziehung zwischen Zeichenträger<br />

und Objekt.<br />

Indem er die Verschiedenheit der Eigenschaften ins Spiel bringt, die eine<br />

Ähnlichkeit zwischen Representamen und Objekt konstituieren können,<br />

berührt Reimund (1992) bei der Definition von Ikonizität den Bereich ei-<br />

nes prototypischen Kategorisierungsverfahrens, das aus der Kognitions-<br />

psychologie sowie aus der kognitiven Linguistik bekannt ist. Betrachtet<br />

man den ikonischen Semiosemodus aus prototypischer Perspektive,<br />

impliziert dieser konsistenterweise Abstufungen von Ähnlichkeiten, die<br />

es dann in der empirischen Analyse erlauben, von legitimen Unterschei-<br />

dungen zwischen besseren und schlechteren Vertretern ikonischer Rep-<br />

räsentation zu sprechen (siehe Abschnitt 1.5.).<br />

Ernst zu nehmen ist sicherlich die Kritik, die Eco (1976) am Ähnlichkeits-<br />

kriterium <strong>des</strong> Ikonizitätsbegriffs übt. Eco zufolge betrifft „Similarität (...)<br />

nicht das Verhältnis zwischen dem Bild und seinem Objekt, sondern zwi-<br />

schen dem Bild und seinem zuvor festgelegten Inhalt“ (Eco 1976: 204).<br />

Mit dem „festgelegten Inhalt“ ist eine kulturelle Kodierung gemeint, die<br />

auf dem Prinzip der Konventionalität beruht und die oben erwähnte mög-<br />

liche Arbitrarität ikonischer Phänomene eingrenzt sowie eine gesell-<br />

schaftlich determinierte Gewohnheitslesart nahe legt. <strong>Die</strong>se würde in der<br />

Peirceschen Manier als symbolische, nicht originär ikonische Repräsen-<br />

tation zu verstehen sein (vgl. Peirce 1931-58: § 2.275 f.). Im Rückgriff<br />

auf das Toilettenschilderbeispiel heißt dies, dass man innerhalb seiner<br />

76


kulturellen Ontogenese darauf konditioniert worden sein muss, dass sich<br />

in gewissen Gebäuden hinter gewissen Türen mit gewissen Schildern<br />

Toiletten befinden.<br />

Allerdings bewegt sich Ecos Kritik auf einem äußerst theoretischen, abs-<br />

trakt-begrifflichen, metasemiotischen Niveau. In alltäglichen Semio-<br />

seprozessen werden wir alle naturgemäß – das ist im Grunde trivial – auf<br />

gesellschaftlich kodierte Semiosemöglichkeiten konditioniert. Da der<br />

Begriff der Ikonizität hier aber nicht in aller Subtilität diskursiv hinterfragt<br />

werden soll, bleibt seine ursprüngliche Lesart als semiotisches Entde-<br />

ckungswerkzeug durch Ecos Einwände unberührt. Außerdem habe ich ja<br />

bereits dargelegt, dass in dieser Arbeit die starre Entweder-Oder-<br />

Auffassung der verschiedenen Semiosemodi abgelehnt wird zugunsten<br />

einer flexibleren Sowohl-als-auch-Kategorisierung.<br />

Wenngleich ein in einer Sprach- oder Semiosegemeinschaft herrschen-<br />

der (semiotischer) Zeichenkode zwar Möglichkeiten ikonischer Lesearten<br />

vorgibt, so überschätzt man seine Wirkung doch, wenn man unterstellt,<br />

er würde eindeutige Inhalte festlegen. Der Kode lässt durchaus interpre-<br />

tative Spielräume, innerhalb derer sich ikonische Qualitäten als eigen-<br />

ständige, allerdings vom Kode nicht vollständig determinierte Phänome-<br />

ne beschreiben lassen.<br />

Mit Nöth ( 2 2000) kann man zu einer pragmatischen Handhabung <strong>des</strong><br />

Ähnlichkeitsproblems kommen, die das Prinzip der Ikonizität in jedem<br />

Fall für eine <strong>des</strong>kriptive Semiotik als brauchbares Werkzeug erhält:<br />

„Es trifft zu, daß Ikonizität auf Ähnlichkeitsurteilen basiert, die insofern kodifi-<br />

ziert sind, als sie nach Person, Ort und Zeit der Beurteilung variieren. Aber<br />

dies heißt nicht, daß Ähnlichkeitsurteile keine kognitive Relevanz hätten. <strong>Die</strong><br />

Wahrnehmung von Ähnlichkeit ist vielmehr ein kognitiver Prozess, der für das<br />

Erkennen und Wiedererkennen unserer alltäglichen Umwelt eine notwendige<br />

Voraussetzung ist. Auch wenn Ähnlichkeit nach logischen Maßstäben nicht<br />

bestimmbar ist, so ist sie doch eine kognitiv und heuristisch relevante Katego-<br />

rie“ (Nöth 2 2000: 197).<br />

77


Zur weiteren Vertiefung der Problematik <strong>des</strong> Begriffs der Ikonizität siehe<br />

auch Reimund (1992: 12. ff.), Greenlee (1968: 762 ff.), Metz (1970: 3 ff.)<br />

sowie weiterführend die Bibliografie bei Nöth ( 2 2000).<br />

1.5. Das Problem der Kategorisierung olfaktorischer Wahr-<br />

nehmung<br />

Innerhalb der traditionellen, auf Aristoteles zurückgehenden, Kategorisie-<br />

rungstheorie wird von notwendigen und hinreichenden Bedingungen ge-<br />

sprochen, die ein Gegenstand (Element) erfüllen muss um einer Katego-<br />

rie (Menge) zugehörig zu sein. <strong>Die</strong>se werden als objektiv bestimmbar<br />

postuliert, so dass immer eine eindeutige Zuordnung eines fraglichen E-<br />

lements in eine bestimmte Kategorie möglich ist. Je<strong>des</strong> dieser zugeord-<br />

neten Elemente würde dann die Kategorie gleichermaßen gut repräsen-<br />

tieren (vgl. Chur/Schwarz 1993).<br />

Aber bereits Wittgenstein ( 2 1980) stellt in seinen Philosophischen Unter-<br />

suchungen heraus, dass, wenn wir etwa den Begriff Spiel verwenden,<br />

also von der Menge aller Tätigkeiten sprechen, die wir als Spiele be-<br />

zeichnen, unsere Subsumierung einzelner Spiele unter diese Kategorie<br />

nicht auf Grund der Analyse der allen Spielen gemeinsamen Eigenschaf-<br />

ten funktioniert. Vielmehr gibt er aus Bottom-up-Perspektive zu beden-<br />

ken:<br />

„Betrachte z.B. einmal die Vorgänge, die wir ‚Spiele’ nennen. Ich meine Brett-<br />

spiele, Kartenspiele, Ballspiel, Kampfspiele, usw. Was ist allen diesen ge-<br />

meinsam? – Sag nicht: ‚Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen<br />

sie nicht ‚Spiele’’ – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. –<br />

Denn wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen ge-<br />

meinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften sehen“ (Witt-<br />

genstein 2 1980: 56 f.).<br />

<strong>Die</strong> spezifischen Merkmale, die für bestimmte Spiele aufzählbar sind,<br />

stimmen nicht notwendig mit denen überein, die man für den generi-<br />

78


schen Begriff Spiel aufzählen kann. <strong>Die</strong> Intension <strong>des</strong> Begriffs Spiel, also<br />

alle Merkmale, die ein Spiel (angeblich) ausmachen, determiniert offen-<br />

bar nicht seine Extension (die Menge der Tätigkeiten, die als Spiele be-<br />

zeichnet werden).<br />

Wittgenstein ( 2 1980) bringt als verbinden<strong>des</strong> Moment, das die Mitglieder<br />

einer Kategorie gewissermaßen zusammenhält, die Idee der „Familien-<br />

ähnlichkeiten” (Wittgenstein 2 1980: 57) zwischen einzelnen Spielen ins<br />

Spiel. Dabei gibt es jedoch keine eindeutigen Kriterien, beziehungsweise<br />

notwendige und hinreichende Merkmale, die allen Spielen gemeinsam<br />

sein müssen. Es wird dem Entweder-Oder-Kategorisieren im Sinne einer<br />

Kasuistik eine klare Absage erteilt.<br />

Ausgehend von Wittgensteins sprachphilosophischen Überlegungen zu<br />

den internen Strukturierungsprinzipien versprachlichter Kategorien führt<br />

eine Linie zu Roschs anthropologischen Studien über von ihr so genann-<br />

te „prototype effects“ (Rosch 1977: 10) bei der Analyse der kategorialen<br />

Wahrnehmung physikalischer Objekte. Insbesondere geht es dabei um<br />

die Wahrnehmung von Farben sowie deren kognitiver Repräsentation.<br />

Bei den prototype effects handelt es sich um Beobachtungen zur inter-<br />

nen Organisation von Kategorien. Es stellte sich bei empirischen Unter-<br />

suchungen heraus, dass Personen innerhalb von Kategorien durchaus<br />

bessere und schlechtere individuelle Vertreter unterscheiden. Es kann<br />

also in diesen Fällen angenommen werden, dass sich die Elemente ei-<br />

ner Kategorie um ein prototypisches Zentrum anordnen. Allerdings geht<br />

Rosch nicht soweit zu behaupten, dass die empirisch gewonnenen Da-<br />

ten „any particular processing model for categories (...) or a theory of re-<br />

presentation” (Rosch 1977: 40) konstituieren.<br />

Lakoff (1987) führt die Prototypenkonzeption der Kategorisierung und<br />

deren kognitive Implikationen offensiv in die Linguistik ein. Anknüpfend<br />

an Rosch schreibt er:<br />

„Rosch showed that a variety of experimental techniques involving learning,<br />

matching, memory and judgements of similarity converged to cognitive refe-<br />

rence points. And she extended the results from colors to other categories,<br />

primarily categories of physical objects” (Lakoff 1987: 41).<br />

79


Er wagt im Spannungsfeld zwischen Kognition und linguistischer Theo-<br />

riebildung eine sehr pointiert vorgetragene Behauptung, die er folgen-<br />

dermaßen formuliert:<br />

„The approach to prototype linguistic theory (…) suggests that human catego-<br />

rization is essentially a matter of both human experience and imagination – of<br />

perception, motor activity and culture on one hand, and of metaphor, metony-<br />

my, and mental imagery on the other” (Lakoff 1987: 8).<br />

<strong>Die</strong> These, dass Metaphorik und Metonymie als die zentralen kognitiven<br />

Operationen <strong>des</strong> Menschen anzusehen sind, hat Lakoff bereits einige<br />

Jahre vorher zusammen mit Mark Johnson entwickelt (Lakoff/Johnson<br />

1980). Ihr theoretischer Ausgangpunkt ist folgender:<br />

„We claim that most of our normal conceptual system is metaphorically struc-<br />

tured; that is, most concepts are partially understood in terms of other con-<br />

cepts. This raises an important question about the grounding of our conceptual<br />

system: Are there any concepts at all that are understood directly, without me-<br />

taphor? If not, how can we understand things at all?” (Lakoff/Johnson 1980:<br />

56).<br />

<strong>Die</strong> beiden Autoren gehen davon aus, dass wir auf viele mentale und<br />

emotionale Phänomene keinen direkten sprachlichen Zugriff haben. Um<br />

abstrakte Phänomene trotzdem diskursiv zu erfassen greifen wir zu-<br />

nächst auf physische (oder physikalische) Phänomene zu, die durch die<br />

Tatsache unserer Körperlichkeit und sinnlichen Wahrnehmung sprach-<br />

lich handhabbar sind. <strong>Die</strong>se werden bezeichnet als metaphorische<br />

Quellbereiche. Deren Verbalisierungen übertragen wir oft unbewusst und<br />

wie selbstverständlich in nichtphysische Diskurse, die Zielbereiche <strong>des</strong><br />

metaphorischen Prozesses, wo sie dann unter anderem als konzeptuelle<br />

Metaphern Verwendung finden (vgl. Lakoff/Johnson 1980: 56 ff.). Lakoff<br />

(1987) bezeichnet diesen metaphorischen Prozess als „source-to-target<br />

mapping“ (Lakoff 1987: 276).<br />

Lakoff/Johnson (1980) liefern zahlreiche Sprachbeispiele aus dem ame-<br />

rikanischen Englisch, die aber prinzipiell auch für die deutsche <strong>Sprache</strong><br />

nachvollziehbar sind. An zwei Beispielen der Autoren soll veranschau-<br />

licht werden, wie die konzeptuellen Metaphern „Argument is war“ (La-<br />

80


koff/Johnson 1980: 4) und „Love is a journey“ (Lakoff/Johnson 1980: 44)<br />

an der Oberfläche der Alltagssprache kondensieren:<br />

„You disagree? Okay, shoot!<br />

Look how far we’ve come”<br />

(ibidem; Hervorhebungen von mir).<br />

Zielbereich Quellbereich<br />

Streit<br />

(abstrakte, intellektuelle Auseinandersetzung)<br />

Liebe<br />

(abstraktes emotionales Konzept)<br />

81<br />

Krieg/Kampf/Schusswechsel<br />

(konkrete, physische Auseinan-<br />

dersetzung)<br />

Reise<br />

(konkrete, physische Fortbewe-<br />

gung)<br />

Tabelle 6: Metaphorische Ziel- und Quellbereiche (nach Lakoff/Johnson 1980: 4<br />

und 44)<br />

In diesen Beispielen werden ein abstrakt-diskursives Phänomen, nämlich<br />

eine argumentative Auseinandersetzung, und ein ein abstrakt-<br />

emotionales Phänomen, nämlich Liebe, durch metaphorische Ausdrücke<br />

beschrieben.<br />

Im Fall <strong>des</strong> argumentativen Streits erfolgt ein Transfer in den Bereich der<br />

Körperlichkeit. In der zitierten Streitsituation fordert der Sprecher seinen<br />

Gegenüber auf, mit Gegenargumenten zu schießen (shoot). Das Schie-<br />

ßen ist aber ein originär physischer Vorgang, bei dem gegebenenfalls<br />

der Körper <strong>des</strong> Beschossenen in Mitleidenschaft gezogen wird.<br />

Im Fall der Liebe wird diese mit dem physischen Prozess <strong>des</strong> Durchque-<br />

rens eines Raumes, <strong>des</strong> gemeinsamen Beschreitens eines Weges iden-<br />

tifiziert, auf dem man gemeinsam schon weit (far) gekommen ist. Dem<br />

inneren, emotionalen Erleben <strong>des</strong> sprachlich oft nicht fassbaren Gefühls<br />

der Liebe entspricht dann auf der Ebene <strong>des</strong> körperlichen Erlebens die<br />

Erfahrung <strong>des</strong> den Raum durchquerenden Körpers.


Verallgemeinernd kann man zu dieser Auffassung von Metaphorik sa-<br />

gen, dass abstrakt-rationale oder abstrakt-emotionale Konzepte, die der<br />

<strong>Sprache</strong> anscheinend nicht direkt zugänglich sind, mit konkret körperli-<br />

che Phänomenen in Beziehung gebracht werden müssen, auf die<br />

sprachlich direkt zugegriffen werden kann.<br />

1.5.1. Das Problem der Versprachlichung von Geruchswahrneh-<br />

mungen<br />

In der Metaphorik-Konzeption von Lakoff/Johnson (1980) zeigt sich aus<br />

linguistischer Perspektive die problematische Beziehung zwischen Spra-<br />

che und Emotion. <strong>Die</strong>se kann mit dem Konflikt <strong>Sprache</strong> vs. Geruch in<br />

Beziehung gesetzt werden, der im obigen Abschnitt zum Verhältnis von<br />

Neocortex und limbischem System dargestellt wurde. Das Verhältnis<br />

zwischen emotionalen Zuständen und <strong>Sprache</strong> ist seit jeher schwierig –<br />

das ist ein Allgemeinplatz. Es fällt vielen Menschen schwer, ihre Gefühle<br />

in Worte zu fassen. Aber vielleicht genau <strong>des</strong>halb liegt in der scheinba-<br />

ren Unzugänglichkeit <strong>des</strong> Emotionalen für die <strong>Sprache</strong> eine Quelle uner-<br />

schöpflicher sprachlicher Kreativität. Für den Bereich der Emotionen<br />

können zumin<strong>des</strong>t Tausende von Liebesgedichten angeführt werden, die<br />

diese These stützen. Und wenn man der Auffassung von Lakoff/Johnson<br />

(1980) folgt, wird klar, dass metaphorische Prozesse bei weitem nicht<br />

der belletristischen Literatur oder gar der Lyrik vorbehalten sind, sondern<br />

es sich dabei um ein viel allgemeineres kognitives Erkenntnisprinzip<br />

handelt, das sich in allen Bereichen sprachlichen Lebens beobachten<br />

lässt.<br />

Das Verhältnis zwischen Geruch und <strong>Sprache</strong> ist in ähnlicher Weise<br />

kompliziert. Zwar gehört die Olfaktorik in den Bereich der Sinnlichkeit,<br />

also der Körperwahrnehmung. Es fällt uns trotzdem offensichtlich<br />

schwer, innerhalb einer <strong>Sprache</strong> originäre Bezeichnungen für Geruchs-<br />

wahrnehmungen zu finden. Für den Bereich der Olfaktorik fehlt eine ent-<br />

sprechende sprachlich-kreative Konfliktbearbeitung, die in Analogie zur<br />

82


Poesie gesetzt werden könnte. In diesem Zusammenhang ist jedoch der<br />

Roman Das Parfum (Süßkind 1985) zu nennen, in dem der Autor auf le-<br />

senswerte Weise dieses Projekt betreibt.<br />

Aber so etwas wie ein allgemein zugängliches und konventionell etablier-<br />

tes Lexikon der Olfaktorik existiert nicht.<br />

<strong>Die</strong>ses Problem scheint bei der visuellen Wahrnehmung von Farben kein<br />

grundlegen<strong>des</strong> Problem zu sein. Innerhalb der kognitiven Linguistik wur-<br />

de die sprachliche Kategorisierung der Farbwahrnehmung intensiv disku-<br />

tiert. Und es hat sich auch herausgestellt, dass verschiedene Sprach-<br />

und Kulturgemeinschaften das Farbspektrum unterschiedlich durch ele-<br />

mentare Farbbezeichnungen aufteilen (vgl. Berlin/Kay 1969 sowie Lakoff<br />

1987). Aber jede Kultur tut dies immerhin, wenngleich mit unterschiedli-<br />

chen Elementarkategorien, die sich in der jeweiligen <strong>Sprache</strong> etabliert<br />

haben. Es gibt also keine Farbe, die nicht irgendwie sprachlich zu cha-<br />

rakterisieren wäre. <strong>Die</strong> Diskussion um die so genannten „basic color<br />

terms“ (Berlin/Kay 1969) soll hier jedoch nicht ausführlich referiert wer-<br />

den. Interessant für die Problemstellung dieser Untersuchung ist nur die<br />

Tatsache, dass es – im Gegensatz zum Farbspektrum – keine sprachlich<br />

konventionalisierte Aufsplittung <strong>des</strong> olfaktorischen Spektrums gibt. Ver-<br />

einzelt gibt es zwar ethnische Gruppen, die in ihrer <strong>Sprache</strong> feststehen-<br />

de Wörter für spezielle Gerüche kennen. Dubois (1997) nennt dazu als<br />

Beispiel die <strong>Sprache</strong> Li-Wanzi, die von einem Jägervolk im westafrikani-<br />

schen Gabun gesprochen wird. Dort gibt es für Jagdzwecke spezifische<br />

Geruchsbezeichnungen für Gerüche wichtiger Beutetiere:<br />

„In some African languages (…) odors are cognitively constructed as ‘objective<br />

realities’ and have names (even nouns): for example, about 11 ‘basic terms’<br />

for odors have been identified in Li-Wanzi” (Dubois 1997: 188).<br />

Aber pauschal kann man über <strong>Sprache</strong>n sagen, dass es in Analogie zu<br />

basic color terms so etwas wie basic smell terms nicht gibt.<br />

<strong>Die</strong>se Auffassung wird auch von Vroon (et al. 1996) gestützt, die feststel-<br />

len:<br />

„Unser Vokabular für Gerüche und Düfte ist sehr begrenzt. Häufig werden Ge-<br />

rüche auf ihre vermutete Ursache zurückgeführt. Wir begnügen uns dann mit<br />

83


einem Verweis auf bestimmte Substanzen oder Umstände: ‚Das duftet nach<br />

Kaffee’ oder ‚es riecht hier wie nach einem Augustgewitter’“ (Vroon et al. 1996:<br />

25, vgl. auch Distel/Hudson 2001: 287).<br />

Möglicherweise ist der aufrechte Gang <strong>des</strong> Menschen ein Grund dafür,<br />

dass der Geruchssinn im Laufe der Evolution an Bedeutung verloren hat.<br />

Das Sehen und das Hören, die „körperfernen Sinne“ (Zimmer 9 2001: 58),<br />

die auch als Fernsinne bezeichnet werden, leisten zweifelsohne den<br />

wichtigsten Beitrag für die Erfassung der Umwelt und für die Sicherung<br />

und Erkundung <strong>des</strong> Lebensraumes. Lorig (1998) skizziert auf geistreiche<br />

Weise den Konflikt zwischen der scheinbaren Bedeutungslosigkeit, in die<br />

die Geruchswahrnehmung im Laufe der Evolution angeblich abgerutscht<br />

ist und der kulturellen Dominanz der <strong>Sprache</strong>. Er stellt dabei ebenso raf-<br />

finiert wie charmant die zweifelhafte Kausalbeziehung in diesem Wett-<br />

streit der Sinnessysteme in Frage.<br />

„It certainly seems likely that bipedality (...) [has] made human odor response<br />

different from that of other mammals, but why has odor come an understudy in<br />

the Cartesian theater of human consciousness? One potential explanation is<br />

the relationship between odors and language. Since so much human behavior,<br />

and arguably all cognition is language-mediated, our limited language for o-<br />

dors may be a cause for our disregard of this sense rather than an effect of<br />

getting our noses off the ground. Possibly, it may have worked the other way:<br />

bipedality reduced the olfactory information load and allowed language to flou-<br />

rish. Either way, odor and language do not seem to work well together” (Lorig<br />

1997: 392).<br />

<strong>Die</strong> evolutionsgeschichtliche Begründung für das Fehlen eines originär<br />

olfaktorischen Basisvokabulars kann verknüpft werden mit der weiter o-<br />

ben geführten Argumentation, die die neurophysiologische Konstitution<br />

<strong>des</strong> Großhirns betraf. Dort wurde dargelegt, dass eine systematische<br />

Vernetzung subkortikaler Strukturen <strong>des</strong> Riechsystems mit entsprechen-<br />

den Arealen der Großhirnrinde nicht zu existieren scheint.<br />

Zucco/Tressoldi (1989) weisen darauf hin, dass die kortikale Sekundär-<br />

verarbeitung olfaktorischer Stimuli im Wesentlichen in der vorwiegend<br />

nonverbal arbeitenden rechten Hirnhemisphäre geleistet wird. <strong>Die</strong>s ist<br />

84


ein weiteres neurophysiologisches Argument für die Sprachferne <strong>des</strong><br />

Geruchssinns und <strong>des</strong>sen engen Bezug zu emotionalen Gedächtnisin-<br />

halten, die ebenfalls rechtshemisphärisch verarbeitet werden (vgl. Zuc-<br />

co/Tressoldi 1989: 608). Zucco (2004) stellt hierzu fest:<br />

„(...) the <strong>des</strong>cription of odours seems to be based on an emotional and percep-<br />

tual code system, while the <strong>des</strong>cription of other stimuli (e.g.: verbal and visual)<br />

is strictly linked to a lexical system well organized in semantic memory” (Zucco<br />

2004; vgl. auch Harley 1995: 98 ff.).<br />

Ein ähnliches Argument bringt auch Burdach (1988), bei dem man liest:<br />

„Duftinformationen [werden] im Kortex nicht in spezifischen Projektionsfeldern,<br />

sondern in relativ unspezifischen, evolutionsgeschichtlich ‚alten’ Hirnregionen<br />

dargestellt (...). Möglicherweise hängt die ‚Sprachferne’ der Riechempfindungen<br />

(...) mit diesen neurophysiologischen Gegebenheiten (...) zusammen“ (Burdach<br />

1988: 22).<br />

Weitere evolutionstheoretisch untermauerte Unterstützung kommt von<br />

Vroon (et al. 1996). <strong>Die</strong> Autoren sind ebenfalls der Ansicht, dass innerhalb<br />

<strong>des</strong> Gehirns evolutionär bedingte Kompatibilitätskonflikte zwischen<br />

Sprach- und Geruchsverarbeitung anzunehmen sind:<br />

„Entwicklungsgeschichtlich gesehen ist der Geruchssinn ein altes Organ, das<br />

relativ wenige Direktverbindungen zum jüngeren Teil <strong>des</strong> Gehirns, insbesonde-<br />

re zur linken Neocortex oder neuen Hirnrinde, besitzt, in dem unter anderem<br />

‚Sprachzentren’ liegen. Demgegenüber gibt es zahlreiche und gut entwickelte<br />

Verknüpfungen mit den in einer früheren Phase der Evolution entstandenen<br />

Hirnstrukturen, die für die Steuerung der Emotionen und Motivationen verant-<br />

wortlich sind und zu denen das so genannte limbische System [gehört]“ (Vroon<br />

et al. 1996: 25).<br />

Und dieses wiederum reguliert entscheidend „unsere Gefühle und Emp-<br />

findungen“ und ist „mit der rechten Gehirnhälfte eng verknüpft (...)“ (ibi-<br />

dem). Erneut stößt man also auf die problematische Verquickung von Ge-<br />

ruch/Emotion einerseits und <strong>Sprache</strong> andererseits. Bezogen auf die olfak-<br />

torische Wahrnehmung zeigt sich der limbische Einfluss darin, dass „wir<br />

nicht selten in unserem Verhalten durch Gerüche beeinflusst werden, oh-<br />

ne uns <strong>des</strong>sen bewußt zu sein“ (Vroon et al. 1996: 32).<br />

85


Einen ähnlichen Standpunkt zur verhältnismäßigen Unwichtigkeit <strong>des</strong><br />

Geruchssinns für den Menschen sowie zum mangelhaften wissenschaft-<br />

lichen Interesse an diesem vertritt Lorig (1998). Er führt dies auf die eini-<br />

germaßen lapidare aber vermutliche notwendige Tatsache zurück, dass<br />

wir selten eine bewusste Verbindung zwischen einer Geruchswahrneh-<br />

mung und einem darauf folgenden Verhalten herstellen (vgl. Lorig 1998:<br />

392). Wie auch, wenn Gerüche im Wesentlichen subkortikal verarbeitet<br />

werden, die physiologischen Korrelate unseres so genanntes Bewusst-<br />

sein aber in neokortikalen Gewebestrukturen zu lokalisieren sind.<br />

Andererseits warnt er vor einer Überschätzung <strong>des</strong> limbischen Argu-<br />

ments, indem er die Annahme <strong>des</strong> limbischen Systems als einer funktio-<br />

nal integrierten Einheit attackiert. Er kritisiert an dieser Auffassung:<br />

„If it [the limbic system] were a system comprising the functions of smell, me-<br />

mory, emotion (…), it would follow that our language would be equally terse for<br />

verbal <strong>des</strong>criptions of memory, emotion (…)” (Lorig 1998: 392).<br />

<strong>Die</strong>ses Argument trifft in dieser Rigidität sicherlich nicht zu. Lorigs<br />

Schlussfolgerung erweckt den Anschein, als gäbe es – im Gegensatz<br />

zum Geruch – keine Probleme beim sprachlichen Zugriff auf Erinnerun-<br />

gen und Emotionen. Das ist falsch. Natürlich gibt es viele Erinnerungen,<br />

die gar nicht sprachlich kodiert und abgespeichert sind. Sei es, weil die<br />

entsprechenden Erlebnisse in der vorsprachlichen Phase unseres Le-<br />

bens lagen und/oder weil die Erlebnisse derart unangenehm waren (z.B.<br />

traumatische Situationen), dass der Organismus es vorzog, sie aus takti-<br />

schen Gründen <strong>des</strong> Selbstschutzes ins Unbewusste zu verdrängen, wo<br />

sie der <strong>Sprache</strong> und damit einem bewussten Zugriff unzugänglich sind.<br />

Der mühsame und langwierige therapeutische Prozess der Psychoana-<br />

lyse hat ja genau das Anliegen, durch Nacherleben und Versprachlichen<br />

die Verbindung zwischen verdrängten Erlebnissen/Gefühlen und dem<br />

Bewusstsein herzustellen. Und wie oft ist man im Alltag mit Menschen<br />

konfrontiert die einen schockierend mangelhaften sprachlichen Zugang<br />

zu ihren aktuellen Emotionen und emotionalen Erinnerungen haben, oh-<br />

ne das man die Hypothese verdrängter Traumata zur Erklärung heran-<br />

ziehen muss. Für nonverbal kodierte Erinnerungen, bei denen limbische<br />

86


Strukturen als physiologisches Korrelat anzusehen sind, ist unsere Spra-<br />

che sehr wohl knapp („terse“).<br />

Geruchsreize scheinen also auf eine neurale Infrastruktur zu treffen, die<br />

mit den rationalen Operationen <strong>des</strong> kognitiven und sprachlichen Kategori-<br />

sierens elementare Schwierigkeiten hat und sie nicht so ausführen kann,<br />

wie bei Sinnesreizen, die über andere Modalitäten ins zentrale Nervensys-<br />

tem gelangen. Bei den anderen Subsystemen <strong>des</strong> humanen kognitiven<br />

Apparates gibt es angeborene kognitive Parameter, gemäß derer eine<br />

Kategorisierung ausgeführt und schließlich auch versprachlicht werden<br />

kann. Gschwind (1998) formuliert diesen Sachverhalt sehr pointiert, weist<br />

aber auch gleichzeitig auf die mangelhafte Forschungslage zum Geruchs-<br />

system hin.<br />

„Beim Sehen beinhalten diese Systeme für die Kategorisierung neben den<br />

grundlegenden Dimensionen der Farbe und Helligkeit auch Formdetails und<br />

komplexe Informationen über Textur und Layout. Beim Hören existiert ein an-<br />

geborenes Erkennungssystem für Lautstärke und Tonhöhe. Der Geschmacks-<br />

sinn verfügt über ein angeborenes Erkennungssystem für süß, salzig, sauer und<br />

bitter. <strong>Die</strong> Erkennungssysteme für Berührung und Geruch sind (...) noch nicht<br />

so gut erforscht” (Gschwind 1998: 22; vgl. auch Burdach 1988: 19).<br />

Hinzu kommt noch eine fünfte Kategorie von Geschmacksrezeptorzellen,<br />

die sensibel ist für Glutamat; sie wird umami genannt (vgl. Bear et al.<br />

2 2001: 263).<br />

Nicht so sehr wahrnehmungsphysiologisch als vielmehr unter dem As-<br />

pekt <strong>des</strong> quantitativ messbaren adäquaten Reizes betrachten Vroon (et<br />

al. 1996) diese Problematik:<br />

„<strong>Die</strong> Klassifikation von Gerüchen [erweist] sich als schwierig und problema-<br />

tisch. Im Gegensatz zu den visuellen und auditiven Reizen, die in Wellenlän-<br />

gen, der Anzahl Schwingungen pro Sekunde (Nanometer oder Millimikron,<br />

Hertz) oder in ihrer Intensität (Lux, Dezibel) ausgedrückt werden, können Ge-<br />

rüche nicht aufgrund einer gemeinsamen physischen oder chemischen Eigen-<br />

schaft auf einen Nenner gebracht werden“ (Vroon et al. 1996: 62).<br />

Beim Sehen und Hören können Reiz-Wahrnehmungs-Korrelationen<br />

konstatiert werden, die einigermaßen trivial erscheinen: Erhöht sich bei<br />

87


einem visuellen Reiz die Lichtintensität, nimmt man das Licht als heller<br />

wahr; eine 100-Watt-Glühlampe ist heller als eine, die nur 15 Watt leistet.<br />

Erhöht man bei einem akustischen Reiz den Schalldruck und damit die<br />

Lautstärke, nimmt man die Musik lauter wahr. Bei der olfaktorischen<br />

Wahrnehmung aber funktioniert die lineare proportionale Zuordnung zwi-<br />

schen Reizstärke und Wahrnehmungsintensität nicht. Vroon (et al. 1996)<br />

referieren den einigermaßen skurrilen Fall der paradoxen Geruchseigen-<br />

schaften <strong>des</strong> Sauerstoffisotops Ozon (O3) sowie derjenigen der organi-<br />

schen chemischen Verbindungen Heptanol und Indol:<br />

„In der Parfumindustrie findet das Indol reichlich Verwendung, eine Verbin-<br />

dung, die die Grundlage <strong>des</strong> nach Fäkalien riechenden Stoffes Skatol bildet, in<br />

niedrigen Konzentrationen jedoch einen Blumenduft ausströmt. (...). Heptanol,<br />

dass in hohen Konzentrationen einen erstickenden Geruch verbreitet, wird in<br />

kleinen Mengen in <strong>Parfums</strong> verarbeitet und strömt dann einen sehr angeneh-<br />

men Duft aus. Ozon reizt die Atemwege und ist in großen Mengen in der Luft<br />

sogar giftig (zu dichter Verkehr an einem heißen, windstillen Tag), in niedrigen<br />

Konzentrationen hingegen riecht es frisch und angenehm“ (Vroon et al. 1996:<br />

83).<br />

Ähnlich eigentümliche Geruchsanekdoten kann man auch bei Burdach<br />

(1988) lesen. Es ist bekannt, dass „in homologen Reihen, z.B. der Alkan-<br />

reihe (Methan, Äthan, Propan, Butan usw.), die Empfindungsintensität<br />

bis zu einem Molekulargewicht von ca. 300 zunimmt, die Stoffe bei ei-<br />

nem weiteren anwachsen <strong>des</strong> Molekulargewichts über diesen Wert hin-<br />

aus jedoch keine Duftempfindungen mehr auslösen“ (Burdach 1988: 23).<br />

Als ein reichlich unbefriedigen<strong>des</strong> Zwischenergebnis kann mit Burdach<br />

(1988) festgehalten werden, dass „das erste Problem der Riechfor-<br />

schung die Unkenntnis <strong>des</strong> ‚adäquaten Reizes’ [ist]: [es] ist bisher noch<br />

nicht gelungen, diejenigen physikalisch-chemischen Merkmale von Ga-<br />

sen zu identifizieren, die Riechempfindungen auslösen“ (Burdach 1988:<br />

22 f.).<br />

Als angeborene Elementarkategorien für den Geruchssinn kann besten-<br />

falls die hedonistische Unterscheidung zwischen angenehmen und un-<br />

angenehmen Gerüchen gelten. Wie Vroon (et al. 1996) berichten, haben<br />

88


Experimente mit Neugeborenen ergeben, dass diese auf gewisse, ver-<br />

meintlich angenehme, Gerüche mit einer Gesichtsmimik reagierten, die<br />

als affirmativ zu deuten ist. Bei unangenehmen Gerüchen zeigte sich ei-<br />

ne deutlich verzerrte, aversive Mimik (vgl. Vroon et al. 1996: 99 f.). Aber<br />

selbst diese Resultate sind mit Vorsicht zu genießen und keineswegs als<br />

stabile universale kognitive Kategorien zu betrachten. Denn wie die Au-<br />

toren weiterhin betonen, können Menschen im Laufe ihrer Entwicklung<br />

darauf trainiert um nicht zu sagen konditioniert werden, welche Gerüche<br />

sie als angenehm und welche sie als unangenehm empfinden (vgl.<br />

Vroon et al. 1996: 100).<br />

Was Gschwind recht unspektakulär als „noch nicht so gut erforscht“ be-<br />

zeichnet (Gschwind 1998: 22), nämlich die kognitiven Erkennungssyste-<br />

me für Gerüche, weist auf einen im Grunde skandalösen Zustand hin.<br />

<strong>Die</strong> olfaktorische Wahrnehmung ist ein reichlich vernachlässigtes Feld<br />

innerhalb <strong>des</strong> kognitionswissenschaftlichen Diskurses. Sehr markant<br />

bringt diesen Umstand auch Zimmer (1987) auf den Punkt, wenn er vom<br />

Geruch als dem „Stiefsinn“ (Zimmer 1987: 27) <strong>des</strong> menschlichen Wahr-<br />

nehmungssystems spricht. Verglichen mit den endlosen neurophysiolo-<br />

gischen, (neuro-)psychologischen und kognitiv-linguistischen Publikatio-<br />

nen, die über den Bereich der visuellen Wahrnehmung existieren, neh-<br />

men die Forschungsbeiträge zum Thema Olfaktorik im Allgemeinen und<br />

zum Thema Olfaktorik und <strong>Sprache</strong> im Besonderen einen geradezu lä-<br />

cherlich kleinen Raum ein. Lorig (1998) macht bezüglich <strong>des</strong> relativen<br />

Desinteresses am Geruchssinn auf ein bemerkenswertes Paradox auf-<br />

merksam. Einerseits scheinen zahlreiche Autoren im Bereich der Neuro-<br />

kognition der Auffassung zu sein, dass „since humans raised their noses<br />

from the ground in the ascent to bipedalism, olfaction has lost its impor-<br />

tance in affecting human behavior“ (Lorig 1998: 391). Demgegenüber<br />

beweisen immer wieder Experimente mit Versuchspersonen, dass olfak-<br />

torische Reize sehr wohl einen entscheidenden, wenngleich subtilen und<br />

unterhalb der Bewusstseinsschwelle der Wahrnehmung liegenden Ein-<br />

fluss auf das menschliche Verhalten haben (Lorig 1998: 391). <strong>Die</strong>s bes-<br />

tätigen auch die Ausführungen von Vroon (et al. 1996). Sie berichten ü-<br />

89


er erinnerungsfördernde Effekte von Gerüchen und deren Auswirkung<br />

auf das allgemein psychische Wohl- und Unbehagen sowie auf psycho-<br />

soziale Sym- und Antipathiereaktionen, hier vor allem sexuelle Attraktion<br />

und Stimulation (vgl. Vroon et al. 1996: v.a. 132 ff., 158 ff. und 194 ff.).<br />

Außerdem steht dem relativ geringen wissenschaftlichen Interesse der<br />

immense Aufwand der Aroma- und Parfumindustrie entgegen, die als<br />

duftende Artikel keineswegs nur <strong>Parfums</strong> auf den Markt bringt, sondern<br />

bei allen möglichen Pflegeprodukten einen besonderen Wert auf den<br />

entsprechenden Wohlgeruch legt. Lorig (1998) fasst diesen Widerspruch<br />

mit folgenden Worten zusammen:<br />

„The fragrance industry is a multi-billion dollar industry and supplies many mo-<br />

re products than the perfume most associated with this trade. The companies<br />

in this business sell products to scent shampoo, deodorants, tissues, soaps of<br />

all types, hand creams, leather products, toys, air fresheners, cleaning pro-<br />

ducts, and many other commodities. It seems unlikely that humans would<br />

spend so much money on something that was so ‘unimportant’” (Lorig 1998:<br />

391).<br />

Einen bemerkenswerten Erklärungsvorschlag zum Thema, wie das Ge-<br />

hirn sprachliche Prozesse verarbeitet, bieten Damasio/Damasio (1992)<br />

an, den sie aus ihren klinischen Untersuchungen an neurologisch kran-<br />

ken Patienten ableiten (vgl. Damasio/Damasio 1992: 90). Zwar themati-<br />

sieren sie nicht explizit die Schwierigkeiten, die Geruch und <strong>Sprache</strong><br />

miteinander haben, aber ihre Konzeption der Sprachverarbeitung als ein<br />

dreiteiliges System, das ein vorgeschaltetes Modul für explizit nicht-<br />

sprachliche Kognition beinhaltet, lässt sich als Erklärungsmodell für kog-<br />

nitive Abläufe heranziehen, die sich möglicherweise auch bei der<br />

Versprachlichung von Gerüchen abspielen. Sie gehen davon aus, „daß<br />

das Gehirn die <strong>Sprache</strong> mittels dreier wechselwirkender Gruppen von<br />

Strukturen verarbeitet“ (Damasio/Damasio 1992: 80).<br />

<strong>Die</strong> erste besteht nach dieser Konzeption aus einer großen Gruppe neu-<br />

raler Systeme sowohl in der linken als auch in der rechten Hemisphäre<br />

und ist „für den nichtsprachlichen, durch verschiedene sensorische und<br />

motorische Systeme vermittelten Austausch zwischen dem Organismus<br />

90


und seiner Umgebung (...) [zuständig], für all das, was eine Person tut,<br />

wahrnimmt, denkt oder fühlt“ (Damasio/Damasio 1992: 80). <strong>Die</strong>se nicht-<br />

sprachlichen Repräsentationen werden nach Kategorien geordnet, bei-<br />

spielweise nach Gestalt, Farbe, Reihenfolge oder emotionalem Zustand.<br />

Hierüber hinaus schafft dieses erste Subsystem noch eine weitere Ebe-<br />

ne der Repräsentation der Erstklassifikationen (vgl. Damasio/Damasio<br />

1992: 80) und erst die „aufeinanderfolgende Ebenen von Kategorien und<br />

symbolischen Repräsentationen bilden die Grundlage für Abstraktionen<br />

und Metaphern“ (Damasio/Damasio 1992: 80). Bezüglich dieses primär<br />

nonverbal arbeitenden Subsystems wird einmal mehr im Rückgriff auf<br />

die Forschungen von Rosch (1977) die visuelle Wahrnehmung von Far-<br />

ben und deren sprachliche Kategorisierung herangezogen und durch<br />

neurophysiologische Befunde empirisch untermauert. Es wird betont,<br />

dass „Farbkonzepte (...) universell [sind] und (...) sich bei allen Men-<br />

schen [entwickeln] unabhängig davon, ob die jeweilige Kultur dafür tat-<br />

sächlich Namen verwendet oder nicht“ (Damasio/Damasio 1992: 81).<br />

„An den neuralen Systemen, die für das Erkennen und Benennen von Farben<br />

zuständig sind, läßt sich die Organisation von Sprachstrukturen illustrieren.<br />

Untersuchungen an hirngeschädigten Patienten deuten darauf hin, daß das<br />

Bilden von Begriffen für Farben vom Funktionieren eines bestimmten neuralen<br />

Systems abhängt. Ein anderes System muß intakt sein, damit man Wörter für<br />

die Farben abrufen kann. <strong>Die</strong> richtige Verbindung zwischen Wörtern und Beg-<br />

riffen hängt offenbar von einem dritten System ab“ (Damasio/Damasio 1992:<br />

83).<br />

<strong>Die</strong> zweite Gruppe von Hirnstrukturen, die Damasio/Damasio (1992) un-<br />

terscheiden, umfasst „eine kleinere Anzahl neuronaler Systeme, die zu-<br />

meist in der linken Hirnhälfte lokalisiert sind (Damasio/Damasio 1992:<br />

81). <strong>Die</strong>sen entsprechen die weiter oben referierten klassischen Gehirn-<br />

zentren der sensorischen (Wernicke-Zentrum) und motorischen Sprach-<br />

prozesse (Broca-Zentrum).<br />

<strong>Die</strong> dritte Gruppe, die das Autorenteam ebenfalls in der linken Gehirn-<br />

hälfte ansiedelt, „vermittelt zwischen den ersten beiden. <strong>Die</strong>se [dritten]<br />

Instanzen können einen Begriff aufnehmen und das Hervorbringen von<br />

91


Wortformen stimulieren oder sie können Wörter empfangen und die an-<br />

deren Hirnteile veranlassen die entsprechenden Begriffe aufzurufen“ (i-<br />

bidem). Bei diesem dritten Subsystem der Sprachverarbeitung handelt<br />

es sich demnach um „Mediationsstrukturen“ (ibidem), die zwischen nicht-<br />

sprachlich kodierten Gedächtnisinhalten und explizit sprachlichen Vor-<br />

gängen vermitteln. Und „weil das Gehirn auf vielen Ebenen gleichzeitig<br />

Wahrnehmungen und Handlungen nach Kategorien ordnet, können aus<br />

diesem komplexen Gebilde ohne weiteres symbolische Darstellungen –<br />

etwa Metaphern – hervorgehen“ (Damasio/Damasio 1992: 83).<br />

Sie weisen in diesem Zusammenhang noch auf eine interessante neuro-<br />

physiologische Verbindung zwischen Sprach- und Gedächtnis- bezie-<br />

hungsweise Lernprozessen hin. Es wurde weiter oben schon betont,<br />

dass subkortikale Hirnregionen, die zum limbischen System gerechnet<br />

werden, entscheidend an Gedächtnisprozessen beteiligt sind. Vor allem<br />

der Hippokampus nimmt hierbei eine zentrale Rolle ein (vgl. Bear et al.<br />

2 2001: 756 ff.). Damasio/Damasio (1992) stellen fest, dass auch subkor-<br />

tikale Nervenverbindungen nachweisbar sind, die „die linken Basal-<br />

ganglien und Kerne im vorderen Teil <strong>des</strong> linken Thalamus“ (Dama-<br />

sio/Damasio 1992: 89) einbeziehen und an motorischen (expressiven)<br />

Sprachprozessen Teil haben. Darauf aufbauend konstatieren sie:<br />

„<strong>Die</strong> eigentliche Produktion von Sprachlauten kann unter der Kontrolle der cor-<br />

ticalen Bahn, der subcorticalen oder auch beider stattfinden. Der subcorticalen<br />

Bahn entspricht ein Lernen durch Gewöhnung (habituelles Lernen), der corti-<br />

calen Bahn ein Lernen auf einer höheren, bewußteren Ebene (assoziatives<br />

Lernen)“ (Damasio/Damasio 1992: 89; vgl. auch Kandel/Hawkins 1992: 66 ff.).<br />

Ausgehend von diesen Erkenntnissen kann das Versprachli-<br />

chungsproblem der Geruchswahrnehmungen durch ein weiteres Argu-<br />

ment als notwendiges Problem erklärt werden. Wenn nun im Gegensatz<br />

zum visuellen das olfaktorische Wahrnehmungssystem ohnehin wie ge-<br />

zeigt im Wesentlichen in subkortikalen Strukturen zu lokalisieren ist,<br />

kommt auch für das Erlernen eines eventuellen Elementarvokabulars<br />

<strong>des</strong> Geruchs nur das Lernen durch Gewöhnung, das habituelle Lernen in<br />

Frage. Dem Lernen durch Gewohnheit geht aber voraus, dass man die<br />

92


Situationen, in denen man lernt, für relevant erachtet und sich ihnen<br />

aussetzt. Aber das kommt beim Geruchssinn nicht vor. Wie dargelegt,<br />

wird seine Wichtigkeit für das menschliche Verhalten auf Grund seiner<br />

tendenziellen Bewusstseinsferne üblicherweise als relativ gering einge-<br />

schätzt. Das ist ja auch durchaus verständlich. Wenn man die Entschei-<br />

dung treffen müsste, entweder die Sehfähigkeit oder die Riechfähigkeit<br />

herzugeben, würde wohl kaum jemand auf sein Augenlicht verzichten<br />

nur um weiterhin riechen zu können. Das visuelle System ist für den<br />

Menschen einfach auf Grund seiner größeren Reichweite dem olfaktori-<br />

schen strategisch überlegen. Es besteht kein zwingender Evolutions-<br />

druck, über habituelles Lernen den Geruchssinn zu schärfen. <strong>Die</strong> Aufga-<br />

ben der Orientierung im Raum, der Kontrolle motorischer und dynami-<br />

scher Abläufe sowie <strong>des</strong> Scannens der Lebensumgebung, die der Ge-<br />

ruchssinn möglicherweise übernehmen könnte, werden vom visuellen<br />

System schneller und zuverlässiger erledigt. Und ganz im Gegenteil hat<br />

ja der Verlauf der Evolution durch den aufrechten Gang <strong>des</strong> Menschen<br />

entscheidende Parameter geändert, die letztlich zum Triumph <strong>des</strong> Visu-<br />

ellen (und auch <strong>des</strong> Auditiven) geführt haben – leider auf Kosten <strong>des</strong> ol-<br />

faktorischen Systems.<br />

An dieser Stelle sei ein kleines Gedankenspiel gestattet:<br />

Angenommen, es ist versehentlich bei experimentellen Genmanipulatio-<br />

nen für die Herstellung bakterieller Kampfstoffe ein grauenvolles Virus<br />

entstanden und hat die Erdatmosphäre verseucht. <strong>Die</strong>ses Virus führt da-<br />

zu, dass die gesamte Menschheit innerhalb weniger Tage ihr Augenlicht<br />

und ihr Gehör verliert, und zwar irreversibel und zu 100% vererbbar. In<br />

diesem Fall kann der Mensch sicher nicht Zehntausende von Jahren<br />

warten, bis die Evolution langfristig eine Strategie entwickelt, die die<br />

Spezies vor dem Aussterben bewahren könnte. Der individuelle und kol-<br />

lektive Selbsterhaltungsdrang würde in dieser Krisenlage sicherlich mit-<br />

telfristig durch habituelles Lernen die verbliebenen Sinnessysteme auf<br />

kreative Weise der veränderten Wahrnehmungssituation <strong>des</strong> menschli-<br />

chen Organismus anpassen und entsprechend optimieren. <strong>Die</strong>s würde<br />

vielleicht nur einige Jahrzehnte bis Jahrhunderte dauern. Davon würde<br />

93


dann auch die Kapazität <strong>des</strong> Geruchssinns entscheidend profitieren, der<br />

zu dem Fernsinn umfunktioniert werden könnte.<br />

Obwohl reichlich fiktiv, ist dieses Gedankenspiel nicht völlig abwegig,<br />

denn viele Tiere benutzen den Geruchssinn in der Tat als Fernsinn.<br />

„Ein Meister auf diesem Gebiet ist (...) das Männchen <strong>des</strong> Seidenschmetter-<br />

lings (Bombyx) [auch Seidenspinner genannt], das keine Mühe hat, ein sexuell<br />

bereites Weibchen auch über viele Kilometer durch den von ihm ausgeschie-<br />

denen Duftstoff Bombykol zu orten und zu finden“ (Vroon et al. 1996: 31).<br />

<strong>Die</strong> Menschen wären aber nicht nur aus Fortpflanzungsgründen ge-<br />

zwungen ihre Nase als überlebenssichern<strong>des</strong> Olfaktolot (analog zu E-<br />

cholot) wesentlich effizienter zu nutzen als vor der Katastrophe. Burdach<br />

(1988) spricht – passend zu dieser Situation – von der „Beeinflussung<br />

der Duftwahrnehmung durch den (...) motivationalen Status <strong>des</strong> Indivi-<br />

duums, wie sich z.B. bei der hedonistischen Bewertung von Nahrungs-<br />

mitteln zeigt: besteht Hunger (...), so werden Düfte von attraktiven Nah-<br />

rungsmitteln (...) als angenehm und attraktiv empfunden während diesel-<br />

ben Gerüche nach vollzogener Sättigung als unangenehm oder sogar<br />

aversiv wahrgenommen werden“ (Burdach 1988: 24). Der motivationale<br />

Status <strong>des</strong> Organismus, der die olfaktorische Perzeption fundamental<br />

determiniert, würde sich ja im Falle <strong>des</strong> Absterbens der visuellen und<br />

auditiven Wahrnehmung radikal ändern. Man hätte gewissermaßen eine<br />

universelle, lebenserhaltende Motivation den Geruchssinn zu optimieren.<br />

Und wenn dieser eine solche perzeptorische Schlüsselposition einnäh-<br />

me, würde er sicherlich auch auf elementare Basiskategorien getrimmt,<br />

die sich gemäß <strong>des</strong> Trial-and-error-Prinzips mit der Zeit von selbst ergä-<br />

ben. Und als Folge <strong>des</strong>sen und aus Gründen der sozialen Notwendigkeit<br />

<strong>des</strong> Überlebens der Gemeinschaft würden sich auch relevante kognitive<br />

Kategorien etablieren, die ein konventionalisiertes und verbindliches<br />

nonverbales Kommunizieren über Geruchswahrnehmungen ermöglichen<br />

würden.<br />

94


1.5.2. Versuche zur sprachlichen Klassifikation von Gerüchen<br />

Aber trotz aller genannten Schwierigkeiten, die Geruch und <strong>Sprache</strong> mit-<br />

einander haben, kann man sich natürlich sprachlich über Geruchsquali-<br />

täten verständigen, wenn auch in sehr beschränkter Weise. Und es wur-<br />

de durchaus reichlich Forschungsenergie aufgewendet um Klassifikati-<br />

onsschemata für Geruchsqualitäten zu entwerfen und die einzelnen Ka-<br />

tegorien mit sprachlichen Ausdrücken zu benennen.<br />

Gschwind (1998) stellt mehrere Klassifikationsysteme zu Geruchsbe-<br />

schreibungen (von Aristoteles über Linné bis zu verschiedenen Parfu-<br />

meuren <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts) nacheinander vor und hält sie kontrastie-<br />

rend gegeneinander. Er betont, dass allen diesen Klassifizierungsversu-<br />

chen sowohl bezüglich der Zahl der Kategorien (zwischen 5 und 14) als<br />

auch bezüglich der Benennung der einzelnen Kategorien eine auffällige<br />

Willkürlichkeit anhaftet (vgl. Gschwind 1998: 31 ff.). Zu einem ähnlichen<br />

Ergebnis kommt Burdach (1988), der eine Übersicht von Amoore (1971)<br />

referiert, in der die Anzahl der Geruchsklassen (4 bis 44) sowie deren<br />

Bezeichnungen ebenfalls erheblich divergieren. Tabelle 7 zeigt einen<br />

Auszug aus dieser Übersicht und gibt einen wunderbaren Einblick über<br />

die Willkürlichkeit bei der Klassifizierung von Gerüchen und der Benen-<br />

nung der jeweiligen Kategorien (vgl. hierzu auch Jellinek 1997 und<br />

Köster 1990).<br />

95


Linné (1756)<br />

7 Klassen<br />

Henning (1915)<br />

6 Klassen<br />

96<br />

Wright & Michels (1964)<br />

7 Klassen<br />

aromatisch fruchtig Hexylazetat<br />

blumig würzig Gewürz<br />

ambrosisch blumig Benzothiazol<br />

lauchartig brenzlig Zitral<br />

bocksartig harzig emotional<br />

widerwärtig faul unangenehm<br />

ekelerregend harzig<br />

Tabelle 7: Duftklassifiation nach Amoore (1971; zitiert in Burdach 1988: 32)<br />

Bereits dieser knappe Überblick kann als Indiz dafür gewertet werden,<br />

dass sich das Verfahren <strong>des</strong> traditionellen Klassifizieren gemäß objektiv<br />

bestimmbarer Kriterien für die Geruchsklassifikation nicht eignet. Der<br />

Geruchssinn entzieht sich offensichtlich allen traditionellen Klassifizie-<br />

rungsverfahren. Ansonsten wäre es gelungen, ein wenigstens einiger-<br />

maßen homogenes Klassifizierungssystem zu entwickeln, aber sämtliche<br />

Klassifizierungssysteme sind nicht im Geringsten kompatibel. Gschwind<br />

erklärt diesen klassifikatorischen Misserfolg mit der fehlenden Berück-<br />

sichtigung der unterschiedlichen neurophysiologischen Konstitution un-<br />

serer Wahrnehmungssysteme (Sinnesmodalitäten), die Reize unter-<br />

schiedlich verarbeiten und damit auch die kognitive Operation <strong>des</strong> Kate-<br />

gorisierens auf unterschiedliche Weise determinieren. <strong>Die</strong> Binnenstruktur<br />

von Geruchskategorien kann nicht als objektiv beschreibbar und statisch<br />

verstanden werden.<br />

Das mangelhafte Ergebnis von Klassifizierungsversuchen, die mit star-<br />

ren Entweder-oder-Kategorien arbeiten, wird sicherlich noch deutlicher,<br />

wenn man sich anschaut, wie ein und dasselbe Parfum von unterschied-<br />

lichen Parfumeuren mit sprachlichen Ausdrücken charakterisiert wird.<br />

Gschwind (1998: 48) stellt drei Frauenparfums und deren Beschreibung<br />

durch verschiedene Parfumeure nebeneinander, von denen ich aber nur


eins auswähle, nämlich das Parfum Shalimar der Firma Guerlain. Zu<br />

Shalimar sieht die Synopse so aus:<br />

Parfumeure Charakterisierung<br />

Haarmann & Reimer orientalisch, süß<br />

Naarden International blumig, amber, orientalisch<br />

Société Technique <strong>des</strong> Parfumeurs de France Ambra, süß<br />

Hobbythek orientalisch, Amber, holzig, ledrig<br />

Firmenich orientalisch, Zitrone, Vanille<br />

Givaudan orientalisch<br />

Tabelle 8: Uneinheitliche sprachliche Charakterisierung <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> Shalimar<br />

<strong>Die</strong> Häufigkeitsverteilung der den Parfumgeruch beschreibenden Wörter<br />

ist folgendermaßen:<br />

Charakterisierung Anzahl<br />

orientalisch 5<br />

amber (= Ambra = Amber) 3<br />

süß 2<br />

blumig 1<br />

holzig 1<br />

ledrig 1<br />

Zitrone 1<br />

Vanille 1<br />

Tabelle 9: Häufigkeitsverteilung der Charakterisierungen zum Parfum Shalimar<br />

Wenn man bedenkt, dass alle Parfumeure ein und dasselbe Parfum be-<br />

schreiben, ist es auffällig, dass hier acht verschiedene Geruchscharakte-<br />

ristiken auftauchen. Sie bezeichnen allesamt sehr vage Wahrnehmungs-<br />

konzepte und man muss sich fragen, ob sie sich bei genauer Betrach-<br />

97


tung für die Beschreibung eines spezifischen Geruches überhaupt eig-<br />

nen.<br />

<strong>Die</strong> am häufigsten genannte Kategorie orientalisch bezieht sich ur-<br />

sprünglich auf etwas Geographisches. Vielleicht assoziiert man mit ori-<br />

entalisch laue arabische Nächte mit Geschichten von Scheherazade.<br />

Aber wie genau riecht orientalisch? Der Herkunft <strong>des</strong> Duftstoffes, der als<br />

Amber/Ambra bezeichnet wird, sollte man möglichst nicht zu detailliert<br />

nachgehen. Es handelt sich nämlich um „eine Substanz aus dem Ma-<br />

gendarmtrakt <strong>des</strong> Pottwals, [sie] kostet pro Kilo mehr als hunderttausend<br />

Mark“ (Vroon et al. 1996: 189). <strong>Die</strong> Wahrnehmungskategorie süß stammt<br />

eigentlich aus dem Geschmacksbereich. Übertragen auf den Geruch<br />

kann alles mögliche süß riechen, von Honig über Amaretto oder Kara-<br />

mellbonbons; auch der Geruch von Cannabisprodukten wird fast immer<br />

mit süß oder süßlich beschrieben.<br />

<strong>Die</strong> restlichen hier aufgeführten Beschreibungen haben die Gemeinsam-<br />

keit, Geruchseigenschaften zu bezeichnen, die auf riechende Naturpro-<br />

dukte zurückzuführen sind. Allerdings ist ein generischer Ausdruck wie<br />

blumig als genaue Beschreibung wenig hilfreich und sogar redundant, da<br />

alle möglichen Blumen blumig riechen, aber die Düfte von Rosen, Lilien<br />

und Chrysanthemen sich deutlich voneinander unterscheiden. <strong>Die</strong>s kann<br />

man bei Gelegenheit selbst leicht nachprüfen. Zu den relativ spezifi-<br />

schen Lexemen holzig, ledrig, Zitrone, Vanille ist zu sagen, dass man<br />

sich durchaus vorstellen kann, wie etwas riecht, das nach Holz, Leder,<br />

Zitrone oder Vanille riecht, aber riecht dann auch das Parfum so? Ange-<br />

nommen, das Parfum Shalimar enthielte in der Tat unter vielen anderen<br />

auch die Komponenten mit den angegebenen Dufteigenschaften. Es ist<br />

rein wahrnehmungspsychologisch gar nicht möglich, einzelne Kompo-<br />

nenten aus einem komplexen Duftgemisch derart eindeutig zu erkennen<br />

und zu benennen. Vroon (et al. 1996) referieren hierzu ein interessantes<br />

Experiment von Laing/Francis (1989). Dabei hat man festgestellt, „daß<br />

Gemische von zwei bekannten Gerüchen (verwendet wurden unter an-<br />

derem Kampfer, Zitrone, Mandel, Essig und Pfefferminze) nur von zwölf<br />

Prozent der Testpersonen richtig identifiziert wurden. Bei aus fünf Gerü-<br />

98


chen bestehenden Gemischen sank dieser Prozentsatz sogar bis null.<br />

Auch Profis, beispielsweise Parfumeure, erzielen kaum bessere Leistun-<br />

gen. Hier gelingt es nur drei Prozent, alle Bestandteile eines fünfteiligen<br />

Gemisches richtig zuzuordnen. Auffallend ist auch, daß alle Gemische<br />

mit drei oder mehr Komponenten als gleich schwierig oder ‚nicht identifi-<br />

zierbar’ beurteilt wurden“ (Vroon et al. 1996: 89).<br />

Wenn also wie in dem Shalimar-Beispiel von professioneller Seite ver-<br />

sucht wird, ein komplexes Parfumgemisch mit wenigen Wörtern zu be-<br />

schreiben, handelt es sich unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten um<br />

Augen- oder (um im Bild zu bleiben) Nasenwischerei. Es ist nicht so,<br />

dass einzelne olfaktorische Qualitäten aus einem Parfum herausgero-<br />

chen und beschrieben werden, sondern eher so, dass einzelne pseudo-<br />

olfaktorische Qualitäten in das Parfum hineingerochen werden.<br />

Gschwind stellt daher zum Problem der Willkürlichkeit der Geruchsklas-<br />

sifikationen abschließend zurecht fest:<br />

„Im Allgemeinen [...] ist ersichtlich, dass die verglichenen Düfte wenig einheit-<br />

lich Begriffen zugeordnet werden, da die Parfumklassifikationen alle subjektiv<br />

phänomenologisch sind [...]. Vor allem aber fehlt den Klassifikationen eine ob-<br />

jektive Einteilungsgrundlage“ (Gschwind 1998: 48 f.).<br />

Zu einer etwas positiveren Einschätzung über die Möglichkeit Gerüche<br />

angemessen zu beschreiben kommen Vroon (et al. 1996), die sich auf<br />

eine Studie von Arctander (1969) beziehen. In dieser „werden über zwei-<br />

tausend Duftstoffe, wie sie in der Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie<br />

benutzt werden, in der Terminologie vertrauter Blumen, Kräuter, Gewür-<br />

ze, Getränke etc. beschrieben. (...). Insgesamt benutzte der Verfasser<br />

dreihundert verschiedene Ausdrücke, um die von Duftstoffen erzeugten<br />

Impressionen zu beschreiben“ (Vroon et al. 1996: 66). <strong>Die</strong> am häufigsten<br />

vorkommenden Begriffe wurden einer so genannten Faktorenanalyse<br />

unterzogen. Dabei handelt es sich um eine statistische Bearbeitungs-<br />

technik, mit der überprüft werden kann, ob gewisse Begriffe immer wie-<br />

der in wechselseitigem Zusammenhang mit gewissen anderen Begriffen<br />

auftauchen. Es können also semantische Cluster herausgearbeitet wer-<br />

den. Hierbei kam es zu einem positiven Ergebnis. Es stellte sich heraus,<br />

99


dass sich viele kleine Begriffsgruppen ergaben, innerhalb derer sich die<br />

Bedeutungen der Ausdrücke ähnelten. <strong>Die</strong> geclusterten Begriffsgruppen<br />

konnten deutlich voneinander abgegrenzt werden, womit gewährleistet<br />

wurde, dass sie sich auch zu spezifischen Beschreibungen eignen (vgl.<br />

Vroon et al. 1996: 66). Vroon (et al. 1996) kommen daher zu folgendem<br />

Schluss:<br />

„<strong>Die</strong> Terminologie funktioniert in dem Sinne sehr gut, dass sie die einzelnen<br />

Gerüche wirklich voneinander zu unterscheiden vermag“ (Vroon et al. 1996:<br />

66).<br />

<strong>Die</strong> Autoren gehen sogar so weit anzuregen, dass „es vernünftiger [wä-<br />

re], wenn man versuchen würde die Geruchsimpressionen in dem offen-<br />

kundig doch recht exakten Vokabular von Arctander etwas genauer zu<br />

beschreiben, um auf diese Weise die wesentlichen Eigenschaften von<br />

Gerüchen zu entschlüsseln“ (Vroon et al. 1996: 67).<br />

Andere empirische Untersuchungen auf diesem Gebiet zielen allerdings<br />

oft weniger auf die Erstellung umfassender Klassifikationssysteme ab als<br />

vielmehr auf die Klärung spezifischer Einzelfragen bei der Geruchsbe-<br />

wertung und -klassifizierung von Seiten der Probanden. Allerdings um-<br />

geht zumin<strong>des</strong>t die Methode der multidimensionalen Skalierung – hierbei<br />

steht die Wahrnehmung geruchlicher Kontrastphänomene, nicht die ver-<br />

bale Beschreibung von Einzelgerüchen im Zentrum <strong>des</strong> Interesses – das<br />

