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Kann man Parfumdüfte sprachlich angemessen beschreiben?<br />
<strong>Die</strong>s ist die zentrale Frage, die der Germanist und<br />
Semiotiker Peter Holz anhand einer empirischen Analyse<br />
von Werbetexten zu <strong>Parfums</strong> untersucht. Er kommt unter<br />
anderem zu dem Schluss, dass die <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong><br />
notgedrungen auf kreative poetische Mittel, insbesondere<br />
auf das Phänomen der sprachlichen Synästhesie, zurückgreifen<br />
muss, da ein konventionelles Vokabular <strong>des</strong><br />
Geruchs nicht existiert.<br />
Peter Holz<br />
studierte Germanistik, Philosophie, Kulturwissenschaft,<br />
Semiotik und Linguistik an<br />
den Universitäten Bremen, Osnabrück/<br />
Vechta, Leeds (England) und Århus<br />
(Dänemark).<br />
Zur Zeit arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im<br />
Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften an der<br />
Universität Bremen.<br />
ISBN 3-8300-1828-2<br />
Holz <strong>Die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong><br />
Peter Holz<br />
<strong>Die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong><br />
Eine empirische Untersuchung<br />
zur Grammatik, Metaphorik und Poetizität<br />
<strong>des</strong> Parfumwerbetextes<br />
Verlag Dr. Kovač
Inhaltsverzeichnis<br />
Einleitung 5<br />
1. Theorie: Begriffliche Grundlagen 17<br />
1.1. Zum Begriff der Poetizität aus linguistischer Perspektive 17<br />
1.1.1. Das funktionale Sprachmodell Roman Jakobsons 18<br />
1.1.1.1. Referentielle Funktion – Kontext 19<br />
1.1.1.2. Emotive Funktion – Sender 20<br />
1.1.1.3. Konative Funktion – Empfänger 21<br />
1.1.1.4. Phatische Funktion – Kontakt 22<br />
1.1.1.5. Metasprachliche Funktion – Kode 23<br />
1.1.1.6. Poetische Funktion – Nachricht 25<br />
1.1.1.7. Sprachfunktionen und Poetizität 28<br />
1.1.2. Poetizität als Selbstreferenz <strong>des</strong> sprachlichen Zeichens 30<br />
1.1.3. Poetizität als Deautomatisierung <strong>des</strong> Leseprozesses 33<br />
1.2. Poetisch relevante Textmerkmale 36<br />
1.2.1. Iteration auf der phonischen Ebene 37<br />
1.2.2. Iteration auf der lexikalischen Ebene 39<br />
1.2.3. Inkongruenz auf der morphologischen Ebene 42<br />
1.2.4. Inkongruenz auf der lexikalischen Ebene 44<br />
1.3. Synästhesie – Neuropsychologie vs. <strong>Sprache</strong> 45<br />
1.3.1. Synästhesie unter der Perspektive der Neuropsychologie 46<br />
1.3.1.1. Limbisches System und Neocortex 53<br />
1.3.1.2. Limbisches System und Emotion 53<br />
1.3.1.3. Limbisches System und Olfaktorik 56<br />
1.3.1.4. Neocortex und <strong>Sprache</strong> 57<br />
1.3.2. Synästhesie unter der Perspektive der Semiotik und Linguistik 60<br />
1.3.2.1. Metaphorische Synästhesie 61<br />
1.3.2.2. Sprachliche Synästhesie als Inkongruenzphänomen 64<br />
5
1.4. Semiotische Grundbegriffe 68<br />
1.4.1. Repräsentamen, Objekt, Interpretant 68<br />
1.4.2. Symbol, Index, Ikon 69<br />
1.4.3. Fokus: Ikonizität 73<br />
1.5. Das Problem der Kategorisierung olfaktorischer Wahrnehmung 78<br />
1.5.1. Das Problem der Versprachlichung von Geruchswahrnehmungen 82<br />
1.5.2. Versuche zur sprachlichen Klassifikation von Gerüchen 95<br />
1.5.3. Semiosemodi bei der Beschreibung von Geruchsqualitäten 103<br />
1.5.3.1. Ikonisch motivierte Prädikation 104<br />
1.5.3.2. Indexikalisch motivierte Prädikation 105<br />
1.5.3.3. Grenzfall – ikonische oder indexikalische Motivation 106<br />
1.5.3.4. Spezialfall – synästhetisch motivierte Adjektive 107<br />
2. Methode: Auf dem Weg zur <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> 109<br />
2.1. Sprachkode vs. <strong>Parfums</strong>til 110<br />
2.2. Das Prinzip Archileser – poetische Funktion vs. stilistische Funktion 113<br />
2.3. Das Aufspüren stilistischer Stimuli durch den Archileser 114<br />
2.4. Was ist eine strukturelle Besonderheit? – Riffaterres Kontext-Begriff 118<br />
2.4.1. Makrokontext, Mikrokontext, stilistisches Verfahren 122<br />
2.4.1.1. Varianten <strong>des</strong> Makrokontextes: Typ-1 123<br />
2.4.1.2. Varianten <strong>des</strong> Makrokontextes: Typ-2 124<br />
2.4.1.3. Varianten <strong>des</strong> Mikrokontextes: Typ-1 125<br />
2.4.1.4. Varianten <strong>des</strong> Mikrokontextes: Typ-2 130<br />
3. Empirie: Auswertung der Daten <strong>des</strong> Archilesers 133<br />
3.1. Operationalisierung <strong>des</strong> Archilesers 133<br />
3.1.1. Quantitative Aufbereitung der Archileser-Markierungen 135<br />
3.1.2. Qualitative Aufbereitung der Archileser-Markierungen 140<br />
3.2. Fokussierungen 143<br />
3.2.1. Fokus: Fachvokabular Parfum 145<br />
3.2.2. Fokus: Prädikationen/Attribuierungen 146<br />
3.2.3. Fokus: Verben 148<br />
6
3.3. Extrapolationen gegen das Gesamtkorpus 149<br />
3.4. Stichprobenanalyse 1: Fachvokabular Parfum 150<br />
3.5. Extrapolation <strong>des</strong> Fachvokabulars Parfum 161<br />
3.5.1. Synonyme der Fachbegriffe Akkord, Fond, Herznote im Gesamtkorpus 162<br />
3.5.2. Fachvokabeln als synästhetisch motivierte Neologismen 164<br />
3.5.3. Fachvokabeln und ihre kommunikative Funktion 174<br />
3.5.4. Fachvokabeln und ihre poetische Relevanz 175<br />
3.6. Stichprobenanalyse 2: Attribuierungen 178<br />
3.7. Extrapolation der Attribuierungen 203<br />
3.7.1. Attribuierungen und ihre kommunikative Funktion 214<br />
3.7.2. Attribuierungen und ihre poetische Relevanz 216<br />
3.8. Stichprobenanalyse 3: Verben 221<br />
3.9. Extrapolation der Verben 234<br />
3.9.1. Synästhetischer Gebrauch der Verben 243<br />
3.9.2. Prozessual-dynamische Verben 244<br />
3.9.3. Ikonizität als Motivation der prozessual-dynamischen Verben 249<br />
3.9.4. Verben und ihre kommunikative Funktion 251<br />
3.9.5. Verben und ihre poetische Relevanz 253<br />
4. Schlussbetrachtung 257<br />
4.1. Was <strong>Sprache</strong> kann und was nicht 257<br />
4.2. <strong>Die</strong> Überschätzung der referentiellen Sprachfunktion 260<br />
4.3. <strong>Die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> 263<br />
4.4. Jenseits <strong>des</strong> Duftes – Kreativität statt Informativität 269<br />
Anhang 275<br />
7
Einleitung<br />
Problemskizze, Zielsetzung, Hypothese<br />
Stellen Sie sich vor, jemand zeigt auf die Buchstaben, die Sie gerade le-<br />
sen und fordert Sie auf, die Farbe der Buchstaben mit einem Wort zu<br />
beschreiben. Sie würden wahrscheinlich ohne zu zögern mit schwarz<br />
antworten und jeder Andere würde zu der gleichen Antwort kommen.<br />
Stellen Sie sich nun vor, jemand hält Ihnen ein Fläschchen mit einer duf-<br />
tenden Flüssigkeit, die Sie nicht kennen, unter die Nase und fordert Sie<br />
auf, den Geruch mit einem Wort zu beschreiben. Hierbei wird es Ihnen<br />
schwer fallen, ein treffen<strong>des</strong> Wort zu finden. Vielleicht sagen Sie süß o-<br />
der süßlich. Andere, die man zum gleichen Geruch befragt, antworten<br />
aber vielleicht mit blumig, exotisch, fruchtig, bananig, aufdringlich oder<br />
erotisch…<br />
Mit diesen fiktiven Situationen lässt sich sehr gut die allgemeine Prob-<br />
lemstellung dieser Arbeit deutlich machen. Es geht um den Konflikt zwi-<br />
schen der individuellen Wahrnehmung von Gerüchen und deren sprach-<br />
licher Beschreibung. Während es im Bereich der visuellen Wahrneh-<br />
mung von Farben innerhalb einer Sprachgemeinschaft konventionell e-<br />
tablierte Wörter gibt (blau, gelb, rot etc.), mit denen man über farbliche<br />
Eigenschaften sprechen kann, trifft Analoges für den Bereich <strong>des</strong> Rie-<br />
chens nicht zu. Es gibt kein etabliertes konventionalisiertes Vokabular für<br />
die Bezeichnung von Geruchskategorien. <strong>Die</strong> Beschreibung von Gerü-<br />
chen ist eine hochgradig subjektive Angelegenheit, bei der die <strong>Sprache</strong><br />
als verbinden<strong>des</strong> Kommunikationsmedium an eine Grenze stößt.<br />
Aus dieser allgemeinen Problemstellung heraus leitet sich die Zielset-<br />
zung dieser Arbeit ab, wobei mehrere Anliegen verfolgt werden. Der An-<br />
fangsverdacht, den die obigen Gedankenspiele illustrieren und unter<br />
dem diese Arbeit entstand, ist der Zweifel daran, ob man Gerüche über-<br />
haupt angemessen sprachlich beschreiben kann. Anders formuliert, ob<br />
man bei der sprachlichen Beschreibung von Gerüchen überhaupt zu ei-<br />
ner kommunikativen Schnittmenge zwischen individueller Wahrnehmung<br />
9
und sozialer Kommunikation kommen kann. <strong>Die</strong>ser Zweifel wurde jedoch<br />
relativiert von der allgemein zugänglichen Beobachtung, dass man sehr<br />
wohl über Gerüche spricht und sie durchaus auch beschreiben kann. In<br />
der Regel geht es dabei aber um Geruchsbezeichnungen, die sich auf<br />
allgemein bekannte Substanzen beziehen. Sätze wie<br />
Das riecht wie Pfefferminze;<br />
Es riecht nach Kaffee<br />
können als typisch gelten. Wirklich interessant aber wird die Sache erst,<br />
wenn es um Gerüche geht, die nicht auf eine aus dem Alltag bekannte<br />
Substanz zurückzuführen sind, beispielsweise künstlich erzeugte hoch-<br />
komplexe Geruchsgemische wie <strong>Parfums</strong>.<br />
Wenn in der Parfumbranche die Geruchsqualitäten von <strong>Parfums</strong> be-<br />
schrieben werden, geschieht dies nicht in alltäglicher, sondern in recht<br />
ungewöhnlicher Weise. Dass ein Parfumduft beispielsweise beschrieben<br />
wird mit „Jasmin, Ylang-Ylang und Gewürznelken verleihen ihm in der<br />
Herznote ungeheure Dynamik“ (Bogner-Man Classic) kann wohl kaum<br />
als gewöhnlich bezeichnet werden.<br />
<strong>Die</strong> skizzierte Ambivalenz zwischen Geruchswahrnehmung und deren<br />
sprachlicher Repräsentation kann man etwas lapidar formuliert folgen-<br />
dermaßen auf den Punkt bringen: Eigentlich kann man viele künstlich<br />
erzeugte Gerüche sprachlich nicht direkt und präzise beschreiben, aber<br />
irgendwie wird es indirekt doch versucht.<br />
In diesem Spannungsfeld entstand die Hypothese, dass bei der<br />
Versprachlichung von Parfumdüften unkonventionelle sprachliche Stra-<br />
tegien zur Anwendung kommen, die das kreative, poetische Potenzial<br />
von <strong>Sprache</strong> herausfordern (= Poetizitäts-Hypothese).<br />
Typische Strukturen der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> herauszuarbeiten, die<br />
sich von konventionellem Sprachgebrauch abheben und ihr Zustande-<br />
kommen zu erklären, ist somit das zentrale Anliegen dieser Dissertation.<br />
Dabei gehe ich davon aus, dass die unterstellten unkonventionellen<br />
Strukturen mit dem Begriff der Poetizität aus linguistischer Perspektive<br />
und der poetischen Funktion der <strong>Sprache</strong> beschrieben werden können.<br />
10
Des Weiteren ist es nicht zufällig so, dass Geruchswahrnehmung und<br />
<strong>Sprache</strong> miteinander konfligieren. <strong>Die</strong>ser Konflikt ist ein notwendiger und<br />
hat Gründe, die aus der Funktionsweise <strong>des</strong> menschlichen Gehirns her-<br />
aus erklärt werden können. <strong>Die</strong> postulierte Notwendigkeit poetischer<br />
Sprachmittel in der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Geruchs/<strong>Parfums</strong> hängt zusammen mit<br />
dem problematischen neurophysiologischen Verhältnis zwischen Ge-<br />
ruchs- und Sprachverarbeitung im Gehirn. Es ist erwiesen, dass diejeni-<br />
gen Hirnareale, in denen olfaktorische Reize verarbeitet werden, mit<br />
denjenigen neural nur spärlich vernetzt sind, in denen Sprachprozesse<br />
organisiert werden.<br />
Zum Gegenstand der empirische Analysen<br />
Im speziellen Fokus <strong>des</strong> empirischen Teils der Untersuchung steht die<br />
Beschreibung von Parfumdüften in Produktbeschreibungen der Parfum-<br />
werbung.<br />
Häufig verzichten Parfumwerbungen zwar auf textliche Elemente. Sie<br />
transportieren ihre Botschaft hauptsächlich über suggestive Bilder. Da-<br />
her ist es recht schwierig, aussagefähiges Textmaterial über <strong>Parfums</strong><br />
zusammenzutragen. Aber wenn in Parfumwerbungen der Duft sprachlich<br />
beschrieben wird, lassen sich hochgradig interessante und außerge-<br />
wöhnliche Sprachkonstruktionen beobachten, die einem strukturellen<br />
Muster folgen, das für das Sprechen über Düfte typisch ist und mit lingu-<br />
istischen Mitteln herausgearbeitet werden kann.<br />
Ich konzentriere mich im empirischen Teil auf Produktbeschreibungen zu<br />
Männerparfums, die als Werbetexte auf der Internet-Seite <strong>des</strong> Parfum-<br />
vertreibers Douglas veröffentlicht sind und von diversen Parfumherstel-<br />
lern stammen (vgl. www.douglasbeauty.com). Dort findet man zahlreiche<br />
Texte, in denen unter anderem in ungewöhnlich konzentrierter Weise<br />
versucht wird, die Geruchsqualitäten <strong>des</strong> jeweiligen <strong>Parfums</strong> zu be-<br />
schreiben. Ich habe aus dieser Quelle per Zufallsstichprobe ein Korpus<br />
11
aus 48 Produktbeschreibungen erstellt. <strong>Die</strong>ses bildet die Grundlage der<br />
empirischen Analysen.<br />
<strong>Die</strong> Parfumtexte markieren den Grenzbereich zwischen professionellen<br />
Parfumherstellern und Konsumenten. Im Bereich der Hersteller nämlich<br />
gibt es in der Tat einen standardisierten elaborierten Kode, mit dem sich<br />
‚Eingeweihte’ über spezielle Duftsubstanzen und Herstellungsprozesse<br />
verständigen. <strong>Die</strong>ser Kode ist aber für eine alltagssprachliche Kommuni-<br />
kation über Parfumdüfte nicht geeignet, da er zum Teil hochgradig esote-<br />
rischen Charakter hat. <strong>Die</strong> untersuchten Texte hingegen, die sich explizit<br />
an den Endverbraucher richten, nehmen eine kommunikative Zwischen-<br />
position ein, in der sie zwischen der Fachsprache der Profis und dem<br />
konventionellen Sprachverständnis der Laien vermitteln müssen. Teil-<br />
weise bedienen sie sich <strong>des</strong> Fachvokabulars der Parfumeure, teilweise<br />
aber auch normalsprachlicher Mittel. Dabei kommt es naturgemäß immer<br />
wieder zu kommunikativen Reibungsverlusten, die manchmal besser,<br />
manchmal schlechter kompensiert werden. Eine begründete Stellung-<br />
nahme zum Gelingen oder Nichtgelingen dieser Kommunikation ist ein<br />
weiteres Teilergebnis, das diese Arbeit liefert.<br />
Das wesentliche Anliegen der Analysen <strong>des</strong> Empirieteils besteht jedoch<br />
in der empirischen Überprüfung der Poetizitäts-Hypothese. Das heißt es<br />
soll untersucht werden, ob sich diese Hypothese durch die großflächige<br />
Analyse <strong>des</strong> Korpus stützen lässt oder nicht. Ob sich also sprachliche<br />
Eigentümlichkeiten nachweisen lassen, die als poetisch relevant und als<br />
konstitutiv für die Textsorte Produktbeschreibung für <strong>Parfums</strong> gelten kön-<br />
nen.<br />
Es muss eingeräumt werden, dass die von mir durchgeführten Analysen<br />
der Parfumtexte nicht verallgemeinerbar sind für die <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Ge-<br />
ruchs insgesamt. Es kann auch nicht erwartet werden, dass sich aus den<br />
Analyseergebnissen letztgültige Aussagen über die gesamte Bandbreite<br />
<strong>des</strong> Sprachgebrauchs in Parfumwerbungen ableiten lassen. Ich habe<br />
mich absichtlich beschränkt auf ein fest umrissenes, aber dafür über-<br />
schaubares Spektrum hochspezifischer Texte, in denen das Kommuni-<br />
zieren über Gerüche gewissermaßen unter Laborbedingungen beobach-<br />
12
tet werden kann. Obwohl diese Entscheidung sicherlich die Erkenntnis-<br />
breite der Arbeit schmälert, hat sie den Vorteil, dass eine mikroskopische<br />
Tiefe erreicht werden kann, die zu hochinteressanten und fundierten Er-<br />
gebnissen über den untersuchten Teilbereich <strong>des</strong> Parfumdiskurses führt.<br />
Zur Methode<br />
Da der Anfangsverdacht, der zur Poetizitäts-Hypothese führte, meiner<br />
Intuition entstammt, habe ich für die empirische Untersuchung ein me-<br />
thodisches Verfahren gewählt, das zu dieser Intuition ein objektivieren-<br />
<strong>des</strong> Gegengewicht bildet. Meine Wahl fiel auf das aus der strukturalen<br />
Stilistik stammende Prinzip Archileser, einer speziellen Art der Datener-<br />
hebung, die auf einer Leserbefragung basiert. Bei diesem rezeptionsori-<br />
entierten Verfahren, das im Methodenteil ausführlich dargestellt wird,<br />
werden einer Lesergruppe Texte vorgelegt, die nach gewissen Vorgaben<br />
zu markieren und zu kommentieren sind. <strong>Die</strong>se für die Zwecke der vor-<br />
liegenden Untersuchung modifizierte Methode eignet sich dazu, unab-<br />
hängig von meiner Entscheidung aus einer Stichprobe (drei der 48 Tex-<br />
te) diejenigen Textsegmente zu isolieren, die versuchsweise als poetisch<br />
relevant betrachtet werden können. <strong>Die</strong> befragten Leser entscheiden al-<br />
so, an welchen Textsegmenten die <strong>des</strong>kriptive Analyse ansetzt, um die<br />
Poetizitäts-Hypothese zu testen.<br />
Inhaltlicher Überblick<br />
<strong>Die</strong> Arbeit gliedert sich inhaltlich in vier Teile mit den Überschriften Theo-<br />
rie, Methode, Empirie, Schlussbetrachtung.<br />
Im Theorieteil wird die bereits erwähnte Haupthypothese der Arbeit, die<br />
so genannte Poetizitäts-Hypothese, eingeführt und argumentativ unter-<br />
mauert. Zunächst werden die Begriffe poetische Funktion der <strong>Sprache</strong><br />
13
(Roman Jakobson) und Poetizität aus der Perspektive der Linguistik re-<br />
konstruiert und diskutiert.<br />
Dann folgt ein kognitionswissenschaftlicher Abschnitt über die neurophy-<br />
siologische Organisation der Geruchswahrnehmung sowie deren Zu-<br />
sammenhang mit der Sprachverarbeitung. Hierbei stehen funktionale<br />
Konflikte zwischen der linken Hemisphäre der Großhirnrinde (= Sprach-<br />
verarbeitung) und dem limbischen System (= Verarbeitung von Geruchs-<br />
reizen und Emotionen) im Vordergrund.<br />
Dem Phänomen der Synästhesie wird besonders Rechnung getragen.<br />
Dabei gilt es, zwei verschiedene Gebrauchsweisen dieses Begriffes zu<br />
unterscheiden. Zum Einen bezeichnet der Ausdruck Synästhesie eine<br />
perzeptorische Eigentümlichkeit, bei der Wahrnehmungen verschiedener<br />
Sinnesorgane sich ‚vermischen’. Zum Anderen meint der Begriff einen<br />
ästhetischen Zeichenprozess, bei dem diese ‚Vermischung’ semiotisch<br />
inszeniert wird.<br />
Danach werden zentrale semiotische Fachbegriffe eingeführt, die für die<br />
späteren Beschreibungen als Werkzeuge gebraucht werden. Es sind die<br />
Begriffe Zeichenträger, Objekt, Interpretant, Index, Ikon, Symbol. Dem<br />
semiotischen Phänomen der Ikonizität ist ein eigener Abschnitt gewid-<br />
met.<br />
Schließlich wird das Problem der Versprachlichung von Geruchswahr-<br />
nehmungen aus der Perspektive der Prototypentheorie und der kogniti-<br />
ven Linguistik skizziert. In diesem Zusammenhang werden mehrere<br />
Klassifikationssysteme für Gerüche in Synopse referiert, wodurch trans-<br />
parent gemacht wird, dass weder kognitive Kategorisierungsversuche<br />
der Geruchswahrnehmung noch deren Versprachlichung zu zufrieden<br />
stellenden Ergebnissen führen.<br />
Im Methodenkapitel wird in sehr stringenter Form das bereits erwähnte<br />
Verfahren <strong>des</strong> Archilesers rekonstruiert und <strong>des</strong>sen Modifikation für die<br />
Zwecke dieser Arbeit dargelegt.<br />
Im Empiriekapitel werden die Daten der Archileser-Umfrage ausgewer-<br />
tet. Bei der detaillierten Beschreibung der Lesermarkierungen und Le-<br />
14
serkommentare stellte sich heraus, dass vor allem drei Phänomene auf-<br />
fallend häufig thematisiert wurden:<br />
Fachvokabeln der Parfumindustrie,<br />
Eigenschaftszuschreibungen (so genannte Attribuierungen),<br />
Verben.<br />
<strong>Die</strong> von den Lesern gelieferten Stichprobendaten werden zunächst aus-<br />
führlich gemäß den theoretischen Vorgaben mit linguistischen Fachbeg-<br />
riffen beschrieben. Dabei sind folgende Beschreibungsbegriffe und Prob-<br />
lempunkte von besonderer Bedeutung:<br />
Neologismen, Ad-hoc-Bildungen, semantische Inkongruenzen in Nomi-<br />
nalgruppen und in Prädikat-Subjekt-Relationen sowie ikonische Qualitä-<br />
ten der verwendeten Verben.<br />
In einem weiteren Schritt werden dann die Stichprobenergebnisse als<br />
Sprungbrett genutzt, um das Gesamtkorpus nach den herausgearbeite-<br />
ten Textstrukturen zu durchsuchen. Erst diese Extrapolation führt zu<br />
stichhaltigen Aussagen über die Verifizierung oder Falsifizierung der<br />
Poetizitäts-Hypothese.<br />
Mit der feuilletonistisch konzipierten Abschlussbetrachtung werden meh-<br />
rere Ziele verfolgt.<br />
Zum Einen werden noch einmal kurz die Ergebnisse der empirischen<br />
Analysen der Parfumtexte thematisiert. <strong>Die</strong> Arbeitsergebnisse werden in<br />
einen verallgemeinernden sprachtheoretischen Zusammenhang gestellt,<br />
der den Bereich der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> beziehungsweise der <strong>Sprache</strong><br />
<strong>des</strong> Geruchs überschreitet. Dabei wird immer wieder Bezug genommen<br />
auf ausgewählte Aphorismen aus Ludwig Wittgensteins Philosophischen<br />
Untersuchungen (Wittgenstein 2 1980). <strong>Die</strong>se stellen eine assoziative<br />
Verbindung her zu allgemeineren kommunikativen Problemsituationen,<br />
die denen <strong>des</strong> Parfumdiskurses analog sind.<br />
Abschließend wird die <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>, wie sie in den analysierten<br />
Parfumtexten praktiziert wird, einer elementaren Kritik unterzogen.<br />
Grundlage hierfür ist der argumentativ untermauerte Standpunkt der<br />
prinzipiellen Überschätzung der referentiellen Sprachfunktion sowie<br />
demgegenüber die prinzipielle Unterschätzung der Notwendigkeit poeti-<br />
15
scher Sprachmittel im Parfumdiskurs sowie in anderen Bereichen der<br />
sozialen Kommunikation.<br />
16
„Nicht eigentlich die Poesie, sondern allgemeiner die Poetizität und die Pro-<br />
zesse der (...) Semiose <strong>des</strong> Poetischen sind (...) der Untersuchungsgegen-<br />
stand der Semiotik <strong>des</strong> Poetischen“ (Nöth 2 2000: 449).<br />
1. THEORIE: BEGRIFFLICHE GRUNDLAGEN<br />
Im Theorieteil der Arbeit werden elementare Fachbegriffe eingeführt und<br />
diskutiert, die für die spätere empirische Analyse relevant sind. <strong>Die</strong>se<br />
Begriffe betreffen mehrere Wissenschaftsbereiche, nämlich die linguisti-<br />
sche Poetizitätsforschung, die Kognitionswissenschaft (Neuropsycholo-<br />
gie), die allgemeine Semiotik sowie die kognitive Linguistik.<br />
<strong>Die</strong> Begriffe poetische Funktion der <strong>Sprache</strong> und Poetizität stehen dabei<br />
im Zentrum.<br />
1.1. Zum Begriff der Poetizität aus linguistischer Perspekti-<br />
ve<br />
Der Begriff der Poetizität aus linguistischer Perspektive, der im Folgen-<br />
den referiert wird, ist von zentraler Bedeutung für diese Arbeit.<br />
<strong>Die</strong> parallel skizzierte Diskussion der Standpunkte verschiedener ein-<br />
schlägiger Autoren stellt problematisierend heraus, dass weder der Beg-<br />
riff der Poetizität noch die Einschätzung der poetischen Sprachfunktion<br />
innerhalb <strong>des</strong> linguistischen Diskurses uneingeschränkt konsensfähig ist.<br />
Über die Diskussion <strong>des</strong> Begriffs der Poetizität hinaus wird an konkreten<br />
Textbeispielen demonstriert, wie sich das Wirken der poetischen Sprach-<br />
funktion beobachten und mit linguistischen Mitteln beschreiben lässt.<br />
Der elementare theoretische Ausgangspunkt ist das funktionale Sprach-<br />
modell Roman Jakobsons (vgl. Jakobson 1981), das zunächst rekon-<br />
struiert wird (vgl. auch Nöth 2 2000: 449. Zur Diskussion <strong>des</strong> Modells vgl.<br />
Coseriu 1981: 56 ff.; Holenstein 1975: 153 ff.).<br />
17
1.1.1. Das funktionale Sprachmodell Roman Jakobsons<br />
Jakobson (1981) unterscheidet für die verbale Kommunikation sechs<br />
verschiedene konstitutive Faktoren der <strong>Sprache</strong> sowie korrelierend<br />
sechs Sprachfunktionen, die in Tabelle 1 dargestellt sind.<br />
Der allgemeine sprachtheoretische Hintergrund, vor dem diese Aufspal-<br />
tung <strong>des</strong> Phänomens <strong>Sprache</strong> entstanden ist, vermittelt sich am ein-<br />
leuchtendsten, wenn man das Jakobsonsche Basisaxiom akzeptiert, das<br />
der <strong>Sprache</strong> eine prinzipielle kommunikative Intention unterstellt:<br />
„(...) any verbal behavior is goal-directed, but the aims are different and the<br />
conformity of the means used to the effect aimed at is a problem that (...) pre-<br />
occupies inquirers into the diverse kinds of verbal communication“ (Jakobson<br />
1981: 19).<br />
Faktor Korrelierende Sprachfunktion<br />
Context (Kontext) Referential function (referentielle Funktion)<br />
Addresser (Sender) Emotive Function (emotive Funktion)<br />
Addressee (Empfänger) Conative Function (konative Funktion)<br />
Contact (Kontakt) Phatic Function (phatische Funktion)<br />
Code (Kode) Metalingual Function (metasprachliche Funktion)<br />
Message (Nachricht) Poetic function (poetische Funktion)<br />
Tabelle 1: <strong>Die</strong> sechs konstitutiven Faktoren der sprachlichen Kommunikation<br />
und die sechs ihnen zugeordneten Sprachfunktionen (vgl. Jakobson 1981: 22<br />
und 27)<br />
18
1.1.1.1. Referentielle Funktion – Kontext<br />
<strong>Die</strong> referentielle Funktion korrespondiert mit dem Faktor Kontext, also<br />
grob gesprochen mit der außersprachlichen Wirklichkeit, über die wir uns<br />
mittels <strong>Sprache</strong> Informationen verschaffen.<br />
Eine wissenschaftstheoretische Diskussion dieser Startposition wird<br />
nicht eröffnet. Ich gehe im Sinne eines erkenntnistheoretischen Realis-<br />
mus davon aus, dass „wir mit unseren sinnlichen Erfahrungen Zugang zu<br />
einer bewußtseinsunabhängigen Wirklichkeit haben“ (Hügli/Lübcke:<br />
529). Einschränkend muss aber betont werden, dass es sich bei dieser<br />
Auffassung nicht um einen naiven, sondern repräsentativen erkenntnis-<br />
theoretischen Realismus handelt, „nach welchem unsere sinnlichen Er-<br />
fahrungen zwar von der physischen Wirklichkeit verursacht sind, uns a-<br />
ber niemals sichere Erkenntnis vermitteln können. Was wir erfahren, sind<br />
stets Repräsentationen der Wirklichkeit“ (ibidem). Es wird ferner ange-<br />
nommen, dass wir über die individuelle Wahrnehmung und materielle<br />
Konstitution dieser Außenwelt sprachlich kommunizieren können. Aller-<br />
dings müssen dabei kommunikative Reibungsverluste in Kauf genom-<br />
men werden, wie sich im Laufe dieser Arbeit herausstellen wird. Zu den<br />
Gegenständen der Welt sind natürlich nicht nur de facto existierende<br />
physikalische Gegenstände zu zählen, sondern auch deren mentale<br />
Repräsentationen (= Gedanken, Phantasien, Assoziationen) sowie fikti-<br />
ve, theoretisch denkbare Entitäten, wie beispielsweise außerirdische<br />
Wesen.<br />
Eine typische Äußerung, bei der die referentielle Funktion dominiert, ist<br />
beispielsweise der Satz<br />
Es regnet.<br />
In diesem Fall wird eine sachliche Information über die nichtsprachliche<br />
Realität lanciert, nämlich die Tatsache, dass Wassertropfen vom Himmel<br />
fallen. Der faktische – manchmal auch nur hypothetische – Realitätsbe-<br />
zug dieses Beispielsatzes kann paraphrasiert werden durch die proposi-<br />
tionale Aussage<br />
19
Es ist der Fall, dass es regnet.<br />
Wenn ein Referenzbereich (= Kontext) kognitiv gut vorstrukturiert ist wie<br />
im Falle <strong>des</strong> unter anderem visuell wahrnehmbaren Regens, kann man<br />
annehmen, dass die <strong>Sprache</strong> faktisch die Fähigkeit hat, auf einen exis-<br />
tierenden oder zumin<strong>des</strong>t denkbaren Sachverhalt zu referieren. <strong>Die</strong> refe-<br />
rentielle Funktion ist laut Jakobson in den meisten Kommunikationssitua-<br />
tionen dominant, während weitere Sprachfunktionen hinzutreten und die<br />
Referenz eines Sprachzeichens funktional modifizieren können. (vgl. Ja-<br />
kobson 1981: 22). Er gibt dort auch die Begriffsalternativen „denotative“<br />
and „cognitive function“ (ibidem).<br />
1.1.1.2. Emotive Funktion – Sender<br />
<strong>Die</strong> emotive Funktion korrespondiert mit dem Faktor Sender. Eine funkti-<br />
onale Modifikation der prinzipiell immer vorhandenen referentiellen Funk-<br />
tion kann beispielsweise geschehen, indem ein Sender (Sprecher) bei<br />
der Äußerung <strong>des</strong> obigen Satzes seiner Stimme eine charakteristische<br />
Modulation verleiht und somit auf prosodische Weise emotionale Zusatz-<br />
information transportiert (z.B. Begeisterung oder Verärgerung). In einem<br />
solchen Fall würde man davon sprechen, dass die emotive Funktion zu-<br />
sätzlich wirkt und die Zielrichtung <strong>des</strong> Kommunikationsaktes verändert.<br />
Folgende Situation kann zum Zweck der Illustration herangezogen wer-<br />
den:<br />
Ein genervter Vater steht im Hauseingang. Auf der Straße steht sein<br />
Kind mit dem Fahrrad und will fahren, obwohl es angefangen hat zu reg-<br />
nen. Es entsteht ein Streit, in <strong>des</strong>sen Verlauf der Vater seine Stimme er-<br />
hebt und den Satz Es regnet mit deutlich lauterer Stimme und mit einer<br />
begleitenden Verzerrung der mimischen Gesichtsmuskulatur äußert. Der<br />
Fokus der Äußerung liegt hier sicherlich nicht auf der referentiellen In-<br />
formation, dass es regnet; das merkt das Kind selber. Insofern ist die re-<br />
ferentielle Information, obwohl sie geliefert wird, sekundär, uneigentlich<br />
und damit streng genommen redundant. <strong>Die</strong> eigentliche, subtiler kodierte<br />
20
Information betrifft den emotionalen Zustand <strong>des</strong> Vaters. Sie ist um-<br />
gangssprachlich paraphrasierbar mit dem Satz:<br />
Ich bin genervt und gleich platzt mir der Kragen!<br />
In einem solchen Fall kann man davon sprechen, dass die emotive<br />
Funktion die funktionale Dominanz der Kommunikationssituation über-<br />
nommen hat. Jakobson vermeidet explizit den Begriff emotionale Funkti-<br />
on. Sein Begriff der emotiven Funktion impliziert, dass man mit sprachli-<br />
chen und anderen semiotischen Mitteln auch emotionale Zustände simu-<br />
lieren kann, ohne dass sie faktisch im kognitiven System <strong>des</strong> Senders<br />
vorliegen (vgl. Jakobson 1981: 22).<br />
1.1.1.3. Konative Funktion – Empfänger<br />
<strong>Die</strong> konative Funktion korrespondiert mit dem Faktor Empfänger. <strong>Die</strong><br />
skizzierte Vater-Kind-Situation birgt noch eine weitere Information, wenn<br />
man den Kommunikationsfaktor Empfänger fokussiert. <strong>Die</strong> unter dem<br />
Referenzaspekt in dieser Situation redundante Aussage Es regnet trans-<br />
portiert ebenfalls eine auffordernde, appellative Information. <strong>Die</strong>se impli-<br />
zite Information muss vom Kind als dem Adressaten der Nachricht de-<br />
chiffriert werden zu der vom Vater gemeinten Aufforderung<br />
Komm ins Haus!<br />
Mit der Entschlüsselung realisiert das Kind zusätzlich zur wiederholten<br />
Regeninformation und der aufgeladenen Stimmung <strong>des</strong> Vaters die Auf-<br />
forderung, ins Haus zu kommen und das Fahrradfahren abzubrechen.<br />
Hierbei würde zur referentiellen und zur emotiven noch die konative<br />
Funktion hinzukommen, deren kommunikative Aufgabe es ist, durch eine<br />
vom Sender lancierte Nachricht eine Verhaltensänderung <strong>des</strong> Adressa-<br />
ten zu bewirken.<br />
21
1.1.1.4. Phatische Funktion – Kontakt<br />
<strong>Die</strong> phatische Funktion korrespondiert mit dem Faktor Kontakt. Sie rückt<br />
den Kommunikationskanal zwischen den beteiligten Kommunikanten ins<br />
Zentrum <strong>des</strong> Interesses.<br />
Dass jede Kommunikationssituation eines sinnlich wahrnehmbaren Me-<br />
diums, eines physikalischen Kanals bedarf, ist im Grunde trivial. Im Falle<br />