Problem der direkten Versprachlichung (vgl. Engen 1982).<br />

Besonders interessant in diesem Zusammenhang sind die Experimente<br />

von Lawless (1989 und 1991), mit denen er ermitteln wollte, ob dem<br />

Klassifizieren von Gerüchen prototypische Mechanismen zu Grunde lie-<br />

gen. In Lawless (1989) ging es darum, wie Probanden diverse unbe-<br />

kannte Gerüche zwei bekannten Kategorien zuordnen (dort: holzig und<br />

zitronig). Eine Gruppe von Versuchspersonen wurde dazu aufgefordert,<br />

sich zwischen den beiden gesicherten Kategorien zu entscheiden; hier-<br />

bei verteilte sich in etwa die Zuordnung auf beide Kategorien. Eine ande-<br />

re Gruppe hatte die Möglichkeit, die Düfte in beliebig viele Klassen auf-<br />

zuteilen, wobei sich ein fließender Übergang zwischen den einzelnen<br />

Klassen ergab (vgl. Lawless 1989: 356 f.). Laut Gschwind kann dies „als<br />

100


Hinweis für das Vorhandensein von prototypischen Strukturen der sub-<br />

jektiven Geruchsräume genommen werden” (Gschwind 1998: 56).<br />

In einer Nachfolgestudie (Lawless 1991) wurden den Probanden zu-<br />

sammen mit einem nicht eindeutigen Duft ein Prototyp einer ersten oder<br />

einer zweiten Duftkategorie dargeboten. Dabei kam es zu einem so ge-<br />

nannten „sequential contrast effect” (Lawless 1991: 319). Damit ist ge-<br />

meint, dass der ambivalente Geruch in Abhängigkeit von dem jeweils<br />

beigegebenen Prototypen unterschiedlich kategorisiert wurde. Auch dies<br />

könnte darauf hindeuten, dass eine Eindeutigkeit bei der Klassifizierung<br />

von Gerüchen nicht zu erreichen ist und somit von Geruchsklassen mit<br />

offenen oder zumin<strong>des</strong>t unscharfen Grenzen ausgegangen werden<br />

muss.<br />

Um die offenbar stark subjektiv bedingte und sich jedem objektiven Klas-<br />

sifizierungsversuch entziehende Geruchswahrnehmung doch kategorial<br />

beschreibbar zu machen, schlägt Gschwind den Rückgriff auf den von<br />

Zadeh (1987) entwickelten mathematischen Ansatz der fuzzy sets, der<br />

unscharfen Mengen vor. <strong>Die</strong>ser „könnte [...] Hilfe bieten zur präzisen Be-<br />

schreibung der sehr unscharfen Klassifikation von Geruchsreizen. <strong>Die</strong><br />

Geruchsklassen unterliegen nicht der harten zweiwertigen Logik <strong>des</strong><br />

klassischen Kategorisierens, sondern es handelt sich hierbei um Klas-<br />

sen, die ein Kontinuum in Bezug auf die Klassenzugehörigkeit aufwei-<br />

sen.” (Gschwind 1998: 28 f.). Damit kommen erneut prototypische Klas-<br />

sifikationskriterien ins Spiel. Es scheint also nach Geschwind (1998)<br />

zweckmäßiger und möglich zu sein, gemäß <strong>des</strong> prototypischen Katego-<br />

risierungsverfahrens prototypische Parameter einer Geruchskategorie zu<br />

etablieren und diese in räumliche Beziehung zueinander zu setzen, ähn-<br />

lich wie dies von diversen Farbkreisen bekannt ist (vgl. Plümacher 2004).<br />

<strong>Die</strong>s versucht der Autor in innovativer Weise, indem er mittels seines<br />

Konzeptes <strong>des</strong> Erlebnisraums komplexe klassifizierende Duftnetzwerke<br />

zu diversen Frauenparfums geometrisch darstellt (vgl. Gschwind 1998:<br />

135 ff.).<br />

Letztendlich gelöst ist das Problem damit jedoch nicht. Denn auch für ein<br />

solches Modell bräuchte man zunächst einmal das, was es nicht gibt,<br />

101


nämlich konsensfähige olfaktorische Basiskategorien innerhalb einer<br />

Sprachgemeinschaft, die als solche Referenzpunkte dienen könnten.<br />

Gelänge es, ein solches System sprachlich-olfaktorischer Referenzpunk-<br />

te konsensfähig zu etablieren und diese als Parameter (in unbestimmter<br />

Zahl) in einem geometrischen Darstellungsraum anzuordnen, dann<br />

könnte man in diesem n-dimensionalen Geruchsraum den zu beschrei-<br />

benden Einzelgerüchen entsprechende Koordinaten zuweisen, die sie in<br />

Relation setzen zu den Basisbegriffen. <strong>Die</strong>s ist allerdings momentan<br />

noch illusorisch.<br />

Auf eine recht originelle, eher qualitativ orientierte Methode um die sub-<br />

jektive Intensität von Geruchsempfindungen zu bestimmen weisen Vroon<br />

(et al. 1996) hin. <strong>Die</strong>se Methode ist insofern für das Anliegen dieser Ar-<br />

beit interessant, als sie explizit das Phänomen der inszenierten Synäs-<br />

thesie heranzieht. Sie „geht von einer Verknüpfung mit der Terminologie<br />

eines anderen Sinnesorgans aus. Demnach kann ein Geruch als scharf,<br />

hoch, warm oder süß bezeichnet werden. Hier hängt ein scharfer, hoher,<br />

warmer und süßer Geruch im Raum muß keinen Unsinn bedeuten, wenn<br />

die Begriffe scharf, hoch, warm und süß etwas über die Intensität oder<br />

Qualität einer sinnlichen Impression aussagen. In der Praxis sieht das<br />

natürlich ganz anders aus. Bei einem entsprechenden Test wird die In-<br />

tensität von Gerüchen beispielsweise mit Hilfe einer regulierbaren Licht-<br />

quelle, der Stärke eines Geräuschs u.ä. ausgedrückt (was, nebenbei<br />

bemerkt, auch nicht unproblematisch ist)“ (Vroon et al. 1996: 71). Leider<br />

berühren die Autoren die Synästhesie-Problematik, die im Rahmen mei-<br />

ner Untersuchung eine Zentralposition einnimmt, nur oberflächlich. Ob<br />

das angedeutete Verfahren, das sich sprachlich-synästhetischer Mecha-<br />

nismen bedient, als Messverfahren bezeichnet werden kann, ist aller-<br />

dings zu bezweifeln. <strong>Die</strong> zu erwartenden Daten eines solchen Experi-<br />

ments sind ja notwendigerweise keinesfalls intersubjektiv vergleichbar;<br />

es werden dabei gar keine Aussagen über Eigenschaften externer Ge-<br />

ruchsstimuli gemacht, sondern eher über die synästhetische Transferfä-<br />

higkeit der Probanden. Aber interessant ist dieses Verfahren aus heuris-<br />

tischen Gründen. Es zeigt einen möglichen, wenn auch naturwissen-<br />

102


schaftlich sicher nicht akzeptablen, Ausweg aus dem Dilemma Gerüche<br />

wahrnehmen und schweigen oder Gerüche sprachlich beschreiben und<br />

notwendig daneben liegen.<br />

1.5.3. Semiosemodi bei der Beschreibung von Geruchsqualitäten<br />

Als nächstes werden unter Zuhilfenahme der oben eingeführten semioti-<br />

schen Grundbegriffe mehrere Versprachlichungsstrategien aufgezeigt,<br />

die man üblicherweise anwendet, wenn man Gerüche beschreibt. Bei<br />

diesen Bezeichnungsweisen, die ich Semiosemodi nenne, lassen sich<br />

verschiedenartige nichtarbiträre Aspekte nachweisen.<br />

Dass Sprachzeichen im Sinne der Peirceschen Terminologie symboli-<br />

sche Zeichen sind, die einen Bezug zwischen Zeichenträger und Objekt<br />

herstellen, der sich auf Konventionalität und Arbitrarität gründet, wurde<br />

oben bereits festgestellt. Insofern handelt es sich bei sprachlichen Ge-<br />

ruchsbeschreibungen primär um eine symbolisch determinierte Semiose.<br />

Es lassen sich jedoch subtilere Motivationen der jeweiligen Bezeichnun-<br />

gen herausarbeiten, die teilweise auf einer indexikalischen, teilweise auf<br />

einer ikonischen Relation zwischen Zeichenträger und Objekt beruhen.<br />

Es zeigt sich ferner, dass man das Phänomen der sprachlichen Synäs-<br />

thesie als Spezialfall betrachten muss.<br />

Verständigt man sich im Alltag über Gerüche, geschieht dies in der Re-<br />

gel durch sprachliche Prädikation, also den „Vorgang und [das] Ergebnis<br />

der Zuordnung von Eigenschaften zu Objekten oder Sachverhalten“<br />

(Bußmann 3 2002: 528). Bei der sprachlichen Beschreibung olfaktorischer<br />

Eigenschaften ist auffällig, dass wir dabei fast immer Bezug auf die Quel-<br />

le <strong>des</strong> Geruchs nehmen, also auf die Substanz oder den Gegenstand,<br />

von dem die Geruchsreize vermutlich ausgesendet werden. Dabei kann<br />

man jedoch zwischen verschiedenen Arten der substanzbezogenen<br />

sprachlichen Prädikation unterscheiden.<br />

103


Es können voneinander abgegrenzt werden die ikonisch motivierte, die<br />

indexikalisch motivierte, die ikonisch-indexikalisch motivierte und die<br />

synästhetisch motivierte Prädikation.<br />

1.5.3.1. Ikonisch motivierte Prädikation<br />

Angenommen in einer fiktiven Situation ist ein Geruch x wahrnehmbar<br />

und jemand äußert den Satz<br />

x riecht wie Lavendel.<br />

Man kann in dieser Situation zwei simultan ablaufenden kognitive Opera-<br />

tionen der stattfindenden Semiose unterscheiden, eine nichtsprachliche<br />

und eine sprachliche.<br />

Im Falle der nichtsprachlichen Semiose entsprächen die von der unbe-<br />

kannten Substanz x emittierten Geruchsmoleküle dem Zeichenträger.<br />

<strong>Die</strong> Tatsache der Empfindung (englisch: sensation) <strong>des</strong> Geruchs durch<br />

den Organismus entspräche dem abwesenden Objekt, das den Geruch<br />

verursacht, die zu Stande kommende assoziative Wirkung, die eigentli-<br />

che Wahrnehmung (englisch: perception) durch den Rezipienten ent-<br />

spräche dem Interpretant. Auf der Wahrnehmungsseite wäre demnach<br />

ein indexikalisches Semioseverfahren anzunehmen, da der wahrneh-<br />

mende Organismus durch die Tatsache der Wahrnehmung auf eine<br />

räumlich und zeitlich gegebene Geruchsursache schließt.<br />

Bei der Versprachlichung dieses Wahrnehmungsvorgangs stellt sich die<br />

Semiose folgendermaßen dar. Der unbekannte zu beschreibende Ge-<br />

ruch x wird über sprachliche Mittel mit dem Geruch von Lavendel ver-<br />

knüpft. <strong>Die</strong>se Verknüpfung wird im Wesentlichen durch das stereotype<br />

Geruchsverb riechen und die vergleichende Konjunktion wie geleistet. Es<br />

wird also eine Vergleichbarkeit behauptet zwischen dem Geruch x und<br />

dem Geruch von Lavendel, denn wie gehört zu den „Konjunktionen, [die]<br />

zur Kennzeichnung eines Vergleichs“ benutzt werden (Duden 6 1998: §<br />

730). Man kann demnach bei der sprachlichen Semiosedimension von<br />

einer ikonischen Relation zwischen Geruch x und Lavendelgeruch spre-<br />

104


chen, denn die postulierte Vergleichbarkeit von Geruch x und dem Ge-<br />

ruch von Lavendel impliziert eine zumin<strong>des</strong>t angenommene Ähnlichkeits-<br />

relation. Außerdem schwingt bei der ikonischen Relation die Konnotation<br />

mit, dass der zu beschreibende Geruch gar nicht unbedingt von Laven-<br />

del herrührt; er ähnelt diesem nur.<br />

Formalisiert würde diese ikonische Beziehung so aussehen:<br />

Geruch x = Geruch von Lavendel.<br />

<strong>Die</strong> sprachliche Manifestation der vergleichenden Ähnlichkeitsrelation<br />

setzt natürlich voraus, dass der Geruch von Lavendel dem Interpreten<br />

der Semiose bekannt ist. Der Satz x riecht wie Lavendel sagt nichts Neu-<br />

es über den Geruch x aus. Der Satz ist nicht besonders informativ, weil<br />

er keine neue Information liefert, weil keine neue qualitative Beschrei-<br />

bung der Geruchsqualität erfolgt. Er stellt lediglich eine Relation her.<br />

Wenn man den spezifischen Geruch von Lavendel nicht kennt, ist der<br />

Satz referenzsemantisch im Grunde sogar wertlos. Dennoch hat er einen<br />

wichtigen kommunikativen Effekt, denn er erzeugt mit abstrakt-<br />

sprachlichen Mitteln eine Assoziation zwischen konkreten sinnlichen Ge-<br />

ruchserfahrungen, womit er den unbekannten Geruch in das Netzwerk<br />

von bekannten Gerüchen integriert.<br />

1.5.3.2. Indexikalisch motivierte Prädikation<br />

Eine semiotisch anders gelagerte Situation liegt zu Grunde, wenn der<br />

geruchsbeschreibende Satz lauten würde<br />

x riecht nach Lavendel.<br />

Im Rahmen der eingeführten semiotischen Basisbegriffe muss die Moti-<br />

vation <strong>des</strong> Satzes anders interpretiert werden als die <strong>des</strong> vorigen, da<br />

durch den Satz die Relation einer räumlichen und zeitlichen Kontiguität<br />

suggeriert wird. Es liegt eine indexikalische Motivation für die sprachliche<br />

Form vor, denn die Präposition nach dient prinzipiell der „Kennzeichnung<br />

<strong>des</strong> Raumes, der Lage, der Richtung“ (Duden 6 1998: § 681). Sie wird<br />

105


verwendet „in der Bedeutung ‚in eine bestimmte Richtung hin’“ (Duden<br />

6 1998: § 683). Man kann die Funktion der Präposition nach als Charakte-<br />

risierung lokaler Verhältnisse sehr gut auf den Beispielsatz übertragen.<br />

Durch nach wird eine räumliche Nähe von Lavendel postuliert. <strong>Die</strong>ser ist<br />

dadurch im Stande den wahrgenommenen Geruch zu produzieren. Der<br />

unbekannte Geruch als Zeichenträger wird nicht wie in der Konstruktion<br />

x riecht wie Lavendel gleichgesetzt mit der angenommenen bekannten<br />

Geruchsquelle, dem Objekt. Sondern es wird ein kausales Verhältnis<br />

zwischen Zeichenträger und Objekt behauptet, dass durch die vermeint-<br />

liche Kontiguität gedeckt ist. <strong>Die</strong>se indexikalische Beziehung würde for-<br />

malisiert so aussehen:<br />

Geruch x Lavendel.<br />

(Der Pfeil bedeutet hier wird verursacht durch.)<br />

Lavendel ist in diesem Fall die ursächliche Geruchsquelle, die zur Wahr-<br />

nehmung <strong>des</strong> entsprechenden Geruchs führt, ohne dass ein Vergleich<br />

konstruiert wird. Rückwirkend verweist also die Bezeichnung x riecht<br />

nach Lavendel, durch die der Geruch zur <strong>Sprache</strong> gebracht wird, auf<br />

seine ursächliche Quelle. Folglich liegt der Semiose hier in erster Linie<br />

die indexikalische Natur der sprachlich (symbolisch) kodierten Relation<br />

zwischen den beteiligten Entitäten zu Grunde.<br />

1.5.3.3. Grenzfall – ikonische oder indexikalische Motivation<br />

Nicht eindeutig hinsichtlich der Bezeichnungsmotivation ikonisch vs. in-<br />

dexikalisch zu diagnostizieren ist die Geruchsprädikation<br />

x riecht verbrannt.<br />

Das Partizip II verbrannt wird in der syntaktischen Funktion eines adver-<br />

bial gebrauchten Adjektivs verwendet. Man könnte daher auf den ersten<br />

Blick annehmen, dass es die Bedeutung <strong>des</strong> Verbs modifiziert, wie es<br />

üblicherweise bei adverbial gebrauchten Adjektiven der Fall ist. Hier liegt<br />

die Sache aber anders. Der Vorgang <strong>des</strong> Riechens wird semantisch<br />

106


nicht modifiziert, weshalb die syntaktische Bewertung als Adverbial aus-<br />

geschlossen ist. Das Verb riechen als Verb der Sinneswahrnehmung<br />

muss hier als Kopulativverb gewertet werden. Es stellt lediglich die logi-<br />

sche Verbindung zur (unbekannten) Bezugsgröße x her, die in in diesem<br />

Fall dem grammatischen Subjekt <strong>des</strong> Satzes entspricht und signalisiert,<br />

dass es sich um eine olfaktorische Beziehung handelt. Das Adjektiv-<br />

Partizip verbrannt wird damit zum prädikativen Satzadjektiv. Eine Para-<br />

phrase mit einer konjunktionalen Vergleichskonstruktion ist genauso<br />

möglich wie eine Konstruktion mit der lokalen/kausalen Präposition nach:<br />

x riecht wie ein verbranntes y;<br />

x riecht nach einem verbrannten y.<br />

Bei einer Geruchscharakterisierung in Form eines Adjektivs kann man<br />

also keine eindeutige Aussage über den zu Grunde liegenden Semiose-<br />

modus treffen.<br />

1.5.3.4. Spezialfall – synästhetisch motivierte Adjektive<br />

<strong>Die</strong> interessantesten Fälle sind Adjektive, die uneigentlich gebraucht<br />

werden, die aus anderen Wahrnehmungsbereichen in den Wahrneh-<br />

mungsbereich der Olfaktorik übertragen werden. Damit laufen die Argu-<br />

mentationsfäden Geruchsprädikation und sprachliche Synästhesie zu-<br />

sammen.<br />

Eine spezielle Art sprachlich auf Geruchswahrnehmungen zuzugreifen<br />

ist nämlich die synästhetische Prädikation, die als Sonderform <strong>des</strong> unei-<br />

gentlichen, metaphorischen Sprachgebrauchs charakterisiert werden<br />

kann.<br />

<strong>Die</strong> Bedeutung eines stereotypen Beispielsatzes wie<br />

x riecht heiß<br />

ist nicht sonderlich schwer zu dekodieren, sofern x als Variable für eine<br />

Person verstanden wird und man mit der üblichen Umgangssprache <strong>des</strong><br />

Deutschen einigermaßen vertraut ist. Das Adjektiv heiß ist ein uneigent-<br />

107


liches Synonym für sexuell erregt beziehungsweise erregend. Entschei-<br />

dend ist der synästhetische Charakter der Konstruktion. <strong>Die</strong> Geruchs-<br />

charakterisierung wird durch ein Adjektiv geleistet, bei dem es sich ei-<br />

gentlich um eine Temperaturbezeichnung handelt, dass also dem per-<br />

zeptorischen Referenzbereich der taktilen Wahrnehmung zuzuordnen ist.<br />

Im eigentlichen Sinne wird über die Geruchsqualität von x nichts ausge-<br />

sagt, x wird nicht durch ein olfaktorisches Lexem beschrieben, obwohl<br />

das Standardverb für olfaktorische Prädikation – riechen – dies sugge-<br />

riert. Vielmehr wird hier mittels <strong>des</strong> Prozesses der sprachlichen Synäs-<br />

thesie eine kognitive Assoziation hergestellt, die urprünglich olfaktorische<br />

und taktile Komponenten in eine sprachliche Konstruktion integriert.<br />

<strong>Die</strong>ses Phänomen zeichnet sich durch eine hohe semiotische Dichte<br />

aus. Fraglich bleibt jedoch, ob das synästhetische Beschreiben von Ge-<br />

ruchsqualitäten einen Zugewinn an referentieller Präzision bringt.<br />

Solche scheinbar geruchsbeschreibenden synästhetischen Adjektive fin-<br />

det man in großer Zahl in Werbetexten zu <strong>Parfums</strong>. Unter anderem mit<br />

derartigen Adjektiven wird sich die empirische Analyse eingehend be-<br />

schäftigen, die im folgenden Kapitel methodisch vorbereitet wird.<br />

108


2. METHODE: AUF DEM WEG ZUR SPRACHE DES PAR-<br />

FUMS<br />

Im Verlauf <strong>des</strong> Theorieteils wurde die zentrale Hypothese argumentativ<br />

herausgearbeitet, dass eine <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Geruchs sich notwendig<br />

sprachlicher Mittel bedienen muss, die mit Begriffen der linguistischen<br />

Poetizitätsforschung beschrieben werden können (= Poetizitäts-<br />

Hypothese).<br />

<strong>Die</strong>ses Kapitel bereitet die im Empirieteil durchgeführten <strong>des</strong>kriptiven<br />

Analysen von Produktbeschreibungen im Rahmen der Parfumwerbung<br />

methodisch vor. Dazu wird im Wesentlichen das methodische Prinzip<br />

<strong>des</strong> Archilesers (vgl. Riffaterre 1973) rekonstruiert, das es erlaubt Text-<br />

segmente zu bestimmen, die als potenziell poetisch relevant betrachtet<br />

und dann mit linguistischen Mitteln beschrieben werden können.<br />

Obwohl ich mich im späteren empirischen Teil dieser Arbeit auf die Be-<br />

schreibung textinterner Strukturen beschränke, soll zumin<strong>des</strong>t angedeu-<br />

tet sein, dass der Rahmen einer im engeren Sinne linguistischen Analy-<br />

se immer wieder durchbrochen wird. Da Werbetexte als Gebrauchstexte<br />

im öffentlichen Kommunikationsraum fungieren und einen Bezug zu rea-<br />

len Produkten herstellen, hat man es immer auch mit einer pragmati-<br />

schen Dimension zu tun. Vor allem, da diese Arbeit nach der (poeti-<br />

schen) Wirkung der Texte auf Leser fragt, die wie auch immer geartete<br />

Interpretationen vor ihrem je gegenwärtigen Erfahrungshorizont leisten.<br />

Soziolinguistische oder genderspezifische Fragestellungen, die die<br />

sprachliche Konstruktion von Männlichkeitstypen oder -idealen beleuch-<br />

ten, können hingegen in diesem Rahmen nicht weiter problematisiert<br />

werden (vgl. hierzu Holz 2004a; Baszcyk 2003; Schnierer 1999).<br />

109


2.1. Sprachkode vs. <strong>Parfums</strong>til<br />

Der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> als Spezialfall der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Geruchs sieht<br />

sich automatisch mit dem Konflikt <strong>Sprache</strong> vs. Geruch konfrontiert.<br />

Wenn die Poetizitäts-Hypothese auf die <strong>Parfums</strong>prache zutrifft, sollte es<br />

möglich sein, durch das Erfassen sprachlicher Eigentümlichkeiten eine<br />

genretypische Variante freizulegen, die für sich beanspruchen kann, cha-<br />

rakteristisch für die Werbesprache <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> zu sein.<br />

Man kann behaupten, dass die <strong>Parfums</strong>prache als ein bestimmter<br />

Sprachstil beschrieben werden kann, der sich vom Sprachkode <strong>des</strong> Ge-<br />

wöhnlichen abhebt. Mengentheoretisch gesprochen bilden die charakte-<br />

ristischen Zeichen und Zeichenrelationen, die den <strong>Parfums</strong>til prägen eine<br />

Teilmenge derjenigen <strong>des</strong> Sprachko<strong>des</strong>. Man sieht sich demnach mit der<br />

elementaren Opposition Sprachkode vs. <strong>Parfums</strong>til konfrontiert.<br />

Durch diese Unterscheidung ergibt sich eine Diskrepanz, die mit der<br />

Saussureschen Dichotomie Langue vs. Parole in Verbindung gebracht<br />

werden kann (vgl. Saussure 3 2001: 9). Zwar kann der zu beschreibende<br />

<strong>Parfums</strong>til nicht mit dem Begriff Parole gleichgesetzt werden, da er, wie<br />

zu zeigen ist, stabile morphosyntaktische und lexikalische Formen auf-<br />

weist, die als fachsprachlich kodiert betrachtet werden müssen und da-<br />

mit der Langue zuzurechnen sind. Aber das Moment der kreativen Wort-<br />

neuschöpfung in Form von Ad-hoc-Bildungen kann im Zusammenhang<br />

mit dem Begriff der Poetizität als Parole-Ereignis betrachtet werden,<br />

durch welches neuartige, noch nicht etablierte Elemente in den fach-<br />

sprachlichen Kode eingeführt werden. Insofern ist die theoretische Un-<br />

terscheidung zwischen Langue und Parole bezüglich <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Par-<br />

fums keineswegs eindeutig zu ziehen. Denn, wie (Bußmann 3 2002) be-<br />

tont:<br />

„(…) auf der Basis <strong>des</strong> L.[angue]-Systems sind P.[arole]-Ereignisse individuel-<br />

le (...), verschiedene Konkretisierungen, die durch Variabilität und Redundanz<br />

gekennzeichnet sind“ (Bußmann 3 2002: 389).<br />

Eine je spezifische sprachliche Variante kann sich immer nur aus dem<br />

systematischen spezifischen Gebrauch <strong>des</strong> Zeicheninventars herausbil-<br />

110


den, das der umfassendere Sprachkode bereitstellt. Der allgemeine<br />

Sprachkode stellt gewissermaßen den invarianten, systematischen Hin-<br />

tergrund dar, von dem sich der fachsprachlich kodierte <strong>Parfums</strong>til als<br />

quasi-individuelle Variante abhebt. Das <strong>des</strong>kriptive Herausarbeiten <strong>des</strong><br />

parfumspezifischen Sprachstils als eines Sub-Ko<strong>des</strong>, also <strong>des</strong> spezifi-<br />

schen genretypischen Vokabulars und spezifischer genretypischer Syn-<br />

tagmen ist ein wesentlicher Anspruch dieser Dissertation.<br />

Ein anderes Anliegen ist es, diejenigen Lexeme zu identifizieren, die als<br />

textspezifische Ad-hoc-Bildungen nicht zum Sub-Kode <strong>des</strong> Parfumdis-<br />

kurses gehören und damit dem Bereich der Parole zuzurechnen sind.<br />

Auf das interdependente Verhältnis zwischen Kode und Stil weist Riffa-<br />

terre (1973) im folgenden Textauszug dezidiert hin, in dem er die Kode-<br />

Stil-Diskrepanz als ein Problem zwischen linguistischen Fakten einer-<br />

seits und stilistischen Fakten andererseits formuliert:<br />

„Eine linguistische, strukturale Beschreibung <strong>des</strong> Stils bedarf (...) einer sorgfäl-<br />

tigen Klärung: einerseits sind die stilistischen Fakten nur in der <strong>Sprache</strong> greif-<br />

bar, denn diese ist ihr Vehikel; andererseits besitzen sie notwendigerweise<br />

einen spezifischen Charakter, denn sonst könnte man sie von den linguisti-<br />

schen Fakten nicht unterscheiden“ (Riffaterre 1973: 29).<br />

Eine allgemein textlinguistische, beziehungsweise textgrammatische,<br />

Beschreibung der gesamten Textgattung kann zwar möglicherweise for-<br />

malgrammatische Regelhaftigkeiten und genretypische invariante<br />

Sprachstrukturen sichtbar machen. <strong>Die</strong>se allerdings müssen nicht not-<br />

wendig mit denjenigen Texteigenschaften übereinstimmen, die als poe-<br />

tisch relevant beziehungsweise als „stilistische Einheiten“ (Riffaterre<br />

1973: 29) zu klassifizieren sind. Riffaterre dazu:<br />

„Eine rein linguistische Analyse (...) wird nur linguistische Elemente hervorhe-<br />

ben; in ihrer Beschreibung wird sie Elemente der Wortfolge, denen ein stilisti-<br />

scher Wert zukommt, mit solchen vermischen, die neutral sind; sie wird ledig-<br />

lich ihre linguistischen Funktionen isolieren, ohne anzugeben, welche Merkma-<br />

le aus ihnen auch stilistische Einheiten machen“ (Riffaterre 1973: 29).<br />

Um jedoch die poetologische Beschreibung von einer textgrammatischen<br />

zu trennen, dürfen nur linguistische Einheiten aus dem zu Grunde geleg-<br />

111


ten Korpus extrahiert werden, die mutmaßlich poetisch relevant sind und<br />

die man dann einer poetisch-stilistischen Beschreibung unterziehen<br />

kann. <strong>Die</strong> Trennung derjenigen Einheiten, die dem Stil zuzurechnen sind<br />

von denjenigen die dem Kode angehören, kann aber nicht auf Grund der<br />

subjektiven Intuition <strong>des</strong> Analytikers getroffen werden. <strong>Die</strong>se Entschei-<br />

dung muss von neutraler Seite an den Text herangetragen werden, um<br />

eine eventuelle Befangenheit <strong>des</strong> Analytikers auszuschalten.<br />

Wie bereits gesagt legitimiert sich die Suche nach poetisch relevanten<br />

Einheiten zunächst deduktiv aus dem elementaren Postulat, dass Poeti-<br />

zität ein notwendiges linguistisches Kriterium für ein Kommunizieren ü-<br />

ber Parfumgerüche ist (= Poetizitäts-Hypothese). Wer entscheidet je-<br />

doch, welche linguistischen Sequenzen als poetisch relevant zu werten<br />

sind und welche nicht? Ganz allgemein betrachtet ist beim Entwurf ele-<br />

mentarer Hypothesen die Intuition <strong>des</strong> Wissenschaftlers sicherlich not-<br />

wendig und legitim, um den Startpunkt einer wissenschaftlichen Unter-<br />

suchung zu markieren. <strong>Die</strong>se Arbeit soll aber keine ‚self-fulfilling prophe-<br />

cy’ werden. Darum wäre es wissenschaftlich unlauter, wenn ich als Ana-<br />

lytiker ein von mir erdachtes und legitimiertes poetologisches Katego-<br />

rienschema über das zu analysierende Korpus legen würde. Um also ei-<br />

nem eventuellen Vorwurf <strong>des</strong> subjektiven Impressionismus vorzubeugen,<br />

stütze ich mich auf eine etablierte methodische Verfahrensweise zur<br />

Entdeckung potenziell stilistischer Textstrukturen. Es handelt sich hierbei<br />

um das aus der strukturalen Stilistik stammenden Prinzip Archileser (im<br />

Folgenden abgekürzt zu AL), das Michael Riffaterre (vgl. Riffaterre 1973)<br />

entworfen und an eigenen Stilanalysen erfolgreich erprobt hat.<br />

<strong>Die</strong>ses Verfahren wird zunächst rekonstruiert und dann für den Zweck<br />

der Analyse <strong>des</strong> Parfumkorpus modifiziert.<br />

112


2.2. Das Prinzip Archileser – poetische Funktion vs. stilisti-<br />

sche Funktion<br />

Das aus dem Bereich der strukturalen Stilistik stammende methodische<br />

Prinzip AL, das Michael Riffaterre (vgl. Riffaterre 1973) in mehreren Ar-<br />

beiten entwickelt und erprobt hat, nähert sich dem Untersuchungsge-<br />

genstand primär von der Seite der Rezipienten. Der grundlegende An-<br />

satz dieser Art der poetologischen Stilanalyse steht generell in der Tradi-<br />

tion der linguistischen Poetik Jakobsonscher Prägung, grenzt sich aber<br />

an entscheidenden Punkten von dieser ab. In Anknüpfung an und Ab-<br />

grenzung von Jakobsons Konzept der poetischen Funktion der <strong>Sprache</strong><br />

moniert Riffaterre eine Beschränkung <strong>des</strong> Geltungsbereichs der poeti-<br />

schen Funktion und plädiert entschieden für eine Ausweitung dieses<br />

Konzeptes. Er kritisiert, dass „einer der fruchtbarsten Gedanken von R.<br />

Jakobson, der Begriff der poetischen Funktion der <strong>Sprache</strong>, (...) nur eine<br />

begrenzte Anwendung [erfährt], nämlich auf die Versdichtung; er ver-<br />

diente es, (...) verallgemeinert zu werden als stilbildende Funktion unab-<br />

hängig vom Metrum“ (Riffaterre 1973: 98).<br />

Jakobson selbst sieht aber auch eine mögliche Erweiterung seines Poe-<br />

tikkonzeptes angelegt, wenn er schreibt:<br />

„Poetics in a wider sense of the word deals with the poetic function not only in<br />

poetry, where this function is superimposed upon the other functions of langu-<br />

age, but also outside of poetry, when some other function is superimposed<br />

upon the poetic function” (Jakobson 1981: 28 f.).<br />

<strong>Die</strong>se Erweiterungsmöglichkeit <strong>des</strong> Begriffes der poetischen Funktion<br />

mache ich mir im Hinblick auf die Analyse der Parfumtexte zunutze. Bei<br />

diesen ist die übergeordnete Funktion zwar zweifelsohne die konative,<br />

denn Werbung wirbt ja nicht grundlos, sondern richtet immer einen mehr<br />

oder weniger subtil formulierten Kaufappell an den Leser. Der Appell<br />

kann allerdings auf diverse Weise kodiert sein. Und bei Parfumwerbetex-<br />

ten sind hochgradig poetische Kodierungsstrategien zu vermuten, die im<br />

113


<strong>Die</strong>nste <strong>des</strong> verschlüsselten Kaufappells stehen und dem Stil dieser<br />

Textsorte ihre diskursspezifische Prägung geben.<br />

Obwohl die poetische Funktion dem von der linguistischen Stilistik be-<br />

schriebenen Aspekt der <strong>Sprache</strong> entspricht, stört sich Riffaterre an dem<br />

Adjektiv poetisch, weil dieses seiner Meinung nach zu suggestiv ist und<br />

es den Anwendungsbereich poetologischer Analysen zu sehr für den Be-<br />

reich <strong>des</strong> Literarischen im Allgemeinen und der Versdichtung im Beson-<br />

deren reklamiert. Er schlägt als Begriffsalternative vor, „diese Funktion<br />

‚stilistisch’ zu nennen“ (Riffaterre 1973: 126), um eine Anwendung auf<br />

explizit nichtliterarische Texte nicht durch eine möglicherweise normative<br />

Denkmechanik zu belasten.<br />

Riffaterres Abgrenzung von Jakobsons Begriff poetisch ist zwar nach-<br />

vollziehbar, allerdings übernehme ich die Ausdrücke stilistisch und stilis-<br />

tische Funktion nur bei der Rekonstruktion der methodischen Verfahren<br />

Riffaterres. Ansonsten werden im Rahmen der empirischen Analysen die<br />

Begriffe poetisch und stilistisch als synonym betrachtet.<br />

2.3. Das Aufspüren stilistischer Stimuli durch den Archile-<br />

ser<br />

Der AL ist keine Person, nicht ein bestimmter Leser, sondern es handelt<br />

sich dabei um die abstrahierte Menge einer Masse an Kommentaren,<br />

Bemerkungen oder stilistischen Bewertungen (positiv oder negativ – das<br />

ist gleichgültig), mit der eine Gruppe individueller Informanten auf einen<br />

zur Debatte stehenden Text reagiert. Anders formuliert, der AL konstitu-<br />

iert sich als empirisch erfassbares Konglomerat der Reaktionen einer In-<br />

formantengruppe auf einen gewissen Text. Man könnte diese Abstrakti-<br />

on der Leserreaktionen auch als idealtypischen Leser bezeichnen. Aller-<br />

dings könnte das Adjektiv idealtypisch Assoziationen aufrufen zu dem in<br />

der generativen Transformationsgrammatik verwendeten Konzept <strong>des</strong><br />

ideal speaker, das auf Noam Chomsky zurückgeht (vgl. Chomsky 1957<br />

und 1965). <strong>Die</strong>ser Ansatz bezieht sich jedoch „auf vom kompetenten<br />

114


Sprecher bewertete Daten, auf die sprachlichen Intuitionen, die ein kom-<br />

petenter Sprecher bezüglich seiner <strong>Sprache</strong> explizieren kann“ (Bußmann<br />

3 2002: 711; vgl. zum Problem der Berufung auf das Sprachgefühl in lin-<br />

guistischen Analysen Henne 1982: 91 ff. sowie Geier 1982: 139 ff.). Das<br />

Konzept <strong>des</strong> idealen Sprechers zielt also auf die Erfassung von Ein-<br />

schätzungen zur Grammatizität von Sätzen und damit auf die individuelle<br />

Sprachkompetenz ab. <strong>Die</strong>s ist aber im Falle <strong>des</strong> AL nicht im Entferntes-<br />

ten gemeint. Im Gegenteil, es wird bei der Konstitution <strong>des</strong> AL gerade<br />

von individuellen Werturteilen abgesehen. Nicht qualitative Urteile der Art<br />

poetisch oder nicht poetisch stehen im Vordergrund, sondern das Kon-<br />

zept AL hat einen quantitativen, quasi-statistischen Hintergrund. <strong>Die</strong> An-<br />

zahl der Hinweise der individuellen Leser zu einem Text ist interessant.<br />

<strong>Die</strong>se werden zum AL zusammengefasst und sind als Indikatoren für im<br />

Text kodierte, vom Linguisten zu beschreibende Strukturen zu verste-<br />

hen.<br />

Der AL kann sich auf unterschiedliche Weise konstituieren. Riffaterre hat<br />

das AL-Verfahren beispielsweise bei einer strukturalen Stilanalyse von<br />

Baudelaires Gedicht Les Chats angewendet (vgl. Riffaterre 1969). Riffa-<br />

terres Analyse ist eine kritische Replik auf eine zuvor von Roman Jakob-<br />

son und Claude Lévi-Strauss vorgelegte text<strong>des</strong>kriptive Analyse <strong>des</strong>sel-<br />

ben Gedichts (vgl. Jakobson/Lévi-Strauss 1969: 2 ff.). Riffaterre übt un-<br />

ter anderem massive Kritik daran, dass die Analyse von Jakobson/Lévi-<br />

Strauss die Rezipientenseite so gut wie gar nicht berücksichtigt. <strong>Die</strong> Me-<br />

thodenkontroverse wird aufgearbeitet in Posner (1969: 27 ff.).<br />

Der AL zu Riffaterres Analyse von Les Chats besteht aus einer sehr he-<br />

terogenen Informantengruppe, nämlich unter anderem aus Anmerkun-<br />

gen von Baudelaire selbst, aus Bemerkungen von Theophile Gautier,<br />

Lexikonartikeln, „kritischen Apparaten oder sonstigen Anmerkungen; In-<br />

formanten, wie meinen Studenten und anderen Personen, die der Zufall<br />

in mein Netz trieb“ (Riffaterre 1973: 250 f.).<br />

Auf den Punkt gebracht heißt es bei Riffaterre definitorisch zur Konstitu-<br />

tion <strong>des</strong> AL:<br />

115


„<strong>Die</strong>se verschiedenen Typen von Informatoren werden uns Hinweise auf die<br />

im Text verschlüsselten Stimuli liefern. (...). <strong>Die</strong> für jeden Stimulus oder für ei-<br />

ne ganze stilistische Sequenz benutzte Informatorengruppe nennen wir Archi-<br />

leser“ (Riffaterre 1973: 43 f.).<br />

Das von Riffaterre vorgeschlagene Verfahren „basiert auf dem Axiom:<br />

’Kein Rauch ohne Feuer’“ (Riffaterre 1973: 40). Im Rückgriff auf die poe-<br />

tische Strategie der Deautomatisierung <strong>des</strong> Leseprozesses durch eine<br />

intendierte Fokussierung der Leseraufmerksamkeit auf formale Eigen-<br />

tümlichkeiten <strong>des</strong> Textes, geht Riffaterre davon aus, dass „die Werturtei-<br />

le <strong>des</strong> Lesers (...) durch einen im Text liegenden Stimulus verursacht<br />

[werden]. In der Funktion Sender-Empfänger, die der Text aktualisiert,<br />

kann das Verhalten <strong>des</strong> Empfängers subjektiv und variabel sein, aber es<br />

besitzt eine invariable Ursache“ (Riffaterre 1973: 40).<br />

<strong>Die</strong> gesammelten Bemerkungen der einzelnen Informanten werden<br />

demnach als Fingerzeige auf kritische Textstellen verstanden, an denen<br />

die linguistische Analyse ansetzen kann. Das Deautomatisierungspostu-<br />

lat geht dann insofern in die Konstitution <strong>des</strong> AL ein, als „jede Textstelle,<br />

die den Archileser aufhält, (...) versuchsweise als eine poetische Kom-<br />

ponente der poetischen Struktur betrachtet wird“ (Riffaterre 1973: 251).<br />

Und „der Analytiker enthält sich sorgfältig jeder Hypothese über die her-<br />

vorgehobenen Fakten und wartet, bevor er seine Struktur konstruiert, bis<br />

alle gesammelten Signale ihm durch ihre Interferenz und ihre Konver-<br />

genz eine Interpretation nahe legen, die sie alle berücksichtigt“ (Riffater-<br />

re 1973: 42). Denn, so ein weiteres Postulat, „die Meinungen und Beo-<br />

bachtungen, deren Gesamtheit den Archileser ausmacht, gruppieren<br />

sich weder zufällig, noch erstrecken sie sich über die Gesamtheit der<br />

Wortfolge; an Knotenstellen <strong>des</strong> Textes treffen sie zusammen“ (Riffaterre<br />

1973: 48).<br />

Bei einer AL-Erhebung ist bezüglich der Reaktionen auf einen Text si-<br />

cherlich keine Übereinstimmung aller zu Rate gezogenen Leserindividu-<br />

en zu erwarten. <strong>Die</strong> Leserreaktionen werden sicherlich immer Streuun-<br />

gen aufweisen, aber es ist anzunehmen, dass sie an gewissen Stellen<br />

<strong>des</strong> Textes gehäuft auftreten. Stellt man also eine auffällige Häufung<br />

116


thematisierter Textstellen fest, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass an diesen Textstellen strukturelle Besonderheiten kodiert sind, die<br />

der Linguist dann weiter gehend unter die poetologische Lupe nehmen<br />

kann.<br />

Ein Kunstgriff bei der Verwendung <strong>des</strong> AL ist, dass eventuell auftretende<br />

Werturteile – positive oder negative – vom Analytiker gewissermaßen<br />

neutralisiert, um nicht zu sagen als Werturteile offensiv ignoriert werden.<br />

Indem er sich auf die Beschreibung der linguistischen Fakten konzent-<br />

riert, die die subjektiven, intuitiven Urteile <strong>des</strong> AL vorlegen, geht er über<br />

die Intuition <strong>des</strong> Lesers hinaus (vgl. Riffaterre 1973: 99) und kommt zu<br />

einer intersubjektiv überprüfbaren Beschreibung. Um die zu erwartende<br />

Heterogenität bei der Konstitution <strong>des</strong> AL handhabbar zu machen, for-<br />

muliert Riffaterre in diesem Zusammenhang eine Verfahrensweise um<br />

das „Werturteil <strong>des</strong> Lesers zu ‚reinigen’“ (Riffaterre 1973: 99).<br />

„Der Linguist begnügt sich damit, die formalen Merkmale je<strong>des</strong> Textabschnit-<br />

tes zu beschreiben, der seitens <strong>des</strong> Lesers (...) eine Reaktion hervorruft.<br />

Wenn der Linguist genau an diesem Punkt eine strukturale Besonderheit ent-<br />

deckt, ist er berechtigt nicht die Richtigkeit der ästhetischen Bewertung zu be-<br />

haupten, sondern zu sagen, daß das Verfahren <strong>des</strong> Lesers motiviert war.<br />

Wenn die Analyse negativ ist, wenn kein charakteristischer Unterschied ent-<br />

deckt wird, darf man nicht darauf schließen, daß das Werturteil falsch war,<br />

sondern daß das, was es motiviert, außerlinguistischer Art ist (...)“ (Riffaterre<br />

1973: 99 f.).<br />

Denn das essentielle methodische Operationalisierungsproblem besteht<br />

ja darin, „eine grundsätzlich subjektive Reaktion auf den Stil in ein objek-<br />

tives Analyseinstrument umzuwandeln, um in der Vielfalt der Urteile<br />

Konstanten (verschlüsselte Möglichkeiten) zu finden, kurz, die Wertaus-<br />

sagen in Existenzurteile umzuwandeln“ (Riffaterre 1973: 40). Es ist also<br />

bei der Erhebung der Daten zum AL gar nicht relevant wie der Leser auf<br />

stilistische Eigentümlichkeiten reagiert, sondern relevant ist nur, dass er<br />

reagiert. <strong>Die</strong>se Transformation eines Werturteils in eine Existenzaussage<br />

erreicht man laut Riffaterre „dadurch, daß man den Inhalt <strong>des</strong> Werturteils<br />

völlig vernachlässigt und es wie ein einfaches Signal behandelt“ (Riffa-<br />

117


terre 1973: 40). Um das von Riffaterre eingangs angeführte Bild <strong>des</strong><br />

Rauchs aufzunehmen, den es ohne Feuer nicht gibt: Dem Leser mag der<br />

Geruch <strong>des</strong> stilistischen Rauches an einer bestimmten Textstelle be-<br />

kommen oder nicht – aber dass er ihn bemerkt und bewertet ist ein Indiz<br />

dafür, dass es etwas im Text geben muss, was die Reaktion ausgelöst<br />

hat – unabhängig von der subjektiven Evaluation. Und die Signale als<br />

reine Signale sind das Interessante für den Linguisten, der dadurch eine<br />

objektivierte Basis gewinnt, von wo aus er poetologische Strukturen re-<br />

konstruieren kann. Riffaterre verwendet hier einen Signalbegriff, wie er in<br />

der Informationstheorie gebräuchlich ist. Dort zeigt dieser den „Zustand<br />

oder [die] Veränderung materieller (...) Systeme” an (Bußmann 3 2002:<br />

599; vgl. auch Klaus 4 1976: 707 ff.).<br />

Ein Signal in diesem Sinne ist als potenzieller Informationsträger zu ver-<br />

stehen und hat an sich noch keinen Symbolcharakter. <strong>Die</strong> Interpretation<br />

eines Signals ist von dem System abhängig, innerhalb <strong>des</strong>sen es jeweils<br />

beschrieben wird. Der Übergang vom potenziell poetischen Signal zum<br />

ästhetischen Werturteil findet selten innerhalb eindeutig definierter ästhe-<br />

tischer Wertesysteme statt und wird als solcher leider häufig nur unge-<br />

nügend ausgewiesen. <strong>Die</strong>ser Übergang ist nicht selbstverständlich und<br />

bedarf der systematischen Rechtfertigung. Nach Riffaterres Auffassung<br />

wird dem Signal <strong>des</strong> Lesers lediglich die Funktion zugesprochen, mögli-<br />

cherweise ein stilistisches Verfahren anzuzeigen. Eine eventuelle Verifi-<br />

zierung leistet dann in einem zweiten Schritt die struktural-<strong>des</strong>kriptive<br />

Analyse.<br />

2.4. Was ist eine strukturelle Besonderheit? – Riffaterres<br />

Kontext-Begriff<br />

<strong>Die</strong> genauere aber zunächst noch abstrakte Charakteristik der von Riffa-<br />

terre postulierten strukturellen Besonderheit kann mit dem Begriff der<br />

Deautomatisierung verknüpft werden, der bereits im Theorieteil erarbei-<br />

tet wurde. Eine deautomatisierte Rezeption eines Textes wird durch<br />

118


sprachliche Elemente bedingt, die dem Leser einen höheren Grad an<br />

Aufmerksamkeit abverlangen, als dies bei den anderen Elementen der<br />

Fall ist, in die Erstere eingebettet sind. Das Konzept einer deautomati-<br />

sierten Textrezeption macht natürlich nur Sinn, wenn sie mit einer auto-<br />

matisierten kontrastiert. Automatisierung und Deautomatisierung <strong>des</strong> Le-<br />

seprozesses sind zwei Seiten derselben Medaille; sie stehen in einem<br />

komplementären Verhältnis zueinander. Riffaterre verwendet nicht die<br />

Dichotomie De-/Automatisierung, sondern führt statt <strong>des</strong>sen die Begriffe<br />

„stilistischer Kontext“, „pattern“ und „Kontrast“ ein, um seine Konzeption<br />

<strong>des</strong> „stilistischen Verfahrens“ zu entwickeln (Riffaterre 1973: 51 ff.). Er<br />

geht bei der Explikation dieser Begriffe von der Hypothese aus, „daß der<br />

Kontext die Rolle der Norm spielt und der Stil durch eine Abweichung<br />

davon entsteht“ (Riffaterre 1973: 51 f.; vgl. auch Wales 1989: 116 ff.).<br />

Riffaterre wendet sehr viel Energie dafür auf, sich von einer normativen<br />

Stilistik und damit von Methoden einer als Literaturkritik auftretenden Li-<br />

teraturwissenschaft abzugrenzen, deren Anliegen unter anderem eine<br />

Bestimmung <strong>des</strong> literarischen Stilbegriffs ist (vgl. Riffaterre 1973: 29 ff.<br />

und 98 ff.). Das methodische Ringen um eine strukturale Stilistik, die auf<br />

einen fest umrissenen, linguistisch fundierten Stilbegriff abzielt, soll hier<br />

aber nicht weiter referiert werden (vgl. hierzu Enkvist 1973; Fish 1981;<br />

Taylor 1981). Indem Riffaterre die Norm mit dem Kontext identifiziert und<br />

damit konsequenterweise das Diagnostizieren <strong>des</strong> textspezifischen, von<br />

dieser Kontext-Norm abweichenden Stils in den Text selbst verlegt,<br />

macht er sich auf zweierlei Weise unabhängig. Erstens von einem all-<br />

tagssprachlichen Empfinden, was als stilistisch normal gilt und was als<br />

besonders. Und zweitens von jeglichem dogmatisch-normativen An-<br />

spruch, mit dem wissenschaftliche oder andere, häufig selbst ernannte<br />

Autoritäten einen Text als stilistisch gut oder schlecht klassifizieren.<br />

Es muss betont werden, dass sich der Ausdruck Kontext nicht – wie e-<br />

ventuell innerhalb eines pragmatischen oder diskursanalytischen Rah-<br />

mens – auf das situative Setting bezieht, innerhalb <strong>des</strong>sen sprachliche<br />

Kommunikation stattfindet. <strong>Die</strong> Riffaterresche Konzeption <strong>des</strong> sprachli-<br />

chen, textinternen Kontexts als Norm darf daher nicht mit Jakobsons<br />

119


Kontext-Begriff verwechselt werden, der mit der referentiellen Sprach-<br />

funktion korreliert und außersprachliche Entitäten oder Sachverhalte ein-<br />

bezieht. Sondern „der stilistische Kontext ist ein linguistisches pattern,<br />

das von einem unvorhersehbaren Element durchbrochen wird (...)” (Rif-<br />

faterre 1973: 53). Obwohl hier der Riffaterresche Kontext-Begriff rekon-<br />

struiert wird, werde ich mich später der in der angelsächsischen Literatur<br />

gängigen begrifflichen Unterscheidung zwischen Kontext und Ko-Text<br />

bedienen. Der Begriff <strong>des</strong> Ko-Textes ist so definiert:<br />

„Co-text: A term used by some British linguists as an attempt to resolve the<br />

ambiguity of the term context, which can refer to both linguistic and situational<br />

environments. The practice is to reserve ‘co-text’ for the former, and context<br />

for the latter” (Crystal 1980: 87; vgl. auch Brown/Yule 1983: 46 f. und 125 f.).<br />

Der stilistische Kontext wird hier also verstanden als ein sprachliches<br />

Schema, eine aus äquivalenten linguistischen Elementen bestehende<br />

Matrix, in welche an charakteristischen Stellen gewisse linguistische E-<br />

lemente eingeführt sind, die als relativ ungleichmäßig auffallen und damit<br />

die relative Gleichmäßigkeit der Textmatrix durchbrechen. Der Leser er-<br />

wartet einen solchen Bruch nicht, er kommt ihm als unwahrscheinlich vor<br />

wie das Auftreten der <strong>Sprache</strong>lemente, die ihn erzeugen. Bei dem Mo-<br />

ment <strong>des</strong> unwahrscheinlichen Auftretens schwingt ein statistischer Un-<br />

terton mit. <strong>Die</strong> Statistik als explizites Verfahren der stilistischen Analyse<br />

relativiert Riffaterre jedoch, wenn er schreibt:<br />

„Ich wollte (...) lediglich von einer statistischen Abweichung bezüglich der im<br />

und durch den Text aufgestellten Wahrscheinlichkeit sprechen, wobei die Zu-<br />

hilfenahme der Statistik nur ein Mittel zur Beschreibung <strong>des</strong> Phänomens, nicht<br />

jedoch ein Instrument zu seiner Entdeckung ist. Nun glaube ich, daß diese sta-<br />

tistische Beschreibung (die nach der Erhebung der Fakten kommt und nicht<br />

heuristisch ist) eine unnötige Etappe ist. Da das (...) [stilistische] Phänomen<br />

nicht der Text allein, sondern die Modalitäten seiner Wahrnehmung durch den<br />

Leser sind, kann man ebenso die maximale Entschlüsselung mit Begriffen<br />

grammatikalischer und semantischer Unwahrscheinlichkeit beschreiben“ (Rif-<br />

faterre 1973: 71).<br />

120


<strong>Die</strong>se charakteristischen Textstellen <strong>des</strong> unwahrscheinlichen Auftretens<br />

gewisser Elemente sind es dann, die sich aus den Hinweisen <strong>des</strong> AL er-<br />

geben. <strong>Die</strong> stilistische Wirkung in Form einer relativen Unvorhersehbar-<br />

keit gewisser Elemente kommt durch eine Kontrastwahrnehmung zu-<br />

stande. Das kontrastierende Element, so Riffaterre weiter, wird als auf-<br />

fällig wahrgenommen und muss demzufolge als stilistisch markiert be-<br />

zeichnet werden, es ist „der stilistische Stimulus” (Riffaterre 1973: 53).<br />

Dem Kontext als nicht-markiertem Hintergrund kommt aber ebenfalls<br />

systematische Relevanz zu, da er in Form eines sprachlichen Musters<br />

die textinterne Norm etabliert, von der der stilistische Stimulus abweicht.<br />

Und diese Norm als Kontext „wird im Text durch die Rekurrenz bestimm-<br />

ter Konstituenten gebildet“ (Riffaterre 1973: 66). Der Riffaterresche Kon-<br />

text konstituiert demnach die Bedingung <strong>des</strong> Gewöhnlichen, unter der<br />

ein markiertes Element als das Besondere, das Unvorhersehbare her-<br />

vortreten und ein Kontrast überhaupt erst wahrgenommen werden kann.<br />

„Man kann unter diesen Bedingungen vom stilistischen Verfahren als einem<br />

Element sprechen, das durch Kontaminierung die Rolle <strong>des</strong> als nicht-<br />

markiertes Element einer Opposition aufgefaßten Kontextes verändert” (Riffa-<br />

terre 1973: 79).<br />

Eine derartige Definition <strong>des</strong> Begriffes Kontext, der sich innerhalb <strong>des</strong><br />

Textes selbst konstituiert, führt zu einem textimmanenten Stilbegriff. Rif-<br />

faterres Konzept von Stil prägt sich also immer aus in einem kontrastiven<br />

Spannungsfeld zwischen (textimmanenter) Norm und einer Abweichung<br />

davon, wodurch gewisse Elemente hervorgehoben werden. Er bringt<br />

dies folgendermaßen auf den Punkt:<br />

„Es ist klarer und ökonomischer, den Stil als eine Hervorhebung zu bezeich-<br />

nen, die der Aufmerksamkeit <strong>des</strong> Lesers bestimmte Elemente der Wortfolge<br />

aufnötigt (...)” (Riffaterre 1973: 31).<br />

Wie sich der Riffaterrsche Kontext-Begriff konkret füllen und damit ver-<br />

anschaulichen lässt, wird im nächsten Abschnitt dargestellt.<br />

121


2.4.1. Makrokontext, Mikrokontext, stilistisches Verfahren<br />

Riffaterre spaltet den Begriff <strong>des</strong> Kontextes, also der linguistischen Um-<br />

gebung, in der sich ein stilistischer Kontrast bemerkbar machen kann,<br />

auf in „Makrokontext” und „Mikrokontext” (Riffaterre 1973: 60 ff.).<br />

Der Makrokontext wird etabliert durch „wiederholte Elemente oder die<br />

Akkumulation analoger Elemente” (Riffaterre 1973: 66) und determiniert<br />

beim Leser eine gewisse Erwartungshaltung, die sich aus der Gewöh-<br />

nung an eine textimplizite Norm erklärt. <strong>Die</strong>s setzt bei der Rezeption ei-<br />

nes Textes die „räumliche Segmentierung“ (Riffaterre 1973: 73) der<br />

sprachlichen Elemente während <strong>des</strong> linear ablaufenden Leseprozesses<br />

voraus. Sobald der Leser während <strong>des</strong> linearen Rezeptionsprozesses<br />

durch die wiederholte Wahrnehmung analoger Elemente bemerkt, dass<br />

sich aus einzelnen Elementen ein Muster etabliert und „daß diese Fakten<br />

vergleichbar sind, entschlüsselt er sie als Varianten derselben Struktur,<br />

deduziert die Regel dieser Struktur (der dem Text eigenen Norm) und<br />

reagiert auf die erste Variante, wo ein Element abweichend, d.h. auf-<br />

grund dieser Regel unvorhersagbar wird“ (Riffaterre 1973: 66). <strong>Die</strong> Ak-<br />

kumulation der analogen Elemente, so Riffaterre weiter, führt also beim<br />

Leser zu einer gesteigerten Erwartung weiterer Elemente, die sich in das<br />

Muster fügen. Das Ende einer als Makrokontext für ein stilistisches Ver-<br />

fahren dienende verbale Sequenz wird dann durch einen Bruch <strong>des</strong><br />

Musters markiert, durch ein Element, das die gesteigerte Erwartung ent-<br />

täuscht und durch einen Kontrast erhöhte Aufmerksamkeit auf sich zieht.<br />

„[Denn] der (...) Träger der frustrierten Erwartung ist eine gesteigerte Erwar-<br />

tung, die dem Auftreten <strong>des</strong> Elements niedriger Vorhersehbarkeit vorangeht.<br />

<strong>Die</strong>se gesteigerte Erwartung ergibt sich aus der Verstärkung <strong>des</strong> Kontexts-<br />

Patterns. Folglich können wir das Prinzip aufstellen, daß die stilistische Funk-<br />

tion dazu neigt, die verbalen Folgen entsprechend einer Linie höherer oder<br />

niedriger Wahrscheinlichkeit zu entwickeln“ (Riffaterre 1973: 128).<br />

Während das Ende einer Makrokontext-Sequenz durch das unerwartete<br />

kontrastierende Element klar bestimmt ist, bleibt die Frage nach <strong>des</strong>sen<br />

Anfang eine zu klärende Schwierigkeit, der sich Riffaterre stellt, wenn er<br />

122


zu bedenken gibt, dass „die Lösung dieses Problems schwieriger“ (Riffa-<br />

terre 1973: 74) ist. Es kann nicht definitiv von außen bestimmt werden,<br />

ab wann ein Leser begonnen hat, den postulierten Makrokontext wahr-<br />

zunehmen. Es ist lediglich notwendig so, dass es irgendwann vor der<br />

Kontrastwahrnehmung gewesen sein muss. Es hilft auch nicht mit Si-<br />

cherheit, sich an (text-)linguistischen Einheiten wie Absatz oder Satz zu<br />

orientieren, „da die stilistischen Wirkungen sich auf mehrere linguistische<br />

Einheiten erstrecken können (obwohl in Wirklichkeit der Kontext oft mit<br />

einem Absatz oder einem Punkt einsetzt)“ (Riffaterre 1973: 74). Außer-<br />

dem wird die Situation dadurch erschwert, dass nicht nur ein Makrokon-<br />

text zur Vorbereitung eines Kontrastes dient, sondern „der Makrokontext<br />

[weitere] stilistische Verfahren enthalten kann“ (Riffaterre 1973: 74). Statt<br />

einer präzisen Definition <strong>des</strong> Makrokontext-Beginns schlägt Riffaterre ein<br />

pragmatisches Arrangement vor und lässt <strong>des</strong>sen Bestimmung vage, in-<br />

dem er seine Identifizierung der Entscheidung <strong>des</strong> Lesers überlässt.<br />

Demnach wäre es legitim zu behaupten, dass der durch das linguistische<br />

Muster erzeugte „Kontext dort beginnt, wo der Leser die Existenz eines<br />

beliebigen kontinuierlichen pattern wahrnimmt“ (Riffaterre 1973: 75).<br />

2.4.1.1. Varianten <strong>des</strong> Makrokontextes: Typ-1<br />

Riffaterre unterscheidet zwei Arten von Makrokontext. Bei der ersten Va-<br />

riante wird zunächst durch analoge Elemente ein Muster erzeugt, dass<br />

den Kontrast vorbereitet. <strong>Die</strong>ses wird dann durch das entsprechende<br />

kontrastive Element gebrochen, wonach aber das zuvor etablierte Kon-<br />

text-Muster erneut etabliert wird.<br />

„Das gängigste Beispiel dieses Typs ist die Einführung eines dem verwende-<br />

ten Kode fremden Wortes in den Kontext, (…) [beispielsweise] Lehnwort, Ar-<br />

chaismus, Neologismus“ (Riffaterre 1973: 75).<br />

Er veranschaulicht diese Art von Makrokontext anhand eines Textaus-<br />

zugs aus dem Drama Get Married von G. B. Shaw, in dem die Verwen-<br />

dung eines Archaismus den stilistischen Kontrast markiert:<br />

123


„Poor Mr. Pecksniff (..) is represented as a criminal instead of as a / very typi-<br />

cal English / paterfamilias / keeping a roof over the head of himself and his<br />

daughters.<br />

(Der arme Mr. P. wird als Krimineller dargestellt anstatt als ein sehr typischer<br />

englischer Paterfamilias, der für sein tägliches Brot und für das seiner Töchter<br />

sorgt)“ (zitiert nach Riffaterre 1973: 75).<br />

Riffaterre argumentiert, dass das aus dem Lateinischen stammende<br />

Substantiv paterfamilias als Archaismus in einer sonst standardsprachli-<br />

chen englischen Textumgebung als unerwartetes Element einen stilisti-<br />

schen Kontrast markiert.<br />

„Im Anschluss an dieses Verfahren geht der Satz weiter und nimmt sein ge-<br />

wöhnliches Vokabular wieder auf; diese Wiederaufnahme nach der Unterbre-<br />

chung trägt dazu bei, das Verfahren als verhältnismäßig anormal fühlen zu<br />

lassen“ (Riffaterre 1973: 76).<br />

Riffaterre bietet auch ein schematisiertes Modell an, das diesen Typus<br />

<strong>des</strong> Makrokontextes charakterisiert:<br />

„Kontext stilistisches Verfahren Kontext“<br />

(Riffaterre 1973: 75).<br />

2.4.1.2. Varianten <strong>des</strong> Makrokontextes: Typ-2<br />

Beim zweiten Typ <strong>des</strong> Makrokontextes wird zwar zunächst der Kontrast<br />

auch, wie bei Typ-1, durch ein kontextfrem<strong>des</strong> Element (beispielsweise<br />

einen Archaismus) erzeugt und damit ein stilistisches Verfahren markiert.<br />

Allerdings kann es der Fall sein, dass im weiteren Textverlauf weitere<br />

Archaismen auftauchen und sich dadurch ein neues Muster ergibt, das<br />

mit fortschreitender Lese- und damit Gewöhnungszeit die Rolle eines<br />

neuen Kontextes übernimmt.<br />

„<strong>Die</strong> sich daraus ergebende Saturation führt dazu, daß diese stilistischen Ver-<br />

fahren ihren Kontrastwert verlieren, sie hebt ihre Fähigkeit auf, einen besonde-<br />

ren Punkt <strong>des</strong> Textes zu akzentuieren und reduziert sich auf die Rolle von<br />

124


Komponenten eines neuen Kontextes; dieser Kontext seinerseits erlaubt neue<br />

Kontraste“ (Riffaterre 1973: 76).<br />

Der einzige Unterschied zum Makrokontext Typ-1 ist also, dass im Falle<br />

<strong>des</strong> Typs-2 das zunächst als abweichend wahrgenommene Element sich<br />

im Verlauf der Textlinearität als Startpunkt eines neuen Kontextmusters<br />

erweist. Innerhalb dieses neuen Kontextes kann dann ein neues kontext-<br />

frem<strong>des</strong> Element die Funktion eines stilistischen Verfahrens einnehmen.<br />

Es kann also beispielsweise so aussehen, dass in einer als Kontext e-<br />

tablierten Textsequenz, die durch standardsprachliche Substantive do-<br />

miniert ist, plötzlich ein vulgärsprachliches Substantiv auftaucht. <strong>Die</strong>ses<br />

wäre dann unerwartet und als stilistisch relevant zu diagnostizieren. Häu-<br />

fen sich aber im weiteren Textverlauf vulgärsprachliche Substantive, so<br />

stellt sich der Leser auf diese als neue textinterne Norm ein. Ein dann<br />

plötzlich wieder auftauchen<strong>des</strong> standardsprachliches Substantiv würde<br />

im Gegenzug als kontextfremd auffallen und wäre damit stilistisch rele-<br />

vant. Riffaterres Modellierung <strong>des</strong> Makrokontexts Typ-2 sieht daher fol-<br />

gendermaßen aus:<br />

„Kontext stilistisches Verfahren/Ausgangspunkt eines neuen Kontextes <br />

stilistisches Verfahren“<br />

(Riffaterre 1973: 76).<br />

2.4.1.3. Varianten <strong>des</strong> Mikrokontextes: Typ-1<br />

In Abgrenzung vom Makrokontext, bei dem das Moment der Rekurrenz<br />

der entscheidende Faktor ist um ein Kontextmuster zu konstruieren,<br />

weist „der Mikrokontext dagegen (...) keine Variantenfolge auf” (Riffaterre<br />

1973: 66). Aber eine kontrastive Wahrnehmung ist auch hier das Kriteri-<br />

um der stilistischen Relevanz. Der Mikrokontext ist vorstellbar als ein bi-<br />

polares Subsystem innerhalb <strong>des</strong> texttopografisch großflächiger ange-<br />

legten Makrokontextes. Abstrakt formuliert besteht dieses Subsystem<br />

aus einer Konstellation von zwei Elementen, die ein stereotypes Syn-<br />

tagma bilden. Ein stilistischer Stimulus wird innerhalb <strong>des</strong> Mikrokontex-<br />

125


tes dadurch erzeugt, dass eine der Konstituenten von der beim Leser als<br />

Standard konditionierten Konfiguration abweicht. <strong>Die</strong> postulierte Konditi-<br />

onierung ist entweder durch generell akzeptierte grammatische Kon-<br />

struktionen innerhalb <strong>des</strong> allgemeinen Sprachko<strong>des</strong> gewährleistet (Mik-<br />

rokontext Typ-1) oder sie wird durch die Abweichung innerhalb eines<br />

vom Text selbst etablierten Modells geleistet (Mikrokontext Typ-2).<br />

Bezüglich der Kontrastwahrnehmung ist zu betonen, dass es beim Kon-<br />

zept <strong>des</strong> Mikrokontextes nicht um den Kontrast zu einer durch den um-<br />

gebenden Gesamttext konstruierten Norm geht, sondern er taucht punk-<br />

tuell in relativ kurzen Sequenzen auf.<br />

Wie bei seinem Konzept <strong>des</strong> Makrokontextes unterscheidet Riffaterre<br />

auch beim Mikrokontext zwei Varianten, die wie folgt konkretisiert wer-<br />

den können.<br />

<strong>Die</strong> erste Spielart <strong>des</strong> Mikrokontextes (Typ-1), die als theoretisches Mo-<br />

dell für die späteren empirischen Analysen richtungweisend ist, erläutert<br />

Riffaterre an dem französischen Sprachbeispiel cette obscure clarté<br />

(deutsch: diese dunkle Helligkeit), das aus Corneilles Le Cid stammt (vgl.<br />

Riffaterre 1973: 64 ff.).<br />

Bei der syntaktischen Strukturbeschreibung von Nominalgruppen folge<br />

ich Eisenberg (2000). Er stellt bezüglich der internen hierarchischen<br />

Struktur von NGr fest, dass „die Verwendung <strong>des</strong> Substantivs innerhalb<br />

der NGr (...) durch seine Funktion als Kern (nuk) [bestimmt ist]. In dieser<br />

Funktion steht es dem Artikel gegenüber, der den Kopf (hd) der NGr bil-<br />

det (...). Außer den Artikeln können in der Kopfposition bestimmte Pro-<br />

nomina stehen, z.B. dieser, jener Baum (...). Als Kern kann das Substan-<br />

tiv (...) Attribute haben, die es modifizieren, beispielsweise ein adjektivi-<br />

sches (...) Attribut (...)“ (Eisenberg 2000: 329; vgl. auch Olsen 1991: 65<br />

ff. sowie Bhatt 1990: 79 ff. und 89 ff.).<br />

Als Kern der NGr cette obscure clarté – diese Strukturbeschreibung trifft<br />

gleichermaßen für das französische Original wie für die deutsche Über-<br />

setzung zu – tritt das Substantiv clarté (deutsch: Helligkeit) auf, den Kopf<br />

bildet das Demonstrativpronomen cette (deutsch: diese). <strong>Die</strong> NGr enthält<br />

126


überdies als adnominales Adjunkt das attributiv gebrauchte Adjektiv obs-<br />

cure (deutsch: dunkel).<br />

<strong>Die</strong> Kombination attributives Adjektiv + Substantiv ist im Sprachsystem<br />

<strong>des</strong> Französischen (wie <strong>des</strong> Deutschen) ein hochgradig konventionali-<br />

siertes Syntagma und kann als grammatisches Stereotyp bezeichnet<br />

werden. Auf der linguistischen Ebene der Morphosyntaktik ist das Bei-<br />

spiel obscure clarté entsprechend dem allgemeinen Kode, der Langue<br />

der französischen (beziehungsweise der deutschen) <strong>Sprache</strong> gebildet.<br />

Aber die lexikalische Füllung der formal vorgesehenen Kategorien Adjek-<br />

tiv und Substantiv weisen eine semantische Kongruenzverletzung auf.<br />

Zu erwarten ist lexikalische Solidarität zwischen Adjektiv und Substantiv.<br />

Formuliert in der Terminologie der Prädikatenlogik kann man eine Kont-<br />

radiktion zwischen dem Argument clarté und dem einstelligen Prädikat<br />

obscure konstatieren, also eine klassische contradictio in adiecto (vgl.<br />

Hügli/Lübcke 1997: 125 f.).<br />

Unabhängig von der Wortart werden mit clarté und obscure Lexeme ak-<br />

tualisiert, die ihrerseits kognitive Konzepte repräsentieren und demsel-<br />

ben lexikalischen Feld zuzurechnen sind, nämlich dem Wortfeld Licht<br />

(vgl. zum Begriff <strong>des</strong> Wortfel<strong>des</strong> Lutzeier 1981 und 1983). Aber innerhalb<br />

dieser paradigmatischen Ordnung markieren die beiden Lexeme Ex-<br />

trempositionen und stehen als graduierbare Antonyme in kontradiktori-<br />

schem Verhältnis zueinander. Merkmalssemantisch kann die Relation so<br />

notiert werden:<br />

clarté [+hell] vs. obscure [-hell].<br />

Riffaterre modifiziert diesen logischen Widerspruch für seine Definition<br />

<strong>des</strong> Mikrokontextes und identifiziert den Kontrast zweier formal kon-<br />

gruenter, semantisch aber inkongruenter Lexeme als stilistisches Fak-<br />

tum. Er geht davon aus, dass die formale Kohäsion einer Adjektivphrase<br />

so stark ist, dass deren Bestandteile bei der Lektüre wie ein Lexem<br />

wahrgenommen wird. Er schreibt dazu:<br />

„<strong>Die</strong> Komponenten <strong>des</strong> Stilfaktums werden simultan wahrgenommen (...). <strong>Die</strong><br />

Kombination [der semantisch unverträglichen Lexeme] ist hier unvorhersehbar<br />

(und wird durch einen wirksamen Kontrast ausgedrückt)“ (Riffaterre 1973: 67).<br />

127


<strong>Die</strong> Auffassung, ein solches morphosyntaktisches Stereotyp wie cette<br />

obscure clarté analog zu lexikalischen Wortbildungsprozessen als eine<br />

Einheit zu sehen, kann als holistisch bezeichnet werden. Sie wird ge-<br />

stützt und noch enger an die linguistische Analyseebene der Lexik ge-<br />

rückt durch Eisenbergs (Eisenberg 2000) weitergehende Erläuterungen<br />

zur semantischen Struktur von NGr. Er schreibt:<br />

„An der Rolle von Kopf und Kern innerhalb der NGr ändert sich durch die Attri-<br />

bute nichts. <strong>Die</strong> Modifizierbarkeit <strong>des</strong> Kerns durch Attribute zeigt, daß er das<br />

semantische Zentrum der Gesamtkonstruktion darstellt, ganz so, wie wir es<br />

vom Kern komplexer Wörter her kennen“ (Eisenberg 2000: 329).<br />

Riffaterre beleuchtet den gleichen Sachverhalt mit anderen Beschrei-<br />

bungsbegriffen und stellt gleichzeitig einen Bezug zum funktional-<br />

kommunikativen Aspekt von <strong>Sprache</strong> her, wenn er schreibt:<br />

„<strong>Die</strong>se Struktur Substantiv + Adjektiv ist eine Norm, deren Regel (durch unzäh-<br />

lige Varianten, die eine Art von geistigem Makrokontext sind, bewiesen) wie<br />

folgt formuliert wird: im Mikrokontext eines Epithetons muß das Substantiv<br />

semantisch mit dem Epitheton vereinbar sein. <strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit, daß das<br />

Substantiv eine mit der Bedeutung <strong>des</strong> Adjektivs unvereinbare Bedeutung hat,<br />

ist sehr gering. Aber wenn diese schwache Wahrscheinlichkeit realisiert wird,<br />

(...), hört die referentielle Funktion auf“ (Riffaterre 1973: 67).<br />

Mit dem lakonisch formulierten Aufhören der Referenz ist gemeint, dass<br />

der erwartungsgemäß propositionale Charakter einer – wiederum prädi-<br />

katenlogisch gesprochen – Argument-Prädikat-Relation im Falle der<br />

sprachlichen Kontradiktion obsolet wird. <strong>Die</strong> referentielle Funktion gibt<br />

bei dem skizzierten stilistischen Verfahren ihre dominante Rolle im Kom-<br />

munikationsprozess auf. Eine propositionale Paraphrase wie:<br />

*Es ist der Fall, dass diese Helligkeit (clarté) dunkel (obscure) ist<br />

leuchtet unmittelbar als absurd ein. <strong>Die</strong> Funktion oder der Sinn von cette<br />

obscure clarté kann offensichtlich nicht in der sprachlichen Erhellung ei-<br />

nes nichtsprachlichen Sachverhaltes bestehen. Vielmehr kann man da-<br />

von sprechen, dass an dieser Stelle die poetische (beziehungsweise sti-<br />

listische) Funktion der <strong>Sprache</strong> die kommunikative Dominanz übernimmt.<br />

128


<strong>Die</strong> sprachlich kodierte Information, also das Relevante innerhalb der<br />

Nachricht, zielt nicht länger auf Bedeutungskonstitution in referenzse-<br />

mantischer Manier ab. Der Fokus <strong>des</strong> Leserinteresses, die Suche nach<br />

dem Neuen, der Information innerhalb der Nachricht, verlagert sich auf<br />

die sprachliche Form und stellt primär keine Beziehung zur nichtsprachli-<br />

chen Wirklichkeit her, denn diese ist durch die Kontradiktion verbaut.<br />

Das von Riffaterre behauptete Zurücktreten der referentiellen Funktion<br />

der <strong>Sprache</strong> im Fall von cette obscure clarté und die Identifikation dieser<br />

kontrastträchtigen Textstelle als stilistischer Stimulus ist überdies kohä-<br />

rent mit dem ersten Hauptsatz der linguistischen Poetik, der bereits im<br />

Theorieteil dieser Arbeit diskutiert wurde. Gemeint ist hiermit der erste<br />

Wirkungsimpuls der poetischen Funktion, nämlich die von Seiten <strong>des</strong><br />

Textes kontrollierte Einstellung der Leseraufmerksamkeit „toward the<br />

MESSAGE as such, focus on the message for its own sake” (Jakobson<br />

1981: 25). <strong>Die</strong>se Fokussierung wird bei cette obscure clarté durch die<br />

überraschende semantische Kontaminierung erzeugt. Und als zweiter<br />

Schritt ergibt sich daraus die erschwerte leserseitige Dekodierung der<br />

transportierten Information (oder sogar deren Totalblockade) und somit<br />

in jedem Fall die Deautomatisierung <strong>des</strong> Leseprozesses. Riffaterre fasst<br />

diese Phänomene terminologisch etwas anders, obwohl es um das Glei-<br />

che geht. Er spricht davon, dass das beim Leser erzeugte „Gefühl der<br />

Anomalie (...) zu vergrößerter Aufmerksamkeitsanstrengung, d.h., zur<br />

maximalen Entschlüsselung führt“ (Riffaterre 1973: 72). Eine erneute<br />

Lektüre der blockierenden Textstelle, also gewissermaßen eine kognitive<br />

Rückkopplungsschleife, zu der der Leser an dieser Stelle gezwungen ist,<br />

kann zwar helfen, die semantische Zweifelhaftigkeit zu klären. Allerdings<br />

bleibt die formale Konfiguration der <strong>Sprache</strong>lemente unverändert. Beim<br />

zweiten und bei jedem folgenden Leseansatz würde man sie erneut<br />

wahrnehmen. Zwar bleibt bei dieser wiederholten Wahrnehmung der an-<br />

fängliche Überraschungseffekt aus, aber durch das rekursive Lesen<br />

prägt sie sich dem Gedächtnis besser ein. <strong>Die</strong> Deautomatisierung hat<br />

ihre Schuldigkeit getan und das formal Besondere, den Kontrast inner-<br />

halb <strong>des</strong> Mikrokontextes, ins Zentrum der Wahrnehmung gerückt.<br />

129


2.4.1.4. Varianten <strong>des</strong> Mikrokontextes: Typ-2<br />

Während beim Mikrokontext Typ-1 ein konventionalisiertes grammati-<br />

sches Stereotyp als textlicher Hintergrund fungiert, von dem sich ein Stil-<br />

faktum kontrastiv absetzen kann, basiert Typ-2 <strong>des</strong> Mikrokontextes auf<br />

einer modellhaften Struktur, die vom Text selbst etabliert wird. Beim<br />

zweiten Typ <strong>des</strong> Mikrokontextes besteht „das Stilfaktum in der Variante,<br />

die von einem durch den Text selbst gegebenen Modell abweicht“ (Riffa-<br />

terre 1973: 67). Riffaterre führt als Illustration dieser Bestimmung den<br />

folgenden Textauszug aus Voltaires Candide an:<br />

„La mitre [Kopfbedeckung hoher katholischer Geistlicher] et le san-benito de<br />

Candide étaient peints de flammes renversées et de diables qui n’avaient ni<br />

queues ni griffes; mais les diables de Pangloss portaient griffes et queues, et<br />

les flames etaient droites…<br />

(<strong>Die</strong> Mitra und der San-Benito von Candide waren mit umgekehrten Flammen<br />

bemalt und mit Teufeln, die weder Schwänze noch Krallen hatten, die Teufel<br />

von Pangloss aber hatten Krallen und Schwänze und die Flammen waren ge-<br />

rade...)“ (zitiert in Riffaterre 1973: 67; Hervorhebungen in der deutschen Ver-<br />

sion von mir).<br />

Der stilistische Effekt in dieser Sequenz kommt, so Riffaterre, durch eine<br />

charakteristische Wiederholungsfigur zustande, deren Konstituenten in<br />

der folgenden tabellarischen Gegenüberstellung isoliert aufgeführt und<br />

merkmalssemantisch indiziert sind:<br />

Wiederholungsfiguren<br />

Candide-Satz (A) gerade Flammen [-] Schwänze [-] Krallen [-]<br />

Pangloss-Satz (B) gerade Flammen [+] Schwänze [+] Krallen [+]<br />

Tabelle 10: Wiederholungsfiguren (Textauszug aus Voltaires Candide)<br />

Riffaterre argumentiert, dass die stilistische Wirkung durch die variierte<br />

Wiederaufnahme der Substantive Flammen, Schwänze, Krallen erreicht<br />

wird. Satz (A) wird im Leseprozess zunächst nicht als auffällig wahrge-<br />

130


nommen. Das Fortschreiten der Lektüre zu Satz (B) und das dortige<br />

Wiedererkennen der genannten Wörter führt jedoch rekursiv zu einer le-<br />

serseitigen Umbewertung <strong>des</strong> zuvor in Satz (A) Gelesenen. Satz (B) hat<br />

gewissermaßen „durch Rückkopplung die Eigenschaft <strong>des</strong> Satzes (A)<br />

verändert (...). Von nun an erscheint A dem Leser als das von B nachge-<br />

ahmte und veränderte Modell. Zu seiner syntaktischen Struktur und zu<br />

seinen semantischen Funktionen kommt eine neue Charakteristik hinzu:<br />

der Isomorphismus, der es mit B verbindet“ (Riffaterre 1973: 67). Der<br />

durch die variierte Wiederaufnahme der Elemente konstruierte Paralle-<br />

lismus ist unerwartet, überrascht den Leser und veranlasst ihn unwillkür-<br />

lich zu der kognitiven Rückkopplungsschleife.<br />

„Nichts in A bewirkt, daß der Leser B ‚erwartet’, und A an sich bringt keine<br />

größere Wahrscheinlichkeit von B hervor“ (Riffaterre1973: 69).<br />

<strong>Die</strong>s hat eine Unterbrechung der linearen Kontinuität <strong>des</strong> Leseprozesses<br />

zur Folge. <strong>Die</strong> Leseraufmerksamkeit wird durch das Looping vermehrt<br />

beansprucht und man kann hierbei erneut von einer Deautomatisierung<br />

<strong>des</strong> Rezeptionsprozesses sprechen, die das Wirken der poetischen<br />

Funktion anzeigt. <strong>Die</strong> Relevanz <strong>des</strong> referentiellen Gehalts der beiden<br />

Sätze tritt zurück; wie die Kopfbedeckungen von Candide oder Pangloss<br />

genau verziert sind, steht nicht länger allein im Vordergrund <strong>des</strong> In-<br />

teresses. <strong>Die</strong> Relevanz verlagert sich auf das formale, parallele Arran-<br />

gement der <strong>Sprache</strong>lemente, das ungewöhnlich ist. Es ist also einerseits<br />

die Wahrnehmung einer Symmetrie, die vermehrte Aufmerksamkeit be-<br />

ansprucht, aber ebenso die Feststellung, dass die Symmetrie nicht rein<br />

ist: Satz (B) ist keine exakte Spiegelung von Satz (A). Es wird zwar<br />

durch das wiederholte Auftauchen von Flammen, Schwänzen und Kral-<br />

len eine generelle Gleichförmigkeit zwischen (A) und (B) wahrgenom-<br />

men, gleichzeitig aber ein semantischer Kontrast etabliert zwischen der<br />

Negation (keine Schwänze/keine Krallen) in Satz (A) und dem behaupte-<br />

ten Vorhandensein beider in Satz (B) sowie durch die unterschiedliche<br />

Form der Flammen.<br />

Man kann in diesem Fall von einer dynamischen Fluktuation zwischen<br />

Symmetrie und Symmetriebruch sprechen, die der Leser wahrnimmt.<br />

131


Und genau in diesem Spannungsfeld lokalisiert Riffaterre den zweiten<br />

Typus <strong>des</strong> Mikrokontextes und das als Kontrastwahrnehmung erschei-<br />

nende stilistische Verfahren. Er schreibt:<br />

„Nichts würde B auszeichnen, wenn es diesen Parallelismus nicht gäbe (...);<br />

keines seiner Elemente besäße eine stilistische Wirkung, wenn es nicht zwi-<br />

schen ihnen und ihren Entsprechungen einen Kontrast gäbe. A ist folglich der<br />

Mikrokontext von B“ (Riffaterre 1973: 69).<br />

Erst die Lektüre von Satz (B) macht es überhaupt möglich, in Satz (A)<br />

rückwirkend ein Modell zu erkennen, das von Satz (B) syntaktisch als<br />

Parallelismus wieder aufgenommen, aber semantisch modifiziert wird<br />

durch die Negation und Variation.<br />

Verallgemeinernd und zusammenfassend heißt es dann:<br />

„Wenn man sagt, daß ein bestimmtes Wort oder eine Wortgruppe im Kontrast<br />

zu anderen auffällig sind [sic!], bedeutet das, daß dieses Wort aus den ande-<br />

ren die Regel macht, die es selbst durchbricht. Der Kontrast bestimmt nicht<br />

nur die Elemente <strong>des</strong> Satzes, bezüglich derer er wahrgenommen wird, er ver-<br />

ändert sie durch Rückkopplung (wenn der Kontrast auf einer ausgedehnten<br />

verbalen Sequenz oder über ihr nicht zugehörige Elemente hinweg entsteht)<br />

oder simultan“ (Riffaterre 1973: 69).<br />

Zusammenfassend heißt es bei Riffaterre zur Differenzierung von Makro-<br />

und Mikrokontext:<br />

„Der Unterschied zwischen Makrokontext und Mikrokontext besteht darin, daß<br />

der erste eine Folge von Varianten aufweist, die alle im Text verwirklicht wer-<br />

den und deren Isomorphismus sich dem Leser unwiderstehlich aufdrängt. Im<br />

zweiten Fall hingegen wird der Isomorphismus durch einen einzigen Vergleich,<br />

lediglich zwischen zwei Varianten, wahrgenommen” (Riffaterre 1973: 66).<br />

132


3. EMPIRIE: AUSWERTUNG DER DATEN DES ARCHILE-<br />

SERS<br />

3.1. Operationalisierung <strong>des</strong> Archilesers<br />

Das im Methodenteil ausführlich rekonstruierte Prinzip AL, wurde folgen-<br />

dermaßen für die empirische Analyse der Parfumtexte modifiziert und<br />

operationalisiert. Zunächst wurden per Zufallsstichprobe drei Texte aus<br />

dem Gesamtkorpus der 48 Texte ausgewählt. <strong>Die</strong>se Texte werden im<br />

weiteren Verlauf als Stichprobenkorpus, Stichprobentexte, Testkorpus<br />

oder einfach Stichprobe bezeichnet. Es handelt sich um die Texte:<br />

Boss-Elements Aqua<br />

<strong>Die</strong> Frische und Lebendigkeit <strong>des</strong> Wasser für einen klaren Duft - Boss Ele-<br />

ments Aqua heißt der Herrenduft, der so erfrischend und belebend wie das<br />

pure, klare Element Wasser ist. Sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht die-<br />

ser Duft vor maskuliner Vitalität und Energie - wie der Mann, der ihn trägt.<br />

Im Auftakt gibt sich der Duft spritzig und meeresfrisch durch Bergamott und<br />

einen elegant-ozonigen Akkord. <strong>Die</strong> Herznote ist würzig und floral bestimmt<br />

durch Piment und Jasmin, während der Fond mit der maskulinen Präsenz <strong>des</strong><br />

Zedern- und Sandelholzes strahlt.<br />

Der praktische Zerstäuber sorgt für eine gute Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes<br />

und zeigt sich ebenso aquatisch-frisch in der Form, auf der in Glas gefangene<br />

Wassertropfen perlen.<br />

Bogner-Snow<br />

Maskulin-dynamisch, kühl und klar - pur und leicht wie Neuschnee und den-<br />

noch natürlich-warm mit Anklängen an tief verschneite Gräser und Hölzer:<br />

Bogner Snow. Das Eau de Toilette mit einzigartigem Cooling Effekt.<br />

133


Seine Kopfnote strahlt durch alpinen Wacholder, Galbanum-Harz und geeiste<br />

Mandarine transparent-frostige Frische aus, die Herznote besticht durch die<br />

Kombination von Vetiver-Gräsern, Zedernholz und schwarzem Pfeffer. Aroma-<br />

tische Moose, Amber und exotische Feigenblätter verleihen Bogner Snow ein<br />

geheimnisvolles, männlich-sinnliches Finish.<br />

Pur und maskulin wie der Duft ist auch der dynamische Flakon aus klarem,<br />

kühl-blauem Glas, <strong>des</strong>sen Form an eine Schneewehe erinnert und <strong>des</strong>sen<br />

silbrig-frostige Umverpackung die eisig-moderne Aussage <strong>des</strong> Duftes perfekt<br />

unterstreicht.<br />

Joop-Homme<br />

Ein aufregender Duft für den geradlinigen und leidenschaftlichen Mann. Ein<br />

Duft von blumigen, holzigen und exotischen Nuancen in Harmonie mit herb-<br />

warmen Akzenten.<br />

<strong>Die</strong> kühle Frische von Bergamotte vereinigt sich mit dem Feuer der Herz-Kopf-<br />

Note aus Zimt, Orangenblüten und Jasmin. Der exotische Fond von Sandel-<br />

holz, Vetyver und Patchouli und ein dezenter Hauch von Ambra, Tabak, Mo-<br />

schus und Honig verschmelzen harmonisch ineinander.<br />

Der schmal geschnittene und klar gestaltete Flakon unterstreicht die Geradli-<br />

nigkeit; seine warme und ungewöhnliche Farbgestaltung die Leidenschaftlich-<br />

keit und aufregende Wirkung <strong>des</strong> Duftes.<br />

<strong>Die</strong>se Texte wurden 33 Studierenden (23 weiblich, 10 männlich, im Alter<br />

von 20-25 Jahren) aus der Lehrveranstaltung Einführung in die Sprach-<br />

wissenschaft 1 (Wintersemester 2002/03, Universität Bremen) vorgelegt.<br />

<strong>Die</strong> Studierenden sollten in zwei aufeinander folgenden Lesungen der<br />

Texte diejenigen Textstellen mit Textmarker markieren, die ihnen ir-<br />

gendwie besonders auffallen, die sie am Lesefluss hindern, die irgend-<br />

wie merkwürdig sind. Am rechten Rand sollten sie dann ihre eigenen<br />

Markierungen kommentieren. Es wird bei der <strong>des</strong>kriptiven Analyse expli-<br />

zit unterschieden zwischen Lesermarkierung und Leserkommentar.<br />

Ein Original <strong>des</strong> Umfragebogens (Faksimile) findet sich im Anhang. <strong>Die</strong><br />

tabellarische Auflistung sämtlicher Markierungen und Kommentare der<br />

134


Studierenden kann auf meiner Website www.semiotics.uni-bremen.de<br />

eingesehen werden.<br />

3.1.1. Quantitative Aufbereitung der Archileser-Markierungen<br />

<strong>Die</strong> Flut der AL-Daten wurde folgendermaßen aufbereitet, um sie in ü-<br />

berschaubarer Weise zu präsentieren und für die linguistische Analyse<br />

handhabbar zu machen.<br />

In einem ersten quantitativen Durchgang habe ich die markierten Text-<br />

stellen nach der Häufigkeit zusammengefasst, mit der sie von den ver-<br />

schiedenen Probanden markiert wurden. <strong>Die</strong>se quantitative Zusammen-<br />

fassung der Lesermarkierungen ist in den Tabellen 11, 12 und 13 darge-<br />

stellt. <strong>Die</strong> Zahlen in Klammern bezeichnen die Zeile in dem jeweiligen<br />

Text. Eingeklammerte Wörter wurden nicht von allen AL markiert.<br />

Zu Boss-Elements Aqua<br />

Markierte Textstellen Häufigkeit<br />

(elegant-)ozonigen Akkord (8) 29<br />

Fond (10) 16<br />

Form, auf der in Glas gefangene Wassertropfen perlen (14 f.) 16<br />

aquatisch(-frisch) (14) 14<br />

sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht (dieser Duft) (5) 13<br />

maskulinen Präsenz (10) 12<br />

(Im) Auftakt (7) 12<br />

der so erfrischend und belebend wie das pure, klare Element Wasser ist<br />

(3 f.)<br />

floral (bestimmt) (9) 9<br />

strahlt (11) 7<br />

vor maskuliner Vitalität und Energie (6) 9<br />

135<br />

11


Herznote (8) 8<br />

Lebendigkeit <strong>des</strong> Wassers (2) 6<br />

Zedern-, Sandelholz (10 f.) 5<br />

praktische Zerstäuber-gute Verteilung (13) 5<br />

Piment (10) 4<br />

Wasser(s) (1) 4<br />

Bergamott (8) 3<br />

ebenso (13) 3<br />

pure, klare (4) 3<br />

Jasmin (9) 2<br />

würzig (9) 2<br />

meeresfrisch (7) 2<br />

einen klaren (Duft) (2) 2<br />

Element Wasser (3) 2<br />

für (1) 1<br />

mit (10) 1<br />

Form (13) 1<br />

spritzig (7) 1<br />

wie der Mann, der ihn trägt (6) 1<br />

gibt sich (6) 1<br />

Tabelle 11: Boss-Elements Aqua: Auflistung der Lesermarkierungen<br />

Zu Bogner-Snow<br />

Markierte Textstellen Häufigkeit<br />

geheimnisvolles (männlich-sinnliches) Finish (11) 17<br />

silbrig-frostige Umverpackung (14) 17<br />

Anklängen (an tief verschneite Gräser und Hölzer) (2 f.) 16<br />

136


geeiste (Mandarine) (7) 14<br />

transparent-frostige Frische (7) 12<br />

kühl (und klar) vs. natürlich warm (1 f.) 12<br />

eisig-moderne (Aussage <strong>des</strong> Duftes) (14 f.) 11<br />

Cooling Effekt (5) 11<br />

Kombination aus Vetiver-Gräsern, Zedernholz und schwarzem Pfeffer<br />

(8 f.)<br />

alpinen Wacholder (6) 9<br />

Kopfnote (6) 9<br />

Galbanum(-harz) (6 f.) 7<br />

dynamische Flakon (12) 7<br />

aromatische Moose, Amber und exotische Feigenblätter (9 f.) 6<br />

(Form an eine) Schneewehe (erinnert) (13 f.) 6<br />

Herznote (8) 6<br />

(pur und leicht wie) Neuschnee (2) und dennoch natürlich warm (2) 5<br />

maskulin-dynamisch ((1) 4<br />

kühl-blauem (Glas) (13) 3<br />

strahlt (Frische aus) (6) 3<br />

besticht (8) 3<br />

perfekt unterstreicht (15) 1<br />

dennoch (2) 1<br />

der Flakon, <strong>des</strong>sen Form (...) erinnert (12 ff.) 1<br />

pur und maskulin (12) 1<br />

Snow (3) 1<br />

Tabelle 12: Bogner-Snow: Auflistung der Lesermarkierungen<br />

137<br />

11


Zu Joop-Homme<br />

Markierte Textstellen Häufigkeit<br />

Geradlinigkeit – Leidenschaftlichkeit – aufregende (Wirkung) (11 f.) 12<br />

Herz-Kopf-Note (6) 12<br />

herb-warm vs. kühle Frische vs. Feuer (5 f.) 12<br />

aufregender vs. Geradlinigen vs. leidenschaftlichen (1 f.) 10<br />

(exotische) Fond (7) 10<br />

Vetyver (7) 9<br />

verschmelzen harmonisch ineinander (9) 6<br />

blumigen vs. holzigen (3) 5<br />

Patchouli (7) 4<br />

schmal geschnittene (und klar gestaltete Flakon) (10) 3<br />

(holzigen) und (exotischen Nuancen) (3 f.) 1<br />

Sandelholz (7) 1<br />

der (...) Flakon unterstreicht (10) 1<br />

(Duft) von (3) 1<br />

(Nuancen in) Harmonie (4) 1<br />

dezenter (Hauch) (8) 1<br />

ungewöhnliche Farbgestaltung (11) 1<br />

Ambra (8) 1<br />

Tabelle 13: Joop-Homme: Auflistung der Lesermarkierungen<br />

Ich räume ein, halte es aber für unausweichlich, dass es bereits bei einer<br />

solch groben Erstklassifizierung der von den Lesern segmentierten lingu-<br />

istischen Einheiten zu Reibungsverlusten kommt. Es ist nämlich nicht<br />

immer eindeutig zu entscheiden, auf welcher linguistischen Analyseebe-<br />

ne die Markierungen stattfinden. Um dieses Verfahrensproblem exem-<br />

plarisch zu beleuchten, soll ein häufig markierter Teil aus dem Boss-Text<br />

problematisiert werden.<br />

138


Im Boss-Text wurde beispielsweise innerhalb <strong>des</strong> Syntagmas der Fond<br />

mit der maskulinen Präsenz (NGr + attributiver Präpositionalgruppe) 16-<br />

mal Fond und zwölfmal maskuline Präsenz markiert. In sechs Fällen<br />

wurden jedoch beide Segmente gemeinsam markiert, so dass es zu<br />

Markierungsüberschneidungen kam. Hierbei ist bereits die erste Katego-<br />

risierungsentscheidung schwierig. Wertet man Fond und maskuline Prä-<br />

senz als zwei voneinander unabhängige Markierungen, muss man an-<br />

nehmen, dass Fond als lexikalische Einheit und maskuline Präsenz als<br />

morphosyntaktische Einheit aufgefallen ist.<br />

Es ist aber aus Gründen der Kohäsion auch möglich, die Markierung auf<br />

die gesamte NGr zu beziehen und damit die gegenseitige Abhängigkeit<br />

von Fond und maskuline Präsenz zu fokussieren, die das Syntagma so-<br />

wohl formal als auch auch semantisch verbindet, denn die Präpositional-<br />

phrase mit der maskulinen Präsenz fungiert als Attribut zu Fond. Ich ha-<br />

be mich bei der Entscheidung nach der Mehrheit der Lesermarkierungen<br />

gerichtet und die beiden Segmente als Einzelmarkierungen betrachtet.<br />

So bin ich auch bei analogen Textpassagen verfahren, an denen Markie-<br />

rungen konvergieren. Zwar hat dies den Nachteil, dass theoriegeleitete<br />

grammatische Aspekte <strong>des</strong> Deutschen vernachlässigt werden. Aber der<br />

Vorteil ist, dass dadurch eine möglichst hohe Authentizität der Leserda-<br />

ten gewährleistet werden kann, die von der theoretischen Vorbelastung<br />

möglichst unabhängig sein sollte.<br />

Im Fall der Sequenz sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht dieser Duft<br />

– ebenfalls aus dem Boss-Text – wurden sehr viele verschiedene<br />

Teilstücke markiert, nämlich:<br />

das Adjektivkompositum sprudelnd-frisch (morphologische Ebe-<br />

ne/Wortbildung),<br />

das Verb sprüht (lexikalisch-semantische Ebene),<br />

die Tatsache der Häufung der stimmlosen, post-alveolaren Frikativ-<br />

laute (phonische Ebene).<br />

In allen Fällen, in denen innerhalb einer syntaktisch zusammengehörigen<br />

Textsequenz viele verschiedene Segmente markiert wurden, habe ich<br />

aus pragmatischen Gründen die Teilmarkierungen zunächst zusammen-<br />

139


gefasst, die Werte addiert und sie in einer Tabellenzelle aufgeführt, um<br />

die kritischen Textstellen einzugrenzen und eine Überschaubarkeit zu<br />

erreichen. Bei der späteren detaillierten strukturellen Beschreibung die-<br />

ser Textstellen wird diese Klassifizierung aber wieder teilweise aufge-<br />

weicht und in Bezug auf die Leserkommentierungen erneut problemati-<br />

siert. Denn gerade die Sequenzen mit Mehrfachmarkierungen hinsicht-<br />

lich verschiedener linguistischer Ebenen scheinen auf stilistische Kon-<br />

vergenzpunkte der Texte hinzuweisen, denen besondere Aufmerksam-<br />

keit zukommen sollte.<br />

3.1.2. Qualitative Aufbereitung der Archileser-Markierungen<br />

Obwohl die erste zusammenfassende Darstellung <strong>des</strong> AL-Materials auch<br />

für einen nicht eingearbeiteten Blick hoffentlich einen globalen Eindruck<br />

der Daten vermittelt, sollen in einem zweiten Schritt die Daten weiter<br />

klassifizierend zusammengefasst werden. Denn jede derzeitige Markie-<br />

rungskategorie einzeln zu beschreiben würde die Arbeit ungemein auf-<br />

blähen und wahrscheinlich nicht zur Lesefreundlichkeit beitragen. Bei<br />

diesem zweiten qualitativen Schritt werde ich induktiv aus den bisherigen<br />

Einzelmarkierungen allgemeinere Kategorien entwickeln, unter die jene<br />

sinnvoll zusammenzufassen sind. Segmente, die nur von einem Leser<br />

markiert wurden und die sich nicht sinnvoll einer allgemeineren Katego-<br />

rie zuordnen lassen, fallen dabei aus der Erfassung wieder heraus, da<br />

sie als vernachlässigbar betrachtet werden. <strong>Die</strong> Tabellen 14, 15 und 16<br />

zeigen die zusammengefassten, qualitativ aufbereiteten Lesermarkie-<br />

rungen der drei Stichprobentexte. <strong>Die</strong> Kategorien, denen die markierten<br />

Elemente zugeordnet sind, werden im Anschluss an die Tabelle erklärt.<br />

<strong>Die</strong> Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Zeilenangaben in den<br />

Texten.<br />

140


Zu Boss- Elements Aqua<br />

Markierte Textstellen Häufigkeit<br />

Prädikationen<br />

maskulinen Präsenz (10), (elegant-)ozonigen Akkord (8), aquatisch<br />

(-frisch) (14), sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht (dieser Duft)<br />

(5), floral (bestimmt) (9), vor maskuliner Vitalität und Energie (6),<br />

würzig (9), einen klaren (Duft) (2), der so erfrischend und belebend<br />

wie das pure, klare Element Wasser ist (3 f.)<br />

Fachvokabular Parfum<br />

Fond (10), (Im) Auftakt (7), Herznote (8), praktische Zerstäuber/gute<br />

Verteilung (13), Zedern-, Sandelholz (10 f.), Piment (10), Bergamott<br />

(8), Jasmin (9)<br />

Lexikalisches Feld Wasser<br />

Wasser(s), (1) Lebendigkeit <strong>des</strong> Wassers (2), Element Wasser (3),<br />

meeresfrisch (7), pure, klare (Element Wasser) (4)<br />

Verben<br />

strahlt (11)<br />

Tabelle 14: Boss-Elements Aqua: Qualitative Aufbereitung der Lesermarkie-<br />

rungen<br />

Zu Bogner-Snow<br />

Markierte Textstellen Häufigkeit<br />

Prädikationen<br />

geheimnisvolles (männlich-sinnliches) Finish (11), geeiste (Mandari-<br />

ne) (7), transparent-frostige Frische (7), kühl (und klar) vs. natürlich<br />

warm (1 f.), eisig-moderne (Aussage <strong>des</strong> Duftes) (14 f.), pur und<br />

maskulin (12), kühl-blauem (Glas), (13) dynamische Flakon (12),<br />

Flakon, (<strong>des</strong>sen Form an eine) Schneewehe (erinnert) (13 f.), silbrig-<br />

frostige Umverpackung (14), (pur und leicht wie) Neuschnee und<br />

dennoch natürlich warm (2), maskulin-dynamisch (1), Anklängen (an<br />

tief verschneite Gräser und Hölzer), (2 f.), Cooling Effekt (5)<br />

141<br />

102<br />

55<br />

17<br />

9<br />

137


Fachvokabular Parfum<br />

Kopfnote (6), Herznote (8), Kombination aus Vetiver-Gräsern, Ze-<br />

dernholz und schwarzem Pfeffer (8 f.), aromatische Moose, Amber<br />

und exotische Feigenblätter (9 f.), alpinen Wacholder (6), Galba-<br />

num(-harz) (6 f.)<br />

Verben<br />

strahlt (Frische aus) (6), besticht (8), perfekt unterstreicht (15)<br />

Tabelle 15: Bogner-Snow: Qualitative Aufbereitung der Lesermarkierungen<br />

Zu Joop-Homme<br />

Markierte Textstellen Häufigkeit<br />

Prädikationen<br />

aufregender vs. geradlinigen vs. leidenschaftlichen (1 f.), (holzigen)<br />

und (exotischen Nuancen) (3 f.), herb-warm vs. kühle Frische vs.<br />

Feuer (5 f.), schmal geschnittene (und klar gestaltete Flakon) (10),<br />

blumigen vs. holzigen (3), dezenter (Hauch) (8), ungewöhnliche<br />

Farbgestaltung (11), (exotische) Fond (7), Geradlinigkeit vs. Leiden-<br />

schaftlichkeit vs. aufregende (Wirkung) (11 f.)<br />

Fachvokabular Parfum<br />

Herz-Kopf-Note (6), Vetyver (7), Patchouli (7), Sandelholz (7), Amb-<br />

ra (8)<br />

Verben<br />

der (...) Flakon unterstreicht (10), verschmelzen harmonisch inein-<br />

ander (9)<br />

Tabelle 16: Joop-Homme: Qualitative Aufbereitung der Lesermarkierungen<br />

<strong>Die</strong> Kategorien, die sich beim zweiten Klassifizierungsschritt induktiv aus<br />

dem Datenmaterial ergeben haben, sind sehr allgemein und untereinan-<br />

der sehr heterogen. Auffallend ist aber, dass es drei Kategorien gibt, de-<br />

nen die überwiegende Zahl der markierten Segmente aus allen drei<br />

Stichprobentexten zuzuordnen sind, nämlich den Kategorien<br />

142<br />

48<br />

6<br />

55<br />

27<br />

7


Prädikationen (morpho-syntaktische Analyseebene),<br />

Fachvokabular Parfum (lexikalische Analyseebene),<br />

Verben (lexikalische Analyseebene).<br />

Auf dem Weg zu einer Beschreibung konstitutiver sprachlicher Merkmale<br />

von Produktbeschreibungen für <strong>Parfums</strong> ist dies ein interessantes Zwi-<br />

schenergebnis und ein geeignetes Sprungbrett für die nun folgende de-<br />

skriptive Feinanalyse der markierten Textstellen. Hierbei soll geprüft wer-<br />

den, inwieweit sich das im Theorieteil ausgeführte Konzept der sprachli-<br />

chen Synästhesie als poetisches Mittel (Synästhesie-Hypothese) auf ei-<br />

ne systematische Beschreibung struktureller Eigentümlichkeiten der<br />

durch die AL-Erhebung gewonnenen Sprachdaten anwenden lässt.<br />

Danach gilt es unter Zuhilfenahme der Leserkommentare plausible Ver-<br />

mutungen anzustellen über die leserseitige Motivation für die Markie-<br />

rung. Plausibel heißt dabei wiederum zu prüfen sich die Synästhesie-<br />

Hypothese als Erklärungsmodell für das Wirken der poetischen Sprach-<br />

funktion in den Texten eignet.<br />

3.2. Fokussierungen<br />

Der im ersten Teil dieser Arbeit ausgeführten Hypothese der Notwendig-<br />

keit synästhetischer Sprachkonstruktionen beim Spechen über Gerüche<br />

kommt bei der Analyse der drei hauptsächlich markierten Einheiten Prä-<br />

dikationen, Fachvokabular Parfum, Verben die zentrale Rolle zu.<br />

Für die synästhetische Analyseperspektive ist das Konzept <strong>des</strong> perzep-<br />

torische Potenzials eines Lexems zentral, dem der Valenzgedanke zu<br />

Grunde liegt. Danach haben Lexeme die Eigenschaft, ihre syntaktische<br />

Umgebung vorzustrukturieren (vgl. Tésniere 1959; Helbig/Schenkel<br />

1991: 12 ff.; Eisenberg 2000: 22 ff.). <strong>Die</strong> Valenzeigenschaft eines Le-<br />

xems kann für die speziellen Zwecke dieser Untersuchung nutzbar ge-<br />

macht werden, und zwar im Bezug auf semantische Eigenschaften, die<br />

sich auf die sinnliche Wahrnehmung beziehen.<br />

143


Falls ein Lexem semantische Eigenschaften aufweist, die sich auf die<br />

sinnliche Wahrnehmung beziehen, kann man davon sprechen, dass es<br />

perzeptorische Valenzeigenschaften oder, anders formuliert, ein perzep-<br />

torisches Potenzial aufweist. Das perzeptorische Potenzial eines Lexems<br />

wird für diese Untersuchung folgendermaßen definiert:<br />

<strong>Die</strong> semantische Struktur eines Lexems in Bezug auf seine potenzielle<br />

Verwendungsweise innerhalb eines perzeptorischen Kontextes wird als<br />

perzeptorisches Potenzial <strong>des</strong> jeweiligen Lexems bezeichnet. Weist ein<br />

Lexem semantische Merkmale auf, die perzeptorische Qualitäten betref-<br />

fen, so kann in der Regel ein primärer perzeptorischer Referenzbereich<br />

(= eine primäre Sinnesmodalität) identifiziert werden, der durch die kon-<br />

ventionelle (denotative) Verwendungsweise determiniert ist.<br />

Als Illustrationsbeispiel sollen das Substantiv Duft und das Adjektiv frisch<br />

gelten. <strong>Die</strong> Verwendung von Duft ist konventionell standardisiert und<br />

kann sich nur auf den Perzeptionsbereich <strong>des</strong> Geruchs beziehen. Duft ist<br />

in diesem Sinne monovalent, sein perzeptorisches Potenzial ist eindeu-<br />

tig, Verwendungsweisen in anderen Sinnesbereichen sind blockiert. Wird<br />

Duft dennoch in einem nicht-olfaktorischen Kontext verwendet, kommt es<br />

zu einer perzeptorischen Kongruenzverletzung, einem Phänomen, das<br />

bereits im Theorieteil ausgeführt wurde und im Laufe <strong>des</strong> Empirieteils<br />

ausführlich diskutiert wird.<br />

Für das Substantiv Frische hingegen kann man ein vierwertiges perzep-<br />

torisches Potenzial annehmen. Frische kann sich auf die visuelle, die ol-<br />

faktorische, auf die taktile oder auf die gustatorische Sinnesmodalität be-<br />

ziehen, je nach dem, in welchem Kontext das Lexem verwendet wird.<br />

<strong>Die</strong>s zeigen die folgenden drei Beispielsätze:<br />

<strong>Die</strong>se Zitronenmelisse sieht frisch aus.<br />

<strong>Die</strong>se Zitronenmelisse riecht frisch.<br />

<strong>Die</strong>se Zitronenmelisse fühlt sich frisch an.<br />

<strong>Die</strong>se Zitronenmelisse schmeckt frisch.<br />

<strong>Die</strong> behauptete Frische der Zitronenmelisse ist entweder an der glatten<br />

Oberfläche der Blätter zu sehen (= visuelle Sinnesmodalität) oder der<br />

144


Geruch ist frisch (= olfaktorische Modalität) oder ihre Frische kann mit<br />

den Fingern gefühlt werden (= taktile Modalität) oder im Mund ge-<br />

schmeckt werden (= gustatorische Modalität). Das perzeptorische Po-<br />

tenzial von Frische ist somit vierwertig. Abbildung 7 zeigt die Modellie-<br />

rung <strong>des</strong> perzeptorischen Potenzials von Frische.<br />

Abbildung 7: Modellierung <strong>des</strong> perzeptorischen Potenzials von Frische<br />

<strong>Die</strong> drei Kategorien Fachvokabular Parfum, Prädikationen, Verben wer-<br />

den im Einzelnen folgendermaßen in den Fokus genommen.<br />

3.2.1. Fokus: Fachvokabular Parfum<br />

<strong>Die</strong> Ausführungen zum Fachvokabular Parfum spielen sich auf der lexi-<br />

kalischen Analyseebene ab. Es stehen dabei lexikalische Besonderhei-<br />

ten im Vordergrund, die vor allem das semantische Spannungsfeld zwi-<br />

schen den etablierten Fachbegriffen der Parfumbranche und dem rezep-<br />

tiven Verständnis eines normalen, das heißt standardsprachlich kompe-<br />

tenten Lesers betreffen. Ein Vergleich zwischen dem professionellen<br />

Gebrauch typischer Vokabeln <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> und den einzelnen Kommen-<br />

taren der Leser sollte zeigen, in welcher Weise oder ob überhaupt die<br />

Fachbegriffe in kommunikativer Hinsicht schnittmengenfähig sind oder<br />

ob sie vielleicht eher esoterischen Charakter haben. Denn wie alle Wer-<br />

betexte, nehmen auch die Werbetexte für Parfum naturgemäß eine<br />

145


kommunikative Vermittlerrolle ein, die zum Dilemma werden kann. Ei-<br />

nerseits bedienen sich die Parfumtexte einer Terminologie, die großen-<br />

teils aus dem Expertendiskurs der Parfumhersteller stammt. Anderer-<br />

seits sind die potenziellen Rezipienten der Texte keine Experten, son-<br />

dern standardsprachlich-kompetente Leser, denen die fachspezifische<br />

Information auch auf eine standardsprachliche Weise nahe gebracht<br />

werden muss. Wie die Parfumtexte die Diskrepanz Experten vs. Laien<br />

sprachstrategisch lösen, sollte ein skeptischer Blick auf die verwendeten<br />

Parfumvokabeln zu Tage fördern.<br />

Das konkrete Arbeitsverfahren hierbei wird sein, die von den Lesern<br />

markierten Spezialbegriffe unter Zuhilfenahme der Leserkommentare zu<br />

evaluieren und ihnen die konventionellen Lesarten entgegenzustellen,<br />

die ein herkömmliches Wörterbuch <strong>des</strong> Deutschen bereitstellt. <strong>Die</strong>ses<br />

Vorgehen soll sich dazu eignen, ein fundiertes, wenngleich vorsichtiges<br />

Urteil darüber abzugeben, ob es den Texten gelingt, die kommunikative<br />

Lücke zwischen Experten und Laien zu schließen. Andererseits kann die<br />

Analyse ein Nichtgelingen der Kommunikation aufzeigen und gegebe-<br />

nenfalls die ursächlichen sprachlichen Mängel benennen.<br />

3.2.2. Fokus: Prädikationen/Attribuierungen<br />

<strong>Die</strong> Analysekategorie Prädikationen ist noch zu allgemein und muss im<br />

Hinblick auf die Lesermarkierungen präzisiert werden. Ganz allgemein<br />

versteht man unter dem Begriff Prädikation „den Vorgang und [das] Er-<br />

gebnis der Zuordnung von Eigenschaften zu Objekten bzw. Sachverhal-<br />

ten. Durch P. werden Gegenstände spezifiziert hinsichtlich Qualität,<br />

Quantität, Raum und Zeit u.a.“ (Bußmann 3 2002: 528). Gemeint ist hier<br />

aber explizit nicht die Beziehung zwischen Subjekt und grammatischem<br />

Prädikat oder ein Prädikativ das zusammen mit Kopulaverben das Prädi-<br />

kat eines Satzes bildet (vgl. Caluwe et al., Hg., 1992 und Lang et al. Hg.,<br />

2003). Eine Prädikation kann die grammatische Form einer NGr mit Ad-<br />

jektivadjunkt als Attribut annehmen. Das Attribut wird „in neueren Gram-<br />

146


matiken als Bezeichnung für Beifügungen zu jeder syntaktischen Kate-<br />

gorie im Satz (mit Ausnahme <strong>des</strong> Verbs) verwendet“ (Bußmann 3 2002:<br />

103).<br />

„Der Terminus ‚Attribut’ wird in der Regel nur für Ausdrücke verwendet, die<br />

Bestandteil von Nominalphrasen sind, also für Adjektive, Relativsätze, Genitiv-<br />

NPs (...), adverbiale und Präpositionalphrasen, die sich auf ein Nomen oder<br />

auf einen Komplex mit nominalem ‚Kopf’ beziehen“ (Clément 1996: 1; vgl. zu<br />

Präpositionalattibuten v.a. Schierholz 2001).<br />

Als Grundregel der semantischen Funktion von Adjektivattributen stellt<br />

Rahmstorf (1983) fest:<br />

„Durch die semantische Repräsentation <strong>des</strong> Adjektivattributes sollen die be-<br />

grifflichen Beziehungen zwischen der Bedeutung <strong>des</strong> Gesamtausdrucks (...)<br />

und der Bedeutung der einzelnen Komponenten (...) beschrieben werden“<br />

(Rahmstorf 1983: 173;<br />

vgl. auch Van Valin/LaPolla 1997: 184 ff.; Olsen 1991: 65 ff.; Bhatt 1990: 79 ff.<br />

und 89 ff. sowie den historischen Abriss über die Aufspaltung von Nominal-<br />

phrasen in Kniffka 1996: 7 ff.).<br />

Da es sich bei der Haupmasse der vom AL markierten Prädikationen um<br />

NGr mit einem Adjektiv als Attribut handelt, beispielsweise (ein) klarer<br />

Duft (Boss-Elements Aqua), liegt es nahe, als sprachliche Realisierung<br />

der Prädikationen nur diese in den Blick zu nehmen (vgl. zur semanti-<br />

schen Adjektivklassifikation die Übersicht in Rachidi 1989: 114 ff.).<br />

Daher wird im Folgenden statt <strong>des</strong> zu allgemeinen Begriffs Prädikation<br />

der Begriff Attribuierung verwendet, der sich auf NGr mit Adjektivattribu-<br />

ten bezieht. Dabei folge ich der Terminologie von Eisenberg (2000), der<br />

das Substantiv als Kern und das Adjektiv als Attribut einer NGr bezeich-<br />

net (vgl. Eisenberg 2000: 329).<br />

<strong>Die</strong> zentrale Frage lautet demnach, welche sind die Entitäten, die durch<br />

die Attribute näher bestimmt werden. Hierbei kommt der Synästhesie-<br />

Hypothese insofern eine methodische Rolle zu, als ein erster grober<br />

Klassifizierungsschritt die Unterscheidung zwischen olfaktorisch relevan-<br />

ten und nicht-olfaktorischen Entitäten und deren Attribuierungen ist. Es<br />

wird unter referenzsemantischer Optik differenziert zu untersuchen sein,<br />

147


wie sich die herausgearbeiteten Attribut-Relationen zur nichtsprachlichen<br />

Wirklichkeit im Allgemeinen und zum Bereich der Olfaktorik im Besonde-<br />

ren verhalten. Denn bei der vom AL intuitiv erspürten und auch analy-<br />

tisch-<strong>des</strong>kriptiv nachweislichen Omnipräsenz von Eigenschaftszuschrei-<br />

bungen ist es letztlich entscheidend, möglichst präzise herauszufiltern,<br />

welche davon das Ziel haben, den Geruch eines <strong>Parfums</strong> zu beschrei-<br />

ben und welche auf nicht-olfaktorische Entitäten referieren. Letztere ha-<br />

ben dann vermutlich die Funktion, lediglich Assoziationen zu dem Par-<br />

fum(geruch) und <strong>des</strong>sen Image zu evozieren. Damit bedienen sie dann<br />

anscheinend eine andere Sprachfunktion als die referentielle. Ob ein<br />

Nachweis der poetischen Relevanz gelingt, muss im Einzelfall überprüft<br />

werden.<br />

3.2.3. Fokus: Verben<br />

<strong>Die</strong> zu diskutierenden Verben sind von den AL als einzige der näher zu<br />

beleuchtenden Hauptphänomene als lexikalische Kategorie markiert<br />

worden und müssen demgemäß auch wortartspezifisch unter die Lupe<br />

genommen werden. Gemeint sind hier allerdings nur Vollverben und<br />

nicht Kopula-Konstruktionen. <strong>Die</strong> Verben werden in erster Linie einer<br />

semantisch-pragmatische Analyse unterzogen, da sie morphologisch<br />

kaum Auffälligkeiten zeigen. Es wird eher das Problem <strong>des</strong> eigentlichen<br />

vs. uneigentlichen Sprachgebrauchs anzugehen sein um das Span-<br />

nungsfeld Denotation vs. Konnotation auszupendeln.<br />

Spannend dürfte hierbei sein, die Annahme zu prüfen, ob sich die ver-<br />

wendeten Verben unter eine parfumspezifische Kategorie subsumieren<br />

lassen, ob sie einem bestimmten semantischen Erzeugungsmuster fol-<br />

gen, das sich sichtbar machen lässt und konsistent mit der Synästhesie-<br />

Hypothese erklärt werden kann.<br />

148


3.3. Extrapolationen gegen das Gesamtkorpus<br />

<strong>Die</strong> Ergebnisse der Analysen <strong>des</strong> Stichprobenkorpus dienen als operati-<br />

onales Sprungbrett, um das Gesamtkorpus (48 Texte) systematisch<br />

nach den herausgearbeiteten charakteristischen sprachlichen Konstruk-<br />

tionen zu durchsuchen. <strong>Die</strong>ses Vorgehen wird als Extrapolation bezeich-<br />

net. Beim Extrapolieren, einer Arbeitsweise, die ursprünglich aus der Ma-<br />

thematik bekannt ist, geht es darum „aus dem Verhalten einer Funktion<br />

innerhalb eines mathematischen Bereichs auf ihr Verhalten außerhalb<br />

dieses Bereichs zu schließen“ (Duden 4 1982: 240; vgl. mathematisch<br />

umfassender Knerr 1977: 146). Bezogen auf diese Arbeit ist gemeint,<br />

dass man ausgehend von den Beschreibungen der Ergebnisse der AL-<br />

Stichprobe auf textliche Eigenschaften <strong>des</strong> Gesamtkorpus schließen<br />

kann. <strong>Die</strong> sprachlichen Besonderheiten der Parfumtexte, deren Diagno-<br />

se zunächst auf den Markierungen neutraler Leser fußte, werden somit<br />

auf eine breitere empirische Basis gestellt. Das konkrete Ziel dieses Ar-<br />

beitsschrittes ist die quantitative Erfassung, Isolierung und Klassifizie-<br />

rung derjenigen Lexeme, die in den explizit duftbeschreibenden Teilen<br />

der Texte als Varianten der drei Kategorien Fachvokabeln, Attribuierun-<br />

gen, Verben identifiziert werden können. <strong>Die</strong> extrapolierten Daten kön-<br />

nen als stützende Indizien gelten für die im Theorieteil entwickelte Syn-<br />

ästhesie-Hypothese, die ausgeht von einer elementaren Notwendigkeit<br />

sprachlicher Synästhesien beim Kommunizieren über Gerüche. <strong>Die</strong><br />

komprimierten Darstellungen dieser Daten in tabellarischer Form sind zu<br />

verstehen als großflächiger Nachweis für die strukturelle und nicht nur<br />

punktuelle Verwendung sprachlicher Synästhesie innerhalb <strong>des</strong> Ge-<br />

samtkorpus.<br />

Das konkrete Arbeitsverfahren läuft folgendermaßen: Ausgehend von<br />

der jeweiligen Stichprobenanalyse wird das Gesamtkorpus nach den als<br />

äquivalent zu betrachtenden Fachvokabeln, Attribuierungen und Verben<br />

durchsucht. <strong>Die</strong>se werden dann extrahiert und in Tabellen aufgelistet.<br />

Am Schluss steht dann eine auswertende Evaluation der durch die Ext-<br />

rapolation erweiterten Datensätze. <strong>Die</strong> Konsistenz der extrapolierten Da-<br />

149


ten mit den theoretischen Vorgaben muss dabei geprüft werden, vor al-<br />

lem vor dem Hintergrund der theoretischen Grundannahmen der Synäs-<br />

thesie-Hypothese.<br />

Es muss an dieser Stelle allerdings selbstbeschränkend darauf hinge-<br />

wiesen werden, dass die von mir durchgeführten Extrapolationen der AL-<br />

Daten gegen das Gesamtkorpus keinen Anspruch auf Vollständigkeit er-<br />

heben. Sie weisen bestenfalls Trends auf, die meine Hypothesen verifi-<br />

zieren oder gegebenenfalls falsifizieren. <strong>Die</strong>s entspricht einer grundsätz-<br />

lich empirischen Wissenschaftsauffassung, die eine Wissensvermehrung<br />

über Erfahrung gewinnt. Aus dieser ergibt sich allerdings ebenfalls, dass<br />

sämtliche Schlussfolgerungen, die aus den theoretisch fundierten Hypo-<br />

thesen sowie einer theoriekonsistenten Interpretation der Datenlage ge-<br />

zogen werden, immer ein gewisses Restrisiko <strong>des</strong> Subjektivismus ein-<br />

gehen. Natürlich sind sie jederzeit subject to discourse and falsification.<br />

Ich folge diesbezüglich der Popperschen Wissenschaftsauffassung eines<br />

kritischen Rationalismus, die davon ausgeht, dass Erfahrung die Elimi-<br />

nierung falscher Hypothesen ist und dass wir uns durch deren Falsifika-<br />

tion empor irren. <strong>Die</strong> eventuelle Falsifikation von Hypothesen sowie de-<br />

ren Modifikation im abgleichenden Hinblick auf Konsistenz mit einer<br />

neuen Faktenlage sind der eigentliche Fortschritt der Wissenschaft (vgl.<br />

Popper 3 1969: 14 ff.; Hügli/Lübcke 1997: 508 ff.; Calvin 1993: 44).<br />

3.4. Stichprobenanalyse 1: Fachvokabular Parfum<br />

In der Branche der Parfumentwickler und -hersteller existiert, wie in je-<br />

dem spezialisierten Berufszweig, ein spezielles konventionalisiertes Vo-<br />

kabular, mit dem eine diskursinterne Kommunikation gewährleistet und<br />

erleichtert werden soll. Häufig wiederkehrende Prozesse und Substan-<br />

zen im Herstellungsprozess <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>, spezifische Bezeichnungen für<br />

Geruchskategorien und deren Charakteristik sind mit Fachbegriffen be-<br />

legt, die sogar in Parfumlexika nachzuschlagen sind. Sowohl das Par-<br />

fumbuch <strong>des</strong> Parfumherstellers Haarmann & Reimer (Müller 1991) als<br />

150


auch Barillé/Laroze (1996) enthalten ein Glossar der gängigsten Fach-<br />

vokabeln <strong>des</strong> Parfumdiskurses.<br />

<strong>Die</strong> Werbebranche, die dann die Vermarktung der <strong>Parfums</strong> betreibt, ü-<br />

bernimmt teilweise die von professionellen Parfumeuren etablierten<br />

Termini und arbeitet sie in die Werbetexte ein. <strong>Die</strong>s kann allerdings zu<br />

Verständniskonflikten führen. Denn bei den Fachvokabeln, die man in<br />

Texten über <strong>Parfums</strong> sehr häufig findet, handelt es sich in der Regel um<br />

Bezeichnungen, die einerseits aus der Alltagssprache bekannt sind, in<br />

der Parfumeur-Szene jedoch spezifisch definierte Bedeutungen haben<br />

und darum beim Alltagsleser gelegentlich Unverständnis hervorrufen.<br />

<strong>Die</strong>sem Konflikt gilt es im folgenden Abschnitt nachzugehen. Dabei wer-<br />

den die häufigsten im Stichprobenkorpus markierten Fachbegriffe zu-<br />

nächst mit Hilfe von Müller (1991) sowie Barillé/Laroze (1996) als solche<br />

ausgewiesen und definitorisch umrissen. Um ihre spezifische Verwen-<br />

dungsweise von der standardsprachlich konventionalisierten abzugren-<br />

zen, ziehe ich dann in einem zweiten Schritt mit Wahrig (1994) ein etab-<br />

liertes konventionelles Nachschlagewerk zur deutschen <strong>Sprache</strong> heran<br />

und stelle <strong>des</strong>sen Einträge denen der Parfumlexika gegenüber.<br />

<strong>Die</strong> hier exemplarisch zu diskutierenden Fachbegriffe nach Maßgabe<br />

<strong>des</strong> AL und unter Zuhilfenahme der Leserkommentare sind: Akkord,<br />

Fond, Herznote.<br />

Zu Akkord<br />

Akkord taucht innerhalb <strong>des</strong> Stichprobenkorpus explizit nur in dem Text<br />

zu Boss-Elements Aqua auf. In der <strong>Sprache</strong> der Parfumeure versteht<br />

man unter Akkord Folgen<strong>des</strong>:<br />

„Akkorde entstehen durch das Zusammenfügen verschiedener Einzelgerüche,<br />

die zu neuen Geruchsbildern verschmelzen. <strong>Die</strong> Anzahl der eingesetzten In-<br />

gredienzien kann von zwei bis zu mehreren hunderten reichen. Einfache und<br />

komplexe Akkorde werden als Bausteine für Parfumkompositionen verwendet“<br />

(Müller 1991: 66).<br />

151


„Terminus, der sowohl eine harmonische Kombination mehrerer Riechstoffe<br />

als auch die damit erzielte Geruchswirkung bezeichnet“ (Barillé/Laroze 1996:<br />

217).<br />

Bei Wahrig (1994) liest man unter dem Lemma Akkord:<br />

„a) Übereinstimmung;<br />

b) Vergleich, Vereinbarung (mit Gläubigern);<br />

c) Zusammenklang von drei od. mehr Tönen verschiedener Höhe;<br />

d) Leistungslohn, Stücklohn, Bezahlung nach der Stückzahl (...)“ (Wahrig<br />

1994: 169).<br />

Es fällt auf, dass die spezifisch olfaktorische Lesart von Akkord unter den<br />

standardsprachlichen Paraphrasen nicht erscheint. Man kann daraus<br />

vorsichtig schließen, dass sie (noch) nicht soweit lexikalisiert ist, um in<br />

ein standardsprachliches Wörterbuch aufgenommen zu werden. Natür-<br />

lich ist ein Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache nicht die ulti-<br />

mative Instanz um den Nachweis der Lexikalisierung eines Ausdrucks zu<br />

erbringen. <strong>Die</strong>s könnte im Grunde nur eine flächendeckende empirische<br />

Umfrage unter den Sprechern <strong>des</strong> Deutschen leisten, die aber praktisch<br />

nicht durchführbar ist. Allerdings stützen die Kommentare meiner AL-<br />

Umfrage die Tendenz, Akkord als nicht-lexikalisiert zu betrachten.<br />

Obwohl das generelle Schicksal so genannter Neologismen, die hier<br />

vorsichtiger als potenzielle oder Quasi-Neologismen bezeichnet werden,<br />

nicht vorraussagbar ist, stellt Loskant (1998) fest:<br />

„Blättert man in Neologismen-Wörterbüchern, die erst wenige Jahre als sind,<br />

stellt man fest, dass viele Begriffe, die damals noch ausführlicher Erläuterung<br />

bedurften, heute zum festen Wortschatz gehören“ (Loskant 1998: 5).<br />

Andere potenzielle Neologismen können sich hingegen nicht etablieren,<br />

ihr Status als Ad-hoc-Bildungen, die nur für eine spezielle Situation ge-<br />

schaffen wurden, lässt sich also erst ex post konstatieren.<br />

Der Tenor der Leserkommentare geht jedenfalls eindeutig in Richtung<br />

Unverständnis. Allgemein gehaltene, aber sehr prägnante Notizen der<br />

Leser wie: „Was bitte soll das sein??“ (AL-3); „Was ist mit Akkord ge-<br />

meint?“ (AL-6); „Darunter kann ich mir nichts vorstellen“ (AL-8) sprechen<br />

152


für sich: der Ausdruck Akkord wird als semantisch unpassend für die Be-<br />

schreibung eines Parfumduftes empfunden.<br />

<strong>Die</strong> Motivation der ablehnenden Haltung der Rezipienten erschließt sich<br />

möglicherweise aus folgendem Kommentar. AL-28 schreibt:<br />

„Akkord aus dem Bereich der Musik passt nicht, wie Auftakt auch.“<br />

Das ungute semantische Gefühl der Leser kann kohärent mit der Synäs-<br />

thesie-Hypothese erklärt werden. Es resultiert aus der Tatsache, dass<br />

hier intuitiv und manchmal sogar explizit benannt (vgl. AL-28) ein perzep-<br />

torischer Kategorienfehler wahrgenommen wird. <strong>Die</strong> auditive Lesart von<br />