der gesprochenen <strong>Sprache</strong> sind dies Schallwellen, die über die Luft das<br />
auditive Wahrnehmungssystem affizieren. Im Falle der Schriftsprache<br />
handelt es sich um elektromagnetische Wellen im Wellenlängenbereich<br />
<strong>des</strong> sichtbaren Lichts, die durch das visuelle System auf unseren kogni-<br />
tiven Apparat einwirken. (Das paranormale Phänomen der Telepathie<br />
sowie denkbare mystische Kommunikationssituationen mit metaphysi-<br />
schen Entitäten liegen jenseits dieser Arbeit und müssen unberücksich-<br />
tigt bleiben.)<br />
Ganz allgemein gesprochen ist bei jeder verbalen Kommunikation die<br />
phatische Funktion immer wirksam, insofern jede vom Sender ausge-<br />
schickte und beim Empfänger ankommende Nachricht die Funktionsfä-<br />
higkeit <strong>des</strong> Kanals bestätigt. <strong>Die</strong> klassische Frage Bist du noch dran?<br />
während eines Telefongesprächs ist überdies als plastische Dominanz<br />
der phatischen Funktion identifizierbar. <strong>Die</strong> Frage dient einzig der Über-<br />
prüfung, ob die Leitung, der Kanal noch funktioniert, ob es noch einen<br />
kommunikativen Kontakt gibt.<br />
Aber die phatische Sprachfunktion macht sich auch auf wesentlich subti-<br />
lere und keineswegs triviale Weise bemerkbar. In einer alltäglichen Ge-<br />
sprächssituation zweier Nachbarn, die sich nur oberflächlich kennen und<br />
sich im Treppenhaus begegnen, würde innerhalb eines Dialogs der Satz<br />
Es regnet wohl kaum von der referentiellen Funktion dominiert. Das Wet-<br />
ter als klassisches Gesprächsthema ist derart trivial, von jedem wahr-<br />
nehmbar und damit referentiell selbstverständlich, dass man darüber ei-<br />
gentlich gar nicht zu sprechen bräuchte – jedenfalls nicht unter dem Do-<br />
minanzaspekt der referentiellen Funktion. Wenn man sich jedoch nicht<br />
gut kennt (oder einem der Gesprächsstoff ausgeht), ist das Wetter stets<br />
22
ein dankbares Thema, weil jeder daran ‚teilnimmt’, eine kommunikative<br />
Schnittmenge also jederzeit gewährleistet ist. Nichts<strong>des</strong>totrotz erfüllen<br />
Wetter- und ähnlich gelagerte Gespräche einen elementaren kommuni-<br />
kativen Zweck, der weithin unterschätzt wird. Grußformeln, Befindlich-<br />
keitserkundigungen der Art Wie geht’s? oder auch die zwischenmensch-<br />
lich wichtige Tatsache, dass einem einfach zugehört wird, dass jemand<br />
einem gelegentlich sein Ohr leiht, egal was der Inhalt <strong>des</strong> Gesprochenen<br />
ist, gehören in den häufig sogar therapeutisch relevanten Wirkungsbe-<br />
reich der phatischen Sprachfunktion.<br />
Dominiert die phatische Funktion eine Kommunikationssituation, hat sie<br />
den Zweck, eine Kommunikationssituation einzuleiten oder aufrecht zu<br />
erhalten und die schlichte Tatsache <strong>des</strong> Kommunizierens zu bestätigen.<br />
<strong>Die</strong>s läuft unter der Devise: Ich bin hier, du bist da und wir teilen eine<br />
kommunikative Schnittmenge.<br />
1.1.1.5. Metasprachliche Funktion – Kode<br />
<strong>Die</strong> metasprachliche Funktion korrespondiert mit dem Faktor Kode. Wird<br />
zum Beispiel der Satz Es regnet im Kontextrahmen eines Deutschkurses<br />
von einem nichtmuttersprachlichen Deutschlerner geäußert und als<br />
deutscher Satz erkannt – ob es nun regnet oder nicht –, macht der Satz<br />
insofern eine Aussage über das deutsche Sprachsystem, als er in der<br />
Minimalkonfiguration Subjekt + Prädikat ein korrekter Satz <strong>des</strong> Deut-<br />
schen ist. In diesem Falle würde etwas über den der Äußerung zu Grun-<br />
de liegenden Kode ausgesagt, auf den sich die metasprachliche Funkti-<br />
on bezieht. In dieser Situation würde die Aufmerksamkeit durch den<br />
Sprecher auf sprachliches Wissen gelenkt. Das Beispiel Es regnet dient<br />
im skizzierten Sprachlernkontext nicht dazu, einen sprachexternen<br />
Sachverhalt zu beschreiben, sondern eine grammatische Regel der<br />
deutschen Syntax zu veranschaulichen.<br />
Vor allem in der analytischen Sprachphilosophie und der formalen Logik<br />
<strong>des</strong> 20. Jahrhunderts wurde dieses Problem als Konflikt zwischen Ob-<br />
23
jekt- vs. Metasprache thematisiert (vgl. überblickartig Salmon 1983: 240<br />
ff. und im Plauderton Carnap 1993: 82 ff.). <strong>Die</strong> rein theoretisch-<br />
begriffliche Unterscheidung zwischen Objekt- und Metasprache ist je-<br />
doch nur scheinbar eindeutig. Sie birgt das Dilemma, dass im Grunde<br />
alle objektsprachlichen Äußerungen automatisch immer schon als meta-<br />
sprachliche Aussagen verstanden werden können, da sie sich als Indi-<br />
zien für die Zugehörigkeit zu einem Sprachsystem zu erkennen geben.<br />
<strong>Die</strong> metasprachliche Funktion ist also im Grunde immer schon aktiv,<br />
wenn irgendein konkret verwendetes Sprachzeichen (auf der Ebene der<br />
Parole) als Sprachzeichen erkannt und einem Sprachsystem (= Langue)<br />
zugeordnet werden kann. <strong>Die</strong> schwierige Frage es vielmehr, plausible<br />
Gründe anzuführen, in welchen Fällen die metasprachliche Funktion als<br />
über andere Sprachfunktionen dominierend gewertet werden kann. Vor<br />
allem ihre Abgrenzung von der Dominanz der poetischen Funktion ist<br />
innerhalb dieser Untersuchung bedeutsam und analytisch ein sehr an-<br />
strengender Prozess, der nicht immer zu eindeutigen Zuordnungen führt.<br />
Eine weitere Problemzone der metasprachlichen Funktion stellen sicher-<br />
lich so genannte Pseudowörter oder Quasi-Neologismen dar, die zwar<br />
den jeweiligen Wortbildungsregeln einer <strong>Sprache</strong> gemäß erzeugt wur-<br />
den, denen jedoch ein konventionelles Signifikat fehlt.<br />
Nehmen wir als Beispiel das von mir erdachte Pseudoverb vertrieren.<br />
Auf der morphologischen Analyseebene deuten das Präfix ver- und das<br />
Flexionsmorphem -en auf die Wortart Verb <strong>des</strong> Deutschen in der Form<br />
<strong>des</strong> Infinitivs hin. Man kann weiterhin als Verbalstamm -trier- identifizie-<br />
ren. Das Auftauchen eines solchen erfundenen asemantischen Wortes,<br />
das sich formal korrekt an die Wortbildungsregeln <strong>des</strong> Deutschen hält,<br />
zieht auf Grund der fehlenden Semantik die Aufmerksamkeit auf die<br />
grammatische Form. Man denkt: Es muss ein Verb sein, auch wenn ich<br />
die Bedeutung nicht kenne. Hier wird also der funktionale Akzent auf ei-<br />
nen formalen Wortbildungsmechanismus, somit auf das Sprachsystem<br />
gelenkt, womit die Schlussfolgerung nahe liegt, dass die metasprachli-<br />
che Funktion in diesem Fall die dominante ist.<br />
24
1.1.1.6. Poetische Funktion – Nachricht<br />
<strong>Die</strong> im Rahmen dieser Arbeit interessanteste Sprachfunktion ist die poe-<br />
tische. <strong>Die</strong> poetische Funktion korrespondiert mit dem Faktor Nachricht.<br />
<strong>Die</strong>selbe Information wie der obige Beispielsatz, nämlich dass es regnet,<br />
transportiert auch der Satz:<br />
Herab, herab der Regen fällt; der Regen, Regen fällt herab.<br />
Aber hinzu tritt eine für das Deutsche sehr ungewöhnliche Form der Prä-<br />
sentation <strong>des</strong> recht trivialen Sachverhalts, deren Besonderheit mit dem<br />
Begriff der poetische Funktion der <strong>Sprache</strong> charakterisiert werden kann.<br />
<strong>Die</strong> poetische Funktion lenkt die Aufmerksamkeit <strong>des</strong> Empfängers einer<br />
Nachricht darauf, wie eine Information innerhalb der Nachricht transpor-<br />
tiert wird, also auf eine spezielle Konfiguration der sprachlichen Elemen-<br />
te auf der syntagmatischen Ebene. Der Fokus liegt somit in erster Linie<br />
auf der „message for its own sake“ (Jakobson 1981: 25).<br />
Man kann in meinem erfundenen Beispiel (unter anderem) eine unge-<br />
wöhnliche Regelmäßigkeit bezüglich <strong>des</strong> Alternierens unbetonter und<br />
betonter Silben beobachten. Zur Veranschaulichung folgende strukturier-<br />
te Darstellung (betonte Silben sind fett gedruckt):<br />
Herab, herab der Regen fällt; der Regen, Regen fällt herab.<br />
<strong>Die</strong> poetische Funktion der <strong>Sprache</strong> hat den Effekt, durch formale, sinn-<br />
lich wahrnehmbare Mittel (lautliche und visuelle) einen Text von der Sei-<br />
te <strong>des</strong> Signifikanten her zu strukturieren. In poetisch relevanten Texten<br />
geschieht dies unter anderem durch – bewusst oder halbbewusst – ver-<br />
wendete charakteristische Wiederholungssequenzen, die als rhythmi-<br />
sche Struktur und somit als Ausprägungen der poetischen Funktion der<br />
<strong>Sprache</strong> beschreibbar sind.<br />
<strong>Die</strong> Dynamik, die die poetische Funktion der <strong>Sprache</strong> charakterisiert,<br />
spitzt Jakobson (1981) im folgenden, viel zitierten Diktum zu:<br />
„The poetic function projects the principle of equivalence from the axis of se-<br />
lection into the axis of combination” (Jakobson 1981: 26).<br />
25
Gemeint ist damit, dass erwartungsgemäß in paradigmatischer Relation<br />
stehende linguistische Einheiten, die sich durch eine assoziative Oder-<br />
Beziehung auszeichnen und mit einer vertikalen Achse veranschaulicht<br />
werden können, auf der syntagmatischen, horizontalen Achse kombiniert<br />
werden und sich damit dann in einer Und-Beziehung zueinander befin-<br />
den. Das Prinzip der Äquivalenz wird ersetzt durch das Prinzip der Kon-<br />
tiguität (vgl. zur elementaren Unterscheidung zwischen syntagmatischen<br />
und assoziativen Beziehungen in der <strong>Sprache</strong> Saussure 2 2001: 147 ff.).<br />
Beispiel zu Äquivalenz<br />
In folgenden Sätzen stehen die Verben der Fortbewegung (laufen, stür-<br />
zen, eilen, hasten) in paradigmatischer Beziehung zueinander; sie sind<br />
als partielle Synonyme einander semantisch ähnlich (Äquivalenzprinzip)<br />
und damit zu einem gewissen Grad austauschbar. Durch den Austausch<br />
der Verben in dem Satz ändert sich <strong>des</strong>sen Bedeutung nur minimal (vgl.<br />
zu verschiedenen Arten von Äquivalenz auf verschiedenen Textebenen<br />
Plett 2 1979).<br />
Ich verwende Notationssymbole aus der formalen Logik, nämlich ‚’ für<br />
die Konkatenation, also das gleichzeitige, additive Auftreten sprachlicher<br />
Elemente in einem Syntagma und ‚’ für die Oder-Relation, wobei es<br />
sich um das ausschließende oder handelt, also entweder-oder.<br />
Ich (a) laufe ins Haus, weil es regnet.<br />
()<br />
Ich (b) eile ins Haus, weil es regnet.<br />
()<br />
Ich (c) stürze ins Haus, weil es regnet.<br />
()<br />
Ich (d) haste ins Haus, weil es regnet.<br />
26
<strong>Die</strong> Formalisierung der paradigmatischen Relation der Verben in den<br />
Sätzen ist folgendermaßen:<br />
a b c d<br />
Beispiel zu Kontiguität<br />
<strong>Die</strong> Verben der Fortbewegung tauchen hier aneinandergereiht innerhalb<br />
einer syntagmatischen Konfiguration an der Textoberfläche auf.<br />
Ich (a) laufe, (b) eile, (c) stürze, (d) haste ins Haus, weil <br />
es regnet.<br />
<strong>Die</strong> Formalisierung der syntagmatischen Kombination der Verben im<br />
Satz gestaltet sich dann so:<br />
a b c d<br />
Das benachbarte Vorkommen dieser partiell synonymen Verben, also<br />
ihre Kontiguität innerhalb eines Syntagmas ist für die Übermittlung der<br />
referentiellen Information <strong>des</strong> Sich-ins-Haus-Begebens nahezu redun-<br />
dant. <strong>Die</strong> referentielle Funktion ist jedoch nicht völlig außer Kraft gesetzt.<br />
<strong>Die</strong> Beispielverben laufen, eilen, stürzen, hasten können nicht als reine<br />
Synonyme verstanden werden, denn sie fügen dem semantisch neutrals-<br />
ten Verb laufen sukzessive weitere semantische Merkmale hinzu, die<br />
folgendermaßen charakterisiert werden können:<br />
eilen [+ unter Zeitdruck],<br />
stürzen [+ motorische Unkoordiniertheit],<br />
hasten [+ Gestresstheit].<br />
Der Informationsgehalt wird also progressiv erweitert. <strong>Die</strong> Verbwiederho-<br />
lung führt somit zu einer Intensivierung der Elementarsemantik der<br />
schnellen Fortbewegung, die dieser Satz transportiert.<br />
27
Wird jedoch ein Satz mit einer derart starken Akkumulation äquivalenter<br />
Elemente konstruiert, muss man eine zusätzliche Motivation annehmen<br />
als das reine Lancieren von Information. <strong>Die</strong> silbische Struktur der Ver-<br />
ben ist jeweils identisch (betont vs. unbetont); der Wortakzent liegt je-<br />
weils auf der ersten Silbe. <strong>Die</strong> Juxtaposition der vier Verben etabliert<br />
durch diese Regelmäßigkeit eine Sequenz, die rhythmisch so stark struk-<br />
turiert ist, dass sie als metrisch bezeichnet werden kann. (Es handelt<br />
sich um einen Trochäus mit Auftakt, um einen Begriff aus der traditionel-<br />
len Verslehre zu bemühen.) <strong>Die</strong>se unübliche Regelmäßigkeit sich wie-<br />
derholender, äquivalenter Elemente (hier: Verben der Fortbewegung)<br />
und dazu noch der regelmäßige Wechsel der Silben zwischen unbetont<br />
und betont fällt auf und hat eine Relevanz, keine primär referentielle,<br />
sondern eine primär poetische. Man kann behaupten, dass die Verbak-<br />
kumulation min<strong>des</strong>tens zwei kommunikative Effekte hat, nämlich zum<br />
Einen eine Intensivierung <strong>des</strong> referentiellen Konzeptes der schnellen<br />
Bewegung und zum Anderen durch die Iteration und auffallende Metri-<br />
sierung einen poetischen, der die formale Anordnung der Wörter fokus-<br />
siert.<br />
1.1.1.7. Sprachfunktionen und Poetizität<br />
Es muss zugestanden werden, dass es sich bei den sechs Sprachfunkti-<br />
onen nicht um objektiv messbare Größen handelt. <strong>Die</strong> jeweilige Domi-<br />
nanz einer Funktion und damit deren funktionale Relevanz im Kommuni-<br />
kationsprozess kann also nicht exakt bestimmt werden.<br />
Es ist nicht nur in dem etwas ausführlicher diskutierten Fall (referentiell<br />
vs. poetisch) schwer zu entscheiden, welche Sprachfunktion innerhalb<br />
einer Äußerung in einem gegebenen Kontext nach dem Jakobsonschen<br />
Modell als dominierend angenommen werden muss. Vielmehr ist die a-<br />
nalytische Aufspaltung eines Kommunikationsaktes in die von Jakobson<br />
vorgeschlagenen Funktionen als theoretisches Elementarwerkzeug zu<br />
verstehen, das kohärente Aussagen über Kommunikation und deren<br />
28
Funktion überhaupt erst ermöglichen soll. Es scheint mir pragmatischer<br />
und damit klüger zu sein, bei der funktionalen Dominanzbestimmung<br />
kein Ausschließlichkeitsdogma zu postulieren. Holistisch formuliert muss<br />
man davon ausgehen, dass in jeder Kommunikationssituation mehrere<br />
bis alle der sechs Funktionen aktiv sind, die sich weder gegenseitig aus-<br />
schließen, noch notwendig miteinander konkurrieren. Sie bilden mit den<br />
ihnen zugeordneten sechs Sprachfaktoren das komplexe System Kom-<br />
munikation, bei dem die Aufgabe <strong>des</strong> Wissenschaftlers darin besteht,<br />
stets argumentativ zu untermauert, welche Funktion(en) die jeweils füh-<br />
rende(n) Rolle(n) spielt/spielen.<br />
Bisher ist das Konzept der poetischen Sprachfunktion, auf dem in dieser<br />
Arbeit das theoretische Hauptaugenmerk liegt, noch recht abstrakt<br />
geblieben. Es muss noch exemplarisch aufgezeigt werden, wie sich die<br />
poetische Funktion an konkretem Textmaterial bemerkbar macht. Erst<br />
danach wird deutlich, welche Textmerkmale einer entsprechenden lingu-<br />
istischen Beschreibung zugänglich sind.<br />
Man kann die Summe der spezifischen Eigenschaften eines Textes, die<br />
das dominierende Wirken der poetischen Funktion anzeigen, als Poetizi-<br />
tät dieses Textes bezeichnen. Um einer Verwechslung vorzubeugen: Bei<br />
dem hier verwendeten Konzept von Poetizität geht es (zunächst) nicht<br />
um die Frage, ob ein gegebener Text von Seiten <strong>des</strong> Rezipienten als<br />
(mehr oder weniger) subjektiv poetisch empfunden wird. Sondern es<br />
stehen intersubjektiv überprüfbare Texteigenschaften zur Debatte, die<br />
sich theoretisch konsistent aus dem Postulat der poetischen Funktion<br />
ergeben und die mit linguistischer Terminologie begrifflich erfasst werden<br />
können.<br />
<strong>Die</strong> Frage der folgenden Ausführungen lautet demnach: Mit welchen lin-<br />
guistischen Begriffen lässt sich die Texteigenschaft der Poetizität be-<br />
schreiben, die durch das postulierte Wirken der poetischen Funktion zu<br />
Stande kommt?<br />
29
1.1.2. Poetizität als Selbstreferenz <strong>des</strong> sprachlichen Zeichens<br />
<strong>Die</strong> poetische Funktion lenkt nach Jakobson die Aufmerksamkeit auf die<br />
Nachricht als solche (vgl. Jakobson 1981: 25). <strong>Die</strong>s kann beispielsweise<br />
folgendermaßen geschehen. <strong>Die</strong> signifikantenseitig erzeugte, auditiv<br />
wahrnehmbare Qualität der regelmäßigen (= ungewöhnlichen) Lautung<br />
in dem oben bereits erwähnten Beispielsatz<br />
Herab, herab der Regen fällt; der Regen, Regen fällt herab<br />
hat durch seine ungewöhnliche lautliche Regelmäßigkeit, durch sein<br />
Metrum, die Eigenschaft, die Aufmerksamkeit <strong>des</strong> Lesers an das lautli-<br />
che Material zu binden und sie von der Signifikatenseite abzulenken.<br />
Link (1992) spricht angesichts dieses Phänomens von der Desemantisie-<br />
rung <strong>des</strong> Signifikaten zugunsten einer Semantisierung <strong>des</strong> Signifikanten<br />
und bezeichnet diesen Prozess als Überstrukturierung und als ein konsti-<br />
tutives Merkmal für so genannte überstrukturierte Texte (vgl. Link 1992:<br />
95 ff.). Bei der Konstruktion derartiger Texte besteht „das (…) Verfahren<br />
(…) darin, gleichzeitig lautliche und semantische Paradigmata auf das<br />
Syntagma <strong>des</strong> Textes abzubilden (…)“ (Link 1992: 93) und damit die<br />
Signifikantenseite zu semantisieren, also ihr gewissermaßen eine kom-<br />
munikative Relevanz zuzuschreiben sowie die Signifikatenseite zu de-<br />
semantisieren, also von der referentiellen Bedeutung abzulenken. Der<br />
Satz liefert einerseits die referentielle Information <strong>des</strong> Regnens. Ande-<br />
rerseits kann man argumentieren, dass die metrische Struktur <strong>des</strong> Bei-<br />
spielsatzes das Fallen der Regentropfen ikonisch repräsentiert, indem<br />
sie eine Ähnlichkeit aufweist mit dem zumin<strong>des</strong>t potenziell rhythmischen<br />
Tropfen <strong>des</strong> Regens. (Der Begriff der Ikonizität als motivierter Semiose-<br />
modus wird ausführlich rekonstruiert in Kapitel 1.4.3.)<br />
„Dadurch, daß das Prinzip der Abbildung einer paradigmatischen Ordnung auf<br />
ein Syntagma mehrfach (auf mehreren Ebenen der Struktur gleichzeitig) an-<br />
gewendet wird, entsteht eine enge gegenseitige Beziehung zwischen den E-<br />
benen. (...). Solche Texte sind (...) überstrukturiert“ (Link 1992: 93).<br />
30
Das Doppelprinzip der (De-)Semantisierung ist als komplementäres<br />
Phänomen zu verstehen, wobei „der Semantisierung der Signifikant-<br />
Ebenen eine Desemantisierung der Ebene der Denotation entspricht“<br />
(Link 1992: 97).<br />
Analytisch angewendet auf meinen zweiten Beispielsatz<br />
Ich (a) laufe, (b) eile, (c) stürze, (d) haste ins Haus, <br />
weil es regnet<br />
würde dies folgendermaßen aussehen:<br />
<strong>Die</strong> Semantisierung der Signifikantenseite wird erneut erreicht durch die<br />
regelmäßige Abfolge unbetonter und betonter Silben, die man als phoni-<br />
sche Metrisierung bezeichnen kann. <strong>Die</strong> Desemantisierung der Signifika-<br />
tenseite wird erzeugt durch die Aneinanderreihung mehrerer (quasi-<br />
)äquivalenter Verben. <strong>Die</strong>ses Manöver kann man als lexikalische Metri-<br />
sierung bezeichnen. Es führt zu einer gewissen, wenn auch nicht absolu-<br />
ten Redundanz. Eine Erweiterung <strong>des</strong> Begriffes Metrum gegenüber ei-<br />
nem in der Literaturwissenschaft engeren Verständnis bringt Koch<br />
(1981) ins Spiel, wenn er von „syntaktischen Metren“ spricht und sogar<br />
„konsequenterweise (...) die topikale Rekurrenz als Metrum“ ansieht.<br />
„<strong>Die</strong>ser [der topikale] Rekurrenztyp beinhaltet zwar einen relativ offenen Pa-<br />
rameter von allgemeiner informationeller Analyse; doch könnte er nach dem<br />
Strukturierungsprozeß noch als Metrum benutzt und erfahren werden“ (Koch<br />
1981: 48).<br />
Es ist also möglich, dass eine Zeichenkette so konstruiert sein kann,<br />
dass das eigentlich Wichtige an ihr die in den Vordergrund der Wahr-<br />
nehmung gerückten formalen, also sinnlich (= visuell/auditiv) wahrnehm-<br />
baren, Signifikanten sind und die kommunizierten Inhalte, die Signifika-<br />
ten, in ihrer kognitiven Wirkung auf den Rezipienten gegenüber der Form<br />
zurücktreten. <strong>Die</strong> Tatsache, dass sprachliche Zeichen einen (zumin<strong>des</strong>t<br />
potenziell) materiellen Zeichenträger nötig haben um kommunizierbar zu<br />
sein (eine Phonemfolge, eine Graphemfolge, die auch mental repräsen-<br />
tiert sein kann) ist nur scheinbar trivial. <strong>Die</strong> poetische Funktion hat den<br />
Effekt, diese Trivialität zu enttrivialisieren und den materiellen Zeichen-<br />
31
träger ins Zentrum <strong>des</strong> semiotischen Interesses zu rücken. <strong>Die</strong> meist un-<br />
hinterfragte Selbstverständlichkeit der „Verbindung der Vorstellung mit<br />
dem Lautbild“ (Saussure 2 1967: 78), die Saussure „das Zeichen“ (ibi-<br />
dem) nennt, wird außer Kraft gesetzt. Man kann also von einer gewissen<br />
Autonomie oder Selbstreferentialität <strong>des</strong> Zeichens sprechen, wenn es<br />
der Fall ist, dass die poetische Funktion als dominant angenommen wird<br />
und der Zeichenträger dann sein eigenes Signifikat bildet und somit auf<br />
sich selbst verweist.<br />
Kloepfer (1975) sieht das selbstreferentielle Moment der poetischen<br />
Funktion allerdings eher als einen zeitlich begrenzten Prozess bei der<br />
Zeichenrezeption. Er hält es für möglich, „daß durch die poetische Funk-<br />
tion das Zeichen zuerst einmal nur auf sich selbst verweist (also zeitwei-<br />
se autonom wird), dann aber nach diesem Prozeß wieder auf etwas au-<br />
ßerhalb seiner selbst gerichtet ist, d.h. eine semantische oder pragmati-<br />
sche Funktion haben kann: Zeichen mit einer ‚Aussage’ über die Wirk-<br />
lichkeit ist, mit einem Appell an seine Leser etc.“ (Kloepfer 1975: 45).<br />
Der von Kloepfer erwähnte Prozess der Zeichenrezeption im Rahmen<br />
einer poetisch dominierten Kommunikationssituation kann auch als eine<br />
Art Semiose bezeichnet werden, also als Konstitution einer bedeutungs-<br />
vollen Relation zwischen Signifikant und Signifikat. Denn „Semiose ist<br />
der Prozeß, in dem ein Zeichen seine Wirkung entfaltet. (...). Kommuni-<br />
kation ist (...) ein besonderer Fall der Semiose, nämlich Semiose, an der<br />
ein Kommunikator, ein Zeichen und ein Rezipient beteiligt ist“ (Nöth<br />
2 2000: 227).<br />
Unter der Annahme, dass es sich bei dem Prozess der Semiose in der<br />
Tat um einen dynamischen Prozess und nicht um einen statischen Zu-<br />
stand handelt, scheint allerdings die Auffassung einer zeitweiligen Auto-<br />
nomie <strong>des</strong> Zeichens plausibler gegenüber der Auffassung einer totalen<br />
Autonomie.<br />
32
1.1.3. Poetizität als Deautomatisierung <strong>des</strong> Leseprozesses<br />
Im Rahmen der Poetizitätstheorie <strong>des</strong> russischen Formalismus wird das<br />
Wirken der poetischen Funktion mit dem Phänomen der so genannten<br />
Deautomatisierung <strong>des</strong> Rezeptionsprozesses in Verbindung gebracht<br />
(vgl. Erlich 1964: v.a. 284 ff.).<br />
Man kann davon ausgehen, dass in einem standardsprachlichen Text<br />
die Zeichenrelation der Elemente, aus denen der Text aufgebaut ist,<br />
durch den jeweiligen Kode konventionell determiniert ist. <strong>Die</strong>s führt beim<br />
Leseprozess zu einer konventionell-routinierten, automatisierten Bedeu-<br />
tungskonstitution oder automatisierten Dekodierung. Man kann also sa-<br />
gen, dass bei der Rezeption eines normalsprachlichen Textes die Semi-<br />
ose konventionell durch den Kode determiniert ist und darum kognitiv<br />
automatisiert abläuft. Der kognitive Prozess der Semiose selbst ist wäh-<br />
rend <strong>des</strong> Lesens im Normalfall nicht Gegenstand der Reflexion. Man<br />
macht sich nicht bei jedem gelesenen Wort Gedanken darüber, dass<br />
man gerade Signifikant und Signifikat in eine zeichenkonstituierende Be-<br />
ziehung bringt.<br />
Demgegenüber steht die Auffassung <strong>des</strong> russischen Formalismus, dass<br />
die wesentliche Funktion der poetischen <strong>Sprache</strong> darin besteht, durch<br />
formale (phonologische, morphologische, syntaktische) Eigentümlichkei-<br />
ten und damit durch unerwartete syntagmatische Konfigurationen<br />
sprachlicher Zeichen (oder Pseudozeichen) diese automatisierte Wahr-<br />
nehmung zu deautomatisieren und dem formalen Material der <strong>Sprache</strong><br />
zu einem hervorgehobenen Status zu verhelfen (vgl. Nöth 2 2000: 95).<br />
<strong>Die</strong> zentrale Funktion <strong>des</strong> poetischen Verfahrens besteht also im Prinzip<br />
in der Verfremdung der Norm, in der Abweichung von der Konvention.<br />
In einer solchen Situation entsteht allerdings das Problem, dass die auf-<br />
fälligen Elemente nicht nur einfach auffallen, sondern der Prozess ihres<br />
Zustandekommens und die Art der Eigentümlichkeit in den Fokus der<br />
bewussten Wahrnehmung geraten. Wenn man dann linguistisch be-<br />
schreibende Aussagen über derartige Textstellen macht, bewegt man<br />
sich auf der Ebene der Metasprache. Man thematisiert den Kode oder<br />
33
gegebenenfalls entsprechende Abweichungen davon. Wird aber der Ko-<br />
de zum Gegenstand der sprachlichen Kommunikation, ist laut Jakobson<br />
die metasprachliche Funktion dominant (vgl. Jakobson 1981: 25).<br />
Auf diese Differenzierungsschwierigkeit weist auch Koch (1981) hin. Er<br />
merkt kritisch an:<br />
„<strong>Die</strong> in (...) stilembefrachteten Sätzen zusätzlich aufzuwendende Energie be-<br />
wirkt, daß sich Operationen selbst der Aufmerksamkeit und dem Bewußtsein<br />
<strong>des</strong> Textrezipienten aufdrängen (...). <strong>Die</strong> Realisationen dieser Operationen<br />
sind (...) Metasprache. (...). Meine Annahme führt also dazu, daß Stilphäno-<br />
mene, Abweichung u.ä. dem Bereich der Metasprache zugerechnet werden“<br />
(Koch 1981: 41).<br />
Es ist in derartigen postulierten Deautomatisierungssituationen wahr-<br />
scheinlich nie eindeutig zu entscheiden, ob die poetische oder die meta-<br />
sprachliche Funktion die dominante Rolle im Kommunikationsprozess<br />
spielt oder ob die rigide Trennung beider überhaupt sinnvoll ist. Hier wird<br />
jedenfalls der vermittelnde Standpunkt vertreten, dass die poetische<br />
Funktion auf der perzeptorischen Ebene gewissermaßen als initiatori-<br />
sche Vorstufe zu verstehen ist zu der sekundären, kognitiv reflektierten<br />
Beschreibung auf der Metaebene.<br />
Am massivsten drängt sich die poetische Funktion sicherlich in so ge-<br />
nannten poetischen Texten in der Wahrnehmungsvordergrund, wo sie<br />
nach Auffassung <strong>des</strong> russischen Formalismus per definitionem pro-<br />
grammatisch anzutreffen ist. Derartige Texte treten allerdings mit einem<br />
explizit ästhetischen Wirkungsanspruch auf.<br />
„Durch Abweichung vom alltäglichen Sprachgebrauch soll in der [sic!] Poesie<br />
zu einer neuen Wahrnehmung (...) der sprachlichen Phänomene führen, die<br />
dem Prozeß der Automatisierung, der Gewöhnung an die Strukturen, entge-<br />
genwirkt“ (Nöth 2 2000: 95).<br />
<strong>Die</strong>s sieht Sklovskij (1923) sogar als Aufgabe <strong>des</strong> Dichters, wenn er sehr<br />
plastisch und geradezu kämpferisch schreibt:<br />
„Gerade diesem unerbittlichen Zwang der Routine, der Gewohnheit muß der<br />
Dichter entgegenwirken. Indem er das Objekt aus seinem gewohnten Zusam-<br />
menhang reißt, indem er disparate Ideen zusammenbringt, gibt der Dichter<br />
34
den Wortklischees und abgedroschenen Redensarten den Gnadenstoß und<br />
zwingt uns, die Dinge und ihr sinnliches Gewebe mit einem wacheren Be-<br />
wußtsein aufzunehmen“ (zitiert nach Erlich 1964: 195).<br />
Der Begriff Deautomatisierung, den auch Kloepfer (1975) als Konse-<br />
quenz <strong>des</strong> Wirkens der poetischen Funktion versteht, hat in unterschied-<br />
lichen Strömungen der Poetizitätsforschung <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts immer<br />
wieder unterschiedliche Etiketten erhalten, so etwa in der Tradition der<br />
Prager Schule:<br />
„<strong>Die</strong> Deautomatisierung hat zur Folge, daß das Zeichen (oder der Zeichenpro-<br />
zess) als solches wahrgenommen wird, weshalb die Prager von Aktualisierung<br />
sprachen; das Zeichen tritt in den Vordergrund <strong>des</strong> Bewußtseins, was die eng-<br />
lische Übersetzung ‚foregrounding’ ausdrücken soll; es wird – zumin<strong>des</strong>t par-<br />
tiell und für kurze Zeit – aus einem Zeichen zu einem ‚Ding’, weshalb man im<br />
Französischen oft von ‚matérialisation’ spricht. Auf Deautomatisierung folgt<br />
immer dann Aktualisierung, wenn der Rezipient nicht die gestörte Kommunika-<br />
tion übergeht, wenn er nicht ‚abschaltet’“ (Kloepfer 1975: 47; vgl. auch Koch<br />
1981: 40).<br />
(Vgl. Des Weiteren zum Begriff Deautomatisierung aus der Sicht der ge-<br />
nerativen Transformationsgrammatik Levin 1971; aus der Sicht <strong>des</strong> Pra-<br />
ger Strukturalismus im Überblick Garvin, Ed., 1964, dort vor allem den<br />
Artikel von Jan Mukarovsky; aus Sicht <strong>des</strong> französischen Strukturalismus<br />
Greimas 1970.)<br />
Küper (1976) konstruiert eine interdependente Relation zwischen den<br />
poetischen Prinzipien Selbstreferenz und Deautomatisierung. Er macht<br />
sehr pointiert darauf aufmerksam, dass durch die Selbstreferenz der<br />
Nachricht und die daraus resultierende Deautomatisierung <strong>des</strong> Rezepti-<br />
onsprozesses „das Zeichen, das in der poetischen Kommunikation ver-<br />
wendet wird, als ikonisches Zeichen [zu] interpretieren [ist], <strong>des</strong>sen ma-<br />
terielle Seite in einer Beziehung der Ähnlichkeit zu dem Zeicheninhalt<br />
steht (...). Das Verhältnis zwischen Signifikant und Signifikat ist nicht ar-<br />
biträr, sondern beruht auf Ähnlichkeit“ (Küper 1976: 37).<br />
Hierhin passt auch das sprachliche Phänomen der Kookurrrenz, die<br />
dann vorliegt, „wenn die Ausdrucksseite eines Zeichens bereits in ir-<br />
35
gendeiner Form ein Element der Inhaltsseite abbildet. (...). Bei der Koo-<br />
kurrenz bildet der Ausdruckskörper Beziehungen nach, die unserem<br />
Wahrnehmungsmodell <strong>des</strong> Gegenstan<strong>des</strong> in irgendeiner Weise entspre-<br />
chen“ (Kloepfer 1975: 102 f.).<br />
Worin jedoch im Einzelnen unter der Wirkung der poetischen Funktion<br />
diese Ähnlichkeit zwischen Signifikant und Signifikat, also die ikonische<br />
Qualität <strong>des</strong> Zeichenträgers bestehen soll, bleibt leider sowohl bei Küper<br />
als auch bei Kloepfer rein theoretisch. Weiterhin ist fraglich, ob ein Leser<br />
im deautomatisierten Rezeptionsmodus die von Seiten der Theorie pos-<br />
tulierten Effekte, im Besonderen die postulierte Ikonizitätsrelation, über-<br />
haupt als solche wahrnimmt. Wie so oft fehlt den theoretischen Spekula-<br />
tionen die empirische Basis. Zwei, drei herangezogene Beispiele sind für<br />
ein solch elementares Theorem allzu schwache Stützen.<br />
Nachdem nun mittels der Begriffe Selbstreferenz und Deautomatisierung<br />
das Konzept der poetischen Sprachfunktion etwas plastischer dargestellt<br />
wurde, soll an Hand konkreter Sprachbeispiele gezeigt werden, wie die-<br />
se sich empirisch beobachtbar im Text ausprägt.<br />
1.2. Poetisch relevante Textmerkmale<br />