Akkord, die bei Wahrig aufgeführt wird und wahrscheinlich die gängigste<br />

ist, kann als denotativ bezeichnet werden. Der metaphorische Transfer in<br />

den Bereich der Olfaktorik, bei dem Akkord als konnotatives semanti-<br />

sches Merkmal eine olfaktorische Qualität zugeschrieben wird, ist für den<br />

Leser nicht ohne Weiteres akzeptabel.<br />

Zu Fond<br />

Weder bei Müller (1991) noch bei Barillé/Laroze (1996) findet sich ein<br />

direkter Eintrag zu Fond. Beschäftigt man sich jedoch intensiv mit Par-<br />

fumbeschreibungen, wird klar dass Fond in der <strong>Parfums</strong>prache ein Syn-<br />

onym für die Basisnote (auch: Grundnote oder Basis) eines <strong>Parfums</strong> ist.<br />

Nur für Eingeweihte liegt also auf der Hand, dass Fond = Basisnote in-<br />

nerhalb <strong>des</strong> Parfumjargons durchaus eine olfaktorische Kategorie be-<br />

zeichnet. Unter dem Eintrag Basisnote allerdings findet man bei Müller<br />

(1991):<br />

„Basisnote ist der dritte und letzte Teil <strong>des</strong> Duftablaufs eines <strong>Parfums</strong>. Sie ent-<br />

hält die langhaftenden Bestandteile, wie z.B. Hölzer, Resine, animalische und<br />

kristalline Substanzen. In schwereren Parfüms (Chypre und orientalische No-<br />

ten) ist die Basisnote so stark betont, dass sie bereits im Angeruch typprägend<br />

wirkt“ (Müller 1991: 67).<br />

Fond ist bei Wahrig (1994) mit zwei Einträgen vertreten, allerdings taucht<br />

die parfumspezifische Lesart nicht auf, vielmehr heißt es dort:<br />

153


a) „(...) Grund(lage), Hintergrund, Rücksitz (im Wagen);<br />

(als Soßengrundlage verwendeter) beim Braten an der Pfanne sich ansetzen-<br />

der<br />

b) Fleischsaft“ (Wahrig 1994: 596).<br />

<strong>Die</strong> Parfumlesart von Fond hat also ebenfalls noch keinen Eingang in<br />

das konventionelle Lexikon der Deutschen gefunden. Es ist also keines-<br />

wegs erstaunlich, dass Fond von dem standardsprachlichen Rezipienten<br />

als auffällig markiert wird. Aber ein wenig wundert es, dass in Parfumle-<br />

xika eine Erklärung dieses Begriffes fehlt. Ein vorweggenommener Blick<br />

auf das Gesamtkorpus zeigt nämlich, dass Fond in der <strong>Parfums</strong>zene<br />

durchaus kein Außenseiterbegriff ist. Er taucht immerhin in 16 der 48<br />

Produktbeschreibungen (= 33%) als Synonym der Begriffe Basisnote<br />

oder Grundnote auf.<br />

In konventioneller Lesart ist Fond polysem; die allgemeinsten und abs-<br />

traktesten Synonyme „Grund(lage), Hintergrund” können als denotative<br />

Merkmale angenommen werden. Sie haben eine Bedeutungserweite-<br />

rung in den KFZ- wie in den Küchen-Kontext erfahren. Das Moment<br />

„Grund(lage)” trifft auch bei der Parfumlesart insofern zu, als der Duft<br />

<strong>des</strong> Fonds eines <strong>Parfums</strong> (= die Grund- oder Basisnote) am längsten auf<br />

der Haut haftet und somit am längsten als Geruchsquelle erhalten- be-<br />

ziehungsweise zurückbleibt. <strong>Die</strong> metaphorische Motivation für die Wahl<br />

von Fond kann mit einem geringen Rechercheaufwand also sehr leicht<br />

transparent gemacht werden. Jedoch ist ein Leser einer Parfumwerbung<br />

wohl kaum bereit, überhaupt irgend einen intellektuellen Aufwand zu<br />

betreiben – sei er auch noch so gering – um sich ein Fachwort wie Fond<br />

zu erschließen. <strong>Die</strong> Leserkommentare sprechen eine intuitiv klare Spra-<br />

che, wobei zwischen zwei Leserreaktionen zu unterscheiden ist:<br />

<strong>Die</strong> konventionelle Lesart <strong>des</strong> Begriffes ist bekannt, er wird aber für eine<br />

Parfumbeschreibung als unangemessen bewertet:<br />

„Kenn ich eher aus dem Gastrobereich“ (AL-3);<br />

„Unpassender Ausdruck; verbinde ich eher mit Essen“ (AL-6);<br />

„Fond wie im Auto“ (AL-28);<br />

„Fond hat für mich was mit Geld oder Kochen zu tun“ (AL-25)<br />

154


Das Wort ist gänzlich unbekannt (nur ein Leser-Kommentar):<br />

„Was ist das?“ (AL-26).<br />

<strong>Die</strong>se markanten Äußerungen der AL legt die vorläufigen Schlussfolge-<br />

rung nahe, dass die Werbesprache in ihrer Mittlerrolle zwischen Parfum-<br />

hersteller und Parfumkonsument nicht angemessen gerecht wird. Mit der<br />

Wahl von Fond wird die Lektüre durch Unverständnis negativ beeinflusst.<br />

<strong>Die</strong>s führt offensichtlich zu einer Ablehnung <strong>des</strong> Begriffes. Gleichzeitig<br />

gibt es aber eine Mehrheitstendenz zum Referenzbereich Kü-<br />

che/Kochkunst. <strong>Die</strong>se Tatsache legt einen synästhetische Rezeption na-<br />

he. Der Geruch <strong>des</strong> Bratens hängt mit dem Fond zusammen und bleibt<br />

nach dem Verdunsten zurück.<br />

Zu Herznote<br />

Als drittes soll aus der Kategorie Fachvokabular die sogenannte Herzno-<br />

te diskutiert werden, die in allen drei Texten <strong>des</strong> Testkorpus auftaucht.<br />

Im Joop-Text haben wir es sogar mit einer „Herz-Kopf-Note“ (Zeile 7) zu<br />

tun.<br />

In der Parfumbranche versteht man darunter Folgen<strong>des</strong>:<br />

„Herznote ist die zweite, mittlere Phase <strong>des</strong> Duftablaufs eines <strong>Parfums</strong> nach<br />

dem Abklingen der Kopfnote. Sie wird vorwiegend von blumigen, würzigen o-<br />

der holzigen Komponenten geprägt und bildet wie der Name sagt, das Herz-<br />

stück <strong>des</strong> Parfüms“ (Müller 1991: 70).<br />

„Nach zehn bis dreißig Minuten kommen die weniger flüchtigen, verführeri-<br />

schen Mittelnoten zum Tragen, also beispielsweise die Blütenessenzen aus<br />

Rose, Jasmin und Tuberose, dazu viele ‚grüne’ und holzige Noten (...)“ Baril-<br />

lé/Laroze (1996: 219).<br />

Das Nominalkompositum Herznote existiert bei Wahrig (1994) als eigen-<br />

ständiges Lemma nicht, das heißt, es muss als nicht-lexikalisiert gewer-<br />

tet werden. Hinsichtlich der semantischen Analyse ist Herznote insofern<br />

interessanter als Akkord und Fond, als durch den morphologische Wort-<br />

bildungsprozess der Komposition zwei kognitive Konzepte in einem Le-<br />

155


xem vereinigt werden. Es bietet sich an, das komplexe Wort in seine Be-<br />

standteile zu zerlegen und die Wortbildungskomponenten einzeln unter<br />

die Lupe zu nehmen. Das Determinativkompositum Herznote besteht<br />

aus dem Bestimmungswort (= Determinans) Herz und dem Grundwort (=<br />

Determinantum) Note.<br />

Zu Herz liest man bei Wahrig (1994):<br />

a) „(...) beim Menschen und bei verschiedenen Tiergruppen das zentrale An-<br />

triebsorgan <strong>des</strong> Blutkreislaufes (...);<br />

b) Sitz der Seele, Gefühle;<br />

c) Innerstes, Mittelpunkt;<br />

d) Farbe <strong>des</strong> dt. und frz. Kartenspiels; Sy [=Synonym] Coeur; Rot”<br />

(Wahrig 1994: 776).<br />

Analog zu Akkord und Fond ist auch Herz in den standardsprachlichen<br />

Erklärungen polysem. Es fällt auf, dass für sämtliche der bei Wahrig<br />

(1994) aufgeführten Lesarten assoziative Bezüge zum parfumspezifi-<br />

schen Kompositum Herznote nachgezeichnet werden können, über die<br />

die Motivation dieses Begriffes plausibel erklärt werden kann. Das Kon-<br />

zept <strong>des</strong> Herzens als „Sitz der Seele“ sowie der „Gefühle“, also als kör-<br />

perliches Korrelat eines mental-emotionalen Zustan<strong>des</strong>, bildet theore-<br />

tisch eine optimale Ausgangsbasis für eine assoziative Verknüpfung zwi-<br />

schen verschiedenen sinnlichen Erfahrungen, die mit Liebe gemeinhin<br />

assoziiert werden und sprichwörtlich das Herz höher schlagen lassen.<br />

<strong>Die</strong>s sind beispielweise der Anblick (visuell), die Bewegungen (kinästhe-<br />

tisch), die Stimme und andere Geräusche (auditiv), der Kuss (gustato-<br />

risch + olfaktorisch) und nicht zuletzt der allgemeine Körpergeruch<br />

der/<strong>des</strong> Geliebten, allesamt sinnlichen Spielarten von Intimität, die<br />

schließlich bei der Sexualität zusammenfließen können.<br />

Zu Note findet man bei Wahrig (1994) folgende Einträge:<br />

156


a) „Bemerkung, Anmerkung, (Fuß-);<br />

b) in Wort od. Zahl ausgedrückte Beurteilung, Zensur (Schul-);<br />

c) förml. schriftl. Mitteilung einer Regierung an eine andere;<br />

d) kurz für Banknote, Papiergeld;<br />

e) Schriftzeichen für einen Ton;<br />

f) Prägung, Eigenart“ (Wahrig 1994: 1152 f.).<br />

Während das Kompositum offensichtlich als nicht standardmäßig lexika-<br />

lisiert betrachtet werden kann, sind dies seine beiden Konstituenten sehr<br />

wohl. Man kann hier von einer diskursspezifischen Komposition spre-<br />

chen, bei dem sich der Werbetext einer Kombination konventioneller Le-<br />

xeme bedient, um ein diskursspezifisches kognitives Konzept sprachlich<br />

zu kodieren. <strong>Die</strong> Verwendung ‚normaler’ Wörter ist prinzipiell eine gute<br />

Voraussetzung, um eine analytische Dekodierung zu ermöglichen; eine<br />

bessere jedenfalls, als wenn beide Einzelkomponenten bereits unbe-<br />

kannt wären. Analytische Schritte scheinen jedenfalls nötig zu sein, denn<br />

intuitiv wird die Bedeutung von Herznote offensichtlich nicht erfasst, was<br />

folgende charakteristische AL-Kommentare belegen: „Mir unbekanntes<br />

Wort“ (AL-3/Boss); „?“ (AL-13/Boss); „Was ist eine Herznote? Wie unter-<br />

scheidet sie sich von der Kopfnote?“ (AL-15/Bogner).<br />

Es gibt noch diverse weitere Markierungen, die aber meist unkommen-<br />

tiert bleiben, was durch das wiederholte Auftauchen von Herznote in al-<br />

len drei Stichprobentexten verständlich ist.<br />

Kommentiert wird von allen AL jeweils das Kompositum als Ganzes. Es<br />

geht leider nicht aus den Kommentaren hervor, ob vielleicht auch die<br />

einzelnen Komponenten zu einer Kommentierung Anlass gegeben ha-<br />

ben. Innerhalb eines Determinativkompositums kommt dem Determina-<br />

tum typischerweise die semantisch dominante Rolle zu. Es wird, ähnlich<br />

dem Kern einer NGr, durch das Determinans lediglich semantisch modi-<br />

fiziert. Lapidar formuliert: eine Herznote ist in erster Linie eine Note, die<br />

etwas mit Herz im Sinne von Zentrum zu tun hat.<br />

Es könnte in Analogie zu der negativen Beurteilung von Akkord und in<br />

Kombination mit dem methodischen Aspekt der Synästhesie-Hypothese<br />

Folgen<strong>des</strong> zutreffen:<br />

157


Innerhalb der polysemen semantischen Struktur von Note gibt es keine<br />

Lesart, die originär für den Geruchsbereich reklamiert werden kann. <strong>Die</strong><br />

Paraphrasen bei Wahrig (1994) lassen sich gemäß ihres perzeptori-<br />

schen Potenzials vielmehr so fassen, wie es in Tabelle 17 dargestellt ist:<br />

Sememe zum Lemma Note Sinnesmodalität<br />

„Bemerkung, Anmerkung, (Fuß-);<br />

in Wort od. Zahl ausgedrückte Beurteilung, Zensur (Schul-);<br />

förml. schriftl. Mitteilung einer Regierung an eine andere;<br />

158<br />

visuell<br />

kurz für Banknote, Papiergeld; visuell/taktil<br />

Schriftzeichen für einen Ton; visuell/auditiv<br />

Prägung, Eigenart unspezifisch<br />

Tabelle 17: Das perzeptorische Potenzial von Note<br />

Aus der tabellarischen Strukturierung geht hervor, dass sich die musika-<br />

lische Lesart „Schriftzeichen für einen Ton” unmittelbar mit der sinnlichen<br />

Wahrnehmung in Zusammenhang bringen lässt, nämlich der auditiven<br />

Sinnesmodalität. Damit ist es legitim, die auditive Lesart als metaphori-<br />

schen Quellbereich für die synästhetische Übertragung in den Geruchs-<br />

bereich anzunehmen. Zwar zeigen die anderen Lesarten auch sensori-<br />

sche Qualitäten, können aber nicht plausibel mit der Olfaktorik in Verbin-<br />

dung gebracht werden. Weitere Indizien die auditive Lesart zu Grunde zu<br />

legen liefert der bereits diskutierte Fall Akkord als auditive Vokabel in ei-<br />

nem Parfumwerbetext. Im Falle der Fachvokabel Akkord ist der auditive<br />

Bezug für die Leser anscheinend offensichtlicher als bei Note, denn hier<br />

wird dieser nicht explizit als solcher thematisiert. Im Rückbezug auf die<br />

Ablehnung der AL beim synästhetischen Transfer von Akkord (Audition<br />

Olfaktorik) kann auch für Note angenommen werden, dass die stan-<br />

dardsprachlich konventionalisierte auditive Lesart Schriftzeichen für ei-<br />

nen Ton als erstes assoziiert wird, der referentielle Bezug zum Geruchs-<br />

bereich hingegen jedoch keinen Anklang beim Leser findet. <strong>Die</strong> Analyse<br />

<strong>des</strong> Determinatums liefert zumin<strong>des</strong>t eine plausible Erklärung, warum


Herznote von vielen AL als unangemessen wahrgenommen und kom-<br />

mentiert wird.<br />

<strong>Die</strong> Herz-Assoziation durch den Fachbegriff Herznote im Bereich <strong>des</strong><br />

<strong>Parfums</strong> zu etablieren, hat vermutlich den Hintergrund, den Parfumduft<br />

mit Sinnlichkeit und/oder Sexualität zu verbinden. Und dieser Zusam-<br />

menhang ist zudem noch physiologisch nachweisbar, denn der enge<br />

neurale Bezug zwischen Geruchsreizen und emotionalen Prozessen<br />

wurde bereits im Theorieteil ausführlich thematisiert (vgl. die Ausführun-<br />

gen in 1.3.1.1. ff. zur Funktion <strong>des</strong> limbischen Systems).<br />

Das Problem, das allerdings bei der Analyse <strong>des</strong> AL auftaucht, ist, dass<br />

viele Leser die synästhetische Verknüpfung von Herz und Olfaktorik in<br />

der verbalen Konstruktion eines Kompositums nicht akzeptieren. Denn<br />

aus den Kommentaren geht – wiederum analog zu Akkord und Fond –<br />

hervor, dass der Quasi-Neologismus Unverständnis erzeugt und eher als<br />

negativ (= unangemessen), denn als positiv (= angemessen) empfunden<br />

wird. Denkbare Kommentare wie ‚originelle Kombination’, ‚weckt ange-<br />

nehme Assoziationen’ oder ‚cooles Wort’ fehlen.<br />

Zum Problem der Akzeptanz im Neologismusprozess weist Helfrich<br />

(1993) auf Folgen<strong>des</strong> hin:<br />

„Von grundlegender und weitreichender Relevanz für den Neologismusprozeß<br />

ist die Tatsache, daß sprachliche Phänomene der Bewertung der Sprecher<br />

unterliegen, die damit aktiv (in der Rolle als Sprachbenutzer) oder passiv (in<br />

der Rolle als Sprachrezipienten) in Berührung kommen. Solche Bewertungen<br />

kommen zustande durch die Einstellungen, die das Sprachbewußtsein der<br />

Sprecher prägen. Somit stellt sich <strong>Sprache</strong> als Einstellungsobjekt heraus“<br />

(Helfrich 1993: 32 f.).<br />

Das parfumistische Konzept Herznote ist innerhalb <strong>des</strong> Parfumdiskurs<br />

weder neu noch originell und kann <strong>des</strong>halb nicht als Ad-Hoc-<br />

Kompositum betrachtet werden. Motsch (1999) macht auf eine interes-<br />

sante Aufspaltung <strong>des</strong> Begriffes Neologismus aufmerksam. Er bezeich-<br />

net zunächst „wiederholt in unterschiedlichen Texten vorkommende Bil-<br />

dungen, die in weiter zurückliegenden Texten und Wörterbüchern nicht<br />

zu finden sind, [als] (...) Neubildungen. Eine Beantwortung der Frage, ob<br />

159


Neubildungen Neologismen sind, d.h. neue Lexikoneinheiten oder nur<br />

Textwörter, d.h. ad hoc für die Zwecke eines Textes gebildet sind“<br />

(Motsch 1999: 19) ist wahrscheinlich selten eindeutig zu klären (vgl.<br />

auch Motsch 1983: 106 ff. und Angele 1992: 41 ff.).<br />

Obwohl auf kognitiver Ebene sowohl mit Herz als auch mit Note allerlei<br />

assoziiert werden kann, ist die konzeptionelle Amalgamierung beider En-<br />

titäten (noch) blockiert. Sie hat offenbar (noch) keinen Zugang in ein all-<br />

tägliches Verständnis gefunden, geschweige denn auf der Ebene der<br />

Versprachlichung in das etablierte Lexikon. Anders formuliert: Dem theo-<br />

retisch denkbaren Konzept Herznote entspricht in der Alltagskommunika-<br />

tion weder ein Signifiant noch ein Signifié. Es hat nicht den Status eines<br />

sprachlichen Zeichens, obwohl das Zeichenpotenzial deutlich herausge-<br />

arbeitet wurde.<br />

Und die Frage, ob die ablehnende Aufmerksamkeit, die Herznote hier bei<br />

vielen AL erzeugt, den Textproduzenten gleichgültig ist oder sogar beab-<br />

sichtigt war, kann hier nicht beantwortet werden. <strong>Die</strong> AL-Erhebung stellt<br />

jedenfalls als beobachtbare Tatsache heraus, dass Herznote häufig mo-<br />

niert wird und die anschließende analytische Deskription kann als hypo-<br />

thetische Erklärung anbieten, dass der (synästhetische) Transfer von der<br />

Fachsprache der Parfumeure zur Standardsprache <strong>des</strong> potenziellen<br />

Konsumenten bezogen auf das Moment <strong>des</strong> Informierens über das Pro-<br />

dukt nicht gelungen ist.<br />

Folgende Ergebnisse der exemplarischen Feinanalyse <strong>des</strong> Fachvokabu-<br />

lars Parfum sind thesenhaft formuliert festzuhalten:<br />

<strong>Die</strong> Fachbegriffe sind auffallend oft markiert worden.<br />

Sie sind entweder unbekannt oder werden als unpassend für einen<br />

Parfumwerbetext empfunden (beim Kommentar von AL-25 liegt<br />

sogar eine interessante, aber als marginal zu wertende Verwechs-<br />

lung mit dem Wort Fonds = Finanztopf vor).<br />

<strong>Die</strong> Texte gehen bei der Verwendung parfumspezifischer Fachter-<br />

mini ein kommunikatives Risiko ein. Entweder ist den Textprodu-<br />

zenten das Risiko der Abneigung durch Unverständnis nicht be-<br />

wusst – dann ist die Rezipientenseite <strong>des</strong> Kommunikationsprozes-<br />

160


ses nicht ausreichend berücksichtigt worden und die Texte können<br />

als unreflektiert geschrieben gelten. Oder der Text zielt mit den<br />

markanten Fachbegriffen gar nicht auf das verständliche Kommu-<br />

nizieren einer Information, dann muss eine andere Motivation an-<br />

genommen werden, die nicht mit der referentiellen Sprachfunktion<br />

korreliert.<br />

3.5. Extrapolation <strong>des</strong> Fachvokabulars Parfum<br />

<strong>Die</strong> Extrapolation gegen das Gesamtkorpus verfolgt den Zweck zu über-<br />

prüfen, ob der synästhetische Charakter dieser Fachvokabeln, den die<br />

Stichprobenanalyse herausgestellt hat, durch einen Blick auf das Ge-<br />

samtkorpus quantitativ zu erhärten und damit zu verifizieren ist oder ob<br />

der Stichprobeneindruck revidiert werden muss. Es wird dabei folgen-<br />

dermaßen verfahren, wobei die drei bereits diskutierten Fachvokabeln<br />

Akkord, Fond, Herznote als Ausgangsbasis dienen:<br />

Es werden aus den duftbeschreibenden Sequenzen <strong>des</strong> Gesamtkorpus<br />

zunächst alle Synonyme der Stichproben-Fachbegriffe extrahiert. <strong>Die</strong><br />

Synonyme werden zunächst in einer tabellarischen Übersicht in der Rei-<br />

henfolge ihres Auftretens im Korpus dargestellt. Dann wird versucht mit-<br />

tels einer <strong>des</strong>kriptiven Analyse zwei Fragen zu klären, die einerseits die<br />

Kommentare der AL-Befragung, andererseits die theoretischen Prämis-<br />

sen dieser Arbeit nahe legen:<br />

Sind die durch die Extrapolation gewonnen Synonyme in ähnlicher<br />

Weise unkonventionell oder sogar als (Quasi-)Neologismen zu<br />

werten, so dass sie als äquivalent zu den in der Stichprobe mar-<br />

kierten Fachvokabeln gelten können?<br />

Können die Synonyme (zumin<strong>des</strong>t tendenziell) als synästhetisch<br />

motivierte Lexeme betrachtet werden, das heißt ist ihnen eine<br />

nicht-olfaktorische Sinnesmodalität zuzuordnen, die als metaphori-<br />

scher Quellbereich gelten kann?<br />

161


Beide Fragen zusammen werden dann vor dem theoretisch-<br />

poetologischen Hintergrund auf ihre poetische Relevanz hin überprüft<br />

und dabei mit dem Riffaterreschen Kontext-Begriff sowie dem sich daran<br />

anschließenden Riffaterreschen Begriff <strong>des</strong> stilistischen Verfahrens und<br />

in Zusammenhang gebracht.<br />

3.5.1. Synonyme der Fachbegriffe Akkord, Fond, Herznote im Ge-<br />

samtkorpus<br />

Damit die Klassifizierung der extrahierten Lexeme aus dem Gesamtkor-<br />

pus als Synonyme für den Leser überprüfbar bleibt, seien hier nochmals<br />

die einschlägigen Definitionen zu Akkord, Fond und Herznote aus dem<br />

Parfumbuch der Edition Haarman & Reimer (Müller 1991) aufgeführt.<br />

„Akkorde entstehen durch das Zusammenfügen verschiedener Einzelgerüche,<br />

die zu neuen Duftbildern verschmelzen. <strong>Die</strong> Anzahl der eingesetzten Ingre-<br />

dienzien kann von zwei bis zu mehreren hunderten reichen. Einfache und<br />

komplexe Akkorde werden als Bausteine für Parfümkompositionen verwendet“<br />

(Müller 1991: 66).<br />

„Basisnote [= Fond] ist der dritte und letzte Teil <strong>des</strong> Duftablaufs eines Parfüms.<br />

Sie enthält die langhaftenden Bestandteile, wie z.B. Hölzer, Resine, animali-<br />

sche und kristalline Substanzen. In schweren Parfüms (Chypre und orientali-<br />

sche Noten) ist die Basisnote so stark betont, daß sie bereits im Angeruch<br />

typprägend wirkt“ (Müller 1991: 67).<br />

„Herznote ist die zweite, mittlere Phase <strong>des</strong> Duftablaufs eines Parfüms nach<br />

dem Abklingen der Kopfnote. Sie wird vorwiegend von blumigen, würzigen o-<br />

der holzigen Komponenten geprägt und bildet, wie der Name sagt, das Herz-<br />

stück <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>“ (Müller 1991: 70).<br />

<strong>Die</strong> folgende Tabelle zeigt diejenigen Substantive aus dem Gesamtkor-<br />

pus, die synonym sind mit den drei Fachbegriffen aus dem Stichproben-<br />

korpus Es werden gemäß den Vorgaben <strong>des</strong> AL nur Substantive einbe-<br />

zogen, obwohl die abstrakten Konzepte sprachlich auch mittels anderer<br />

Wortarten repräsentiert werden könnten. <strong>Die</strong> Zahlen in Klammern geben<br />

162


die Häufigkeit der Substantive im Gesamtkorpus an; keine Zahl bedeutet<br />

einmaliges Vorkommen.<br />

Akkord/e (6) Fond (17) Herznote (24)<br />

Verbindung (6) Basis (3) Herz/Herzen (15)<br />

Kombination (6) Schlussakkord Herz-Kopf-Note<br />

Bouquet (5) Finish Zwischentöne<br />

Komposition (11) Grundnote (2)<br />

Harmonie (9) Basisnote (9)<br />

Provence-Akkord Ausklang (3)<br />

Klänge Vollendung<br />

Tonalitäten Abschluß<br />

Zusammenspiel (2)<br />

Gewürzakkord<br />

Mischung<br />

Apfelakkord<br />

Duftbouquet<br />

Spannungsbogen<br />

Zedernholz-Akkord<br />

Duftakkord<br />

Einklang (3)<br />

Zitrusmischung<br />

Holzkomplexe<br />

Tabelle 18: Synonyme zu Akkord, Fond und Herznote aus dem Gesamtkorpus<br />

163


3.5.2. Fachvokabeln als synästhetisch motivierte Neologismen<br />

Ein genereller Trend in den Kommentaren der Probanden bezüglich <strong>des</strong><br />

Stichprobenkorpus war die Unbekanntheit, Unangemessenheit oder Un-<br />

verständlichkeit der verwendeten Fachbegriffe. <strong>Die</strong>s ist möglicherweise<br />

dadurch zu erklären, dass es sich bei den Fachbegriffen um speziell für<br />

den Parfumbereich kreierte Neuwörter handelt, die dem AL nicht oder<br />

nicht ausreichend bekannt sind. Explizit wird der Fachterminus Neolo-<br />

gismus sogar von AL-1 im Text zu Bogner-Snow genannt, und zwar be-<br />

züglich der NGr geeiste Mandarine: „Geeist (Neologismus?)”. Es soll da-<br />

her geprüft, ob sich der Neologismus-Verdacht durch den extrapolierten<br />

Datensatz erhärten lässt.<br />

Der Begriff Neologismus als wissenschaftliche Größe ist allerdings nicht<br />

unproblematisch. Mit ihm wird ein „neu gebildeter sprachlicher Ausdruck<br />

(Wort oder Wendung)“ bezeichnet, „der zumin<strong>des</strong>t von einem Teil der<br />

Sprachgemeinschaft, wenn nicht im allgemeinen, als bekannt empfun-<br />

den wird“ (Bußmann 3 2002: 463). Ein Neologismus dient demnach „zur<br />

Bezeichnung neuer Sachverhalte, sei es in Technik oder Industrie, oder<br />

neuer Konzepte etwa in Politik, Kultur oder Wissenschaft“ (ibidem).<br />

Im Grammatik-Duden (Duden 6 1998) werden Neologismen paraphrasiert<br />

als „Neuwörter (...), die zu einem bestimmten Zeitpunkt in Gebrauch ge-<br />

nommen und von der Sprachgemeinschaft als ‚neu’ empfunden werden“<br />

(Duden 6 1998: 604).<br />

Der Blick der beiden zitierten Standardnachschlagewerke kommt offen-<br />

sichtlich aus verschiedenen Richtungen. Während ein Neologismus laut<br />

Bußmann ( 3 2002) zumin<strong>des</strong>t von einem Teil der Sprachgemeinschaft als<br />

„bekannt“ empfunden wird, betont der Grammati-Duden, dass neu in<br />

Gebrauch kommende Wörter auch als „neu“ im Sinne von relativ unbe-<br />

kannt wahrgenommen werden (Duden 6 1998: 604). Es ist allerdings un-<br />

nötig spitzfindig zu diskutieren, ob als Neologismen zu wertende lexikali-<br />

sche Einheiten als relativ bekannt oder relativ unbekannt bezeichnet<br />

werden. Eines gilt in jedem Fall für das Phänomen <strong>des</strong> Neologismus,<br />

gleichgültig von welcher Seite – relative Bekanntheit oder Unbekanntheit<br />

164


– man es betrachtet: Neologismen sind keine mehr oder weniger signifi-<br />

kantenseitig willkürlich neu zusammengepuzzelten Phonemsequenzen.<br />

Es ist vielmehr als generelles Kriterium festzuhalten, dass im Falle eines<br />

Neologismus ein „neuer Sachverhalt“ (Bußmann 3 2002: 463) durch einen<br />

nicht-konventionalisierten sprachlichen Ausdruck bezeichnet wird. An-<br />

ders formuliert:<br />

„Aus lexikologischer Sicht wird unter einem Neologismus ein Neuzugang im<br />

Lexikon verstanden“ (Helfrich 1993: 9).<br />

Etwas ausführlicher formuliert, kann man sagen, dass ein – wodurch<br />

auch immer – neu entstandenes kognitives Konzept oder Signifié vor-<br />

sätzlich mit einer neu konstruierten oder umgewidmeten Ausdrucksseite<br />

versehen wird. <strong>Die</strong>ses neu konzipierte sprachliche Zeichen erweitert das<br />

Sprachsystem um ein Element, wobei eine durch ein neu zu benennen-<br />

<strong>des</strong> Signifié entstandene Lücke im mentalen individuellen und kollektiven<br />

Lexikon durch ein halbvertrautes Signifiant geschlossen wird. Bei dem<br />

Phänomen <strong>des</strong> Neologismus treffen also notwendig Bekannte (Altes)<br />

und Unbekanntes (Neues) zusammen. Unbekannt oder unvertraut ist<br />

das neue mentale Konzept, (teilweise) bekannt hingegen die sprachliche<br />

Form, beziehungsweise im Falle komplexer Sprachformen deren Konsti-<br />

tuenten. Im Französischen gibt es eine schöne lexikalische Unterschei-<br />

dung zwischen absoluter und relativer Neuheit. <strong>Die</strong>se Differenz wird mar-<br />

kiert durch die Adjektive nouveau (ungebraucht, noch nicht da gewesen)<br />

vs. neuf (neuzeitlich, modern) (vgl. (Lange-Kowal 1982: 936). In diesem<br />

Sinne ist formal betrachtet ein Neologismus neuf, aber nicht nouveau.<br />

<strong>Die</strong> Verwendung <strong>des</strong> Verbs empfinden in den beiden obigen Definitionen<br />

macht überdies deutlich, dass es offenkundig keine objektive Instanz<br />

gibt, die festlegt, ob ein Wort oder eine Wendung als Neologismus zu<br />

betrachten ist oder aber als etablierte und damit lexikalisierte Einheit <strong>des</strong><br />

Wortschatzes einer <strong>Sprache</strong>.<br />

Wenn eine Fachsprache, wie hier die Fachsprache der Parfumeure,<br />

neue Lexeme für neue oder scheinbar neue Inhalte einführt, besteht im-<br />

mer die Gefahr, dass die Fachvokabeln sich als Barriere <strong>des</strong> allgemei-<br />

nen Verstehens entpuppen (vgl. Fluck 5 1996: 34). <strong>Die</strong>ses Problem tritt<br />

165


offensichtlich hier auf, da die Werbesprache Fachtermini benutzt, die<br />

zwar für Fachleute stabile Einheiten <strong>des</strong> Fachwortschatzes bilden, für<br />

den Laien, der die Werbung rezipiert, allerdings als Neologismen er-<br />

scheinen. Morgenroth (2000) attestiert der Werbung sogar einen pau-<br />

schalen Missbrauch fachsprachlichen Vokabulars, wenn er behauptet,<br />

dass „Fachvokabular vielfach zur Manipulation der Adressaten einge-<br />

setzt [wird], was auf die von wissenschaftlich bzw. pseudowissenschaft-<br />

lich fundierten Aussagen ausgehende ‚Persuasionskraft’ zurückzuführen<br />

sei. Werbung missbraucht also Fachsprache für ihre Zwecke. Fachspra-<br />

che wird als ‚Dekorum’ eingesetzt“ (Morgenroth 2000: 38).<br />

Link (1996) stellt eine Verbindung zwischen Neologismus und Fremdwort<br />

her, der als typisch gelten kann für die <strong>Sprache</strong> der Werbung. Fach-<br />

sprachliche Fremdwörter sind der Autorin zufolge „(...) offensichlich we-<br />

der fest eingebürgert noch sind sie (...) einfach irgendwelche Neologis-<br />

men, sondern (...) Augenblicksbildungen (...) für den speziellen Textzu-<br />

sammenhang“ (Link 1996: 34).<br />

Bei Fleischer/Barz ( 2 1995) liest man zur Wortschatzerweiterung bezie-<br />

hungsweise zur Wortbildung mit fremdelementen Folgen<strong>des</strong>:<br />

„Der Fremdwortschatz <strong>des</strong> Deutschen entsteht auf zweierlei Weise: durch Ent-<br />

lehnung ‚fertiger’ Wörter und durch die Bildung mit Fremdelementen innerhalb<br />

<strong>des</strong> Deutschen“ (Fleischer/Barz 2 1995: 61).<br />

Zudem weisen sie auf die Schwierigkeit hin, dass „beide Verfahren (...)<br />

im Einzelfall nicht immer auseinanderzuhalten“ sind (ibidem; vgl. zur<br />

Lehnwortbildung auch Kirkness 1987: 9 ff. sowie Hoppe 1987: 103 ff.).<br />

Es liegen jedenfalls für diese Untersuchung authentische Sprachdaten<br />

vor, die die Leserempfindungen zu potenziell als Neologismen zu be-<br />

trachtenden Lexemen widerspiegeln. <strong>Die</strong>se Leserdaten sind als Bottom-<br />

up-Phänomen eine hinreichende Legitimation für eine Bewertung der zur<br />

Verhandlung stehenden Fachbegriffe <strong>des</strong> Parfumdiskurses als Neolo-<br />

gismen.<br />

Man kann zunächst in formaler Hinsicht drei Arten von Neologismus-<br />

Typen unterscheiden, wobei ich der Klassifikation von Bußmann ( 3 2002)<br />

folge, weil sie Subkategorien aufführt, die für diese Arbeit plausibel und<br />

166


pragmatisch sind. Außerdem erscheinen sie auf angenehme Weise klar<br />

und transparent.<br />

Sprachprozesse zur Erzeugung von Neologismen<br />

A Neue Ausdrücke auf der Basis vorhandener morphologischer Wortbildungsre-<br />

geln<br />

B Bedeutungsübertragungen<br />

C Entlehnungen aus anderen <strong>Sprache</strong>n<br />

Tabelle 19: Verschiedene Sprachprozesse zur Erzeugung von Neologismen<br />

(nach Bußmann 3 2000: 463)<br />

Gemäß dieser verfeinerten Subklassifizierung kann man die drei Fach-<br />

begriffe der AL-Stichprobe den drei Neologismus-Typen zuordnen, wie<br />

es in Tabelle 20 geschieht. Sie gibt das Muster ab für die darauf folgen-<br />

de Zuordnung der extrapolierten Daten.<br />

Lexem Neologismus-Typ<br />

Akkord C<br />

Fond C<br />

Herznote A/B<br />

Tabelle 20: Zuordnung der Fachbegriffe der AL-Stichprobe zu den drei Neolo-<br />

gismus-Typen<br />

Bei Akkord und Fond handelt es sich um Lexeme, die aus dem Franzö-<br />

sischen entlehnt sind. Bei Herznote muss man zwei Mechanismen an-<br />

nehmen, zum Einen ist es als Kompositum morphologisch neu kon-<br />

struiert (Typ A), zum Anderen handelt es sich um eine synästhetische<br />

Übertragung aus dem auditiven in den olfaktorischen Bereich (Typ B).<br />

<strong>Die</strong> folgende Tabelle ist eine Erweiterung der vorigen. Sie zeigt die Zu-<br />

ordnung der Synonyme der Muster-Fachbegriffe zu den Subklassen A, B<br />

und C <strong>des</strong> Begriffs Neologismus. <strong>Die</strong> Zahlen in Klammern geben die Auf-<br />

tretenshäufigkeit innerhalb <strong>des</strong> Gesamtkorpus an.<br />

167


Akkord/e (6) Typ Fond (17) Typ Herznote (24) Typ<br />

Verbindung (6) B Basis (3) B Herz (15) B<br />

Kombination (6) B Schlussakkord (1) A/B/C Herz-Kopf-<br />

168<br />

Note (1)<br />

Bouquet (5) C Finish (1) C Zwischentöne<br />

Komposition (11) B Grundnote (2) A/B<br />

Harmonie (9) B Basisnote (9) A/B<br />

Provence-Akkord (1) A/B/C Ausklang (3) B<br />

Klänge (1) B Vollendung (1) B<br />

Tonalitäten (1) B Abschluß (1) B<br />

Zusammenspiel (2) B<br />

Gewürzakkord (1) A/B/C<br />

Mischung (1) B<br />

Apfelakkord (1) A/B/C<br />

Duftbouquet (1) A/B/C<br />

Spannungsbogen (1) B<br />

Zedernholz-Akkord (1) A/B/C<br />

Duftakkord (1) A/B/C<br />

Einklang (3) B<br />

Zitrusmischung (1) A<br />

Holzkomplexe (1) A<br />

Tabelle 21: Zuordnung der Fachbegriffe <strong>des</strong> Gesamtkorpus zu den drei Neolo-<br />

gismus-Typen<br />

(1)<br />

A/B<br />

A/B


Folgende Ergebnisse können aus dieser Tabelle entnommen werden.<br />

Insgesamt lassen sich im Gesamtkorpus 30 Lexeme finden, die als syn-<br />

onym zu den drei Muster-Fachbegriffen zu betrachten sind und damit als<br />

potenzielle Neologismen in Frage kommen. Bei der Zuordnung fällt auf,<br />

dass sich viele der 30 Lexeme nicht eindeutig einem Neologismus-Typ<br />

zuordnen lassen, sondern semantische und morphologische Merkmale<br />

aufweisen, die eine Mehrfachzuordnung notwendig machen. <strong>Die</strong> quanti-<br />

tative Verteilung der Zuordnungen ist in Tabelle 22 dargestellt.<br />

Neologismus-Typ Zahl der Lexeme<br />

Typ A 2<br />

Typ B 15<br />

Typ C 2<br />

Typ A/B 4<br />

Typ A/B/C 7<br />

Tabelle 22: Quantitative Verteilung der Neologismus-Typen<br />

Es können aus Platzgründen nicht alle Synonyme einzeln diskutiert wer-<br />

den, sondern es werden nacheinander die fünf Klassen besprochen, die<br />

sich bei der Zuordnung ergeben haben.<br />

Typ A<br />

Als Typ A wurden klassifiziert Zitrusmischung und Holzkomplexe.<br />

<strong>Die</strong> Konstituenten der beiden Komposita sind normalsprachlich bekannt.<br />

Das Determinatum –komplexe ist ein Fremdwort. Beide Komposita sind<br />

nicht in anderen Kontexten gebräuchlich, das heißt sie sind speziell für<br />

den Gebrauch in einem Parfumwerbetext kreiert worden. Daher können<br />

sie als Ad-hoc-Bildungen verstanden werden.<br />

169


Typ B<br />

Der Neologismus-Typ B wird bei Bußmann ( 3 2002) als „Übertragung“<br />

(Bußmann 3 2002: 463) bezeichnet. Man kann genauso gut von einem<br />

metaphorisch verwendeten Ausdruck sprechen. Bei der analytischen<br />

Rekonstruktion eines metaphorischen Ausdrucks sind immer die Fragen<br />

zu klären, was wohin übertragen wurde und wie es kommt, dass der me-<br />

taphorische Ausdruck verstanden wird (oder vielleicht auch nicht). An-<br />

knüpfend an die im Theorieteil ausgeführte Metaphorik-Konzeption von<br />

Lakoff/Johnson (1980) kann gefragt werden, was im Falle eines meta-<br />

phorischen Ausdrucks als Quellbereich und was als Zielbereich identifi-<br />

ziert werden kann? Was ist, anders formuliert, als tertium comparationis<br />

herauszuarbeiten, das die Übertragung vom Quell- zum Zielbereich legi-<br />

timiert und damit dem metaphorischen Ausdruck zur rezipientenseitigen<br />

Akzeptanz verhilft.<br />

<strong>Die</strong> folgende Auflistung zeigt, dass es sich bei der Neologismus-<br />

Kategorie Übertragungen zu einem überwiegenden Teil um Lexeme<br />

handelt, deren metaphorischer Quellbereich keiner konkreten Sinnes-<br />

modalität zugeordnet werden kann:<br />

Herz, Basis, Verbindung, Kombination, Mischung, Spannungsbogen,<br />

Vollendung, Abschluß, Zusammenspiel.<br />

Es handelt sich um abstrakte Substantive, die aus anderen Kontexten<br />

bekannt sind und ohne perzeptorische Motivation in den Geruchsbe-<br />

reich übertragen wurden. Daher können sie nicht als sprachlich-<br />

synästhetisch gelten.<br />

Bei den anderen Lexemen <strong>des</strong> Typs B jedoch handelt es sich um Über-<br />

tragungen aus dem Bereich der Musik. Bezogen auf die menschliche<br />

Sinneswahrnehmung heißt dies naturgemäß, dass nur die auditive Mo-<br />

dalität als originärer Perzeptionsbereich in Frage kommt. <strong>Die</strong>s trifft für<br />

folgende sechs Lexeme zu:<br />

Komposition, Klänge, Tonalitäten, Einklang, Ausklang, Harmonie.<br />

Wie sich bereits in der Stichprobenanalyse abzeichnete, kann auch in-<br />

nerhalb der Übertragungs-Neologismen <strong>des</strong> extrapolierten Datensatzes<br />

170


zumin<strong>des</strong>t tendenziell das sprachliche Phänomen der Synästhesie<br />

nachgewiesen werden. Dabei zeigt sich deutlich, dass der auditiven Sin-<br />

nesmodalität als metaphorischem Quellbereich die Hauptrolle zukommt.<br />

Es kann trotz der Einschränkung, dass es sich bei der Extrapolation um<br />

ein induktives Verfahren handelt, schlussgefolgert werden, dass der Im-<br />

port originär auditiver Lexeme in den Geruchsbereich nicht nur punktuell<br />

auftaucht, sondern als sprachlich-synästhetisches Strukturmotiv gewertet<br />

werden muss, das für Beschreibungen von <strong>Parfums</strong> als konstitutiv gelten<br />

kann.<br />

Typ C<br />

Bei Finish und Bouquet handelt es sich um Entlehnungen aus dem Eng-<br />

lischen beziehungsweise dem Französischen.<br />

Typ A/Typ B<br />

<strong>Die</strong> Komposita Grundnote, Basisnote, Herz-Kopf-Note, Zwischentöne<br />

wurden zusätzlich zu Typ A noch als Typ B klassifiziert, weil ihre Grund-<br />

wörter originär auditiv sind und daher als synästhetische Übertragungen<br />

gelten müssen.<br />

Typ A/B/C<br />

<strong>Die</strong> Kombination TypA/B/C ist komplizierter zu beschreiben und die Zu-<br />

ordnungen sind durchaus problematisch und uneindeutig. Während die<br />

metaphorischen Ausdrücke <strong>des</strong> Typs B morphologisch als Simplizia er-<br />

scheinen, haben wir es hier bei sämtlichen Lexemen mit Substantivkom-<br />

posita zu tun (vgl. zur Typologie der Substantivkomposita Ortner et al.:<br />

1991: 146 ff.).<br />

171


Bei den Lexemen Provence-Akkord, Duftbouquet, Zedernholz-Akkord,<br />

Duftakkord, Gewürzakkord, Apfelakkord und Schlussakkord können alle<br />

drei Entstehungsmechanismen beobachtet werden. <strong>Die</strong> komplexen Wör-<br />

ter enthalten als Grundwörter entlehnte Lexeme (Akkord, Bouquet), die<br />

im Falle von Akkord zudem noch originär auditiver Natur sind.<br />

Obwohl den Lexemen, denen zur Gänze oder anteilig der Neologismus-<br />

Typs B attestiert wurde, synästhetische Motivation nachgewiesen wer-<br />

den konnte, ist deren Plausibilität für den Leser keineswegs eindeutig<br />

geklärt. <strong>Die</strong> strukturelle Übertragung auditiver Lexeme in den Geruchs-<br />

bereich scheint intuitiv keineswegs immer eingängig. Man kann jederzeit<br />

lapidar einwenden: Wie kann man ein Parfum hören? Was hat ein so<br />

genannter Schlussakkord oder Ausklang, den man von einem Musik-<br />

stück kennt, mit dem Schlussakkord eines eines <strong>Parfums</strong> zu tun? Mögli-<br />

cherweise kann ein mikroskopischer Blick auf das Substantiv Klang Auf-<br />

schluss über Analogien zwischen Audition und Olfaktorik geben.<br />

Klang (oder die Pluralform Klänge) wird in Parfumwerbetexten häufiger<br />

verwendet, vor allem als Basismorphem der Derivation Ausklang.<br />

Klang/Ausklang ist dem metaphorischen Neologismus-Typ B zuzurech-<br />

nen und steht in einer Synonymierelation zu Akkord(e).<br />

Ein Klang ist in Meyers dreibändigem Lexikon (Meyer 1995) definiert als<br />

„ein Gemisch aus Tönen, bei dem die Frequenzen der einzelnen Töne<br />

ganzzahlige Vielfache (Obertöne) der Frequenzen <strong>des</strong> tiefsten im K.<br />

vorhandenen Tones (Grundton) sind. Anzahl und Stärke der Obertöne<br />

gibt jedem K. eine charakterist. Klangfarbe“ (Meyer 1995: 488).<br />

Tabelle 23 isoliert die zentralen Paraphrasen aus der Lexikondefinition<br />

von Klang (= Wahrnehmungsmodalität Audition) und stellt sie unter<br />

Verwendung parfumspezifischer Ausdrücke dem Geruchsbereich (=<br />

Wahrnehmungsmodalität Olfaktorik) gegenüber:<br />

172


Audition Olfaktorik<br />

Gemisch aus Tönen Gemisch aus Duftnoten<br />

Frequenzen der Töne Geruchsqualitäten der einzelnen Duft-<br />

173<br />

komponenten/-substanzen (Zitrone, Zimt<br />

etc.)<br />

Grundton Grund-/Basisnote, Fond<br />

Anzahl und Stärke der Obertöne Intensität der einzelnen Duftkomponen-<br />

ten/-Substanzen<br />

Klangfarbe Duftkomposition/Duftbild<br />

Tabelle 23: Paraphrasen zu Klang und <strong>des</strong>sen Transfer in den Bereich der Ol-<br />

faktorik<br />

<strong>Die</strong> Darstellung eignet sich dazu, abstrahiert von einem bestimmten Par-<br />

fum mit bestimmten Geruchsqualitäten, durchschaubar zu machen, dass<br />

und wie der Transfer Audition Olfaktorik verbal organisiert werden<br />

kann. <strong>Die</strong> Frage der legitimen Motivation dieses Manövers ist <strong>des</strong>kriptiv<br />

jedoch nicht eindeutig zu beantworten. Sie kann nur hypothetisch beant-<br />

wortet werden und dies meiner Meinung nach auf zwei Arten.<br />

Entweder man nimmt dann an, dass gar keine legitime Verbindung zwi-<br />

schen Audition und Olfaktorik besteht. Dann wäre die Schlussfolgerung,<br />

dass es sich bei dem synästhetischen Transfer um eine bloße Setzung,<br />

eine arbiträre Zusammenstellung gewisser, möglicherweise gut klingen-<br />

der, Wörter handelt, denen jeder referentielle Charakter abgeht, die also<br />

mit olfaktorischen Qualitäten gar nichts zu tun haben. Eine weitere Dis-<br />

kussion würde sich an diesem Punkt erübrigen.<br />

Oder man nimmt wohlwollend an, dass es sehr wohl eine legitime Ver-<br />

bindung, gewissermaßen eine Verwandschaft, zwischen Audition und<br />

Olfaktorik gibt, die den synästhetischen Transfer ermöglicht. <strong>Die</strong>se Ver-<br />

bindung wäre dann im weiteren Sinne als ikonisch zu bezeichnen, da sie<br />

eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen auditiven und olfaktorischen Wahr-<br />

nehmungsprozessen sowie deren Versprachlichung postuliert, wie dies<br />

durch die Paraphrasen in Tabelle 23 aufgezeigt wurde. Da sich die Ähn-


lichkeit zwischen Audition und Olfaktorik allerdings auf einem hohen<br />

Abstraktionsniveau bewegt, sind für die Entschlüsselung ein hoher intel-<br />

lektueller Energieaufwand und viel kreative Intelligenz auf Seiten <strong>des</strong><br />

Rezipienten nötig. Dann wäre die Schlussfolgerung, dass sprachliche<br />

Synästhesie als ikonischer Zeichenprozess im Allgemeinen und der<br />

Transfer Audition Olfaktorik im Besonderen durchaus adäquate<br />

sprachliche Strategeme sind, um der Beschreibung von Geruchseigen-<br />

schaften in origineller, wenngleich unpräziser Weise näher zu kommen.<br />

3.5.3. Fachvokabeln und ihre kommunikative Funktion<br />

Dass ungewöhnliche Wortkreationen in Werbetexten häufig vorkommen,<br />

ist sicherlich eine triviale Behauptung, die Jeder, der auf Werbungen<br />

achtet, bestätigen kann. <strong>Die</strong>se sprachtaktischen Manöver sollen im Ide-<br />

alfall informieren und Aufmerksamkeit erregen. Aufmerksamkeit erregen<br />

sie auch, wie die zahlreichen Markierungen der Leser tendenziell signali-<br />

sieren. Allerdings ist die durchweg negative Reaktion auf die Fachvoka-<br />

beln sehr auffällig.<br />

<strong>Die</strong> Extrapolation hat das tendenzielle Unverständnis gegenüber synäs-<br />

thetischen Fachbegriffen, das sich bei der Stichprobenanalyse bereits<br />

abzeichnete, bestätigt. Daraus kann geschlossen werden, dass der refe-<br />

rentiellen Sprachfunktion im Bezug auf die Fachvokabeln nicht die domi-<br />

nante Rolle im Kommunikationsprozess zukommen kann. <strong>Die</strong> Texte in-<br />

formieren nicht. Der der referentiellen Funktion korrelierende Kommuni-<br />

kationsfaktor Kontext entpuppt sich im Falle der Olfaktorik als Makulatur.<br />

Auch sämtliche synästhetisch inszenierten Ersatzschauplätze, inklusive<br />

dem der hochgradig frequenten und für die Parfumwerbung offensichtlich<br />

typischen Bereich der Audition, eignen sich nach Meinung der AL nicht,<br />

um alternative Referenzdomänen abzugeben.<br />

<strong>Die</strong> konative Funktion, deren suggestive Sub-Botschaft ‚Kauf mich, denn<br />

ich bin gut!’ jedem Werbetext zwar implizit ist, kann als Erklärung für die<br />

Fachvokabeln ebenfalls nicht herhalten. Ein offensichtlich appellhafter<br />

174


Charakter kann nicht festgestellt werden und die Diagnose der impliziten<br />

Kaufaufforderung ist banal. Man muss vielmehr eher befürchten, dass<br />

das Blindgehen der Referenz der parfumistischen Fachtermini einen<br />

kontraproduktiven Effekt auf den naturgemäß intendierten Kaufappell<br />

hat. Es könnte nämlich sein, dass der Leser aus Genervtheit über dau-<br />

ernd auftretende unverständliche Vokabeln die Lektüre abbricht und ab-<br />

lehnende Assoziationen zu dem beschriebenen Parfum aufbaut.<br />

Der wesentliche kommunikative Effekt der Fachvokabeln kann jedoch<br />

am plausibelsten mit der poetischen Funktion erklärt werden, da sich<br />

zumin<strong>des</strong>t die deautomatisierende Wirkung der Fachvokabeln nachwei-<br />

sen lässt.<br />

Allerdings muss man einräumen, dass die rasche, also gleichzeitig ober-<br />

flächliche Rezeption <strong>des</strong> AL als Argument dienen kann, dass lediglich<br />

Anfang und Ende der Textsequenzen eine Wirkung entfalten. Im Gegen-<br />

satz zum AL hat ein normaler Konsument in der Leserrolle schätzungs-<br />

weise zehn- bis zwanzigmal mehr Zeit, einen Werbetext zu rezipieren<br />

und damit den primären Deautomatisierungsprozess zu neutralisieren.<br />

3.5.4. Fachvokabeln und ihre poetische Relevanz<br />

Es wurde schon mehrmals betont, dass Werbetexte naturgemäß eine<br />

sprachliche Mittlerfunktion zwischen Produzent und Konsument eines<br />

Produktes einnehmen. Sie erscheinen als Gebrauchstexte generell im<br />

öffentlichen Raum. Man könnte daher nun vermuten, dass sie sich eines<br />

möglichst transparenten, öffentlich zugänglichen Vokabulars bedienen<br />

sollten um optimal werben zu können. Denn ein Konsument erwartet bei<br />

der Lektüre einer werbenden Produktbeschreibung, dass er über ein<br />

Produkt informiert wird und auch versteht, was er über dieses Produkt<br />

liest. Allerdings ist es für den analysierenden Sprachwissenschaftler<br />

schwierig, diejenigen linguistischen Einheiten zu bestimmen, die zur<br />

standardisierten Alltagssprache zu zählen sind und von einem normalen<br />

175


Leser verstanden werden und diese von fachspezifischen Vokabeln ab-<br />

zugrenzen.<br />

Man kann aber dabei mittels <strong>des</strong> AL-Prinzips einen argumentativ unter-<br />

mauerten negativen Nachweis führen, der im Falle <strong>des</strong> Parfumjargons<br />

folgendermaßen aussieht:<br />

<strong>Die</strong> Fachvokabeln Parfum werden daraufhin überprüft, ob sie mittels der<br />

feineren methodischen Begrifflichkeit Riffaterres legitimerweise als „stilis-<br />

tische Stimuli” (vgl. Riffaterre 1973: 99 f.) bezeichnet werden können.<br />

Dazu ziehe ich Riffaterres Konzept <strong>des</strong> sprachlichen Makrokontextes<br />

heran, innerhalb <strong>des</strong>sen, wie oben ausgeführt, ein linguistisches Element<br />

dadurch zu einer deautomatisierten Rezeption führt, dass es mit einer<br />

textimpliziten Norm konfligiert (vgl. zum Begriff der Norm aus linguisti-<br />

scher Sicht auch Hartung 1977: 9 ff.). Man nimmt hierfür die von den AL<br />

als auffällig markierten Fachvokabeln und deren extrapolierte Äquivalen-<br />

te aus dem Gesamtkorpus als strukturelle Besonderheit an. Sie stehen<br />

im Kontrast zu all den Textteilen, die entweder nicht markiert wurden o-<br />

der die zwar markiert wurden, jedoch nicht als Fachvokabeln nachge-<br />

wiesen werden konnten. <strong>Die</strong> Fachbegriffe stellen somit Kontrastpunkte<br />

innerhalb der restlichen Textumgebung der Nicht-Fachvokabeln, also der<br />

standardsprachlichen Lexeme, dar. Alle ‚Nicht-Fachvokabeln’ bilden als<br />

normalsprachliche Elemente in diesem Zusammenhang den Makrokon-<br />

text.<br />

Innerhalb <strong>des</strong> Makrokontextes der informativen standardsprachlichen<br />

Lexeme können nun in der Tat die Fachvokabeln als stilistische Stimuli<br />

bezeichnet werden, die dem Leser beim Rezeptionsprozess mehr Auf-<br />

merksamkeit abverlangen als bei der Lektüre konventioneller Textteile.<br />

Der Leseprozess wird dadurch deautomatisiert, dass die Aufmerksam-<br />

keit auf die Tatsache <strong>des</strong> Unkonventionellen der Fachvokabeln gelenkt<br />

wird. Damit kann hinsichtlich der Fachvokabeln das Wirken der poeti-<br />

schen Sprachfunktion festgestellt werden.<br />

Der Werbetext hätte ja auch ein Konzept wie Fond genauso gut mit all-<br />

tagssprachlichen, allgemein bekannten konventionellen Lexemen pa-<br />

raphrasieren können, wie beispielsweise die länger haftenden Bestand-<br />

176


teile <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>. <strong>Die</strong>s findet aber nicht statt, sondern aus der Menge<br />

der semantische äquivalenten Lexeme oder denkbaren Paraphrasen<br />

wurden Spezialbegriffe gewählt, die die Aufmerksamkeit von der infor-<br />

mativen Referenz auf die Tatsache ihres Auftauchens lenken. <strong>Die</strong><br />

schlichte Tatsache, dass die Fachvokabeln für den Leser großenteils<br />

keine im konventionellen Sinne akzeptable Bedeutung haben, hat den<br />

Effekt, dass sie gerade darum als besonders auffällig wahrgenommen<br />

werden. Das temporäre Unverständnis stört die fließende Aufnahme von<br />

Information aus dem Text. In diesem Zusammenhang sind vor allem die<br />

synästhetischen Komposita unter den Fachvokabeln interessant, weil<br />

gerade dort die Kontrastwahrnehmung zwischen formaler Korrektheit<br />

und semantischer Unsinnigkeit dazu führt, sie verstärkt als formale Ein-<br />

heiten <strong>des</strong> Sprachsystems wahrzunehmen und nicht mehr als Einheiten,<br />

die Information über die externe Welt liefern.<br />

Man kennt zwar beispielsweise Lexeme wie Zitrone und Akkord, aber<br />

eine Kombination beider in Form <strong>des</strong> Kompositums Zitronenakkord ist<br />

standardsprachlich nicht lexikalisiert und daher auf Grund seines neolo-<br />

gistischen Charakters auch nicht erwartbar. Das Auftauchen eines aus<br />

dem Textzusammenhang nicht erwartbaren Lexems aber führt – gemäß<br />

der Definition aus dem Theorieteil dieser Arbeit – zur Deautomatisierung<br />

der Bedeutungskonstitution im sonst kontinuierlich verlaufenden Lese-<br />

prozess. Durch einen derartigen rezipientenseitigen Nachweis <strong>des</strong> deau-<br />

tomatisierenden Effekts der Fachvokabeln kann der dominierende Effekt<br />

der poetischen Funktion also hinreichend begründet werden.<br />

Der Zusammenhang mit den methodischen Verfahrensvorgaben, unter<br />

denen die empirische Analyse angetreten ist, sollte jetzt transparent ge-<br />

worden sein. Im Falle der Fachvokabeln ist der Riffaterresche Makrokon-<br />

text der adäquate Beschreibungsbegriff, um sie als stilistische Stimuli<br />

auszuweisen, die durch eine Kontrastwahrnehmung seitens <strong>des</strong> Lesers<br />

einen stilistischen Effekt erzielen.<br />

Darüber allerdings, ob die Wahl von Fond oder anderer Fachbegriffe bei<br />

der Textproduktion bewusst oder unbewusst abgelaufen ist, um einen<br />

poetischen Effekt zu erzielen, kann allerdings keine objektiv nachweisba-<br />

177


e Aussage gemacht werden. Der befriedigende Erkenntnisgewinn aus<br />

der Analyse der Fachbegriffe liegt vielmehr – wie bei allen sprachlichen<br />

Besonderheiten der Parfumtexte – im gelungenen oder nicht gelungenen<br />

Nachweis der theoriekonsistenten Beschreibung innerhalb <strong>des</strong> begriffli-<br />

chen Rahmens der linguistischen Poetizitätforschung.<br />

3.6. Stichprobenanalyse 2: Attribuierungen<br />

<strong>Die</strong> meisten Lesermarkierungen innerhalb <strong>des</strong> Stichprobenkorpus lassen<br />

sich, wie gesagt, als Attribuierungen, also Eigenschaftszuschreibungen<br />

klassifizieren. Allerdings handelt es sich bei vielen dieser Attribuierung<br />

offensichtlich nicht um geruchsbeschreibende Syntagmen. Da jedoch<br />

das Hauptinteresse dieser Arbeit darin besteht herauszufinden, wie die<br />

Parfumwerbung Parfumgerüche sprachlich zu beschreiben versucht,<br />

wird die ursprüngliche Liste der gesamten vom AL markierten Attribuie-<br />

rungen in diesem Abschnitt aus pragmatischen Gründen differenziert. Es<br />

werden daher diejenigen von den Lesern als auffällig markierten Attribu-<br />

ierungen herausgestellt und einer detaillierten Analyse unterzogen, die<br />

sinnvollermaßen als geruchsbeschreibend verstanden werden können.<br />

Hierbei muss allerdings bei den Geruchsbeschreibungen unterschieden<br />

werden zwischen geruchsbeschreibend im engeren und im weiteren<br />

Sinne.<br />

Als geruchsbeschreibend im engeren Sinne werden diejenigen Attribuie-<br />

rungen verstanden, bei denen die beschriebenen Entitäten als olfaktori-<br />

sche Entitäten nachgewiesen werden können.<br />

Als geruchsbeschreibend im weiteren Sinne gelten nicht-olfaktorische<br />

Größen, die gewissermaßen indirekt verwendet werden um etwas über<br />

den Duft <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> auszusagen ohne direkt seine olfaktorischen Qua-<br />

litäten zu beschreiben.<br />

Sowohl bei den Attribuierungen im engeren Sinne wie denjenigen im<br />

weiteren Sinne wird zunächst <strong>des</strong>kriptiv versucht, ihr Zustandekommen<br />

mittels der Synästhesie-Hypothese zu erklären.<br />

178


In einem weiteren Schritt werden die Kommentare der AL zu den mar-<br />

kierten Attribuierungen herangezogen um einen tiefgehenderen Einblick<br />

zu gewinnen, wie die Geruchsbeschreibungen tendenziell auf die Leser<br />

wirken.<br />

Zu Boss-Elements Aqua (AL-Lesermarkierungen)<br />

Tabelle 24 zeigt die im Boss-Text als Attribuierungen identifizierten AL-<br />

Markierungen.<br />

<strong>Die</strong>jenigen Entitäten, die als olfaktorisch relevant gelten können, sind<br />

durch Kursivdruck hervorgehoben, ebenso in den Tabellen 26 (Bogner)<br />

und 28 (Joop).<br />

Adjektivattribute Substantive<br />

maskulin Präsenz<br />

elegant-ozonig Akkord<br />

aquatisch-frisch Zerstäuber (+ Form)<br />

sprudelnd-frisch und stimulierend Duft<br />

floral Herznote<br />

maskuline Vitalität und Energie Duft ( Mann)<br />

würzig Herznote<br />

erfrischend und belebend Wasser<br />

Tabelle 24: Boss-Elements Aqua – Vom AL markierte Attribuierungen<br />

Im Boss-Text sind es die Substantive Akkord, Duft und Herznote, die als<br />

olfaktorisch relevante Entitäten bezeichnet werden können. <strong>Die</strong> Eigen-<br />

schaften sprudelnd-frisch und stimulierend, die dem Duft zugeschrieben<br />

werden, sind jedoch hinsichtlich ihres perzeptorischen Potenzials derart<br />

vage, dass sie nicht als olfaktorische Attribute gewertet werden können.<br />

Sprudelnd-frisch bezieht sich eher auf eine Flüssigkeit als auf einen gas-<br />

179


förmigen Duft. Hier wird durch das Adjektiv offensichtlich eine Verbin-<br />

dung zum Namen <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> Elements Aqua (= Wasser) hergestellt<br />

und keine Geruchsqualität beschrieben. Synonyme von stimulierend sind<br />

anregend, reizend, aufmunternd (vgl. Duden 4 1982: 728).<br />

Maskuline Vitalität und Energie beziehen sich, suggeriert durch das Ad-<br />

jektiv maskulin, auf den Mann als potenziellen Träger <strong>des</strong> Duftes, nicht<br />

aber auf den Duft selbst. Insofern kann man bereits anhand dieser weni-<br />

gen Beispiele feststellen, dass olfaktorische Entitäten mit nicht-<br />

olfaktorischen verknüpft werden. Hierin können weitere Belege gesehen<br />

werden für den Gebrauch synästhetischer Sprachkonstruktionen.<br />

<strong>Die</strong> als Attribute zu Herznote fungierenden Adjektive floral und würzig<br />

finden in der Parfumbranche häufig Verwendung und können als dis-<br />

kursüblich verstanden werden. Trotzdem werden sie vom AL markiert.<br />

Floral (von lat. flos/floris = Blüte, Blume) hat zwar sicherlich olfaktori-<br />

sches Potenzial, ist aber zu allgemein, um einen spezifischen Geruch zu<br />

beschreiben. Jasmin taucht zwar als Präzisierungen <strong>des</strong> Blumenhaften<br />

auf, scheinen aber dem AL das Lexem floral nicht hinreichend zu erläu-<br />

tern und damit akzeptabel zu machen.<br />

Für das Adjektiv würzig kann in jedem Fall ein synästhetischer Charakter<br />

reklamiert werden. Es wird eine Beziehung zwischen Gustatorik und Ol-<br />

faktorik hergestellt, da der primäre Referenzbereich von würzig der Ge-<br />

schmack ist, also die gustatorische Wahrnehmung. Es ist im Alltags-<br />

sprachgebrauch wahrscheinlicher, dass ein Chili con carne in einem me-<br />

xikanischen Restaurant als würzig bezeichnet wird und nicht ein Män-<br />

nerparfum.<br />

Eine globale Auffälligkeit vieler Parfumtexte <strong>des</strong> Gesamtkorpus ist die<br />

Verknüpfung der vermeintlichen Dufteigenschaften <strong>des</strong> jeweiligen Par-<br />

fums mit <strong>des</strong>sen Namen und mit dem jeweilig suggerierten Konzept von<br />

Männlichkeit, das durch den Duft angeblich unterstützt wird. <strong>Die</strong>s trifft<br />

auch auf den Boss-Text zu.<br />

<strong>Die</strong> suggestive Verknüpfung eines Parfumdufts mit nicht-olfaktorischen<br />

aber gleichwohl durchweg angenehmen Sinneswahrnehmungen ist in<br />

der Parfumwerbung ein übliches Mittel, um beim Rezipienten angeneh-<br />

180


me Assoziationen aufzurufen, die mit dem Duft verbunden werden sol-<br />

len. <strong>Die</strong> verbale Inszenierung <strong>des</strong> Assoziationskomplexes Parfumduft –<br />

Parfumname – Männlichkeitskonzept soll exemplarisch am Stichproben-<br />

text zu Boss-Elements Aqua demonstriert werden. Dort finden zahlreiche<br />

textliche Verknüpfungen geruchsbeschreibender Lexeme mit solchen<br />

statt, die nicht-olfaktorischen Ursprungs sind. Der Boss-Text führt dies im<br />

Bezug auf das Element Wasser auf ebenso raffinierte wie systematische<br />

Weise vor.<br />

In unserem Kulturkreis kann das Trinkwasser aus der Leitung im Haus-<br />

halt oder das Mineralwasser aus der Flasche als prototypisch gelten. Es<br />

hat keinen spezifischen Geruch. Denkbare Äußerungen über den Ge-<br />

ruch von Wasser wie dieses Wasser riecht aber gut sind in Bezug auf die<br />

Alltagswahrnehmung unüblich bis unsinnig. Wenn es überhaupt in einem<br />

Gespräch um Geruchseigenschaften von Wasser geht, so ist es wahr-<br />

scheinlicher, dass ein unangenehmer Geruch von Wasser, nämlich der<br />

eventuelle Gestank eines Sees, Flusses oder Abwasserkanals, themati-<br />

siert wird. Obwohl Wasser selbst geruchsneutral ist, werden im Text über<br />

das riechende Wasser von Boss Lexeme aus anderen Sinnesmodalitä-<br />

ten mit der vermeintlich beschriebenen Geruchsqualität von Elements<br />

Aqua sprachlich über Satzgrenzen hinaus verknüpft. <strong>Die</strong> angenehmen<br />

Erfahrungen, die der Körper im Normalfall mit Wasser machen kann,<br />

betreffen alle nicht-olfaktorischen Sinnesmodalitäten: Man kann Wasser<br />

sehen (= visuell), man kann sein Plätschern und Rauschen hören (= au-<br />

ditiv), es kann je nach Bedarf erfrischen und kühlen oder in der Bade-<br />

wanne wärmen (= taktil), man kann die Bewegung <strong>des</strong> Wassers und die<br />

<strong>des</strong> eigenen Körpers im Wasser spüren (= kinästhetisch) und man kann<br />

es schmecken (= gustatorisch).<br />

Man hat es hierbei mit einer subtileren Ausprägung sprachlicher Synäs-<br />

thesie zu tun, die sich oberhalb der Wort- und Satzebene abspielt und<br />

somit als textuelles synästhetisches Muster bezeichnet werden kann.<br />

Um anschaulich deutlich zu machen, wie der Boss-Text mit verbalen Mit-<br />

teln ein assoziatives Wasser-Duft-Netzwerk entfaltet, sind in der nach-<br />

181


stehenden Version <strong>des</strong> Boss-Textes diejenigen Lexeme durch Fettdruck<br />

hervorgehoben, die dem lexikalischen Feld Wasser zuzurechnen sind.<br />

Sie verteilen sich, wie man sieht, über den gesamten Text und inszenie-<br />

ren damit ein regelrechtes Wasseruniversum um den Duft.<br />

<strong>Die</strong> Frische und Lebendigkeit <strong>des</strong> Wasser für einen klaren Duft - Boss Ele-<br />

ments Aqua heißt der Herrenduft, der so erfrischend und belebend wie das<br />

pure, klare Element Wasser ist. Sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht<br />

dieser Duft vor maskuliner Vitalität und Energie - wie der Mann, der ihn trägt.<br />

Im Auftakt gibt sich der Duft spritzig und meeresfrisch durch Bergamott und<br />

einen elegant-ozonigen Akkord. <strong>Die</strong> Herznote ist würzig und floral bestimmt<br />

durch Piment und Jasmin, während der Fond mit der maskulinen Präsenz <strong>des</strong><br />

Zedern- und Sandelholzes strahlt.<br />

Der praktische Zerstäuber sorgt für eine gute Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes<br />

und zeigt sich ebenso aquatisch-frisch in der Form, auf der in Glas gefange-<br />

ne Wassertropfen perlen.<br />

Tabelle 25 zeigt die nach Wortarten geordneten Lexeme <strong>des</strong> Boss-<br />

Textes, die sich auf Wasser beziehen und damit dem lexikalischen Feld<br />

Wasser zuzuordnen sind. <strong>Die</strong> kursiv gedruckten Lexeme sind der Wort-<br />

familie Wasser zuzurechnen:<br />

182


Substantive (5) Verben (2) Adjektive (10)<br />

Boss Elements Aqua perlen aquatisch-frisch<br />

Frische sprüht belebend<br />

Wasser (2x) erfrischend<br />

Wassertropfen klar (2x)<br />

meeresfrisch<br />

pur<br />

spritzig<br />

stimulierend<br />

sprudelnd-frisch<br />

Tabelle 25: Boss-Elements Aqua – Lexeme mit Bezug zum Wasser<br />

Was die Beschreibung der offensichtlich nicht originär olfaktorischen<br />

Begriffe angeht, kann die Synästhesie-Hypothese weiter erhärtet wer-<br />

den. Als Beispiel sei das bereits bekannte Substantiv Akkord genannt,<br />

das primär dem auditiven Bereich entstammt und nur mittels eines intel-<br />

lektuellen Umwegs als Geruchsbezeichnung <strong>des</strong> Parfumjargons identifi-<br />

ziert werden kann. Ferner wird der Zerstäuber (= Flasche) mit dem Duft<br />

in Zusammenhang gebracht. <strong>Die</strong>ser ist aber primär der visuellen und tak-<br />

tilen Wahrnehmung zuzuordnen, da er zu sehen und anfassbar ist.<br />

Akkord, <strong>des</strong>sen synästhetischer Charakter oben bereits ausführlich dis-<br />

kutiert wurde, bezeichnet ja zumin<strong>des</strong>t im Parfumjargon eine olfaktori-<br />

sche Größe. Als Attribut erscheint das Ad-hoc-Adjektivkompositum ele-<br />

gant-ozonig <strong>des</strong>sen Determinatum ebenfalls nur mit Mühe als olfakto-<br />

risch verstanden werden kann. Das Sauerstoffisotop Ozon (O3), das in<br />

hoher Konzentration toxisch ist, weist nämlich in der Tat in sehr geringer<br />

Konzentration eine Geruchsqualität auf, die üblicherweise als frisch be-<br />

zeichnet wird (vgl. Vroon 1996: 83).<br />

In der morphologischen Verflechtung mit dem nicht-olfaktorischen De-<br />

terminans elegant zeigt sich einmal mehr ein synästhetischer Charakter.<br />

183


Falls elegant überhaupt als sensorisch qualifizieren<strong>des</strong> Adjektiv bezeich-<br />

net werden kann, dann wäre es am ehesten der visuellen, möglicherwei-<br />

se auch noch der auditiven, kinästhetischen und gustatorischen Modali-<br />

tät zuzuordnen, wie die Einträge im Fremdwörter-Duden (Duden 4 1982)<br />

deutlich machen:<br />

„ele|gant [lat.-fr.]:<br />

a) (von der äußeren Erscheinung) durch Vornehmheit, erlesenen Geschmack,<br />

bes. der Kleidung od. ihrer Machart, auffallend;<br />

b) in gewandt u. harmonisch wirkender Weise ausgeführt, z.B. eine -e Lösung;<br />

c) so, daß es hohe Ansprüche in vollendeter Weise erfüllt, z.B. ein -er Salat,<br />

Wein; sie sprach ein -es Französisch“ (Duden 4 1982: 209).<br />

Lesart-a bezieht sich auf das Aussehen, insbesondere die Kleidung, und<br />

damit auf die visuelle Modalität, während die abstraktere Lesart-b sich<br />

auf Bewegung im weitesten Sinne bezieht, nämlich entweder auf die E-<br />

leganz konkret körperlicher Bewegung oder auf die Eleganz kognitiver<br />

Strategien beim Lösen abstrakter Probleme, etwa der modellhaften<br />

Schematisierung eines komplizierten Sachverhalts.<br />

Für Lesart-c wird zwar ein Bezug hergestellt zur Gustatorik (Salat, Wein)<br />

und Audition (Französisch), allerdings ist das Moment der hohen An-<br />

sprüche, die etwas Elegantes erfüllt, im Prinzip von konkret-sinnlicher<br />

Erfahrung losgelöst. Lesart-c kann vielmehr als Variante aus dem qualifi-<br />

zierenden Paradigma positive Bewertung einer Entität/eines Sachver-<br />

halts gelten und mit vereinfachend mit elegant = gut paraphrasiert wer-<br />

den. <strong>Die</strong>se Lesart ist derart vage im Bezug auf sensorische Eigenschaf-<br />

ten, dass sie sich für eine Verwendung in jedem beliebigen Werbetext<br />

eignet. Allerdings in einem Parfumwerbetext als Determinans einer so<br />

unüblichen und offensichtlich großteils unbekannten <strong>des</strong>ubstantivischen<br />

Ableitung wie ozonig zur Beschreibung eines Duftes wirkt elegant in der<br />

Tat unangemessen.<br />

Noch deutlicher tritt die syntagmatische Verquickung olfaktorischer und<br />

nicht-olfaktorischer Lexeme in der Kombination der markierten Elemente<br />

Zerstäuber und aquatisch-frisch hervor. Hier ist es sinnvoll, den Ko-Text<br />

184


etwas umfangreicher zu zitieren. <strong>Die</strong> relevante Passage im Boss-Text<br />

lautet:<br />

„Der (...) Zerstäuber zeigt sich ebenso [wie das Eau de Toilette] aquatisch-<br />

frisch in der Form (...)“ [Hervorhebungen von mir].<br />

Das markierte Ad-hoc-Adjektivkompositum aquatisch-frisch kann relativ<br />

leicht dekodiert und angemessen mit frisch wie Wasser paraphrasiert<br />

werden. <strong>Die</strong> Eigenschaftszuschreibung, frisch wie Wasser zu sein, kann<br />

man für den Duft <strong>des</strong> Eau de Toilettes nur dann als akzeptabel bewer-<br />

ten, wenn man das Adjektivs frisch als Quasi-Synonym von kühl(end)<br />

versteht und damit <strong>des</strong>sen synästhetischen Transfer von der taktilen<br />

Modalität zur Olfaktorik akzeptiert. Dass sich diese Eigenschaft aber<br />

auch auf den Zerstäuber, also den Flakon, eine Flasche aus Glas, be-<br />

ziehen soll, in dem sich die duftende Flüssigkeit befindet, klingt im all-<br />

tagssprachlichen Verständnis wenig glaubwürdig. Zudem wird als gram-<br />

matisches Prädikat explizit das Verb sich zeigen gewählt, das eindeutig<br />

auf den visuellen Sinn referiert. Man kann den synästhetischen Charak-<br />

ter dieser Textpassage prägnanter durch folgende Paraphrase transpa-<br />

rent machen:<br />

Der Zerstäuber sieht so aquatisch-frisch aus, wie das Eau de Toilet-<br />

te riecht.<br />

<strong>Die</strong>ser synästhetische Prozess, der sich das perzeptorische Potenzial<br />

<strong>des</strong> polysemen Adjektivs frisch zu Nutze macht, lässt sich durch Abbil-<br />

dung 8 veranschaulichen:<br />

Abbildung 8: Synästhetischer Transfer durch das Adjektiv frisch<br />

185


Durch diese analytische Explikation sollte hinreichend deutlich geworden<br />

sein, wie in dieser synästhetischen Sprachkonstruktion auf der Makro-<br />

ebene <strong>des</strong> Textes die olfaktorische mit anderen Wahrnehmungsmodali-<br />

täten verbunden wird.<br />

Zusammenfassend zum Boss-Text kann Folgen<strong>des</strong> festgehalten wer-<br />

den:<br />

<strong>Die</strong> nicht-olfaktorischen Lexeme werden derart in die duftbeschreiben-<br />

den Textteile integriert, dass der Eindruck entsteht, als würde mit ihnen<br />

ebenfalls der Duft beschrieben. Es ist zwar durchaus der Fall, dass sie<br />

allgemein sensorisch beschrieben werden, nur eben nicht mit olfakto-<br />

risch relevanten Attributen. <strong>Die</strong> Beschreibung wird erreicht mit verbalen<br />

Anleihen aus geruchsfremden Sinnesmodalitäten, also synästhetisch.<br />

Und es ist plausibel anzunehmen, dass die Motivation für die zahlreichen<br />

AL-Markierungen diese synästhetischen Übertragungen sind, die als un-<br />

gewöhnlich und damit lesehemmend wahrgenommen werden. Des Wei-<br />

teren eröffnet das Einschmuggeln nicht-olfaktorischer Lexeme eine as-<br />

soziative Beziehung zu anderen sinnlichen Erlebnissen, die mit dem<br />

Gebrauch <strong>des</strong> Eau de Toilettes verbunden sind oder vom Konsumenten<br />

in Verbindung gebracht werden sollen.<br />

186


Zu Bogner-Snow (AL-Markierungen)<br />

Im Bogner-Text gibt es wesentlich mehr von den Lesern markierte Attri-<br />

buierungen als bei den anderen Texten <strong>des</strong> Stichprobenkorpus.<br />

Adjektivattribute Substantive<br />

geheimnisvoll, männlich, sinnlich Finish<br />

geeiste Mandarine<br />

transparent-frostige Frische Kopfnote<br />

pur, leicht, natürlich-warm Eau de Toilette<br />

eisig-modern Aussage (<strong>des</strong> Duftes)<br />

pur, maskulin Duft (+ Flakon)<br />

kühl-blau Glas<br />

dynamisch Flakon<br />

silbrig-frostig Umverpackung<br />

maskulin-dynamisch Eau de Toilette<br />

Anklänge an tief verschneite Gräser Eau de Toilette<br />

Cooling Effekt Eau de Toilette<br />

Tabelle 26: Bogner-Snow – Vom AL markierte Attribuierungen<br />

Das olfaktorisch relevante Eau de Toilette wird explizit beschrieben von<br />

den Adjektiven pur, leicht, natürlich-warm, maskulin-dynamisch.<br />

Der Duft als weitere olfaktorische Kategorie wird charakterisiert mit pur<br />

und maskulin.<br />

Das Ad-hoc-Adjektivkompositum eisig-modern wird mit der Aussage <strong>des</strong><br />

Duftes in Verbindung gebracht. Und transparent-frostig bezieht sich auf<br />

die Frische der Kopfnote.<br />

Keines der attributiven Adjektive ist originär im Referenzbereich der Ol-<br />

faktorik verankert. Vielmehr können die Adjektive, sofern sie sinnlich<br />

wahrnehmbare Qualitäten beschreiben, folgenden Modalitäten zugeord-<br />

net werden, wie in Tabelle 27 zu sehen ist:<br />

187


Adjektiv Sinnesmodalität<br />

pur (nichtsensorisch)<br />

leicht taktil oder kinästhetisch<br />

natürlich-warm (nichtsensorisch +taktil)<br />

maskulin-dynamisch multimodal+ kinästhetisch<br />

maskulin multimodal<br />

eisig-modern taktil + nichtsensorisch<br />

transparent-frostig visuell + taktil<br />

Tabelle 27: Bogner-Snow – Adjektive und zugeordnete Sinnesmodalitäten<br />

Der Blick auf die tabellarisch strukturierte Darstellung macht sehr schnell<br />

deutlich, wie hoch die Dichte synästhetischer Konstruktionen auch in<br />

diesem Text ist. Zwei Arten sprachlicher Synästhesie sind dabei zu beo-<br />

bachten. Auf syntaktischer Ebene ist es die synästhetische Verwendung<br />

eines nicht-olfaktorischen Adjektivs als Attribut zu einem olfaktorisch re-<br />

levanten Lexem (z.B. leicht Eau de Toilette). Auf lexikalischer Ebene<br />

(Wortbildung) die Verwendung von Adjektiven aus nicht-kongruenten<br />

Sinnesbereichen bei Adjektivkomposita (z.B. transparent-frostig).<br />

Außerdem wird eine synästhetische Verbindung hergestellt zwischen<br />

dem Eau de Toilette und einem Cooling-Effekt (taktil) sowie Anklängen<br />

(auditiv) an tief verschneite Gräser. Auch hier begegnen uns also synäs-<br />

thetische Sprachkonstruktionen, die eingesetzt werden, um dem Leser<br />

einen Eindruck von der Duftqualität <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> zu vermittelt.<br />

Ähnlich wie im Boss-Text findet auch bei Bogner-Snow eine offensive<br />

verbale Verknüpfung zwischen vermeintlichen Geruchseigenschaften<br />

und dem Namen <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> statt. Wurde im Boss-Text das Konzept<br />

Wasser als Quelle angenehmer Sinneswahrnehmungen thematisiert, so<br />

ist es im Bogner-Text das bereits durch den Namen Snow aktualisierte<br />

perzeptorische Konzept Kälte/Kühlheit. <strong>Die</strong>se quasi-synästhetische As-<br />

soziation wird ebenfalls erreicht durch zahlreiche über den Text verteilte<br />

188


Lexeme, die dem Paradigma Kälte/Kühlheit zuzuordnen sind. <strong>Die</strong> fol-<br />

genden Hervorhebungen im Bogner-Text veranschaulichen dies:<br />

Maskulin-dynamisch, kühl und klar - Pur und leicht wie Neuschnee und den-<br />

noch natürlich-warm mit Anklängen an tief verschneite Gräser und Hölzer:<br />

Bogner Snow. Das Eau de Toilette mit einzigartigem Cooling Effekt.<br />

Seine Kopfnote strahlt durch alpinen Wacholder, Galbanum-Harz und geeiste<br />

Mandarine transparent-frostige Frische aus, die Herznote besticht durch die<br />

Kombination von Vetiver-Gräsern, Zedernholz und schwarzem Pfeffer. Aroma-<br />

tische Moose, Amber und exotische Feigenblätter verleihen Bogner Snow ein<br />

geheimnisvolles, männlich-sinnliches Finish.<br />

Pur und maskulin wie der Duft ist auch der dynamische Flakon aus klarem,<br />

kühl-blauem Glas, <strong>des</strong>sen Form an eine Schneewehe erinnert und <strong>des</strong>sen<br />

silbrig-frostige Umverpackung die eisig-moderne Aussage <strong>des</strong> Duftes per-<br />

fekt unterstreicht.<br />

Während es also im Boss-Text dem Parfumnamen gemäß Wasser-<br />

Erfahrungen sind, die zu einer Etablierung eines sinnlichen Assoziati-<br />

onsmikrokosmos herangezogen werden, erreicht der Bogner-Text dies<br />

durch zahlreiche verbale Konkretisierungen <strong>des</strong> abstrakten Konzeptes<br />

Kälte/Kühlheit, das dem Parfum als Charakter zugesprochen wird. Es ist<br />

dann nur ein kleiner Schritt, dieses Konzept vom angeblich olfaktori-<br />

schen Charakter <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> mit dem Charakter <strong>des</strong> potenziellen Trä-<br />

gers, <strong>des</strong> Mannes, in Verbindung zu bringen. Eine suggestive Assoziati-<br />

on zum Konzept Männlichkeit wird ja bereits in der Eingangssequenz<br />

<strong>des</strong> Textes mit dem Adjektivkompositum maskulin-dynamisch geboten.<br />

<strong>Die</strong>se synästhetische Verknüpfung der Kühle <strong>des</strong> Duftes mit dem kühlen<br />

Charakter eines Mannes wird zudem unterstützt durch einem dem Duft<br />

zugesprochenen Cooling-Effekt. Alltagssprachlich paraphrasiert kann<br />

man diese aufwendige Kodierung so entschlüsseln: Der Mann Bogner-<br />

Snow benutzt, duftet nicht nur cool, er ist dadurch auch ein cooler Typ.<br />

189


Zu Joop-Homme (AL-Markierungen)<br />

Relativ abstrakte, aber gleichwohl olfaktorisch relevante Entitäten wer-<br />

den im Joop-Text durch die Substantive Duft und Fond repräsentiert und<br />

vom AL markiert. Des Weiteren tauchen etliche konkrete Bezeichnungen<br />

von Natursubstanzen auf, die ebenfalls Geruchsqualitäten aufweisen<br />

und von den Lesern markiert wurden.<br />

Adjektivattribute Substantive<br />

aufregend Duft<br />

geradlinig, leidenschaftlich Mann<br />

blumige, holzige, exotische Nuancen<br />

herb-warm Akzente<br />

kühle Frische Bergamotte<br />

Feuer Herz-Kopf-Note aus Zimt, Orangenblüten,<br />

Jasmin<br />

schmal geschnitten, klar gestaltet Flakon<br />

dezenter Hauch Ambra, Tabak, Moschus, Honig<br />

ungewöhnliche Farbgestaltung Flakon<br />

exotischer Fond<br />

Geradlinigkeit, Leidenschaftlichkeit,<br />

aufregende Wirkung<br />

Duft<br />

Tabelle 28: Joop-Homme – Vom AL markierte Attribuierungen<br />

Es gibt in diesem Text wiederum ein komplexes verbales Manöver, das<br />

auf geschickte Weise ein Assoziationsnetz von Eigenschaftszuschrei-<br />

bungen zwischen olfaktorischen und nicht-olfaktorischen Entitäten kon-<br />

struiert und ebenfalls den Namen <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>, in diesem Fall Homme =<br />

Mann mit dem Parfumduft vernetzt. <strong>Die</strong>ses Network ist allerdings nicht<br />

intuitiv einsichtig, sondern bedarf einer detaillierten analytischen Betrach-<br />

190


tung. <strong>Die</strong> relevanten Lexeme sind in der folgenden Version <strong>des</strong> Joop-<br />

Textes hervorgehoben; Variationen im Textumbruch von mir):<br />

(Satz 1) Ein aufregender Duft für den geradlinigen und leidenschaftlichen<br />

Mann.<br />

(Satz 2) Ein Duft von blumigen, holzigen und exotischen Nuancen in Harmonie<br />

mit herb-warmen Akzenten.<br />

(Satz 3) <strong>Die</strong> kühle Frische von Bergamotte vereinigt sich mit dem Feuer der<br />

Herz-Kopf-Note aus Zimt, Orangenblüten und Jasmin.<br />

(Satz 4) Der exotische Fond von Sandelholz, Vetyver und Patchouli und ein<br />

dezenter Hauch von Ambra, Tabak, Moschus und Honig verschmelzen har-<br />

monisch ineinander.<br />

(Satz 5) Der schmal geschnittene und klar gestaltete Flakon unterstreicht die<br />

Geradlinigkeit; seine warme und ungewöhnliche Farbgestaltung die Lei-<br />

denschaftlichkeit und aufregende Wirkung <strong>des</strong> Duftes.<br />

In Satz 1 <strong>des</strong> Joop-Textes tauchen die Adjektive aufregend, leiden-<br />

schaftlich, geradlinig als Attribute zu Substantiven auf, womit den Sub-<br />

stantiven die entsprechenden Eigenschaften zugeschrieben werden:<br />

aufregend Duft<br />

geradlinig, leidenschaftlich Mann<br />

Im semantischen Zentrum stehen in Satz 1 nicht spezifische olfaktori-<br />

sche Eigenschaften <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> selbst, sondern der Duft wird ganz all-<br />

gemein als aufregend beschrieben. Durch die kausale (respektive finale)<br />

Präposition für wird von Seiten <strong>des</strong> Duftes eine Beziehung zu dem Mann<br />

als potenziellem Benutzer aufgebaut; dieser wird als geradlinig und lei-<br />

denschaftlich charakterisiert (vgl. zu Präpositionalattributen Schierholz<br />

2001).<br />

In Satz 5 tauchen die Lexeme semantisch und teilweise morphologisch<br />

variiert auf. Dort werden folgende Attribuierungsrelationen etabliert:<br />

191


Flakon Geradlinigkeit<br />

Farbe Leidenschaftlichkeit/aufregende Wirkung <strong>des</strong> Duftes<br />

Abbildung 9 zeigt die interlexematischen Beziehungen zwischen Satz 1<br />

und Satz 5. <strong>Die</strong> Linien verbinden die sich wiederholende Lexeme und<br />

veranschaulichen, dass durch diese Wiederholungsmanöver sowohl der<br />

Duft als auch der Mann (beide Satz 1) mit der Farbe der Flüssigkeit und<br />

dem Flakon (beide Satz 5) verbunden werden. (<strong>Die</strong> Farbe von Joop-<br />

Homme ist Purpurrot. Interessanterweise ist der Flakon selbst nur ganz<br />

leicht rötlich getönt.)<br />

Abbildung 9: Joop-Homme – Erzeugung semantischer Assoziationen durch<br />

lexikalische Rekurrenz<br />

Innerhalb dieser kurzen Textsequenz wird durch variierende Attribuie-<br />

rungsmechanismen auf sehr ökonomische Weise ein Assoziationsnetz<br />

erzeugt, das die zentralen semiotischen Entitäten dieses Parfumtextes<br />

miteinander verwebt. Und über das texttopografische Prinzip der (partiel-<br />

len) Rekurrenz wird eine auf semantischer Ebene kohärente Darstellung<br />

manifestiert oder zumin<strong>des</strong>t suggeriert.<br />

Bricht man die Linearität <strong>des</strong> Textes auf zugunsten einer Strukturdarstel-<br />

lung der beteiligten semiotisch relevanten Elemente Duft, Mann, Flakon,<br />

192


Parfum (= Farbe), wie es die obige Darstellung tut, kann man folgende<br />

Relationen paraphrasierend beschreiben:<br />

Der aufregende Duft und der leidenschaftliche Mann aus Satz 1 werden<br />

über die Wiederholung <strong>des</strong> Adjektivs aufregend und die Variante Leiden-<br />

schaftlichkeit mit der Farbe <strong>des</strong> (gefüllten) Flakons verbunden. In Satz 5<br />

ist es nämlich die „Farbgestaltung [die die] Leidenschaftlichkeit und auf-<br />

regende Wirkung <strong>des</strong> Duftes“ unterstützt. Abstrakt notiert ergibt sich fol-<br />

gende relationale Darstellung:<br />

Farbe Leidenschaftlichkeit (<strong>des</strong> Duftes) leidenschaftlicher Mann.<br />

Das Adjektiv geradlinig aus Satz 1 erscheint in Satz 5 variiert als Sub-<br />

stantiv Geradlinigkeit als Beschreibung der äußeren Form <strong>des</strong> Flakons.<br />

„Der schmal geschnittene und klar gestaltete Flakon unterstreicht die<br />

Geradlinigkeit (...) <strong>des</strong> Duftes“. Damit wird das Netzwerk zurückgeführt<br />

auf den Träger <strong>des</strong> Duftes, der ja in Satz 1 ebenfalls als geradlinig cha-<br />

rakterisiert wird. Wiederum abstrakt notiert:<br />

Mann geradlinig/Geradlinigkeit Flakon.<br />

In Abbildung 10 sind die zentralen semiotischen Entitäten modellhaft<br />

dargestellt, die in der Inszenierung der olfaktorischen Semiose mitwir-<br />

ken. <strong>Die</strong>ses abstrakte Modell kann als Universalschema für die semioti-<br />

schen Prozesse gelten, die sich in Parfumwerbungen abspielen.<br />

Abbildung 10: Modellierung der olfaktorischen Semiose<br />

193


Durch diese exemplarische mikroskopische Analyse <strong>des</strong> Joop-Textes<br />

und die abstrahierte Schematisierung sollte noch klarer geworden sein,<br />

dass sich synästhetische Sprachphänomene auch oberhalb der lexikali-<br />

schen Analyseebene, nämlich als diskontinuierliche Textkonstituenten<br />

jenseits der Linearität <strong>des</strong> Textes, beobachten lassen und diese die se-<br />

mantische Struktur <strong>des</strong> Textes wesentlich organisieren. Allerdings bedarf<br />

es einiger analytischer Anstrengungen, diese komplexen Relationen<br />

herauszuarbeiten und sichtbar zu machen. Ähnlich wie in den anderen<br />

beiden Stichprobentexten kann auch hier eine synästhetische Inszenie-<br />

rung auf textlinguistischer Ebene nachgewiesen werden. Der Name <strong>des</strong><br />

<strong>Parfums</strong> suggeriert ein zu Grunde liegen<strong>des</strong> Konzept von Männlichkeit<br />

und wird verflochten mit den vermeintlichen Geruchseigenschaften <strong>des</strong><br />

<strong>Parfums</strong>.<br />

Methodische Zwischenbemerkung zu den Archileser-Kommentaren<br />

Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, wenn man sämtliche<br />

Kommentare der Leser heranziehen würde um die Analyse zu verfei-<br />

nern; dazu sind sie viel zu umfangreich. Es werden daher aus pragmati-<br />

schen Gründen nur Kommentare zu denjenigen markierten Textteilen<br />

detailliert beleuchtet, die sich möglichst konkret auf die Beschreibungs-<br />

versuche der jeweiligen Geruchsqualität beziehen. Hierfür ist es wichtig,<br />

auf eine globale textorganisatorische Eigentümlichkeit der Produktbe-<br />

schreibungen aufmerksam zu machen. In allen drei Texten <strong>des</strong> Stich-<br />

probenkorpus und in 39 der 48 Texte <strong>des</strong> Gesamtkorpus kann man be-<br />

züglich der Entfaltung <strong>des</strong> Textthemas drei Inhaltsabschnitte unterschei-<br />

den. <strong>Die</strong>se Dreiteilung lässt sich zusammenfassend folgendermaßen<br />

charakterisieren:<br />

Im Einleitungsteil werden stets Aussagen über den allgemeinen, abstrak-<br />

ten, globalen Charakter <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> gemacht, wobei häufig die Bezie-<br />

hungen <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> zu <strong>des</strong>sen Namen sowie zum Mann als dem po-<br />

tenziellen Träger <strong>des</strong> Duftes hergestellt werden. Das Image <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong><br />

194


und das durch die Werbung angepeilte Männlichkeitsstereotyp werden<br />

skizziert.<br />

Im Mittelteil wird typischerweise versucht, die Geruchseigenschaften <strong>des</strong><br />

<strong>Parfums</strong> konkret zu beschreiben. <strong>Die</strong>s geschieht häufig unter Verwen-<br />

dung von Bezeichnungen exotischer Pflanzen und Kräuter, die als<br />

Grundsubstanzen bei der Herstellung <strong>des</strong> jeweiligen <strong>Parfums</strong> verwendet<br />

wurden. Ebenfalls findet man in diesem Mittelteil gehäuft parfumistische<br />

Fachvokabeln sowie den Großteil der markierten und kommentierten<br />

Attribuierungen.<br />

Der Schlussteil wird dann wieder allgemeiner und thematisiert üblicher-<br />

weise nicht-olfaktorische Entitäten rund um das Parfum wie etwa das<br />

Design <strong>des</strong> Flakons oder Besonderheiten der Verpackung. Außerdem<br />

wird hier stets ein Bogen geschlagen zum eingangs erwähnten Image<br />

<strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> sowie <strong>des</strong>sen angeblicher Wirkung auf andere Menschen.<br />

Um möglichst dezidierte Kommentare hinsichtlich der faktischen oder<br />

vermeintlichen Geruchsattribuierungen in den markierten Texteilen für<br />

die weitere Analyse nutzbar zu machen, wird folgendermaßen verfahren.<br />

Es werden nur die mutmaßlich geruchsbeschreibenden Mittelteile der<br />

Texte berücksichtigt. Darin wird exemplarisch nur die am häufigsten<br />

kommentierte Textstelle ausführlich diskutiert. Obgleich durch diesen<br />

quantitativen Reduktionsschritt leider viele wertvolle Leserkommentare<br />

zu den Duftbeschreibungen ungenutzt bleiben, hat dieses Verfahren den<br />

Vorteil eine möglichst breite Argumentationsbasis zu schaffen und trotz<br />

der Reduktion auf nur ein Beispiel einen allgemeinen Tenor der Leser-<br />

Bewertungen abzuleiten. Durch dieses Manöver können zwar keine er-<br />

schöpfenden Aussagen getroffenen, aber es lässt sich ein Trend in den<br />

Kommentaren sichtbar machen.<br />

Zu Boss-Elements Aqua (AL-Kommentare)<br />

<strong>Die</strong> im Boss-Text am häufigsten markierte und kommentierte Textpassa-<br />

ge aus dem Mittelteil, die als Geruchsattribuierung zu bezeichnen ist, ist<br />

195


die NGr elegant-ozonigen Akkord. <strong>Die</strong> gesamte Passage oder Teile dar-<br />

aus wurden von 29 der 33 Probanden markiert; AL-18 hat auf einen<br />

Kommentar verzichtet. Sie erscheint in folgendem Satzzusammenhang:<br />

„Im Auftakt gibt sich der Duft spritzig und meeresfrisch durch Bergamott<br />

und einen elegant-ozonigen Akkord“ [Hervorhebungen von mir].<br />

Kommentare zu elegant-ozoniger Akkord<br />

1 Negative Semantik (Ozon) AL-1<br />

2 Was bitte soll das sein? AL-3<br />

3 Für Werbung zu geschwollen AL-5<br />

4 Was ist ozonig? Was ist mit Akkord gemeint? AL-6<br />

5 Unklare Beschreibung; komische Mischung AL-7<br />

6 Darunter kann man sich nichts vorstellen AL-8<br />

7 Meer+frisch = kalt. Aber gleichzeitig ‚ozonig’ (sonnig)? AL-9<br />

8 Schwer vorstellbar AL-10<br />

9 Ozon ist schlecht AL-12<br />

10 Oh Gott! Ozonalarm. Das Wort ‚ozonig’ weglassen AL-13<br />

11 Nicht schnell genug greifbar AL-14<br />

12 Führen zu seltsamen Assoziationen AL-15<br />

13 Seltsames Wort (markiert: ozonigen) AL-16<br />

14 Elegant-ozonig?? AL-17<br />

15 [nur markiert, nicht kommentiert] AL-18<br />

16 Ozon Assoziation: schlecht, ungesund AL-19<br />

17 Kann ich mir als Geruch nicht vorstellen AL-20<br />

18 Was heißt das? [markiert: ozonigen] AL-21<br />

19 Was ist damit gemeint? AL-22<br />

20 Ungewöhnliche Wortzusammensetzung AL-24<br />

21 Akkord hat etwas mit Zeit zu tun AL-25<br />

196


22 Durch „durch Bergamott“-Einführung etwas aus dem Zusammen-<br />

hang gerissen<br />

197<br />

AL-26<br />

23 Was verbinde ich mit einem elegant-ozonigen Akkord? AL-27<br />

24 Ozonig? Ozeanig! Wenn schon... AL-28<br />

25 Interessante Komposition AL-29<br />

26 Ozonig ist für mich total negativ besetzt (Ozonloch) AL-30<br />

27 Was bitte ist ozonig? AL-31<br />

28 Störende Wortkombination AL-32<br />

29 Seltsame Wortkombination AL-33<br />

Tabelle 29: Boss-Elements Aqua: Kommentare elegant-ozoniger Akkord<br />

Auffällig in dieser komprimierten Übersicht ist, dass nur einer von den 29<br />

AL, die diese Textstelle kommentiert haben, sich positiv über die Wen-<br />

dung elegant-ozoniger Akkord äußert (siehe AL-29: „Interessante Kom-<br />

position“). <strong>Die</strong> anderen 28 Urteile fallen eindeutig pejorativ aus. Dabei<br />

zeichnen sich drei unterschiedliche Gruppen der Negativbewertung ab.<br />

<strong>Die</strong> gesamte Kombination wird als unverständlich oder unpassend abge-<br />

lehnt (siehe exemplarisch AL-3: „Was bitte soll das sein“ und AL-32:<br />

„Störende Wortkombination“).<br />

Das aus dem Substantiv Ozon abgleitete Determinativum <strong>des</strong> Adjektiv-<br />

kompositums ozonig wird abgelehnt (AL-31: „Was bitte ist ozonig?“).<br />

Ozonig ruft negativ besetzte Assoziationen zum Ozonloch in der Atmo-<br />

sphäre auf (AL-30: „Ozonig ist für mich total negativ besetzt / Ozonloch“).<br />

Zu Bogner-Snow (AL-Kommentare)<br />

Im Bogner-Text wurde innerhalb <strong>des</strong> Mittelteils die Passage geheimnis-<br />

volles männlich-sinnliches Finish am häufigsten, nämlich 17-mal, mar-<br />

kiert und (bis auf eine Ausnahme) auch kommentiert. Bei der <strong>des</strong>kripti-<br />

ven Analyse wurde bereits herausgearbeitet, dass es sich bei dieser an-<br />

geblichen Duftbeschreibung um eine nicht-olfaktorische Wendung han-<br />

delt. Der Ko-Text, in dem diese Phrase auftaucht, lautet:


„Aromatische Moose, Amber und exotische Feigenblätter verleihen Bogner<br />

Snow ein geheimnisvolles, männlich-sinnliches Finish“ [Hervorhebungen von<br />

mir].<br />

Das so genannte geheimnisvolle männlich-sinnliche Finish, das dem<br />

Duft zugesprochen wird, resultiert dem beschreibenden Text nach aus<br />

der Verwendung der genannten Duftsubstanzen („aromatische Moose,<br />

Amber und exotische Feigenblätter“).<br />

<strong>Die</strong> Kommentare zu dieser Textpassage sind in Tabelle 30 dargestellt.<br />

Kommentare zu männlich-sinnliches Finish<br />

1 Klingt nach Haarspray [markiert: Finish] AL-1<br />

2 [Kein Kommentar] AL-3<br />

3 Finish unpassend AL-6<br />

4 ?Was? soll wohl auf die Internationalität verweisen, ein Mix aus<br />

Deutsch/Englisch<br />

198<br />

AL-7<br />

5 Eher eine Beschreibung <strong>des</strong> Weiblichen AL-9<br />

6 Was ist ein Finish bei einem Parfum? AL-12<br />

7 Pseudo-Anglizismus. Klingt nach Möchtegern AL-13<br />

8 Wieder –nnlich + -nnlich ein Wort weglassen oder modifizieren AL-13<br />

9 Unpassend [markiert: Finish] AL-20<br />

10 Evtl. Weglassen AL-23<br />

11 Männlich und sinnlich oft gegensätzlich gebraucht AL-24<br />

12 Finish ist Ende; Ziel AL-25<br />

13 Was ist das? [markiert: Finish] AL-26<br />

14 Interessante Komposition AL-29<br />

15 Seltsame Verbindung; Anglizismus nicht überzeugend AL-31<br />

16 Störende Wortkombinationen [markiert: männlich-sinnliches] AL-32<br />

17 Englisch AL-33<br />

Tabelle 30: Bogner-Snow: Kommentare zu männlich-sinnliches Finish


Wie bei dem Boss-Text ist nur ein expliziter Positiv-Kommentar dabei,<br />

wiederum von AL-29 („Interessante Komposition“).<br />

<strong>Die</strong> anderen Kommentare lassen sich in folgende Kategorien zusam-<br />

menfassen:<br />

Das englische Wort Finish wird entweder nicht verstanden oder der Ang-<br />

lizismus wird als unangemessen und gekünstelt bewertet (AL-26: „Was<br />

ist das?“ und AL-6: „Finish unpassend“).<br />

Das Adjektivkompositum männlich-sinnlich wird nicht akzeptiert (z.B. AL-<br />

32: „Störende Wortkombination“).<br />

Das englische Finish kann in der Tat übersetzt werden mit „Ende; Ziel“<br />

(AL-25), aber auch mit Vollendung. Es fällt den AL schwer, die Bedeu-<br />

tung von Finish in einem Parfumtext zu entschlüsseln. <strong>Die</strong>s liegt aber si-<br />

cherlich nicht daran, dass es ein englisches Wort ist. Wenn man sich je-<br />

doch eingehend mit Parfumtexten beschäftigt, kann man schnell ablei-<br />

ten, dass es sich bei Finish um ein parfumistischen Fachbegriff handelt.<br />

Es ist ein weiteres Synonym für Basisnote (siehe die Ausführungen zu<br />

den Fachvokabeln in Abschnitt 3.5.1.). Im Zusammenhang der Attribuie-<br />

rungsproblematik ist diese Vokabel insofern hochinteressant, als das<br />

formal kongruierenden Adjektivkompositum männlich-sinnlich eine den<br />

AL unbekannte Größe charakterisiert und die Attribuierung damit faktisch<br />

keine Information liefert.<br />

Das ungute Gefühle vieler AL bezüglich <strong>des</strong> Adjektivs männlich-sinnlich<br />

kann möglicherweise durch eine semantische Inkongruenz erklärt wer-<br />

den, die Anstoß erregt und von AL-24 auf den Punkt gebracht wird:<br />

„Männlich und sinnlich oft gegensätzlich gebraucht“. Ein ähnliches Gen-<br />

der-Problem kommentiert AL-9: „Eher eine Beschreibung <strong>des</strong> Weibli-<br />

chen“. Eine genderspezifische Lesart von sinnlich, die sich eher auf<br />

Frauen bezieht, kann allerdings ein konventionelles Wörterbuch nicht<br />

bestätigen (vgl. Wahrig 1994: 3432). <strong>Die</strong>s scheint eher eine intuitive Auf-<br />

fassung einiger AL zu sein, die aber gleichwohl ernst zu nehmen ist.<br />

199


Zu Joop-Homme (AL-Kommentare)<br />

<strong>Die</strong> Identifizierung der im Joop-Text am häufigsten markierten und (leider<br />

selten) kommentierten Attribuierungen stellt sich als schwieriger heraus<br />

als bei den anderen Probetexten. Sie wird dadurch erschwert, dass man<br />

nach Maßgabe der Leser genau genommen einen Komplex von drei<br />

verschiedenen Eigenschaftszuschreibungen zusammenhängend be-<br />

trachten müsste, die oft überlappend markiert und kommentiert wurden.<br />

<strong>Die</strong> in diesem Zusammenhang kritischen Textstellen sind:<br />

herb-warme Akzente,<br />

kühle Frische von Bergamotte,<br />

Feuer der Herz-Kopf-Note.<br />

Da allerdings die NGr herb-warme Akzente aus dem Einleitungsteil <strong>des</strong><br />

Joop-Textes stammen, muss sie hier ausgelassen werden, da laut der<br />

oben legitimierten Beschränkung nur Attribuierungen aus dem explizit<br />

duftbeschreibenden Mittelteil der Texte diskutiert werden sollen.<br />

<strong>Die</strong> Attribuierungspassagen, die demnach jetzt analysiert werden, stehen<br />

in folgendem Satzzusammenhang:<br />

„<strong>Die</strong> kühle Frische von Bergamotte vereinigt sich mit dem Feuer der Herz-<br />

Kopf-Note aus Zimt, Orangenblüten und Jasmin [Hervorhebungen von mir]“<br />

Kommentare zu kühle Frische von Bergamotte und Feuer der Herz-Kopf-Note<br />

1 Mir unbekannt [Herz-Kopf-Note] AL-3<br />

2 Begriff unpassend – Was ist Herz? Was ist Kopf? AL-6<br />

3 Kein Kommentar [markiert: Feuer der ] AL-6<br />

4 Kein Kommentar [markiert: Herz-Kopf-Note] AL-7<br />

5 Warm oder kalt? Feuer & Frische? AL-10<br />

6 Ich dachte, Herz- und Kopfnote wären was unterschiedliches AL-12<br />

7 Klingt schon fast medizinisch wie ‚Herz-Kreislauf’ oder Hals-Nasen-<br />

Ohren-Arzt’<br />

200<br />

AL-13<br />

8 Mischung aus Kopf- und Herznote??? AL-15


9 Kein Kommentar [markiert: Herz-Kopf-Note] AL-17<br />

10 Kein Kommentar [markiert: Herz-Kopf-Note] AL-18<br />

11 Zu viele Infos; verwirrend AL-21<br />

12 Gegensatz AL-24<br />

13 Keinerlei Vorstellung zu dem Begriff [markiert: Herz-Kopf-Note] AL-25<br />

14 Deswegen geradlinig + leidenschaftlich? AL-28<br />

15 Kein Kommentar [markiert: Herz-Kopf-Note.] AL-29<br />

16 Herz + Kopf + Musik + Element sehr viele Assoziationen [markiert:<br />

Feuer – Herz-Kopf-Note]<br />

201<br />

AL-31<br />

17 Was denn nun? [markiert: Herz-Kopf-Note] AL-32<br />

18 Widerspruch AL-33<br />

Tabelle 31: Joop-Homme: Kommentare zu kühle Frische von Bergamotte und<br />

Feuer der Herz-Kopf-Note<br />

Betrachtet man die in Tabelle 31 zusammengefassten Kommentierungen<br />

unter dem Aspekt der Eigenschaftszuschreibungen, sind für sie zwei<br />

mögliche Motivationen anzugeben.<br />

Vor allem stören sich die AL daran, dass dem Parfum zwei sich aus-<br />

schließende Eigenschaften zugesprochen werden, nämlich Kühle und<br />

Wärme (vgl. AL-10, AL-24, AL-33). Man kann diese Kontradiktion als po-<br />

lar-konträren Gegensatz bezeichnen, bei dem die Antonyme zwei Enden<br />

einer Skala markieren und nicht gleichzeitig zutreffen können (vgl.<br />

Kürschner 3 1997: 28). Überdies sind sowohl kühl als auch warm relativ<br />

schnell als synästhetisch verwendete Attribute zu erkennen. <strong>Die</strong> gradu-<br />

ierbaren Temperaturbezeichnungen beziehen sich ursprünglich auf die<br />

sensorische Kategorie der taktilen Wahrnehmung und werden lediglich in<br />

die Olfaktorik importiert. Es ist also weiterhin denkbar, dass auch die<br />

Synästhesie hier zu erhöhter Markierung und Kommentierung Anlass<br />

gegeben hat.


<strong>Die</strong> synästhetische und kontradiktorische Komplexität dieser semantisch<br />

sehr dichten Passage wird ausdrücklich von AL-31 thematisiert: „Herz +<br />

Kopf + Musik + Element sehr viele Assoziationen“.<br />

Der Kommentarteil Herz + Kopf betrifft die Widersprüchlichkeit, wobei sie<br />

als scheinbar sich ausschließende Zusammenführung von Gefühl (=<br />

Herz) und Verstand (= Kopf) gelesen werden können.<br />

Der Kommentar „Musik“ (AL-31) hingegen bezieht sich auf den auditiven<br />

Ursprung von Akkord, <strong>des</strong>sen synästhetischer Gebrauch in Parfumwer-<br />

bungen bereits intensiv diskutiert wurde.<br />

Das Substantiv Feuer wird mit Element kommentiert, was einen weiteren<br />

Ansatzpunkt für eine synästhetische Interpretation bietet. Feuer ist zwar<br />

hinsichtlich seines perzeptorischen Potenzials multimodal – man kann<br />

seine Flammen sehen, sein Knistern hören, seine Wärme mit der Haut<br />

spüren und seinen Rauch riechen –, aber die textliche Umgebung <strong>des</strong><br />

semantischen Spannungsfel<strong>des</strong> kühl vs. warm macht die taktile (tempe-<br />

raturbezogene) Lesart (Feuer = Wärmespender) am wahrscheinlichsten.<br />

Der synästhetische Charakter dieser Passage lässt sich auch über einen<br />

Bezug zu den bereits weiter oben diskutierten Eigenschaftszuschreibun-<br />

gen leidenschaftlich/Leidenschaftlichkeit und geradlinig/Geradlinigkeit<br />

herausarbeiten. <strong>Die</strong>se Attribute werden im Joop-Text sowohl dem Duft<br />

<strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> als auch dem Mann als Träger <strong>des</strong> Duftes zugesprochen.<br />

<strong>Die</strong> Kommentare zu diesen Passagen sind aufschlussreich für die Inter-<br />

pretation der Attribuierung kühl vs. warm. In den Kommentaren wird so-<br />

wohl der synästhetische Charakter als auch die Widersprüchlichkeit der<br />

Attribuierungen thematisiert. <strong>Die</strong> Attribuierungskomplexe leidenschaft-<br />

lich/Leidenschaftlichkeit und geradlinig/Geradlinigkeit stammen zwar<br />

nicht aus dem Mittelteil <strong>des</strong> Joop-Textes, sie machen dafür aber <strong>des</strong>sen<br />

komplexe synästhetische Grundstruktur deutlich. Es handelt sich um fol-<br />

gende Leserkommentare:<br />

Kommentare zum Attribuierungskomplex geradlinig – leidenschaftlich<br />

AL-1 Aufregend und geradlinig widerspricht sich<br />

202


AL-9 Adjektive passen nicht zusammen. Geradlinigkeit = eher kalter Duft. Kopf!<br />

Leidenschaft = warmer Duft. Herz!<br />

AL-19 Passt nicht zusammen.<br />

AL-20 Geradlinig und leidenschaftlich stehen sich nach meinem Verständnis als Op-<br />

positionen gegenüber<br />

AL-28 Entweder geradlinig oder leidenschaftlich! Wiederholung. <strong>Die</strong> Beschreibung<br />

stützt sich nur auf diese beiden Werte, die sich gegenseitig ausschließen<br />

AL-31 Kombi = gegensätzliche Assoziation<br />

Tabelle 32: Joop-Homme: Kommentare zum Attribuierungskomplex geradlinig<br />

– leidenschaftlich<br />

Vor allem der Kommentar von AL-9 bringt die interessante strukturelle<br />

Besonderheit auf den Punkt: „Adjektive passen nicht zusammen. Gerad-<br />

linigkeit = eher kalter Duft. Kopf! Leidenschaft = warmer Duft. Herz!“ <strong>Die</strong><br />

textliche Zusammenführung widersprüchlicher Eigenschaften, die dieser<br />

Text inszeniert, wird von AL-9 explizit benannt. Schematisch kann die<br />

aufgezeigte Korrespondenz sich widersprechender Attribuierungen so<br />

veranschaulicht werden:<br />

Wärme vs. Kälte<br />

<br />

Leidenschaftlichkeit vs. Geradlinigkeit<br />

3.7. Extrapolation der Attribuierungen<br />

Es hat sich bei der Analyse der markierten Attribuierungen im Stichpro-<br />

benkorpus gezeigt, dass viele dieser Attribuierungen als synästhetische<br />

Sprachkonstruktionen betrachtet werden müssen. <strong>Die</strong> Synästhesie-<br />

Hypothese hat sich also als brauchbares Erklärungsmodell erwiesen.<br />

Nun soll durch weitere analoge Belege aus dem Gesamtkorpus geprüft<br />

werden, ob synästhetische Attribuierungen als konstitutives Konstrukti-<br />

onsmerkmal der Parfumbeschreibungen gelten können. Im Zentrum der<br />

203


Extrapolation der Attribuierungen gegen das Gesamtkorpus stehen er-<br />

neut die explizit duftbeschreibenden Mittelteile der Parfumtexte.<br />

<strong>Die</strong> Form der zu suchenden Attribuierungen wird jedoch aus Gründen<br />

der Überschaubarkeit und Transparenz standardisiert. Formalgramma-<br />

tisch gesprochen wird nach NGr mit Adjektivadjunkt gesucht, weil dieses<br />

morphosyntaktische Stereotyp in der Stichprobe am häufigsten markiert<br />

wurde. NGr mit Adjektivadjunkt sind auf Grund ihrer grammatischen<br />

Form als sprachliche Realisierung einer Attribuierungsrelation unumstrit-<br />

ten und müssen daher nicht noch aufwändig als solche herausgearbeitet<br />

werden. Außerdem lässt sich dieses grammatische Stereotyp als relativ<br />

geschlossenes Syntagma gut aus dem Textzusammenhang isolieren,<br />

was bei komplexeren Attribuierungsrelationen, die unter Umständen so-<br />

gar die Satzgrenze überschreiten, nicht gewährleistet ist. <strong>Die</strong> zu suchen-<br />

den NGr werden hinsichtlich der wortbildungsmäßigen Komplexität ihrer<br />

Adjektivadjunkte (Simplex oder Kompositum) unterschieden, denn bei<br />

den adjektivischen Attributen fielen die häufigen Markierungen mutmaß-<br />

licher Ad-hoc-Komposita auf, denen daher besondere Aufmerksamkeit<br />

geschenkt werden muss. Deshalb sollen bei den NGr insbesondere die-<br />

jenigen Adjektivadjunkte herausgestellt werden, die bereits durch ihre<br />

Schreibung als so genannte ‚Bin<strong>des</strong>trich-Adjektive’ auffallen (z.B. mas-<br />

kulin-dynamisch) und damit wahrscheinlich als Ad-hoc-Bildungen zu ver-<br />

stehen sind.<br />

Es wird also bei den NGr mit Adjektivadjunkt unterschieden zwischen<br />

Typ-1: Adjektivattribut = Simplex (z.B. maskuliner Akkord, würzige<br />

Herznote) und<br />

Typ-2: Adjektivattribut = Kompositum (z.B. herb-warme Akzente,<br />

elegant-ozoniger Akkkord).<br />

Um sie als synästhetische Konstruktion auszuweisen ist das primäre<br />

Auswahlkriterium für die nachstehende Auflistung bei beiden Typen der<br />

NGr, dass sie zumin<strong>des</strong>t eine nicht-olfaktorische Konstituente enthalten.<br />

Sobald eine der beteiligten Konstituenten nicht originär dem Geruchsbe-<br />

reich zuzurechnen ist, kann man legitimerweise der gesamten NGr den<br />

Charakter einer sprachlichen Synästhesie attestieren.<br />

204


Als Musterbeispiel für die anschließende tabellarische Darstellung <strong>des</strong><br />

Typs-1 (Adjektiv = Simplex) kann die NGr maskuliner Akkord gelten. An-<br />

hand ihrer wird exemplarisch vorgeführt, wie die synästhetische Analyse<br />

funktioniert:<br />

<strong>Die</strong> Bezeichnung Akkord ist ursprünglich der auditiven Sinneswahrneh-<br />

mung zuzurechnen und wird demzufolge als auditiv klassifiziert. Aller-<br />

dings ist ja, wie diskutiert, Akkord innerhalb <strong>des</strong> Parfumjargons als olfak-<br />

torisch relevante Fachvokabel etabliert und wird aus diesem Grund zu-<br />

sätzlich als quasi-olfaktorisch klassifiziert. Analog wird mit allen olfaktori-<br />

sche relevanten Fachvokabeln verfahren.<br />

<strong>Die</strong>jenigen Konstituenten der NGr, die nicht eindeutig einer Sinnesmoda-<br />

lität zugeordnet werden können, werden als multi-modal klassifiziert.<br />

<strong>Die</strong>s trifft auf das in der <strong>Parfums</strong>prache klassische Adjektiv maskulin zu,<br />

das sich natürlich auf den Mann bezieht. Und ein Mann kann zumin<strong>des</strong>t<br />

potenziell mittels sämtlicher Sinnesmodalitäten wahrgenommen werden.<br />

Des Weiteren gelten auf abstrakterer Ebene diejenigen NGr als synäs-<br />

thetisch relevant, deren Konstituenten sich auf Größen beziehen, die ü-<br />

berhaupt nicht oder nur mit viel Mühe mit sinnlich wahrnehmbaren Quali-<br />

täten in Zusammenhang zu bringen sind. <strong>Die</strong>se NGr kommen als Be-<br />

schreibungen von Geruchseigenschaften eigentlich gar nicht in Frage<br />

und werden daher als nicht-perzeptorisch klassifiziert.<br />

<strong>Die</strong> folgenden Tabellen 34 und 36 komprimieren sehr viel Information.<br />

Daher soll zunächst am Musterbeispiel maskuliner Akkord (Tabelle 33)<br />

expliziert werden, wie jene Tabellen zu lesen sind.<br />

Adjektiv (Simplex) Perzeptorisches<br />

Potenzial<br />

205<br />

Substantiv Perzeptorisches<br />

Potenzial<br />

maskuliner multi-modal Akkord auditiv (quasi-olfaktorisch)<br />

Tabelle 33: Perzeptorisches Potenzial bei Nominalgruppen (Musterbeispiel<br />

maskuliner Akkord)


Spalte 1 zeigt das Adjektiv als Attribut der NGr. <strong>Die</strong> attributiv gebrauch-<br />

ten Adjektive, werden jeweils im Nominativ der starken Deklination an-<br />

gegeben und kongruieren mit dem entsprechenden Bezugssubstantiv.<br />

In Spalte 2 ist das so genannte perzeptorische Potenzial <strong>des</strong> Adjektivs<br />

angegeben, also sein referentieller Bezug zu einer bestimmten Sinnes-<br />

modalität oder zu mehreren. Im einfachstebn Fall taucht hier nur eine<br />

Modalitätsangabe auf (z.B. taktil für das Adjektiv warm). Ist ein Adjektiv<br />

auf zwei Sinnesmodalitäten beziehbar, sind beide genannt, was ange-<br />

zeigt wird durch einen Schrägstrich zwischen ihnen (z.B. gustatorisch /<br />

olfaktorisch im Fall <strong>des</strong> Adjektivs würzig). Sind drei oder mehr Modalitä-<br />

ten im Spiel, auf die sich das jeweilige Lexem beziehen kann, lautet die<br />

Klassifikation immer multi-modal. Handelt es sich um ein Adjektiv, das<br />

keine sensorische Qualität beschreibt, wird es mit nicht-perzeptorisch<br />

klassifiziert, wobei es für den Nachweis synästhetischer Konstruktionen,<br />

mit dem sich diese Untersuchung beschäftigt, gleichgültig ist, welcher<br />

semantischen Kategorie das entsprechenden Adjektiv sonst zuzuordnen<br />

ist. Als Beispiel für diese Kategorie kann das Adjektiv geheimnisvoll gel-<br />

ten in der NGr geheimnisvolle Wärme.<br />

Spalte 3 zeigt das Substantiv als Kern der NGr.<br />

In Spalte 4 ist dann – analog zu Spalte 2 – das perzeptorische Potenzial<br />

<strong>des</strong> Substantivs angegeben. Handelt es sich bei den Substantiven um<br />

Komposita, sind sowohl <strong>des</strong>sen Konstituenten als auch die einzelnen<br />

zugeordneten Sinnesmodalitäten durch ein Pluszeichen (Determinans +<br />

Determinatum) für die Konkatenation verbunden.<br />

<strong>Die</strong> dem Musterbeispiel maskuliner Akkord äquivalenten synästhetisch<br />

relevanten NGr aus dem Gesamtkorpus (Typ-1) sind in Tabelle 34 auf-<br />

geführt.<br />

206


Adjektiv<br />

(Simplex)<br />

Perzeptorisches<br />

Potenzial<br />

aromatische gustatorisch /<br />

olfaktorisch<br />

aromatische gustatorisch /<br />

olfaktorisch<br />

Substantiv Perzeptorisches<br />

207<br />

Potenzial<br />

Klänge auditiv<br />

Energie kinästhetisch<br />

florale multi-modal Noten auditiv<br />

fruchtige gustatorisch /<br />

olfaktorisch<br />

Noten auditiv<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

geeiste taktil Mandarine gustatorisch /<br />

geheimnisvolle nicht-perzeptorisch Wärme taktil<br />

olfaktorisch<br />

grüne visuell Noten (2x) auditiv<br />

grüne visuell Frische taktil<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

herbes gustatorisch Moos multi-modal<br />

holzige multi-modal<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

junge nicht-perzeptorisch Kopf +<br />

Ingredienzien nicht-perzeptorisch<br />

Note<br />

nicht-perzeptorisch<br />

+ auditiv<br />

(quasi-olfaktorisch)


kräftiges kinästhetisch Gerani-<br />

umblatt<br />

kraftvolle kinästhetisch Wärme taktil<br />

208<br />

multi-modal<br />

lebendige kinästhetisch Frische visuell + taktil<br />

maskuline multi-modal Note auditiv<br />

maskuliner multi-modal Akkord auditiv<br />

maskuliner multi-modal Einklang auditiv<br />

prickelnde taktil Zitrus +<br />

Noten<br />

pulsierender kinästhetisch Duft +<br />

Akkord<br />

spritzige taktil Noten auditiv<br />

strahlende visuell Frische taktil<br />

strahlender visuell Duft +<br />

süße gustatorisch /<br />

olfaktorisch<br />

Akkord<br />

Basis +<br />

Note<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

gustatorisch / olfaktorisch +<br />

auditiv (quasi-olfaktorisch)<br />

olfaktorisch + auditiv<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

olfaktorisch + auditiv<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

nicht-perzeptorisch<br />

+ auditiv<br />

transparente visuell Noten auditiv<br />

tropische nicht-perzeptorisch Edel +<br />

Hölzer<br />

verspielte nicht-perzeptorisch Frische taktil<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

nicht-perzeptorisch<br />

+ multi-modal


warme taktil Holz +<br />

Komplexe<br />

warme taktil Edelholz<br />

+ Noten<br />

209<br />

multi-modal +<br />

nicht-perzeptorisch<br />

multi-modal + auditiv<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

warme taktil Fülle nicht-perzeptorisch<br />

warme taktil Basis +<br />

Note (2x)<br />

nicht-perzeptorisch<br />

+ auditiv<br />

warme taktil Melodie auditiv<br />

warme taktil Holz +<br />

Nuancen<br />

warme taktil Edel +<br />

Hölzer<br />

wilde kinästhetisch Noten auditiv<br />

würzige gustatorisch /<br />

olfaktorisch<br />

Noten auditiv<br />

Tabelle 34: Perzeptorisches Potenzial bei Nominalgruppen<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

multi-modal +<br />

nicht-perzeptorisch<br />

nicht-perzeptorisch<br />

+ multi-modal<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

Zur Veranschaulichung <strong>des</strong> Typs-2 (Adjektiv = Kompositum) kann als<br />

Musterbeispiel die NGr herb-warme Akzente herangezogen werden.<br />

Adjektiv (Kompositum) Perzeptorisches<br />

Potenzial<br />

herb + warm gustatorisch + taktil Akzent<br />

Substantiv Perzeptorisches<br />

Potenzial<br />

auditiv<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

Tabelle 35: Perzeptorisches Potenzial bei NGr mit Adjektivkompositum als Att-<br />

ribut (Musterbeispiel herb-warm)


Im Wesentlichen gleichen sich Tabelle 32 und Tabelle 34. Der einzige<br />

Unterschied liegt in der Tatsache, dass sämtliche Attribute in der Form<br />

von Adjektivkomposita erscheinen und demzufolge die Konkatenations-<br />

notation in Spalte 1 und 2 angebracht ist.<br />

Tabelle 36 zeigt die dem Musterbeispiel herb-warme Akzente äquivalen-<br />

ten NGr (Typ-2) <strong>des</strong> Gesamtkorpus.<br />

Adjektiv<br />

(Kompositum)<br />

Perzeptorisches<br />

Potenzial<br />

210<br />

Substantiv Perzeptorisches<br />

Potenzial<br />

(warme + maskuline) taktil + multi-modal Herz + Note taktil / kinästhetisch +<br />

aromatisch + frische gustatorisch / olfakto-<br />

risch + taktil<br />

aromatisch + würzige gustatorisch / olfakto-<br />

balsamisch + animali-<br />

sche <br />

risch + gustatorisch /<br />

olfaktorisch<br />

blumig + würzige multi-modal + gusta-<br />

auditiv (quasi-<br />

olfaktorisch)<br />

Pflanzen multi-modal<br />

Herz +<br />

Note<br />

taktil / kinästhetisch +<br />

auditiv (quasi-<br />

olfaktorisch)<br />

taktil + multi-modal Elemente nicht-perzeptorisch<br />

torisch / olfaktorisch<br />

delikat + rindige gustatorisch + nicht-<br />

perzeptorisch<br />

elegant + ozoniger visuell / kinästhetisch<br />

+ olfaktorisch<br />

exotisch + würzig nicht-perzeptorisch +<br />

gustatorisch / olfakto-<br />

risch<br />

fruchtig + florales gustatorisch / olfakto-<br />

risch + multi-modal<br />

Geranie multi-modal<br />

Note auditiv<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

Akkord auditiv (quasi-<br />

olfaktorisch)<br />

Duft olfaktorisch<br />

Herz taktil / kinästhetisch<br />

(quasi-olfaktorisch)


fruchtig + frische gustatorisch / olfakto-<br />

risch + taktil<br />

fruchtig + grüne gustatorisch / olfakto-<br />

risch + visuell<br />

fruchtig + spritzige gustatorisch / olfakto-<br />

risch + taktil<br />

fruchtig + würziges gustatorisch / olfakto-<br />

risch + gustatorisch /<br />

olfaktorisch<br />

211<br />

Kopf +<br />

Note<br />

Kopf +<br />

Note<br />

Kopf +<br />

Note<br />

Duft +<br />

Erlebnis<br />

nicht-perzeptorisch<br />

+ auditiv (quasi-<br />

olfaktorisch)<br />

nicht-perzeptorisch<br />

+ auditiv (quasi-<br />

olfaktorisch)<br />

nicht-perzeptorisch +<br />

auditiv (quasi-<br />

olfaktorisch)<br />

olfaktorisch + multi-<br />

modal<br />

herb + warm gustatorisch + taktil Akzent auditiv (quasi-<br />

holzig + ledrige multi-modal + multi-<br />

modal<br />

holzig + orientalisch multi-modal + nicht-<br />

perzeptorisch<br />

holzig + würzige multi-modal + gusta-<br />

torisch / olfaktorisch<br />

männlich + herbe multi-modal + gusta-<br />

torisch<br />

männlich + herbe multi-modal + gusta-<br />

torisch<br />

männlich + sinnliches multi-modal + multi-<br />

modal<br />

Grund<br />

+ Note<br />

Basis +<br />

Note<br />

Brise taktil<br />

Herz +<br />

Note<br />

Frische taktil<br />

olfaktorisch)<br />

nicht-perzeptorisch +<br />

auditiv (quasi-<br />

olfaktorisch)<br />

nicht-perzeptorisch +<br />

auditiv (quasi-<br />

olfaktorisch)<br />

taktil / kinästhetisch +<br />

auditiv (quasi-<br />

olfaktorisch)<br />

Finish nicht-perzeptorisch<br />

(quasi-olfaktorisch)


männlich + würziger multi-modal + gusta-<br />

torisch / olfaktorisch<br />

maskulin + blumiger multi-modal + multi-<br />

modal<br />

mild + pudriger nicht-perzeptorisch +<br />

taktil<br />

natürlich + frische nicht-perzeptorisch +<br />

taktil<br />

sinnlich + markante multimodal + visuell /<br />

taktil<br />

212<br />

Fond gustatorisch (quasi-<br />

olfaktorisch)<br />

Akkord auditiv (quasi-<br />

olfaktorisch)<br />

Ausklang auditiv (quasi-<br />

Kopf +<br />

Note<br />

olfaktorisch)<br />

nicht-perzeptorisch +<br />

auditiv (quasi-<br />

olfaktorisch)<br />

Komposition auditiv<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

transparent + frostige visuell + taktil Frische visuell + taktil<br />

vibrierend + sinnliche taktil / kinästhetisch +<br />

multi-modal<br />

Harmonie auditiv<br />

würzig + kühle gustatorisch + taktil Akzente auditiv<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

(quasi-olfaktorisch)<br />

Tabelle 36: Perzeptorisches Potenzial bei Nominalgruppen mit Adjektivkompo-<br />

situm als Attribut<br />

<strong>Die</strong> in den Tabellen 34 und 36 aufgelisteten NGr erfassen sicherlich nicht<br />

alle Attribuierungsrelationen, die die Produktbeschreibungen <strong>des</strong> Ge-<br />

samtkorpus semantisch prägen. Es wurden bewusst nur die explizit duft-<br />

beschreibenden Mittelteile der Texte ins Auge gefasst, weil eine zentrale<br />

Fragestellung dieser Arbeit ist, ob und wenn ja wie man Parfumgerüche<br />

sprachlich beschreiben kann. Abstraktere Attribuierungen oder Pseudo-<br />

Attribuierungen, die offensichtlich lediglich den Zweck verfolgen, ver-<br />

schiedene Konzepte von Männlichkeit mit faktischen oder vermeintlichen<br />

Dufteigenschaften assoziativ zu verknüpfen, wurden absichtlich ausge-<br />

spart.