Eine Theorie besteht bekanntermaßen aus möglichst konsistenten Hypo-<br />
thesen und sollte, wenn sie den Anspruch erhebt, brauchbar zu sein,<br />
Voraussagen im Hinblick auf eine empirische Verifizierung oder Falsifi-<br />
zierung machen. Eine detaillierte <strong>des</strong>kriptive Anwendung der eingeführ-<br />
ten Begriffe zur poetischen Sprachfunktion wird im korpusbasierten Em-<br />
pirieteil der Arbeit erprobt. Aber zuvor wird exemplarisch vorgeführt, wel-<br />
che empirisch beschreibbaren sprachlichen Phänomene überhaupt in<br />
Frage kommen, die Aufmerksamkeit <strong>des</strong> Rezipienten von anderen kon-<br />
stitutiven Faktoren der Kommunikation auf „the message for its own sa-<br />
ke” (Jakobson 1981: 25) zu lenken. Hierfür werde ich nun die theoreti-<br />
schen Begriffe, deren Intension im vorausgegangenen Abschnitt in den<br />
Blick genommen wurde, mit ausgewählten musterhaften Syntagmen ver-<br />
36
schiedener linguistischer Ebenen füllen und damit die potenzielle Exten-<br />
sion dieser Begriffe ausweisen. Es gilt also zu präzisieren, wonach bei<br />
der späteren empirischen Analyse überhaupt prinzipiell zu suchen ist.<br />
Das Grundproblem jede Poetizitätsforschung, die mit Begriffen wie Ver-<br />
fremdung, Abweichung, Deautomatisierung arbeitet, ist die Unterschei-<br />
dung zwischen dem ‚normalsprachlichen’ Standard und der ‚unnormalen’<br />
poetisch markierten, das heißt poetisch relevanten Variante. <strong>Die</strong>se Un-<br />
terscheidung ist nicht gänzlich ohne die Intuition <strong>des</strong> Wissenschaftlers zu<br />
bestimmen und damit zu einem gewissen Grad immer subjektiv gefärbt.<br />
Will man ermitteln, wie poetisch relevante Textstellen auf Leser wirken,<br />
wird die Intuition <strong>des</strong> Wissenschaftlers zu einem methodischen Problem:<br />
In das Gehirn eines Leser kann er nicht hineinschauen.<br />
Man muss also mit der relativen Unklarheit darüber umgehen, was ein<br />
fiktiver Leser während der Lektüre als normal, das heißt automatisch ko-<br />
dierbar empfindet und was im Text demgegenüber seinen automatisier-<br />
ten Leseprozess aufhält und damit deautomatisiert rezipiert werden<br />
muss und folglich einen Hinweis auf das Wirken der poetischen Funktion<br />
geben kann.<br />
1.2.1. Iteration auf der phonischen Ebene<br />
Unter lautlicher Iteration auf der phonischen Ebene definiere ich zwei<br />
Phänomene, die als poetisch relevant bezeichnet werden können. Dabei<br />
muss man zwischen den <strong>Sprache</strong>benen Phonetik und Phonologie unter-<br />
scheiden.<br />
Auf der phonetischen Ebene kann eine ungewöhnlich regelmäßige Ak-<br />
kumulation von Sprachlauten, die über eine gewisse Strecke <strong>des</strong> Textes<br />
eine lautliche Dominanz erzeugen, die Aufmerksamkeit von der Seman-<br />
tik auf das phonetische Material, also vom Signifikaten auf den Signifi-<br />
kanten lenken.<br />
Als Illustration soll hier ein Textbeispiel referiert werden, das Jürgen Link<br />
in seinem Aufsatz Elemente der Lyrik anführt (vgl. Link 1992: 92 ff.). Link<br />
37
demonstriert das oben abstrakt eingeführte Projektionsprinzip Roman<br />
Jakobsons an zwei Zeilen aus einem Opernlibretto Richard Wagners:<br />
„Winterstürme wichen dem Wonnemond<br />
In mildem Lichte leuchtet der Lenz“<br />
(zitiert nach Link 1992: 92 ff.; Hervorhebungen von mir).<br />
<strong>Die</strong> lautliche Rekurrenz bezieht sich im ersten Vers auf die hervorgeho-<br />
benen stimmhaften, labialen Frikative [v] und im zweiten auf die Laterale<br />
[l], die jeweils als Anlaute auftreten. Link beschreibt dieses in der Litera-<br />
turwissenschaft als Alliteration oder Stabreim bekannte Stilmittel mit all-<br />
gemeineren Begriffen aus der strukturalen Linguistik, leider jedoch ohne<br />
sich der in der Linguistik zur Charakterisierung von Sprachlauten übli-<br />
chen phonetischen Umschrift zu bedienen:<br />
„Ein Paradigma wird hier von allen mit ‚w’ anlautenden Wörtern gebildet, ein<br />
zweites von allen, mit ‚l’ beginnenden. <strong>Die</strong>se paradigmatische Ordnung wird<br />
zum organisierenden Prinzip <strong>des</strong> Syntagmas erhoben. (...). <strong>Die</strong> Alliteration läßt<br />
sich als Abbildung eines lautlichen Paradigmas auf ein lautliches Syntagma<br />
definieren" (Link 1992: 92).<br />
Im Rückgriff auf das Deautomatisierungsprinzip kann man behaupten,<br />
dass die Häufung gleicher Anlaute in einem kurzen Textabschnitt unge-<br />
wöhnlich und auffällig ist und die Leseraufmerksamkeit dadurch zeitwei-<br />
lig von der semantischen Dekodierung ablenkt. <strong>Die</strong> eigentümliche lautli-<br />
che Struktur verleiht den Syntagmen eine poetische Zusatzqualität. Der<br />
Informationsgehalt einer solchen Textsequenz wird gewissermaßen<br />
durch lautliche Mittel angereichert. <strong>Die</strong> Phoneme verlieren in solchen<br />
Fällen zwar nicht ihre primäre Funktion innerhalb eines Sprachsystems,<br />
nämlich die der Bedeutungsunterscheidung. Aber auf Grund der uner-<br />
warteten Häufung äquivalenter Phoneme tritt deren distinktive Funktion<br />
zurück zugunsten einer Konzentration auf ihre phonetischen (materiel-<br />
len) Eigenschaften. Es handelt sich um einen Konkretisierungs- oder<br />
Versinnlichungsprozess, der der Sequenz eine poetische Relevanz zu-<br />
schreibt. Bei der poetologischen Diagnose bewährt sich das Jakobson-<br />
sche Projektionsprinzip. Phonetisch äquivalente Sprachlaute tauchen in<br />
38
ungewöhnlicher Häufung in einer syntagmatischen Konfiguration auf und<br />
stechen derart ins Ohr, dass eine motivierte funktionale Relevanz anzu-<br />
nehmen ist. Eine zufällige Häufung ist in diesem explizit lyrischen Text-<br />
stück ausgeschlossen.<br />
Auf der phonologischen Ebene ist in diesem Fall die linguistisch durch-<br />
aus umstrittene <strong>Sprache</strong>inheit der Silbe interessant. Bußmann ( 3 2002)<br />
stellt fest, dass die Silbe als „phonetisch-phonologische Grundeinheit<br />
<strong>des</strong> Wortes (...) zwar intuitiv nachweisbar ist, wissenschaftlich aber keine<br />
einheitliche Definition hat“ (Bußmann 3 2002: 600). Eine tiefer gehende<br />
Problematisierung soll hier aber nicht erfolgen (vgl. hierzu Vennemann<br />
1982). Für den Zweck dieser Arbeit genügt es, für das Deutsche das ar-<br />
tikulatorische Kriterium <strong>des</strong> Wortakzents, also <strong>des</strong> erhöhten Schalldrucks<br />
während gewisser Artikulationsphasen eines Wortes, heranzuziehen.<br />
Somit kommt man zu einer Unterscheidung von betonten und unbeton-<br />
ten Silben. Durch ein intentionales, ungewöhnlich regelmäßiges Arran-<br />
gement von betonten und unbetonten Silben können Abschnitte eines<br />
Textes lautlich strukturiert und damit metrisiert werden. <strong>Die</strong>s ist der Fall<br />
in dem bereits oben ausführlich diskutierten Beispiel, das hier nochmals<br />
genannt sei:<br />
Herab, herab der Regen fällt; der Regen, Regen fällt herab.<br />
Auch hier wird eine paradigmatische Ordnung in ungewöhnlicher Weise<br />
auf ein Syntagma abgebildet, nämlich das Paradigma der betonten und<br />
das der unbetonten Silben. Hieraus entsteht ein kommunikatives<br />
Surplus, das als poetisch relevant klassifizierbar ist.<br />
1.2.2. Iteration auf der lexikalischen Ebene<br />
Das wiederholte Auftauchen eines lexikalischen Elements innerhalb ei-<br />
ner Textsequenz ist nicht die Norm. Im Gegenteil wird Schülern oft<br />
Wortwiederholung als Ausdrucksfehler angekreidet, womit das Prinzip<br />
der Wiederholung leider prinzipiell und oft unangemessenerweise in<br />
Misskredit gerät.<br />
39
Im folgenden umgangssprachlichen und streckenweise recht vulgären<br />
Textauszug aus dem Rap-Song Soldier <strong>des</strong> Detroiter Hip-Hop-Poeten<br />
Eminem (= Marshall Mathers) taucht während einer Phase <strong>des</strong> Lie<strong>des</strong><br />
die Präposition off in ungewöhnlicher Häufung auf. <strong>Die</strong>s kann kein Zufall<br />
sein, sondern muss als motiviert angenommen werden:<br />
„I love pissing you off, it gets me off, like my lawyers, when the fucking judge<br />
lets me off, all you motherfuckers got to do is set me off, I violate and the<br />
motherfucking bets be off” (Eminem 2002: Soldier; Hervorhebungen von mir).<br />
An fünf Stellen taucht off als obligatorische Präpositionalergänzung zu<br />
einem Verb auf. Aus dem Text isoliert und durch die deutsche Überset-<br />
zung ergänzt sehen die off-Konstruktionen folgendermaßen aus:<br />
Amerikanisches Englisch Deutsch<br />
to piss some one off jemanden provozieren<br />
to get some one off jemanden sexuell erregen<br />
to let some one off jemanden davonkommen lassen<br />
to set some one/something off etwas/jemanden losgehen lassen (z.B. Bombe)<br />
to be off unwichtig werden/annulliert werden<br />
Tabelle 2: Eminem: Soldier – Partiell synonyme Verben mit präpositionaler Er-<br />
gänzung<br />
Es wäre möglich gewesen andere Verben zu benutzen, die als partielle<br />
Synonyme die gleiche referentielle Information transportieren. Statt piss<br />
off könnte to annoy stehen, statt let off wäre to set free oder to release<br />
denkbar. Allerdings würden diese Alternativen auf Kosten <strong>des</strong> morpholo-<br />
gischen Musters der off-Konstruktionen gehen.<br />
Erneut lässt sich das Jakobsonsche Projektionsprinzip als Erklärung für<br />
eine poetische Motivation der off-Konstruktionen heranziehen. <strong>Die</strong> engli-<br />
schen Verben aus dem morphologischen Paradigma Basisverb + off<br />
werden in ungewohnter Häufigkeit auf der syntagmatischen Achse ver-<br />
teilt. Sie ziehen durch die Wiederholung <strong>des</strong> analogen morphosyntakt-<br />
sche Musters die Aufmerksamkeit auf sich. <strong>Die</strong> relative Regelmäßigkeit<br />
40
der morphologischen Form der Verben auf engem textlichen Raum fügt<br />
ihrer Semantik noch eine Qualität hinzufügt, nämlich eine poetische.<br />
Als subtilerer Sonderfall der lexikalischen Rekurrenz kann die Akkumula-<br />
tion von Lexemen eines speziellen lexikalischen Fel<strong>des</strong> verstanden wer-<br />
den.<br />
Der Lyriker Georg Trakl verwendet dem Gedicht Verfall (entstanden<br />
1909) eine hohe Zahl an Adjektiven, die visuelle/farbliche Beschrei-<br />
bungsqualitäten haben. Sie können dem lexikalischen Feld Farbbe-<br />
schreibungen zugeordnet werden. Sie gehören somit einem Paradigma<br />
an und werden in diesem Gedicht in auffälliger Dichte auf die syntagma-<br />
tische Linearität <strong>des</strong> Textes projiziert.<br />
„Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,<br />
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,<br />
<strong>Die</strong> lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen<br />
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.<br />
Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten<br />
Träum ich nach ihren helleren Geschicken<br />
Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.<br />
So folg ich über Wolken ihren Fahrten.<br />
Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.<br />
<strong>Die</strong> Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.<br />
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,<br />
In<strong>des</strong> wie blasser Kinder To<strong>des</strong>reigen<br />
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,<br />
Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen“<br />
(Trakl 1913: Verfall; Hervorhebungen von mir).<br />
<strong>Die</strong> acht isolierten Adjektive sind:<br />
klar, dämmervoll, hell, rot, rostig, blass, dunkel, blau.<br />
Unabhängig von einer eventuellen Intention <strong>des</strong> Autors kann man fest-<br />
stellen, dass die häufige Nennung entsprechender Farbbezeichnungen<br />
41
in dem kurzen Text den Effekt haben, die Assoziation eines Herbst-<br />
abends zu unterstützen. <strong>Die</strong> Suggestivkraft, die zu einer kognitiven Rep-<br />
räsentation führt (oder zumin<strong>des</strong>t führen kann), liegt in der Häufung der<br />
Farbbezeichnungen, die über den Text verteilt die Aufmerksamkeit auf<br />
sich ziehen.<br />
1.2.3. Inkongruenz auf der morphologischen Ebene<br />
Eine Ausprägung semantischer Inkongruenz, die im Hinblick auf die em-<br />
pirischen Analysen relevant ist, bezieht sich auf den grammatischen Be-<br />
reich der morphologischen Wortbildung. Als Illustrationsbeispiel soll das<br />
Pseudoadjektiv unkaputtbar dienen. Mit dem Attribut unkaputtbar wurden<br />
im Rahmen einer Werbekampagne der Firma Coca Cola in den 80er<br />
Jahren damals neuartige Plastikflaschen beworben, die mittlerweile die<br />
herkömmlichen Glasflaschen abgelöst haben.<br />
<strong>Die</strong> morphologische Analyse ergibt als Basismorphem das Adjektiv -<br />
kaputt- und als Derivationsaffixe das Negationsmorphem un- sowie das<br />
adjektivbildende Suffix -bar.<br />
<strong>Die</strong> Funktion <strong>des</strong> Derivationssuffixes -bar ist im deutschen Wortbildungs-<br />
system allerdings für Adjektivableitungen aus Verben reserviert (vgl. Du-<br />
den 6 1998: § 970 und § 980). Selten dient es auch der Umwandlung von<br />
Substantiven in Adjektive (vgl. Duden 6 1998: § 987). Etwas unkonventio-<br />
nell, formal jedoch korrekt kann man unkaputtbar mit unkaputtmachbar<br />
paraphrasieren. Als standardsprachliches Synonym kann das im Wort-<br />
schatz <strong>des</strong> Deutschen existierende Adjektiv unzerstörbar gelten. <strong>Die</strong>ses<br />
enthält den verbalen lexikalischen Kern -zerstör- und ist zweifelsfrei auf<br />
grammatisch korrekte Weise gebildet.<br />
Während unkaputtbar und unzerstörbar einen identischen semantischen<br />
Sachverhalt behaupten – ob dies in der Tat zutrifft, ist irrelevant –, näm-<br />
lich dass man die Flasche nicht kaputt machen/zerstören kann, wählte<br />
Coca Cola die offensichtliche grammatische Fehlkonstruktion. <strong>Die</strong> Moti-<br />
vation liegt auf der Hand: Man kann zwar den semantischen Gehalt<br />
42
leicht dekodieren, erkennt aber intuitiv, dass an der Form etwas nicht<br />
stimmt. <strong>Die</strong> Aufmerksamkeit <strong>des</strong> Lesers wird notwendig auf die fehlerhaf-<br />
te Form gelenkt, was eine taktische Unterbrechung <strong>des</strong> Rezeptionsvor-<br />
gangs impliziert, die als Deautomatisierung zu bezeichnen ist. Der ge-<br />
wollte grammatische Fehler ist im Sinne der oben angeführten Hypothe-<br />
sen poetisch relevant; er aktiviert die poetische Sprachfunktion.<br />
Man kann Ähnliches auch bei der linguistischen Einheit der Phrase beo-<br />
bachten. In komplexen Wortgruppen wie etwa Nominalgruppen gibt es<br />
zwischen den einzelnen lexikalischen Elementen, aus denen sie zu-<br />
sammengesetzt sind, Abhängigkeitsverhältnisse. In dieser Arbeit werden<br />
die Begriffe Nominalgruppe (abgekürzt: NGr) und Nominalphrase (abge-<br />
kürzt: NP) synonym verwendet.<br />
Bei der im Deutschen gängigen Nominalphrase klirrende Kälte in dem<br />
Satz<br />
Klirrende Kälte machte ihnen das Leben zur Hölle<br />
fordert das Genus femininum von Kälte bei fehlendem Artikel (= in der so<br />
genannten starken Deklination) regelhaft eine spezielle Flexionsendung,<br />
weshalb das Adjektiv klirrend mit dem Flexionsmorphem -e markiert<br />
werden muss (vgl. Rahmstorf 1983: 173; Olsen 1991: 65 ff., Bhatt 1990:<br />
79 ff. und 89 ff. sowie Kniffka 1996: 7 ff.).<br />
Im Falle <strong>des</strong> semantisch äquivalenten maskulinen Substantivs Frost wä-<br />
re der entsprechende Ausgang -er, also analog<br />
Klirrender Frost machte ihnen das Leben zur Hölle.<br />
Offensichtlich fehlerhaft hingegen ist der Satz<br />
*Klirrende Frost machte ihnen das Leben zur Hölle.<br />
In diesem Fall würde der Fehler *klirrende statt korrekt klirrender als for-<br />
male (morphologische) Inkongruenz zu beschreiben sein.<br />
43
1.2.4. Inkongruenz auf der lexikalischen Ebene<br />
Inkongruenz auf der lexikalischen <strong>Sprache</strong>bene liegt vor, wenn in korrekt<br />
gebildeten Wortgruppen (z.B. Nominalguppen) die Bedeutungen der ein-<br />
zelnen Komponenten auf Grund konfligierender semantischer Merkmale<br />
nicht zueinander passen, wenn irgendeine Art von lexikalischer Solidari-<br />
tätsverletzung vorliegt und sich dadurch eine Abweichung zur Norm ma-<br />
nifestiert. Hoffstaedter (1986) betont, dass „eine zentrale Klasse seman-<br />
tischer Abweichungen (...) in der Verletzung von Selektionsrestriktionen“<br />
besteht (Hoffstaedter 1986: 22).<br />
Eine NGr bestehend aus Artikel + attributiv gebrauchtem Adjektiv als Ad-<br />
junkt + Substantiv ist im Deutschen ein Standardsyntagma, so dass sie<br />
im Satz<br />
Das grüne Auto nahm mich mit<br />
selbstverständlich ist. Variiert man aber den Satz zu<br />
*Das wütende Auto nahm mich mit<br />
fällt das Adjektiv wütend auf, weil es das semantische Merkmal [+<br />
menschliche Eigenschaft] enthält, Auto aber nicht ein Element aus der<br />
Kategorie Mensch ist, also in dem semantischen Merkmal [menschlich]<br />
nicht mit wütend übereinstimmt. Sicherlich können neben Menschen<br />
auch Tiere wütend sein. Tierische Wut wird aber in dieser Arbeit keine<br />
Rolle spielen. Der fiktive Umstand, dass in dem Roman Christine (King<br />
1986) ein Auto menschliche Charakterzüge annimmt, wütend wird und<br />
rachevolle Jagd auf Menschen macht, ist originell, aber als Marginalie zu<br />
behandeln.<br />
Zwischen wütend und Auto herrscht in jedem Fall semantische Inkon-<br />
gruenz. Auch hierbei wird der Leseprozess unterbrochen, weil die Kon-<br />
gruenzverletzung als ‚semantischer Fehler’ auffällt und dadurch geson-<br />
derte Aufmerksamkeit beansprucht. Man findet also erneut die Deauto-<br />
matisierung <strong>des</strong> Leseprozesses als Effekt der poetischen Sprachfunktion<br />
bestätigt.<br />
44
Ein im Hinblick auf die empirischen Analysen der Parfumwerbetexte<br />
hochgradig relevanter Spezialfall semantischer Inkongruenz ist das Phä-<br />
nomen der Synästhesie. Daher soll dieses Phänomen im folgenden Ab-<br />
schnitt sowohl aus neuropsychologischer als auch aus semiotischer Per-<br />
spektive ausführlich dargestellt werden.<br />
1.3. Synästhesie – Neuropsychologie vs. <strong>Sprache</strong><br />
Das Phänomen der Synästhesie hat zwei Dimensionen, die aus zwei un-<br />
terschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven beschrieben werden<br />
müssen. Einerseits wird unter Synästhesie eine kognitive Wahrneh-<br />
mungseigentümlichkeit verstanden, die sich in neuralen Strukturen <strong>des</strong><br />
Gehirns von Individuen abspielt und damit in den Wissenschaftsbereich<br />
der Neuropsychologie gehört. Bei neuropsychologischer Synästhesie<br />
handelt es sich um die „(...) Miterregung eines Sinnesorgans bei Reizung<br />
eines anderen (z. B. Farbwahrnehmung bei akustischem Reiz) (...)“ (Du-<br />
den 1982: 743).<br />
Ein terminologisches Detail, das rechtzeitig geklärt werden soll, betrifft<br />
die Unterscheidung der Adjektive neural und neuronal. Ich folge dabei<br />
der Differenzierung von Damasio/Damasio (1992), die feststellen:<br />
„(...) ‚neural’ bedeutet allgemein die Nerven – (...) das Zentralnervensystem –<br />
betreffend, ‚neuronal’ bezieht sich spezifischer auf die Nervenzellen mit ihren<br />
Fortsätzen, die Neuronen“ (Damasio/Damasio 1992: 80).<br />
Da ich mich innerhalb der neuropsychologischen Abschnitte meiner Ar-<br />
beit allgemein mit dem Nervensystem beschäftige und mich weder auf<br />
das Feld der Neurochemie, noch das der Neurophysik begebe, wird das<br />
Adjektiv neuronal kaum verwendet.<br />
Im Bereich der <strong>Sprache</strong> hingegen kann man Synästhesie beschreiben,<br />
als eine spezielle Ausprägung uneigentlichen, metaphorischen Sprach-<br />
gebrauchs. Es geht dabei um „(...) durch sprachlichen Ausdruck hervor-<br />
gerufene Verschmelzung mehrerer Sinneseindrücke (z. B. schreien<strong>des</strong><br />
Grün) (...)“ (Duden 1982: 743). Dabei werden Lexeme kombiniert, die –<br />
45
wie im obigen Beispiel klirrende Kälte – auf Entitäten referieren, welche<br />
aus unterschiedlichen Sinnesbereichen stammen, die also bezüglich ih-<br />
res perzeptorischen Referenzbereiches inkongruent sind.<br />
1.3.1. Synästhesie unter der Perspektive der Neuropsychologie<br />
Wenn man sich mit dem Phänomen der Synästhesie befasst, muss man<br />
vorab klären, wie viele ‚Sinne’ der Mensch eigentlich hat. Das Problem<br />
der Klassifizierung der menschlichen Sinneswahrnehmung ist nämlich<br />
keineswegs trivial (vgl. die Überblicksdarstellung in Zimmer 9 2001: 55<br />
ff.). <strong>Die</strong> Anzahl der verschiedenen Sinnesmodalitäten oder Sinnessyste-<br />
me divergiert zum Teil erheblich, je nachdem welche Klassifizierungskri-<br />
terien man zu Grunde legt.<br />
<strong>Die</strong> herkömmliche, schon bei Aristoteles anzutreffende, Unterteilung in<br />
die ‚klassischen’ fünf Sinne (Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tas-<br />
ten), die sich an den sichtbaren Sinnesorganen Augen, Ohren, Mund,<br />
Nase, Haut orientiert, basiert auf der Intuition <strong>des</strong> common sense. Sie<br />
kann aber keineswegs als wissenschaftlich fundiert gelten. Stadler (et al.<br />
1975) sprechen bei ihrer psychologisch ausgerichteten Klassifizierung<br />
von „Sinnesgebieten“ und kommen auf eine Zahl von 13:<br />
46
Sinnesgebiete<br />
1 Gesichtssinn<br />
2 Gehör<br />
3 Tastsinn<br />
4 Geruchssinn<br />
5 Geschmackssinn<br />
6 Druck- und Berührungssinn<br />
7 Temperatursinn<br />
8 Schmerzsinn<br />
9 Organempfindungen<br />
10 Stellungssinn<br />
11 Spannungs-, Kraftsinn<br />
12 Lage- und Bewegungssinn<br />
13 Drehbewegungssinn<br />
Tabelle 3: Klassifikation der Sinnesgebiete nach Stadler (et al. 1975: 80 f.)<br />
Der Anthroposoph Rudolf Steiner (Steiner 2 1981), der von zwölf Sinnen<br />
ausgeht, bezieht in seine Konzeption Kategorien ein, die über die eigene<br />
Körperlichkeit hinausgehen. Er nimmt zusäzlich noch einen „Lebens-<br />
sinn“, einen „Sprach- und Wortsinn“ einen „Gedankensinn“ und einen<br />
„Ichsinn“ an (Steiner 2 1981: 45). <strong>Die</strong>ser Ansatz hat sich zwar fest in der<br />
pädagogischen Konzeption der Waldorfschulen etabliert, spielt aber im<br />
sinnesphysiologischen und wahrnehmungspsychologischen Diskurs der<br />
Kognitionswissenschaften keine Rolle (vgl. Zimmer 9 2001: 57).<br />
Als weitere Grundlage <strong>des</strong> empirischen Teils dieser Dissertation beziehe<br />
ich mich auf ein Klassifikationssystem mit sieben Perzeptionskategorien,<br />
das Renate Zimmer vorschlägt und das in Tabelle 4 (mit geringfügigen<br />
Verkürzungen) dargestellt ist. Sie spricht bei ihrer Unterteilung von Sin-<br />
nessystemen und legt dabei physiologische Kriterien zu Grunde (ver-<br />
schiedenartige Rezeptorzellen), physikalische (verschiedenartige Arten<br />
47
adäquater Stimuli) und psychologische (die Art der gewonnenen Infor-<br />
mation). <br />
Sinnes-<br />
system<br />
1 Visuelles<br />
System<br />
2 Auditives<br />
System<br />
3 Taktiles<br />
System<br />
4 Kinästheti-<br />
sches<br />
System<br />
5 Vestibulä-<br />
res<br />
System<br />
Sinnes-<br />
organ<br />
Augen Lichtwellen<br />
Reiz Rezeptoren Gewonnene<br />
Ohren Schalldruck-<br />
Haut,<br />
Hand,<br />
Mund<br />
Sehnen,<br />
Muskeln,<br />
Gelenke<br />
Vestibu-<br />
lar-<br />
appparat <br />
wellen<br />
Mechanische<br />
Reize,<br />
Hautberührung<br />
Muskelkontrak-<br />
tion, <br />
Eigenbewe-<br />
gung<br />
Lineare<br />
Beschleuni-<br />
gung, <br />
Winkelbe-<br />
schleunigung<br />
48<br />
Photorezeptoren<br />
Mechanorezep-<br />
toren<br />
(akustische Re-<br />
zeptoren)<br />
Berührungs- und<br />
Temperaturre-<br />
zeptoren, <br />
Mechanorezep-<br />
toren<br />
Propriozeptoren<br />
Mechanorezep-<br />
toren<br />
Information<br />
Helligkeit, Farben,<br />
Form, Beurteilung<br />
und Lage von Ob-<br />
jekten und Lebewe-<br />
sen<br />
Tonhöhe, Klänge,<br />
Lautstärke, Geräu-<br />
sche, <strong>Sprache</strong>, Art<br />
und Ort von Schall-<br />
ereignissen<br />
Größe, Form, Kon-<br />
sistenz,Oberflä- chenbeschaffenheit<br />
von Objekten, Tem-<br />
peratur<br />
Stellung der Körper-<br />
teile zueinander,<br />
Muskelspannung,<br />
Kraft <strong>des</strong> eigenen<br />
Körpers, Gewicht<br />
von Objekten<br />
Lage und Orientie-<br />
rung im Raum, Be-<br />
schleunigung <strong>des</strong><br />
eigenen Körpers,<br />
Gleichgewichtsemp-<br />
findungen
6 Gustatori-<br />
sches<br />
System<br />
7 Olfaktori-<br />
sches<br />
System<br />
Mund,<br />
Zunge,<br />
Mundhöh-<br />
le,<br />
Gaumen<br />
Nase,<br />
Nasen-<br />
höhle<br />
Chemische<br />
Reize<br />
Gasförmige,<br />
chemische<br />
Verbindungen<br />
49<br />
Chemorezepto-<br />
ren, <br />
Mechanorezep-<br />
toren, <br />
Geschmacks-<br />
knospen <br />
Chemorezepto-<br />
ren,<br />
Riechzellen<br />
Nahrungskontrolle,<br />
Steuerung der Nah-<br />
rungsaufnahme und<br />
–verarbeitung<br />
Umweltkontrolle,<br />
Hygiene, Nahrungs-<br />
kontrolle<br />
Tabelle 4: Klassifikationssystem der Sinneswahrnehmung (nach Zimmer 9 2001:<br />
80 f.)<br />
<strong>Die</strong> Integration der Kriterien aus unterschiedlichen Wissenschaftsberei-<br />
chen scheint mir eine kluge Herangehensweise zu sein, bei der mög-<br />
lichst viele Aspekte <strong>des</strong> äußerst komplexen Vorgangs der Sinneswahr-<br />
nehmung berücksichtigt werden.<br />
Trotz der wissenschaftlich sinnvollen analytischen Aufgliederung <strong>des</strong> ge-<br />
samten Wahrnehmungssystems in sieben Subsysteme betont die Auto-<br />
rin nachdrücklich, dass „die Trennung der einzelnen Sinnessysteme (...)<br />
natürlich nicht der Realität [entspricht] – in Wirklichkeit arbeiten die Sin-<br />
nessysteme zusammen, und meistens gewinnen wir Informationen aus<br />
unserer Umwelt über mehrere Sinneskanäle. Für das Verständnis der<br />
Bedeutung der Sinneswahrnehmung kann es jedoch sehr hilfreich sein,<br />
sich der Funktionsweise einzelner Prozesse bewußt zu werden und auch<br />
in der Praxis ist es sinnvoll die Sinne wieder stärker ins Bewußtsein<br />
kommen zu lassen, die im Alltag von dominanteren Systemen überdeckt<br />
werden“ (Zimmer 2001: 59).<br />
Obwohl Zimmers 7-er-Klassifikation im Prinzip einleuchtet, fasse ich für<br />
meine Zwecke die Kategorien kinästhetisches System und vestibulares<br />
System zur Kategorie kinästhetischen Wahrnehmung zusammen. Beide<br />
Subsysteme liefern dem Gehirn derart ähnliche, nämlich auf die Bewe-<br />
gung <strong>des</strong> Körpers bezogene Information, dass eine Unterscheidung hier<br />
als unangemessen subtil erscheint. Bei den Ausführungen über Synäs-
thesie sowie im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird daher eine Differen-<br />
zierung <strong>des</strong> Sinnesapparates in sechs Sinnesmodalitäten angenommen.<br />
Synästhesie (englisch: synesthesia) im kognitiven Sinne ist eine außer-<br />
gewöhnliche und recht selten vorkommende Wahrnehmungsfähigkeit.<br />
„The word synesthesia comes from the Greek syn (union) and aisthesis (sen-<br />
sation), literally a joining of the senses“ (Cytowic 1989: 1).<br />
Sie „wird auch als ‚Vermischung der Sinne’ bezeichnet. Darunter ver-<br />
steht man, dass es bei Stimulation einer Sinnesqualität – beispielsweise<br />
<strong>des</strong> Hörens oder <strong>des</strong> Riechens – zusätzlich in einer anderen Sinnesqua-<br />
lität, wie dem Sehen von Farben oder von geometrischen Figuren, zu<br />
einer Sinneswahrnehmung kommt“ (Emrich et al. 2000: 11).<br />
Menschen, die eine synästhetische Wahrnehmungsfähigkeit haben,<br />
nennt man Synästhetiker (englisch: synesthetes). Das häufigste synäs-<br />
thetische Phänomen ist „das so genannte (...) Farbenhören (...). Dabei<br />
führen Geräusche, Musik, Stimmen, ausgesprochene Buchstaben und<br />
Zahlen typischerweise zur Wahrnehmung bewegter Farben und Formen“<br />
(Emrich et al. 2002: 11). Ein Synästhetiker, der über die Fähigkeit <strong>des</strong><br />
Farbenhörens verfügt, sieht gewissermaßen die Töne. Aber es gibt auch<br />
diverse andere Kombinationen der verschiedenen Wahrnehmungsmoda-<br />
litäten.<br />
„Seltenere Formen von Synästhesie sind Farbvisionen beim Wahrnehmen von<br />
Gerüchen (Farben-Riechen) sowie das Sehen von Farben oder das Fühlen<br />
von Formen beim Schmecken. Vereinzelt wird auch berichtet (...) von Phäno-<br />
menen wie Formenhören (beim Hören von Klängen werden spezifische For-<br />
men gesehen oder taktile Empfindungen auf der Haut gespürt) (...)<br />
(Kneip/Jewanski 2002: 20).<br />
Man kann also verallgemeinernd sagen, dass Synästhetiker die Eigen-<br />
schaft zu einer pluralistischen oder intermodalen Wahrnehmung haben.<br />
<strong>Die</strong> kognitive Integration ihrer einzelnen Wahrnehmungssysteme ist of-<br />
fensichtlich anders organisiert als bei Menschen, denen diese Eigen-<br />
schaft fehlt, was (leider) auf die meisten von uns zutrifft. <strong>Die</strong> einzelnen<br />
Sinnesmodalitäten sind auf neurologischer Ebene nicht eindeutig gegen-<br />
einander abgegrenzt, so dass es zu kategorialen Vermischungen oder<br />
50
Überlappungen kommen kann. Über das neuropsychologische Zustan-<br />
dekommen synästhetischer Wahrnehmung im Laufe der Ontogenese<br />
gibt es unterschiedliche Auffassungen. <strong>Die</strong>se theoretische Diskussion ist<br />
hochinteressant, kann aber hier nicht referiert werden (vgl. dazu<br />
Kneip/Jewanski 2002: 21 ff.).<br />
Was die Häufigkeit <strong>des</strong> Auftretens von Synästhesie angeht, herrschen<br />
innerhalb der Forschung stark divergierende Zahlen. Man liest von Ver-<br />
hältnissen (Synästhetiker : Nicht-Synästhetiker) von 1 : 5.000 bis 1 :<br />
25.000 (vgl. Kneip/Jewanski 2002: 11).<br />
Synästhetische Eigenschaften, die in ihren individuellen Ausprägungen<br />
hochgradig variabel sind, gehören als festverankerte Charaktereigen-<br />
schaft zur Persönlichkeit <strong>des</strong> Synästhetikers und zeichnen sich durch<br />
eine lebenslange Stabilität aus. Cytowic (1989) stellt fest:<br />
„The synesthesiae change little, if at all, over the course of their lifetime and<br />
there is little that they [the synesthetes] can do to intensify or minimize the<br />
sense” (Cytowic 1989: 41).<br />
Experimente haben hierüber hinaus die neurophysiologische Authentizi-<br />
tät der Synästhesie belegt und sogar diejenigen Gehirnareale lokalisiert,<br />
in denen sie sich neuronal abspielt. Emrich (et al. 2002) berichten von<br />
Untersuchungen, die auf einem elektrophysiologischen Versuchsverfah-<br />
ren basieren. Dabei wurden in Elektroenzephalogrammen (EEG) von<br />
Synästhetikern so genannte „ereigniskorrelierte Potenziale (EKP)“ beo-<br />
bachtet (Emrich et al. 2002: 47). <strong>Die</strong>s „sind Schwankungen in einem<br />
Hirnstrombild (...), die an ein bestimmtes Ereignis wie einen Sinnesreiz<br />
gekoppelt sind und zu diesem synchron verlaufen“ (ibidem). Es konnten<br />
bei Synästhetikern in der Großhirnrinde (= zerebraler Neocortex), ge-<br />
nauer gesagt „im Stirnlappenbereich auffällige Potenziale im 400-<br />
Millisekunden-Rhythmus [gemessen werden], die mit den Reizen auftra-<br />
ten“ (Emrich et al. 2002: 48).<br />
<strong>Die</strong> Großhirnrinde besteht aus zwei Hemisphären (links und rechts), die<br />
ihrerseits in vier anatomisch zu unterscheidende Bereiche aufgeteilt<br />
werden, in den Stirnlappen (lobus frontalis/frontal lobe), den Schläfen-<br />
lappen (lobus temporalis/temporal lobe), den Scheitellappen (lobus pa-<br />
51
ietalis/parietal lobe) und den Hinterhauptslappen (lobus occipita-<br />
lis/occipital lobe). <strong>Die</strong>se Untergliederung <strong>des</strong> Neocortex ist in Abbildung<br />
1 der Farbtafel im Anhang dargestellt. <strong>Die</strong> präfrontale Hirnrinde, die für<br />
synästhetische Wahrnehmung maßgeblich ist, bildet einen Teil <strong>des</strong> Stirn-<br />
lappens und befindet sich hinter dem linken Auge.<br />