Zwei Ergebnisse der Extrapolation der Attribuierungen (NGr) können<br />

konstatiert werden:<br />

<strong>Die</strong> Extrapolation der NGr stellt auf transparente Weise und äußerst<br />

konzentriert heraus, dass die Kombination Adjektiv + Substantiv ein<br />

morphosyntaktisches Stereotyp ist, das zur Beschreibung der Parfum-<br />

düfte auffallend oft verwendet wird: Typ-1 erscheint 35-mal; Typ-2 er-<br />

scheint 28-mal.<br />

Insgesamt sind in den Mittelteilen der Texte also 63 verschiedene NGr<br />

zu finden, die als geruchsbeschreibende Syntagmen identifiziert werden<br />

können.<br />

Das von mir im Theorieteil legitimierte und am Stichprobenkorpus der<br />

AL-Umfrage erprobte Kategorienraster von sechs Sinnesmodalitäten eig-<br />

net sich sehr gut als Detektionswerkzeug zum Aufspüren synästheti-<br />

scher Sprachkonstruktionen. Es ist durch die isolierende Kategorisierung<br />

der Komponenten der NGr deutlich geworden, dass originär olfaktorische<br />

Kombinationen so gut wie gar nicht auftauchen, sondern dass das Phä-<br />

nomen der sprachlichen Synästhesie in fast allen NGr beobachtet wer-<br />

den kann. Schließlich kann man innerhalb <strong>des</strong> Paradigmas der synäs-<br />

thetischen NGr zwei verschiedene Großgruppen von synästhetischer<br />

Konstruktionen unterscheiden, die folgendermaßen charakterisiert wer-<br />

den können:<br />

Ein Element ist originär olfaktorisch oder quasi-olfaktorisch und wird mit<br />

nicht-olfaktorischen und/oder multi-modalen und/oder nicht-<br />

perzeptorischen Elementen verknüpft (Beispiele: strahlender Duftakkord<br />

oder exotisch-würziger Duft).<br />

Keins der Elemente der NGr ist dem Bereich der Olfaktorik zuzuordnen,<br />

sondern es werden nicht-olfaktorische Sinnesbereiche untereinander<br />

kombiniert oder die NGr beinhaltet min<strong>des</strong>tens ein Element, das eine<br />

nicht-perzeptorische Größe charakterisiert (z.B. grüne Frische oder bal-<br />

samisch-animalische Elemente).<br />

<strong>Die</strong> Attribuierungen in Form von NGr machen im Hinblick auf die Be-<br />

schreibung von Geruchsqualitäten bei weitem den fruchtbarsten und in-<br />

teressantesten Datensatz aus. Bevor sie mit dem Riffaterreschen Begriff<br />

213


<strong>des</strong> stilistischen Verfahrens in Zusammenhang gebracht werden, soll<br />

daher zunächst etwas ausführlicher ihre kommunikative Funktion mit Hil-<br />

fe der Jakobsonschen Sprachfunktionen erörtert werden.<br />

3.7.1. Attribuierungen und ihre kommunikative Funktion<br />

Es trat bereits bei der Analyse <strong>des</strong> Stichprobenkorpus durch die AL-<br />

Kommentare eindeutig zu Tage, dass diverse Geruchsbeschreibungen<br />

von den Lesern großenteils als unverständlich oder gar explizit unsinnig<br />

wahrgenommen wurden. <strong>Die</strong> aus dem Gesamtkorpus extrahierten Daten<br />

geben dieser Einschätzung weitere Nahrung. Man fragt sich in der Tat<br />

häufig: Was soll das alles bedeuten? Wie riechen balsamisch-<br />

animalische Elemente die im Fond von Hugo Boss-Number One domi-<br />

nieren? Was soll das sein und wie soll das riechen, ein pulsierender,<br />

strahlender Duftakkord, der die Kopfnote von Rochas-Aquaman domi-<br />

niert und aus spritziger Pampelmuse besteht? Solche Konstruktionen<br />

wirken auf jeden Leser zunächst einmal skurril. Skurril bedeutet „sonder-<br />

bar, auf lächerliche oder befremdende Weise eigenwillig“ (Duden 4 1982:<br />

709). Es ist aber ein Unterschied, ob etwas auf lächerliche oder befrem-<br />

dende Weise eigenwillig wirkt. Beim Adjektiv lächerlich schwingt zwei-<br />

felsohne ein abwertender Unterton mit. Lächerlich zu wirken kann dem-<br />

nach wohl kaum das Anliegen eines Werbetextes sein, der ja naturge-<br />

mäß positiv für ein Produkt einnehmen will; immerhin soll sich das Pro-<br />

dukt verkaufen. Ein Adjektiv wie befremdend ist jedoch nicht notwendig<br />

als pejorativ zu verstehen. <strong>Die</strong> Eigenwilligkeit befremdender Dinge kann<br />

auch interessant sein und neugierig machen, also in positivem Sinne mit<br />

originell paraphrasiert werden, so dass skurril beide Assoziationsoptio-<br />

nen, positive wie negative, in sich vereint. <strong>Die</strong> Einschätzungen der Leser<br />

attestieren allerdings, wie gezeigt, den skurrilen Attribuierungen fast aus-<br />

schließlich einen negativen Beigeschmack. Sollte dies in der Tat die In-<br />

tention der Parfumtexte sein, müssten sie allesamt pauschal als schlecht<br />

geschrieben und an jeglicher Konsumentenzielgruppe vorbei konzipiert<br />

214


etrachtet werden. <strong>Die</strong>se Annahme ist allerdings absurd. <strong>Die</strong> entschei-<br />

dende Frage aus einer den Texten wohlwollend gegenüberstehenden<br />

Position lautet vielmehr: Was könnte in einem Gebrauchstext wie einer<br />

Produktbeschreibung (als per se intentionalem Werbetext) die positive<br />

Motivation solch skurriler Syntagmen sein?<br />

Eine theoretisch plausible Antwort auf diese Frage kann unter der Per-<br />

spektive der sechs Jakobsonschen Sprachfunktionen angeboten wer-<br />

den. Da die Konstruktionen im konventionellen Sinne tendenziell nicht<br />

verstanden werden, das heißt, ihrem Signifiant offensichtlich kein akzep-<br />

tables und verbindliches Signifié zugeordnet werden kann, geht die refe-<br />

rentielle Sprachfunktion hier eindeutig ins Leere. <strong>Die</strong> komplexen Pseudo-<br />

Lexeme verweisen im Großen und Ganzen nicht auf eine externe Entität,<br />

die als Referenzobjekt dem Leser zugänglich wäre. Nach einer konventi-<br />

onellen Auffassung von Bedeutung im Sinne der referentiellen Sprach-<br />

funktion bedeuten die NGr nichts. Es handelt sich bei ihnen um Pseudo-<br />

Zeichen, die formalgrammatisch auf Grund konventioneller Wortbil-<br />

dungsmechanismen lediglich den Eindruck erwecken, als hätten sie Zei-<br />

chencharakter.<br />

Was die konventionell akzeptable Grammatizität der NGr angeht, ist zu-<br />

min<strong>des</strong>t die metasprachliche Funktion hier insofern aktiv, als sie Aus-<br />

kunft darüber gibt, dass es sich um regelkonform gebildete Signifikanten<br />

<strong>des</strong> Sprachsystems <strong>des</strong> Deutschen handelt.<br />

<strong>Die</strong> Dominanz der konativen Sprachfunktion, deren Fokus auf dem Ap-<br />

pellcharakter der Nachricht liegt und die der Werbung im Allgemeinen<br />

sicherlich zurecht unterstellt wird, greift hier allerdings nicht. Im Gegen-<br />

teil. Durch die Tatsache der tendenziell ablehnenden Reaktion der AL,<br />

quantitativ bestätigt durch die Extrapolation, wird genau der gegenteilige<br />

Effekt erreicht. Den Beschreibungen hängt der Makel <strong>des</strong> Unsinnigen<br />

und damit <strong>des</strong> Negativen an und dieser eignet sich in keiner Weise als<br />

Kaufappell.<br />

Nimmt man die mit der konativen Funktion am engsten korrelierende<br />

emotive Sprachfunktion als Motivation an, die die Einstellung <strong>des</strong> Spre-<br />

chers (hier: <strong>des</strong> Textes) zum Geäußerten anzeigt, kommt man auch<br />

215


nicht weiter. <strong>Die</strong> Texte folgen bezüglich der Attribuierungen offensichtlich<br />

einem esoterischen Kode, der vielleicht Eingeweihten zugänglich ist und<br />

den diese möglicherweise attraktiv finden. Aber für einen standard-<br />

sprachlich kompetenten Leser sind sie erwiesenermaßen weder das Ei-<br />

ne noch das Andere. Man fragt sich als Leser eher, wer eigentlich so ei-<br />

nen Unsinn produziert haben kann – der Sender wird zumin<strong>des</strong>t als<br />

Sender einer informativen Nachricht nicht ernst genommen.<br />

In einem positiven Sinne erklärbar ist die Motivation der skurrilen Eigen-<br />

schaftszuschreibungen aber oberflächlich mit der phatischen und tiefer<br />

gehend mit der poetischen Sprachfunktion. Beide können in Zusammen-<br />

hang gebracht werden mit dem Wahrnehmungsphänomen der Deauto-<br />

matisierung <strong>des</strong> Leseprozesses, wozu auch die Charakterisierung be-<br />

fremdend und skurril passen. Der phatische Effekt kann darin gesehen<br />

werden, dass durch das ständige Auftauchen befremdender NGr der Le-<br />

ser immer wieder auf die Tatsache <strong>des</strong> Kommunikationsvorganges auf-<br />

merksam gemacht wird, wenngleich er diesem kaum referentielle Infor-<br />

mation entnehmen kann. Es ist eine ähnliche Situation, wie wenn man in<br />

einer fremden <strong>Sprache</strong> angesprochen würde. Man weiß, dass der Ge-<br />

genüber einem etwas mitteilen will, aber man versteht nichts.<br />

Der Annahme <strong>des</strong> Wirkens der poetischen Funktion kommt jedoch bei<br />

der Analyse dieses eigenwilligen Kommunikationsprozesses die zentrale<br />

Erklärungskraft zu.<br />

3.7.2. Attribuierungen und ihre poetische Relevanz<br />

Im Rückbezug auf den im Theorieteil erörterten Konflikt zwischen refe-<br />

rentieller und poetischer Sprachfunktion sowie Riffaterres Konzept <strong>des</strong><br />

stilistischen Verfahrens aus dem Methodenteil, können die Attribuierun-<br />

gen folgendermaßen interpretiert werden.<br />

<strong>Die</strong> Attribuierungen in Form von NGr fallen dem Leser auf, das ist offen-<br />

sichtlich. Sie ziehen auf Grund ihrer semantischen Skurrilität mehr Auf-<br />

merksamkeit auf sich, denn die Kombination semantisch inkongruenter<br />

216


Elemente in einem formal kongruenten Syntagma kann nicht automa-<br />

tisch dekodiert werden. Der Leser kann bei der Bedeutungskonstitution<br />

nicht auf einen etablierten Kode zurückgreifen, der konventionell ver-<br />

bürgt wäre. Der kontinuierliche, lineare Entschlüsselungsprozess wird<br />

durch die NGr gestört, der Leser wird zu einer deautomatisierten Rezep-<br />

tion veranlasst, die ihm der Text aufzwingt. In diesem Sinne kann man<br />

theoretisch begründet davon sprechen, dass an den Textstellen, an de-<br />

nen inkongruente NGr auftauchen, der Fokus der Leseraufmerksamkeit<br />

textseitig auf den Kontrast zwischen formaler Kongruenz und semanti-<br />

scher Inkongruenz gelenkt wird und damit auf die „message for its own<br />

sake“ (Jakobson 1981: 25). Es kann also über das Phänomen der Deau-<br />

tomatisierung nachgewiesen werden, dass die NGr poetisch relevante<br />

Stimuli in der Linearität <strong>des</strong> Textes darstellen – und dies ist ein Indiz für<br />

das Wirken der poetischen Funktion der <strong>Sprache</strong>.<br />

Des Weiteren kann man die skurrilen NGr, wie durch die Extrapolation<br />

gezeigt wurde, hinsichtlich <strong>des</strong> Kriteriums der semantischen Inkongruenz<br />

im Allgemeinen und ihrer synästhetischen Kombination im Besonderen<br />

als paradigmatische Ordnung auffassen. Alle aktualisierten skurrilen NGr<br />

sind unter dieser Perspektive als äquivalente Varianten zu verstehen, die<br />

demselben Paradigma angehören. Sie weisen durch ihren Wiederho-<br />

lungscharakter einen gewissen Grad an Redundanz auf, was als Indiz<br />

gewertet werden muss für das Projektionsprinzip der poetischen Sprach-<br />

funktion: Äquivalente Elemente aus dem vertikal gedachten Paradigma<br />

skurrile NGr werden auf die horizontale Ebene <strong>des</strong> Textes projiziert.<br />

Im Text zu Boss-Elements Aqua beispielweise lassen sich fünf NGr<br />

nachweisen, deren semantische Kongruenz zumin<strong>des</strong>t zweifelhaft ist<br />

und die daher als skurril betrachtet werden müssen. Da ihr referentieller<br />

Informationsgrad wegen ihrer Pseudo-Referenz extrem gering ist, kann<br />

ihr Auftauchen nur mit einem bewusst oder unbewusst – die Frage ist<br />

psychologischer Natur und soll hier nicht interessieren – intendierten po-<br />

etischen Effekt erklärt werden. Sie haben in jedem Falle den Effekt, die<br />

Leseraufmerksamkeit auf den Text selbst zu richten. Und das tun sie<br />

auch, wie empirisch nachgewiesen werden konnte.<br />

217


Das Riffaterresche Postulat <strong>des</strong> Kontextes als einer textinternen Norm,<br />

von dem sich ein stilistischer Stimulus durch eine strukturell beschreib-<br />

bare Kontrastfigur abhebt, kann im Bezug auf die Attribuierungen in<br />

zweierlei Hinsicht nutzbar gemacht werden. <strong>Die</strong> Konzepte Mikrokontext<br />

und Makrokontext seien hier zur Erinnerung nochmal zitiert:<br />

„Der Unterschied zwischen Makrokontext und Mikrokontext besteht darin, daß<br />

der erste eine Folge von Varianten aufweist, die alle im Text verwirklicht wer-<br />

den und deren Isomorphismus sich dem Leser unwiderstehlich aufdrängt. Im<br />

zweiten Fall hingegen wird der Isomorphismus durch einen einzigen Vergleich,<br />

lediglich zwischen zwei Varianten, wahrgenommen.” (Riffaterre 1973: 66).<br />

<strong>Die</strong> im Rahmen der Stichprobenanalyse der Attribuierungen exempla-<br />

risch am Text zu Boss-Elements Aqua ausgeführte Funktion <strong>des</strong> Makro-<br />

kontextes kann verallgemeinernd auf das Gesamtkorpus angewendet<br />

werden, wenn man die komplexen NGr als Einheiten betrachtet und ih-<br />

ren pseudo-lexikalischen Charakter ins Auge fasst. In den Produktbe-<br />

schreibungen <strong>des</strong> Gesamtkorpus gibt es ununterbrochen <strong>des</strong>kriptive Se-<br />

quenzen, die durchaus referentielle Information vermitteln und sinnvolle<br />

Aussagen über das Parfum machen. Semantisch inkongruente NGr, wie<br />

sie aus dem Korpus extrahiert wurden, sind nicht der Standard. Aber sie<br />

sind interessant für diese Untersuchung, weil die AL sie so auffällig oft<br />

markiert haben und dadurch nahe gelegt wird, dass ihnen eine besonde-<br />

re stilistische Rolle zukommt. Außerdem wurde schon <strong>des</strong> öfteren darauf<br />

hingewiesen, dass man unterscheiden muss zwischen allgemein-<br />

abstrakten Aussagen über das Parfum als Gegenstand der Vermarktung<br />

und Aussagen über spezifische Geruchsqualitäten.<br />

Man kann dem generell beschreibenden Charakter der Texte die Funkti-<br />

on zuweisen, eine textinterne Norm <strong>des</strong> Informierens zu etablieren. Al-<br />

lein die Tatsache, dass die Texte auf der Internetwerbeseite eines Par-<br />

fumvertreibers erscheinen, erzeugt bei einem Leser eine kontextspezifi-<br />

sche Erwartungshaltung; der Leser erwartet, über das angebotene Pro-<br />

dukt informiert zu werden. Dass die Beschreibung der angebotenen Pro-<br />

dukte in der Werbeindustrie üblicherweise mit stereotypen Idealisierun-<br />

gen und euphemistischen Sprachkonstruktionen geschieht um ein mög-<br />

218


lichst angenehmes und attraktives Bild <strong>des</strong> Produktes zu zeichnen, ist<br />

ein bekannter Allgemeinplatz. <strong>Die</strong>ser Umstand schmälert aber nicht die<br />

Tatsache, dass man trotzdem Information über das Produkt erwartet –<br />

sei sie auch noch so geschönt. Wenn es allerdings um Information zu<br />

spezifischen Geruchsqualitäten geht, wird diese Erwartungshaltung beim<br />

Leser notwendig enttäuscht. Aber genau diese enttäuschte Erwartungs-<br />

haltung manifestiert sich durch die Pseudo-Attribuierungen der geruchs-<br />

beschreibenden Textteile in markanter Weise. Sie sind die stilistischen<br />

Stimuli, die innerhalb der Erwartungshaltung, die der Makrokontext text-<br />

intern inszeniert, als Kontrastwirkung die Leseraufmerksamkeit über Ge-<br />

bühr beanspruchen und damit als Wirken der poetischen Funktion der<br />

<strong>Sprache</strong> zu identifizieren sind.<br />

Aber auch Riffaterres Konzept <strong>des</strong> Mikrokontextes kann herangezogen<br />

werden, um die strukturelle und nicht nur punktuelle Funktion der Pseu-<br />

do-Attribuierungen als stilistische Verfahren mit linguistischen Mitteln zu<br />

erklären. Was bereits bei der Einzelfallanalyse der im Stichprobenkorpus<br />

auffallend häufig markierten NGr elegant-ozoniger Akkord zu zeigen war,<br />

wird nach der Erweiterung <strong>des</strong> Datensatzes durch die Extrapolation und<br />

die klassifizierende Aufarbeitung unter synästhetischer Perspektive noch<br />

plastischer. Eigenschaftszuschreibungen in Form von NGr können mit<br />

dem Riffaterreschen Begriff <strong>des</strong> Mikrokontextes adäquat und kohärent<br />

beschrieben werden. Bei Riffaterres Modellbeispiel „cette obscure clarté“<br />

(Riffaterre 1973: 64) wird ein für den Leser unerwartbarer Kontrast zwei-<br />

er Lexeme innerhalb <strong>des</strong> Paradigmas der visuellen Wahrnehmung (obs-<br />

cure vs. clarté) konstatiert, der als Inkongruenzphänomen deautomati-<br />

siertes Lesen bedingt. Übertragen auf den in dieser Arbeit zur Verhand-<br />

lung stehenden Bereich der Olfaktorik konnte großflächig über das ge-<br />

samte Korpus nachgewiesen werden, dass analoge, dem Riffaterre-<br />

schen Muster vergleichbare Kontrastfiguren zu beobachten sind. Aller-<br />

dings nicht innerhalb einer bestimmten Wahrnehmungsmodalität, son-<br />

dern – und das ist gerade der synästhetischer Spezialfall für den Ge-<br />

ruchsdiskurs – modalitätsübergreifend.<br />

219


Der stilistische Effekt der NGr speist sich also aus dem intermodalen<br />

Kontrast innerhalb <strong>des</strong> bipolaren Subsystems Mikrokontext. Dabei kann<br />

der stilistische Kontrast in zweierlei Weise als Inkongruenzphänomen<br />

auftauchen.<br />

Entweder zwischen Adjektiv und Substantiv im Fall der NGr Typ-1 (Ad-<br />

jektiv = Simplex; Beispiel: aromatische vs. Klänge). In diesem Fall wäre<br />

die gesamte NGr als Mikrokontext anzusehen.<br />

Oder zwischen Determinans und Determinatum im Fall der NGr Typ-2<br />

(Adjektiv = Kompositum; Beispiel: herb-warme Akzente). In diesem Fall<br />

würde nur das Adjektivkompositum den Mikrokontext bilden.<br />

Eine Extremform dieses stilistischen Kontrastes findet sich allerdings,<br />

wenn alle drei Konstituenten einer komplexen NGr – Determinans und<br />

Determinatum <strong>des</strong> Adjektivkompositums sowie das Substantiv – durch<br />

Lexeme aus unterschiedlichen Sinnesmodalitäten gefüllt werden, wie im<br />

Beispiel transparent frostige Frische. In diesem sehr seltenen Fall treffen<br />

zwei Mikrokontexte unmittelbar aufeinander, in denen der Kontrast<br />

wahrnehmbar ist, nämlich einerseits die Inkongruenz innerhalb <strong>des</strong> Sub-<br />

systems Kompositum und andererseits die Inkongruenz innerhalb <strong>des</strong><br />

Subsystems NGr.<br />

Zusammenfassend sei noch einmal betont, dass den stilistischen Verfah-<br />

ren, die mit dem Konzept <strong>des</strong> Mikrokontextes beschrieben wurden, das<br />

Rezeptionsverhalten der enttäuschten Lesererwartung zu Grunde liegt.<br />

Ihnen allen ist gemeinsam, dass Lexeme aus einer bestimmten Wahr-<br />

nehmungsmodalität das Auftauchen eines Folgelexems (oder mehrerer)<br />

aus derselben Modalität wahrscheinlich machen. Wird diese Wahr-<br />

scheinlichkeit konterkariert, tritt ein Kontrast auf, der als stilistisch (poe-<br />

tisch) relevanter Stimulus bezeichnet werden kann.<br />

220


3.8. Stichprobenanalyse 3: Verben<br />

Folgende Verben wurden in den drei Texten <strong>des</strong> Stichprobenkorpus<br />

markiert und werden nun einer exemplarischen Analyse unterzogen:<br />

bestechen (Bogner-Snow)<br />

sprühen (Boss-Elements Aqua)<br />

strahlen (Boss-Elements Aqua)<br />

unterstreichen (Bogner-Snow)<br />

verschmelzen (Joop-Homme)<br />

<strong>Die</strong> Verben strahlen und unterstreichen tauchen zudem auch noch im<br />

Bogner- beziehungsweise Joop-Text auf, wurden dort jedoch von den AL<br />

nicht markiert.<br />

Um eine Ausgangsposition zu schaffen, von der aus ich die Verben auf<br />

ihren potenzielle Status als stilistische Stimuli prüfen werde, notiere ich<br />

zunächst die jeweiligen Bedeutungsparaphrasen, die sich bei Wahrig<br />

(1994) finden. Hierdurch wird die konventionelle Bedeutung der Verben<br />

herausgestellt um ihnen dann die je spezifische Verwendungsweise im<br />

Parfum-Kontext kontrastiv gegenüberzustellen. Dann werden die Leser-<br />

kommentare herangezogen, um die kontextspezifische Bedeutung der<br />

Stichprobenverben in den Parfumtexten zu bestimmen.<br />

Zentral für die spätere Interpretation der Verben <strong>des</strong> Parfumdiskurses ist<br />

der auf Fillmore (1968) zurückgehende Begriff <strong>des</strong> Tiefenkasus (vgl.<br />

Fillmore 1968: 21 ff.).<br />

„Tiefenkasus benennen die semantischen Rollen, die verschiedene ‚Mit-<br />

spieler’ [= semantische Rollen] in der durch das Verb bezeichneten Situ-<br />

ation übernehmen“ (Bußmann 2002: 333).<br />

<strong>Die</strong> hier relevanten semantischen Rollen betreffen das Prinzip der Agen-<br />

tivität, also die Rolle <strong>des</strong> Urhebers einer Handlung und die damit einher-<br />

gehende Unterscheidung zwischen den vom Verb aufgerufenen seman-<br />

tischen Rollen Agens (englisch: agentive) und Instrumental (vgl. Fillmore<br />

1968: 21 ff. und 1987: 28 ff.). Van Valin/Wilkins (1996) stellen die beiden<br />

wesentlichen Kategorien der Agentivität folgendermaßen gegeneinander:<br />

221


„Agentive (A), the case of the typically animate perceived instigator of the ac-<br />

tion identified by the verb.<br />

Instrumental (I), the case of the inanimate force or object causally involved in<br />

the action or state identified by the verb“ (Van Valin/Wilkins 1996: 293).<br />

Für die Zwecke dieser Untersuchung reicht diese grobe Unterteilung der<br />

Kategorie Agentivität, wie sich im Folgenden zeigen wird. (Für tiefer ge-<br />

hende Diskussionen zu semantischen Rollen und Agentivität vgl. Jacob<br />

2004: 104 ff.; Van Valin 2004: 62; Engelberg 2000: 162 ff.; Van Va-<br />

lin/LaPolla 1997: 118; Starosta 1988: 114 ff.; Tarvainen 1987: 75 ff.; Hal-<br />

liday 1994: 164 ff., 1981: 238 ff. sowie 1973: 298 ff.).<br />

Das Verb bestechen<br />

„bestechen (...)<br />

1. durch unerlaubte Geschenke für sich gewinnen, beeinflussen (...)<br />

2. für sich einnehmen, einen gewinnenden, günstigen Eindruck machen<br />

(...)“<br />

(Wahrig 1994: 310).<br />

Das Verb bestechen taucht im Bogner-Text in folgendem Satz auf:<br />

„(...) die Herznote besticht durch die Kombination von Vetiver-Gräsern, Ze-<br />

dernholz und schwarzem Pfeffer.“<br />

<strong>Die</strong> entsprechenden drei AL-Markierungen und Kommentare sind wie<br />

folgt.<br />

Markierung Kommentar<br />

AL-13: Herz(-note) besticht Besticht? Assoziiert ‚Messer’ oder ‚Herzstiche’<br />

AL-25: besticht Wie kann etwas Duften<strong>des</strong> bestechen?<br />

AL-26: besticht Wen oder was?<br />

Tabelle 37: Lesermarkierungen und -kommentare zu dem Verb bestechen<br />

222


Das Verb bestechen ist bereits im standardsprachlichen Deutsch in un-<br />

eigentlicher Bedeutung lexikalisiert, wobei der Abstraktionsgrad bei Les-<br />

art-2 höher ist als bei Lesart-1. <strong>Die</strong> konkrete sinnliche Erfahrung <strong>des</strong><br />

Stechens, also <strong>des</strong> Verletzens der Haut, die der abstrakt-<br />

metaphorischen Lesart zu Grunde liegt, wird bei Wahrig (1994) nicht<br />

thematisiert. Sie ist allerdings leicht rekonstruierbar durch die Paraphra-<br />

sen in Tabelle 38.<br />

Lesart Lexikalisiertes Abstraktum Konkrete Paraphrase<br />

bestechen (1) Geld/Geschenke geben<br />

bestechen (2) Aufmerksamkeit erregen<br />

Tabelle 38: Paraphrasen <strong>des</strong> Verbs bestechen<br />

223<br />

Jemanden stechen und dadurch<br />

Aufmerksamkeit erregen<br />

Beide Einträge bei Wahrig (1994) legen nahe, dass es sich beim Verb<br />

bestechen um eine so genannte verblasste oder tote Metapher handelt,<br />

bei der die ursprünglich konkrete Bedeutung <strong>des</strong> Stechens (einen Stich<br />

geben) nicht mehr wahrgenommen wird (vgl. Nöth 2 2000: 346). Demge-<br />

genüber steht jedoch die authentische Leserbemerkung, die empirisch<br />

belegt, dass das Verb sehr wohl noch in der eigentlichen, konkreten Be-<br />

deutung verstanden werden kann; immerhin wird die Assoziation zu ei-<br />

nem „Messer” (AL-13) notiert. <strong>Die</strong> Annahme einer toten Metapher ist<br />

damit genau genommen für diesen Fall falsifiziert und dieser Tatbestand<br />

gibt nicht nur weitere Berechtigung, sondern macht es zur Pflicht, die<br />

uneigentliche Verwendung dieses Verbs genau zu betrachten.<br />

Einen weiteren interessanten Aspekt liefert der Kommentar von AL-25:<br />

“Wie kann etwas Duften<strong>des</strong> bestechen?” Angezweifelt wird hier die Herz-<br />

note als duftenden Komponente <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> in der syntaktischen Funk-<br />

tion <strong>des</strong> Subjekts. Auch wenn AL-25 nicht so weit geht, den konkret-<br />

sinnlichen konzeptuellen Hintergrund <strong>des</strong> Stechens zu assoziieren, so<br />

wird doch deutlich, dass bezüglich <strong>des</strong> Verbs bestechen die syntaktische<br />

Rolle <strong>des</strong> Subjekts semantisch eigentlich nur von einem Menschen, zu-<br />

min<strong>des</strong>t aber von einer belebten Entität, nicht aber von einem Parfum-


duft gefüllt werden kann. Der Text tut aber genau dies, der Duft der<br />

Herznote besticht durch eine Kombination verschiedener duftender Na-<br />

tursubstanzen. Und legitimerweise schließt sich die Frage von AL-26 an,<br />

„wen oder was” die Herznote denn besticht, da die Valenz von beste-<br />

chen eine fakultative Ergänzung im Kasus Akkusativ möglich macht, die<br />

im Text allerdings nicht realisiert ist.<br />

<strong>Die</strong> kritischen Bemerkungen der AL bezüglich <strong>des</strong> Verbs stechen bezie-<br />

hen sich allesamt auf eine semantische Inkongruenz. Präziser kann man<br />

dieses Phänomen als perzeptorische Inkongruenz beschreiben. Es<br />

scheint offenbar ein Problem zu geben, die Verwendung von bestechen<br />

im Bereich der Olfaktorik zu akzeptieren und dies aus zweierlei Gründen.<br />

Einerseits ist die Abneigung durch die zweifelhafte Besetzung der Sub-<br />

jektposition durch ein Instrumental erklärbar, in diesen Fällen durch et-<br />

was Duften<strong>des</strong> = Unbelebtes. Andererseits kann einmal mehr die Synäs-<br />

thesie-Hypothese herangezogen werden, um die ablehnende Reaktion<br />

der AL hinreichend zu erklären. Will man dem Verb bestechen einen ori-<br />

ginären perzeptorischen Ursprungsbereich zuweisen, so muss man die<br />

taktile Sinnesmodalität annehmen, da (be-)stechen in ursprünglicher<br />

Weise die Wahrnehmung durch die Haut, sinnesphysiologisch gespro-<br />

chen durch die Mechano- und Schmerzrezeptoren in der Haut, betrifft.<br />

<strong>Die</strong>se Assoziationsmöglichkeit wird von AL-13 explizit bestätigt. Der ori-<br />

ginäre semantische Referenzbereich von bestechen ist also innerhalb<br />

der taktilen Wahrnehmung zu verorten und nicht in der Olfaktorik. Es<br />

kann als Erklärung somit erneut die mutmaßliche leserseitige Nichtak-<br />

zeptanz der synästhetischen Verwendungsweise von bestechen ange-<br />

nommen werden. <strong>Die</strong>se verhält sich auch kohärent mit der im Theorieteil<br />

formulierten Hypothese <strong>des</strong> notwendigen indirekten sprachlichen Zugriffs<br />

auf den Bereich der Olfaktorik, wobei indirekt heißt, durch eine metapho-<br />

rische Anleihe aus einem anderen Sinnesbereich. Leider wird dieses<br />

kreative Manöver, wenn es als auffällig wahrgenommen und markiert<br />

wird, negativ bewertet wie die drei oben zitierten Leserkommentare be-<br />

legen.<br />

224


Das Verb sprühen<br />

„sprühen (...)<br />

1. in kleinen Teilchen (Funken,<br />

Flüssigkeit) spritzen, davon-, auseinanderfliegen:<br />

leicht, fein regnen (...)<br />

sehr lebhaft, ausgelassen sein (...)<br />

2. (...) kleinste Teilchen (bes. von Flüssigkeit) aussenden (...)“<br />

(Wahrig 1994: 1481).<br />

Das Verb sprühen taucht im Boss-Text in folgendem Satz auf:<br />

„Sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht dieser Duft vor maskuliner Vi-<br />

talität und Energie – wie der Mann, der ihn trägt.“<br />

<strong>Die</strong>se Sequenz hat es offenbar in sich, denn aus ihr wurden von 13 Le-<br />

sern Segmente markiert. Allerdings beziehen sich nur drei der Markie-<br />

rungen direkt auf die lexikalische Bedeutung von sprühen, die hier the-<br />

matisiert werden soll. Andere strukturelle Auffälligkeiten dieser markan-<br />

ten Textstelle wurden bereits bei der Analyse der Attribuierungen disku-<br />

tiert. Demzufolge werden an dieser Stelle auch nur diejenigen Markie-<br />

rungen und Kommentare diskutiert, die das Verb im Blick haben:<br />

Markierungen Kommentare<br />

AL-25: sprüht Ein[en] Duft kann man versprühen, aber er selbst kann<br />

nicht sprühen<br />

AL-31: sprüht dieser Duft Zuerst dachte ich an Personifikation<br />

AL-32: sprüht – Duft Kann ein Duft sprühen?<br />

Tabelle 39: Lesermarkierungen und -kommentare im Boss-Text zum Verb sprü-<br />

hen<br />

Es wird von den Lesern offenbar erneut als störend empfunden, dass –<br />

analog zur Verwendung von bestechen bei Boss – der Text dem Duft (=<br />

Instrumental) die syntaktische Rolle <strong>des</strong> mit sprühen kongruierenden<br />

225


Subjekts zuschreibt anstatt diese Position mit einem Agens (Mensch) zu<br />

besetzen.<br />

<strong>Die</strong>se Leserreaktion ist insofern besonders interessant, als die standar-<br />

disierte Definition bei Wahrig (1994) damit kein Problem hat. Es sind in<br />

Lesart-1 die „kleinen Teilchen“, die „spritzen, davon-, auseinanderflie-<br />

gen“ (Wahrig 1994: 1481), worunter ohne Weiteres auch Duftmoleküle<br />

eines <strong>Parfums</strong> verstanden werden können.<br />

<strong>Die</strong> abstrakt-metaphorische Lesart-2 „sehr lebhaft sein“ birgt erneut das<br />

Problem, dass eine originär menschliche Eigenschaft (oder bestenfalls<br />

tierische, denkt man etwa an Kanarienvögel) dem Duft zugeschrieben<br />

wird, wobei das Subjekt zu sprühen laut Lesereinschätzung nicht von ei-<br />

nem Duft gefüllt werden kann (siehe z.B. AL-25: „Ein[en] Duft kann man<br />

versprühen, aber er selbst kann nicht sprühen”).<br />

Das Verb strahlen<br />

„strahlen (...)<br />

Strahlen aussenden (Licht, Sonne);<br />

glänzen, funkeln (Edelsteine);<br />

glücklich aussehen;<br />

(...)“<br />

(Wahrig 1994: 1512).<br />

Das Verb strahlen wird im Boss-Text siebenmal markiert, bei Bogner in<br />

präfigierter Variante als trennbares Verb ausstrahlen dreimal. Es wird<br />

von AL-23 nur in dem Kommentar erwähnt; markiert ist interessanterwei-<br />

se der Ko-Text, in den das Verb eingebettet ist. Der relevante Teil <strong>des</strong><br />

Boss-Satzes lautet:<br />

„(...) während der Fond mit der maskulinen Präsenz <strong>des</strong> Zedern- und Sandel-<br />

holzes strahlt.“<br />

226


Markierung Kommentar<br />

AL-1: strahlt Strahlt nicht, duftet<br />

AL-6: strahlt Ebenfalls unpassend<br />

AL-25: strahlt Hat was mit Licht zu tun<br />

AL-29: strahlt (u.a.) Interessante Komposition<br />

AL-31: Fond – maskulinen Präsenz – <strong>des</strong><br />

Zedern(-holzes)-strahlt<br />

227<br />

Suppe = Fond = strahlen?<br />

AL-32: strahlt Kann ein Fond strahlen?<br />

AL-33: strahlt Duft ‚strahlt’ mit Präsenz von Holz = Non-<br />

sense!<br />

Tabelle 40: Lesermarkierungen und -kommentare im Boss-Text zum Verb strah-<br />

len<br />

Nur auf AL-29 hat das Verb strahlen in diesem Parfumtext eine positive<br />

Ausstrahlung. Es wird neben anderen unkonventionellen Wortkombinati-<br />

onen (z.B. elegant-ozonigen Akkord) als „interessante Komposition“ be-<br />

zeichnet.<br />

Bei allen anderen AL suggerieren die Kommentare eine unangemessene<br />

Verwendung. Sie beziehen sich allesamt auf den perzeptorischen Refe-<br />

renzbereich von strahlen. Am pointiertesten formuliert dies AL-25, der<br />

explizit die semantische Bindung von strahlen an das lexikalische Feld<br />

Licht herausstellt (AL-25: „Hat was mit Licht zu tun”). <strong>Die</strong> eigentliche<br />

konkrete Lesart, die sich auf die Aussendung von Licht bezieht, wird<br />

auch von Wahrig (1994) bestätigt. Allerdings wird die dort aufgeführte<br />

abstrahierte und auf den emotionalen Bereich <strong>des</strong> Glücklichseins über-<br />

tragene Bedeutungsvariante von den AL gar nicht thematisiert.<br />

Aber sowohl die abstrakte Lesart („glücklich aussehen“) als auch die<br />

beiden konkreten Lesarten („Strahlen aussenden” und „glänzen, fun-<br />

keln”) sind zweifelsfrei der visuellen Sinneswahrnehmung zuzuordnen.<br />

Beim synästhetischen Transfer in die Olfaktorik gelingt es dem Text wie-<br />

derum nicht, die kritischen Leser von der Angemessenheit dieses Verbs


zu überzeugen. <strong>Die</strong> Textstellen fallen zwar auf und ziehen überdurch-<br />

schnittliche Aufmerksamkeit, aber die synästhetische Sprachkonstruktion<br />

wird als solche nicht gewürdigt, sondern sogar abfällig als „Nonsense”<br />

(AL-33) bezeichnet, da ein Duft nach AL-Meinung nicht strahlen kann,<br />

die Subjektposition also erneut unangemessen durch ein Agens besetzt<br />

ist.<br />

Überdies wird die vom Text suggerierte lexikalische Solidarität zu dem<br />

Substantiv Fond, <strong>des</strong>sen zweifelhafte Semantik bereits bei der Diskussi-<br />

on der Fachvokabeln Parfum ausgiebig analysiert wurde, nicht akzep-<br />

tiert. Der Text weist dem Substantiv Fond ebenfalls eine unangemesse-<br />

ne Agensrolle zu (analog zu Herznote bei dem Verb bestechen); wieder<br />

ein riskantes Manöver, das beim Leser auf Missbilligung stößt, da Fond<br />

als Instrumental klassifiziert werden muss. Man kann in diesem Zusam-<br />

menhang davon sprechen, dass der von strahlen regierte (textinterne)<br />

Ko-Text nicht mit dem (textexternen) Kontext konsistent ist. <strong>Die</strong> Kolloka-<br />

tion von strahlen, Fond und Präsenz <strong>des</strong> Zedern- und Sandelholzes sind<br />

nur formalgrammatisch, nicht aber referenzsemantisch akzeptabel. <strong>Die</strong><br />

Passagen widersprechen offensichtlich den sprachlichen und situativen<br />

Wahrnehmungsgewohnheiten <strong>des</strong> Lesers. Sie vermitteln offensichtlich<br />

keine Informationen, die dem Leser ein sinnvolles Verständnis der Text-<br />

passage, geschweige denn einen Eindruck von den Geruchsqualitäten<br />

<strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> ermöglichen.<br />

Ähnliches kann für die präfigierte Variante ausstrahlen festgestellt wer-<br />

den, die im Bogner-Text in folgendem Satz auftaucht:<br />

„Seine Kopfnote strahlt durch alpinen Wacholder, Galbanum-Harz und geeiste<br />

Mandarine transparent-frostige Frische aus.“<br />

228


Markierung Kommentar<br />

AL-8: Kopfnote strahlt durch alpi-<br />

nen Wacholder, Galbanum<br />

Seltsames Bild<br />

AL-20: strahlt Warum strahlt etwas durch Harz und Mandarine<br />

AL-23: (Seine Kopfnote (...) Fri-<br />

sche aus)<br />

Frische aus<br />

Kopfnote aus geeister Mandarine und alpinem<br />

Wacholder strahlt<br />

Tabelle 41: Lesermarkierungen und -kommentare im Bogner-Text zum Verb<br />

strahlen<br />

Analog den zuvor kritisch diskutierten Subjekten Fond und Herznote<br />

kommt hier dem Substantiv Kopfnote die syntaktische Rolle <strong>des</strong> Subjekts<br />

zu, deren Agensfähigkeit (= Ausstrahlungsfähigkeit) allerdings angezwei-<br />

felt wird. Kopfnote ist in der Terminologie der thematischen Rollen als<br />

Instrumental zu sehen, wird aber als Agens ausgegeben. <strong>Die</strong> attributiv<br />

hinzutretende Präpositionalphrase „durch alpinen Wacholder, Galbanum-<br />

Harz und geeiste Mandarine“ verstärkt zusätzlich den Eindruck der se-<br />

mantischen Unverträglichkeit. Im Prinzip gilt also auch hier, was schon<br />

bei den vorher diskutierten Verben festgestellt werden konnte: Der unei-<br />

gentliche (metaphorische) Sprachgebrauch im Allgemeinen und der syn-<br />

ästhetische im Besonderen wird von den AL nicht nachvollzogen.<br />

Das Verb unterstreichen<br />

„unterstreichen (...)<br />

einen Strich unter etwas ziehen (um es hervorzuheben)<br />

betonen (durch Worte, Gesten) (...)“<br />

(Wahrig 1994: 1638).<br />

Das Verb unterstreichen kommt im Bogner-Text und im Joop-Text vor.<br />

Es wird bei Bogner von einem, bei Joop von zwei AL markiert.<br />

229


Der Satz, in dem es bei Bogner erscheint ist auffallend lang:<br />

„Pur und maskulin wie der Duft ist auch der dynamische Flakon aus klarem,<br />

kühl-blauen Glas, <strong>des</strong>sen Form an eine Schneewehe erinnert und <strong>des</strong>sen silb-<br />

rig-frostige Umverpackung die eisig moderne Aussage <strong>des</strong> Duftes perfekt un-<br />

terstreicht.”<br />

<strong>Die</strong> AL-Markierung bezieht sich auf die folgende Passage.<br />

Markierung Kommentar<br />

AL-17: silbrig-frostige Umverpackung die eisig-<br />

moderne Aussage <strong>des</strong> Duftes perfekt unterstreicht<br />

230<br />

[Kein Kommentar]<br />

Tabelle 42: Lesermarkierungen und -kommentare im Bogner-Text zum Verb<br />

unterstreichen<br />

Um die semantischen Bezüge in diesem überfrachteten Satz transparent<br />

zu machen ist es hilfreich, ausgehend vom Verb unterstreichen durch<br />

abgespeckte Paraphrasen sein semantisches Grundgerüst herauszustel-<br />

len. <strong>Die</strong> Kernaussage <strong>des</strong> Satzes ohne Attribute und sonstige Modifikati-<br />

onen ist:<br />

<strong>Die</strong> Umverpackung <strong>des</strong> Flakons unterstreicht die Aussage <strong>des</strong> Duf-<br />

tes.<br />

<strong>Die</strong> relevanten Satzglieder, die von unterstreichen aufgerufen werden,<br />

sind Umverpackung als Nominativergänzung und die Aussage in der<br />

syntaktischen Funktion einer Akkusativergänzung (Objekt). Das Genitiv-<br />

attribut <strong>des</strong> Duftes ist hier das eigentlich interessante Syntagma, da mit<br />

ihm eine olfaktorische Größe innerhalb dieser Textsequenz bezeichnet<br />

wird. Ihre Eliminierung wäre nicht angebracht, da hierdurch die olfaktori-<br />

sche Relevanz der Ergänzung zerstören würde. Ich habe sie daher in<br />

das semantisch äquivalente Nominalkompositum Duftaussage umge-<br />

formt.<br />

Da AL-17 diese Markierung leider nicht kommentiert hat, fehlt die unvor-<br />

eingenommene Grundlage einer Interpretation, weshalb Behutsamkeit<br />

angesagt ist. Aus den bisherigen Analysen der Kommentierungen der


Verben lässt sich allerdings ein Analogieschluss riskieren. Man muss<br />

annehmen, dass die uneigentliche Lesart „betonen” (Wahrig 1994: 1638)<br />

bei der Rezeption <strong>des</strong> Parfumtextes zu Grunde gelegt wurde, da die<br />

konkrete Lesart „einen Strich unter etwas ziehen” in diesem Zusammen-<br />

hang völlig absurd ist. Es kann aus den vorherigen Erfahrungswerten<br />

ebenfalls vermutet werden, dass es sich um eine Negativmarkierung<br />

handelt. Weiterhin kann man aus dem bisher Aufgezeigten schließen,<br />

dass die Fähigkeit der Umverpackung, die Aussage <strong>des</strong> Duftes zu un-<br />

terstreichen (= betonen), angezweifelt wird. Eine Umverpackung – das<br />

Wort für sich ist schon skurril genug und wird an anderer Stelle auch von<br />

vielen AL derart bewertet – kann erstens eigentlich die Aktivität <strong>des</strong> Un-<br />

terstreichens nicht ausführen, taugt also nicht in der Agensrolle, sondern<br />

ist als Instrumental zu werten. Zweitens ist eine Verpackung nur visuell<br />

und taktil wahrnehmbar und damit auch perzeptorisch unpassend für ei-<br />

ne Betonung (= Verstärkung) <strong>des</strong> Geruchseindrucks. Also wiederum:<br />

Das Verb unterstreichen fällt auf, leider aber erneut unangenehm.<br />

<strong>Die</strong>se Sichtweise wird von den beiden AL-Kommentaren zu unterstrei-<br />

chen unterstützt, die im Joop-Text zu finden sind:<br />

Markierung Kommentar<br />

AL-10: unterstreicht die Geradlinigkeit Merkwürdige Kombination zu Leidenschaft-<br />

AL-23: Der Flakon – unterstreicht die<br />

Geradlinigkeit<br />

lichkeit<br />

Klingt etwas gewollt<br />

Tabelle 43: Lesermarkierungen und -kommentare im Joop-Text zum Verb un-<br />

terstreichen<br />

Der Satz, in dem das Verb unterstreichen im Joop-Text auftaucht, war<br />

schon öfter Gegenstand kontroverser Markierungen und Kommentare<br />

(siehe die Ausführungen zu Attribuierungen). Er lautet:<br />

„Der schmal geschnittene und klar gestaltete Flakon unterstreicht die Geradli-<br />

nigkeit; seine warme und ungewöhnliche Farbgestaltung die Leidenschaftlich-<br />

keit und aufregende Wirkung <strong>des</strong> Duftes” [Hervorhebungen von mir].<br />

231


Vor allem der Kommentar von AL-23 ist aufschlussreich. Indem dort so-<br />

wohl die von unterstreichen regierte Nominativ- als auch Akkusativer-<br />

gänzung markiert ist, werden wieder die vom Verb aufgerufenen seman-<br />

tischen Rollen als „gewollt“ empfunden, als zwinge die <strong>Sprache</strong> dort et-<br />

was zusammen, was in der Welt nicht zusammengehört. <strong>Die</strong>s ist ein wei-<br />

teres Indiz zur Bestätigung der Annahme, dass auch bei den AL-<br />

Markierungen dieses Verbs (wie bei den anderen) zum wiederholten Ma-<br />

le mit Sicherheit die Ablehnung der als Agens getarnten Instrumentalrolle<br />

und möglicherweise auch die Ablehnung <strong>des</strong> synästhetischen Charak-<br />

ters der Konstruktion im Spiel waren, die sich hier in der Füllung der Pa-<br />

tiensrolle durch eine olfaktorische Größe zeigt, die mit der visuell und<br />

taktilen Qualitäten der Umverpackung semantisch/perzeptorisch nicht<br />

kongruiert.<br />

Das Verb verschmelzen<br />

„verschmelzen (...)<br />

ineinander übergehen, in einer Verbindung aufgehen<br />

zusammenfließen lassen, eng miteinander verbinden (...)“<br />

(Wahrig 1994: 1678).<br />

Das Verb verschmelzen kommt im Joop-Text in einer Sequenz vor, aus<br />

der es sich schlecht isolieren lässt. Da sich auch die Lesermarkierungen<br />

zum großen Teil auf die textliche Umgebung <strong>des</strong> Verbs beziehen, muss<br />

es vorwiegend in seinem syntaktisches Zusammenhang diskutiert wer-<br />

den. <strong>Die</strong> für die Analyse relevanten Teile <strong>des</strong> Satzes lauten:<br />

„Der exotische Fond (...) und ein dezenter Hauch (...) verschmelzen harmo-<br />

nisch ineinander.“<br />

Das Prädikat dieses Satzes ist komplex. Verschmelzen bindet in diesem<br />

Fall fakultativ das Adverb ineinander an sich und wird zudem noch modal<br />

aufgeladen durch das adverbial verwendete Adjektiv harmonisch. <strong>Die</strong> in<br />

Tabelle 44 aufgelisteten sechs AL-Markierungen beziehen sich auf ver-<br />

232


schiedene Markierungen innerhalb <strong>des</strong> Prädikats. Das Syntagma ver-<br />

schmelzen harmonisch ineinander erscheint als semantische Einheit zu<br />

dicht, als dass eine isolierende Betrachtung der drei Komponenten <strong>des</strong><br />

grammatischen Prädikats hier angebracht wäre. Isoliert markiert wurde<br />

das Verb verschmelzen überdies nur von einem AL.<br />

Markierungen Kommentare<br />

AL-14: ineinander ‚miteinander’ statt ‚ineinander’ wird erwartet<br />

AL-24: harmonisch Bestimmte Wörter werden zweimal gebraucht [Bezug zum<br />

Subtantiv Harmonie]<br />

AL-25: verschmelzen Legierungen werden verschmolzen – hat was mit Hitze zu tun<br />

AL-26: harmonisch Wurde schon gesagt, dass die Düfte harmonieren<br />

AL-28: ineinander Besser miteinander! Wg. harmonisch ineinander ist weniger<br />

harmonisch<br />

AL-30: ineinander Miteinander<br />

Tabelle 44: Lesermarkierungen und –kommentare im Joop-Text zum Verb ver-<br />

schmelzen<br />

Bemerkenswert ist, dass drei der sechs Leser (AL-14, AL-28, AL-30) sich<br />

an dem Adverb ineinander stören und teilweise statt<strong>des</strong>sen miteinander<br />

vorschlagen, obwohl beide Varianten im Deutschen legitim sind. Mögli-<br />

cherweise wird durch ineinander ein höherer Grad an Verbundenheit<br />

zweier oder mehrerer Elemente beziehungsweise deren Verschmelzung<br />

zu einem Element suggeriert als durch miteinander. Das AL-Unbehagen<br />

könnte beruhen auf einer Nichtakzeptanz der vom Text behaupteten Ver-<br />

schmelzung zweier Entitäten zu einer neuen. Es sind der exotische Fond<br />

und ein dezenter Hauch, deren Ineinander-Verschmelzen offenbar das<br />

semantische Empfinden der AL stört. Wahrscheinlich sind die beiden zu<br />

verschmelzenden Komponenten einander zu fremd, als dass den AL ein<br />

Ineinander möglich erscheint; das Miteinander, bei dem beide Kompo-<br />

nenten als solche erhalten bleiben, scheint gerade noch akzeptabel. Ü-<br />

berdies ist der Bezug von miteinander zur behaupteten Eigenschaft der<br />

233


Harmonie, den AL-28 aufzeigt, in der Tat plausibler. Denn Harmonie ist<br />

ein relationaler Begriff, der ein ausgewogenes Verhältnis zwischen min-<br />

<strong>des</strong>tens zwei Komponenten bezeichnet und im eigentlichen Sinne nicht<br />

als Bezeichnung für eine Entität verwendet werden kann. Im Fremdwör-<br />

ter-Duden heißt es nämlich zum Eintrag Harmonie unter anderem:<br />

„(...) ausgewogenes, ausgeglichenes, gesetzmäßiges Verhältnis der Teile zu-<br />

einander; Ebenmaß“ (Duden 4 1982: 297).<br />

<strong>Die</strong> Indizien weisen erneut auf eine allgemeine Inkongruenzwahrneh-<br />

mung der AL bezüglich der semantischen Rollen hin, die von verschmel-<br />

zen aufgerufen werden.<br />

Aber als spezielle Ausprägung semantischer Inkongruenz kann auch hier<br />

ein synästhetisches Phänomen beobachtet werden. <strong>Die</strong>se Betrachtung<br />

wird gestützt durch den Kommentar von AL-25, der explizit “ (...) hat was<br />

mit Hitze zu tun” als Assoziation zu verschmelzen notiert und damit als<br />

semantisches Merkmal von verschmelzen eine Temperaturbezogenheit<br />

aufzeigt und das Verb damit eindeutig dem taktilen (thermalen) Wahr-<br />

nehmungsbereich zuordnet. <strong>Die</strong> Synästhesie-Hypothese kann somit<br />

einmal mehr als Erklärungsmodell für die potenzielle Motivierung der AL-<br />

Markierungen herangezogen werden.<br />

3.9. Extrapolation der Verben<br />

Mit Ausnahme <strong>des</strong> Verbs unterstreichen stammen alle im Stichproben-<br />

korpus markierten Verben aus den Mittelteilen, die sich explizit um eine<br />

Beschreibung <strong>des</strong> Duftes bemühen. <strong>Die</strong>se Tatsache legt wiederum es<br />

nahe, beim Extrapolieren der markierten Verben gegen das Gesamtkor-<br />

pus auch nur diejenigen Verben ins Auge zu fassen, die in diesen Se-<br />

quenzen zu finden sind. Aus diesem Grund wird folgender Arbeitsschritt<br />

ausgeführt, wobei die Ergebnisse der Stichprobenanalyse als Aus-<br />

gangsbasis dienen.<br />

234


Sämtliche Verben aus den Mittelteilen der Produktbeschreibungen wer-<br />

den daraufhin überprüft, ob sie semantischen Eigenschaften aufweisen,<br />

die denjenigen der Stichprobenverben äquivalent sind. Geprüft wird im<br />

zweierlei:<br />

die perzeptorische Unangemessenheit der Verben im Bereich der<br />

Geruchsbeschreibung für <strong>Parfums</strong>, also ihr synästhetischer Cha-<br />

rakter und<br />

die Unangemessenheit der Subjekt-Prädikat-Relation in den Sät-<br />

zen beziehungsweise die von den Verben aufgerufenen semanti-<br />

schen Rollen (Agens vs. Instrumental), die diese Subjektposition<br />

besetzen.<br />

Zwei Fragenkomplexe, die sich aus den sprachfunktionalen Prämissen<br />

<strong>des</strong> Theorieteile dieser Untersuchung ergeben, sind dann innerhalb der<br />

sich anschließenden Diskussion an den extrapolierten Datensatz zu stel-<br />

len und zu klären.<br />

Der erste Fragenkomplex betrifft eine Evaluation aus der Perspektive<br />

<strong>des</strong> Textes. <strong>Die</strong> zentrale Frage hierbei lautet, ob die textseitige Motivati-<br />

on der Verben im Hinblick auf die Intention der Parfumtexte hinreichend<br />

aus den theoretischen Vorgaben erklärt werden kann. Anders formuliert:<br />

Warum werden gerade diese Verben für die Parfumtexte gewählt? Wel-<br />

chen positiven (konativen) Effekt versprechen sich die Texte durch die<br />

Verwendung der Verben? <strong>Die</strong> Theoriekonsistenz der aus dem Datensatz<br />

abzuleitenden Erklärungsvorschläge ist bei diesem Teilstück besonders<br />

wichtig, da ein bloßes Spekulieren über die Intention der Texte oder gar<br />

über die psychischen Motivationen der (anonymen) Verfasser unbedingt<br />

vermieden werden soll.<br />

Der zweite Fragenkomplex betrifft den Aspekt der Textrezeption, also die<br />

Rolle <strong>des</strong> Empfängers und damit Dekodierers der Textbotschaft. Es<br />

muss begründet dargestellt werden, inwiefern das Leserverständnis be-<br />

züglich der Verben fehlgeht und warum genau die extrapolierten Verben<br />

in Analogie zu den Stichprobenverben als auffallend gelten können. Des<br />

Weiteren muss <strong>des</strong>kriptiv nachgewiesen werden, inwieweit sich die ext-<br />

rapolierten Verben plausibel in das Paradigma der synästhetischen Aus-<br />

235


drücke integrieren lassen, also ob sich die Synästhesie-Hypothese auch<br />

bezüglich der extrapolierten Verben erhärten lässt.<br />

Beide Fragenkomplexe werden vor dem theoretischen Hintergrund <strong>des</strong><br />

Verhältnisses zwischen referentieller und poetischer Sprachfunktion dis-<br />

kutiert. Bezüglich der mutmaßlichen textseitigen Wirkung muss dabei<br />

noch die kommunikativen Gewichtung der konativen Sprachfunktion ein-<br />

bezogen werden.<br />

In Tabelle 45 sind zur Veranschaulichung die fünf von den AL markierten<br />

Verben der Mittelteile <strong>des</strong> Stichprobenkorpus in ein verfeinertes Katego-<br />

rienraster eingeordnet.<br />

<strong>Die</strong>ses Raster, das als Modell für die nachfolgende Einordnung aller ext-<br />

rapolierten Verben gelten soll, liefert zwei Arten von Information:<br />

Spalte zwei versucht die Zuweisung <strong>des</strong> entsprechenden Verbs zu der-<br />

jenigen Sinnesmodalität, die der konkret perzeptorischen Lesart <strong>des</strong><br />

Verbs am nächsten liegt. Hierbei geht es nicht darum, ein Verb apodik-<br />

tisch für einen perzeptorischen Referenzbereich festzuschreiben und<br />

damit sein perzeptorisches Potenzial normativ zu beschränken. Es sollen<br />

vielmehr innerhalb der polysemen Struktur <strong>des</strong> Verben diejenigen Lesar-<br />

ten herausgestellt werden, denen eine Sinnesmodalität als mutmaßlich<br />

originärer (denotativer) Referenzbereich zugeordnet werden kann. <strong>Die</strong>se<br />

Zuordnung sollte im Idealfall intuitiv eingängig sein, was aber wahr-<br />

scheinlich nicht immer der Fall ist und daher Stoff für Kontroversen bie-<br />

ten könnte. <strong>Die</strong> Zuordnungen in Spalte zwei sind keineswegs unproble-<br />

matisch. Sie wurden von mir ausgeführt und gehen das bewusst kalku-<br />

lierte Risiko ein, sich dem Vorwurf der Subjektivität auszusetzen. Ver-<br />

ben, bei denen eine Zuordnung zu einer Sinnesmodalität nach meiner<br />

Einschätzung nicht nachvollziehbar oder sogar unsinnig ist, wurden vor-<br />

sichtshalber mit unspezifisch etikettiert.<br />

Spalte drei weist das Subjekt <strong>des</strong> Satzes aus.<br />

236


Verb Sinnesmodalität Subjekt<br />

bestechen taktil Herznote<br />

sprühen unspezifisch Duft<br />

strahlen visuell Fond<br />

unterstreichen visuell Umverpackung<br />

verschmelzen taktil (thermal) (Fond Hauch)<br />

Tabelle 45: Verfeinerte Klassifizierung der vom AL markierten Verben <strong>des</strong><br />

Stichprobenkorpus<br />

Tabelle 46 bezieht sich auf das Gesamtkorpus. Es sind in alphabetischer<br />

Reihenfolge aufgeführt die 63 Verben der duftbeschreibenden Mittelteile<br />

sowie die entsprechenden Klassifizierungen aus der vorigen Beispiel-<br />

Tabelle.<br />

<strong>Die</strong> extrapolierten Daten mussten homogenisiert werden um eine mög-<br />

lichst transparente und damit nachvollziehbare Darstellung zu gewähr-<br />

leisten. Folgende Operationen wurden dabei vor der tabellarischen Auf-<br />

listung ausgeführt:<br />

Bei der Bestimmung der Subjekte war es manchmal nötig, ein Pronomen<br />

durch das entsprechende Substantiv zu ersetzten um die anaphorische<br />

Relation aufzuklären.<br />

Da Attribute als fakultative Elemente die elementare Semantik der Ver-<br />

ben nicht tangieren, wurden sie grundsätzlich eliminiert. (Beispiel: Aus<br />

dem Satz „Im Fond glüht die Wärme <strong>des</strong> Ambra und rauchiges Zedern-<br />

holz“ (Hugo Boss-Boss Elements) wurde nur extrahiert: Prädikat glü-<br />

hen; Subjekt Wärme.)<br />

Verben, die im Originaltext im Passiv stehen, wurden generell in Aktiv-<br />

Konstruktionen umgewandelt, da das genus verbi keinen nennenswerten<br />

Einfluss auf den semantischen Gehalt <strong>des</strong> grammatischen Prädikats hat.<br />

(Beispiel: Der Satz „Den belebenden Auftakt bildet ein erlesenes Kräu-<br />

ter-Bouquet, das im Herzen von blumigen Essenzen abgelöst wird“ (Hu-<br />

go Boss-Number One) enthält das passivisch verwendete Verb abgelöst<br />

237


werden. Nach der Eliminierungs- und Transformationsoperation, die mit<br />

der Verbklassifikation einhergehen, bleibt als syntaktische Grundkonfigu-<br />

ration:<br />

‚<strong>Die</strong> Essenzen lösen das Kräuter-Bouquet ab’ (Prädikat ablösen; Sub-<br />

jekt Essenzen).<br />

Es wurden nur Vollverben berücksichtigt, die „über eine selbständige le-<br />

xikalische Bedeutung verfügen und (...) syntaktisch das Zentrum <strong>des</strong><br />

Prädikats [bilden]“ (Bußmann 3 2002: 742). Grammatische Prädikate, die<br />

mit Kopulativverben oder Funktionsverbgefügen arbeiten fallen durch<br />

das Raster. Daher wurden Sätze wie „Das Eau de Toilette ist im Auftakt<br />

frisch und spontan durch Bergamott und Lavendel“ (Davidoff-Zino; Her-<br />

vorhebungen von mir) und ähnliche nicht berücksichtigt. <strong>Die</strong> Zahlen in<br />

Klammern geben die Häufigkeit der Verben im Gesamtkorpus an.<br />

238


Verb Sinnesmodalität Subjekte<br />

ablösen (3) unspezifisch Akkord; Essenzen; Hauch<br />

abrunden (8) taktil Akkorde; Aromen; Basisnote;<br />

239<br />

Geranie und Jasmin; Holzno-<br />

te; Noten; Sandelholz und Pat-<br />

chouli; Vetiver etc.<br />

auffangen (2) kinästhetisch + taktil Komposition; Vetiver etc.;<br />

ausstrahlen (2) taktil (thermal) + visuell<br />

+ kinästhetisch<br />

Herz; Kopfnote<br />

basieren auf (1) unspezifisch Herznote<br />

bestechen (5) taktil Basisnote (2); Komposition;<br />

Kopfnote; Herznote<br />

bestimmen (2) unspezifisch Essenzen<br />

betonen (1) auditiv Note<br />

bieten (1) unspezifisch Zimt<br />

bilden (7) visuell + taktil +<br />

kinästhetisch<br />

Edelholznoten; Frische; Holz-<br />

nuancen; Kopfnote; Kräuter<br />

und Gewürze; Kräuterbou-<br />

quet; Noten<br />

dominieren (6) unspezifisch Duftakkord; Elemente; Fri-<br />

sche; Geranien (...) und (...)<br />

Zimt; Kontrast; Zedernholz-<br />

Akkord<br />

entfalten (3) unspezifisch Duftkreation; Estragon und<br />

Wacholder; Parfum<br />

erinnern an (2) unspezifisch Akkord; Frische<br />

erklingen (1) auditiv Klänge


erstrahlen (3) visuell Akkord; Herznote; Kaliforni-<br />

240<br />

sche Zitrone etc.<br />

erwärmen (1) taktil Tonalitäten<br />

faszinieren (1) unspezifisch Einklang<br />

geben (3) unspezifisch Essenzen; Afrikanische Apfel-<br />

glühen (1) taktil (themal) + visuell Wärme<br />

sine etc.; Zitronenmischung<br />

harmonieren (1) unspezifisch Gourmetnoten Sandelholz<br />

heben (1) kinästhetisch + taktil Kopfnote<br />

hervorrufen (2) auditiv Zitrusfrüchte und Bergamotte;<br />

Ingredienzien<br />

kommen (1) kinästhetisch Wärme und Sinnlichkeit<br />

kontrastieren (1) unspezifisch Bergamotte etc.<br />

locken (2) unspezifisch Bouquet; Kopfnote<br />

münden in (3) unspezifisch Ausklang; Frische; Kompositi-<br />

prägen (4) unspezifisch Florale Noten etc.; Frische;<br />

pulsieren (1) taktil + kinästhetisch Fond<br />

on<br />

Fülle; Hölzer etc.; Männlichkeit<br />

schenken (1) unspezifisch Hauch; Zeder und Sandelhöl-<br />

schlagen (1) taktil + kinästhetisch Herznote<br />

sich entfalten (3) unspezifisch Duft; Note; Noten<br />

sich entwickeln (1) unspezifisch Aromen und Kräuter<br />

sich geben (3) unspezifisch Duft (2); Herznote<br />

zer


sich hinzugesellen (1) unspezifisch Noten<br />

sich offenbaren (1) visuell Bouquet<br />

sich öffnen (1) unspezifisch Duft<br />

sich präsentieren (5) visuell Basisnote; Duft; Fond; Herz-<br />

241<br />

note; Kopfnote<br />

sich verbinden (4) unspezifisch Klänge Bouquet; Karda-<br />

mom Pfeffer; Frische <br />

Sinnlichkeit; Zitrusnoten <br />

Gewürzakkord<br />

sich vereinen (2) unspezifisch Kraft Frische Transpa-<br />

renz Tiefe; Sandelholz <br />

Moschus peruvianisches<br />

Balsam<br />

sich vereinigen (1) unspezifisch Frische Feuer<br />

sich vermischen (2) unspezifisch Harze Töne; Hölzer<br />

sich zeigen (1) visuell Basis<br />

sich ziehen (durch) (1) unspezifisch Hauch<br />

sich zusammensetzen<br />

aus (1)<br />

unspezifisch Duft Hauch<br />

sorgen für (1) unspezifisch Basisnoten<br />

spielen (Hauptrolle) (1) unspezifisch Jasmin und Geranium<br />

sprühen (1) unspezifisch Duft<br />

stecken in (1) unspezifisch Geranien und Scharlachsalbei<br />

strahlen (1) visuell Fond<br />

treffen auf (1) unspezifisch Tiefe


überraschen (1) unspezifisch Kopfnote<br />

überzeugen (1) unspezifisch Kopfnote<br />

unterstreichen (2) visuell Noten; Pfefferminze<br />

verführen (1) unspezifisch Akkorde<br />

verleihen (6) unspezifisch Aromatische Moose; Basisno-<br />

verlocken (1) unspezifisch Pflanzen<br />

242<br />

te; Grapefruit etc.; Grundnote;<br />

Herznote; Sandelholz etc.<br />

vermitteln (4) unspezifisch Herznote; Komposition; Kopf-<br />

note; Noten<br />

verschmelzen (3) taktil (thermal) Ambra Tabak Moschus<br />

Honig; Elemente Zeder<br />

und Tabak; Zeder- und San-<br />

delhölzer Hauch<br />

versprühen (1) unspezifisch Orangenblüten<br />

verströmen (2) (olfaktorisch) Fond; Kopfnote<br />

vollenden (1) unspezifisch Ambra<br />

wecken (Erinnerungen) (1) unspezifisch Noten<br />

wirken (1) unspezifisch Eindruck; Harze<br />

Tabelle 46: Verben aus den geruchsbeschreibenden Textteilen <strong>des</strong> Gesamtkor-<br />

pus


3.9.1. Synästhetischer Gebrauch der Verben<br />

Nun werden die extrapolierten Verben mit der Synästhesie-Hypothese in<br />

Zusammenhang gebracht. Tabelle 47 zeigt zunächst die quantitative<br />

Verteilung der Verben auf die verschiedenen Sinnesmodalitäten.<br />

Sinnesmodalität Anzahl der Verben<br />

visuell 9<br />

auditiv 3<br />

kinästhetisch 7<br />

taktil 11<br />

gustatorisch -<br />

olfaktorisch 1<br />

unspezifisch 42<br />

Tabelle 47: Quantitative Verteilung der Verben auf die Sinnesmodalitäten<br />

Es fällt auf, dass unter den 63 zur Diskussion stehenden Verben nur ei-<br />

nes (verströmen) sinnvollerweise direkt mit der olfaktorischen Sinnes-<br />

modalität in Verbindung gebracht werden kann.<br />

Es lässt sich unter den 63 evaluierten Verben zwar eine Tendenz zur<br />

synästhetischen Metaphorik feststellen, allerdings gelang dies im Ge-<br />

samtkorpus nur für 30 der 63 Verben (ca. 48%): taktil (11), visuell (9),<br />

kinästhetisch (7) und auditiv (3). <strong>Die</strong> Kategorie gustatorisch ist gar nicht<br />

belegt. Bei den Verben <strong>des</strong> Stichprobenkorpus konnte immerhin für vier<br />

der fünf Verben (80%) der synästhetische Charakter nachgewiesen wer-<br />

den.<br />

Interessant ist vor allem die Beobachtung, dass die heraus stechende<br />

Dominanz der auditiven Sinneswahrnehmung als metaphorischer Quell-<br />

bereich, die sich für die Fachvokabeln nachweisen ließ, bezüglich der<br />

Verben nicht beobachtet werden kann.<br />

Als ein Ergebnis der Extrapolation kann also festgehalten werden, dass<br />

die Synästhesie-Hypothese in ihrer stringenten Form bezüglich der Ver-<br />

243


en als falsifiziert betrachtet werden muss. Es ist nun weitergehend zu<br />

prüfen, ob sie derart modifiziert werden kann, dass sie in modifizierter<br />

Form trotzdem als Erklärungsmodell für die Verben der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Ge-<br />

ruchs im Spiel bleiben kann.<br />

3.9.2. Prozessual-dynamische Verben<br />

Relativ unerwartet ist die Beobachtung, dass 42 der 63 Verben (ca. 67%)<br />

als unspezifisch klassifiziert wurden. Es ist nicht möglich, ihnen plausibel<br />

und ohne verkrampfte Legitimation einen primären oder überhaupt einen<br />

perzeptorischen Referenzbereich zuzuordnen, der durch entsprechende<br />

semantische Merkmale hinreichend gedeckt wäre. Allerdings weisen<br />

diese Verben eine andere semantische Regelhaftigkeit auf, die man<br />

nicht als punktuell oder zufällig abtun kann, sondern als strukturelles<br />

Phänomen ansehen sollte. Obwohl die meisten der unspezifischen Ver-<br />

ben etwas mit Bewegung zu tun haben, bezieht sich diese nicht notwen-<br />

dig auf Wahrnehmungen, die die Bewegung <strong>des</strong> menschlichen Körpers<br />

betreffen. Es würde daher zu weit gehen, diese Verben ohne Weiteres in<br />

die Klasse kinästhetisch einzuordnen. Es fällt aber auf, dass bei 23 der<br />

42 perzeptorisch unspezifischen Verben (ca. 55%) semantische Merk-<br />

male beobachtbar sind, die man im weiteren Sinne als prozessual-<br />

dynamisch bezeichnen kann. Sie beschreiben einen Bewegungs-, Trans-<br />

formations- oder Übergangsprozess und damit die Bewegung physikali-<br />

scher Körper.<br />

<strong>Die</strong> Tabellen 48 (a) und 48 (b) isolieren aus den Verben der Klasse un-<br />

spezifisch diejenigen, für die das prozessual-dynamische Kriterium gel-<br />

tend gemacht werden kann und bieten Beispielsätze an, die dieses Phä-<br />

nomen verdeutlichen. <strong>Die</strong> Verben sind in Simplizia und komplexe Verben<br />

unterteilt. Sämtliche Beispielsätze entstammen dem Wortschatzlexikon<br />

der Universität Leipzig (www.wortschatz.informatik.uni-leipzig.de, Zugriff<br />

am 24.03.04), auf der ein umfassen<strong>des</strong> Korpus authentischer Sätze der<br />

deutschen Gegenwartssprache digitalisiert ist. <strong>Die</strong> Explikation der Ver-<br />

244


en mittels korpusbasierter Beispielsätze eignet sich, um die prozessual-<br />

dynamischen Semantik der Verben nachzuweisen und intuitiv eingängig<br />

darzustellen.<br />

Verb (Simplex) Beispielsatz<br />

geben Breuer hatte dem Sender gesagt, dem Vernehmen nach wollten<br />

die deutschen Banken Kirch auf unveränderter Basis kein weite-<br />

res Geld mehr geben.<br />

kommen Das heißt, Fremd- oder Giftstoffe - als solche erkennt der Körper<br />

auch viele hochwirksame Arzneistoffe - werden unter Johannis-<br />

krauteinfluss schneller wieder ausgeschieden oder kommen gar<br />

nicht erst in den Körper hinein.<br />

locken Musikfestivals im Land Brandenburg locken zu Landpartien.<br />

münden (in) Der Börsenmakler und Bilderbuch-Yuppie Patrick Bateman ent-<br />

puppte sich als bestialischer Serienkiller, sein beruflicher Erfolg<br />

schien fast zwangsläufig in die Mordlust zu münden.<br />

schenken <strong>Die</strong> meisten Männer waren damit beschäftigt zu demonstrieren,<br />

dass sie jede Stunde, die Gott ihnen schenkte, mit Arbeit ver-<br />

brachten.<br />

(sich) geben (siehe geben)<br />

(sich) öffnen Direkt am Eingang locken die Berge als gleißende Gipssilhouette<br />

über einer weißen Wand, in die Miniatur-Türen eingelassen sind -<br />

doch nur eine lässt sich öffnen.<br />

(sich) ziehen durch Je<strong>des</strong> Jahr werden so genannte Mai-Feiern angemeldet, je<strong>des</strong><br />

Jahr wird die Deeskalation ausgelobt und je<strong>des</strong> Jahr kommen die<br />

Gleichen, um brandschatzend und plündernd durch die Straßen<br />

zu ziehen.<br />

sprühen Da faucht, sprüht, dampft und blubbert, spritzt und brodelt es tau-<br />

sendfach aus dem Boden.<br />

treffen (auf) Dort traf er ausgerechnet auf den Primatenpfleger.<br />

wirken Schließlich wirken Gefühle länger und gründlicher als Werbe-<br />

Jingles.<br />

Tabelle 48 (a): Prozessual-dynamische Verben (Simplizia) und Beispielsätze<br />

245


Komplexes Verb Beispielsatz<br />

ablösen Deshalb schlage ich den Genossen vor, sich zu überlegen, wie<br />

man Stalin ablösen und einen anderen an diese Stelle setzen<br />

kann.<br />

entfalten Geheimnisse umschweben Liebende, sie hüllen sie in ihre Zau-<br />

berschleier, aus denen sich schöne Träume entfalten.<br />

(sich) entfalten <strong>Die</strong> Knospe weiß nicht, daß sie zur Blume sich entfalten wird, und<br />

wenn es ein Zauberer ihr verriete, wer weiß, ob die Rosenblätter<br />

dann so rot aufgingen!<br />

(sich) entwickeln Wie Bäume ließ er die Architektur sich entwickeln, wachsen, und<br />

sagte: „Alles fließt."<br />

(sich) hinzugesellen Nein, bevor nicht irgendwelche Außerirdischen entdeckt werden,<br />

die sich zu den 1614 Ausstellern hinzugesellen, bleibt wenig Hoff-<br />

nung auf Besserung.<br />

(sich) verbinden Wie alle diese Kräfte zusammengekommen sind, sich verbinden<br />

und scheiden und allerlei Erscheinungen hervorbringen, hat noch<br />

kein menschlicher Kopf für Sinn und Verstand erklärt.<br />

(sich) vereinen An der Stelle, wo die gewaltigen Fluten <strong>des</strong> Lechs und der Donau<br />

sich vereinen, erhob sich auf steiler Felsenhöhe die Burg der<br />

mächtigen Grafen von Lechsgemünd, später von Graisbach ge-<br />

nannt.<br />

(sich) vereinigen Wie der gefesselte Höhlenbewohner den Schatten der Platoni-<br />

schen Idee, sieht er den Schatten <strong>des</strong> Kutschers mit dem Schat-<br />

ten der Haushälterin auf dem Küchentisch sich vereinigen.<br />

(sich) vermischen Sie kamen einander ja mit ihren Lippen so nah, daß ihr Athem<br />

sich vermischen und zusammenfliessen mußte.<br />

verführen Er könnte einen dazu verführen, mehr zu sagen als man will, nur<br />

damit man diese Leere mit Verstand erfülle.<br />

246


verlocken Vielleicht ließen sich die Wachen durch den Braten verlocken,<br />

ihre Posten zu verlassen.<br />

versprühen Pocken- und Milzbranderreger lassen sich in großen Mengen<br />

züchten, lagern und als so genannte Aerosole (feine Schwebe-<br />

tröpfchen) über weite Areale versprühen.<br />

Tabelle 48 (b): Prozessual-dynamische Verben (Präfigierungen) und Beispiel-<br />

sätze<br />

Im Falle derjenigen Verben, die als präfigierte Derivationen erscheinen,<br />

kann hierüber hinaus deren prozessual-dynamische Semantik mittels ei-<br />

ner Analyse ihrer komplexen morphologischen Strukturen nachgewiesen<br />

werden. <strong>Die</strong> verwendeten Präfixe transportieren als gebundene Mor-<br />

pheme ebenfalls Bedeutungsmodifikationen, die entweder den Verb-<br />

stämmen semantische Bewegungsmerkmale hinzufügen oder ihnen ü-<br />

berhaupt erst eine dynamische Komponente verleihen. Neben „der Ab-<br />

stufung und Differenzierung <strong>des</strong> Aspekts und der Aktionsart, betrifft näm-<br />

lich der zweite Effekt, der bei den Verben durch die Präfigierung ent-<br />

steht, (...) räumliche, besonders richtungsbezogene Bedingungen der<br />

bezeichneten Vorgänge und Handlungen. In erster Linie sind es die aus<br />

Präpositionen hervorgegangenen Halbpräfixe, die dazu vor allem in Ver-<br />

bindung mit Bewegungsverben herangezogen werden“ (Duden 6 1998: §<br />

806 f.).<br />

Tabelle 49 zeigt die unterschiedlichen Wortbildungsmorpheme, die bei<br />

den prozessual-dynamischen Verben an die Stämme herantreten sowie<br />

deren spezifische semantische Funktion, wie sie jeweils im Grammatik-<br />

Duden (Duden 6 1998) formuliert ist.<br />

247


Wortbildungs-<br />

element<br />

Art <strong>des</strong> Elements Semantische Funktion<br />

ab- (1) trennbares Halbpräfix „Als Halbpräfix hat ab- meist räumliche<br />

248<br />

Bedeutung, gibt die Bewegung ‚von<br />

etwas weg, fort’ an (...). Ferner drückt<br />

ab- die Löslösung, Trennung, Entfer-<br />

nung (...) aus“ (Duden 6 1998: § 819).<br />

ent- (3) nicht trennbares Präfix „In über 90% der Fälle gibt ent- ein<br />

Entfernen (‚weg’) an (...). Wo ent- sei-<br />

ner Hauptbedeutung entsprechend mit<br />

Verben verbunden wird, die selbst<br />

schon eine Bewegung <strong>des</strong> Entfernens<br />

ausdrücken, hebt das Präfix diese<br />

noch stärker ins Bewußtsein“ (Duden<br />

6 1998: § 813).<br />

hinzu- (1) trennbares Halbpräfix „’heran’“ (Duden 6 1998: § 807).<br />

ver- (7) nicht trennbares Präfix „Bei aller Unterschiedlichkeit haben im<br />

heutigen deutsch die meisten Präfix-<br />

verben mit ver- das Merkmal gemein-<br />

sam, das Ende eines zeitlichen Ab-<br />

laufs anzugeben, und zwar in der Wei-<br />

se, dass etwas in einen bestimmten<br />

Zustand gelangt (...) oder gebracht<br />

wird (...) Duden 6 1998: § 811).<br />

Tabelle 49: Prozessual-dynamische Verben – semantische Funktion der Präfixe<br />

und Halbpräfixe<br />

<strong>Die</strong>se komprimierte Übersicht weist morphologisch nach, dass für sämt-<br />

liche Präfixe der in Frage stehenden komplexen Verben bewegungsbe-<br />

zogene Bedeutungsmodifikationen nachzuweisen sind, die sich entwe-<br />

der auf räumliche oder zeitliche Entwicklungen beziehen lässt oder für<br />

beide Dimensionen zutreffen.


3.9.3. Ikonizität als Motivation der prozessual-dynamischen Verben<br />

Nachdem der prozessual-dynamische Charakter der Verben analytisch<br />

nachgewiesen wurde – sowohl semantisch über die Beispielsätze als<br />

auch morphologisch über die Offenlegung charakteristischer Wortbil-<br />

dungsmechanismen – stellt sich nun die Frage nach der Motivation der<br />

Verben in den Texten. Immerhin darf man nicht aus den Augen verlieren,<br />

dass man es hier mit Verben zu tun hat, die eigentlich in Kontexten Ver-<br />

wendung finden, in denen es um Beschreibungen von Geruchsqualitäten<br />

geht. Man könnte sich diesbezüglich generell die schon häufiger ange-<br />

klungene Auffassung der Leser aneignen und auch bei den prozessual-<br />

dynamischen Verben von einer generellen semantisch-perzeptorischen<br />

Unangemessenheit im Parfumdiskurs sprechen. Ihre überdurchschnitt-<br />

lich hohe Frequenz in den duftbeschreibenden Textsequenzen geben zu<br />

der Vermutung Anlass, dass die Verben nicht zufällig derart gehäuft auf-<br />

tauchen. Sondern vielmehr ist anzunehmen, dass sie ein strukturelles<br />

Muster bilden, welches argumentativ herauszuarbeiten ist. <strong>Die</strong> folgenden<br />

Interpretationen legitimieren sich durch den semiotische Elementarbegriff<br />

der Ikonizität, der im Theorieteil ausführlich rekonstruiert wurde (siehe<br />

Abschnitt 1.4.3.).<br />

Im Abschnitt über die Analyse der Fachvokabeln <strong>des</strong> Stichprobenkorpus<br />

wurde bereits die olfaktorische Eigentümlichkeit der Duftentwicklung von<br />

<strong>Parfums</strong> thematisiert, die innerhalb <strong>des</strong> professionellen Jargons als<br />

Duftablauf bezeichnet wird. Der Duftablauf unterteilt sich wie gesagt in<br />

Kopf-, Herz- und Basisnote (vgl. Müller 1991: 67). <strong>Die</strong>se Veränderung<br />

der Duftqualität eines <strong>Parfums</strong> kann man leicht im Selbstexperiment ü-<br />

berprüfen; ein Parfum riecht in der Tat direkt nach dem Auftragen (=<br />

Kopfnote) anders als nach einer Stunde (= Herznote) und noch anders<br />

nach mehreren Stunden oder am Morgen danach (= Basisnote).<br />

Es können nun zwei verallgemeinernde Schlussfolgerungen aus dem<br />

olfaktorischen Sachverhalt <strong>des</strong> Duftablaufs gezogen werden, die die pro-<br />

zessual-dynamischen Verben der Parfumtexte mit dem ikonischen Rep-<br />

räsentationsmodus in Zusammenhang bringen. <strong>Die</strong> globale Tatsache,<br />

249


dass in den Texten die Kopf-, Herz- und Basisnoten in genau dieser Rei-<br />

henfolge beschrieben wird, kann als textchoreografisches Indiz für eine<br />

ikonische Repräsentation <strong>des</strong> Duftablaufs gewertet werden. <strong>Die</strong> zeitliche<br />

Reihenfolge der drei Wahrnehmungsphasen <strong>des</strong> Duftablaufs korrespon-<br />

diert mit der räumlichen (= texttopografischen) Lesewahrnehmung. <strong>Die</strong><br />

horizontalen Lokalisierungen oben, Mitte, unten werden projiziert auf die<br />

vertikalen Ebene der Linearität der Textes. Denn in den Texten wird im-<br />

mer zuerst die Kopfnote (= oben), dann die Herznote (= Mitte) und<br />

schließlich die Basisnote (= unten) thematisiert, wodurch auf sprachlicher<br />

Ebene die Prozesshaftigkeit <strong>des</strong> Duftablaufs simuliert wird.<br />

Auf lexikalischer Ebene wird die sprachlich-ikonische Repräsentation <strong>des</strong><br />

Duftablaufs realisiert durch die strukturelle Verwendung der prozessual-<br />

dynamischen Verben. Sie bieten dem Rezipienten über die textimma-<br />

nente Lesebewegung hinaus textexterne Assoziationsmöglichkeiten, in-<br />

dem sie seine referentielle Aufmerksamkeit auf die Tatsache der Dyna-<br />

mik lenken, die den Verben immanent ist.<br />

Das Ikonizitäts-Argument soll abgeschlossen werden mit einer exempla-<br />

rischen Beschreibung eines Textauszugs aus der Produktbeschreibung<br />

zu Calvin Klein-Escape Men, an Hand <strong>des</strong>sen dieser Effekt sehr plas-<br />

tisch veranschaulicht werden kann:<br />

„Kennzeichnend ist der Duft frischer grüner Birkenblätter auf allen Ebenen: In<br />

der Kopfnote gesellen sich fruchtige und grüne Noten hinzu, die Frische und<br />

Natürlichkeit vermitteln. In der Herznote entwickeln sich würzige Aromen und<br />

frische Kräuter, die schließlich durch Vetiver, Sandelholz und Eichenmoos im<br />

Fond warm und sinnlich aufgefangen werden“ [Hervorhebungen von mir].<br />

Der einleitende Satz dieser duftbeschreibenden Sequenz nennt bereits<br />

die verschiedenen Ebenen, auf denen sich die olfaktorische Entwicklung<br />

<strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> abspielt, wobei der Begriff Ebene sowohl zeitlich (Duftab-<br />

lauf) als auch räumlich (Leseverlauf) verstanden werden kann. Während<br />

der Duftablauf sich in Ebenen gliedert, die zeitlich nacheinander zum<br />

Tragen kommen, ist analog hierzu der Leseverlauf in ein Nacheinander<br />

räumlicher Ebenen gegliedert. Standardgemäß werden dann die drei<br />

250


Duftphasen in Anlehnung an den zu beschreibenden Duftablauf nach-<br />

einander verbalisiert:<br />

Kopfnote Herznote Fond.<br />

<strong>Die</strong> Verben, die den Text hierüber hinaus dynamisieren sind<br />

sich hinzugesellen,<br />

entwickeln,<br />

auffangen.<br />

Folgende abstrakt formulierte Paraphrase macht die suggerierte Dyna-<br />

mik noch transparenter:<br />

Zunächst kommt zu dem allgemeinen Duftcharakter etwas hinzu,<br />

dann kommt etwas Neues zu Stande und schließlich fängt Etwas<br />

etwas Anderes auf.<br />

Man kann dabei fast den Eindruck gewinnen, als träfen sich einige Kin-<br />

der zu einem Ballspiel oder – mit etwas mehr erwachsener Phantasie –<br />

als träfen sich Erwachsene zu einem erotischen Stelldichein. Abschlie-<br />

ßend kann zusammenfassend festgehalten werden: <strong>Die</strong> Ähnlichkeitsrela-<br />

tion, die dem ikonischen Repräsentationsmodus hier zu Grunde liegt und<br />

ihn legitimiert, besteht in dem Moment <strong>des</strong> prozessualen Dynamik, die<br />

sich entweder auf den zeitlichen Duftablauf (Duftperzeption), den räumli-<br />

chen Leseablauf (Textrezeption) oder jede Leserassoziation beziehen<br />

kann, die etwas mit Bewegung zu tun hat.<br />

3.9.4. Verben und ihre kommunikative Funktion<br />

<strong>Die</strong> Auswertung der Extrapolation konnte den Anfangsverdacht der AL<br />

bestätigen, dass es mit der Referentialität der Verben ein Problem gibt.<br />

Man findet zwar unter den Verben im Gegensatz zu den zuvor fokussier-<br />

ten Fachvokabeln und Attribuierungen weder neologistische Wortkreati-<br />

onen noch skurrile Ad-hoc-Konstruktionen, die als Lexeme oder Phrasen<br />

an sich schon Unverständnis erzeugen. An sich zeigen die Verben we-<br />

251


der semantisch noch morphologisch besonders ungewöhnliche Merkma-<br />

le.<br />

Außerdem haben im Gegensatz zu den Fachvokabeln und Attribuierun-<br />

gen die Verben eine prinzipiell andere Funktion. Bei Ersteren darf der<br />

Leser zurecht erwarten, über das Produkt informiert zu werden. Bei den<br />

Verben jedoch fällt die <strong>des</strong>kriptiv-informative Funktion von vornherein<br />

heraus. Es werden durch sie ja offensichtlich nicht wirklich olfaktorische<br />

Handlungen, Abläufe oder Zustände beschrieben, dann müsste es sich<br />

bei den Verben um (Quasi-)Synonyme der prototypischen Geruchsver-<br />

ben duften oder riechen handeln und dies ist nicht der Fall. Vielmehr ist<br />

es der Kontext der Parfumwerbung, in dem sie prinzipiell als unpassend<br />

erscheinen.<br />

Das vom AL bereits erspürte Hauptproblem liegt einerseits, wie sich<br />

durch die Extrapolation großflächig gezeigt hat, in der Tat in der struktu-<br />

rell und nicht nur punktuell unangemessenen semantischen Besetzung<br />

der Subjektposition. <strong>Die</strong>ser Umstand ist aus der Sicht der referentiellen<br />

Funktion der <strong>Sprache</strong> insofern problematisch, als die semantischen Rol-<br />

len konstitutiven Anteil an der semantischen Struktur <strong>des</strong> gesamten Sat-<br />

zes haben. Ganz allgemein kann man nämlich behaupten, dass die ge-<br />

samte Satzsemantik kollabiert, wenn innerhalb der entscheidenden Rela-<br />

tion Prädikat-Subjekt ein Kategorienfehler in Form einer semantischen<br />

Inkongruenz auftritt. Ein solcher Satz wird in eigentlicher, konventionell<br />

informativer Lesart unsinnig. Beispielsweise kann der Satz „Der Fond<br />

strahlt mit der sinnlichen Wärme von Ambra und Vanille“ (Lagerfeld-<br />

Lagerfeld; Hervorhebungen von mir) nicht im eigentlichen Sinn verstan-<br />

den werden; ein Fond kann nicht strahlen. Er ist unter der Prämisse der<br />

in der üblichen Kommunikation dominierenden referentiellen Sprachfunk-<br />

tion unsinnig und kann nicht adäquat in eine propositionale Aussage ü-<br />

berführt werden. <strong>Die</strong>se würde lauten:<br />

*Es ist der Fall, dass der Fond strahlt<br />

und kommt einem Standard-Leser, der erwartet über einen Parfumge-<br />

ruch informiert zu werden, zurecht absurd vor. Den impliziten konativen<br />

252


Effekt der Produktbeschreibung vorausgesetzt, taucht also die Frage<br />

nach der funktional-kommunikativen Motivation der Verben auf.<br />

Da die Worte in einem Werbetext naturgemäß auf einen positiven Ap-<br />

pelleffekt zielen und niemals zufällig gewählt werden, kann wie im Falle<br />

der Fachvokabeln und der Attribuierungen eine poetische gestützte ko-<br />

native Motivation angenommen werden. Zwar hat sich die strenge Auf-<br />

fassung der Synästhesie-Hypothese, die das Inkongruenzphänomen der<br />

sprachlichen Synästhesie als poetisch relevantes Merkmal ausweist, be-<br />

züglich der Verben als lexikalische Einheiten nicht bestätigt. Allerdings<br />

kann die ikonische Motivation der Verben als sprachliche Synästhesie im<br />

weiteren Sinne verstanden werden. Denn durch die ikonische Repräsen-<br />

tation <strong>des</strong> Duftablaufs, den die prozessual-dynamischen Verben insze-<br />

nieren, wird ein olfaktorischer Prozess durch den dynamischen Ablauf<br />

der Zeit dargestellt. Man kann daher sowohl die systematische Inkon-<br />

gruenz der Subjekt-Prädikat-Relation als auch die ikonische Qualität der<br />

prozessual-dynamischen Verben als Ausprägung der poetischen<br />

Sprachfunktion betrachten, die die referentielle Funktion überlagert oder<br />

sogar außer Kraft setzt.<br />

3.9.5. Verben und ihre poetische Relevanz<br />

Das Moment der rezipientenseitigen Deautomatisierung <strong>des</strong> Lesepro-<br />

zesses als indikatorischer Ansatzpunkt für das Wirken der poetischen<br />

Sprachfunktion kann für die Verben in jedem Fall reklamiert werden.<br />

Durch den Umstand <strong>des</strong> ‚Störens beim Lesen’ sind sie ja neben den<br />

Fachvokabeln und den Attribuierungen überhaupt erst in das analytische<br />

Interesse gerückt.<br />

Für den <strong>des</strong>kriptiven Nachweis ihrer poetischen Relevanz, also ihres<br />

Status als „stilistischer Stimulus“ (Riffaterre 1973: 53), kann sowohl Riffa-<br />

terres Konzept <strong>des</strong> Mikrokontextes als auch das <strong>des</strong> Makrokontextes he-<br />

rangezogen werden.<br />

253


Betrachtet man die Verben aus syntaktischer Perspektive als konstituti-<br />

ven Teil <strong>des</strong> Prädikats, eignet sich das Konzept Mikrokontext für die Ex-<br />

plikation der problematischen Subjekt-Prädikat-Relationen. Wenn man<br />

vom (finiten) Verb als semantischem und syntaktischem Kern <strong>des</strong> Satzes<br />

ausgeht, determiniert es die weiteren Konstituenten <strong>des</strong> Satzes und<br />

weist ihnen die entsprechenden syntaktischen Funktionen sowie die se-<br />

mantischen Rollen zu.<br />

Bei der obligatorischen Kongruenzbeziehung zwischen Prädikat und<br />

Subjekt eines Satzes kann man behaupten, dass es sich um ein syntak-<br />

tisches Stereotyp handelt, das nach einer funktionalen Grammatikauf-<br />

fassung semantisch motiviert ist. Das charakteristische bipolare Span-<br />

nungsfeld der Beziehung Prädikat-Subjekt kann in diesem Zusammen-<br />

hang als Mikrokontext Riffaterrescher Prägung angesehen werden. In-<br />

nerhalb dieser Beziehung ist ein potenzieller struktureller Kontrast zu lo-<br />

kalisieren, der den poetischen (stilistischen) Impuls ausmacht, wobei<br />

man die Analyseebenen Syntax und Semantik nicht trennen kann. Denn<br />

je<strong>des</strong> Verb etabliert zunächst auf Grund seiner Valenzstruktur im stan-<br />

dardsprachlich kompetenten Rezipienten eine wenngleich als latent an-<br />

zunehmende Erwartungshaltung darauf hin, welche anderen Elemente in<br />

der syntaktischen Umgebung <strong>des</strong> jeweiligen Verbs auftauchen können,<br />

welche Lexeme also als Kollokationen <strong>des</strong> Verbs wahrscheinlicher sind<br />

als andere. <strong>Die</strong>se Erwartungshaltung bezieht sich auf die syntaktische<br />

Kategorien (Prädikat-Subjekt) wie auf semantische Kategorien (semanti-<br />

sche Rollen; hier: Agens vs. Instrumental). <strong>Die</strong> konventionelle Regelhaf-<br />

tigkeit dieser stereotypen Relationen wird im Falle der Parfumtexte je-<br />

doch, wie durch vielfache empirische Belege gezeigt werden konnte,<br />

konsequent und systematisch unterminiert.<br />

Der poetische Effekt besteht darin, dass die berechtigte Erwartung einer<br />

dem Verb angemessenen semantischen Rolle enttäuscht wird. <strong>Die</strong> se-<br />

mantische Inkongruenz der Beziehung wird bewusst wahrgenommen bei<br />

gleichzeitiger Wahrnehmung der syntaktisch kongruenten Relation Prä-<br />

dikat-Subjekt. Anders formuliert: Der textseitig inszenierte Bruch mit der<br />

semantischen Konvention und die damit einhergehende Kontrastwahr-<br />

254


nehmung <strong>des</strong> Lesers machen das stilistische Verfahren aus. Während<br />

eine dem Verb adäquate semantische Rolle automatisch dekodiert wird<br />

und damit nicht weiter auffällt, fällt deren Unangemessenheit sehr wohl<br />

auf, zieht die Leseraufmerksamkeit über Gebühr auf sich und muss da-<br />

her deautomatisiert dekodiert werden. Man kann also konsistenterweise<br />

vermuten, dass diese Kontrastwahrnehmung, die von den AL erspürt,<br />

teilweise sogar benannt und mit <strong>des</strong>kriptiven Mitteln an Hand <strong>des</strong> Ge-<br />

samtkorpus abgesichert wurde, verantwortlich ist für die Deautomatisie-<br />

rung <strong>des</strong> Leseprozesses. Damit kann sie legitimerweise als methodisch<br />

fundiert herausgearbeiteter, poetisch relevanter sprachlicher Stimulus<br />

gewertet werden, der die Dominanz der poetischen Funktion anzeigt.<br />

Nimmt man bei der Explikation der Verben diese jedoch als lexikalische<br />

Einheiten in den Blick, bietet sich das Konzept <strong>des</strong> Makrokontextes an<br />

um ihre poetische Relevanz nachzuweisen. Das situative Setting, in das<br />

die Texte eingebettet sind, also die Tatsache, dass die als Produktbe-<br />

schreibungen für ein Parfum werben, determiniert auch bezüglich der<br />

gebrauchten Verben die Erwartung, dass sie etwas über den Duft aus-<br />

sagen. Da aber die prozessual-dynamischen Verben zur Beschreibung<br />

<strong>des</strong> Duftes nichts beitragen, sondern lediglich auf ikonische Weise den<br />

Duftablauf simulieren, brechen sie von vornherein mit dem zu erwarten-<br />

den Makrokontext, noch bevor er sich textlich manifestiert hat. Der zu<br />

erwartende Makrokontext bleibt damit virtuell oder latent. Man würde als<br />

Kontext-Pattern Verben wie duften oder riechen erwarten. Es handelt<br />

sich bei dem inflationären Gebrauch prozessual-dynamischer Verben<br />

gewissermaßen um die synästhetische Inszenierung einer Synonymiere-<br />

lation zu duften und riechen. Weil diese Erwartung aber enttäuscht wird<br />

und die Inszenierung nicht akzeptiert wird, ziehen die semantisch unan-<br />

gemessenen Bewegungsverben sofort die Aufmerksamkeit auf sich. Sie<br />

determinieren eine Kontrastwahrnehmung zu den erwarteten Verben <strong>des</strong><br />

virtuellen Makrokontextes und können somit ebenfalls als poetisch rele-<br />

vant betrachtet werden.<br />

<strong>Die</strong>se Verben sind insofern als synästhetisch im weiteren Sinne zu be-<br />

trachten, als sie vorgeben, bei der Beschreibung der Düfte eine informie-<br />

255


ende Rolle zu spielen, de facto aber dynamische Bewegungsabläufe<br />

beschreiben.<br />

256


4. SCHLUSSBETRACHTUNG<br />

4.1. Was <strong>Sprache</strong> kann und was nicht<br />

„Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht<br />

reden kann, darüber muss man schweigen“<br />

(Wittgenstein 1963: 7).<br />

Wenn Wittgenstein dieses viel zitierte Diktum aus dem Vorwort seines<br />

Tractatus logico-philosophicus von 1918 (Wittgenstein 1963) wirklich<br />

ernst genommen hätte, dann hätte er sich wahrscheinlich die letzten<br />

9/10 seiner unkonventionellen philosophischen Karriere und deren Out-<br />

come sparen können. Aber zum Glück hat er das nicht getan. Immerhin<br />

räumt er im gleichen Atemzug ein, dass die Probleme zwischen dem,<br />

was <strong>Sprache</strong> leisten kann und dem, wovon sie besser ihre Finger lassen<br />

sollte, mit dem Tractatus zwar „im Wesentlichen endgültig gelöst“ sind,<br />

dass sich „der Wert dieser Arbeit“ aber genauso darin „zeigt, wie wenig<br />

damit getan ist, daß die Probleme gelöst sind“ (Wittgenstein 1963: 8).<br />

Vielmehr hat er sich nach dem Tractatus im Grunde nur mit Dingen be-<br />

schäftigt, über die man angeblich nicht reden kann. Vor allem in den<br />

1952 posthum veröffentlichten Philosophischen Untersuchungen (Witt-<br />

genstein 2 1980) wimmelt es von Aphorismen, die es sprachlich mit dem<br />

angeblich Unsagbaren aufnehmen sowie verschiedene Wirkungsweisen<br />

von <strong>Sprache</strong> thematisieren – und das in der für Wittgenstein typischen<br />

skurril-aphoristischen Art:<br />

„Wenn ich sage, der Befehl ‚Bring mir Zucker!’ und ‚Bring mir Milch!’ hat Sinn,<br />

aber nicht die Kombination ‚Milch mir Zucker’, so heißt das nicht, daß das<br />

Aussprechen dieser Wortverbindung keine Wirkung hat. Und wenn sie nun die<br />

Wirkung hat, daß der Andre mich anstarrt und den Mund aufsperrt, so nenne<br />

ich sie <strong>des</strong>wegen nicht den Befehl, mich anzustarren etc., auch wenn ich ge-<br />

rade diese Wirkung hätte hervorrufen wollen“ (Wittgenstein 2 1980: 218).<br />

Bezogen auf die logischen Voraussetzungen, auf denen die einzigen<br />

beiden ‚offiziellen’ Bücher Wittgensteins fußen, kann man zwei unter-<br />

257


schiedliche Denkgesten ausmachen. Dem Tractatus logico-<br />

philosophicus liegt eine harte, zweiwertige ‚Logik <strong>des</strong> Entweder-Oder’ zu<br />

Grunde, die von eindeutig zuzuordnenden Wahrheitswerten zu Sätzen<br />

oder Äußerungen über Gegenstände und Sachverhalte ausgeht und kei-<br />

ne semantischen Schattierungen zulässt. <strong>Die</strong> Grenze zwischen dem<br />

‚Entweder’ und dem ‚Oder’, zwischen Reden oder Schweigen, versucht<br />

Wittgenstein sprachlich sichtbar zu machen.<br />

Das unermüdliche Ringen um die Versprachlichung <strong>des</strong> gewissermaßen<br />

jenseits dieser Grenze liegenden angeblich Unsagbaren in den Philoso-<br />

phischen Untersuchungen dagegen basiert auf einer weicheren ‚Sowohl-<br />

als-auch-Logik’. Bei dieser Auffassung haben als Mengen gedachte Beg-<br />

riffe nicht klar gezogene, starr definierte Grenzen. Nicht zuletzt gilt daher<br />

auch letzteres Werk als eine Startmarkierung <strong>des</strong>sen, was später als<br />

Prototypentheorie oder Prototypensemantik Karriere gemacht hat und<br />

noch immer macht (siehe Abschnitt 1.1.5. ff. im Theorieteil).<br />

Dem scheinbaren Widerspruch ‚Klar-Sagen-Können vs. Schweigen-<br />

Müssen’ liegt ein gängiges Missverständnis zu Grunde. Der Irrtum be-<br />

steht in der einigermaßen naiven Annahme, dass alle Dinge, denen man<br />

mit <strong>Sprache</strong> beizukommen versucht, sich prinzipiell auch dafür eignen,<br />

sprachlich klar dargestellt zu werden. Dass man sich nur lange und flei-<br />

ßig und gründlich genug bemühen muss, um einen Sachverhalt klar dar-<br />

zustellen.<br />

<strong>Die</strong>se landläufige Sprachauffassung geht von einer unzulässigen Verein-<br />

fachung der Realität aus. Sie basiert auf der Annahme, es gäbe in der<br />

Welt einfach Dinge und Sachverhalte, die man nur richtig zu benennen<br />

braucht – und dann ist alles klar. Aber:<br />

„Wenn wir sagen: ‚je<strong>des</strong> Wort der <strong>Sprache</strong> bezeichnet etwas’ so ist damit vor-<br />

erst noch gar nichts gesagt; es sei denn, daß wir genau erklärten, welche Un-<br />

terscheidung wir zu machen wünschen. (Es könnte ja sein, daß wir die Wörter<br />

der <strong>Sprache</strong> (…) von Wörtern ‚ohne Bedeutung’ unterscheiden wollten, wie sie<br />

in Gedichten Lewis Caroll’s vorkommen oder von Worten wie ‚juwiwallera’ in<br />

einem Lied)“ (Wittgenstein 2 1980: 22).<br />

258


Es wäre sicherlich einfacher und wahrscheinlich auch befriedigender,<br />

wenn man immer das Gefühl hätte, sich klar ausgedrückt zu haben und<br />

als kommunikativen Effekt das Gefühl, klar verstanden worden zu sein.<br />

Alltagsfaktum ist aber, dass dem häufig nicht so ist. Um viele Sachen<br />

wird endlos geredet und gerungen. Es lässt sich nicht bestreiten, dass es<br />

über alle möglichen Themen zahllose Meinungen und Ansichten darüber<br />

gibt, was denn nun der Fall ist und was nicht. Oft wird dieses Nicht-Zu-<br />

Rande-Kommen mit einem Thema der <strong>Sprache</strong> an sich in die Schuhe<br />

geschoben und kommentiert mit pessimistischen Aussagen wie: ‚Wir<br />

sprechen einfach nicht dieselbe <strong>Sprache</strong>’ oder ‚du verstehst nicht, was<br />

ich sagen will’.<br />

Aber das Problem ist nicht die <strong>Sprache</strong> an sich. Sondern es ist einerseits<br />

eine unangemessene Erwartung an das, was <strong>Sprache</strong> in welchen Kom-<br />

munikationssituationen leisten kann. Andererseits liegt das Grundprob-<br />

lem in einer eingeschränkten Auffassung <strong>des</strong>sen, wie man <strong>Sprache</strong> ein-<br />

setzen kann (oder muss) um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Eine prä-<br />

zise, klare Bezeichnung für etwas zu finden klappt nur in denjenigen Fäl-<br />

len, in denen es eindeutige konkrete Dinge und Sachverhalte sowie eine<br />

eindeutige Konvention über die dafür vorgesehenen Wörter gibt. Aber<br />

streng genommen ist diese so genannte referentielle Form <strong>des</strong> Sprach-<br />

gebrauchs sogar redundant; sie bringt nichts Neues zu Stande. <strong>Sprache</strong><br />

in der konventionellen Auffassung als bloße Bezeichnungsfunktion zu<br />

verstehen, bei der sprachliche Ausdrücke auf Entitäten der Welt referie-<br />

ren, bedeutet in jedem Fall eine Selbstbeschränkung der kreativen Mög-<br />

lichkeiten <strong>des</strong> Gehirns. Wenn ich mit dem Finger in eine bestimmte Rich-<br />

tung zeige, in der ein Baum steht und sage:<br />

Dort steht ein Baum<br />

ist das keine besonders aufregende Art, <strong>Sprache</strong> zu gebrauchen. Aber<br />

wahrscheinlich sind derartige referentielle Äußerungen, die sich auf mut-<br />

maßliche propositionale Äußerungen <strong>des</strong> Typs<br />

Es ist der Fall, dass x<br />

259


zurückführen lassen, die vermeintlich häufigsten. Vielleicht sind sie aber<br />

de facto gar nicht so häufig. Vielleicht hält man viele davon nur aus Be-<br />

quemlichkeit für referentielle Äußerungen oder hätte gerne, dass sie sich<br />

wie referentielle Äußerungen verhalten. Und daher wird der Einfluss die-<br />

ser referentiellen Art <strong>Sprache</strong> zu gebrauchen chronisch überschätzt.<br />

4.2. <strong>Die</strong> Überschätzung der referentiellen Sprachfunktion<br />

„Das Paradox verschwindet nur dann, wenn wir radikal mit der Idee brechen,<br />

die <strong>Sprache</strong> funktioniere immer nur auf eine Weise, diene immer dem gleichen<br />

Zweck: Gedanken zu übertragen – seien diese nun Gedanken über Häuser,<br />

Schmerzen, Gut und Böse, oder was immer“ (Wittgenstein 2 1980: 161).<br />

Im Theorieteil dieses Buches wurde die funktionale Sprachkonzeption<br />

Roman Jakobsons ausführlich referiert (vgl. Jakobson 1981). Jakobson<br />

unterscheidet bei der verbalen Kommunikation sechs zielgerichtete<br />

Funktionen der <strong>Sprache</strong>, je nachdem auf welchem der sechs von ihm<br />

unterschiedenen Aspekte (oder Faktoren) der Kommunikationssituation<br />

der Fokus liegt. Anders formuliert: Er unterstellt der <strong>Sprache</strong>, dass sie im<br />

Grunde sechs unterschiedliche Aufgaben erledigen kann, je nachdem,<br />

wie das Kommunikationsziel definiert ist. Zur Erinnerung hier noch ein-<br />

mal das funktionale Sprachmodell Roman Jakobsons aus dem Theorie-<br />

teil in der tabellarischen Übersicht.<br />

260


Faktor Korrelierende Sprachfunktion<br />

Context (Kontext) Referential function (referentielle Funktion)<br />

Addresser (Sender) Emotive Function (emotive Funktion)<br />

Addressee (Empfänger) Conative Function (konative Funktion)<br />

Contact (Kontakt) Phatic Function (phatische Funktion)<br />

Code (Kode) Metalingual Function (metasprachliche Funktion)<br />

Message (Nachricht) Poetic function (poetische Funktion)<br />

Tabelle 50: <strong>Die</strong> sechs konstitutiven Faktoren der sprachlichen Kommunikation<br />

und die sechs ihnen zugeordneten Sprachfunktionen (vgl. Jakobson 1981: 22<br />

und 27)<br />

Jakobson räumt zwar ein, dass in den meisten Kommunikationssituatio-<br />

nen die referentielle Sprachfunktion dominant ist und andere Funktionen<br />

hinzukommen können (vgl. Jakobson 1981: 22). Aber es bleibt immer<br />

fraglich, ob der referentiellen Sprachfunktion auch immer zurecht die<br />

dominierende Rolle zugesprochen wird. <strong>Die</strong>se Frage scheint mir viel zu<br />

selten gestellt zu werden. Man kann bei dieser Kritik sogar noch weiter<br />

gehen und hinterfragen, ob sie der jeweiligen Kommunikationssituation<br />

überhaupt angemessen ist.<br />

Ich habe in dieser Arbeit nachgewiesen, dass dies für den Gegens-<br />

tandsbereich der Geruchswahrnehmung nicht der Fall ist, sondern dass<br />

dort primär andere, kreative Sprachstrategeme gefordert sind, die sich<br />

angemessen mit dem Jakobsonschen Konzept der poetischen Sprach-<br />

funktion beschreiben lassen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>, die als Sonderfall der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Geruchs in<br />

diesem Buch behandelt wurde, ist sicherlich ein sehr begrenztes Spezi-<br />

algebiet. Nichts<strong>des</strong>totrotz gibt es noch viele weitere Bereiche <strong>des</strong><br />

menschlichen Lebens, in denen die übertriebene Fokussierung auf den<br />

referentiellen Aspekt von <strong>Sprache</strong> ebenfalls wenig hilfreich oder häufig<br />

sogar sinnlos ist und die mit dem Thema dieses Buches in Zusammen-<br />

hang gebracht werden können. Dazu gehört der für die conditio humana<br />

261


elementare Bereich, den man gemeinhin mit Psyche umschreibt, also<br />

das emotionale Erleben <strong>des</strong> Menschen. Mit diesem einher geht ein ent-<br />

sprechen<strong>des</strong> mentales Vokabular, das auf Grund <strong>des</strong> einzigartigen indi-<br />

viduellen Erlebens naturgemäß hochgradig subjektiver Natur ist. Und<br />

nicht zufällig ist dieser Gegenstandsbereich der <strong>Sprache</strong> ähnlich schwer<br />

zugänglich wie die Geruchswahrnehmung. Nicht nur, weil die externen<br />

physikalischen Objekte fehlen, auf die man sich referentiell beziehen und<br />

die man als kommunikative Schnittmenge vereinbaren könnte. Überdies<br />

ist die maßgebliche neurophysiologische Beteiligung <strong>des</strong> limbischen<br />

Systems an der kognitiven Verarbeitung sowohl von Gerüchen als auch<br />

von Emotionen für den Konflikt verantwortlich (siehe Abschnitt 1.3.1.2.).<br />

Es sollte daher überhaupt nicht wundern, wenn beispielsweise auch kul-<br />

turellen Produkten wie Musik, Literatur/Lyrik oder anderen Ausprägun-<br />

gen von Kunst, denen emotionale Motive zu Grunde liegen, ebenfalls mit<br />

Mitteln eines referentiellen Sprachgebrauchs nicht angemessen beizu-<br />

kommen ist.<br />

In der neunten Klasse kommentierte mein damaliger Deutschlehrer eine<br />

meiner Formulierungen in einem Aufsatz mit ‚blumiger Stil’. Ich weiß<br />

nicht mehr, was ich geschrieben hatte, worauf sich dieser Kommentar<br />

bezog. Ich erinnere mich aber noch genau, dass ich die Formulierung<br />

gelungen und vor allem passend für das fand, was ich ausdrücken woll-<br />

te. Der Lehrerkommentar war allerdings als negative Kritik gemeint.<br />

Wahrscheinlich hat der Lehrer das zweifelsohne vorhandene kreative<br />

Potenzial dieser gewissen Formulierung nicht wertschätzen können, weil<br />

ihm möglicherweise Jakobsons Sprachmodell nicht bekannt war.<br />

<strong>Die</strong>se Anekdote berührt ebenfalls das skizzierte Problem der chroni-<br />

schen Überschätzung der referentiellen Sprachfunktion und damit vice<br />

versa die chronische Unterschätzung der anderen Funktionen. Im Um-<br />

gang mit Literatur, insbesondere mit Lyrik tauchen nach wie vor stan-<br />

dardgemäß Fragen auf wie: ‚Was will uns der Dichter damit sagen?’ oder<br />

diejenige nach der ‚Intention <strong>des</strong> Autors’. Erstere zielt dabei auf die refe-<br />

rentielle, letztere auf die konative (appellhafte) Sprachfunktion ab. <strong>Die</strong><br />

Frage <strong>des</strong> Stils oder der formalen Qualitäten scheint nach wie vor bei der<br />

262


Literatur-/Lyrikbetrachtung jenseits <strong>des</strong> wissenschaftlichen Expertendis-<br />

kurses von geringerer Priorität zu sein. <strong>Die</strong> primär referentielle Herange-<br />

hensweise an die Betrachtung literarischer/lyrischer Texte im Besonde-<br />

ren, mag zwar bei vielen dieser Texte sinnvoll sein, vielleicht bei realisti-<br />

schen Romanen oder generell bei erzählender Literatur. Aber sie ist im-<br />

mer nur ein Aspekt, der zudem nach meiner Auffassung unangemessen<br />

hoch eingeschätzt wird und in der Regel das Interpretationspotenzial der<br />

Rezipienten eher blockiert als stimuliert. Bei Romanen wie William S.<br />

Burroughs’ Naked Lunch, der Prosa von Virginia Woolf und Thomas<br />

Bernhard oder beispielsweise Hölderlins, Schwitters’ oder Mallarmés Ly-<br />

rik ist die Frage nach der referentiellen Information <strong>des</strong> Textes zweitran-<br />

gig bis unangemessen. <strong>Die</strong> (im Idealfall lautliche) Form <strong>des</strong> Textes ist<br />

dabei bereits die Information und damit das Kommunikationsziel <strong>des</strong><br />

Textes. Eine szientistische Vermetasprachlichung, die nach dem referen-<br />

tiellen Sinn fragt, geht notwendig ins Leere. Ähnlich verhält es sich bei<br />

der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>.<br />

4.3. <strong>Die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong><br />

„Nach der Benennung fragt nur der sinnvoll, der schon etwas mit ihr anzufan-<br />

gen weiß.<br />

Wir können uns ja auch denken, daß der Gefragte antwortet: ‚Bestimm die<br />

Bedeutung selber’ – und nun müßte, der gefragt hat, für alles selber aufkom-<br />

men“<br />

(Wittgenstein 2 1980: 34).<br />

Das, was im vorigen Abschnitt behauptet wurde, kann auch für den Be-<br />

reich der Gebrauchstexte <strong>des</strong> Alltags reklamiert werden, insbesondere<br />

für den Bereich der Werbung. Auch hier gibt es Gegenstandsbereiche,<br />

die für eine referentielle Beschreibung günstiger sind als andere. <strong>Die</strong><br />

Werbung für ein Auto gehört in diese Kategorie. Man kann es abbilden<br />

und dazu noch seine Eigenschaften beschreiben (ABS serienmäßig,<br />

263


GPS, Allradantrieb usw.). Es können nachvollziehbare Informationen ge-<br />

liefert werden, unter denen man sich etwas vorstellen kann, auch wenn<br />

sie sprachlich noch so sehr geschönt sind oder ästhetisch aufgepeppt<br />

werden durch einen eingängigen Jingle, zu dem gesungen und getanzt<br />

wird oder durch eine ‚scharfe Blondine’, die sich auf dem Beifahrersitz<br />

räkelt.<br />

Den Duft eines <strong>Parfums</strong> hingegen kann man weder abbilden noch be-<br />

schreiben. Man kann bestenfalls die Flüssigkeit und den Flakon bezie-<br />

hungsweise deren Farbe und Form abbilden; nicht aber den Geruch.<br />

Und mal Hand aufs Herz: Wer kann sich schon den Geruch vorstellen,<br />

wenn man von einem komplexen Duftgemisch liest, „Jasmin, Ylang-<br />

Ylang und Gewürznelken verleihen ihm in der Herznote ungeheure Dy-<br />

namik“ (Bogner-Man Classic) oder „der Fond pulsiert mit der geheimnis-<br />

vollen Wärme <strong>des</strong> Ambra und Sandelholzes“ (Calvin Klein-Obsession for<br />

Men)? Wer weiß schon wie „Vetiver“ (Calvin Klein-Escape Men), „peru-<br />

vianisches Balsam“ (Lagerfeld-KL Homme) oder „ein Duftbouquet“ aus<br />

so verschiedenartigen Duftsubstanzen wie „Minze, Rosmarin, Lavendel<br />

und Muskat“ (Marc O’Polo-Marc O’Polo Man) riecht? Wer kann schon<br />

ernsthaft etwas anfangen mit Beschreibungen wie „würzig-kühle Akzente<br />

von Wasserlilien“ (MEXX-Man Perspektive) oder „wilde und grüne No-<br />

ten“ (Annayaké-pour lui)? Und woher weiß man, was sich jemand Ande-<br />

res darunter vorstellt?<br />

Ein vorgelagertes Problem, das die sprachliche Form der behandelten<br />

Parfumtexte so skurril und unverständlich erscheinen lässt, ist der situa-<br />

tive Kontext, in dem sie präsentiert werden. Man kann ihnen zwei unter-<br />

schiedliche Textfunktionen attestieren, die gleichzeitig zum Tragen<br />

kommen. <strong>Die</strong> Texte erscheinen zugleich als Produktbeschreibungen und<br />

als Werbetexte.<br />

In ihrer Funktion als Produktbeschreibungen wecken sie naturgemäß die<br />

Erwartung, dass ein Produkt beschrieben wird. Man erwartet, dass sie<br />

über das Parfum und damit vor allem über <strong>des</strong>sen Duftqualitäten infor-<br />

mieren. <strong>Die</strong>s impliziert die kommunikative Dominanz der referentiellen<br />

Sprachfunktion. Dass die Texte ihren kommunikativen Zweck diesbezüg-<br />

264


lich verfehlen, wurde von mir einschlägig nachgewiesen. In ihrer Funkti-<br />

on als Werbetexte versuchen sie naturgemäß den Leser als potenziellen<br />

Kunden positiv für das Produkt einzunehmen. Daher ist ein weiterer<br />

kommunikativer Akzent auf der konativen Sprachfunktion zu erwarten.<br />

Beide der genannten Funktionen, die referentielle wie die konative, wer-<br />

den aus unterschiedlichen Gründen indirekt durch die poetische bedient.<br />

<strong>Die</strong> referentielle, weil es anders nicht angemessen möglich ist und die<br />

konative, weil man sich von den zahlreichen exotisch bis skurril klingen-<br />

den Wörtern und Sätzen eine werbewirksame Aufmerksamkeitssteige-<br />

rung verspricht.<br />

Das poetisch relevante Phänomen der sprachlichen Synästhesie, also<br />

der Kombination von Wörtern, die aus verschiedenen Sinnesbereichen<br />

stammen, ist im Fall der <strong>Parfums</strong>prache das vorherrschende Strategem,<br />

um dem Geruch sprachlich beizukommen. Phrasen wie „herb-warme<br />

Akzente“ (Joop-Homme) oder „grüne Noten“ (Annayaké-pour lui) können<br />

hierfür als prototypisch gelten. Es konnte großflächig nachgewiesen<br />

werden, dass derartige synästhetische Sprachkonstruktionen für die Par-<br />

fumtexte konstitutiv sind. <strong>Die</strong>s gilt vorrangig sowohl für die untersuchten<br />

Fachvokabeln und die Eigenschaftszuschreibungen als auch – wenn-<br />

gleich mit Einschränkungen – für die analysierten Verben.<br />

Zum Leidwesen der Texte stellte sich jedoch durch die Leserbefragung<br />

zweifelsfrei heraus, dass die synästhetischen Manöver kommunikativ<br />

fehlschlagen. <strong>Die</strong> Leser können die teils durchaus originellen, amüsan-<br />

ten und äußerst kreativen Wortschöpfungen nicht wertschätzen. Aber<br />

nicht, weil sie an sich schlecht, sondern weil sie einfach in Produktbe-<br />

schreibungen, die gleichzeitig Werbetexte darstellen, kommunikativ de-<br />

platziert sind.<br />

Sprachkonstruktionen, die als poetisch relevant beschrieben werden<br />

können, sind für die Funktion eines Werbetextes noch angemessen, so-<br />

fern sie die referentielle Funktion unterstützen. Es wird in Werbungen<br />

häufig zu poetischen Mitteln gegriffen. Beispielsweise hat die Firma Fer-<br />

rero den Brotaufstrich Nutella jahrelang mit folgendem, sich reimenden<br />

und von Kinderstimmen gesungenen Zweizeiler beworben:<br />

265


Nutella, hat das große Plus.<br />

Gesun<strong>des</strong> Frühstück mit viel Genuss.<br />

Es ist dabei völlig gleichgültig, ob Nutella in der Tat gesund ist oder nicht.<br />

Aber es ist zumin<strong>des</strong>t möglich, dass Nutella gesund ist und zu einem<br />

genussvollen Frühstück beiträgt. Der gereimte Slogan hat poetische<br />

Qualitäten und unterstützt die (potenzielle) referentielle Information, in-<br />

dem diese eingängig präsentiert wird und sich dem Rezipienten dadurch<br />

leichter einprägt.<br />

Bei dem Produkt Parfum liegt die Sache anders. <strong>Die</strong> poetische Relevanz<br />

konnte zwar sowohl für die zahlreichen, teilweise pittoresk klingenden<br />

Fachvokabeln als auch für die noch zahlreicheren und teilweise noch pit-<br />

toresker klingenden Eigenschaftszuschreibungen erfolgreich nachgewie-<br />

sen werden. Aber gewürdigt wurden sie von den Probelesern nicht. In<br />

einer Produktbeschreibung für ein Parfum erwartet man eben keine ‚poe-<br />

tische <strong>Sprache</strong>’ oder das, was ein durchschnittlicher Leser darunter ver-<br />

steht. Und der Leser einer werbenden Produktbeschreibung ist in der<br />

Regel ein Durchschnittsleser und kein Sprachwissenschaftler. Ihr refe-<br />

rentieller Gehalt hingegen ist oft wie gesagt gleich null, weshalb die an-<br />

geblich vermittelte Information beim Rezipienten nicht ankommt.<br />

<strong>Die</strong>s bestätigt auch ein von mir aus heuristischen Gründen mit 15 Studie-<br />

renden der Germanistik durchgeführtes Experiment, das ich im Winter-<br />

semester 2002/2003 an der Universität Bremen im Rahmen eines Semi-<br />

nars zum Verhältnis von Linguistik, Grammatik und Poetik durchgeführt<br />

habe. Dabei sollte überprüft werden, ob es möglich ist, Parfumtexte und<br />

Parfumdüfte einander korrekt zuzuordnen. Es wurden den Studierenden<br />

zwei Parfumproben ausgehändigt (Davidoff-Cool Water und Jil Sander-<br />

For Men). Parallel wurden sechs Parfumtexte aus dem Korpus vorgege-<br />

ben, in denen der Name <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> eingeschwärzt war. Zwei der<br />

sechs Texte gehörten zu den gereichten Duftproben. Nach einer Beduf-<br />

tungsphase von 20 Minuten sollten die Proben den Texten zugeordnet<br />

werden. Das Ergebnis war, dass Duftproben und Texte nicht annähernd<br />

266


korrekt zugeordnet werden konnten. <strong>Die</strong> folgende Tabelle zeigt die Er-<br />

gebnisse <strong>des</strong> Duft-Text-Experiments.<br />

Präsentierte<br />

Texte<br />

Duftprobe 1:<br />

Davidoff-Cool Water<br />

267<br />

Duftprobe 2:<br />

Jil Sander-For Men<br />

Text 1 (Aigner-pour homme) - 3<br />

Text 2 (Annayaké-pour lui) - 2<br />

Text 3 (Bogner-Men Classic) 12 -<br />

Text 4 (Chopard-Cašran) 1 -<br />

Text 5 (Davidoff-Cool Water) 1 5<br />

Text 6 (Jil Sander-For Men) 1 5<br />

Tabelle 51: Duft-Text-Experiment: Zuordnungen der Probanden<br />

<strong>Die</strong>ses Experiment hat insofern seinen Zweck erfüllt, als offensichtlich<br />

geworden ist, dass eine zuverlässige Zuordnung von Duft und Text nicht<br />

gelingt. Während bei Duftprobe 2 die Trefferquote immerhin bei 5 von 15<br />

lag, tippte bei Duftprobe 1 nur eine Person richtig. Das Duft-Text-<br />

Experiment hat nur heuristischen Charakter und liefert keine methodisch<br />

fundierten Ergebnisse. Dennoch deutet es darauf hin, dass Text und Duft<br />

nicht in einer verlässlichen referentiellen Beziehung zueinander stehen.<br />

Obwohl sämtliche Fachvokabeln, Duftsubstanzen und Eigenschaftszu-<br />

schreibungen oberflächlich den Eindruck erwecken, den jeweiligen Duft<br />

zu beschreiben, ist ihr primärer Zweck ein anderer. Peruvianisches Bal-<br />

sam usw. bedeuten im herkömmlichen Sinne nichts, weil es keinen all-<br />

gemein zugänglichen Kode gibt, durch den ein Alltagsleser diese Voka-<br />

bel entschlüsseln könnte. Aber es klingt eben schön – oder zumin<strong>des</strong>t<br />

originell, exotisch und damit auffällig.<br />

Nach der referentiellen Bedeutung dieser skurrilen Wortkreationen zu<br />

fragen ist so ähnlich, als würde man nach der Bedeutung eines abstrak-<br />

ten Ölbil<strong>des</strong> fragen, das aus zinnoberroten Flecken, kobaltblauen Stri-<br />

chen und einer elfenbeinfarbenen Linie im oberen linken Bereich der<br />

Leinwand besteht. ‚Was bedeutet dieses Bild nur…?’ <strong>Die</strong>s ist eine unsin-


nige Art der Fragestellung. <strong>Die</strong> Farb- und Formkonstellation <strong>des</strong> Bil<strong>des</strong><br />

ist bereits seine Bedeutung. Das Bild sieht halt so aus; man muss es ja<br />

nicht verstehen.<br />

„’Das Bild sagt mir sich selbst’ – möchte ich sagen. D.h., daß es mir etwas<br />

sagt, besteht in seiner eigenen Struktur, in seinen Formen und Farben. (Was<br />

hieße es, wenn man sagte ‚Das musikalische Thema sagt mir sich selbst’?“<br />

(Wittgenstein 2 1980: 225).<br />

Oder man stelle sich den Fall vor, dass jemand ein umgedrehtes Pinkel-<br />

becken an die Wand montiert und es für ein Kunstwerk erklärt. ‚Wo ist<br />

die Bedeutung dieses Kunstwerks?’ ‚Was will uns der Künstler damit sa-<br />

gen?’ ‚Was will er ausdrücken?’ ‚Was ist daran schön?’ <strong>Die</strong>se Fragen<br />

sind wenig hilfreich. Dass das Pinkelbecken an der Wand hängt und als<br />

Kunst bezeichnet wird, ist bereits der Ausdruck <strong>des</strong> Künstlers. Was gibt<br />

es da noch zu fragen? Aber eine derartige Auffassung von Ästhetik<br />

scheint in der Alltagswahrnehmung leider schwer bis gar nicht wert-<br />

schätzbar zu sein, weil wahrscheinlich die illusorische Sehnsucht nach<br />

der ‚wahren’ tieferen Bedeutung eines Kunstwerks oder überhaupt eines<br />

Zeichens noch allzu verbreitet ist.<br />

Und die untersuchten Verben in den Parfumtexten? Wenn man durch die<br />

referentielle Brille irgendwelche Gebrauchstexte <strong>des</strong> Alltags betrachtet,<br />

geht man wie selbstverständlich davon aus, dass Verben eine Tätigkeit<br />

oder Handlung bezeichnen. Das ist normal. Selbst wenn es um Werbe-<br />

texte geht, von denen allgemein bekannt ist, dass sie immer auch sug-<br />

gestiven Charakter haben, kommt man nicht auf die Idee, die Verben<br />

hätten eine andere Funktion. Das ist genauso normal. Es erfordert schon<br />

einige kreative Anstrengung und Abstraktionsfähigkeit, von dieser kon-<br />

ventionell zementierten Rezeptionsgewohnheit abzurücken und in den<br />

Verben der Parfumtexte etwas Anderes zu sehen, in ihnen eine andere<br />

Funktion wahrzunehmen als diejenige der ‚Tuwörter’. Aber wer ist schon<br />

bereit diese Anstrengung aufzubringen, mit Ausnahme <strong>des</strong> Wissen-<br />

schaftlers, der ein Buch über die <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> schreibt? Und<br />

nebenbei: Was kann ein Parfum streng genommen eigentlich schon an-<br />

deres tun als riechen, duften oder gegebenenfalls stinken? Den Texten<br />

268


zufolge können Düfte aber auch bestechen (vgl. Aigner-pour homme),<br />

verschmelzen (vgl. Hugo Boss-Number One), abgerundet werden (vgl.<br />

Chopard-Cašran) und vieles mehr.<br />

Es konnte jedoch argumentativ dargelegt werden, dass die überwiegen-<br />

de Zahl der Verben in den Texten keineswegs die Funktion hat, die Ver-<br />

ben normalerweise in ihrer syntaktischen Funktion als Prädikat haben.<br />

<strong>Die</strong> Primärfunktion dieser von mir prozessual-dynamisch genannten<br />