Harrison/Baron-Cohen (1997) führen andere bildgebende Verfahren ze-<br />
rebraler Aktivitäten an wie die positron emission tomography (PET) und<br />
das functional magnetic resonance imaging (fMRI). <strong>Die</strong>se bieten eben-<br />
falls „an opportunity to image the brains of individuals with synaesthesia<br />
in vivo (...).” (Harrison/Baron-Cohen 1997: 6). Sie schlussfolgern:<br />
„Given the marked consistency of patterns of activation in synaesthetes (…), it<br />
might ultimately prove possible to determine the presence of synaesthesia ob-<br />
jectively” (ibidem).<br />
Harrison/Baron-Cohen (1997) unterscheiden bei den neurophysiologisch<br />
objektiv messbaren Formen von Synästhesie drei verschiedene Unter-<br />
gruppen:<br />
die originäre Synästhesie, die sie als „developmental synaesthesia“<br />
(Harrison/Baron-Cohen 1997: 7) oder auch „genuine synaesthesia“<br />
(ibidem) bezeichnen,<br />
die „synaesthesia caused by neurological disfunction” (ibidem), die<br />
beispielsweise als Begleiterscheinung der Alzheimer-Krankheit auf-<br />
treten kann und<br />
die „synaesthesia as a consequence of psychoactive drug use” (i-<br />
bidem), die man durch den Konsum psychedelischer Substanzen<br />
wie LSD inszenieren kann. Derartige Wahrnehmungserlebnisse<br />
schildert übrigens der britische Autor Aldous Huxley (1894-1963) in<br />
seinem Buch <strong>Die</strong> Pforten der Wahrnehmung (vgl. Huxley 5 1974).<br />
In den nächsten Abschnitten sollen noch einige neurophysiologische<br />
Grundbegriffe erläutert werden, die für sowohl für das neuropsychologi-<br />
sche als auch für das linguistisch-semiotische Verständnis synästheti-<br />
scher Phänomene relevant sind.<br />
52
1.3.1.1. Limbisches System und Neocortex<br />
Wie eben gezeigt wurde, spielt bei der neurophysiologischen Lokalisati-<br />
on von Synästhesiephänomenen der präfrontale Cortex eine zentrale<br />
Rolle. Interessanterweise ist der präfrontale Cortex genau die Hirnregion,<br />
in der offenbar Informationen der Großhirnrinde mit der <strong>des</strong> so genann-<br />
ten limbischen Systems verknüpft werden (vgl. Emrich et al. 2002: 48).<br />
Das Verhältnis zwischen Neocortex und den Gehirnteilen, die üblicher-<br />
weise unter dem Begriff limbisches System zusammengefasst werden,<br />
ist für die Argumentationslinie dieser Arbeit ausgesprochen wichtig und<br />
soll daher intensiv beleuchtet werden. In einer ersten groben Differenzie-<br />
rung kann man behaupten, dass die Großhirnrinde, also der Neocortex,<br />
für alle kognitiven Prozesse zuständig ist, die wir unter dem Begriff Be-<br />
wusstsein zusammenfassen. Demgegenüber steht das Konzept limbi-<br />
sches System für die nicht bewusst steuerbaren Abläufe im menschli-<br />
chen Organismus. Im Folgenden wird zunächst das Verhältnis zwischen<br />
limbischem System und der Verarbeitung von emotionalen Zuständen im<br />
Gehirn behandelt. Danach wird ein Bezug hergestellt zwischen dem lim-<br />
bischen System und der Geruchswahrnehmung und schließlich wird die<br />
Rolle <strong>des</strong> Neocortex bei der Produktion und Rezeption von <strong>Sprache</strong> the-<br />
matisiert.<br />
1.3.1.2. Limbisches System und Emotion<br />
„Als ‚limbisches System’ werden Strukturen im Gehirn bezeichnet, die das ve-<br />
getative (Eingeweide-)Nervensystem kontrollieren und die Reaktionen innerer<br />
Organe sowie unsere Motivation und Emotion koordinieren. Das limbische<br />
System ist damit an allen Verhaltens- und Denkprozessen beteiligt. Gefühle<br />
wie Angst, Wut, Aggression, Lust aber auch Lernprozess und Gedächtnisfunk-<br />
tionen werden durch das limbische System stark beeinflusst“ (Emrich et al:<br />
2002: 25 f.).<br />
53
<strong>Die</strong> anatomisch gut zu identifizierenden Teile, die das so genannte limbi-<br />
sche System (von lat. limbus/limbi = Saum, Bordüre; eigentlich ‚das He-<br />
rabhängende’; vgl. Langenscheidt 1963: 311) konstituieren, liegen unter-<br />
halb <strong>des</strong> Neocortex, der sich seinerseits unmittelbar unter der Schädel-<br />
decke befindet.<br />
<strong>Die</strong> Darstellung <strong>des</strong> limbischen Systems folgt Bear (et al. 2 2001: 584 ff.),<br />
Emrich (et al. 2002: 25 f.), MacLean (1996: 451 ff.) und Luft (et al. 1997:<br />
Stichwort Paleocortex) und Arbib (et al. 1998: 5 ff.).<br />
Zum limbischen System werden folgende Komponenten gerechnet:<br />
der Gyrus cinguli (cingulate cortex), ein Teil <strong>des</strong> Paloecortex, der<br />
auch als Riechhirn bezeichnet wird.<br />
Der Paloecortex ist eine aus nur drei bis vier Zellschichten bestehende<br />
und evolutionsgeschichtlich ältere Hirnrindenschicht. Sie liegt klar abge-<br />
grenzt unterhalb <strong>des</strong> phylogenetisch jüngeren Neocortex, der seinerseits<br />
aus sechs und mehr Zellschichten aufgebaut ist (vgl. Luft et al.: Stichwort<br />
Paleocortex). <strong>Die</strong> Angaben zur Histologie <strong>des</strong> Paleocortex bzw. <strong>des</strong><br />
Riechhirns sind widersprüchlich. Bear (et al. 2 2001) sprechen bezüglich<br />
<strong>des</strong> „olfatory cortex“ von einem „type of cortex that has only two cell lay-<br />
ers” (Bear et al. 2 2001: 194). <strong>Die</strong> histologischen Detailfragen sind für die-<br />
se Arbeit nicht entscheidend. Wichtig ist nur, dass man Paleocortex und<br />
Neocortex sowohl anatomisch als auch physiologisch (funktional) von-<br />
einander trennen kann.<br />
Während der Gyrus cinguli, der den Hirnstamm von oben umwölbt, zu<br />
den rindenartigen (= kortikalen) Gewebestrukturen <strong>des</strong> Großhirns zählt,<br />
liegen die anderen Teile <strong>des</strong> limbischen Systems weiter unterhalb im<br />
Zentrum <strong>des</strong> Schädels, weshalb sie zusammenfassend auch als subkor-<br />
tikale Strukturen bezeichnet werden. Hierbei sind vor allem zu nennen:<br />
der Hippocampus, der die Wölbung um den Hirnstamm nach unten<br />
hin weiterführt und mit dem Gyrus cinguli und dem Hippocampus<br />
den so genannten limbic lobe bildet, <strong>des</strong>sen histologische Beson-<br />
derheit Paul Broca bereits 1878 beschrieb (vgl. Bear et al. 2 2001:<br />
584),<br />
der vordere Teil <strong>des</strong> Thalamus,<br />
54
der Hypothalamus,<br />
der Fornix (ein bogenartiges Bündel von Nervenfasern).<br />
<strong>Die</strong>se Gehirnteile bilden zusammen mit dem Hippocampus und dem Gy-<br />
rus cinguli den so genannten Papez-Kreis (englisch: Papez circuit; be-<br />
nannt nach dem amerikanischen Neurologen James Papez), „a circuit of<br />
anatomical structures interconnecting the hypothalamus and cortex,<br />
which Papez proposed to be an emotion system” (Bear et al. 2 2001:<br />
822).<br />
Weiterhin sind zu nennen<br />
die Amygdala (Mandelkern) und schließlich<br />
der Bulbus olfactorius (Riechkolben).<br />
<strong>Die</strong> wichtigsten Teile <strong>des</strong> limbischen Systems sind in Abbildung 2 der<br />
Farbtafel im Anhang zu sehen. Leider lassen sich nicht alle Bestandteile<br />
gleichzeitig darstellen.<br />
Obwohl die Bezeichnung limbisches System in der Gehirnforschung fest<br />
etabliert und <strong>des</strong>sen Beteiligung an der Verarbeitung emotionaler Pro-<br />
zesse unumstritten ist, weisen Bear (et al. 2 2001) zurecht darauf hin,<br />
dass eine eindimensionale Identifikation von limbischem System mit<br />
Emotionsverarbeitung problematisch ist. Der Begriff System suggeriert<br />
eine anatomische und funktionale Einheit, die der organisatorischen<br />
Komplexität <strong>des</strong> Gehirns nicht gerecht wird, sondern diese unzulässi-<br />
gerweise vereinfacht (vgl. Bear et al. 2 2001: 584 und 588). Sie betonen<br />
daher, gestützt auf experimentelle Erkenntnisse, dass „solid evidence<br />
indicates that some structures involved in emotion are also involved in<br />
other functions; there is no one-to-one relationship between structure<br />
and function” (Bear et al. 2 2001: 588).<br />
Das Konzept limbisches System sollte also eher als ein funktionales<br />
Konsortium verschiedener Gehirnteile verstanden werden, die an der ze-<br />
rebralen Verarbeitung von Emotionen zwar entscheidenden Anteil ha-<br />
ben, aber auch in vielen anderen neuralen Subsystemen eine Rolle spie-<br />
len.<br />
55
1.3.1.3. Limbisches System und Olfaktorik<br />
Im speziellen Zusammenhang dieser Arbeit, die letztlich immer wieder<br />
um das Problem der Versprachlichung von Geruchswahrnehmungen<br />
kreist, sind die vorigen Ausführungen <strong>des</strong>halb so interessant, weil die<br />
primäre Verarbeitung von Geruchsreizen ebenfalls in genau den Gehirn-<br />
teilen geleistet wird, die zum limbischen System gerechnet werden (vgl.<br />
Bear et al. 2 2001: 584).<br />
<strong>Die</strong> zerebrale Topografie <strong>des</strong> Riechsystems ist in Abbildung 3 der Farb-<br />
tafel im Anhang dargestellt. Der Vergleich der Abbildungen 2 und 3 zeigt<br />
die offensichtlichen anatomischen Überlappungen von limbischem Sys-<br />
tem und Riechsystem.<br />
Der oben bereits im Zusammenhang mit der Anatomie <strong>des</strong> limbischen<br />
Systems erwähnte Paleocortex „ist das Riechhirn und besteht aus der<br />
Riechbahn und den unmittelbar angrenzenden Strukturen. Neben der<br />
primären Funktion als Riechzentrum beteiligen sich paleokortikale Areale<br />
an Entstehung und Ausdruck emotionalen Verhaltens. (...). Der Paleo-<br />
cortex besitzt enge Verbindungen zu subkortikalen Strukturen wie dem<br />
Hypothalamus (vegetatives Zentrum), was die Beziehung zwischen emo-<br />
tionalem und vegetativem System zeigt“ (Luft et al. 1997: Stichwort Pa-<br />
leocortex).<br />
<strong>Die</strong>ser Hirnrindentyp kommt zwar in allen Säugetieren vor, ist aber ver-<br />
glichen mit dem Neocortex relativ einfach gebaut.<br />
„It is called the olfactory cortex, because it is continuous with the olfactory<br />
bulb, which sits further anterior. The olfactory cortex is separated (…) from (…)<br />
the neocortex, which has many cell layers” (Bear et al. 2 2001: 194 f.).<br />
Geruchssignale, die die olfaktorischen Rezeptorzellen in der Nasen-<br />
schleimhaut registrieren, konvergieren im Riechkolben (bulbus olfactori-<br />
us, vgl. Abbildung 3 der Farbtafel im Anhang), der bereits als Teil <strong>des</strong><br />
limbischen Systems angesehen wird.<br />
„<strong>Die</strong> Axone der olfaktorischen Rezeptorzellen ziehen in Bündeln (Filia olfacto-<br />
ria) (...) zum Bulbus olfactorius derselben Hirnhemisphäre. (...). Hierbei kommt<br />
es zu einer deutlichen Reduktion der Duftinformationskanäle. (...). Alle Befun-<br />
56
de sprechen dafür, daß hauptsächlich hier, im Bulbus olfactorius (...) die durch<br />
Duftreize ausgelösten Impulsmuster der Rezeptorzellen verarbeitet, analysiert<br />
und möglicherweise auch schon ‚entschlüsselt’ werden, während die eigentli-<br />
chen Riechempfindungen wahrscheinlich erst in höheren (kortikalen) Hirnzent-<br />
ren entstehen“ (Burdach 1988: 22).<br />
<strong>Die</strong> Vorverarbeitung der Geruchsimpulse im Bulbus olfactorius bedeutet,<br />
dass sie bereits einen Effekt auf den menschlichen Organismus haben,<br />
bevor sie im Neocortex überhaupt bewusst als Geruch wahrgenommen<br />
werden. Vom Bulbus olfactorius werden die gebündelten Impulse direkt<br />
durch die Riechbahn (tractus olfactorius) weitergeleitet in eine unterhalb<br />
<strong>des</strong> Neocortex liegende Hirnrindenschicht (Gyrus cingulus), die wie oben<br />
dargestellt ebenfalls zum limbischen System gerechnet und auch als<br />
Riechhirn bezeichnet wird.<br />
„Each olfactory tract projects directly into the primitive regions of the cerebral<br />
cortex; from here information passes to the thalamus before projecting to the<br />
neocortex” Bear et al. 2 2001: 275).<br />
Der Thalamus, <strong>des</strong>sen vorderer Kern ebenfalls zum limbischen System<br />
gerechnet wird, spielt in der Vermittlung zwischen eingehenden Sinnes-<br />
reizen und der bewussten Wahrnehmung dieser Reize als Empfindung<br />
eine besondere Rolle, er ist „the gateway to the neocortex“ (Bear et al.<br />
2 2001: 195). Aber während die Nervenbahnen aller anderen Sinnessys-<br />
teme zuerst durch den Thalamus und dann in den Neocortex führen, bil-<br />
det der Geruchssinn hier eine entscheidende Ausnahme. Bevor die ol-<br />
faktorischen Signale den Thalamus passieren und im Neocortex an-<br />
kommen, wurden sie schon im olfaktorischen Cortex verarbeitet und ste-<br />
hen damit dem Organismus als vorbewusste Information zur Verfügung.<br />
1.3.1.4. Neocortex und <strong>Sprache</strong><br />
Im vorangegangenen Abschnitt stand das limbische System im Zentrum<br />
<strong>des</strong> Interesses. Es wurde dargelegt, dass zwischen den Gehirnteilen, die<br />
an der Verarbeitung emotionaler Prozesse beteiligt sind und denen, die<br />
57
das olfaktorische Wahrnehmungssystem bilden, sowohl anatomische als<br />
auch funktionale Zusammenhänge bestehen.<br />
Nun soll die Großhirnrinde in den Mittelpunkt rücken und zwar mit dem<br />
speziellen Fokus auf die Hirnareale, die für die kognitive Verarbeitung<br />
von <strong>Sprache</strong> zuständig sind. <strong>Die</strong> zerebrale Sprachverarbeitung ist unge-<br />
heurer komplex und kann hier nicht erschöpfend behandelt werden. Es<br />
wird hier nur ein grober Überblick gegeben, der zur Orientierung für die<br />
spätere Problematisierung <strong>des</strong> Verhältnisses <strong>Sprache</strong> – Geruch – Emo-<br />
tion gedacht ist. Sprachrezeption und –produktion finden im Neocortex<br />
statt, der äußersten Hirnrindenschicht, die im homo sapiens sapiens ihr<br />
evolutionär elaboriertestes Stadium erreicht hat. Bear (et al. 2 2001)<br />
schreiben über den Zusammenhang von <strong>Sprache</strong> und Gehirn:<br />
„Our use of language – the fact that we have a brain sophisticated enough for<br />
language – is one of the key features that distinguishes humans from other<br />
animals (...). More than just sounds, language is a system by which sounds,<br />
symbols, and gestures are used for communication” (Bear et al. 2 2001: 639).<br />
Wie neurophysiologische Tests ergeben haben, ist bei 96% aller<br />
Rechtshänder und bei 70% aller Linkshänder die linke Hirnhemisphäre<br />
dominant für Sprachprozesse (vgl. Bear et al. 2 2001: 641). In ihr liegen<br />
die beiden Sprachzentren, für die sich in der neurolinguistischen Literatur<br />
die Termini Broca’s area (Broca-Zentrum) und Wernicke’s area (Werni-<br />
cke-Zentrum) etabliert haben. Sie sind benannt nach den Gehirnfor-<br />
schern Paul Broca (1824-1880) und Karl Wernicke (1848-1905), die die<br />
in Abbildung 4 der Farbtafel im Anhang dargestellten Sprachzentren<br />
1863 beziehungsweise 1874 entdeckt haben.<br />
<strong>Die</strong> eindeutige Lokalisierung und funktionale Abgrenzung dieser Areale<br />
ist allerdings schwieriger als die vereinfachte Abbildung zeigt. Bear (et al.<br />
2 2001) betonen daher zurecht:<br />
„Although the terms Broca’s area and Wernicke’s area are still commonly u-<br />
sed, the boundaries of these areas are not clearly defined, and they appear to<br />
be quite variable from one person to the next. Furthermore, each area may be<br />
involved in more than one language function” (Bear et al. 2 2001: 642).<br />
58
<strong>Die</strong> Erkenntnisse zur zerebralen Topografie der Sprachzentren stammen<br />
im Wesentlichen aus der Aphasieforschung, also aus dem Bereich der<br />
Sprachpathologie (Patholinguistik). Als Aphasie wird der auf Schädigun-<br />
gen <strong>des</strong> Gehirns (Läsionen) zurückzuführende komplette oder teilweise<br />
Verlust der Sprachfähigkeit verstanden. Oftmals sind andere, nicht-<br />
sprachliche kognitive Leistungen dabei nicht in Mitleidenschaft gezogen<br />
(vgl. Bear et al. 2 2001: 640; einen umfassenden Überblick über die ver-<br />
schiedenen Formen der Aphasie geben Kessler et al. 2003).<br />
Heutzutage können auch mit Hilfe der Positronenemissionstomografie<br />
(PET) Aufschlüsse über Gehirnbereiche gewonnen werden, die an spezi-<br />
fischen Sprachverarbeitungsprozessen beteiligt sind (vgl. Posner/Raichle<br />
1994: 115).<br />
Generell kann man über die Funktion der beiden Sprachzentren Folgen-<br />
<strong>des</strong> sagen:<br />
Das Wenicke-Sprachfeld wird als das sensorische Sprachzentrum be-<br />
zeichnet, das für die Rezeption von <strong>Sprache</strong> zuständig ist. Es ist Teil <strong>des</strong><br />
Schläfenlappens und weist starke neurale Verbindungen mit dem direkt<br />
neben ihm liegenden Hirnrindenbereich auf, der akustisch eingehende<br />
Signale verarbeitet (auditory cortex). Das „Wernicke-Sprachfeld verarbei-<br />
tet und assoziiert semantische Inhalte der <strong>Sprache</strong>“ (Luft 1997: Stichwort<br />
<strong>Sprache</strong> – Strukturen und Verschaltungen). Bei einer so genannten<br />
Wernicke-Aphasie ist typischerweise das sprachliche Verständnis stark<br />
eingeschränkt, während oft eine flüssige, grammatisch korrekte Sprach-<br />
produktion möglich ist, die aber starke semantische Fehler aufweist (vgl.<br />
Bußmann 3 2002: 86).<br />
Das Broca-Sprachfeld ist das motorische Sprachzentrum, das für die<br />
Sprachproduktion zuständig ist. Es ist Teil <strong>des</strong> Stirnlappens und zeigt<br />
vielfache neurale Verbindungen zu den unmittelbar benachbarten Hirn-<br />
rindenbereichen, in denen die motorische Beweglichkeit <strong>des</strong> Mun<strong>des</strong><br />
und der Lippen koordiniert wird (vgl. Luft 1997: Stichwort <strong>Sprache</strong> –<br />
Strukturen und Verschaltungen). Man kann hierüber hinaus sagen, dass<br />
das „Broca-Sprachfeld (...) an der syntaktischen Umsetzung <strong>des</strong> seman-<br />
tischen Ko<strong>des</strong> aus dem Wernicke-Sprachfeld beteiligt“ ist (ibidem). Bei<br />
59
einer so genannten Broca-Aphasie ist es typisch, dass das Verständnis<br />
der Betroffenen für einzelne Wörter großenteils intakt bleibt, während ih-<br />
re Aussprache stockend und auch die Grammatikalität der Äußerungen<br />
stark beeinträchtigt ist (vgl. Bear et al. 2 2001: 642 f.).<br />
1.3.2. Synästhesie unter der Perspektive der Semiotik und Linguis-<br />
tik<br />
Während im vorigen Abschnitt das Phänomen der Synästhesie aus neu-<br />
ropsychologischer Perspektive betrachtet wurde und <strong>des</strong>sen neurophy-<br />
siologische Grundlagen skizziert wurden, soll sie nun aus semiotischer<br />
Perspektive im Allgemeinen und aus linguistischer Perspektive im Be-<br />
sonderen beleuchtet werden. Synästhesie unter semiotischer Perspekti-<br />
ve zu betrachten heißt, sie als Zeichenprozess zu verstehen. Ausgangs-<br />
punkt hierfür ist die Beobachtung, dass bezüglich der auslösenden Sti-<br />
muli „konstitutionell synästhetisches Wahrnehmen (...) bemerkenswert<br />
oft an kodierte Zeichen (Buchstaben, Ziffern, Töne) gebunden“ ist (Pos-<br />
ner/Schmauks 2002: 8). <strong>Die</strong> beiden Autoren sehen in dieser Tatsache<br />
einen plausiblen Ansatzpunkt für eine „semiotische Klassifikation der<br />
Auslöser synästhetischen Wahrnehmens“ (Posner/Schmauks 2002: 8).<br />
Unter Zuhilfenahme semiotischer Basisterminologie unterscheiden Pos-<br />
ner/Schmauks (2002) vier Haupttypen der Synästhesie (vgl. Pos-<br />
ner/Schmauks 2002: 8 ff.). Es handelt sich um die:<br />
Stimulus-Synästhesie,<br />
Signifikanten-Synästhesie,<br />
Signifikat-Synästhesie,<br />
Referenten-Synästhesie.<br />
Für die Stimulus-Synästhesie ist typisch, dass ihr ein nicht-kodierter Reiz<br />
zu Grunde liegt. Ein solcher Auslöser kann beispielsweise eine gewisse<br />
geometrische Form (etwa ein Kreis) sein, der eine spezifische Farb-<br />
wahrnehmung nach sich zieht. Der Kreis als geometrische Form hat<br />
60
‚keine Bedeutung’, ihm ist kein konventionelles Signifikat zugeordnet,<br />
daher wird er als nicht-kodiert verstanden.<br />
Bei der Signifikanten-Synästhesie ist der Auslöser ein materieller Zei-<br />
chenträger, dem innerhalb eines Zeichensystems (Kode) ein Signifikat<br />
zugeordnet ist. Solche Auslöser rufen „Begleitempfindungen nur hervor,<br />
wenn sie als Signifikanten aus einem solchen Kode interpretiert werden“<br />
(Posner/Schmauks 2002: 8). Ein Beispiel wäre die Graphem-<br />
Synästhesie, bei der gewisse Buchstaben immer in einer gewissen Far-<br />
be wahrgenommen werden, unabhängig davon, mit welchem Schrifttyp<br />
sie gesetzt oder ob sie von Hand geschrieben sind.<br />
Unter die Kategorie Signifikat-Synästhesie fassen die Autoren Fälle, in<br />
denen sich beim Lesen oder Hören eines Wortes eine Begleitwahrneh-<br />
mung zu <strong>des</strong>sen Bedeutung einstellt. <strong>Die</strong>s wäre der Fall, wenn immer bei<br />
der Erwähnung eines Lexems aus einem bestimmten Wortfeld parallel<br />
ein charakteristisches Geräusch gehört oder eine Farbe gesehen wird.<br />
Es gibt auch Fälle, bei denen „Farbempfindungen (...) regelmäßig ins<br />
Spiel kommen, wenn ein Wochentag genannt wird – wobei es keinen<br />
Unterschied machen darf, ob zum Beispiel der sechste Tag als ‚Sams-<br />
tag’ oder als ‚Sonnabend’ bezeichnet wird“ (Posner/Schmauks 2002: 10).<br />
Typisch für die Referenten-Synästhesie ist, dass die Parallelempfindung<br />
durch ein kodiertes Zeichen ausgelöst wird, das auf einen bestimmten<br />
Gegenstand verweist. <strong>Die</strong> entsprechende synästhetische Empfindung<br />
tritt hingegen nicht auf, wenn der Gegenstand selbst erscheint oder ge-<br />
nannt wird. Als Beispiel nennen Posner/Schmauks (2002) farbwahrneh-<br />
mungsauslösende Gegenstände, die lediglich auf den eigenen PKW<br />
hinweisen, wie Autoschlüssel, Kennzeichen oder Fahrzeugschein.<br />
1.3.2.1. Metaphorische Synästhesie<br />
Von der oben beschriebenen Form der ‚genuinen Synästhesie’, die auch<br />
als „konstitutionelle Synästhesie“ (Posner/Schmauks 2002: 7) oder „de-<br />
velopmental synaesthesia“ (Harrison/Baron-Cohen 1997: 6) bezeichnet<br />
61
wird sowie den pathologischen oder durch Drogenkonsum ‚erworbenen’<br />
Synästhesieerscheinungen grenzen Emrich (et al. 2002) eine Wahrneh-<br />
mungsfähigkeit von Menschen ab, die als „metaphorische Synästheti-<br />
ker“, „Randgruppen-Synästhetiker“ oder „Gefühlssynästhetiker“ bezeich-<br />
net werden (Emrich et al. 2002: 37). Bei dieser Form der Synästhesie<br />
existiert keine situationsunabhängige stabile Reaktion zwischen Primär-<br />
reiz und paralleler synästhetischer Wahrnehmung. Es ist also bei ‚Ge-<br />
fühls-Synästhetikern’ nicht so, dass beispielsweise ein bestimmter Reiz<br />
immer eine stabil korrelierende modalitätsfremde Wahrnehmung auslöst.<br />
Außerdem sind die synästhetischen Phänomene immer mit starken emo-<br />
tionalen Regungen verknüpft, so dass Gefühle von Freude, Angst,<br />
schlechtem Gewissen o.ä. die Wahrnehmung gewissermaßen emotional<br />
einfärben, was bei genuinen Synästhetikern nicht der Fall ist.<br />
Emrich (et al. 2002) berichten von einer Gefühls-Synästhetikerin, für die<br />
manchmal sogar bestimmte Menschen in bestimmten Situationen in far-<br />
bigen Lichtern erscheinen. Für diese Frau hat dies dann eine besondere<br />
Bedeutung. Mittlerweile hält sie ihre spezifischen Wahrnehmungen in<br />
farbigen Zeichnungen fest. Sie selbst kommentiert ihr Wahrnehmungs-<br />
universum und <strong>des</strong>sen emotionale Färbung so:<br />
„Bevor ich etwas von Synästhesie wusste, habe ich zwar auch immer meine<br />
Bilder mit großer Freude betrachtet, habe mit ihnen und in ihnen gelebt, aber<br />
ich hatte im Hinterkopf einen Anflug von schlechtem Gewissen: Durfte ich<br />
doppelte Freude empfinden – z.B. Musik hören und sehen – erleben? (...).<br />
Jetzt erlebe ich alles noch viel bewusster und ohne schlechtes Gewissen. Im<br />
Bewusstsein, dass es Synästhesie ist, fühle ich mich innerlich gefestigt, ge-<br />
stärkt“ (zitiert nach Emrich et al. 2002: 40).<br />
„<strong>Die</strong> Eigenheit der Gefühlssynästhesie“, so fassen Emrich (et al. 2002)<br />
zusammen, besteht also darin, dass „die Wahrnehmung <strong>des</strong> ‚inneren<br />
Auges’ mit starken Emotionen verbunden“ ist (Emrich et al. 2002: 40).<br />
<strong>Die</strong> Autoren machen darauf aufmerksam, dass die Gefühls-Synästhesie<br />
bei den meisten Untersuchungen über Synästhesie außen vor bleibt (vgl.<br />
Emrich et al. 2002: 37). Der Grund hierfür ist ein methodologischer oder<br />
gar wissenschaftstheoretischer.<br />
62
„Mit üblichen naturwissenschaftlichen Methoden (...) [kann man] derartige<br />
Phänomene nicht erforschen, da die Versuche nicht wiederholt werden kön-<br />
nen. Niemals ist ein Gefühlszustand genau derselbe wie vorher oder nachher.<br />
Wenn also die Vorstellung stimmt, dass ein Teil der bildhaften Erscheinungen<br />
auf dem ‚inneren Monitor’ Abbildungen von Gefühlszuständen darstellt, so ist<br />
gerade das typisch für diese inneren Wahrnehmungen – sie können nicht re-<br />
produziert werden. <strong>Die</strong> Möglichkeiten, solche einmaligen Prozesse zu erfor-<br />
schen, sind sehr eingeschränkt“ (Emrich et al. 2002: 41).<br />
<strong>Die</strong> Erscheinungsform der Gefühls-Synästhesie deklarieren Harri-<br />
son/Baron-Cohen (1997) etwas weniger charmant mit dem Terminus<br />
„metaphor as pseudosynaesthesia“ (Harrison/Baron-Cohen 1997: 8). Sie<br />
nennen in diesem Zusammenhang illustre Namen kreativer Menschen<br />
aus den verschiedenen Bereichen der Kunst wie Arthur Rimbaud,<br />
Charles Baudelaire, Vladimir Nabokov, Wassily Kandinsky, Franz Liszt<br />
und Nicolai Rimsky-Korsakov, die alle im Ruf standen Synästhetiker ge-<br />
wesen zu sein. Wie dem auch sei: Sie wurden weder auf Synästhesie<br />
getestet und naturgemäß gibt es keine neurophysiologische Befunde,<br />
also muss ihr Status als genuine Synästhetiker ungeklärt bleiben. Harri-<br />
son/Baron-Cohen (1997) weisen sicherlich zurecht darauf hin, dass be-<br />
züglich der metaphorischen Synästhesie die Gefahr besteht, diese mit<br />
der developmental synaesthesia, also der genuinen Synästhesie zu ver-<br />
wechseln (vgl. hierzu auch Emrich et al. 2002: 37). <strong>Die</strong> beiden Autoren<br />
warnen:<br />
„Since metaphor is wi<strong>des</strong>pread in language this provi<strong>des</strong> ripe conditions for<br />
confusion with developmental synaesthesia“ (Harrison/Baron-Cohen 1997:<br />
11).<br />
Sie kommen bei ihrer Begriffsbestimmung zu dem Ergebnis, dass „rather<br />
than <strong>des</strong>cribing instances of genuine synaesthesia, much of the literature<br />
cited probably reflects a form of metaphor or analogy“ (Harrison/Baron-<br />
Cohen 1997: 11).<br />
Aber gerade diese Form der synästhetischen Fähigkeit ist für die semio-<br />
tische Perspektive, unter der diese Arbeit entstanden ist, die eigentlich<br />
interessante. Sie ist als ein kommunikatives, ästhetisches Phänomen zu<br />
63
werten, das von den neurophysiologischen Eigentümlichkeiten der genu-<br />
inen Synästhesie unabhängig ist und darum in einem kulturwissenschaft-<br />
lich-semiotischen Kontext beschrieben werden kann. Da diese Arbeit<br />
sich zwar neurophysiologischer Erklärungen der Synästhesie bedient,<br />
letztlich aber semiotisch-linguistischer Natur ist, ergibt sich automatisch<br />
die spannende Frage, welche Rolle abstrakte sprachliche und andere<br />
Zeichenprozesse innerhalb der metaphorischen Variante der Synästhe-<br />
sie spielen.<br />
1.3.2.2. Sprachliche Synästhesie als Inkongruenzphänomen<br />
Man kann als gegeben voraussetzen, dass <strong>Sprache</strong> die zentrale Vermitt-<br />
lungsfunktion zwischen individueller, subjektiver Wahrnehmung und in-<br />
tersubjektiver Kommunikation der wahrgenommenen Inhalte einnimmt.<br />
In der Synästhesieforschung gibt es diverse Berichte von Synästheti-<br />
kern, die ihre besondere Wahrnehmungsfähigkeit mit Worten beschrei-<br />
ben um sie anderen Menschen mitzuteilen (vgl. Emrich et al. 2002: 37 ff.;<br />
Cytowic 1989: 23 ff.; Harrison/Baron-Cohen 1997: 259 ff.; Edmondson<br />
2002: 51 ff.).<br />
<strong>Die</strong> Versprachlichungsfrage individueller Wahrnehmungsinhalte bezieht<br />
sich aber in meiner Untersuchung nicht darauf, wie Synästhetiker ihre<br />
Wahrnehmungseigentümlichkeiten sprachlich fassen; dabei wäre die<br />
Frage, wie es von der individuellen Wahrnehmung zur Versprachlichung<br />
kommt. Sondern genau der umgekehrte Prozess soll diskutiert werden:<br />
(Wie) kann von Seiten der <strong>Sprache</strong> Einfluss genommen werden auf kog-<br />
nitive Prozesse, die der genuinen Synästhesie analog sind oder ihr zu-<br />
min<strong>des</strong>t ähneln? Inwiefern eignet sich <strong>Sprache</strong> dazu, den kognitiven Zu-<br />
stand <strong>des</strong> pseudo-synästhetischen Erlebens nicht nur zu beschreiben<br />
sondern diesen sogar zu evozieren oder zumin<strong>des</strong>t zu simulieren?<br />
Posner/Schmauks (2002) bezeichnen eine zeichenvermittelte, also se-<br />
miotisch inszenierte Art von Synästhesie als ein „künstlerisches Pro-<br />
gramm, das Kunstwerke absichtlich so gestaltet, dass sie mit mehreren<br />
64
Sinnen gleichzeitig wahrgenommen werden“ (Posner/Schmauks 2002:<br />
4). Und <strong>Sprache</strong> als Zeichensystem zum Zwecke der Kommunikation<br />
bietet sich vorzüglich an als mediale Infrastruktur der metaphorischen<br />
Synästhesie zu fungieren.<br />
Zwar wird innerhalb der literaturwissenschaftlichen Forschung das Phä-<br />
nomen der sprachlichen Synästhesie fast ausschließlich als ästhetisches<br />
Phänomen verhandelt und mit einer Diskussion um den Begriff der Lite-<br />
rarizität eines Textes verknüpft (vgl. Gross 2002: 78 ff.). Aber Gross<br />
(2002) weist ebenso lakonisch wie zurecht darauf hin, dass „der Mythos<br />
von der essentiellen Differenz zwischen poetischer und Alltagssprache<br />
(...) mittlerweile zur Genüge widerlegt“ ist (Gross 2002: 80). <strong>Die</strong>se Auf-<br />
fassung wird auch für die vorliegende Untersuchung reklamiert, die im<br />
späteren Empirieteil <strong>des</strong>kriptiv poetische Sprachstrukturen an explizit<br />
nicht-literarischen Texten transparent macht.<br />
Im Folgenden werde ich zunächst aufzeigen, wie sich synästhetische<br />
Phänomene als spezielle Form <strong>des</strong> metaphorischen, also uneigentlichen<br />
Sprachgebrauchs ausprägen. Weiterhin werde ich die These vertreten,<br />
dass die Erzeugung synästhetischer Sprachkonstruktionen als äußerst<br />
produktiver und origineller Wortbildungsprozess betrachtet werden muss.<br />
Ich greife zunächst erneut zurück auf den weiter oben angeführten Bei-<br />
spielsatz<br />
Klirrende Kälte machte ihnen das Leben zur Hölle.<br />
<strong>Die</strong>ser weist eine durchaus subtile und besondere Spielart semantischer<br />
Inkongruenz auf. Das Syntagma klirrende Kälte erregt zwar im alltägli-<br />
chen Sprachgebrauch auf Grund seiner festen Etablierung im deutschen<br />
Wortschatz keinerlei Aufsehen, weil es allgemein üblich ist. Bei genaue-<br />
rem analytischen Hinsehen jedoch fällt auf, dass die Kombination von<br />
klirrend + Kälte hinsichtlich eines entscheidenden Merkmals eine Kon-<br />
gruenzverletzung aufweist. Beide Lexeme beschreiben zwar Zustände,<br />
die der menschlichen Sinneswahrnehmung zugänglich sind, allerdings<br />
stimmen sie nicht überein bezüglich der Sinnesmodalität, mit der unsere<br />
Wahrnehmung sich die von ihnen bezeichneten Weltbereiche erschließt.<br />
Während das Adjektiv klirrend als Spezifizierung eines Geräusches sich<br />
65
auf das Gehör bezieht, beschreibt das Substantiv Kälte eine taktile Emp-<br />
findung, die wir mit den Rezeptorzellen in der Haut wahrnehmen. Legt<br />
man Kälte als gegebenen Wahrnehmungszustand zu Grunde, ist klirrend<br />
ein Attribut, von dem man behaupten kann, dass es aus einem unpas-<br />
senden Sinnesbereich importiert wurde. Das Adjektiv klirrend wurde aus<br />
dem Bereich <strong>des</strong> Gehörs in das der Hautwahrnehmung übertragen. Es<br />
handelt sich also um eine metaphorische Sprachkonstruktion, die aller-<br />