Verben konnte ebenfalls als poetisch relevant herausgearbeitet werden.<br />

Indem diese Bewegungsverben die Veränderung der Geruchswirkung<br />

eines <strong>Parfums</strong> auf der Haut im Laufe der Zeit abbilden, den so genann-<br />

ten Duftablauf, zeigen sie ikonische Qualitäten. Ihre primäre Bedeutung<br />

ist daher nicht referentiell in dem Sinne, dass sie eine Tätigkeit oder ei-<br />

nen Vorgang bezeichnen, sondern sie simulieren die viel beschworene<br />

Dynamik eines <strong>Parfums</strong>, indem sie <strong>des</strong>sen Duftablauf abbilden. Und<br />

durch die schlichte Tatsache, dass sie Bewegungsverben sind und in<br />

charakteristischer Häufung auftauchen, erfüllen sie bereits ihren Zweck.<br />

Ihre referentielle Bedeutung ist dabei relativ zweitrangig. Von ihrem kon-<br />

ventionellen Informationsgehalt her sind die Verben daher auch einiger-<br />

maßen beliebig und austauschbar; Hauptsache ist, dass sie im Stande<br />

sind, einen Bewegungsablauf zu simulieren und dabei einigermaßen<br />

schmeichelhaft klingen.<br />

4.4. Jenseits <strong>des</strong> Duftes – Kreativität statt Informativität<br />

„Sieh es nicht als selbstverständlich an, sondern als ein merkwürdiges Fak-<br />

tum, daß uns Bilder und erdichtete Erzählungen Vergnügen bereiten; unsern<br />

Geist beschäftigen.<br />

(‚Sieh es nicht als selbstverständlich an’ – das heißt: Wundere dich darüber<br />

so, wie über anderes, was dich beunruhigt. Dann wird das Problematische<br />

verschwinden, indem du die eine Tatsache so wie die andere hinnimmst)“<br />

(Wittgenstein 2 1980: 225).<br />

269


Aber es gibt natürlich in den Parfumtexten neben den Pseudo-<br />

Beschreibungen ebenso Passagen, die gar nicht erst den Eindruck er-<br />

wecken, die Duftqualität <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> charakterisieren zu wollen. Wenn<br />

es etwa heißt ein „lockerer, optimistischer Duft voll sympathischer Ener-<br />

gie“ (Bruno Banani-Bruno Banani Men) oder „ein Duft voller emotionaler<br />

Klarheit - Extrem klar und maskulin, dabei von subtiler Anziehungskraft“<br />

(Calvin Klein-Obsession for Men) liegt auf der Hand, dass nicht der Duft<br />

beschrieben wird. Vielmehr wird ein spezifisches männliches Stereotyp<br />

lanciert oder ein (vermeintlich) werbewirksamer Gender-Trend aufgegrif-<br />

fen und mit dem Parfumduft – gleichgültig wie dieser riecht – verbal as-<br />

soziiert. Bei derartigen Aussagen, die im untersuchten Korpus etwa die<br />

Hälfte der Textmasse ausmachen, handelt es sich natürlich um rein psy-<br />

chosoziale Suggestionen, die mit der Duftqualität <strong>des</strong> jeweiligen <strong>Parfums</strong><br />

letztlich nichts zu tun haben.<br />

Es gibt aber auch im Korpus einige wenige Texte, in denen gar keine<br />

Sequenzen zu finden sind, die vorgeben, den Parfumgeruch zu be-<br />

schreiben. Der Text zu Davidoff-Good Life beispielsweise verzichtet völ-<br />

lig auf die pseudo-olfaktorische Charakterisierung und beschränkt sich<br />

gänzlich auf die Suggestion eines Männlichkeitstyps, den der Duft an-<br />

geblich unterstützt:<br />

„Ein unverwechselbarer Duft von ehrlichem, ursprünglichem Charakter. Ein<br />

Spiegel der Sehnsüchte und Wünsche <strong>des</strong> modernen, selbstbewussten Man-<br />

nes. Er sucht das Gleichgewicht zwischen materiellem Erfolg und tiefgehender<br />

Emotionalität und findet seine Harmonie durch innere Zufriedenheit. Davidoff<br />

Good Life verkörpert das, was für ihn am wichtigsten ist: Freude und Glück“<br />

(Davidoff-Good Life).<br />

Der suggestive Stil dieses Textes kann sicherlich als aufdringlich, kli-<br />

scheehaft, albern und platt empfunden werden. Gemessen an den Er-<br />

gebnissen der vorliegenden Arbeit ist er jedoch authentischer, gerade<br />

weil er sich spart vorzugeben den Geruch zu beschreiben. Allerdings<br />

geht ihm ebenfalls kreative Originalität ab, da sich Vokabeln wie modern,<br />

selbstbewusst, Harmonie, Freude und Glück durch inflationäre Verwen-<br />

270


dung bereits derart abgenutzt haben, dass man sie sich getrost sparen<br />

kann.<br />

Dass Werbung im Allgemeinen und Parfumwerbung im Besonderen na-<br />

turgemäß stark suggestive Anteile hat, ob in sprachlicher, bildlicher oder<br />

musikalischer Form, ist ein oft genug erwähnter Allgemeinplatz, der hier<br />

nicht weiter diskutiert werden soll. <strong>Die</strong> abschließende Frage ist vielmehr,<br />

was neben den ausführlich dokumentierten wissenschaftlichen Erkennt-<br />

nissen als praktischer Output der Analysen der Parfumtexte festgehalten<br />

werden kann.<br />

<strong>Die</strong> meisten Werbungen für <strong>Parfums</strong>, vor allem im Fernsehen und in Li-<br />

festyle-Magazinen arbeiten mit wenig oder keinen sprachlichen Mitteln.<br />

Sie setzen primär auf die Suggestivkraft schöner, verführerischer Bilder<br />

oder Szenarien, die dem jeweiligen Parfum ein in der Regel sexuell kon-<br />

notiertes Image zuschreiben. <strong>Die</strong> visuelle Suggestion ist sicherlich nicht<br />

nur generell ein legitimes und effizientes Werbemittel. Vor allem für die<br />

<strong>Parfums</strong>zene scheint diese Form der Werbung adäquater zu sein als<br />

Worte. Eine Schlussfolgerung könnte sein, dass man bei Parfumwer-<br />

bungen auf <strong>Sprache</strong> prinzipiell verzichten sollte. Also: Kein oder mög-<br />

lichst wenig Text.<br />

Soll aber in Parfumwerbungen doch <strong>Sprache</strong> zum Einsatz kommen, so<br />

muss folgen<strong>des</strong> bedacht werden. Nach meiner Auffassung sollten in Par-<br />

fumwerbungen die Textteile, die sich um eine Beschreibung (oder Pseu-<br />

do-Beschreibung) <strong>des</strong> Geruchs bemühen, prinzipiell vermieden werden.<br />

Sie werden offensichtlich vom Rezipienten nicht positiv wahrgenommen<br />

und laufen eher Gefahr lächerlich zu wirken. Zwar steigern sie die Auf-<br />

merksamkeit, die der Leser für das Produkt aufbringt, allerdings ist dies<br />

eine negativ motivierte Aufmerksamkeit die im Wesentlichen auf Ge-<br />

nervtheit beruht.<br />

Optimal wäre es, wenn es gelänge eine <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> ins Spiel<br />

zu bringen, die positiv motivierte Aufmerksamkeit erzeugt. <strong>Die</strong>s kann<br />

nach meinen Erkenntnissen nur gelingen, indem die haarsträubende In-<br />

formativität in Parfumwerbungen gänzlich eliminiert und ihnen dadurch<br />

der Charakter einer Produktbeschreibung genommen wird. Es wäre<br />

271


günstiger, auch bei eventuellen sprachlichen Mitteln voll auf die kreative<br />

Suggestion sprachlich evozierter Bilder und Szenarien zu setzen, bei<br />

denen der faktische Duft im Grunde zweitrangig ist. <strong>Die</strong>se Verbalsugges-<br />

tionen dürfen sich aber keinesfalls als <strong>des</strong>kriptiv tarnen, sondern müssen<br />

offen und selbstbewusst auftreten, denn durchschaut werden sie vom<br />

Leser ohnehin. Damit einher geht jedoch die Notwendigkeit einer hohen<br />

Sensibilität für poetische Sprachmittel, also eine hohe poetisch-<br />

kommunikative Kompetenz. Und die scheint mir auf Seiten der Verant-<br />

wortlichen für Parfumwerbetexte nicht immer gegeben zu sein.<br />

Einen kreativen und unbedingt begrüßenswerten poetisch-verbalen Vor-<br />

stoß in die Domäne der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> riskiert der Münchner Lyri-<br />

ker Albert Ostermaier. Für ein Parfum-Special der Zeitschrift InStyle (Au-<br />

gust 2002) schrieb Ostermaier als Promotionsaktion Prosagedichte zu<br />

19 Frauenparfums renommierter Marken, darunter etwa Jean Paul Gaul-<br />

tier, Calvin Klein oder Bulgari. In diesen Texten versucht der Autor nicht<br />

krampfhaft, mit ‚schönen’ Worten einen Duft zu beschreiben, sondern die<br />

Texte sind strukturell poetisch angelegt. So heißt es beispielsweise über<br />

das Eau de Toilette Mania von Giorgio Armani:<br />

„Ich bin süchtig nach dir, wie ein Fieber strahlst du durch meine Nerven. Ich<br />

lege meine Hände in ein Eisfach und warte, dass sie auf deinen Wangen zer-<br />

springen in einen unendlichen Regen aus Fingerspitzentropfen. Ich will das<br />

Meer sein, die Summe der Flüsse, die auf den Wellen deines Körpers in dei-<br />

nen Bauchnabel fließen“ (Ostermaier 2002: 149).<br />

Und zu dem Duft L’eau der Firma Strenesse schreibt Ostermaier unter<br />

anderem:<br />

„<strong>Die</strong> Wolken, wie sie deine Haut erahnen und sich vom Wind den Schwung<br />

deiner Schultern erzählen lassen, bevor sie weiterziehen in einen warmen<br />

Gewitterregen“ (Ostermaier 2002: 150).<br />

Hier wird gar nicht erst der unsinnige Versuch unternommen, sich dem<br />

Parfumgeruch beschreibend zu nähern, sondern Ostermaier lässt seine<br />

verbale Kreativität buchstäblich von dem jeweiligen Duft sowie dem Na-<br />

men <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> inspirieren. Selbstverständlich ist der Output hochgra-<br />

dig subjektiv, aber genau das darf und muss er sogar sein. Ob ein syn-<br />

272


ästhetisches Konglomerat bestehend aus Fieber, das durch Nerven<br />

strahlt, Händen im Eisfach und Fingerspitzentropfen etwas über den Ge-<br />

ruch <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> aussagt, ist völlig uninteressant.<br />

Es zählt allein die kommunikative Tatsache, dass der Duft eines <strong>Parfums</strong><br />

anscheinend in der Lage ist, derartige oder auch ganz andere, nämlich<br />

beliebige Assoziationen auszulösen. Ostermaier ist offenbar für eine po-<br />

etische Sicht der Dinge sensibel und besitzt die Fähigkeit, diese Assozia-<br />

tionen in Worte zu fassen. Ob jemand Anderes diesen Worten eine sinn-<br />

volle Bedeutung entnehmen kann, ist nicht nur völlig unerheblich, son-<br />

dern bereits als Anspruch verfehlt.<br />

So originell und innovativ Ostermaiers sprachliche Herangehensweise<br />

an die Parfumgerüche ist, so herkömmlich ist beispielsweise ein Artikel<br />

von Knut Cordsen aus der Süddeutschen Zeitung über dieses Manöver<br />

(Cordsen 2002). Dort diskreditiert der Verfasser Ostermaiers lyrische<br />

Parfumtexte in recht polemischer Weise. <strong>Die</strong>s ist aber (zumin<strong>des</strong>t für<br />

mich) nicht besonders überraschend. Der Artikel ist aus der kommunika-<br />

tionstheoretisch eindimensionalen Perspektive geschrieben, die ich be-<br />

reits zu Beginn dieser Schlussbetrachtung thematisiert habe. Es ist die<br />

Perspektive der unreflektierten Überschätzung der referentiellen Sprach-<br />

funktion, die, wie ich gezeigt habe, für die <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> völlig<br />

unbrauchbar ist. Cordsen scheint davon auszugehen, dass man über<br />

Gerüche ‚normal’ sprechen kann und dass der Lyriker Ostermaier zu<br />

Promotionszwecken lediglich die „Wirklichkeit mit metaphorischer Meer-<br />

rettichsoße“ (Cordsen 2002) überzogen hat. Dass der Wahrnehmungs-<br />

bereich <strong>des</strong> Geruchs im Allgemeinen und <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> im Besonderen<br />

eben keine normale Wirklichkeit und das Metaphorische legitimes Mittel<br />

ist, um sich dieser sprachlich zu nähern, habe ich mit diesem Buch ge-<br />

zeigt.<br />

Statt also diskreditierend von „Meerrettichsoße“ sollte man lieber von ei-<br />

ner crème synesthétique sprechen, und zwar nicht als notwendiges Ü-<br />

bel, sondern als notwendige Bedingung für die <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>.<br />

273


274


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284


Abbildungen 1 bis 4 aus dem Theorieteil (Farbtafel)<br />

Abbildung 1: Anatomische Gliederung <strong>des</strong> Neocortex (vier Hirnlappen)<br />

Abbildung 2: Komponenten <strong>des</strong> limbischen Systems<br />

285


Abbildung 3: Zerebrale Anatomie und Physiologie <strong>des</strong> menschlichen Riechsys-<br />

tems<br />

Abbildung 4: Neocortex – Areale der Sprachverarbeitung<br />

286


Muster <strong>des</strong> Aufgabenblattes zur Erhebung der Leserdaten (Archileserumfrage)<br />

Nehmen Sie bitte einen Textmarker, einen schwarzen und einen blauen Stift zur<br />

Hand.<br />

Es sind zwei Lesedurchgänge zu absolvieren.<br />

Markieren Sie beim ersten Lesedurchgang bitte mit dem Textmarker in allen drei<br />

Texten die Stellen, die Ihnen ‚irgendwie’ besonders auffallen, die Sie am Lesefluss<br />

hindern, die ‚irgendwie merkwürdig’ sind. Kommentieren Sie dann (mit schwarzem<br />

Stift) kurz am Rand, was aufgefallen ist.<br />

Beim zweiten Lesedurchgang (einige Minuten später) markieren Sie weitere für Sie<br />

auffällige Stellen, falls welche dazugekommen sind; falls nicht, auch okay. (Bitte mit<br />

blauem Stift.)<br />

Hier die Texte:<br />

Hugo Boss-Elements Aqua<br />

<strong>Die</strong> Frische und Lebendigkeit <strong>des</strong> Wasser für einen klaren Duft - Boss Elements A-<br />

qua heißt der Herrenduft, der so erfrischend und belebend wie das pure, klare Ele-<br />

ment Wasser ist. Sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht dieser Duft vor maskuli-<br />

ner Vitalität und Energie - wie der Mann, der ihn trägt.<br />

Im Auftakt gibt sich der Duft spritzig und meeresfrisch durch Bergamott und einen<br />

elegant-ozonigen Akkord. <strong>Die</strong> Herznote ist würzig und floral bestimmt durch Piment<br />

und Jasmin, während der Fond mit der maskulinen Präsenz <strong>des</strong> Zedern- und San-<br />

delholzes strahlt.<br />

Der praktische Zerstäuber sorgt für eine gute Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes und<br />

zeigt sich ebenso aquatisch-frisch in der Form, auf der in Glas gefangene Wasser-<br />

tropfen perlen.<br />

287


Bogner-Snow<br />

Maskulin-dynamisch, kühl und klar - Pur und leicht wie Neuschnee und dennoch<br />

natürlich-warm mit Anklängen an tief verschneite Gräser und Hölzer: Bogner Snow.<br />

Das Eau de Toilette mit einzigartigem Cooling Effekt.<br />

Seine Kopfnote strahlt durch alpinen Wacholder, Galbanum-Harz und geeiste Man-<br />

darine transparent-frostige Frische aus, die Herznote besticht durch die Kombination<br />

von Vetiver-Gräsern, Zedernholz und schwarzem Pfeffer. Aromatische Moose, Am-<br />

ber und exotische Feigenblätter verleihen Bogner Snow ein geheimnisvolles, männ-<br />

lich-sinnliches Finish.<br />

Pur und maskulin wie der Duft ist auch der dynamische Flakon aus klarem, kühl-<br />

blauem Glas, <strong>des</strong>sen Form an eine Schneewehe erinnert und <strong>des</strong>sen silbrig-frostige<br />

Umverpackung die eisig-moderne Aussage <strong>des</strong> Duftes perfekt unterstreicht.<br />

Joop-Homme<br />

Ein aufregender Duft für den geradlinigen und leidenschaftlichen Mann. Ein Duft von<br />

blumigen, holzigen und exotischen Nuancen in Harmonie mit herb-warmen Akzen-<br />

ten.<br />

<strong>Die</strong> kühle Frische von Bergamotte vereinigt sich mit dem Feuer der Herz-Kopf-Note<br />

aus Zimt, Orangenblüten und Jasmin. Der exotische Fond von Sandelholz, Vetyver<br />

und Patchouli und ein dezenter Hauch von Ambra, Tabak, Moschus und Honig ver-<br />

schmelzen harmonisch ineinander.<br />

Der schmal geschnittene und klar gestaltete Flakon unterstreicht die Geradlinigkeit;<br />

seine warme und ungewöhnliche Farbgestaltung die Leidenschaftlichkeit und aufre-<br />

gende Wirkung <strong>des</strong> Duftes.<br />

288


Musterexemplar eines bearbeiteten Aufgabenblattes (Faksimile)<br />

289


Das Korpus: 48 Produktbeschreibungen zu Männerparfums<br />

(Quelle: www.douglasbeauty.com, Zugriff am 29.03.2003<br />

Aigner-pour homme<br />

Ein Duft mit Charakter für den modernen Mann - Aigner pour homme wurde 1999 kreiert und verbin-<br />

det zeitlose Eleganz mit dem Zeitgeist <strong>des</strong> neuen Jahrtausends.<br />

<strong>Die</strong> Komposition besticht durch die Verbindung von frischen, mediterranen Zitrusfrüchten, exotischen<br />

Gewürzen und warmen Holzkomplexen aus Sandel- und Zedernholz, Leder und Moschus setzen aus-<br />

gefallene Akzente.<br />

Aigner pour homme verleiht dem modernen Mann Überlegenheit und Gelassenheit. Der Flakon ist ein<br />

Kunstwerk aus brillantem Glas und architektonischen Elementen, im Sprühkopf befindet sich ein Le-<br />

der-Inlay.<br />

Annayaké-pour lui<br />

Ein Duft von einzigartiger Vollkommenheit - Annayaké pour lui - ein Duft für den Mann auf dem Weg<br />

zu innerer Ruhe.<br />

Spritzige Noten wie Mandarine und Apfel bilden den Auftakt dieses Duftes, exotisch abgerundet mit<br />

Aromen reinen Tees. Wilde und grüne Noten unterstreichen im Herzen die Transparenz und Reinheit<br />

der Lotusblüte.<br />

Warme Edelholznoten bilden die sinnliche Basis.<br />

Ein Duft wie eine Hymne auf die japanische Lebenskultur, präsentiert in einem reich verzierten Flakon<br />

aus schiefergrauem Glas - einem Monolithen gleich.<br />

Bogner-Man Classic<br />

Dynamisch, frisch und maskulin - Bogner Man Classic, der Duft für Männer, die ihren Weg gehen und<br />

sich mit der Natur in Einklang wissen.<br />

Seine fruchtig-grüne Kopfnote besticht durch Zitrone, Grapefruit und Bergamotte. Jasmin, Ylang-Ylang<br />

und Gewürznelken verleihen ihm in der Herznote ungeheure Dynamik. Klassische Männlichkeit, her-<br />

vorgerufen durch holzige Ingredienzien wie Vetiver und Baummoos, prägt im Schlussakkord den un-<br />

gewöhnlichen Charakter der Komposition.<br />

Maskulin und souverän wie der Duft präsentiert sich auch der tintenblaue Glasflakon mit seinen gera-<br />

den Linien und der puristischen Gestaltung.<br />

290


Bogner-Snow<br />

Maskulin-dynamisch, kühl und klar - Pur und leicht wie Neuschnee und dennoch natürlich-warm mit<br />

Anklängen an tief verschneite Gräser und Hölzer: Bogner Snow. Das Eau de Toilette mit einzigartigem<br />

Cooling Effekt.<br />

Seine Kopfnote strahlt durch alpinen Wacholder, Galbanum-Harz und geeiste Mandarine transparent-<br />

frostige Frische aus, die Herznote besticht durch die Kombination von Vetiver-Gräsern, Zedernholz<br />

und schwarzem Pfeffer. Aromatische Moose, Amber und exotische Feigenblätter verleihen Bogner<br />

Snow ein geheimnisvolles, männlich-sinnliches Finish.<br />

Pur und maskulin wie der Duft ist auch der dynamische Flakon aus klarem, kühl-blauem Glas, <strong>des</strong>sen<br />

Form an eine Schneewehe erinnert und <strong>des</strong>sen silbrig-frostige Umverpackung die eisig-moderne Aus-<br />

sage <strong>des</strong> Duftes perfekt unterstreicht.<br />

Hugo Boss-Boss Elements<br />

Ein Duft voller Vitalität und Natürlichkeit - Boss Elements ist ein junger Herrenduft, der starke Kontras-<br />

te harmonisch in sich vereint. Inspiriert von den vier Elementen der Natur, präsentiert er sich kraftvoll<br />

und maskulin mit unverkennbar sensiblen Untertönen. Wie der Mann, der diesen Duft trägt.<br />

<strong>Die</strong> Kopfnote überrascht mit spritziger Frische der Bergamott und Mandarine. Im Herzen entfalten<br />

feinwürziger Estragon und herber Wacholder ihr reiches Aroma. Im Fond glüht die Wärme <strong>des</strong> Ambra<br />

und rauchiges Zedernholz.<br />

Der praktische Zerstäuber sorgt für eine optimale Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes und präsentiert sich<br />

ebenso prägnant wie ausgewogen in der Form: Geschwungene Linien verbinden sich mit einem kon-<br />

turreichem Relief zu einem markanten Design.<br />

Hugo Boss-Number One<br />

Der Konkurrenz einen Schritt voraus - Boss Number One von Hugo Boss – ein anspruchsvoller Duft<br />

für den trendorientierten Mann. <strong>Die</strong> raffinierter Duftkreation entfaltet einen wirkungsvollen Kontrast von<br />

lebhafter Frische und warmer Sinnlichkeit.<br />

Den belebenden Auftakt bildet ein erlesenes Kräuter-Bouquet, das im Herzen von blumigen Essenzen<br />

abgelöst wird. Im Fond dominieren balsamisch-animalische Elemente und verschmelzen mit Zeder<br />

und Tabak zu einer einzigartigen Duftschöpfung.<br />

Der markante Flakon aus schwerem Glas spiegelt den maskulinen Charakter <strong>des</strong> Duftes wider.<br />

291


Hugo Boss-Hugo<br />

Ein facettenreicher Herrenduft als Eau de Toilette Spray - Innovativ und jugendlich frisch - so definiert<br />

sich Hugo von Hugo Boss. Am unkonventionellen, dynamischen Lebensstil der jungen Generation<br />

teilzuhaben ist die Inspiration, die Hugo verfolgt.<br />

<strong>Die</strong> natürlich-frische, vitalisierende Kopfnote bildet den Auftakt mit einem Bouquet aus Grapefruit,<br />

grünem Apfel, Pinienadeln untermalt von erlesenen Kräutern. <strong>Die</strong> aromatisch-würzige Herznote ba-<br />

siert auf einer Komposition aus Jasmin, Salbei, Nelken, Lavendel und Geraniumblättern. <strong>Die</strong> holzig-<br />

ledrige Grundnote wird durch Vetiver, Douglasfichtenharz und Moos abgerundet und verleiht Hugo<br />

seine einmalige Ausstrahlung.<br />

Hugo Boss-Elements Aqua<br />

<strong>Die</strong> Frische und Lebendigkeit <strong>des</strong> Wasser für einen klaren Duft - Boss Elements Aqua heißt der Her-<br />

renduft, der so erfrischend und belebend wie das pure, klare Element Wasser ist. Sprudelnd-frisch<br />

und stimulierend sprüht dieser Duft vor maskuliner Vitalität und Energie - wie der Mann, der ihn trägt.<br />

Im Auftakt gibt sich der Duft spritzig und meeresfrisch durch Bergamott und einen elegant-ozonigen<br />

Akkord. <strong>Die</strong> Herznote ist würzig und floral bestimmt durch Piment und Jasmin, während der Fond mit<br />

der maskulinen Präsenz <strong>des</strong> Zedern- und Sandelholzes strahlt.<br />

Der praktische Zerstäuber sorgt für eine gute Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes und zeigt sich ebenso<br />

aquatisch-frisch in der Form, auf der in Glas gefangene Wassertropfen perlen.<br />

Hugo Boss-Boss Bottled<br />

Für Gewinnertypen mit dem Blick nach vorn - Boss - der markant-maskuline Duft für selbstbewußte<br />

Männer, die Erfolg neu definieren.<br />

Der Duft startet in einer fruchtig-spritzigen Kopfnote aus Zitrusfrüchten und Apfel. <strong>Die</strong> blumig-würzigen<br />

Geranien - auch "männliche Rosen" genannt - und die Süße von Zimt dominieren mit einem Hauch<br />

Gewürznelke in der Herznote. <strong>Die</strong> Basisnote präsentiert sich durch eine vibrierend-sinnliche Harmonie<br />

aus Sandelholz, Zedernholz und Vetiver. <strong>Die</strong> delikat-rindige Note von Olivenholz betont den Charakter<br />

dieses Duftes und seines Trägers.<br />

<strong>Die</strong> schlichte Form <strong>des</strong> Glasflakons folgt dem Credo <strong>des</strong> Hauses "weniger ist mehr". Edel, elegant.<br />

292


Hugo Boss-Hugo Dark Blue<br />

Ungezähmte Lebenslust für jeden Moment - Hugo Dark Blue - ein Duft, der die pure Lust am Leben<br />

widerspiegelt. Der das aufregende Leben der Szenegänger ausdrucksstark betont.<br />

<strong>Die</strong> frische, junge Kopfnote lockt mit Akzenten aus Indischer Limette und Malabar-Ingwer, spritzig<br />

frisch kombiniert mit der Kraft von Pink Grapefruit. Im Herzen pure Männlichkeit: Peralgonium und<br />

Zypresse, vereint mit einer floralen Ozonnote, fein abgestimmt mit kräftigen aromatischen Gewürzno-<br />

ten. Balsamische Harze vermischen sich im Fond mit den tiefen Tönen dunkler Holznoten und wirken<br />

wie ein Aphrodisiakum: unbeschreiblich maskulin, sexy, verführerisch. Akkorde aus Wildleder und<br />

Tabak runden die Komposition ab und verführen mit sinnlicher Wärme.<br />

Wie ein Cocktailshaker präsentiert sich der Flakon - in Form und Farbe abgestimmt auf seinen aufre-<br />

genden<br />

Inhalt.<br />

Bruno Banani-Bruno Banani Men<br />

Bruno Banani Men, ein lockerer, optimistischer Duft voll sympatischer Energie. Eine lebendige Hom-<br />

mage an den selbstbewußten und humorvollen Lebenskünstler. Der sein extrovertiertes Ich diskret<br />

unterstreichen und ganz souverän seinen eigenen, unkonventionellen Stil und seine kreative Weltof-<br />

fenheit zum Ausdruck bringen will. Dessen Lebenseinstellung ihm Zeit lässt für ein Augenzwinkern, für<br />

ein Lächeln über sich selbst.<br />

Calvin Klein-Obsession for men<br />

Ein Duft voller emotionaler Klarheit - Extrem klar und maskulin, dabei von subtiler Anziehungskraft - so<br />

gibt sich der Herrenduft Obsession von Calvin Klein. Temperamentvoll und faszinierend mit seiner<br />

emotionalen Deutlichkeit, wie der Mann, der diesen Duft trägt.<br />

Der Auftakt ist von der spritzigen Frische der Mandarine und Zitronenminze geprägt. Im Herzen entfal-<br />

ten sich feinwürzige Noten <strong>des</strong> Lavendels und kostbarer Myrrhe. Der Fond pulsiert mit der geheimnis-<br />

vollen Wärme <strong>des</strong> Ambra und Sandelholzes.<br />

Der praktische Zerstäuber sorgt für eine gute Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes und ist ebenso klar in<br />

seiner Aussage: das Oval <strong>des</strong> Flakons aus schwerem, kristallklarem Glas verbindet Unergründliches<br />

mit moderner Transparenz.<br />

293


Calvin Klein-Eternity for men<br />

Ein Mann, im Einklang mit sich, seinen persönlichen Beziehungen und seiner Umwelt. Eternity for<br />

men ist der einzigartige Ausdruck von Vitalität und Selbstbewusstsein - zwei Eigenschaften, die für<br />

das neue männliche Lebensgefühl stehen. Der Duft entspricht der Wesensart <strong>des</strong> modernen Mannes -<br />

empfindsam und temperamentvoll, zurückhaltend und souverän zugleich. <strong>Die</strong> Verschmelzung von<br />

Zeit, die Versöhnung ihrer Gegensätze, die Synthese alter und neuer Ideen bilden das Motiv der ge-<br />

samten Kollektion.<br />

Calvin Klein-Escape Men<br />

Ein Duft voller Emotionalität und Besinnlichkeit - Escape - ein Duft, der die Sehnsucht der jungen Ge-<br />

neration widerspiegelt: die Sehnsucht nach Besinnlichkeit, nach Beständigkeit und Emotionalität.<br />

Kennzeichnend ist der Duft frischer grüner Birkenblätter auf allen Ebenen: In der Kopfnote gesellen<br />

sich fruchtige und grüne Noten hinzu, die Frische und Natürlichkeit vermitteln. In der Herznote entwi-<br />

ckeln sich würzige Aromen und frische Kräuter, die schließlich durch Vetiver, Sandelholz und Eichen-<br />

moos im Fond warm und sinnlich aufgefangen werden.<br />

Der Flakon präsentiert sich puristisch-schlicht und lässt so Spielraum für de ganz eigene Interpretation<br />

von Freiheit und Musse.<br />

Calvin Klein-Contradiction Men<br />

Er besitzt die Einstellung und das Selbstvertrauen, scheinbar gegensätzliche Elemente zu einem mo-<br />

dernen, unkomplizierten und ausgefüllten Leben zu verbinden. <strong>Die</strong> Widersprüchlichkeit liegt in der<br />

unerwarteten Art und Weise, in der sich der moderne Mann offenbart: er arbeitet hart, treibt intensiv<br />

Sport und engagiert sich dafür, seine Familie aufzubauen. Er ist stark und doch sehr sensibel. Sehr<br />

ernst, aber auch sehr sexy.<br />

294


Cerruti-1881 pour homme<br />

Ein Duft klassisch-herber Eleganz - Cerruti 1881 pour Homme - die würzige Frische maskuliner Natür-<br />

lichkeit. Der holzige Duft für den Mann, der sich seiner Attraktivität bewusst ist.<br />

In seinem Auftakt lockt ein Bouquet aus würzigen Kräutern, leicht und frisch abgerundet durch frische<br />

Noten üppigster Blüten. Der Herz setzt sich aus dem markanten Duft von herbem Moos und einem<br />

Hauch feinster Rose zusammen und wird von einer Komposition aus Edelhölzern, Moschus und Veti-<br />

ver warm aufgefangen.<br />

Der Flakon ist ein Symbol purer Männlichkeit: eine markante Form, schweres geriffeltes Glas und ein<br />

edler, klassisch-schlichter Verschluss machen ihn zu einem Kunstwerk von unvergänglicher Schön-<br />

heit.<br />

Cerruti-Image<br />

Eine Inspiration aus der Natur - Der energiegeladene Herrenduft als leichtes Eau de Toilette für den<br />

Tag. Für Ihn - für den Mann, der das Natürliche liebt und das Original schätzt. Ein Duft der ermutigt,<br />

Grenzen zu überschreiten, der Kreativität freien Lauf zu lassen. Optimismus, Kreativität, Inspiration,<br />

Vision und Zukunft - fünf gravierte Schlüsselworte auf der Mattglas-Banderole geben dem Flakon eine<br />

persönliche Note und charakterisieren den Duft. <strong>Die</strong> Spraykappe, ein modernes Kunstwerk, unter-<br />

streicht die futuristische Form der Flasche.<br />

Chopard-Heaven<br />

Frei wie ein schwebender Adler - Sich frei fühlen, die unendlichen Weiten <strong>des</strong> Himmels erfahren - das<br />

Eau de Toilette Spray Heaven Chopard verführt mit dem Gedanken an dieses Lebensgefühl.<br />

<strong>Die</strong> fruchtig-frische Kopfnote aus Mandarine und Grapefruit erfährt im Herzen kraftvolle Wärme durch<br />

die Tonka-Bohne. In der Basis wird die Zitrusnote vertieft.<br />

Der Himmel als tragen<strong>des</strong> Element <strong>des</strong> Duftes wurde bei der Gestaltung von Flakon und Verpackung<br />

aufgegriffen. Ein tiefes, changieren<strong>des</strong> Azurblau visualisiert seine unendliche Weite. Gekrönt wird der<br />

Flakon von einem schwebenden Adler.<br />

295


Chopard-Cašran<br />

Duft für den sinnlichen Mann - Orientalisch und frisch zugleich, das ist Casran von Chopard.<br />

<strong>Die</strong> exotische Kopfnote hebt die Stimmung durch Bergamotte und Kardamom. Marokkanische Gera-<br />

nien und Scharlachsalbei stecken in der männlich-herben Herznote. Abgerundet wird dieser unge-<br />

wöhnliche Duft durch die ambrahafte Holznote, die sinnlich auf der Haut haftet.<br />

Der komplexe, asymmetrische Flakon spielt mit faszinierenden Lichtreflexen. Ein Hauch Violett<br />

schimmert luxuriös und orientalisch.<br />

Davidoff-Davidoff Classic<br />

Eine lebendige Duftkomposition von klassischer Harmonie - Davidoff Classic ist ein klarer und ausge-<br />

wogener Herrenduft, der sich durch seine Harmonie von Moderne und zeitübergreifender Klassik aus-<br />

zeichnet. Von frischer Eleganz und mit betont maskuliner Note, unterstreicht er dezent die Noblesse<br />

und lebensfrohe Ausstrahlung <strong>des</strong> Mannes, der diesen Duft für sich wählt.<br />

Belebend und mit diskreter Frische im Auftakt durch die feinen Kräuter-Aromen <strong>des</strong> Salbei und Beifuß.<br />

<strong>Die</strong> Herznote präsentiert sich mit der Tiefe würziger Noten <strong>des</strong> Muskat und Koriander. Im Ausklang<br />

betont markant und von der warmen Fülle <strong>des</strong> Sandelholz und Ambra geprägt.<br />

Der handliche Zerstäuber sorgt für eine optimale Verteilung <strong>des</strong> klassischen Duftes und präsentiert<br />

sich unverwechselbar im typischen Davidoff-Design: klar konturiert, markant und präzise - eine har-<br />

monische Verbindung von Stilbewusstsein und Modernität.<br />

Davidoff-Zino<br />

Ein ganz besonderer Duft, elegant und nobel - Der Name Zino Davidoff steht weltweit als Synonym für<br />

vollendeten Genuss, Individualität und kompromisslose Qualität. Mit seinem unaufdringlichen Charme<br />

ist der Duft Zino geschaffen für den Mann, der mit seinem unverwechselbaren Stil das Leben zu ge-<br />

nießen versteht.<br />

Das Eau de Toilette ist im Auftakt frisch und spontan durch Bergamott und Lavendel. <strong>Die</strong> Herznote<br />

erstrahlt im sanften Feuer <strong>des</strong> Geraniums und bleibt doch stets diskret. In markantem Kontrast dazu<br />

steht die Basisnote. Holzig-orientalisch und mit der Wärme von Ambra und Moschus verleiht sie Zino<br />

seine Kraft und Originalität.<br />

Der schwere Glasflacon mit Reliefschliff ist in tiefem, leicht transparentem Violett gehalten. Zusammen<br />

mit dem weichen Farbton alten Elfenbeins für den Verschluss spiegelt er perfekt den noblen Charakter<br />

<strong>des</strong> Duftes wider.<br />

296


Davidoff-Cool Water<br />

Maskulinität als Duft - Cool Water von Davidoff ist ein Duft, der den Charakter einer starken Persön-<br />

lichkeit dezent unterstreicht.<br />

<strong>Die</strong> aromatische Kopfnote <strong>des</strong> Eau de Toilette mit Provence-Akkord von Lavendel, Rosmarin und<br />

Minze macht diesen Duft einzigartig. Der Kontrast zwischen blumigen und holzigen Noten aus Jasmin,<br />

Geranium und Sandelholz dominiert in der Herznote. <strong>Die</strong> typisch warme, süße Basisnote mit den Es-<br />

senzen aus Moschus und Ambra geben dem Duft seine sinnliche Ausstrahlung.<br />

Der schlichte Flakon in Cool-Water-Blau ist mit einem glänzenden Verschluss kombiniert.<br />

Davidoff-Relax<br />

Ein Duft, der auf eine Reise in eine andere Welt einlädt - Relax von Davidoff, eine Duftsymphonie, die<br />

in das Reich der unendlichen Verwandlung entführt. Wo Körper und Geist hingebungsvolle Entspan-<br />

nung finden. Für den selbstbewussten Mann, der weiß: Ich bin der, der ich bin.<br />

Zum Auftakt erstrahlt ein sanfter Akkord von Bergamotte und ausgesuchten waldig-blumigen Essen-<br />

zen. In der Herznote erklingen aromatische Klänge von Geranium und Jasmin, die sich mit einem<br />

feinwürzigen Bouquet verbinden. <strong>Die</strong> Basisnote besticht durch einen balsamischen Fond aus Vetiver<br />

und Patchouli, vollendet durch warmes Ambra.<br />

Der klare Flacon in kühlem Smaragdgrün ist im typischen Davidoff-Design gehalten. Markant und<br />

dennoch ruhig in der Form, zeugt er von Harmonie und Gelassenheit.<br />

Davidoff-Good Life<br />

Ein unverwechselbarer Duft von ehrlichem, ursprünglichem Charakter. Ein Spiegel der Sehnsüchte<br />

und Wünsche <strong>des</strong> modernen, selbstbewussten Mannes. Er sucht das Gleichgewicht zwischen mate-<br />

riellem Erfolg und tiefgehender Emotionalität und findet seine Harmonie durch innere Zufriedenheit.<br />

Davidoff Good Life verkörpert das, was für ihn am wichtigsten ist: Freude und Glück.<br />

297


Dolce & Gabbana-D & G Homme<br />

Der Duft herber Männlichkeit - Dolce & Gabbana Homme ist ein Duft für den Mann mit starker Persön-<br />

lichkeit und einer attraktiv-dynamischen Ausstrahlung.<br />

Belebende Frische vermittelt bereits die Kopfnote durch Zitrusnoten wie Mandarine und Limonen. In<br />

der Herznote erinnert die beruhigende Frische <strong>des</strong> Lavendels an das Flair <strong>des</strong> französischen Südens.<br />

Herzhaft männlich und doch exotisch präsentiert sich der Fond durch Edelholznoten und einen Hauch<br />

Tabak.<br />

Der klassisch gestaltete Flakon in Blau und Silber hat genau die Form, um sich der Faust eines Man-<br />

nes anzupassen. Als Ausdruck von Kraft und Stärke.<br />

Dolce & Gabbana-By Homme<br />

Der Duft ungezähmter Wildheit - By von Dolce & Gabbana ist ein einzigartiger Herrenduft von unge-<br />

zähmtem Charakter, freiheitsliebend, dem Abenteuer auf der Spur.<br />

In seinem Auftakt präsentiert sich der Duft exotisch-würzig und gleichermassen sinnlich. Ein Herz aus<br />

klaren, transparenten Noten strahlt Frische und Leichtigkeit aus, während sich die Basis durch Leder<br />

und Jacaranda markant-maskulin zeigt.<br />

<strong>Die</strong> grafischen Motive <strong>des</strong> Flakons erinnern an das Fell eines Zebras - als Symbol für Freiheit und<br />

Unbändigkeit.<br />

Dolce & Gabbana-D & G Masculine<br />

Der Duft faszinierender Frische - Dolce & Gabbana Masculine ist ein junger Herrenduft von spritzig-<br />

frischem Charakter. Unkompliziert und natürlich, wie der Mann, der ihn trägt.<br />

Schon die Kopfnote verströmt verspielte Frische durch Zitrusessenzen und Kräuter. In Herznote un-<br />

terstreicht Pfefferminze die natürliche Energie. <strong>Die</strong> Basisnote wird erwärmt durch die weichen und<br />

samtigen Tonalitäten <strong>des</strong> zarten Feigenholzes und moschushaltige Nuancen.<br />

Der transparente Flakon überzeugt durch seiner puristische Form: ein sanft gerundeter Zylinder mit<br />

einem futuristischen Stahlverschluss.<br />

298


Helmut Lang-Helmut Lang Male<br />

I smell you on my skin - Helmut Lang hat einen Herrenduft kreiert, der den kostbarsten Duft der Welt<br />

verkörpert: den Geruch von Haut. <strong>Die</strong>ser einmalige Skin Akkord ist es, der in Verbindung mit Wärme<br />

und der Struktur der menschlichen Haut die vollkommene Entfaltung <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> ermöglicht. Er erin-<br />

nert an den Geruch einer Berührung, an eine intime Aura, an eine zweite Haut. Aromatische Noten<br />

aus Lavendel und Rosmarin wecken Erinnerungen an den Geruch von frischer, sauberer Baumwolle.<br />

Männlich-aromatische Frische überwiegt im Herrenduft. Heliotrop-Noten geben der Komposition eine<br />

transparente Leichtigkeit, die sich aber bald schon in tiefe Sinnlichkeit verwandelt, basierend auf rei-<br />

chen Blumennoten und der Wärme von exklusiven Hölzern.<br />

Jil Sander-Background<br />

Ein Duft wie eine Passion - background - der Duft, der den starken Charakter und den dynamischen<br />

Lebensinstinkt eines Mannes von Welt unterstreicht.<br />

In seinem Auftakt gibt er sich fruchtig-frisch durch italienische Lemone und Bergamott. Raffinierte<br />

Exotik vermittelt die Herznote durch ein gewagtes Bouquet aus Jasmin und Gourmetaromen.<br />

Zimt bietet dabei die Überleitung zu der warmen Basisnote, in der weitere Gourmetnoten mit sinnli-<br />

chem Sandelholz harmonieren.<br />

Der Flacon besticht durch Kontraste: Kreis und Vierecke korrelieren und harmonieren auf eigenstän-<br />

dige Weise. Der transparenten Farbigkeit steht das Tiefschwarz <strong>des</strong> Verschlusses gegenüber - als<br />

Symbol facettenreicher Maskulinität.<br />

Jil Sander-Sander For Man<br />

Der Duft der neuen Individualität - Gelassen und kosmopolitisch, frei und unabhängig. <strong>Die</strong>ses Le-<br />

bensgefühl lässt sich weder über einen gesellschaftlichen Status definieren noch einschränken. San-<br />

der for men Eau de Toilette bringt es mit seiner ungewöhnlichen Kombination aus Frische, Energie<br />

und Sinnlichkeit perfekt zum Ausdruck.<br />

Vitalität, Natur, das Leben pur ist die Kopfnote - kühl mit kristallinen Noten von Efeublättern und Min-<br />

ze. Der Eindruck reiner Frische wirkt nachhaltig bis ins Herz <strong>des</strong> Duftes. Koriander, Kardamom und<br />

Pfeffer verbinden sich hier im präzisen Zusammenspiel. In der üppigen Basisnote vermischen sich<br />

ursprüngliche Hölzer wie Zypresse und Kaschmirholz.<br />

Außergewöhnlich auch der Flakon: Seine asymmetrische Form visualisiert volle Energie und dynami-<br />

sche Bewegung. Der opake, mattschwarze Verschluss steht im Kontrast zum kristallinen, klaren Glanz<br />

<strong>des</strong> Glases.<br />

299


Joop-Homme<br />

Ein aufregender Duft für den geradlinigen und leidenschaftlichen Mann. Ein Duft von blumigen, holzi-<br />

gen und exotischen Nuancen in Harmonie mit herb-warmen Akzenten.<br />

<strong>Die</strong> kühle Frische von Bergamotte vereinigt sich mit dem Feuer der Herz-Kopf-Note aus Zimt, Oran-<br />

genblüten und Jasmin. Der exotische Fond von Sandelholz, Vetyver und Patchouli und ein dezenter<br />

Hauch von Ambra, Tabak, Moschus und Honig verschmelzen harmonisch ineinander.<br />

Der schmal geschnittene und klar gestaltete Flakon unterstreicht die Geradlinigkeit; seine warme und<br />

ungewöhnliche Farbgestaltung die Leidenschaftlichkeit und aufregende Wirkung <strong>des</strong> Duftes.<br />

Joop-Nightflight<br />

Ein Duft, erfüllt vom Zauber der Nacht - Wolfgang Joop kreierte mit Nightflight einen modernen Her-<br />

renduft für Männer, die sich zum eigenen Ich bekennen. Denn dieser charmante Duft verströmt den<br />

Zauber der Nacht und lässt ihre Sinnlichkeit und ihren faszinierenden Glanz erleben.<br />

Verlockend lebendig entfaltet sich der Duft mit fruchtig-feinwürzigen Noten, abgelöst von einen mas-<br />

kulin-blumigen Akkord in der Herznote. Der Ausklang ist mild-pudrig und mündet in einer ausgepräg-<br />

ten Ambranote.<br />

Das dunkle Blau <strong>des</strong> Abendhimmels, auf dem ein Sternenmeer funkelt, prägt den edlen Glasflacon.<br />

Joop-What About Adam<br />

Der Ungewöhnliche - Männlich, sinnlich und doch frisch. What About Adam ist eine außergewöhnliche<br />

Verbindung von fünf Schlüsselakkorden, die gleichzeitig erfrischend und belebend, warm und behag-<br />

lich sind.<br />

Eine würzige Zitrusmischung aus Pampelmuse und Zitronenschale geben zusammen mit grüner Min-<br />

ze eine sprudelnde Erfrischung. <strong>Die</strong> Herznote verleiht mit kräftigem Geraniumblatt einen maskulinen<br />

Akkord. Wärme und Sinnlichkeit kommt durch Eichenmoos und Vetiver im Fond.<br />

Mit seinem starken ergonomischen Design passt der Flakon ausgezeichnet in eine Männerhand.<br />

300


Lagerfeld-Lagerfeld Photo<br />

Selbstbewusstsein und Stärke für den Mann mit Charakter - Lagerfeld Photo - ein Duft, der wie ein<br />

Spiegel die Facetten der Persönlichkeit reflektiert. Einer starken Persönlichkeit, die sich durch Klar-<br />

heit, Stolz und Selbstbewusstsein auszeichnet.<br />

<strong>Die</strong> Kopfnote präsentiert dieses Selbstverständnis durch eine belebende Kombination von Grapefruit<br />

und Mandarine. In der Herznote offenbart sich ein einzigartiges Bouquet würziger Maskulinität, in dem<br />

Noten von Jasmin und Geranium die Hauptrollen spielen. <strong>Die</strong> Basisnote besticht durch Vetiver, Pat-<br />

chouli und Leder und rundet den Duft warm und sinnlich ab.<br />

Das klare Design <strong>des</strong> Flakons, der sich in undurchsichtigem Schwarz präsentiert, symbolisiert die<br />

Maskulinität, die von diesem Duft ausgeht.<br />

Lagerfeld-Lagerfeld<br />

Legendär und innovativ - Lagerfeld - das ist der unverwechselbare Herrenduft, der nicht umsonst den<br />

Namen seines Schöpfers trägt. Reich an markanter Originalität und ausgeprägtem Stil, betont Lager-<br />

feld perfekt das Selbstbewusstsein <strong>des</strong> Mannes, der diesen eleganten Duft für sich wählt.<br />

Im Auftakt frisch und lebendig durch Bergamott und Basilikum, gibt sich die Herznote feurig und ge-<br />

heimnisvoll durch Sandelholz und Patchouli. Der Fond strahlt mit der sinnlichen Wärme von Ambra<br />

und Vanille.<br />

Der Zerstäuber sorgt für eine ideale Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes und präsentiert sich ebenso ele-<br />

gant in der Aufmachung: eine Harmonie geometrischer Formen von klassischer Schönheit.<br />

Lagerfeld-Lagerfeld Jako<br />

Starke Präsenz - Jako ist der charismatische Duft für den modernen Individualisten.<br />

Männlich-herbe Frische verbindet sich mit geheimnisvoller Sinnlichkeit zu einem fruchtig-würzigem<br />

Dufterlebnis voll brillanter Kontraste: Prickelnde Zitrusnoten bereichert durch einen einem Schuß Da-<br />

vana-Essenz in der Kopfnote, verbinden sich in diesem leichten Eau de Toilette mit einem komplexen<br />

Gewürzakkord im Herzen. Sinnliche markante Basisnoten sorgen für einen bleibenden Eindruck.<br />

<strong>Die</strong> strenge, architektonische Form <strong>des</strong> schlichten Glasflakons erhält durch den metallenen, zylinder-<br />

förmigen Verschluss eine avangardistische Prägung.<br />

301


Lagerfeld-KL Homme<br />

Grenzen durchbrechen, Herausforderungen nachgehen - Das leicht orientalische Parfum KL Homme<br />

ist ebenso frisch wie tiefgründig, ebenso maskulin wie elegant.<br />

Afrikanische Apfelsine, Zitrone und Bergamotte geben dem Duft in der Kopfnote frischen Charakter,<br />

florale Noten, Patchouli und Neroliöl prägen die ungewöhnlich reichen Zwischentöne. Seine Vollen-<br />

dung findet KL Homme in einer feinen Mischung von Sandelholz, Moschus und peruvianischem Bal-<br />

sam, die sich zu exotischer Sinnlichkeit vereinen und dem Duft seine tiefgründige, maskuline Note<br />

verleihen. Ein Hauch Vanille zieht sich wie eine warme Melodie durch die Komposition und schenkt ihr<br />

eine unnachahmliche Eleganz.<br />

Exklusiv präsentiert sich KL Homme als 60 ml Eau de Toilette Spray in einem edlen Flakon aus kla-<br />

rem Glas mit einer orientalisch anmutenden, raffinierten Verschlußkappe.<br />

Laura Biagiotti-Roma Uomo<br />

Der einzigartige Herrenduft mit italienischem Flair - Roma Uomo - ein maskuliner Duft mit romanti-<br />

schen-sinnlicher Ausstrahlung. Faszinierend und geheimnisvoll mit einem Hauch von Erotik.<br />

<strong>Die</strong> fruchtige Frische von Tangerine und rosa Grapefruit, gemischt mit edlen Kräutern bilden den Auf-<br />

takt, der von einer blumigen Herznote abgelöst wird. Edle Zeder- und Sandelhölzer schenken ge-<br />

heimnisvolle Tiefe und verschmelzen im Fond mit einem Hauch von Vanille und Ambra.<br />

Der Glasflacon erinnert an antike römische Säulen und schärft die Erwartung auf einen aufregenden<br />

Duft.<br />

Marc O’Polo-Marc O’Polo Man<br />

Der Wohlfühlduft mit Natürlichkeit und würziger Frische - Marc O´Polo Man ist voller Dynamik. Eine<br />

Einladung in eine neue Dimension <strong>des</strong> bewussten Fühlens und Erlebens.<br />

Eine anregende Brise, frisch, natürlich und holzig-würzig. Intensiv öffnet sich der Duft mit einem Ap-<br />

felakkord. Pikant kontrastieren Bergamotte, Kardamom und roter Pfeffer die frisch-würzige Note. Im<br />

Herzen bilden wilde Kräuter und erlesene Gewürze wie Minze, Rosmarin, Lavendel und Muskat ein<br />

Duftbouquet aus aromatischer Energie. Im Ausklang werden warme tropische Edelhölzer wie Teak<br />

und Guajak mit der kraftvoll-herben Holznote <strong>des</strong> Grapefruitbaums in einen raffinierten Spannungsbo-<br />

gen gesetzt.<br />

Der Flakon präsentiert sich puristisch-elegant und zieht den Blick auf eine strahlend-klare Lupe. Marc<br />

O´Polo Man ist ein Duft, so temperamentvoll, facettenreich und inspirierend lebendig wie sein Träger.<br />

302


MEXX-Man<br />

Mexx Man: markant, spontan, lebendig - Ein Duft für zielstrebige, optimistische Männer.<br />

Seine würzig-frische Kopfnote überzeugt durch die Kombination von Ananas und Mandarine mit Basi-<br />

likum und Salbei. In der Herznote dominieren die lebendige, grüne Frische von Tanne und Farn, abge-<br />

rundet durch Geranie und Jasmin. <strong>Die</strong> ungewöhnlich maskuline Note entfaltet sich durch eine kon-<br />

trastreiche Verbindung von Sandelholz, Zeder, Eichenmoos und Leder.<br />

Präsentiert wird der Duft in einem Accessoire, daß perfekt zur Lebensart von Mexx-Menschen passt:<br />

Impulsive, gradlinige, männlich-kantige Formen prägen den glasklaren Zerstäuber, <strong>des</strong>sen raffinierte<br />

Seite sich nur ertasten läßt: <strong>Die</strong> vier markanten Buchstaben Mexx.<br />

MEXX-Man Perspective<br />

Sprühend-lebendig und auffallend maskulin - Look twice! Mexx Perspective Man. Ein dynamischer<br />

Duft für Männer, die Spaß an neuen Perspektiven haben.<br />

Seine aromatische Frische, hervorgerufen durch Zitrusfrüchte und Bergamotte, mündet in der Herzno-<br />

te in die würzig-kühlen Akzente von Wasserlilien, Pfeffer und Salbei. Der maskuline Fond wird geprägt<br />

von wertvollen Hölzern sowie sinnlichen Amber- und Moschusnoten.<br />

Duft, Flakon und Verpackung spiegeln das junge, unkonventionelle Lebensgefühl der Komposition<br />

wider: Metallisch schimmern<strong>des</strong> Blau in Kombination mit leuchtendem Grün und ein Flakon aus ge-<br />

frostetem Glas, der nur durch einen klaren Halbkreis den Blick in das Innere preisgibt. Look twice -<br />

denn wer zweimal hinsieht, entdeckt Neues!<br />

Nikos <strong>Parfums</strong>-Sculpture Homme<br />

Eine Vision mit antiken Wurzeln als kostbares Eau de Toilette - Nikos Sculpture Homme ist eine mo-<br />

derne Duftformel für den klassischen Mann. Sein ausdrucksvoll männlicher Charakter macht ihn un-<br />

verwechselbar und vermittelt die perfekte Harmonie von Körper und Seele.<br />

In der Kopfnote versprühen Orangenblüten strahlende Frische. <strong>Die</strong> warme-maskuline Herznote, in der<br />

ein voller Zedernholz-Akkord dominiert, verschmilzt im Fond durch kulinarische Vanille und Tonka zu<br />

einer sinnlich- markanten Komposition.<br />

Der kristallklare Flacon erinnert an vom Meer geschliffene Steine, wie man sie an den Küsten Grie-<br />

chenlands findet.<br />

303


Rochas-Eau De Rochas Homme<br />

<strong>Die</strong> männlich- frische Duftkomposition als Eau de Toilette Spray - Der Duft für den Mann, der Ur-<br />

sprünglichkeit und Zeitgeist in sich vereint. Der die Natur liebt und das Original schätzt.<br />

Das leichte Eau de Toilette Spray fängt die Frische der Natur in unverwechselbarer Art und Weise ein<br />

- ehrlich, ungekünstelt, echt. Eine Komposition hochwertiger, südländischer Früchte und Kräuter ver-<br />

mittelt die Frische, nach der er sich sehnt - inspiriert von dem, was die Natur bietet.<br />

<strong>Die</strong> Struktur <strong>des</strong> hochwertigen Flacons aus Glas erinnert an natürlich-harmonische Formen und unter-<br />

streicht den Charakter <strong>des</strong> Dufts.<br />

Rochas-Rochas Man<br />

Der Herrenduft mit dem erotischen Flair - Rochas Man ist ein Ausdruck von Lebens- und Liebeskunst.<br />

Kraftvoll und maskulin in seinem Stil inspiriert er Männer, die ihren Instinkten folgen.<br />

Seine männliche Ausstrahlung ist wie Feuer und Eis zugleich, eine Mixtur mit kühnem Rezept: Laven-<br />

del und reife Früchte der Kopfnote werden im Herzen von einem Hauch von Zeder und Jasmin abge-<br />

löst. Schließlich mündet die Komposition im Fond in einer tiefgründigen Ambranote, Mokka- Akzenten<br />

und einem Hauch pudriger Vanille. Sinnliches Sandelholz und Patchouli runden das Dufterlebnis ab.<br />

Das Design <strong>des</strong> Flacons erinnert an ein zeitgenössisches Kunstwerk und beflügelt die Erwartung auf<br />

einen aufregenden Duft.<br />

Rochas-Aquaman<br />

Ein Duft mit der Kraft <strong>des</strong> Wassers - Aquaman von Rochas weckt einzigartige Emotionen und setzt<br />

ungeahnte Empfindungen frei. Wasser, das Element der Perfektion und Ursprung allen Lebens, eröff-<br />

net neue Horizonte der Freiheit.<br />

<strong>Die</strong> Kraft und Frische, Transparenz und Tiefe <strong>des</strong> Wassers vereinen sich in diesem Parfum, verfeinert<br />

durch einen Hauch edler Hölzer und Gewürze. In der Kopfnote dominiert ein pulsierender, strahlender<br />

Duftakkord aus spritziger Pampelmuse, energiegeladenen Korianderkörnern, prägnantem Kardamom<br />

und frischen Harzen. <strong>Die</strong> Herznote entwickelt ihren kontrastreichen Charakter aus dem Zusammen-<br />

spiel von zart nach Anis duftendem Muskatellersalbei und intensiven Geraniumblättern. Wie eine Lieb-<br />

kosung entfaltet das Parfum schließlich seine Grundnoten, in denen die alles umhüllende Tiefe von<br />

Sandelholz auf die Exotik von Amberholz trifft.<br />

Das klare, schlanke Design <strong>des</strong> Flakons, seine Kombination aus Glas, Chrom und tiefblauer Flüssig-<br />

keit schaffen einen Eindruck von Eleganz, Modernität und High-Tech-Luxus.<br />

304


Valentino-Very Valentino Homme<br />

Eleganz ohne Grenzen - Zuversichtlich provokativ, zeitlos sinnlich - so unterstreicht Valentinos jüngs-<br />

ter Herrenduft die verführerischen Kräfte eines Mannes, der mit sich im Einklang ist.<br />

Der erste Eindruck ist frisch und vibrierend. Er wird bestimmt durch betont würzige Essenzen. <strong>Die</strong><br />

Herznote schlägt stark und kräftig durch Tabak aus Virginia und Kräuter aus südlichen Gefilden. Den<br />

Abschluß bilden warme Holznuancen, Ambra und Moschus. Der Flakon <strong>des</strong> Eau de Toilettes kenn-<br />

zeichnet den eleganten Auftritt kultivierter Männlichkeit.<br />

Eine solide, starke, rechteckige Form als zeitgemäßes Design für Balance und Harmonie. Feinste<br />

Arbeit in rauchgrauem Glas mit gebürsteten Silberdetails und einer auffälligen silbernen Manschette.<br />

Versace-Versace L'homme<br />

Der Duft für starke Männerpersönlichkeiten - <strong>Die</strong>sen Duft hat Versace für den weltoffenen, selbstsi-<br />

cheren Mann geschaffen, der seinen Stil gefunden hat. <strong>Die</strong> männlich markante Duftbotschaft signali-<br />

siert einen luxuriösen Lebensstil, der beruflichen Erfolg mit den kultivierten Seiten <strong>des</strong> Lebens harmo-<br />

nisch und charaktervoll verknüpft.<br />

In der frischen Kopfnote erstrahlen Kalifornische Zitrone, Bergamotte und Pampelmuse. Das Herz ist<br />

fruchtig-floral mit Jasmin, Lavendel und Ylang-Ylang. Männlich-würzig ist der Fond mit Eichenmo-<br />

schus, Patchouly und Amber.<br />

Versace-Versace The Dreamer<br />

Ein Duft <strong>des</strong> Himmels und der Luft - Der Versace Duft The Dreamer ruft vielfältige Assoziationen<br />

wach: von einem sternenklaren Nachthimmel oder einer flimmernden Wüste. Träume wandeln sich<br />

und so wandelt sich auch der Duft. The Dreamer ist ein männlicher Duft, aber auch Frauen werden ihn<br />

lieben.<br />

<strong>Die</strong> Duftnote ist eine glückliche Verbindung von anfänglich frischer Leichtigkeit und bleibender warmer<br />

Sinnlichkeit. In der Kopfnote verlocken wilde, aromatisch-frische Pflanzen wie Hollunder und Estragon.<br />

Im Herzen fasziniert ein maskuliner Einklang von Flachsbüten, Bernsteinlilie und Iriswurzel. Der Fond<br />

verströmt eine gefühlvolle Wärme durch Tabakblüten und Ambra.<br />

Auch die Verpackung ist himmlisch: Der Sternenhimmel auf der Packung öffnet sich für einen wertvol-<br />

len Glasflakon, die man beim ersten Anblick sofort berühren möchte.<br />

305


Danksagung<br />

Mein Dank gilt<br />

Thomas Schultke, Corinna Wallschlag, Katrin Kurz, Christian Warrlich, Wolfgang<br />

Wildgen, Hans Peter Krings, Nick Enfield (MPI Nijmegen);<br />

den Studierenden, die an der Archileser-Umfrage teilgenommen haben, darunter:<br />

Cordula Frische, Evelyn Laue, Deike Spies, Dorothea Steinmetz, Philip Schoßau,<br />

Lars Schäfer, Johannes Strate, Svenja Nierentz, Salah Zakhama, Celia Enders, An-<br />

ne Siekmeyer, Yvo Warmers;<br />

Werner Hariegel (Fragrance Foundation Deutschland);<br />

dem Eiscafé Cercena sowie<br />

Magpie, The Raven and The Heron.<br />

306

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