dings als verblasst bezeichnet werden muss. Ihr metaphorischer Entste-<br />
hungsprozess ist jedoch relativ leicht zu rekonstruieren. <strong>Die</strong> eigentliche<br />
Unsinnigkeit <strong>des</strong> Syntagmas klirrende Kälte besteht darin, dass man ei-<br />
ne Temperatur eigentlich nicht hören kann. Allerdings fällt die Konstruk-<br />
tion nicht mehr als semantisch inkongruent auf. Formuliert in grammati-<br />
schem Jargon handelt es sich bei klirrende Kälte um eine NGr mit Adjek-<br />
tivadjunkt, in der sich der lexikalische Kopf der NGr (Kälte) und <strong>des</strong>sen<br />
Adjunkt (klirrend) nicht in lexikalischer Solidarität befinden und sich somit<br />
logisch (eigentlich) ausschließen.<br />
Es existieren also in der Alltagssprache etablierte und damit lexikalisierte<br />
Sprachkonstruktionen, die – analog zur neuropsychologischen Synäs-<br />
thesie – Lexeme aus verschiedenen Sinnesbereichen syntagmatisch<br />
miteinander verknüpfen.<br />
<strong>Die</strong>se spezielle Variante eines metaphorischen Prozesses, bei dem Le-<br />
xeme aus verschiedenen Sinnesbereichen in einer interdependenten<br />
Wortgruppe zusammengefügt werden, bezeichne ich als sprachliche Si-<br />
mulation synästhetischer Sinneswahrnehmung oder kurz sprachliche<br />
Synästhesie. Sprachliche Synästhesien haben das Potenzial, durch ei-<br />
nen visuellen (schriftsprachlichen) oder auditiven (lautsprachlichen) Sti-<br />
mulus modalitätsübergreifende Assoziationen zu erzeugen und damit<br />
eine kommunikative Verdichtung und kognitive Intensivierung <strong>des</strong><br />
versprachlichten Sachverhalts zu erreichen. Im Grunde handelt es sich<br />
dabei um ein sprachökonomisches Verfahren: auf syntagmatisch engem<br />
Raum konvergieren kognitive Konzepte aus verschiedenen Sinnesberei-<br />
chen. Weitere Beispiele für sprachliche Synästhesie sind alltagssprachli-<br />
che Wendungen wie: „brüllende Hitze“, „düstere Stille“, „klebrige Blicke“<br />
66
(Posner/Schmauks 2002: 4). Zur Veranschaulichung dieser exemplari-<br />
schen synästhetischen NGr zeigt Tabelle 5 die analytische Rekonstrukti-<br />
on <strong>des</strong> synästhetischen Bildungsmusters:<br />
Adjektivadjunkt (Sinnesmodalität) Substantiv (Sinnesmodalität)<br />
brüllend (auditiv) Hitze (taktil/thermal)<br />
düster (visuell) Stille (auditiv)<br />
klebrig (taktil) Blick (visuell)<br />
Tabelle 5: Bildungsmuster synästhetischer Nominalgruppen<br />
Es gibt eine Verbindung zum Wortbildungsmechanismus der Wortkreu-<br />
zung (auch: Kontamination, Amalgamierung).<br />
„Unter Wortkreuzung versteht man die Verschmelzung von zwei Wörtern, die<br />
gleichzeitig in der Vorstellung <strong>des</strong> Sprechenden auftauchen, zu einem neuen“<br />
(Duden 6 1998: § 777).<br />
Kreationen wie „Stagflation (aus Stagnation und Inflation), Grusical (aus<br />
Musical und gruseln), Kurlaub (aus Kur und Urlaub)“ gehören in diese<br />
Kategorie (Duden 6 1998: § 777).<br />
Vater ( 2 1996) betont, dass die „Wortbildungsart Amalgamierung zu den<br />
produktivsten gehört“ (Vater 2 1996: 96). Und das Gleiche trifft, wie im<br />
Vorgriff auf die empirischen Analysen <strong>des</strong> Empirieteil angedeutet werden<br />
soll, auf den Kommunikationskontext der Werbesprache für <strong>Parfums</strong> zu.<br />
Bevor jedoch semiotische Eigentümlichkeiten <strong>des</strong> Sprechens über Gerü-<br />
che an einzelnen Textbeispielen veranschaulicht werden, ist es nötig, die<br />
entsprechende semiotische Begrifflichkeit zu etablieren, derer ich mich<br />
im weiteren Verlauf der Arbeit bedienen werde.<br />
67
1.4. Semiotische Grundbegriffe<br />
1.4.1. Repräsentamen, Objekt, Interpretant<br />
Charles Sanders Peirce entwickelt in seinen Collected Papers (Peirce<br />
1931-58) eine Konzeption <strong>des</strong> Zeichens, die er als prozesshafte triadi-<br />
sche Relation beschreibt. <strong>Die</strong>ses dynamische Prinzip der Semiose (eng-<br />
lisch: semiosis) charakterisiert Peirce als „action of a sign“ (Peirce 1931-<br />
58: § 5.472), also als aktive Handlung eines Zeichens. <strong>Die</strong> Semiose ist<br />
eine „action (...) which involves a coöperation [sic!] of three subjects,<br />
such as a sign, its object, and its interpretant” (Peirce 1931-58: § 5.484).<br />
Zu diesen drei Entitäten gibt er die folgende, vielzitierte Definition und<br />
eine Erläuterung:<br />
„A Sign, or Representamen, is a First which stands in such a genuine triadic<br />
relation to a Second, called its Object, as to be capable of determining a Third,<br />
called its Interpretant” (Peirce 1931-58: § 2.274).<br />
Und:<br />
„A sign, or representamen, is something which stands to somebody for so-<br />
mething in some respect or capacity. It addresses somebody, that is, creates<br />
in the mind of that person an equivalent sign, or perhaps a more developed<br />
sign. That sign which it creates I call the interpretant of the first sign. The sign<br />
stands for something, its object“ (Peirce 1931-58: § 2.228).<br />
Das Ärgerliche an der Peirceschen Terminologie ist der uneindeutige<br />
Gebrauch <strong>des</strong> Begriffes sign (deutsch: Zeichen), der häufig, aber nicht<br />
immer, mit representamen identifiziert wird. Ich plädiere für eine scharfe<br />
Trennung dieser beiden Begriffe. Representamen meint den materiellen<br />
Zeichenträger, das sinnlich wahrnehmbare Vehikel <strong>des</strong> Zeichenprozes-<br />
ses (= der Semiose). Das Wort Zeichen ist möglichst zu vermeiden, denn<br />
es erweckt den Anschein, als würde es eine Entität oder ein Element be-<br />
zeichnen. Es bezeichnet aber in der Tat eine dynamische Relation zwi-<br />
schen Elementen. Und um den relationalen und prozesshaften Charakter<br />
68
<strong>des</strong> Zeichenkonzepts sprachlich zu repräsentieren, eignet sich der Beg-<br />
riff der dynamischen Semiose viel besser.<br />
1.4.2. Symbol, Index, Ikon<br />
<strong>Die</strong> Grundoperation der Semiose kann also nach Peirce beschrieben<br />
werden als die Repräsentation eines abwesenden Objektes durch ein<br />
anwesen<strong>des</strong> Repräsentamen (= materieller Zeichenträger). <strong>Die</strong>se Rela-<br />
tion löst im Gehirn <strong>des</strong> Interpreten einen kognitiven Zustand aus, der als<br />
Interpretant bezeichnet wird. Der Prozess der Semiose kann von Seiten<br />
<strong>des</strong> Zeichenträgers auf drei Arten initiiert werden, nämlich symbolisch,<br />
indexikalisch oder ikonisch (vgl. v.a. Peirce 1931-58: § 2.247 und Nöth<br />
2 2000: 178 f.). Obwohl in der folgenden Begriffsrekonstruktion die Sub-<br />
stantive Symbol, Index und Ikon für die Charakterisierung <strong>des</strong> Zeichen-<br />
trägers verwendet werden, ziehe ich die entsprechenden Adjektive vor.<br />
<strong>Die</strong> Substantive suggerieren nach meiner Einschätzung immer eine mo-<br />
nolithische Abgeschlossenheit und kategoriale Ausschließlichkeit der<br />
einzelnen Zeichenträgertypen. Es entsteht durch die Substantive schnell<br />
der Eindruck, als sei ein Zeichenträger entweder ein Symbol oder ein In-<br />
dex oder ein Ikon. <strong>Die</strong>ser Eindruck wäre aber eine unzulässige Vereinfa-<br />
chung der phänomenologisch komplexen Qualität von Zeichenträgern.<br />
Ein differenzierterer Blick auf die Problematik legt es nahe, von anteili-<br />
gen symbolischen, indexikalischen und ikonischen Eigenschaften zu<br />
sprechen, die ein Zeichenträger hat oder in spezifischen Verwendungs-<br />
kontexten haben kann. Dabei ist es explizit nicht ausgeschlossen, dass<br />
alle drei Qualitäten gleichzeitig vorkommen. Ein Zeichenträger kann<br />
durchaus sowohl symbolische als auch indexikalische und ikonische Ei-<br />
genschaften gleichzeitig haben. <strong>Die</strong> Repräsentationsbeziehung zwischen<br />
Zeichenträger und Objekt kann also mehrdimensional sein und im Pro-<br />
zess der Semiose daher auch auf verschiedenen kognitive Weisen im<br />
Rezipienten Assoziationen auslösen, die dann als Interpretant ein vorläu-<br />
figes Zwischenziel der Semiose bilden.<br />
69
Fasst man Semiose als eine Entschlüsselungstätigkeit auf, durch die ein<br />
Individuum Bedeutung konstituiert, ist es sogar angemessen von symbo-<br />
lischen, indexikalischen und ikonischen Enkodierungs- bzw. Dekodie-<br />
rungs-Strategien zu sprechen. Und dieser Vorgang beschäftigt das inter-<br />
pretierende Gehirn gemäß den drei Repräsentationsmodi auf unter-<br />
schiedliche Weisen.<br />
Beim symbolischen Repräsentationsmodus beruht die Verbindung zwi-<br />
schen Zeichenträger und Objekt auf Gesetzmäßigkeit, Gewohnheit, Kon-<br />
ventionalität und Arbitrarität (vgl. Nöth 2 2000: 179). Das umfangreichste<br />
Symbolsystem in diesem Sinne ist sicherlich die menschliche <strong>Sprache</strong>,<br />
bei deren kognitiver Verarbeitung, wie ich oben dargestellt habe, Areale<br />
<strong>des</strong> Neocortex der linken Hirnhemisphäre maßgebend sind. <strong>Die</strong> linke<br />
Hemisphäre ist, gemäß der funktionalen Asymmetrie <strong>des</strong> Gehirns, ohne-<br />
hin zuständig für abstrakt-analytische Denkprozesse, in die auch die<br />
<strong>Sprache</strong> größtenteils fällt (vgl. Bear et al. 2 2001: 655 ff.). Der so gefasste<br />
Begriff <strong>des</strong> Symbols entspricht in strukturalistischer Terminologie dem<br />
Saussureschen Konzept <strong>des</strong> sprachlichen Zeichens als einer arbiträren<br />
Relation zwischen Signifikant und Signifikat (vgl. Saussure 3 2001: 76 ff.).<br />
Wenngleich für die meisten sprachlichen Zeichen die symbolische (= ar-<br />
biträre) Relation anzunehmen ist, werde ich innerhalb dieser Untersu-<br />
chung sprachliche Situationen herausarbeiten, in denen sprachliche Zei-<br />
chen entweder primär nicht-symbolisch kodiert sind oder zumin<strong>des</strong>t ei-<br />
nen hochgradig relevanten nicht-symbolischen Anteil haben.<br />
Indices gelten im Allgemeinen als hinweisende Zeichen. Das Kriterium<br />
um eine indexikalische Semioserelation zu konstatieren ist die „Voraus-<br />
setzung (...), dass das Objekt eine faktische Existenz in Zeit und Raum<br />
hat“ (Nöth 2 2000: 185). Es muss also eine raum-zeitliche Kontiguität zwi-<br />
schen Zeichenträger und Objekt herrschen. Oft kann man eine kausale<br />
Beziehung derart beobachten, dass das Objekt die Ursache für das Auf-<br />
treten eines indexikalischen Zeichenträgers ist, der seinerseits als Wir-<br />
kung zu betrachten ist. Darum kann man von einer motivierten Relation<br />
zwischen indexikalischem Zeichenträger und Objekt sprechen. Der inde-<br />
70
xikalische Zeichenträger verkörpert dann ein Signal oder Symptom, aus-<br />
gelöst durch das Objekt, auf das er referiert:<br />
„Indices sind hinweisende (auf Erfahrung basierende) Zeichen: ein beschleu-<br />
nigter Puls ist ein Index für Fieber, Rauch ein Index für Feuer“ (Bußmann<br />
3 2002: 296).<br />
Aber auch in der <strong>Sprache</strong> gibt es diverse primär arbiträr-konventionelle<br />
Bezeichnungen, die eine indexikalische Komponente haben. Beispiels-<br />
weise ein deiktisches Adverb wie hier, das auf einen Ort verweist, Pro-<br />
nomen, die intratextuelle Bezüge herstellen oder letztlich auch alle Ei-<br />
gennamen und die Quellenangaben in einem wissenschaftlichen Text<br />
(vgl. Nöth 2 2000: 186).<br />
Der ikonische Repräsentationsmodus beruht ebenfalls auf einer motivier-<br />
ten Beziehung zwischen Zeichenträger und Objekt. Er zeichnet sich grob<br />
gesprochen durch eine Ähnlichkeit zwischen dem Zeichenträger und<br />
dem bezeichneten Objekt aus. Beispielweise kann die Information Frau-<br />
en- beziehungsweise Männertoilette in einer Gastwirtschaft auf unter-<br />
schiedliche Weise geliefert werden. <strong>Die</strong> Abbildung 5 zeigt Toilettentüren<br />
in eines Bremer Lokals, auf denen die relevante Information zweifach<br />
kodiert ist. Um eine symbolische Kodierung handelt es sich bei den Wör-<br />
tern Damen beziehungsweise Herren; ikonisch kodiert wären die abstra-<br />
hierten Abbildungen einer Frau beziehungsweise eines Mannes.<br />
71
Abbildung 5: Toilettenschild in Deutschland<br />
Einfallsreicher aber auch zweifelhafter ist die ikonische Kodierung auf<br />
einer Fotografie, die in der Türkei aufgenommen wurde. Hier wird die<br />
Toiletteninformation sowohl symbolisch („W.C.“) als auch ikonisch über<br />
das metonymische Prinzip pars pro toto lanciert, indem mutmaßlich mar-<br />
kante Eigenschaften von Frauen (= stark geschwungene Lippen) und<br />
Männern (= Schnurrbart) abgebildet werden.<br />
72
Abbildung 6: Toilettenschild in der Türkei<br />
Unter gendertheoretischem Aspekt wäre eine kritische Evaluation der<br />
durch ikonisch kodierte Toilettenschilder lancierten gesellschaftlichen<br />
Stereotype nicht nur bei den beiden hier zitierten Beispielen hochinteres-<br />
sant bis -brisant. Sie kann hier aber nicht geleistet werden.<br />
Bei der zentralen Unterscheidung der drei Semiosemodi ist die Kategorie<br />
der ikonischen Repräsentation für die spätere empirische Analyse von<br />
Parfumwerbungen in hohem Maße relevant. Daher soll, wie weiter oben<br />
bereits angekündigt, das semiotische Phänomen der Ikonizität ausführli-<br />
cher referiert werden.<br />
1.4.3. Fokus: Ikonizität<br />
Zur Definition <strong>des</strong> Ikons schreibt Nöth ( 2 2000) sehr umfassend:<br />
„In der Terminologie der Allgemeinen Semiotik ist ein Ikon ein Zeichen, wel-<br />
ches das von ihm bezeichnete Objekt aufgrund einer Ähnlichkeitsbeziehung<br />
repräsentiert. Der Zeichenträger hat Merkmale oder Eigenschaften, die auch<br />
dem bezeichneten Objekt <strong>des</strong> Zeichens eigen sind und wird aus diesem<br />
Grunde als Zeichen für das Objekt interpretiert“ (Nöth 2 2000: 193).<br />
73
Bei Peirce selbst liest man:<br />
„An Icon is a sign which refers to the Object that it denotes merely by virtue of<br />
characters of its own, and which it possesses, just the same, whether any<br />
such Object actually exists or not“ (Peirce 1931-58: § 2.247).<br />
„That is, a quality that it has qua thing renders it fit to be a representamen.<br />
Thus, anything is fit to be a Substitute for anything that is like“ (Peirce 1931-<br />
58: § 2.276).<br />
Während Peirce aber das reine Ikon als bloße Möglichkeit, als Potenz<br />
der ikonischen Repräsentation versteht, führt er für konkrete Materialisie-<br />
rungen ikonischer Zeichenkorrelate den Begriff <strong>des</strong> Hypoikons ein.<br />
„A possibility alone is an Icon purely by virtue of its quality (...). But a sign may<br />
be iconic, that is, may represent its object mainly by its similarity, no matter<br />
what its mode of being. (...) an iconic representamen may be termed a hypoi-<br />
con“ (Peirce 1931-58: § 2.276).<br />
Weiterhin charakterisiert Peirce das Hypoikon als einen Zeichenträgerty-<br />
pus, „which stands for something merely because it resembles it“ (Peirce<br />
1931-58: § 3.362) und als „partaking in the characters of the object“<br />
(Peirce 1931-58: § 4.531).<br />
Hieran knüpft die Frage an, ob und wie die mit dem Begriff <strong>des</strong> Hypoi-<br />
kons eingeführte Relation der Ähnlichkeit zwischen Representamen und<br />
Objekt zu legitimieren ist.<br />
<strong>Die</strong> Gefahr einer möglichen Willkürlichkeit und Relativität der Ähnlich-<br />
keitsbeziehung sieht Peirce sehr wohl, wenn er zu bedenken gibt:<br />
„(...) any two objects in nature resemble each other, and indeed just as much<br />
as any other two; it is only with reference to our senses and needs that one<br />
resemblance counts for more than another. (...). Resemblance is an identity of<br />
characters; and this is the same as to say that the mind gathers the re-<br />
sembling ideas together into one conception“ (Peirce 1931-58: § 1.365).<br />
<strong>Die</strong> Ähnlichkeitsrelation zwischen Zeichenträger und Objekt ist also we-<br />
der notwendigerweise eindeutig noch unbedingt intuitiv einsichtig. Es<br />
kommt vielmehr darauf an, dass zwischen Zeichenträger und Objekt die<br />
logische Möglichkeit einer Ähnlichkeitsinterpretation angelegt ist, die<br />
74
durch den Interpreten eines Zeichens geleistet werden kann. Der Seite<br />
<strong>des</strong> Interpretant in Peirce’ trilateralem Semiosemodell kommt damit ent-<br />
scheidende Bedeutung zu. Sie ist es letztendlich, die die Offenheit <strong>des</strong><br />
ikonischen Repräsentationsmodus einschränkt und kognitiv fixiert. Peirce<br />
formuliert dies so:<br />
„(…) each icon partakes of some more or less overt character of its Object.<br />
They, one and all, partake of the most overt character of all lies and decepti-<br />
ons – their Overtness. Yet they have more to do with the living character of<br />
truth than have either Symbols or Indices. The Icon does not stand unequivo-<br />
cally for this or that existing thing, as the index does. Its Object may be a pure<br />
fiction, as to its existence. Much less is its Object necessarily a thing of a sort<br />
habitually met with. But there is one assurance that the Icon does afford in the<br />
highest degree. Namely, that which is displayed before the mind’s gaze – the<br />
form of the Icon, which is also its object – must be logically possible“ (Peirce<br />
1931-58: § 4.531).<br />
Der Rückgriff auf die logische Möglichkeit von Ikonizität als Legitimati-<br />
onskriterium scheint diesem Problem eine objektive Dimension zu ge-<br />
ben, die nach meiner Einschätzung jedoch nicht sehr überzeugend ist.<br />
Nöth ( 2 2000) beleuchtet das Ähnlichkeitsproblem anders, indem er „Iko-<br />
nizität, [als] die Eigenschaft eines Zeichens [fasst], sein Objekt ikonisch<br />
zu bezeichnen, [die] (...) nicht objektiv meßbar [ist]. Ebenso wie jede<br />
Ähnlichkeit ist auch Ikonizität relativ und eine Frage <strong>des</strong> Gra<strong>des</strong>“ (Nöth<br />
2000: 193).<br />
Indem auch Morris (1971) auf den graduellen Charakter von Ikonizität<br />
abhebt, befreit er diese aus dem Korsett <strong>des</strong> Anspruchs einer objektiven<br />
Entweder-Oder-Ausschließlichkeit.<br />
„A sign is iconic to the extent to which it itself has the properties of its denotata<br />
(...).“<br />
„An iconic sign (...) is any sign which is similar in some respect to what it deno-<br />
tes. Iconicity is thus a matter of degree. (...); the extent of iconicity is a difficult<br />
matter to determine” (Morris 1971: 98 und 273).<br />
Reimund (1992) sieht auch bereits bei Peirce die mögliche Lesart von<br />
Ikonizität als graduelles Phänomen angelegt:<br />
75
„Zeichen, bei denen der ikonische Aspekt dominiert, sog. ‘Hypoikone’ (Peirce<br />
1931-58: § 2.276 f.) (...) haben zudem unterschiedliche Eigenschaften mit dem<br />
Objekt gemeinsam, so daß auf der ikonischen Dimension bereits der PEIRCE-<br />
schen Zeichentheorie zufolge verschiedene Ikonizitätsgrade differenziert wer-<br />
den können. Ikonizität ist eine graduelle Frage. Ikonische Zeichen haben eini-<br />
ge und, vergleicht man sie untereinander, verschiedene Eigenschaften mit<br />
dem Objekt gemeinsam“ (Reimund 1992: 13).<br />
<strong>Die</strong>se relativierende Perspektive löst das Problem der potenziellen Be-<br />
liebigkeit der Ähnlichkeit zwar nicht, geht aber mit ihm weniger rigide um<br />
und rettet damit einen kreativen Gebrauch <strong>des</strong> Begriffs Ikonizität als se-<br />
miotisches Analyseinstrument der Beziehung zwischen Zeichenträger<br />
und Objekt.<br />
Indem er die Verschiedenheit der Eigenschaften ins Spiel bringt, die eine<br />
Ähnlichkeit zwischen Representamen und Objekt konstituieren können,<br />
berührt Reimund (1992) bei der Definition von Ikonizität den Bereich ei-<br />
nes prototypischen Kategorisierungsverfahrens, das aus der Kognitions-<br />
psychologie sowie aus der kognitiven Linguistik bekannt ist. Betrachtet<br />
man den ikonischen Semiosemodus aus prototypischer Perspektive,<br />
impliziert dieser konsistenterweise Abstufungen von Ähnlichkeiten, die<br />
es dann in der empirischen Analyse erlauben, von legitimen Unterschei-<br />
dungen zwischen besseren und schlechteren Vertretern ikonischer Rep-<br />
räsentation zu sprechen (siehe Abschnitt 1.5.).<br />
Ernst zu nehmen ist sicherlich die Kritik, die Eco (1976) am Ähnlichkeits-<br />
kriterium <strong>des</strong> Ikonizitätsbegriffs übt. Eco zufolge betrifft „Similarität (...)<br />
nicht das Verhältnis zwischen dem Bild und seinem Objekt, sondern zwi-<br />
schen dem Bild und seinem zuvor festgelegten Inhalt“ (Eco 1976: 204).<br />
Mit dem „festgelegten Inhalt“ ist eine kulturelle Kodierung gemeint, die<br />
auf dem Prinzip der Konventionalität beruht und die oben erwähnte mög-<br />
liche Arbitrarität ikonischer Phänomene eingrenzt sowie eine gesell-<br />
schaftlich determinierte Gewohnheitslesart nahe legt. <strong>Die</strong>se würde in der<br />
Peirceschen Manier als symbolische, nicht originär ikonische Repräsen-<br />
tation zu verstehen sein (vgl. Peirce 1931-58: § 2.275 f.). Im Rückgriff<br />
auf das Toilettenschilderbeispiel heißt dies, dass man innerhalb seiner<br />
76
kulturellen Ontogenese darauf konditioniert worden sein muss, dass sich<br />
in gewissen Gebäuden hinter gewissen Türen mit gewissen Schildern<br />
Toiletten befinden.<br />
Allerdings bewegt sich Ecos Kritik auf einem äußerst theoretischen, abs-<br />
trakt-begrifflichen, metasemiotischen Niveau. In alltäglichen Semio-<br />
seprozessen werden wir alle naturgemäß – das ist im Grunde trivial – auf<br />
gesellschaftlich kodierte Semiosemöglichkeiten konditioniert. Da der<br />
Begriff der Ikonizität hier aber nicht in aller Subtilität diskursiv hinterfragt<br />
werden soll, bleibt seine ursprüngliche Lesart als semiotisches Entde-<br />
ckungswerkzeug durch Ecos Einwände unberührt. Außerdem habe ich ja<br />
bereits dargelegt, dass in dieser Arbeit die starre Entweder-Oder-<br />
Auffassung der verschiedenen Semiosemodi abgelehnt wird zugunsten<br />
einer flexibleren Sowohl-als-auch-Kategorisierung.<br />
Wenngleich ein in einer Sprach- oder Semiosegemeinschaft herrschen-<br />
der (semiotischer) Zeichenkode zwar Möglichkeiten ikonischer Lesearten<br />
vorgibt, so überschätzt man seine Wirkung doch, wenn man unterstellt,<br />
er würde eindeutige Inhalte festlegen. Der Kode lässt durchaus interpre-<br />
tative Spielräume, innerhalb derer sich ikonische Qualitäten als eigen-<br />
ständige, allerdings vom Kode nicht vollständig determinierte Phänome-<br />
ne beschreiben lassen.<br />
Mit Nöth ( 2 2000) kann man zu einer pragmatischen Handhabung <strong>des</strong><br />
Ähnlichkeitsproblems kommen, die das Prinzip der Ikonizität in jedem<br />
Fall für eine <strong>des</strong>kriptive Semiotik als brauchbares Werkzeug erhält:<br />
„Es trifft zu, daß Ikonizität auf Ähnlichkeitsurteilen basiert, die insofern kodifi-<br />
ziert sind, als sie nach Person, Ort und Zeit der Beurteilung variieren. Aber<br />
dies heißt nicht, daß Ähnlichkeitsurteile keine kognitive Relevanz hätten. <strong>Die</strong><br />
Wahrnehmung von Ähnlichkeit ist vielmehr ein kognitiver Prozess, der für das<br />
Erkennen und Wiedererkennen unserer alltäglichen Umwelt eine notwendige<br />
Voraussetzung ist. Auch wenn Ähnlichkeit nach logischen Maßstäben nicht<br />
bestimmbar ist, so ist sie doch eine kognitiv und heuristisch relevante Katego-<br />
rie“ (Nöth 2 2000: 197).<br />
77
Zur weiteren Vertiefung der Problematik <strong>des</strong> Begriffs der Ikonizität siehe<br />
auch Reimund (1992: 12. ff.), Greenlee (1968: 762 ff.), Metz (1970: 3 ff.)<br />
sowie weiterführend die Bibliografie bei Nöth ( 2 2000).<br />
1.5. Das Problem der Kategorisierung olfaktorischer Wahr-<br />
nehmung<br />
Innerhalb der traditionellen, auf Aristoteles zurückgehenden, Kategorisie-<br />
rungstheorie wird von notwendigen und hinreichenden Bedingungen ge-<br />
sprochen, die ein Gegenstand (Element) erfüllen muss um einer Katego-<br />
rie (Menge) zugehörig zu sein. <strong>Die</strong>se werden als objektiv bestimmbar<br />
postuliert, so dass immer eine eindeutige Zuordnung eines fraglichen E-<br />
lements in eine bestimmte Kategorie möglich ist. Je<strong>des</strong> dieser zugeord-<br />
neten Elemente würde dann die Kategorie gleichermaßen gut repräsen-<br />
tieren (vgl. Chur/Schwarz 1993).<br />
Aber bereits Wittgenstein ( 2 1980) stellt in seinen Philosophischen Unter-<br />
suchungen heraus, dass, wenn wir etwa den Begriff Spiel verwenden,<br />
also von der Menge aller Tätigkeiten sprechen, die wir als Spiele be-<br />
zeichnen, unsere Subsumierung einzelner Spiele unter diese Kategorie<br />
nicht auf Grund der Analyse der allen Spielen gemeinsamen Eigenschaf-<br />
ten funktioniert. Vielmehr gibt er aus Bottom-up-Perspektive zu beden-<br />
ken:<br />
„Betrachte z.B. einmal die Vorgänge, die wir ‚Spiele’ nennen. Ich meine Brett-<br />
spiele, Kartenspiele, Ballspiel, Kampfspiele, usw. Was ist allen diesen ge-<br />
meinsam? – Sag nicht: ‚Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen<br />
sie nicht ‚Spiele’’ – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. –<br />
Denn wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen ge-<br />
meinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften sehen“ (Witt-<br />
genstein 2 1980: 56 f.).<br />
<strong>Die</strong> spezifischen Merkmale, die für bestimmte Spiele aufzählbar sind,<br />
stimmen nicht notwendig mit denen überein, die man für den generi-<br />
78
schen Begriff Spiel aufzählen kann. <strong>Die</strong> Intension <strong>des</strong> Begriffs Spiel, also<br />
alle Merkmale, die ein Spiel (angeblich) ausmachen, determiniert offen-<br />
bar nicht seine Extension (die Menge der Tätigkeiten, die als Spiele be-<br />
zeichnet werden).<br />
Wittgenstein ( 2 1980) bringt als verbinden<strong>des</strong> Moment, das die Mitglieder<br />
einer Kategorie gewissermaßen zusammenhält, die Idee der „Familien-<br />
ähnlichkeiten” (Wittgenstein 2 1980: 57) zwischen einzelnen Spielen ins<br />
Spiel. Dabei gibt es jedoch keine eindeutigen Kriterien, beziehungsweise<br />
notwendige und hinreichende Merkmale, die allen Spielen gemeinsam<br />
sein müssen. Es wird dem Entweder-Oder-Kategorisieren im Sinne einer<br />
Kasuistik eine klare Absage erteilt.<br />
Ausgehend von Wittgensteins sprachphilosophischen Überlegungen zu<br />
den internen Strukturierungsprinzipien versprachlichter Kategorien führt<br />
eine Linie zu Roschs anthropologischen Studien über von ihr so genann-<br />
te „prototype effects“ (Rosch 1977: 10) bei der Analyse der kategorialen<br />
Wahrnehmung physikalischer Objekte. Insbesondere geht es dabei um<br />
die Wahrnehmung von Farben sowie deren kognitiver Repräsentation.<br />
Bei den prototype effects handelt es sich um Beobachtungen zur inter-<br />
nen Organisation von Kategorien. Es stellte sich bei empirischen Unter-<br />
suchungen heraus, dass Personen innerhalb von Kategorien durchaus<br />
bessere und schlechtere individuelle Vertreter unterscheiden. Es kann<br />
also in diesen Fällen angenommen werden, dass sich die Elemente ei-<br />
ner Kategorie um ein prototypisches Zentrum anordnen. Allerdings geht<br />
Rosch nicht soweit zu behaupten, dass die empirisch gewonnenen Da-<br />
ten „any particular processing model for categories (...) or a theory of re-<br />
presentation” (Rosch 1977: 40) konstituieren.<br />
Lakoff (1987) führt die Prototypenkonzeption der Kategorisierung und<br />
deren kognitive Implikationen offensiv in die Linguistik ein. Anknüpfend<br />
an Rosch schreibt er:<br />
„Rosch showed that a variety of experimental techniques involving learning,<br />
matching, memory and judgements of similarity converged to cognitive refe-<br />
rence points. And she extended the results from colors to other categories,<br />
primarily categories of physical objects” (Lakoff 1987: 41).<br />
79
Er wagt im Spannungsfeld zwischen Kognition und linguistischer Theo-<br />
riebildung eine sehr pointiert vorgetragene Behauptung, die er folgen-<br />
dermaßen formuliert:<br />
„The approach to prototype linguistic theory (…) suggests that human catego-<br />
rization is essentially a matter of both human experience and imagination – of<br />
perception, motor activity and culture on one hand, and of metaphor, metony-<br />
my, and mental imagery on the other” (Lakoff 1987: 8).<br />
<strong>Die</strong> These, dass Metaphorik und Metonymie als die zentralen kognitiven<br />
Operationen <strong>des</strong> Menschen anzusehen sind, hat Lakoff bereits einige<br />
Jahre vorher zusammen mit Mark Johnson entwickelt (Lakoff/Johnson<br />
1980). Ihr theoretischer Ausgangpunkt ist folgender:<br />
„We claim that most of our normal conceptual system is metaphorically struc-<br />
tured; that is, most concepts are partially understood in terms of other con-<br />
cepts. This raises an important question about the grounding of our conceptual<br />
system: Are there any concepts at all that are understood directly, without me-<br />
taphor? If not, how can we understand things at all?” (Lakoff/Johnson 1980:<br />
56).<br />
<strong>Die</strong> beiden Autoren gehen davon aus, dass wir auf viele mentale und<br />
emotionale Phänomene keinen direkten sprachlichen Zugriff haben. Um<br />
abstrakte Phänomene trotzdem diskursiv zu erfassen greifen wir zu-<br />
nächst auf physische (oder physikalische) Phänomene zu, die durch die<br />
Tatsache unserer Körperlichkeit und sinnlichen Wahrnehmung sprach-<br />
lich handhabbar sind. <strong>Die</strong>se werden bezeichnet als metaphorische<br />
Quellbereiche. Deren Verbalisierungen übertragen wir oft unbewusst und<br />
wie selbstverständlich in nichtphysische Diskurse, die Zielbereiche <strong>des</strong><br />
metaphorischen Prozesses, wo sie dann unter anderem als konzeptuelle<br />
Metaphern Verwendung finden (vgl. Lakoff/Johnson 1980: 56 ff.). Lakoff<br />
(1987) bezeichnet diesen metaphorischen Prozess als „source-to-target<br />
mapping“ (Lakoff 1987: 276).<br />
Lakoff/Johnson (1980) liefern zahlreiche Sprachbeispiele aus dem ame-<br />
rikanischen Englisch, die aber prinzipiell auch für die deutsche <strong>Sprache</strong><br />
nachvollziehbar sind. An zwei Beispielen der Autoren soll veranschau-<br />
licht werden, wie die konzeptuellen Metaphern „Argument is war“ (La-<br />
80
koff/Johnson 1980: 4) und „Love is a journey“ (Lakoff/Johnson 1980: 44)<br />
an der Oberfläche der Alltagssprache kondensieren:<br />
„You disagree? Okay, shoot!<br />
Look how far we’ve come”<br />
(ibidem; Hervorhebungen von mir).<br />
Zielbereich Quellbereich<br />
Streit<br />
(abstrakte, intellektuelle Auseinandersetzung)<br />
Liebe<br />
(abstraktes emotionales Konzept)<br />
81<br />
Krieg/Kampf/Schusswechsel<br />
(konkrete, physische Auseinan-<br />
dersetzung)<br />
Reise<br />
(konkrete, physische Fortbewe-<br />
gung)<br />
Tabelle 6: Metaphorische Ziel- und Quellbereiche (nach Lakoff/Johnson 1980: 4<br />
und 44)<br />
In diesen Beispielen werden ein abstrakt-diskursives Phänomen, nämlich<br />
eine argumentative Auseinandersetzung, und ein ein abstrakt-<br />
emotionales Phänomen, nämlich Liebe, durch metaphorische Ausdrücke<br />
beschrieben.<br />
Im Fall <strong>des</strong> argumentativen Streits erfolgt ein Transfer in den Bereich der<br />
Körperlichkeit. In der zitierten Streitsituation fordert der Sprecher seinen<br />
Gegenüber auf, mit Gegenargumenten zu schießen (shoot). Das Schie-<br />
ßen ist aber ein originär physischer Vorgang, bei dem gegebenenfalls<br />
der Körper <strong>des</strong> Beschossenen in Mitleidenschaft gezogen wird.<br />
Im Fall der Liebe wird diese mit dem physischen Prozess <strong>des</strong> Durchque-<br />
rens eines Raumes, <strong>des</strong> gemeinsamen Beschreitens eines Weges iden-<br />
tifiziert, auf dem man gemeinsam schon weit (far) gekommen ist. Dem<br />
inneren, emotionalen Erleben <strong>des</strong> sprachlich oft nicht fassbaren Gefühls<br />
der Liebe entspricht dann auf der Ebene <strong>des</strong> körperlichen Erlebens die<br />
Erfahrung <strong>des</strong> den Raum durchquerenden Körpers.
Verallgemeinernd kann man zu dieser Auffassung von Metaphorik sa-<br />
gen, dass abstrakt-rationale oder abstrakt-emotionale Konzepte, die der<br />
<strong>Sprache</strong> anscheinend nicht direkt zugänglich sind, mit konkret körperli-<br />
che Phänomenen in Beziehung gebracht werden müssen, auf die<br />
sprachlich direkt zugegriffen werden kann.<br />
1.5.1. Das Problem der Versprachlichung von Geruchswahrneh-<br />
mungen<br />
In der Metaphorik-Konzeption von Lakoff/Johnson (1980) zeigt sich aus<br />
linguistischer Perspektive die problematische Beziehung zwischen Spra-<br />
che und Emotion. <strong>Die</strong>se kann mit dem Konflikt <strong>Sprache</strong> vs. Geruch in<br />
Beziehung gesetzt werden, der im obigen Abschnitt zum Verhältnis von<br />
Neocortex und limbischem System dargestellt wurde. Das Verhältnis<br />
zwischen emotionalen Zuständen und <strong>Sprache</strong> ist seit jeher schwierig –<br />
das ist ein Allgemeinplatz. Es fällt vielen Menschen schwer, ihre Gefühle<br />
in Worte zu fassen. Aber vielleicht genau <strong>des</strong>halb liegt in der scheinba-<br />
ren Unzugänglichkeit <strong>des</strong> Emotionalen für die <strong>Sprache</strong> eine Quelle uner-<br />
schöpflicher sprachlicher Kreativität. Für den Bereich der Emotionen<br />
können zumin<strong>des</strong>t Tausende von Liebesgedichten angeführt werden, die<br />
diese These stützen. Und wenn man der Auffassung von Lakoff/Johnson<br />
(1980) folgt, wird klar, dass metaphorische Prozesse bei weitem nicht<br />
der belletristischen Literatur oder gar der Lyrik vorbehalten sind, sondern<br />
es sich dabei um ein viel allgemeineres kognitives Erkenntnisprinzip<br />
handelt, das sich in allen Bereichen sprachlichen Lebens beobachten<br />
lässt.<br />
Das Verhältnis zwischen Geruch und <strong>Sprache</strong> ist in ähnlicher Weise<br />
kompliziert. Zwar gehört die Olfaktorik in den Bereich der Sinnlichkeit,<br />
also der Körperwahrnehmung. Es fällt uns trotzdem offensichtlich<br />
schwer, innerhalb einer <strong>Sprache</strong> originäre Bezeichnungen für Geruchs-<br />
wahrnehmungen zu finden. Für den Bereich der Olfaktorik fehlt eine ent-<br />
sprechende sprachlich-kreative Konfliktbearbeitung, die in Analogie zur<br />
82
Poesie gesetzt werden könnte. In diesem Zusammenhang ist jedoch der<br />
Roman Das Parfum (Süßkind 1985) zu nennen, in dem der Autor auf le-<br />
senswerte Weise dieses Projekt betreibt.<br />
Aber so etwas wie ein allgemein zugängliches und konventionell etablier-<br />
tes Lexikon der Olfaktorik existiert nicht.<br />
<strong>Die</strong>ses Problem scheint bei der visuellen Wahrnehmung von Farben kein<br />
grundlegen<strong>des</strong> Problem zu sein. Innerhalb der kognitiven Linguistik wur-<br />
de die sprachliche Kategorisierung der Farbwahrnehmung intensiv disku-<br />
tiert. Und es hat sich auch herausgestellt, dass verschiedene Sprach-<br />
und Kulturgemeinschaften das Farbspektrum unterschiedlich durch ele-<br />
mentare Farbbezeichnungen aufteilen (vgl. Berlin/Kay 1969 sowie Lakoff<br />
1987). Aber jede Kultur tut dies immerhin, wenngleich mit unterschiedli-<br />
chen Elementarkategorien, die sich in der jeweiligen <strong>Sprache</strong> etabliert<br />
haben. Es gibt also keine Farbe, die nicht irgendwie sprachlich zu cha-<br />
rakterisieren wäre. <strong>Die</strong> Diskussion um die so genannten „basic color<br />
terms“ (Berlin/Kay 1969) soll hier jedoch nicht ausführlich referiert wer-<br />
den. Interessant für die Problemstellung dieser Untersuchung ist nur die<br />
Tatsache, dass es – im Gegensatz zum Farbspektrum – keine sprachlich<br />
konventionalisierte Aufsplittung <strong>des</strong> olfaktorischen Spektrums gibt. Ver-<br />
einzelt gibt es zwar ethnische Gruppen, die in ihrer <strong>Sprache</strong> feststehen-<br />
de Wörter für spezielle Gerüche kennen. Dubois (1997) nennt dazu als<br />
Beispiel die <strong>Sprache</strong> Li-Wanzi, die von einem Jägervolk im westafrikani-<br />
schen Gabun gesprochen wird. Dort gibt es für Jagdzwecke spezifische<br />
Geruchsbezeichnungen für Gerüche wichtiger Beutetiere:<br />
„In some African languages (…) odors are cognitively constructed as ‘objective<br />
realities’ and have names (even nouns): for example, about 11 ‘basic terms’<br />
for odors have been identified in Li-Wanzi” (Dubois 1997: 188).<br />
Aber pauschal kann man über <strong>Sprache</strong>n sagen, dass es in Analogie zu<br />
basic color terms so etwas wie basic smell terms nicht gibt.<br />
<strong>Die</strong>se Auffassung wird auch von Vroon (et al. 1996) gestützt, die feststel-<br />
len:<br />
„Unser Vokabular für Gerüche und Düfte ist sehr begrenzt. Häufig werden Ge-<br />
rüche auf ihre vermutete Ursache zurückgeführt. Wir begnügen uns dann mit<br />
83
einem Verweis auf bestimmte Substanzen oder Umstände: ‚Das duftet nach<br />
Kaffee’ oder ‚es riecht hier wie nach einem Augustgewitter’“ (Vroon et al. 1996:<br />
25, vgl. auch Distel/Hudson 2001: 287).<br />
Möglicherweise ist der aufrechte Gang <strong>des</strong> Menschen ein Grund dafür,<br />
dass der Geruchssinn im Laufe der Evolution an Bedeutung verloren hat.<br />
Das Sehen und das Hören, die „körperfernen Sinne“ (Zimmer 9 2001: 58),<br />
die auch als Fernsinne bezeichnet werden, leisten zweifelsohne den<br />
wichtigsten Beitrag für die Erfassung der Umwelt und für die Sicherung<br />
und Erkundung <strong>des</strong> Lebensraumes. Lorig (1998) skizziert auf geistreiche<br />
Weise den Konflikt zwischen der scheinbaren Bedeutungslosigkeit, in die<br />
die Geruchswahrnehmung im Laufe der Evolution angeblich abgerutscht<br />
ist und der kulturellen Dominanz der <strong>Sprache</strong>. Er stellt dabei ebenso raf-<br />
finiert wie charmant die zweifelhafte Kausalbeziehung in diesem Wett-<br />
streit der Sinnessysteme in Frage.<br />
„It certainly seems likely that bipedality (...) [has] made human odor response<br />
different from that of other mammals, but why has odor come an understudy in<br />
the Cartesian theater of human consciousness? One potential explanation is<br />
the relationship between odors and language. Since so much human behavior,<br />
and arguably all cognition is language-mediated, our limited language for o-<br />
dors may be a cause for our disregard of this sense rather than an effect of<br />
getting our noses off the ground. Possibly, it may have worked the other way:<br />
bipedality reduced the olfactory information load and allowed language to flou-<br />
rish. Either way, odor and language do not seem to work well together” (Lorig<br />
1997: 392).<br />
<strong>Die</strong> evolutionsgeschichtliche Begründung für das Fehlen eines originär<br />
olfaktorischen Basisvokabulars kann verknüpft werden mit der weiter o-<br />
ben geführten Argumentation, die die neurophysiologische Konstitution<br />
<strong>des</strong> Großhirns betraf. Dort wurde dargelegt, dass eine systematische<br />
Vernetzung subkortikaler Strukturen <strong>des</strong> Riechsystems mit entsprechen-<br />
den Arealen der Großhirnrinde nicht zu existieren scheint.<br />
Zucco/Tressoldi (1989) weisen darauf hin, dass die kortikale Sekundär-<br />
verarbeitung olfaktorischer Stimuli im Wesentlichen in der vorwiegend<br />
nonverbal arbeitenden rechten Hirnhemisphäre geleistet wird. <strong>Die</strong>s ist<br />
84
ein weiteres neurophysiologisches Argument für die Sprachferne <strong>des</strong><br />
Geruchssinns und <strong>des</strong>sen engen Bezug zu emotionalen Gedächtnisin-<br />
halten, die ebenfalls rechtshemisphärisch verarbeitet werden (vgl. Zuc-<br />
co/Tressoldi 1989: 608). Zucco (2004) stellt hierzu fest:<br />
„(...) the <strong>des</strong>cription of odours seems to be based on an emotional and percep-<br />
tual code system, while the <strong>des</strong>cription of other stimuli (e.g.: verbal and visual)<br />
is strictly linked to a lexical system well organized in semantic memory” (Zucco<br />
2004; vgl. auch Harley 1995: 98 ff.).<br />
Ein ähnliches Argument bringt auch Burdach (1988), bei dem man liest:<br />
„Duftinformationen [werden] im Kortex nicht in spezifischen Projektionsfeldern,<br />
sondern in relativ unspezifischen, evolutionsgeschichtlich ‚alten’ Hirnregionen<br />
dargestellt (...). Möglicherweise hängt die ‚Sprachferne’ der Riechempfindungen<br />
(...) mit diesen neurophysiologischen Gegebenheiten (...) zusammen“ (Burdach<br />
1988: 22).<br />
Weitere evolutionstheoretisch untermauerte Unterstützung kommt von<br />
Vroon (et al. 1996). <strong>Die</strong> Autoren sind ebenfalls der Ansicht, dass innerhalb<br />
<strong>des</strong> Gehirns evolutionär bedingte Kompatibilitätskonflikte zwischen<br />
Sprach- und Geruchsverarbeitung anzunehmen sind:<br />
„Entwicklungsgeschichtlich gesehen ist der Geruchssinn ein altes Organ, das<br />
relativ wenige Direktverbindungen zum jüngeren Teil <strong>des</strong> Gehirns, insbesonde-<br />
re zur linken Neocortex oder neuen Hirnrinde, besitzt, in dem unter anderem<br />
‚Sprachzentren’ liegen. Demgegenüber gibt es zahlreiche und gut entwickelte<br />
Verknüpfungen mit den in einer früheren Phase der Evolution entstandenen<br />
Hirnstrukturen, die für die Steuerung der Emotionen und Motivationen verant-<br />
wortlich sind und zu denen das so genannte limbische System [gehört]“ (Vroon<br />
et al. 1996: 25).<br />
Und dieses wiederum reguliert entscheidend „unsere Gefühle und Emp-<br />
findungen“ und ist „mit der rechten Gehirnhälfte eng verknüpft (...)“ (ibi-<br />
dem). Erneut stößt man also auf die problematische Verquickung von Ge-<br />
ruch/Emotion einerseits und <strong>Sprache</strong> andererseits. Bezogen auf die olfak-<br />
torische Wahrnehmung zeigt sich der limbische Einfluss darin, dass „wir<br />
nicht selten in unserem Verhalten durch Gerüche beeinflusst werden, oh-<br />
ne uns <strong>des</strong>sen bewußt zu sein“ (Vroon et al. 1996: 32).<br />
85
Einen ähnlichen Standpunkt zur verhältnismäßigen Unwichtigkeit <strong>des</strong><br />
Geruchssinns für den Menschen sowie zum mangelhaften wissenschaft-<br />
lichen Interesse an diesem vertritt Lorig (1998). Er führt dies auf die eini-<br />
germaßen lapidare aber vermutliche notwendige Tatsache zurück, dass<br />
wir selten eine bewusste Verbindung zwischen einer Geruchswahrneh-<br />
mung und einem darauf folgenden Verhalten herstellen (vgl. Lorig 1998:<br />
392). Wie auch, wenn Gerüche im Wesentlichen subkortikal verarbeitet<br />
werden, die physiologischen Korrelate unseres so genanntes Bewusst-<br />
sein aber in neokortikalen Gewebestrukturen zu lokalisieren sind.<br />
Andererseits warnt er vor einer Überschätzung <strong>des</strong> limbischen Argu-<br />
ments, indem er die Annahme <strong>des</strong> limbischen Systems als einer funktio-<br />
nal integrierten Einheit attackiert. Er kritisiert an dieser Auffassung:<br />
„If it [the limbic system] were a system comprising the functions of smell, me-<br />
mory, emotion (…), it would follow that our language would be equally terse for<br />
verbal <strong>des</strong>criptions of memory, emotion (…)” (Lorig 1998: 392).<br />
<strong>Die</strong>ses Argument trifft in dieser Rigidität sicherlich nicht zu. Lorigs<br />
Schlussfolgerung erweckt den Anschein, als gäbe es – im Gegensatz<br />
zum Geruch – keine Probleme beim sprachlichen Zugriff auf Erinnerun-<br />
gen und Emotionen. Das ist falsch. Natürlich gibt es viele Erinnerungen,<br />
die gar nicht sprachlich kodiert und abgespeichert sind. Sei es, weil die<br />
entsprechenden Erlebnisse in der vorsprachlichen Phase unseres Le-<br />
bens lagen und/oder weil die Erlebnisse derart unangenehm waren (z.B.<br />
traumatische Situationen), dass der Organismus es vorzog, sie aus takti-<br />
schen Gründen <strong>des</strong> Selbstschutzes ins Unbewusste zu verdrängen, wo<br />
sie der <strong>Sprache</strong> und damit einem bewussten Zugriff unzugänglich sind.<br />
Der mühsame und langwierige therapeutische Prozess der Psychoana-<br />
lyse hat ja genau das Anliegen, durch Nacherleben und Versprachlichen<br />
die Verbindung zwischen verdrängten Erlebnissen/Gefühlen und dem<br />
Bewusstsein herzustellen. Und wie oft ist man im Alltag mit Menschen<br />
konfrontiert die einen schockierend mangelhaften sprachlichen Zugang<br />
zu ihren aktuellen Emotionen und emotionalen Erinnerungen haben, oh-<br />
ne das man die Hypothese verdrängter Traumata zur Erklärung heran-<br />
ziehen muss. Für nonverbal kodierte Erinnerungen, bei denen limbische<br />
86
Strukturen als physiologisches Korrelat anzusehen sind, ist unsere Spra-<br />
che sehr wohl knapp („terse“).<br />
Geruchsreize scheinen also auf eine neurale Infrastruktur zu treffen, die<br />
mit den rationalen Operationen <strong>des</strong> kognitiven und sprachlichen Kategori-<br />
sierens elementare Schwierigkeiten hat und sie nicht so ausführen kann,<br />
wie bei Sinnesreizen, die über andere Modalitäten ins zentrale Nervensys-<br />
tem gelangen. Bei den anderen Subsystemen <strong>des</strong> humanen kognitiven<br />
Apparates gibt es angeborene kognitive Parameter, gemäß derer eine<br />
Kategorisierung ausgeführt und schließlich auch versprachlicht werden<br />
kann. Gschwind (1998) formuliert diesen Sachverhalt sehr pointiert, weist<br />
aber auch gleichzeitig auf die mangelhafte Forschungslage zum Geruchs-<br />
system hin.<br />
„Beim Sehen beinhalten diese Systeme für die Kategorisierung neben den<br />
grundlegenden Dimensionen der Farbe und Helligkeit auch Formdetails und<br />
komplexe Informationen über Textur und Layout. Beim Hören existiert ein an-<br />
geborenes Erkennungssystem für Lautstärke und Tonhöhe. Der Geschmacks-<br />
sinn verfügt über ein angeborenes Erkennungssystem für süß, salzig, sauer und<br />
bitter. <strong>Die</strong> Erkennungssysteme für Berührung und Geruch sind (...) noch nicht<br />
so gut erforscht” (Gschwind 1998: 22; vgl. auch Burdach 1988: 19).<br />
Hinzu kommt noch eine fünfte Kategorie von Geschmacksrezeptorzellen,<br />
die sensibel ist für Glutamat; sie wird umami genannt (vgl. Bear et al.<br />
2 2001: 263).<br />
Nicht so sehr wahrnehmungsphysiologisch als vielmehr unter dem As-<br />
pekt <strong>des</strong> quantitativ messbaren adäquaten Reizes betrachten Vroon (et<br />
al. 1996) diese Problematik:<br />
„<strong>Die</strong> Klassifikation von Gerüchen [erweist] sich als schwierig und problema-<br />
tisch. Im Gegensatz zu den visuellen und auditiven Reizen, die in Wellenlän-<br />
gen, der Anzahl Schwingungen pro Sekunde (Nanometer oder Millimikron,<br />
Hertz) oder in ihrer Intensität (Lux, Dezibel) ausgedrückt werden, können Ge-<br />
rüche nicht aufgrund einer gemeinsamen physischen oder chemischen Eigen-<br />
schaft auf einen Nenner gebracht werden“ (Vroon et al. 1996: 62).<br />
Beim Sehen und Hören können Reiz-Wahrnehmungs-Korrelationen<br />
konstatiert werden, die einigermaßen trivial erscheinen: Erhöht sich bei<br />
87
einem visuellen Reiz die Lichtintensität, nimmt man das Licht als heller<br />
wahr; eine 100-Watt-Glühlampe ist heller als eine, die nur 15 Watt leistet.<br />
Erhöht man bei einem akustischen Reiz den Schalldruck und damit die<br />
Lautstärke, nimmt man die Musik lauter wahr. Bei der olfaktorischen<br />
Wahrnehmung aber funktioniert die lineare proportionale Zuordnung zwi-<br />
schen Reizstärke und Wahrnehmungsintensität nicht. Vroon (et al. 1996)<br />
referieren den einigermaßen skurrilen Fall der paradoxen Geruchseigen-<br />
schaften <strong>des</strong> Sauerstoffisotops Ozon (O3) sowie derjenigen der organi-<br />
schen chemischen Verbindungen Heptanol und Indol:<br />
„In der Parfumindustrie findet das Indol reichlich Verwendung, eine Verbin-<br />
dung, die die Grundlage <strong>des</strong> nach Fäkalien riechenden Stoffes Skatol bildet, in<br />
niedrigen Konzentrationen jedoch einen Blumenduft ausströmt. (...). Heptanol,<br />
dass in hohen Konzentrationen einen erstickenden Geruch verbreitet, wird in<br />
kleinen Mengen in <strong>Parfums</strong> verarbeitet und strömt dann einen sehr angeneh-<br />
men Duft aus. Ozon reizt die Atemwege und ist in großen Mengen in der Luft<br />
sogar giftig (zu dichter Verkehr an einem heißen, windstillen Tag), in niedrigen<br />
Konzentrationen hingegen riecht es frisch und angenehm“ (Vroon et al. 1996:<br />
83).<br />
Ähnlich eigentümliche Geruchsanekdoten kann man auch bei Burdach<br />
(1988) lesen. Es ist bekannt, dass „in homologen Reihen, z.B. der Alkan-<br />
reihe (Methan, Äthan, Propan, Butan usw.), die Empfindungsintensität<br />
bis zu einem Molekulargewicht von ca. 300 zunimmt, die Stoffe bei ei-<br />
nem weiteren anwachsen <strong>des</strong> Molekulargewichts über diesen Wert hin-<br />
aus jedoch keine Duftempfindungen mehr auslösen“ (Burdach 1988: 23).<br />
Als ein reichlich unbefriedigen<strong>des</strong> Zwischenergebnis kann mit Burdach<br />
(1988) festgehalten werden, dass „das erste Problem der Riechfor-<br />
schung die Unkenntnis <strong>des</strong> ‚adäquaten Reizes’ [ist]: [es] ist bisher noch<br />
nicht gelungen, diejenigen physikalisch-chemischen Merkmale von Ga-<br />
sen zu identifizieren, die Riechempfindungen auslösen“ (Burdach 1988:<br />
22 f.).<br />
Als angeborene Elementarkategorien für den Geruchssinn kann besten-<br />
falls die hedonistische Unterscheidung zwischen angenehmen und un-<br />
angenehmen Gerüchen gelten. Wie Vroon (et al. 1996) berichten, haben<br />
88
Experimente mit Neugeborenen ergeben, dass diese auf gewisse, ver-<br />
meintlich angenehme, Gerüche mit einer Gesichtsmimik reagierten, die<br />
als affirmativ zu deuten ist. Bei unangenehmen Gerüchen zeigte sich ei-<br />
ne deutlich verzerrte, aversive Mimik (vgl. Vroon et al. 1996: 99 f.). Aber<br />
selbst diese Resultate sind mit Vorsicht zu genießen und keineswegs als<br />
stabile universale kognitive Kategorien zu betrachten. Denn wie die Au-<br />
toren weiterhin betonen, können Menschen im Laufe ihrer Entwicklung<br />
darauf trainiert um nicht zu sagen konditioniert werden, welche Gerüche<br />
sie als angenehm und welche sie als unangenehm empfinden (vgl.<br />
Vroon et al. 1996: 100).<br />
Was Gschwind recht unspektakulär als „noch nicht so gut erforscht“ be-<br />
zeichnet (Gschwind 1998: 22), nämlich die kognitiven Erkennungssyste-<br />
me für Gerüche, weist auf einen im Grunde skandalösen Zustand hin.<br />
<strong>Die</strong> olfaktorische Wahrnehmung ist ein reichlich vernachlässigtes Feld<br />
innerhalb <strong>des</strong> kognitionswissenschaftlichen Diskurses. Sehr markant<br />
bringt diesen Umstand auch Zimmer (1987) auf den Punkt, wenn er vom<br />
Geruch als dem „Stiefsinn“ (Zimmer 1987: 27) <strong>des</strong> menschlichen Wahr-<br />
nehmungssystems spricht. Verglichen mit den endlosen neurophysiolo-<br />
gischen, (neuro-)psychologischen und kognitiv-linguistischen Publikatio-<br />
nen, die über den Bereich der visuellen Wahrnehmung existieren, neh-<br />
men die Forschungsbeiträge zum Thema Olfaktorik im Allgemeinen und<br />
zum Thema Olfaktorik und <strong>Sprache</strong> im Besonderen einen geradezu lä-<br />
cherlich kleinen Raum ein. Lorig (1998) macht bezüglich <strong>des</strong> relativen<br />
Desinteresses am Geruchssinn auf ein bemerkenswertes Paradox auf-<br />
merksam. Einerseits scheinen zahlreiche Autoren im Bereich der Neuro-<br />
kognition der Auffassung zu sein, dass „since humans raised their noses<br />
from the ground in the ascent to bipedalism, olfaction has lost its impor-<br />
tance in affecting human behavior“ (Lorig 1998: 391). Demgegenüber<br />
beweisen immer wieder Experimente mit Versuchspersonen, dass olfak-<br />
torische Reize sehr wohl einen entscheidenden, wenngleich subtilen und<br />
unterhalb der Bewusstseinsschwelle der Wahrnehmung liegenden Ein-<br />
fluss auf das menschliche Verhalten haben (Lorig 1998: 391). <strong>Die</strong>s bes-<br />
tätigen auch die Ausführungen von Vroon (et al. 1996). Sie berichten ü-<br />
89
er erinnerungsfördernde Effekte von Gerüchen und deren Auswirkung<br />
auf das allgemein psychische Wohl- und Unbehagen sowie auf psycho-<br />
soziale Sym- und Antipathiereaktionen, hier vor allem sexuelle Attraktion<br />
und Stimulation (vgl. Vroon et al. 1996: v.a. 132 ff., 158 ff. und 194 ff.).<br />
Außerdem steht dem relativ geringen wissenschaftlichen Interesse der<br />
immense Aufwand der Aroma- und Parfumindustrie entgegen, die als<br />
duftende Artikel keineswegs nur <strong>Parfums</strong> auf den Markt bringt, sondern<br />
bei allen möglichen Pflegeprodukten einen besonderen Wert auf den<br />
entsprechenden Wohlgeruch legt. Lorig (1998) fasst diesen Widerspruch<br />
mit folgenden Worten zusammen:<br />
„The fragrance industry is a multi-billion dollar industry and supplies many mo-<br />
re products than the perfume most associated with this trade. The companies<br />
in this business sell products to scent shampoo, deodorants, tissues, soaps of<br />
all types, hand creams, leather products, toys, air fresheners, cleaning pro-<br />
ducts, and many other commodities. It seems unlikely that humans would<br />
spend so much money on something that was so ‘unimportant’” (Lorig 1998:<br />
391).<br />
Einen bemerkenswerten Erklärungsvorschlag zum Thema, wie das Ge-<br />
hirn sprachliche Prozesse verarbeitet, bieten Damasio/Damasio (1992)<br />
an, den sie aus ihren klinischen Untersuchungen an neurologisch kran-<br />
ken Patienten ableiten (vgl. Damasio/Damasio 1992: 90). Zwar themati-<br />
sieren sie nicht explizit die Schwierigkeiten, die Geruch und <strong>Sprache</strong><br />
miteinander haben, aber ihre Konzeption der Sprachverarbeitung als ein<br />
dreiteiliges System, das ein vorgeschaltetes Modul für explizit nicht-<br />
sprachliche Kognition beinhaltet, lässt sich als Erklärungsmodell für kog-<br />
nitive Abläufe heranziehen, die sich möglicherweise auch bei der<br />
Versprachlichung von Gerüchen abspielen. Sie gehen davon aus, „daß<br />
das Gehirn die <strong>Sprache</strong> mittels dreier wechselwirkender Gruppen von<br />
Strukturen verarbeitet“ (Damasio/Damasio 1992: 80).<br />
<strong>Die</strong> erste besteht nach dieser Konzeption aus einer großen Gruppe neu-<br />
raler Systeme sowohl in der linken als auch in der rechten Hemisphäre<br />
und ist „für den nichtsprachlichen, durch verschiedene sensorische und<br />
motorische Systeme vermittelten Austausch zwischen dem Organismus<br />
90
und seiner Umgebung (...) [zuständig], für all das, was eine Person tut,<br />
wahrnimmt, denkt oder fühlt“ (Damasio/Damasio 1992: 80). <strong>Die</strong>se nicht-<br />
sprachlichen Repräsentationen werden nach Kategorien geordnet, bei-<br />
spielweise nach Gestalt, Farbe, Reihenfolge oder emotionalem Zustand.<br />
Hierüber hinaus schafft dieses erste Subsystem noch eine weitere Ebe-<br />
ne der Repräsentation der Erstklassifikationen (vgl. Damasio/Damasio<br />
1992: 80) und erst die „aufeinanderfolgende Ebenen von Kategorien und<br />
symbolischen Repräsentationen bilden die Grundlage für Abstraktionen<br />
und Metaphern“ (Damasio/Damasio 1992: 80). Bezüglich dieses primär<br />
nonverbal arbeitenden Subsystems wird einmal mehr im Rückgriff auf<br />
die Forschungen von Rosch (1977) die visuelle Wahrnehmung von Far-<br />
ben und deren sprachliche Kategorisierung herangezogen und durch<br />
neurophysiologische Befunde empirisch untermauert. Es wird betont,<br />
dass „Farbkonzepte (...) universell [sind] und (...) sich bei allen Men-<br />
schen [entwickeln] unabhängig davon, ob die jeweilige Kultur dafür tat-<br />
sächlich Namen verwendet oder nicht“ (Damasio/Damasio 1992: 81).<br />
„An den neuralen Systemen, die für das Erkennen und Benennen von Farben<br />
zuständig sind, läßt sich die Organisation von Sprachstrukturen illustrieren.<br />
Untersuchungen an hirngeschädigten Patienten deuten darauf hin, daß das<br />
Bilden von Begriffen für Farben vom Funktionieren eines bestimmten neuralen<br />
Systems abhängt. Ein anderes System muß intakt sein, damit man Wörter für<br />
die Farben abrufen kann. <strong>Die</strong> richtige Verbindung zwischen Wörtern und Beg-<br />
riffen hängt offenbar von einem dritten System ab“ (Damasio/Damasio 1992:<br />
83).<br />
<strong>Die</strong> zweite Gruppe von Hirnstrukturen, die Damasio/Damasio (1992) un-<br />
terscheiden, umfasst „eine kleinere Anzahl neuronaler Systeme, die zu-<br />
meist in der linken Hirnhälfte lokalisiert sind (Damasio/Damasio 1992:<br />
81). <strong>Die</strong>sen entsprechen die weiter oben referierten klassischen Gehirn-<br />
zentren der sensorischen (Wernicke-Zentrum) und motorischen Sprach-<br />
prozesse (Broca-Zentrum).<br />
<strong>Die</strong> dritte Gruppe, die das Autorenteam ebenfalls in der linken Gehirn-<br />
hälfte ansiedelt, „vermittelt zwischen den ersten beiden. <strong>Die</strong>se [dritten]<br />
Instanzen können einen Begriff aufnehmen und das Hervorbringen von<br />
91
Wortformen stimulieren oder sie können Wörter empfangen und die an-<br />
deren Hirnteile veranlassen die entsprechenden Begriffe aufzurufen“ (i-<br />
bidem). Bei diesem dritten Subsystem der Sprachverarbeitung handelt<br />
es sich demnach um „Mediationsstrukturen“ (ibidem), die zwischen nicht-<br />
sprachlich kodierten Gedächtnisinhalten und explizit sprachlichen Vor-<br />
gängen vermitteln. Und „weil das Gehirn auf vielen Ebenen gleichzeitig<br />
Wahrnehmungen und Handlungen nach Kategorien ordnet, können aus<br />
diesem komplexen Gebilde ohne weiteres symbolische Darstellungen –<br />
etwa Metaphern – hervorgehen“ (Damasio/Damasio 1992: 83).<br />
Sie weisen in diesem Zusammenhang noch auf eine interessante neuro-<br />
physiologische Verbindung zwischen Sprach- und Gedächtnis- bezie-<br />
hungsweise Lernprozessen hin. Es wurde weiter oben schon betont,<br />
dass subkortikale Hirnregionen, die zum limbischen System gerechnet<br />
werden, entscheidend an Gedächtnisprozessen beteiligt sind. Vor allem<br />
der Hippokampus nimmt hierbei eine zentrale Rolle ein (vgl. Bear et al.<br />
2 2001: 756 ff.). Damasio/Damasio (1992) stellen fest, dass auch subkor-<br />
tikale Nervenverbindungen nachweisbar sind, die „die linken Basal-<br />
ganglien und Kerne im vorderen Teil <strong>des</strong> linken Thalamus“ (Dama-<br />
sio/Damasio 1992: 89) einbeziehen und an motorischen (expressiven)<br />
Sprachprozessen Teil haben. Darauf aufbauend konstatieren sie:<br />
„<strong>Die</strong> eigentliche Produktion von Sprachlauten kann unter der Kontrolle der cor-<br />
ticalen Bahn, der subcorticalen oder auch beider stattfinden. Der subcorticalen<br />
Bahn entspricht ein Lernen durch Gewöhnung (habituelles Lernen), der corti-<br />
calen Bahn ein Lernen auf einer höheren, bewußteren Ebene (assoziatives<br />
Lernen)“ (Damasio/Damasio 1992: 89; vgl. auch Kandel/Hawkins 1992: 66 ff.).<br />
Ausgehend von diesen Erkenntnissen kann das Versprachli-<br />
chungsproblem der Geruchswahrnehmungen durch ein weiteres Argu-<br />
ment als notwendiges Problem erklärt werden. Wenn nun im Gegensatz<br />
zum visuellen das olfaktorische Wahrnehmungssystem ohnehin wie ge-<br />
zeigt im Wesentlichen in subkortikalen Strukturen zu lokalisieren ist,<br />
kommt auch für das Erlernen eines eventuellen Elementarvokabulars<br />
<strong>des</strong> Geruchs nur das Lernen durch Gewöhnung, das habituelle Lernen in<br />
Frage. Dem Lernen durch Gewohnheit geht aber voraus, dass man die<br />
92
Situationen, in denen man lernt, für relevant erachtet und sich ihnen<br />
aussetzt. Aber das kommt beim Geruchssinn nicht vor. Wie dargelegt,<br />
wird seine Wichtigkeit für das menschliche Verhalten auf Grund seiner<br />
tendenziellen Bewusstseinsferne üblicherweise als relativ gering einge-<br />
schätzt. Das ist ja auch durchaus verständlich. Wenn man die Entschei-<br />
dung treffen müsste, entweder die Sehfähigkeit oder die Riechfähigkeit<br />
herzugeben, würde wohl kaum jemand auf sein Augenlicht verzichten<br />
nur um weiterhin riechen zu können. Das visuelle System ist für den<br />
Menschen einfach auf Grund seiner größeren Reichweite dem olfaktori-<br />
schen strategisch überlegen. Es besteht kein zwingender Evolutions-<br />
druck, über habituelles Lernen den Geruchssinn zu schärfen. <strong>Die</strong> Aufga-<br />
ben der Orientierung im Raum, der Kontrolle motorischer und dynami-<br />
scher Abläufe sowie <strong>des</strong> Scannens der Lebensumgebung, die der Ge-<br />
ruchssinn möglicherweise übernehmen könnte, werden vom visuellen<br />
System schneller und zuverlässiger erledigt. Und ganz im Gegenteil hat<br />
ja der Verlauf der Evolution durch den aufrechten Gang <strong>des</strong> Menschen<br />
entscheidende Parameter geändert, die letztlich zum Triumph <strong>des</strong> Visu-<br />
ellen (und auch <strong>des</strong> Auditiven) geführt haben – leider auf Kosten <strong>des</strong> ol-<br />
faktorischen Systems.<br />
An dieser Stelle sei ein kleines Gedankenspiel gestattet:<br />
Angenommen, es ist versehentlich bei experimentellen Genmanipulatio-<br />
nen für die Herstellung bakterieller Kampfstoffe ein grauenvolles Virus<br />
entstanden und hat die Erdatmosphäre verseucht. <strong>Die</strong>ses Virus führt da-<br />
zu, dass die gesamte Menschheit innerhalb weniger Tage ihr Augenlicht<br />
und ihr Gehör verliert, und zwar irreversibel und zu 100% vererbbar. In<br />
diesem Fall kann der Mensch sicher nicht Zehntausende von Jahren<br />
warten, bis die Evolution langfristig eine Strategie entwickelt, die die<br />
Spezies vor dem Aussterben bewahren könnte. Der individuelle und kol-<br />
lektive Selbsterhaltungsdrang würde in dieser Krisenlage sicherlich mit-<br />
telfristig durch habituelles Lernen die verbliebenen Sinnessysteme auf<br />
kreative Weise der veränderten Wahrnehmungssituation <strong>des</strong> menschli-<br />
chen Organismus anpassen und entsprechend optimieren. <strong>Die</strong>s würde<br />
vielleicht nur einige Jahrzehnte bis Jahrhunderte dauern. Davon würde<br />
93
dann auch die Kapazität <strong>des</strong> Geruchssinns entscheidend profitieren, der<br />
zu dem Fernsinn umfunktioniert werden könnte.<br />
Obwohl reichlich fiktiv, ist dieses Gedankenspiel nicht völlig abwegig,<br />
denn viele Tiere benutzen den Geruchssinn in der Tat als Fernsinn.<br />
„Ein Meister auf diesem Gebiet ist (...) das Männchen <strong>des</strong> Seidenschmetter-<br />
lings (Bombyx) [auch Seidenspinner genannt], das keine Mühe hat, ein sexuell<br />
bereites Weibchen auch über viele Kilometer durch den von ihm ausgeschie-<br />
denen Duftstoff Bombykol zu orten und zu finden“ (Vroon et al. 1996: 31).<br />
<strong>Die</strong> Menschen wären aber nicht nur aus Fortpflanzungsgründen ge-<br />
zwungen ihre Nase als überlebenssichern<strong>des</strong> Olfaktolot (analog zu E-<br />
cholot) wesentlich effizienter zu nutzen als vor der Katastrophe. Burdach<br />
(1988) spricht – passend zu dieser Situation – von der „Beeinflussung<br />
der Duftwahrnehmung durch den (...) motivationalen Status <strong>des</strong> Indivi-<br />
duums, wie sich z.B. bei der hedonistischen Bewertung von Nahrungs-<br />
mitteln zeigt: besteht Hunger (...), so werden Düfte von attraktiven Nah-<br />
rungsmitteln (...) als angenehm und attraktiv empfunden während diesel-<br />
ben Gerüche nach vollzogener Sättigung als unangenehm oder sogar<br />
aversiv wahrgenommen werden“ (Burdach 1988: 24). Der motivationale<br />
Status <strong>des</strong> Organismus, der die olfaktorische Perzeption fundamental<br />
determiniert, würde sich ja im Falle <strong>des</strong> Absterbens der visuellen und<br />
auditiven Wahrnehmung radikal ändern. Man hätte gewissermaßen eine<br />
universelle, lebenserhaltende Motivation den Geruchssinn zu optimieren.<br />
Und wenn dieser eine solche perzeptorische Schlüsselposition einnäh-<br />
me, würde er sicherlich auch auf elementare Basiskategorien getrimmt,<br />
die sich gemäß <strong>des</strong> Trial-and-error-Prinzips mit der Zeit von selbst ergä-<br />
ben. Und als Folge <strong>des</strong>sen und aus Gründen der sozialen Notwendigkeit<br />
<strong>des</strong> Überlebens der Gemeinschaft würden sich auch relevante kognitive<br />
Kategorien etablieren, die ein konventionalisiertes und verbindliches<br />
nonverbales Kommunizieren über Geruchswahrnehmungen ermöglichen<br />
würden.<br />
94
1.5.2. Versuche zur sprachlichen Klassifikation von Gerüchen<br />
Aber trotz aller genannten Schwierigkeiten, die Geruch und <strong>Sprache</strong> mit-<br />
einander haben, kann man sich natürlich sprachlich über Geruchsquali-<br />
täten verständigen, wenn auch in sehr beschränkter Weise. Und es wur-<br />
de durchaus reichlich Forschungsenergie aufgewendet um Klassifikati-<br />
onsschemata für Geruchsqualitäten zu entwerfen und die einzelnen Ka-<br />
tegorien mit sprachlichen Ausdrücken zu benennen.<br />
Gschwind (1998) stellt mehrere Klassifikationsysteme zu Geruchsbe-<br />
schreibungen (von Aristoteles über Linné bis zu verschiedenen Parfu-<br />
meuren <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts) nacheinander vor und hält sie kontrastie-<br />
rend gegeneinander. Er betont, dass allen diesen Klassifizierungsversu-<br />
chen sowohl bezüglich der Zahl der Kategorien (zwischen 5 und 14) als<br />
auch bezüglich der Benennung der einzelnen Kategorien eine auffällige<br />
Willkürlichkeit anhaftet (vgl. Gschwind 1998: 31 ff.). Zu einem ähnlichen<br />
Ergebnis kommt Burdach (1988), der eine Übersicht von Amoore (1971)<br />
referiert, in der die Anzahl der Geruchsklassen (4 bis 44) sowie deren<br />
Bezeichnungen ebenfalls erheblich divergieren. Tabelle 7 zeigt einen<br />
Auszug aus dieser Übersicht und gibt einen wunderbaren Einblick über<br />
die Willkürlichkeit bei der Klassifizierung von Gerüchen und der Benen-<br />
nung der jeweiligen Kategorien (vgl. hierzu auch Jellinek 1997 und<br />
Köster 1990).<br />
95
Linné (1756)<br />
7 Klassen<br />
Henning (1915)<br />
6 Klassen<br />
96<br />
Wright & Michels (1964)<br />
7 Klassen<br />
aromatisch fruchtig Hexylazetat<br />
blumig würzig Gewürz<br />
ambrosisch blumig Benzothiazol<br />
lauchartig brenzlig Zitral<br />
bocksartig harzig emotional<br />
widerwärtig faul unangenehm<br />
ekelerregend harzig<br />
Tabelle 7: Duftklassifiation nach Amoore (1971; zitiert in Burdach 1988: 32)<br />
Bereits dieser knappe Überblick kann als Indiz dafür gewertet werden,<br />
dass sich das Verfahren <strong>des</strong> traditionellen Klassifizieren gemäß objektiv<br />
bestimmbarer Kriterien für die Geruchsklassifikation nicht eignet. Der<br />
Geruchssinn entzieht sich offensichtlich allen traditionellen Klassifizie-<br />
rungsverfahren. Ansonsten wäre es gelungen, ein wenigstens einiger-<br />
maßen homogenes Klassifizierungssystem zu entwickeln, aber sämtliche<br />
Klassifizierungssysteme sind nicht im Geringsten kompatibel. Gschwind<br />
erklärt diesen klassifikatorischen Misserfolg mit der fehlenden Berück-<br />
sichtigung der unterschiedlichen neurophysiologischen Konstitution un-<br />
serer Wahrnehmungssysteme (Sinnesmodalitäten), die Reize unter-<br />
schiedlich verarbeiten und damit auch die kognitive Operation <strong>des</strong> Kate-<br />
gorisierens auf unterschiedliche Weise determinieren. <strong>Die</strong> Binnenstruktur<br />
von Geruchskategorien kann nicht als objektiv beschreibbar und statisch<br />
verstanden werden.<br />
Das mangelhafte Ergebnis von Klassifizierungsversuchen, die mit star-<br />
ren Entweder-oder-Kategorien arbeiten, wird sicherlich noch deutlicher,<br />
wenn man sich anschaut, wie ein und dasselbe Parfum von unterschied-<br />
lichen Parfumeuren mit sprachlichen Ausdrücken charakterisiert wird.<br />
Gschwind (1998: 48) stellt drei Frauenparfums und deren Beschreibung<br />
durch verschiedene Parfumeure nebeneinander, von denen ich aber nur
eins auswähle, nämlich das Parfum Shalimar der Firma Guerlain. Zu<br />
Shalimar sieht die Synopse so aus:<br />
Parfumeure Charakterisierung<br />
Haarmann & Reimer orientalisch, süß<br />
Naarden International blumig, amber, orientalisch<br />
Société Technique <strong>des</strong> Parfumeurs de France Ambra, süß<br />
Hobbythek orientalisch, Amber, holzig, ledrig<br />
Firmenich orientalisch, Zitrone, Vanille<br />
Givaudan orientalisch<br />
Tabelle 8: Uneinheitliche sprachliche Charakterisierung <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> Shalimar<br />
<strong>Die</strong> Häufigkeitsverteilung der den Parfumgeruch beschreibenden Wörter<br />
ist folgendermaßen:<br />
Charakterisierung Anzahl<br />
orientalisch 5<br />
amber (= Ambra = Amber) 3<br />
süß 2<br />
blumig 1<br />
holzig 1<br />
ledrig 1<br />
Zitrone 1<br />
Vanille 1<br />
Tabelle 9: Häufigkeitsverteilung der Charakterisierungen zum Parfum Shalimar<br />
Wenn man bedenkt, dass alle Parfumeure ein und dasselbe Parfum be-<br />
schreiben, ist es auffällig, dass hier acht verschiedene Geruchscharakte-<br />
ristiken auftauchen. Sie bezeichnen allesamt sehr vage Wahrnehmungs-<br />
konzepte und man muss sich fragen, ob sie sich bei genauer Betrach-<br />
97
tung für die Beschreibung eines spezifischen Geruches überhaupt eig-<br />
nen.<br />
<strong>Die</strong> am häufigsten genannte Kategorie orientalisch bezieht sich ur-<br />
sprünglich auf etwas Geographisches. Vielleicht assoziiert man mit ori-<br />
entalisch laue arabische Nächte mit Geschichten von Scheherazade.<br />
Aber wie genau riecht orientalisch? Der Herkunft <strong>des</strong> Duftstoffes, der als<br />
Amber/Ambra bezeichnet wird, sollte man möglichst nicht zu detailliert<br />
nachgehen. Es handelt sich nämlich um „eine Substanz aus dem Ma-<br />
gendarmtrakt <strong>des</strong> Pottwals, [sie] kostet pro Kilo mehr als hunderttausend<br />
Mark“ (Vroon et al. 1996: 189). <strong>Die</strong> Wahrnehmungskategorie süß stammt<br />
eigentlich aus dem Geschmacksbereich. Übertragen auf den Geruch<br />
kann alles mögliche süß riechen, von Honig über Amaretto oder Kara-<br />
mellbonbons; auch der Geruch von Cannabisprodukten wird fast immer<br />
mit süß oder süßlich beschrieben.<br />
<strong>Die</strong> restlichen hier aufgeführten Beschreibungen haben die Gemeinsam-<br />
keit, Geruchseigenschaften zu bezeichnen, die auf riechende Naturpro-<br />
dukte zurückzuführen sind. Allerdings ist ein generischer Ausdruck wie<br />
blumig als genaue Beschreibung wenig hilfreich und sogar redundant, da<br />
alle möglichen Blumen blumig riechen, aber die Düfte von Rosen, Lilien<br />
und Chrysanthemen sich deutlich voneinander unterscheiden. <strong>Die</strong>s kann<br />
man bei Gelegenheit selbst leicht nachprüfen. Zu den relativ spezifi-<br />
schen Lexemen holzig, ledrig, Zitrone, Vanille ist zu sagen, dass man<br />
sich durchaus vorstellen kann, wie etwas riecht, das nach Holz, Leder,<br />
Zitrone oder Vanille riecht, aber riecht dann auch das Parfum so? Ange-<br />
nommen, das Parfum Shalimar enthielte in der Tat unter vielen anderen<br />
auch die Komponenten mit den angegebenen Dufteigenschaften. Es ist<br />
rein wahrnehmungspsychologisch gar nicht möglich, einzelne Kompo-<br />
nenten aus einem komplexen Duftgemisch derart eindeutig zu erkennen<br />
und zu benennen. Vroon (et al. 1996) referieren hierzu ein interessantes<br />
Experiment von Laing/Francis (1989). Dabei hat man festgestellt, „daß<br />
Gemische von zwei bekannten Gerüchen (verwendet wurden unter an-<br />
derem Kampfer, Zitrone, Mandel, Essig und Pfefferminze) nur von zwölf<br />
Prozent der Testpersonen richtig identifiziert wurden. Bei aus fünf Gerü-<br />
98
chen bestehenden Gemischen sank dieser Prozentsatz sogar bis null.<br />
Auch Profis, beispielsweise Parfumeure, erzielen kaum bessere Leistun-<br />
gen. Hier gelingt es nur drei Prozent, alle Bestandteile eines fünfteiligen<br />
Gemisches richtig zuzuordnen. Auffallend ist auch, daß alle Gemische<br />
mit drei oder mehr Komponenten als gleich schwierig oder ‚nicht identifi-<br />
zierbar’ beurteilt wurden“ (Vroon et al. 1996: 89).<br />
Wenn also wie in dem Shalimar-Beispiel von professioneller Seite ver-<br />
sucht wird, ein komplexes Parfumgemisch mit wenigen Wörtern zu be-<br />
schreiben, handelt es sich unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten um<br />
Augen- oder (um im Bild zu bleiben) Nasenwischerei. Es ist nicht so,<br />
dass einzelne olfaktorische Qualitäten aus einem Parfum herausgero-<br />
chen und beschrieben werden, sondern eher so, dass einzelne pseudo-<br />
olfaktorische Qualitäten in das Parfum hineingerochen werden.<br />
Gschwind stellt daher zum Problem der Willkürlichkeit der Geruchsklas-<br />
sifikationen abschließend zurecht fest:<br />
„Im Allgemeinen [...] ist ersichtlich, dass die verglichenen Düfte wenig einheit-<br />
lich Begriffen zugeordnet werden, da die Parfumklassifikationen alle subjektiv<br />
phänomenologisch sind [...]. Vor allem aber fehlt den Klassifikationen eine ob-<br />
jektive Einteilungsgrundlage“ (Gschwind 1998: 48 f.).<br />
Zu einer etwas positiveren Einschätzung über die Möglichkeit Gerüche<br />
angemessen zu beschreiben kommen Vroon (et al. 1996), die sich auf<br />
eine Studie von Arctander (1969) beziehen. In dieser „werden über zwei-<br />
tausend Duftstoffe, wie sie in der Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie<br />
benutzt werden, in der Terminologie vertrauter Blumen, Kräuter, Gewür-<br />
ze, Getränke etc. beschrieben. (...). Insgesamt benutzte der Verfasser<br />
dreihundert verschiedene Ausdrücke, um die von Duftstoffen erzeugten<br />
Impressionen zu beschreiben“ (Vroon et al. 1996: 66). <strong>Die</strong> am häufigsten<br />
vorkommenden Begriffe wurden einer so genannten Faktorenanalyse<br />
unterzogen. Dabei handelt es sich um eine statistische Bearbeitungs-<br />
technik, mit der überprüft werden kann, ob gewisse Begriffe immer wie-<br />
der in wechselseitigem Zusammenhang mit gewissen anderen Begriffen<br />
auftauchen. Es können also semantische Cluster herausgearbeitet wer-<br />
den. Hierbei kam es zu einem positiven Ergebnis. Es stellte sich heraus,<br />
99
dass sich viele kleine Begriffsgruppen ergaben, innerhalb derer sich die<br />
Bedeutungen der Ausdrücke ähnelten. <strong>Die</strong> geclusterten Begriffsgruppen<br />
konnten deutlich voneinander abgegrenzt werden, womit gewährleistet<br />
wurde, dass sie sich auch zu spezifischen Beschreibungen eignen (vgl.<br />
Vroon et al. 1996: 66). Vroon (et al. 1996) kommen daher zu folgendem<br />
Schluss:<br />
„<strong>Die</strong> Terminologie funktioniert in dem Sinne sehr gut, dass sie die einzelnen<br />
Gerüche wirklich voneinander zu unterscheiden vermag“ (Vroon et al. 1996:<br />
66).<br />
<strong>Die</strong> Autoren gehen sogar so weit anzuregen, dass „es vernünftiger [wä-<br />
re], wenn man versuchen würde die Geruchsimpressionen in dem offen-<br />
kundig doch recht exakten Vokabular von Arctander etwas genauer zu<br />
beschreiben, um auf diese Weise die wesentlichen Eigenschaften von<br />
Gerüchen zu entschlüsseln“ (Vroon et al. 1996: 67).<br />
Andere empirische Untersuchungen auf diesem Gebiet zielen allerdings<br />
oft weniger auf die Erstellung umfassender Klassifikationssysteme ab als<br />
vielmehr auf die Klärung spezifischer Einzelfragen bei der Geruchsbe-<br />
wertung und -klassifizierung von Seiten der Probanden. Allerdings um-<br />
geht zumin<strong>des</strong>t die Methode der multidimensionalen Skalierung – hierbei<br />
steht die Wahrnehmung geruchlicher Kontrastphänomene, nicht die ver-<br />
bale Beschreibung von Einzelgerüchen im Zentrum <strong>des</strong> Interesses – das<br />
Problem der direkten Versprachlichung (vgl. Engen 1982).<br />
Besonders interessant in diesem Zusammenhang sind die Experimente<br />
von Lawless (1989 und 1991), mit denen er ermitteln wollte, ob dem<br />
Klassifizieren von Gerüchen prototypische Mechanismen zu Grunde lie-<br />
gen. In Lawless (1989) ging es darum, wie Probanden diverse unbe-<br />
kannte Gerüche zwei bekannten Kategorien zuordnen (dort: holzig und<br />
zitronig). Eine Gruppe von Versuchspersonen wurde dazu aufgefordert,<br />
sich zwischen den beiden gesicherten Kategorien zu entscheiden; hier-<br />
bei verteilte sich in etwa die Zuordnung auf beide Kategorien. Eine ande-<br />
re Gruppe hatte die Möglichkeit, die Düfte in beliebig viele Klassen auf-<br />
zuteilen, wobei sich ein fließender Übergang zwischen den einzelnen<br />
Klassen ergab (vgl. Lawless 1989: 356 f.). Laut Gschwind kann dies „als<br />
100
Hinweis für das Vorhandensein von prototypischen Strukturen der sub-<br />
jektiven Geruchsräume genommen werden” (Gschwind 1998: 56).<br />
In einer Nachfolgestudie (Lawless 1991) wurden den Probanden zu-<br />
sammen mit einem nicht eindeutigen Duft ein Prototyp einer ersten oder<br />
einer zweiten Duftkategorie dargeboten. Dabei kam es zu einem so ge-<br />
nannten „sequential contrast effect” (Lawless 1991: 319). Damit ist ge-<br />
meint, dass der ambivalente Geruch in Abhängigkeit von dem jeweils<br />
beigegebenen Prototypen unterschiedlich kategorisiert wurde. Auch dies<br />
könnte darauf hindeuten, dass eine Eindeutigkeit bei der Klassifizierung<br />
von Gerüchen nicht zu erreichen ist und somit von Geruchsklassen mit<br />
offenen oder zumin<strong>des</strong>t unscharfen Grenzen ausgegangen werden<br />
muss.<br />
Um die offenbar stark subjektiv bedingte und sich jedem objektiven Klas-<br />
sifizierungsversuch entziehende Geruchswahrnehmung doch kategorial<br />
beschreibbar zu machen, schlägt Gschwind den Rückgriff auf den von<br />
Zadeh (1987) entwickelten mathematischen Ansatz der fuzzy sets, der<br />
unscharfen Mengen vor. <strong>Die</strong>ser „könnte [...] Hilfe bieten zur präzisen Be-<br />
schreibung der sehr unscharfen Klassifikation von Geruchsreizen. <strong>Die</strong><br />
Geruchsklassen unterliegen nicht der harten zweiwertigen Logik <strong>des</strong><br />
klassischen Kategorisierens, sondern es handelt sich hierbei um Klas-<br />
sen, die ein Kontinuum in Bezug auf die Klassenzugehörigkeit aufwei-<br />
sen.” (Gschwind 1998: 28 f.). Damit kommen erneut prototypische Klas-<br />
sifikationskriterien ins Spiel. Es scheint also nach Geschwind (1998)<br />
zweckmäßiger und möglich zu sein, gemäß <strong>des</strong> prototypischen Katego-<br />
risierungsverfahrens prototypische Parameter einer Geruchskategorie zu<br />
etablieren und diese in räumliche Beziehung zueinander zu setzen, ähn-<br />
lich wie dies von diversen Farbkreisen bekannt ist (vgl. Plümacher 2004).<br />
<strong>Die</strong>s versucht der Autor in innovativer Weise, indem er mittels seines<br />
Konzeptes <strong>des</strong> Erlebnisraums komplexe klassifizierende Duftnetzwerke<br />
zu diversen Frauenparfums geometrisch darstellt (vgl. Gschwind 1998:<br />
135 ff.).<br />
Letztendlich gelöst ist das Problem damit jedoch nicht. Denn auch für ein<br />
solches Modell bräuchte man zunächst einmal das, was es nicht gibt,<br />
101
nämlich konsensfähige olfaktorische Basiskategorien innerhalb einer<br />
Sprachgemeinschaft, die als solche Referenzpunkte dienen könnten.<br />
Gelänge es, ein solches System sprachlich-olfaktorischer Referenzpunk-<br />
te konsensfähig zu etablieren und diese als Parameter (in unbestimmter<br />
Zahl) in einem geometrischen Darstellungsraum anzuordnen, dann<br />
könnte man in diesem n-dimensionalen Geruchsraum den zu beschrei-<br />
benden Einzelgerüchen entsprechende Koordinaten zuweisen, die sie in<br />
Relation setzen zu den Basisbegriffen. <strong>Die</strong>s ist allerdings momentan<br />
noch illusorisch.<br />
Auf eine recht originelle, eher qualitativ orientierte Methode um die sub-<br />
jektive Intensität von Geruchsempfindungen zu bestimmen weisen Vroon<br />
(et al. 1996) hin. <strong>Die</strong>se Methode ist insofern für das Anliegen dieser Ar-<br />
beit interessant, als sie explizit das Phänomen der inszenierten Synäs-<br />
thesie heranzieht. Sie „geht von einer Verknüpfung mit der Terminologie<br />
eines anderen Sinnesorgans aus. Demnach kann ein Geruch als scharf,<br />
hoch, warm oder süß bezeichnet werden. Hier hängt ein scharfer, hoher,<br />
warmer und süßer Geruch im Raum muß keinen Unsinn bedeuten, wenn<br />
die Begriffe scharf, hoch, warm und süß etwas über die Intensität oder<br />
Qualität einer sinnlichen Impression aussagen. In der Praxis sieht das<br />
natürlich ganz anders aus. Bei einem entsprechenden Test wird die In-<br />
tensität von Gerüchen beispielsweise mit Hilfe einer regulierbaren Licht-<br />
quelle, der Stärke eines Geräuschs u.ä. ausgedrückt (was, nebenbei<br />
bemerkt, auch nicht unproblematisch ist)“ (Vroon et al. 1996: 71). Leider<br />
berühren die Autoren die Synästhesie-Problematik, die im Rahmen mei-<br />
ner Untersuchung eine Zentralposition einnimmt, nur oberflächlich. Ob<br />
das angedeutete Verfahren, das sich sprachlich-synästhetischer Mecha-<br />
nismen bedient, als Messverfahren bezeichnet werden kann, ist aller-<br />
dings zu bezweifeln. <strong>Die</strong> zu erwartenden Daten eines solchen Experi-<br />
ments sind ja notwendigerweise keinesfalls intersubjektiv vergleichbar;<br />
es werden dabei gar keine Aussagen über Eigenschaften externer Ge-<br />
ruchsstimuli gemacht, sondern eher über die synästhetische Transferfä-<br />
higkeit der Probanden. Aber interessant ist dieses Verfahren aus heuris-<br />
tischen Gründen. Es zeigt einen möglichen, wenn auch naturwissen-<br />
102
schaftlich sicher nicht akzeptablen, Ausweg aus dem Dilemma Gerüche<br />
wahrnehmen und schweigen oder Gerüche sprachlich beschreiben und<br />
notwendig daneben liegen.<br />
1.5.3. Semiosemodi bei der Beschreibung von Geruchsqualitäten<br />
Als nächstes werden unter Zuhilfenahme der oben eingeführten semioti-<br />
schen Grundbegriffe mehrere Versprachlichungsstrategien aufgezeigt,<br />
die man üblicherweise anwendet, wenn man Gerüche beschreibt. Bei<br />
diesen Bezeichnungsweisen, die ich Semiosemodi nenne, lassen sich<br />
verschiedenartige nichtarbiträre Aspekte nachweisen.<br />
Dass Sprachzeichen im Sinne der Peirceschen Terminologie symboli-<br />
sche Zeichen sind, die einen Bezug zwischen Zeichenträger und Objekt<br />
herstellen, der sich auf Konventionalität und Arbitrarität gründet, wurde<br />
oben bereits festgestellt. Insofern handelt es sich bei sprachlichen Ge-<br />
ruchsbeschreibungen primär um eine symbolisch determinierte Semiose.<br />
Es lassen sich jedoch subtilere Motivationen der jeweiligen Bezeichnun-<br />
gen herausarbeiten, die teilweise auf einer indexikalischen, teilweise auf<br />
einer ikonischen Relation zwischen Zeichenträger und Objekt beruhen.<br />
Es zeigt sich ferner, dass man das Phänomen der sprachlichen Synäs-<br />
thesie als Spezialfall betrachten muss.<br />
Verständigt man sich im Alltag über Gerüche, geschieht dies in der Re-<br />
gel durch sprachliche Prädikation, also den „Vorgang und [das] Ergebnis<br />
der Zuordnung von Eigenschaften zu Objekten oder Sachverhalten“<br />
(Bußmann 3 2002: 528). Bei der sprachlichen Beschreibung olfaktorischer<br />
Eigenschaften ist auffällig, dass wir dabei fast immer Bezug auf die Quel-<br />
le <strong>des</strong> Geruchs nehmen, also auf die Substanz oder den Gegenstand,<br />
von dem die Geruchsreize vermutlich ausgesendet werden. Dabei kann<br />
man jedoch zwischen verschiedenen Arten der substanzbezogenen<br />
sprachlichen Prädikation unterscheiden.<br />
103
Es können voneinander abgegrenzt werden die ikonisch motivierte, die<br />
indexikalisch motivierte, die ikonisch-indexikalisch motivierte und die<br />
synästhetisch motivierte Prädikation.<br />
1.5.3.1. Ikonisch motivierte Prädikation<br />
Angenommen in einer fiktiven Situation ist ein Geruch x wahrnehmbar<br />
und jemand äußert den Satz<br />
x riecht wie Lavendel.<br />
Man kann in dieser Situation zwei simultan ablaufenden kognitive Opera-<br />
tionen der stattfindenden Semiose unterscheiden, eine nichtsprachliche<br />
und eine sprachliche.<br />
Im Falle der nichtsprachlichen Semiose entsprächen die von der unbe-<br />
kannten Substanz x emittierten Geruchsmoleküle dem Zeichenträger.<br />
<strong>Die</strong> Tatsache der Empfindung (englisch: sensation) <strong>des</strong> Geruchs durch<br />
den Organismus entspräche dem abwesenden Objekt, das den Geruch<br />
verursacht, die zu Stande kommende assoziative Wirkung, die eigentli-<br />
che Wahrnehmung (englisch: perception) durch den Rezipienten ent-<br />
spräche dem Interpretant. Auf der Wahrnehmungsseite wäre demnach<br />
ein indexikalisches Semioseverfahren anzunehmen, da der wahrneh-<br />
mende Organismus durch die Tatsache der Wahrnehmung auf eine<br />
räumlich und zeitlich gegebene Geruchsursache schließt.<br />
Bei der Versprachlichung dieses Wahrnehmungsvorgangs stellt sich die<br />
Semiose folgendermaßen dar. Der unbekannte zu beschreibende Ge-<br />
ruch x wird über sprachliche Mittel mit dem Geruch von Lavendel ver-<br />
knüpft. <strong>Die</strong>se Verknüpfung wird im Wesentlichen durch das stereotype<br />
Geruchsverb riechen und die vergleichende Konjunktion wie geleistet. Es<br />
wird also eine Vergleichbarkeit behauptet zwischen dem Geruch x und<br />
dem Geruch von Lavendel, denn wie gehört zu den „Konjunktionen, [die]<br />
zur Kennzeichnung eines Vergleichs“ benutzt werden (Duden 6 1998: §<br />
730). Man kann demnach bei der sprachlichen Semiosedimension von<br />
einer ikonischen Relation zwischen Geruch x und Lavendelgeruch spre-<br />
104
chen, denn die postulierte Vergleichbarkeit von Geruch x und dem Ge-<br />
ruch von Lavendel impliziert eine zumin<strong>des</strong>t angenommene Ähnlichkeits-<br />
relation. Außerdem schwingt bei der ikonischen Relation die Konnotation<br />
mit, dass der zu beschreibende Geruch gar nicht unbedingt von Laven-<br />
del herrührt; er ähnelt diesem nur.<br />
Formalisiert würde diese ikonische Beziehung so aussehen:<br />
Geruch x = Geruch von Lavendel.<br />
<strong>Die</strong> sprachliche Manifestation der vergleichenden Ähnlichkeitsrelation<br />
setzt natürlich voraus, dass der Geruch von Lavendel dem Interpreten<br />
der Semiose bekannt ist. Der Satz x riecht wie Lavendel sagt nichts Neu-<br />
es über den Geruch x aus. Der Satz ist nicht besonders informativ, weil<br />
er keine neue Information liefert, weil keine neue qualitative Beschrei-<br />
bung der Geruchsqualität erfolgt. Er stellt lediglich eine Relation her.<br />
Wenn man den spezifischen Geruch von Lavendel nicht kennt, ist der<br />
Satz referenzsemantisch im Grunde sogar wertlos. Dennoch hat er einen<br />
wichtigen kommunikativen Effekt, denn er erzeugt mit abstrakt-<br />
sprachlichen Mitteln eine Assoziation zwischen konkreten sinnlichen Ge-<br />
ruchserfahrungen, womit er den unbekannten Geruch in das Netzwerk<br />
von bekannten Gerüchen integriert.<br />
1.5.3.2. Indexikalisch motivierte Prädikation<br />
Eine semiotisch anders gelagerte Situation liegt zu Grunde, wenn der<br />
geruchsbeschreibende Satz lauten würde<br />
x riecht nach Lavendel.<br />
Im Rahmen der eingeführten semiotischen Basisbegriffe muss die Moti-<br />
vation <strong>des</strong> Satzes anders interpretiert werden als die <strong>des</strong> vorigen, da<br />
durch den Satz die Relation einer räumlichen und zeitlichen Kontiguität<br />
suggeriert wird. Es liegt eine indexikalische Motivation für die sprachliche<br />
Form vor, denn die Präposition nach dient prinzipiell der „Kennzeichnung<br />
<strong>des</strong> Raumes, der Lage, der Richtung“ (Duden 6 1998: § 681). Sie wird<br />
105
verwendet „in der Bedeutung ‚in eine bestimmte Richtung hin’“ (Duden<br />
6 1998: § 683). Man kann die Funktion der Präposition nach als Charakte-<br />
risierung lokaler Verhältnisse sehr gut auf den Beispielsatz übertragen.<br />
Durch nach wird eine räumliche Nähe von Lavendel postuliert. <strong>Die</strong>ser ist<br />
dadurch im Stande den wahrgenommenen Geruch zu produzieren. Der<br />
unbekannte Geruch als Zeichenträger wird nicht wie in der Konstruktion<br />
x riecht wie Lavendel gleichgesetzt mit der angenommenen bekannten<br />
Geruchsquelle, dem Objekt. Sondern es wird ein kausales Verhältnis<br />
zwischen Zeichenträger und Objekt behauptet, dass durch die vermeint-<br />
liche Kontiguität gedeckt ist. <strong>Die</strong>se indexikalische Beziehung würde for-<br />
malisiert so aussehen:<br />
Geruch x Lavendel.<br />
(Der Pfeil bedeutet hier wird verursacht durch.)<br />
Lavendel ist in diesem Fall die ursächliche Geruchsquelle, die zur Wahr-<br />
nehmung <strong>des</strong> entsprechenden Geruchs führt, ohne dass ein Vergleich<br />
konstruiert wird. Rückwirkend verweist also die Bezeichnung x riecht<br />
nach Lavendel, durch die der Geruch zur <strong>Sprache</strong> gebracht wird, auf<br />
seine ursächliche Quelle. Folglich liegt der Semiose hier in erster Linie<br />
die indexikalische Natur der sprachlich (symbolisch) kodierten Relation<br />
zwischen den beteiligten Entitäten zu Grunde.<br />
1.5.3.3. Grenzfall – ikonische oder indexikalische Motivation<br />
Nicht eindeutig hinsichtlich der Bezeichnungsmotivation ikonisch vs. in-<br />
dexikalisch zu diagnostizieren ist die Geruchsprädikation<br />
x riecht verbrannt.<br />
Das Partizip II verbrannt wird in der syntaktischen Funktion eines adver-<br />
bial gebrauchten Adjektivs verwendet. Man könnte daher auf den ersten<br />
Blick annehmen, dass es die Bedeutung <strong>des</strong> Verbs modifiziert, wie es<br />
üblicherweise bei adverbial gebrauchten Adjektiven der Fall ist. Hier liegt<br />
die Sache aber anders. Der Vorgang <strong>des</strong> Riechens wird semantisch<br />
106
nicht modifiziert, weshalb die syntaktische Bewertung als Adverbial aus-<br />
geschlossen ist. Das Verb riechen als Verb der Sinneswahrnehmung<br />
muss hier als Kopulativverb gewertet werden. Es stellt lediglich die logi-<br />
sche Verbindung zur (unbekannten) Bezugsgröße x her, die in in diesem<br />
Fall dem grammatischen Subjekt <strong>des</strong> Satzes entspricht und signalisiert,<br />
dass es sich um eine olfaktorische Beziehung handelt. Das Adjektiv-<br />
Partizip verbrannt wird damit zum prädikativen Satzadjektiv. Eine Para-<br />
phrase mit einer konjunktionalen Vergleichskonstruktion ist genauso<br />
möglich wie eine Konstruktion mit der lokalen/kausalen Präposition nach:<br />
x riecht wie ein verbranntes y;<br />
x riecht nach einem verbrannten y.<br />
Bei einer Geruchscharakterisierung in Form eines Adjektivs kann man<br />
also keine eindeutige Aussage über den zu Grunde liegenden Semiose-<br />
modus treffen.<br />
1.5.3.4. Spezialfall – synästhetisch motivierte Adjektive<br />
<strong>Die</strong> interessantesten Fälle sind Adjektive, die uneigentlich gebraucht<br />
werden, die aus anderen Wahrnehmungsbereichen in den Wahrneh-<br />
mungsbereich der Olfaktorik übertragen werden. Damit laufen die Argu-<br />
mentationsfäden Geruchsprädikation und sprachliche Synästhesie zu-<br />
sammen.<br />
Eine spezielle Art sprachlich auf Geruchswahrnehmungen zuzugreifen<br />
ist nämlich die synästhetische Prädikation, die als Sonderform <strong>des</strong> unei-<br />
gentlichen, metaphorischen Sprachgebrauchs charakterisiert werden<br />
kann.<br />
<strong>Die</strong> Bedeutung eines stereotypen Beispielsatzes wie<br />
x riecht heiß<br />
ist nicht sonderlich schwer zu dekodieren, sofern x als Variable für eine<br />
Person verstanden wird und man mit der üblichen Umgangssprache <strong>des</strong><br />
Deutschen einigermaßen vertraut ist. Das Adjektiv heiß ist ein uneigent-<br />
107
liches Synonym für sexuell erregt beziehungsweise erregend. Entschei-<br />
dend ist der synästhetische Charakter der Konstruktion. <strong>Die</strong> Geruchs-<br />
charakterisierung wird durch ein Adjektiv geleistet, bei dem es sich ei-<br />
gentlich um eine Temperaturbezeichnung handelt, dass also dem per-<br />
zeptorischen Referenzbereich der taktilen Wahrnehmung zuzuordnen ist.<br />
Im eigentlichen Sinne wird über die Geruchsqualität von x nichts ausge-<br />
sagt, x wird nicht durch ein olfaktorisches Lexem beschrieben, obwohl<br />
das Standardverb für olfaktorische Prädikation – riechen – dies sugge-<br />
riert. Vielmehr wird hier mittels <strong>des</strong> Prozesses der sprachlichen Synäs-<br />
thesie eine kognitive Assoziation hergestellt, die urprünglich olfaktorische<br />
und taktile Komponenten in eine sprachliche Konstruktion integriert.<br />
<strong>Die</strong>ses Phänomen zeichnet sich durch eine hohe semiotische Dichte<br />
aus. Fraglich bleibt jedoch, ob das synästhetische Beschreiben von Ge-<br />
ruchsqualitäten einen Zugewinn an referentieller Präzision bringt.<br />
Solche scheinbar geruchsbeschreibenden synästhetischen Adjektive fin-<br />
det man in großer Zahl in Werbetexten zu <strong>Parfums</strong>. Unter anderem mit<br />
derartigen Adjektiven wird sich die empirische Analyse eingehend be-<br />
schäftigen, die im folgenden Kapitel methodisch vorbereitet wird.<br />
108
2. METHODE: AUF DEM WEG ZUR SPRACHE DES PAR-<br />
FUMS<br />
Im Verlauf <strong>des</strong> Theorieteils wurde die zentrale Hypothese argumentativ<br />
herausgearbeitet, dass eine <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Geruchs sich notwendig<br />
sprachlicher Mittel bedienen muss, die mit Begriffen der linguistischen<br />
Poetizitätsforschung beschrieben werden können (= Poetizitäts-<br />
Hypothese).<br />
<strong>Die</strong>ses Kapitel bereitet die im Empirieteil durchgeführten <strong>des</strong>kriptiven<br />
Analysen von Produktbeschreibungen im Rahmen der Parfumwerbung<br />
methodisch vor. Dazu wird im Wesentlichen das methodische Prinzip<br />
<strong>des</strong> Archilesers (vgl. Riffaterre 1973) rekonstruiert, das es erlaubt Text-<br />
segmente zu bestimmen, die als potenziell poetisch relevant betrachtet<br />
und dann mit linguistischen Mitteln beschrieben werden können.<br />
Obwohl ich mich im späteren empirischen Teil dieser Arbeit auf die Be-<br />
schreibung textinterner Strukturen beschränke, soll zumin<strong>des</strong>t angedeu-<br />
tet sein, dass der Rahmen einer im engeren Sinne linguistischen Analy-<br />
se immer wieder durchbrochen wird. Da Werbetexte als Gebrauchstexte<br />
im öffentlichen Kommunikationsraum fungieren und einen Bezug zu rea-<br />
len Produkten herstellen, hat man es immer auch mit einer pragmati-<br />
schen Dimension zu tun. Vor allem, da diese Arbeit nach der (poeti-<br />
schen) Wirkung der Texte auf Leser fragt, die wie auch immer geartete<br />
Interpretationen vor ihrem je gegenwärtigen Erfahrungshorizont leisten.<br />
Soziolinguistische oder genderspezifische Fragestellungen, die die<br />
sprachliche Konstruktion von Männlichkeitstypen oder -idealen beleuch-<br />
ten, können hingegen in diesem Rahmen nicht weiter problematisiert<br />
werden (vgl. hierzu Holz 2004a; Baszcyk 2003; Schnierer 1999).<br />
109
2.1. Sprachkode vs. <strong>Parfums</strong>til<br />
Der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> als Spezialfall der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Geruchs sieht<br />
sich automatisch mit dem Konflikt <strong>Sprache</strong> vs. Geruch konfrontiert.<br />
Wenn die Poetizitäts-Hypothese auf die <strong>Parfums</strong>prache zutrifft, sollte es<br />
möglich sein, durch das Erfassen sprachlicher Eigentümlichkeiten eine<br />
genretypische Variante freizulegen, die für sich beanspruchen kann, cha-<br />
rakteristisch für die Werbesprache <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> zu sein.<br />
Man kann behaupten, dass die <strong>Parfums</strong>prache als ein bestimmter<br />
Sprachstil beschrieben werden kann, der sich vom Sprachkode <strong>des</strong> Ge-<br />
wöhnlichen abhebt. Mengentheoretisch gesprochen bilden die charakte-<br />
ristischen Zeichen und Zeichenrelationen, die den <strong>Parfums</strong>til prägen eine<br />
Teilmenge derjenigen <strong>des</strong> Sprachko<strong>des</strong>. Man sieht sich demnach mit der<br />
elementaren Opposition Sprachkode vs. <strong>Parfums</strong>til konfrontiert.<br />
Durch diese Unterscheidung ergibt sich eine Diskrepanz, die mit der<br />
Saussureschen Dichotomie Langue vs. Parole in Verbindung gebracht<br />
werden kann (vgl. Saussure 3 2001: 9). Zwar kann der zu beschreibende<br />
<strong>Parfums</strong>til nicht mit dem Begriff Parole gleichgesetzt werden, da er, wie<br />
zu zeigen ist, stabile morphosyntaktische und lexikalische Formen auf-<br />
weist, die als fachsprachlich kodiert betrachtet werden müssen und da-<br />
mit der Langue zuzurechnen sind. Aber das Moment der kreativen Wort-<br />
neuschöpfung in Form von Ad-hoc-Bildungen kann im Zusammenhang<br />
mit dem Begriff der Poetizität als Parole-Ereignis betrachtet werden,<br />
durch welches neuartige, noch nicht etablierte Elemente in den fach-<br />
sprachlichen Kode eingeführt werden. Insofern ist die theoretische Un-<br />
terscheidung zwischen Langue und Parole bezüglich <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Par-<br />
fums keineswegs eindeutig zu ziehen. Denn, wie (Bußmann 3 2002) be-<br />
tont:<br />
„(…) auf der Basis <strong>des</strong> L.[angue]-Systems sind P.[arole]-Ereignisse individuel-<br />
le (...), verschiedene Konkretisierungen, die durch Variabilität und Redundanz<br />
gekennzeichnet sind“ (Bußmann 3 2002: 389).<br />
Eine je spezifische sprachliche Variante kann sich immer nur aus dem<br />
systematischen spezifischen Gebrauch <strong>des</strong> Zeicheninventars herausbil-<br />
110
den, das der umfassendere Sprachkode bereitstellt. Der allgemeine<br />
Sprachkode stellt gewissermaßen den invarianten, systematischen Hin-<br />
tergrund dar, von dem sich der fachsprachlich kodierte <strong>Parfums</strong>til als<br />
quasi-individuelle Variante abhebt. Das <strong>des</strong>kriptive Herausarbeiten <strong>des</strong><br />
parfumspezifischen Sprachstils als eines Sub-Ko<strong>des</strong>, also <strong>des</strong> spezifi-<br />
schen genretypischen Vokabulars und spezifischer genretypischer Syn-<br />
tagmen ist ein wesentlicher Anspruch dieser Dissertation.<br />
Ein anderes Anliegen ist es, diejenigen Lexeme zu identifizieren, die als<br />
textspezifische Ad-hoc-Bildungen nicht zum Sub-Kode <strong>des</strong> Parfumdis-<br />
kurses gehören und damit dem Bereich der Parole zuzurechnen sind.<br />
Auf das interdependente Verhältnis zwischen Kode und Stil weist Riffa-<br />
terre (1973) im folgenden Textauszug dezidiert hin, in dem er die Kode-<br />
Stil-Diskrepanz als ein Problem zwischen linguistischen Fakten einer-<br />
seits und stilistischen Fakten andererseits formuliert:<br />
„Eine linguistische, strukturale Beschreibung <strong>des</strong> Stils bedarf (...) einer sorgfäl-<br />
tigen Klärung: einerseits sind die stilistischen Fakten nur in der <strong>Sprache</strong> greif-<br />
bar, denn diese ist ihr Vehikel; andererseits besitzen sie notwendigerweise<br />
einen spezifischen Charakter, denn sonst könnte man sie von den linguisti-<br />
schen Fakten nicht unterscheiden“ (Riffaterre 1973: 29).<br />
Eine allgemein textlinguistische, beziehungsweise textgrammatische,<br />
Beschreibung der gesamten Textgattung kann zwar möglicherweise for-<br />
malgrammatische Regelhaftigkeiten und genretypische invariante<br />
Sprachstrukturen sichtbar machen. <strong>Die</strong>se allerdings müssen nicht not-<br />
wendig mit denjenigen Texteigenschaften übereinstimmen, die als poe-<br />
tisch relevant beziehungsweise als „stilistische Einheiten“ (Riffaterre<br />
1973: 29) zu klassifizieren sind. Riffaterre dazu:<br />
„Eine rein linguistische Analyse (...) wird nur linguistische Elemente hervorhe-<br />
ben; in ihrer Beschreibung wird sie Elemente der Wortfolge, denen ein stilisti-<br />
scher Wert zukommt, mit solchen vermischen, die neutral sind; sie wird ledig-<br />
lich ihre linguistischen Funktionen isolieren, ohne anzugeben, welche Merkma-<br />
le aus ihnen auch stilistische Einheiten machen“ (Riffaterre 1973: 29).<br />
Um jedoch die poetologische Beschreibung von einer textgrammatischen<br />
zu trennen, dürfen nur linguistische Einheiten aus dem zu Grunde geleg-<br />
111
ten Korpus extrahiert werden, die mutmaßlich poetisch relevant sind und<br />
die man dann einer poetisch-stilistischen Beschreibung unterziehen<br />
kann. <strong>Die</strong> Trennung derjenigen Einheiten, die dem Stil zuzurechnen sind<br />
von denjenigen die dem Kode angehören, kann aber nicht auf Grund der<br />
subjektiven Intuition <strong>des</strong> Analytikers getroffen werden. <strong>Die</strong>se Entschei-<br />
dung muss von neutraler Seite an den Text herangetragen werden, um<br />
eine eventuelle Befangenheit <strong>des</strong> Analytikers auszuschalten.<br />
Wie bereits gesagt legitimiert sich die Suche nach poetisch relevanten<br />
Einheiten zunächst deduktiv aus dem elementaren Postulat, dass Poeti-<br />
zität ein notwendiges linguistisches Kriterium für ein Kommunizieren ü-<br />
ber Parfumgerüche ist (= Poetizitäts-Hypothese). Wer entscheidet je-<br />
doch, welche linguistischen Sequenzen als poetisch relevant zu werten<br />
sind und welche nicht? Ganz allgemein betrachtet ist beim Entwurf ele-<br />
mentarer Hypothesen die Intuition <strong>des</strong> Wissenschaftlers sicherlich not-<br />
wendig und legitim, um den Startpunkt einer wissenschaftlichen Unter-<br />
suchung zu markieren. <strong>Die</strong>se Arbeit soll aber keine ‚self-fulfilling prophe-<br />
cy’ werden. Darum wäre es wissenschaftlich unlauter, wenn ich als Ana-<br />
lytiker ein von mir erdachtes und legitimiertes poetologisches Katego-<br />
rienschema über das zu analysierende Korpus legen würde. Um also ei-<br />
nem eventuellen Vorwurf <strong>des</strong> subjektiven Impressionismus vorzubeugen,<br />
stütze ich mich auf eine etablierte methodische Verfahrensweise zur<br />
Entdeckung potenziell stilistischer Textstrukturen. Es handelt sich hierbei<br />
um das aus der strukturalen Stilistik stammenden Prinzip Archileser (im<br />
Folgenden abgekürzt zu AL), das Michael Riffaterre (vgl. Riffaterre 1973)<br />
entworfen und an eigenen Stilanalysen erfolgreich erprobt hat.<br />
<strong>Die</strong>ses Verfahren wird zunächst rekonstruiert und dann für den Zweck<br />
der Analyse <strong>des</strong> Parfumkorpus modifiziert.<br />
112
2.2. Das Prinzip Archileser – poetische Funktion vs. stilisti-<br />
sche Funktion<br />
Das aus dem Bereich der strukturalen Stilistik stammende methodische<br />
Prinzip AL, das Michael Riffaterre (vgl. Riffaterre 1973) in mehreren Ar-<br />
beiten entwickelt und erprobt hat, nähert sich dem Untersuchungsge-<br />
genstand primär von der Seite der Rezipienten. Der grundlegende An-<br />
satz dieser Art der poetologischen Stilanalyse steht generell in der Tradi-<br />
tion der linguistischen Poetik Jakobsonscher Prägung, grenzt sich aber<br />
an entscheidenden Punkten von dieser ab. In Anknüpfung an und Ab-<br />
grenzung von Jakobsons Konzept der poetischen Funktion der <strong>Sprache</strong><br />
moniert Riffaterre eine Beschränkung <strong>des</strong> Geltungsbereichs der poeti-<br />
schen Funktion und plädiert entschieden für eine Ausweitung dieses<br />
Konzeptes. Er kritisiert, dass „einer der fruchtbarsten Gedanken von R.<br />
Jakobson, der Begriff der poetischen Funktion der <strong>Sprache</strong>, (...) nur eine<br />
begrenzte Anwendung [erfährt], nämlich auf die Versdichtung; er ver-<br />
diente es, (...) verallgemeinert zu werden als stilbildende Funktion unab-<br />
hängig vom Metrum“ (Riffaterre 1973: 98).<br />
Jakobson selbst sieht aber auch eine mögliche Erweiterung seines Poe-<br />
tikkonzeptes angelegt, wenn er schreibt:<br />
„Poetics in a wider sense of the word deals with the poetic function not only in<br />
poetry, where this function is superimposed upon the other functions of langu-<br />
age, but also outside of poetry, when some other function is superimposed<br />
upon the poetic function” (Jakobson 1981: 28 f.).<br />
<strong>Die</strong>se Erweiterungsmöglichkeit <strong>des</strong> Begriffes der poetischen Funktion<br />
mache ich mir im Hinblick auf die Analyse der Parfumtexte zunutze. Bei<br />
diesen ist die übergeordnete Funktion zwar zweifelsohne die konative,<br />
denn Werbung wirbt ja nicht grundlos, sondern richtet immer einen mehr<br />
oder weniger subtil formulierten Kaufappell an den Leser. Der Appell<br />
kann allerdings auf diverse Weise kodiert sein. Und bei Parfumwerbetex-<br />
ten sind hochgradig poetische Kodierungsstrategien zu vermuten, die im<br />
113
<strong>Die</strong>nste <strong>des</strong> verschlüsselten Kaufappells stehen und dem Stil dieser<br />
Textsorte ihre diskursspezifische Prägung geben.<br />
Obwohl die poetische Funktion dem von der linguistischen Stilistik be-<br />
schriebenen Aspekt der <strong>Sprache</strong> entspricht, stört sich Riffaterre an dem<br />
Adjektiv poetisch, weil dieses seiner Meinung nach zu suggestiv ist und<br />
es den Anwendungsbereich poetologischer Analysen zu sehr für den Be-<br />
reich <strong>des</strong> Literarischen im Allgemeinen und der Versdichtung im Beson-<br />
deren reklamiert. Er schlägt als Begriffsalternative vor, „diese Funktion<br />
‚stilistisch’ zu nennen“ (Riffaterre 1973: 126), um eine Anwendung auf<br />
explizit nichtliterarische Texte nicht durch eine möglicherweise normative<br />
Denkmechanik zu belasten.<br />
Riffaterres Abgrenzung von Jakobsons Begriff poetisch ist zwar nach-<br />
vollziehbar, allerdings übernehme ich die Ausdrücke stilistisch und stilis-<br />
tische Funktion nur bei der Rekonstruktion der methodischen Verfahren<br />
Riffaterres. Ansonsten werden im Rahmen der empirischen Analysen die<br />
Begriffe poetisch und stilistisch als synonym betrachtet.<br />
2.3. Das Aufspüren stilistischer Stimuli durch den Archile-<br />
ser<br />
Der AL ist keine Person, nicht ein bestimmter Leser, sondern es handelt<br />
sich dabei um die abstrahierte Menge einer Masse an Kommentaren,<br />
Bemerkungen oder stilistischen Bewertungen (positiv oder negativ – das<br />
ist gleichgültig), mit der eine Gruppe individueller Informanten auf einen<br />
zur Debatte stehenden Text reagiert. Anders formuliert, der AL konstitu-<br />
iert sich als empirisch erfassbares Konglomerat der Reaktionen einer In-<br />
formantengruppe auf einen gewissen Text. Man könnte diese Abstrakti-<br />
on der Leserreaktionen auch als idealtypischen Leser bezeichnen. Aller-<br />
dings könnte das Adjektiv idealtypisch Assoziationen aufrufen zu dem in<br />
der generativen Transformationsgrammatik verwendeten Konzept <strong>des</strong><br />
ideal speaker, das auf Noam Chomsky zurückgeht (vgl. Chomsky 1957<br />
und 1965). <strong>Die</strong>ser Ansatz bezieht sich jedoch „auf vom kompetenten<br />
114
Sprecher bewertete Daten, auf die sprachlichen Intuitionen, die ein kom-<br />
petenter Sprecher bezüglich seiner <strong>Sprache</strong> explizieren kann“ (Bußmann<br />
3 2002: 711; vgl. zum Problem der Berufung auf das Sprachgefühl in lin-<br />
guistischen Analysen Henne 1982: 91 ff. sowie Geier 1982: 139 ff.). Das<br />
Konzept <strong>des</strong> idealen Sprechers zielt also auf die Erfassung von Ein-<br />
schätzungen zur Grammatizität von Sätzen und damit auf die individuelle<br />
Sprachkompetenz ab. <strong>Die</strong>s ist aber im Falle <strong>des</strong> AL nicht im Entferntes-<br />
ten gemeint. Im Gegenteil, es wird bei der Konstitution <strong>des</strong> AL gerade<br />
von individuellen Werturteilen abgesehen. Nicht qualitative Urteile der Art<br />
poetisch oder nicht poetisch stehen im Vordergrund, sondern das Kon-<br />
zept AL hat einen quantitativen, quasi-statistischen Hintergrund. <strong>Die</strong> An-<br />
zahl der Hinweise der individuellen Leser zu einem Text ist interessant.<br />
<strong>Die</strong>se werden zum AL zusammengefasst und sind als Indikatoren für im<br />
Text kodierte, vom Linguisten zu beschreibende Strukturen zu verste-<br />
hen.<br />
Der AL kann sich auf unterschiedliche Weise konstituieren. Riffaterre hat<br />
das AL-Verfahren beispielsweise bei einer strukturalen Stilanalyse von<br />
Baudelaires Gedicht Les Chats angewendet (vgl. Riffaterre 1969). Riffa-<br />
terres Analyse ist eine kritische Replik auf eine zuvor von Roman Jakob-<br />
son und Claude Lévi-Strauss vorgelegte text<strong>des</strong>kriptive Analyse <strong>des</strong>sel-<br />
ben Gedichts (vgl. Jakobson/Lévi-Strauss 1969: 2 ff.). Riffaterre übt un-<br />
ter anderem massive Kritik daran, dass die Analyse von Jakobson/Lévi-<br />
Strauss die Rezipientenseite so gut wie gar nicht berücksichtigt. <strong>Die</strong> Me-<br />
thodenkontroverse wird aufgearbeitet in Posner (1969: 27 ff.).<br />
Der AL zu Riffaterres Analyse von Les Chats besteht aus einer sehr he-<br />
terogenen Informantengruppe, nämlich unter anderem aus Anmerkun-<br />
gen von Baudelaire selbst, aus Bemerkungen von Theophile Gautier,<br />
Lexikonartikeln, „kritischen Apparaten oder sonstigen Anmerkungen; In-<br />
formanten, wie meinen Studenten und anderen Personen, die der Zufall<br />
in mein Netz trieb“ (Riffaterre 1973: 250 f.).<br />
Auf den Punkt gebracht heißt es bei Riffaterre definitorisch zur Konstitu-<br />
tion <strong>des</strong> AL:<br />
115
„<strong>Die</strong>se verschiedenen Typen von Informatoren werden uns Hinweise auf die<br />
im Text verschlüsselten Stimuli liefern. (...). <strong>Die</strong> für jeden Stimulus oder für ei-<br />
ne ganze stilistische Sequenz benutzte Informatorengruppe nennen wir Archi-<br />
leser“ (Riffaterre 1973: 43 f.).<br />
Das von Riffaterre vorgeschlagene Verfahren „basiert auf dem Axiom:<br />
’Kein Rauch ohne Feuer’“ (Riffaterre 1973: 40). Im Rückgriff auf die poe-<br />
tische Strategie der Deautomatisierung <strong>des</strong> Leseprozesses durch eine<br />
intendierte Fokussierung der Leseraufmerksamkeit auf formale Eigen-<br />
tümlichkeiten <strong>des</strong> Textes, geht Riffaterre davon aus, dass „die Werturtei-<br />
le <strong>des</strong> Lesers (...) durch einen im Text liegenden Stimulus verursacht<br />
[werden]. In der Funktion Sender-Empfänger, die der Text aktualisiert,<br />
kann das Verhalten <strong>des</strong> Empfängers subjektiv und variabel sein, aber es<br />
besitzt eine invariable Ursache“ (Riffaterre 1973: 40).<br />
<strong>Die</strong> gesammelten Bemerkungen der einzelnen Informanten werden<br />
demnach als Fingerzeige auf kritische Textstellen verstanden, an denen<br />
die linguistische Analyse ansetzen kann. Das Deautomatisierungspostu-<br />
lat geht dann insofern in die Konstitution <strong>des</strong> AL ein, als „jede Textstelle,<br />
die den Archileser aufhält, (...) versuchsweise als eine poetische Kom-<br />
ponente der poetischen Struktur betrachtet wird“ (Riffaterre 1973: 251).<br />
Und „der Analytiker enthält sich sorgfältig jeder Hypothese über die her-<br />
vorgehobenen Fakten und wartet, bevor er seine Struktur konstruiert, bis<br />
alle gesammelten Signale ihm durch ihre Interferenz und ihre Konver-<br />
genz eine Interpretation nahe legen, die sie alle berücksichtigt“ (Riffater-<br />
re 1973: 42). Denn, so ein weiteres Postulat, „die Meinungen und Beo-<br />
bachtungen, deren Gesamtheit den Archileser ausmacht, gruppieren<br />
sich weder zufällig, noch erstrecken sie sich über die Gesamtheit der<br />
Wortfolge; an Knotenstellen <strong>des</strong> Textes treffen sie zusammen“ (Riffaterre<br />
1973: 48).<br />
Bei einer AL-Erhebung ist bezüglich der Reaktionen auf einen Text si-<br />
cherlich keine Übereinstimmung aller zu Rate gezogenen Leserindividu-<br />
en zu erwarten. <strong>Die</strong> Leserreaktionen werden sicherlich immer Streuun-<br />
gen aufweisen, aber es ist anzunehmen, dass sie an gewissen Stellen<br />
<strong>des</strong> Textes gehäuft auftreten. Stellt man also eine auffällige Häufung<br />
116
thematisierter Textstellen fest, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass an diesen Textstellen strukturelle Besonderheiten kodiert sind, die<br />
der Linguist dann weiter gehend unter die poetologische Lupe nehmen<br />
kann.<br />
Ein Kunstgriff bei der Verwendung <strong>des</strong> AL ist, dass eventuell auftretende<br />
Werturteile – positive oder negative – vom Analytiker gewissermaßen<br />
neutralisiert, um nicht zu sagen als Werturteile offensiv ignoriert werden.<br />
Indem er sich auf die Beschreibung der linguistischen Fakten konzent-<br />
riert, die die subjektiven, intuitiven Urteile <strong>des</strong> AL vorlegen, geht er über<br />
die Intuition <strong>des</strong> Lesers hinaus (vgl. Riffaterre 1973: 99) und kommt zu<br />
einer intersubjektiv überprüfbaren Beschreibung. Um die zu erwartende<br />
Heterogenität bei der Konstitution <strong>des</strong> AL handhabbar zu machen, for-<br />
muliert Riffaterre in diesem Zusammenhang eine Verfahrensweise um<br />
das „Werturteil <strong>des</strong> Lesers zu ‚reinigen’“ (Riffaterre 1973: 99).<br />
„Der Linguist begnügt sich damit, die formalen Merkmale je<strong>des</strong> Textabschnit-<br />
tes zu beschreiben, der seitens <strong>des</strong> Lesers (...) eine Reaktion hervorruft.<br />
Wenn der Linguist genau an diesem Punkt eine strukturale Besonderheit ent-<br />
deckt, ist er berechtigt nicht die Richtigkeit der ästhetischen Bewertung zu be-<br />
haupten, sondern zu sagen, daß das Verfahren <strong>des</strong> Lesers motiviert war.<br />
Wenn die Analyse negativ ist, wenn kein charakteristischer Unterschied ent-<br />
deckt wird, darf man nicht darauf schließen, daß das Werturteil falsch war,<br />
sondern daß das, was es motiviert, außerlinguistischer Art ist (...)“ (Riffaterre<br />
1973: 99 f.).<br />
Denn das essentielle methodische Operationalisierungsproblem besteht<br />
ja darin, „eine grundsätzlich subjektive Reaktion auf den Stil in ein objek-<br />
tives Analyseinstrument umzuwandeln, um in der Vielfalt der Urteile<br />
Konstanten (verschlüsselte Möglichkeiten) zu finden, kurz, die Wertaus-<br />
sagen in Existenzurteile umzuwandeln“ (Riffaterre 1973: 40). Es ist also<br />
bei der Erhebung der Daten zum AL gar nicht relevant wie der Leser auf<br />
stilistische Eigentümlichkeiten reagiert, sondern relevant ist nur, dass er<br />
reagiert. <strong>Die</strong>se Transformation eines Werturteils in eine Existenzaussage<br />
erreicht man laut Riffaterre „dadurch, daß man den Inhalt <strong>des</strong> Werturteils<br />
völlig vernachlässigt und es wie ein einfaches Signal behandelt“ (Riffa-<br />
117
terre 1973: 40). Um das von Riffaterre eingangs angeführte Bild <strong>des</strong><br />
Rauchs aufzunehmen, den es ohne Feuer nicht gibt: Dem Leser mag der<br />
Geruch <strong>des</strong> stilistischen Rauches an einer bestimmten Textstelle be-<br />
kommen oder nicht – aber dass er ihn bemerkt und bewertet ist ein Indiz<br />
dafür, dass es etwas im Text geben muss, was die Reaktion ausgelöst<br />
hat – unabhängig von der subjektiven Evaluation. Und die Signale als<br />
reine Signale sind das Interessante für den Linguisten, der dadurch eine<br />
objektivierte Basis gewinnt, von wo aus er poetologische Strukturen re-<br />
konstruieren kann. Riffaterre verwendet hier einen Signalbegriff, wie er in<br />
der Informationstheorie gebräuchlich ist. Dort zeigt dieser den „Zustand<br />
oder [die] Veränderung materieller (...) Systeme” an (Bußmann 3 2002:<br />
599; vgl. auch Klaus 4 1976: 707 ff.).<br />
Ein Signal in diesem Sinne ist als potenzieller Informationsträger zu ver-<br />
stehen und hat an sich noch keinen Symbolcharakter. <strong>Die</strong> Interpretation<br />
eines Signals ist von dem System abhängig, innerhalb <strong>des</strong>sen es jeweils<br />
beschrieben wird. Der Übergang vom potenziell poetischen Signal zum<br />
ästhetischen Werturteil findet selten innerhalb eindeutig definierter ästhe-<br />
tischer Wertesysteme statt und wird als solcher leider häufig nur unge-<br />
nügend ausgewiesen. <strong>Die</strong>ser Übergang ist nicht selbstverständlich und<br />
bedarf der systematischen Rechtfertigung. Nach Riffaterres Auffassung<br />
wird dem Signal <strong>des</strong> Lesers lediglich die Funktion zugesprochen, mögli-<br />
cherweise ein stilistisches Verfahren anzuzeigen. Eine eventuelle Verifi-<br />
zierung leistet dann in einem zweiten Schritt die struktural-<strong>des</strong>kriptive<br />
Analyse.<br />
2.4. Was ist eine strukturelle Besonderheit? – Riffaterres<br />
Kontext-Begriff<br />
<strong>Die</strong> genauere aber zunächst noch abstrakte Charakteristik der von Riffa-<br />
terre postulierten strukturellen Besonderheit kann mit dem Begriff der<br />
Deautomatisierung verknüpft werden, der bereits im Theorieteil erarbei-<br />
tet wurde. Eine deautomatisierte Rezeption eines Textes wird durch<br />
118
sprachliche Elemente bedingt, die dem Leser einen höheren Grad an<br />
Aufmerksamkeit abverlangen, als dies bei den anderen Elementen der<br />
Fall ist, in die Erstere eingebettet sind. Das Konzept einer deautomati-<br />
sierten Textrezeption macht natürlich nur Sinn, wenn sie mit einer auto-<br />
matisierten kontrastiert. Automatisierung und Deautomatisierung <strong>des</strong> Le-<br />
seprozesses sind zwei Seiten derselben Medaille; sie stehen in einem<br />
komplementären Verhältnis zueinander. Riffaterre verwendet nicht die<br />
Dichotomie De-/Automatisierung, sondern führt statt <strong>des</strong>sen die Begriffe<br />
„stilistischer Kontext“, „pattern“ und „Kontrast“ ein, um seine Konzeption<br />
<strong>des</strong> „stilistischen Verfahrens“ zu entwickeln (Riffaterre 1973: 51 ff.). Er<br />
geht bei der Explikation dieser Begriffe von der Hypothese aus, „daß der<br />
Kontext die Rolle der Norm spielt und der Stil durch eine Abweichung<br />
davon entsteht“ (Riffaterre 1973: 51 f.; vgl. auch Wales 1989: 116 ff.).<br />
Riffaterre wendet sehr viel Energie dafür auf, sich von einer normativen<br />
Stilistik und damit von Methoden einer als Literaturkritik auftretenden Li-<br />
teraturwissenschaft abzugrenzen, deren Anliegen unter anderem eine<br />
Bestimmung <strong>des</strong> literarischen Stilbegriffs ist (vgl. Riffaterre 1973: 29 ff.<br />
und 98 ff.). Das methodische Ringen um eine strukturale Stilistik, die auf<br />
einen fest umrissenen, linguistisch fundierten Stilbegriff abzielt, soll hier<br />
aber nicht weiter referiert werden (vgl. hierzu Enkvist 1973; Fish 1981;<br />
Taylor 1981). Indem Riffaterre die Norm mit dem Kontext identifiziert und<br />
damit konsequenterweise das Diagnostizieren <strong>des</strong> textspezifischen, von<br />
dieser Kontext-Norm abweichenden Stils in den Text selbst verlegt,<br />
macht er sich auf zweierlei Weise unabhängig. Erstens von einem all-<br />
tagssprachlichen Empfinden, was als stilistisch normal gilt und was als<br />
besonders. Und zweitens von jeglichem dogmatisch-normativen An-<br />
spruch, mit dem wissenschaftliche oder andere, häufig selbst ernannte<br />
Autoritäten einen Text als stilistisch gut oder schlecht klassifizieren.<br />
Es muss betont werden, dass sich der Ausdruck Kontext nicht – wie e-<br />
ventuell innerhalb eines pragmatischen oder diskursanalytischen Rah-<br />
mens – auf das situative Setting bezieht, innerhalb <strong>des</strong>sen sprachliche<br />
Kommunikation stattfindet. <strong>Die</strong> Riffaterresche Konzeption <strong>des</strong> sprachli-<br />
chen, textinternen Kontexts als Norm darf daher nicht mit Jakobsons<br />
119
Kontext-Begriff verwechselt werden, der mit der referentiellen Sprach-<br />
funktion korreliert und außersprachliche Entitäten oder Sachverhalte ein-<br />
bezieht. Sondern „der stilistische Kontext ist ein linguistisches pattern,<br />
das von einem unvorhersehbaren Element durchbrochen wird (...)” (Rif-<br />
faterre 1973: 53). Obwohl hier der Riffaterresche Kontext-Begriff rekon-<br />
struiert wird, werde ich mich später der in der angelsächsischen Literatur<br />
gängigen begrifflichen Unterscheidung zwischen Kontext und Ko-Text<br />
bedienen. Der Begriff <strong>des</strong> Ko-Textes ist so definiert:<br />
„Co-text: A term used by some British linguists as an attempt to resolve the<br />
ambiguity of the term context, which can refer to both linguistic and situational<br />
environments. The practice is to reserve ‘co-text’ for the former, and context<br />
for the latter” (Crystal 1980: 87; vgl. auch Brown/Yule 1983: 46 f. und 125 f.).<br />
Der stilistische Kontext wird hier also verstanden als ein sprachliches<br />
Schema, eine aus äquivalenten linguistischen Elementen bestehende<br />
Matrix, in welche an charakteristischen Stellen gewisse linguistische E-<br />
lemente eingeführt sind, die als relativ ungleichmäßig auffallen und damit<br />
die relative Gleichmäßigkeit der Textmatrix durchbrechen. Der Leser er-<br />
wartet einen solchen Bruch nicht, er kommt ihm als unwahrscheinlich vor<br />
wie das Auftreten der <strong>Sprache</strong>lemente, die ihn erzeugen. Bei dem Mo-<br />
ment <strong>des</strong> unwahrscheinlichen Auftretens schwingt ein statistischer Un-<br />
terton mit. <strong>Die</strong> Statistik als explizites Verfahren der stilistischen Analyse<br />
relativiert Riffaterre jedoch, wenn er schreibt:<br />
„Ich wollte (...) lediglich von einer statistischen Abweichung bezüglich der im<br />
und durch den Text aufgestellten Wahrscheinlichkeit sprechen, wobei die Zu-<br />
hilfenahme der Statistik nur ein Mittel zur Beschreibung <strong>des</strong> Phänomens, nicht<br />
jedoch ein Instrument zu seiner Entdeckung ist. Nun glaube ich, daß diese sta-<br />
tistische Beschreibung (die nach der Erhebung der Fakten kommt und nicht<br />
heuristisch ist) eine unnötige Etappe ist. Da das (...) [stilistische] Phänomen<br />
nicht der Text allein, sondern die Modalitäten seiner Wahrnehmung durch den<br />
Leser sind, kann man ebenso die maximale Entschlüsselung mit Begriffen<br />
grammatikalischer und semantischer Unwahrscheinlichkeit beschreiben“ (Rif-<br />
faterre 1973: 71).<br />
120
<strong>Die</strong>se charakteristischen Textstellen <strong>des</strong> unwahrscheinlichen Auftretens<br />
gewisser Elemente sind es dann, die sich aus den Hinweisen <strong>des</strong> AL er-<br />
geben. <strong>Die</strong> stilistische Wirkung in Form einer relativen Unvorhersehbar-<br />
keit gewisser Elemente kommt durch eine Kontrastwahrnehmung zu-<br />
stande. Das kontrastierende Element, so Riffaterre weiter, wird als auf-<br />
fällig wahrgenommen und muss demzufolge als stilistisch markiert be-<br />
zeichnet werden, es ist „der stilistische Stimulus” (Riffaterre 1973: 53).<br />
Dem Kontext als nicht-markiertem Hintergrund kommt aber ebenfalls<br />
systematische Relevanz zu, da er in Form eines sprachlichen Musters<br />
die textinterne Norm etabliert, von der der stilistische Stimulus abweicht.<br />
Und diese Norm als Kontext „wird im Text durch die Rekurrenz bestimm-<br />
ter Konstituenten gebildet“ (Riffaterre 1973: 66). Der Riffaterresche Kon-<br />
text konstituiert demnach die Bedingung <strong>des</strong> Gewöhnlichen, unter der<br />
ein markiertes Element als das Besondere, das Unvorhersehbare her-<br />
vortreten und ein Kontrast überhaupt erst wahrgenommen werden kann.<br />
„Man kann unter diesen Bedingungen vom stilistischen Verfahren als einem<br />
Element sprechen, das durch Kontaminierung die Rolle <strong>des</strong> als nicht-<br />
markiertes Element einer Opposition aufgefaßten Kontextes verändert” (Riffa-<br />
terre 1973: 79).<br />
Eine derartige Definition <strong>des</strong> Begriffes Kontext, der sich innerhalb <strong>des</strong><br />
Textes selbst konstituiert, führt zu einem textimmanenten Stilbegriff. Rif-<br />
faterres Konzept von Stil prägt sich also immer aus in einem kontrastiven<br />
Spannungsfeld zwischen (textimmanenter) Norm und einer Abweichung<br />
davon, wodurch gewisse Elemente hervorgehoben werden. Er bringt<br />
dies folgendermaßen auf den Punkt:<br />
„Es ist klarer und ökonomischer, den Stil als eine Hervorhebung zu bezeich-<br />
nen, die der Aufmerksamkeit <strong>des</strong> Lesers bestimmte Elemente der Wortfolge<br />
aufnötigt (...)” (Riffaterre 1973: 31).<br />
Wie sich der Riffaterrsche Kontext-Begriff konkret füllen und damit ver-<br />
anschaulichen lässt, wird im nächsten Abschnitt dargestellt.<br />
121
2.4.1. Makrokontext, Mikrokontext, stilistisches Verfahren<br />
Riffaterre spaltet den Begriff <strong>des</strong> Kontextes, also der linguistischen Um-<br />
gebung, in der sich ein stilistischer Kontrast bemerkbar machen kann,<br />
auf in „Makrokontext” und „Mikrokontext” (Riffaterre 1973: 60 ff.).<br />
Der Makrokontext wird etabliert durch „wiederholte Elemente oder die<br />
Akkumulation analoger Elemente” (Riffaterre 1973: 66) und determiniert<br />
beim Leser eine gewisse Erwartungshaltung, die sich aus der Gewöh-<br />
nung an eine textimplizite Norm erklärt. <strong>Die</strong>s setzt bei der Rezeption ei-<br />
nes Textes die „räumliche Segmentierung“ (Riffaterre 1973: 73) der<br />
sprachlichen Elemente während <strong>des</strong> linear ablaufenden Leseprozesses<br />
voraus. Sobald der Leser während <strong>des</strong> linearen Rezeptionsprozesses<br />
durch die wiederholte Wahrnehmung analoger Elemente bemerkt, dass<br />
sich aus einzelnen Elementen ein Muster etabliert und „daß diese Fakten<br />
vergleichbar sind, entschlüsselt er sie als Varianten derselben Struktur,<br />
deduziert die Regel dieser Struktur (der dem Text eigenen Norm) und<br />
reagiert auf die erste Variante, wo ein Element abweichend, d.h. auf-<br />
grund dieser Regel unvorhersagbar wird“ (Riffaterre 1973: 66). <strong>Die</strong> Ak-<br />
kumulation der analogen Elemente, so Riffaterre weiter, führt also beim<br />
Leser zu einer gesteigerten Erwartung weiterer Elemente, die sich in das<br />
Muster fügen. Das Ende einer als Makrokontext für ein stilistisches Ver-<br />
fahren dienende verbale Sequenz wird dann durch einen Bruch <strong>des</strong><br />
Musters markiert, durch ein Element, das die gesteigerte Erwartung ent-<br />
täuscht und durch einen Kontrast erhöhte Aufmerksamkeit auf sich zieht.<br />
„[Denn] der (...) Träger der frustrierten Erwartung ist eine gesteigerte Erwar-<br />
tung, die dem Auftreten <strong>des</strong> Elements niedriger Vorhersehbarkeit vorangeht.<br />
<strong>Die</strong>se gesteigerte Erwartung ergibt sich aus der Verstärkung <strong>des</strong> Kontexts-<br />
Patterns. Folglich können wir das Prinzip aufstellen, daß die stilistische Funk-<br />
tion dazu neigt, die verbalen Folgen entsprechend einer Linie höherer oder<br />
niedriger Wahrscheinlichkeit zu entwickeln“ (Riffaterre 1973: 128).<br />
Während das Ende einer Makrokontext-Sequenz durch das unerwartete<br />
kontrastierende Element klar bestimmt ist, bleibt die Frage nach <strong>des</strong>sen<br />
Anfang eine zu klärende Schwierigkeit, der sich Riffaterre stellt, wenn er<br />
122
zu bedenken gibt, dass „die Lösung dieses Problems schwieriger“ (Riffa-<br />
terre 1973: 74) ist. Es kann nicht definitiv von außen bestimmt werden,<br />
ab wann ein Leser begonnen hat, den postulierten Makrokontext wahr-<br />
zunehmen. Es ist lediglich notwendig so, dass es irgendwann vor der<br />
Kontrastwahrnehmung gewesen sein muss. Es hilft auch nicht mit Si-<br />
cherheit, sich an (text-)linguistischen Einheiten wie Absatz oder Satz zu<br />
orientieren, „da die stilistischen Wirkungen sich auf mehrere linguistische<br />
Einheiten erstrecken können (obwohl in Wirklichkeit der Kontext oft mit<br />
einem Absatz oder einem Punkt einsetzt)“ (Riffaterre 1973: 74). Außer-<br />
dem wird die Situation dadurch erschwert, dass nicht nur ein Makrokon-<br />
text zur Vorbereitung eines Kontrastes dient, sondern „der Makrokontext<br />
[weitere] stilistische Verfahren enthalten kann“ (Riffaterre 1973: 74). Statt<br />
einer präzisen Definition <strong>des</strong> Makrokontext-Beginns schlägt Riffaterre ein<br />
pragmatisches Arrangement vor und lässt <strong>des</strong>sen Bestimmung vage, in-<br />
dem er seine Identifizierung der Entscheidung <strong>des</strong> Lesers überlässt.<br />
Demnach wäre es legitim zu behaupten, dass der durch das linguistische<br />
Muster erzeugte „Kontext dort beginnt, wo der Leser die Existenz eines<br />
beliebigen kontinuierlichen pattern wahrnimmt“ (Riffaterre 1973: 75).<br />
2.4.1.1. Varianten <strong>des</strong> Makrokontextes: Typ-1<br />
Riffaterre unterscheidet zwei Arten von Makrokontext. Bei der ersten Va-<br />
riante wird zunächst durch analoge Elemente ein Muster erzeugt, dass<br />
den Kontrast vorbereitet. <strong>Die</strong>ses wird dann durch das entsprechende<br />
kontrastive Element gebrochen, wonach aber das zuvor etablierte Kon-<br />
text-Muster erneut etabliert wird.<br />
„Das gängigste Beispiel dieses Typs ist die Einführung eines dem verwende-<br />
ten Kode fremden Wortes in den Kontext, (…) [beispielsweise] Lehnwort, Ar-<br />
chaismus, Neologismus“ (Riffaterre 1973: 75).<br />
Er veranschaulicht diese Art von Makrokontext anhand eines Textaus-<br />
zugs aus dem Drama Get Married von G. B. Shaw, in dem die Verwen-<br />
dung eines Archaismus den stilistischen Kontrast markiert:<br />
123
„Poor Mr. Pecksniff (..) is represented as a criminal instead of as a / very typi-<br />
cal English / paterfamilias / keeping a roof over the head of himself and his<br />
daughters.<br />
(Der arme Mr. P. wird als Krimineller dargestellt anstatt als ein sehr typischer<br />
englischer Paterfamilias, der für sein tägliches Brot und für das seiner Töchter<br />
sorgt)“ (zitiert nach Riffaterre 1973: 75).<br />
Riffaterre argumentiert, dass das aus dem Lateinischen stammende<br />
Substantiv paterfamilias als Archaismus in einer sonst standardsprachli-<br />
chen englischen Textumgebung als unerwartetes Element einen stilisti-<br />
schen Kontrast markiert.<br />
„Im Anschluss an dieses Verfahren geht der Satz weiter und nimmt sein ge-<br />
wöhnliches Vokabular wieder auf; diese Wiederaufnahme nach der Unterbre-<br />
chung trägt dazu bei, das Verfahren als verhältnismäßig anormal fühlen zu<br />
lassen“ (Riffaterre 1973: 76).<br />
Riffaterre bietet auch ein schematisiertes Modell an, das diesen Typus<br />
<strong>des</strong> Makrokontextes charakterisiert:<br />
„Kontext stilistisches Verfahren Kontext“<br />
(Riffaterre 1973: 75).<br />
2.4.1.2. Varianten <strong>des</strong> Makrokontextes: Typ-2<br />
Beim zweiten Typ <strong>des</strong> Makrokontextes wird zwar zunächst der Kontrast<br />
auch, wie bei Typ-1, durch ein kontextfrem<strong>des</strong> Element (beispielsweise<br />
einen Archaismus) erzeugt und damit ein stilistisches Verfahren markiert.<br />
Allerdings kann es der Fall sein, dass im weiteren Textverlauf weitere<br />
Archaismen auftauchen und sich dadurch ein neues Muster ergibt, das<br />
mit fortschreitender Lese- und damit Gewöhnungszeit die Rolle eines<br />
neuen Kontextes übernimmt.<br />
„<strong>Die</strong> sich daraus ergebende Saturation führt dazu, daß diese stilistischen Ver-<br />
fahren ihren Kontrastwert verlieren, sie hebt ihre Fähigkeit auf, einen besonde-<br />
ren Punkt <strong>des</strong> Textes zu akzentuieren und reduziert sich auf die Rolle von<br />
124
Komponenten eines neuen Kontextes; dieser Kontext seinerseits erlaubt neue<br />
Kontraste“ (Riffaterre 1973: 76).<br />
Der einzige Unterschied zum Makrokontext Typ-1 ist also, dass im Falle<br />
<strong>des</strong> Typs-2 das zunächst als abweichend wahrgenommene Element sich<br />
im Verlauf der Textlinearität als Startpunkt eines neuen Kontextmusters<br />
erweist. Innerhalb dieses neuen Kontextes kann dann ein neues kontext-<br />
frem<strong>des</strong> Element die Funktion eines stilistischen Verfahrens einnehmen.<br />
Es kann also beispielsweise so aussehen, dass in einer als Kontext e-<br />
tablierten Textsequenz, die durch standardsprachliche Substantive do-<br />
miniert ist, plötzlich ein vulgärsprachliches Substantiv auftaucht. <strong>Die</strong>ses<br />
wäre dann unerwartet und als stilistisch relevant zu diagnostizieren. Häu-<br />
fen sich aber im weiteren Textverlauf vulgärsprachliche Substantive, so<br />
stellt sich der Leser auf diese als neue textinterne Norm ein. Ein dann<br />
plötzlich wieder auftauchen<strong>des</strong> standardsprachliches Substantiv würde<br />
im Gegenzug als kontextfremd auffallen und wäre damit stilistisch rele-<br />
vant. Riffaterres Modellierung <strong>des</strong> Makrokontexts Typ-2 sieht daher fol-<br />
gendermaßen aus:<br />
„Kontext stilistisches Verfahren/Ausgangspunkt eines neuen Kontextes <br />
stilistisches Verfahren“<br />
(Riffaterre 1973: 76).<br />
2.4.1.3. Varianten <strong>des</strong> Mikrokontextes: Typ-1<br />
In Abgrenzung vom Makrokontext, bei dem das Moment der Rekurrenz<br />
der entscheidende Faktor ist um ein Kontextmuster zu konstruieren,<br />
weist „der Mikrokontext dagegen (...) keine Variantenfolge auf” (Riffaterre<br />
1973: 66). Aber eine kontrastive Wahrnehmung ist auch hier das Kriteri-<br />
um der stilistischen Relevanz. Der Mikrokontext ist vorstellbar als ein bi-<br />
polares Subsystem innerhalb <strong>des</strong> texttopografisch großflächiger ange-<br />
legten Makrokontextes. Abstrakt formuliert besteht dieses Subsystem<br />
aus einer Konstellation von zwei Elementen, die ein stereotypes Syn-<br />
tagma bilden. Ein stilistischer Stimulus wird innerhalb <strong>des</strong> Mikrokontex-<br />
125
tes dadurch erzeugt, dass eine der Konstituenten von der beim Leser als<br />
Standard konditionierten Konfiguration abweicht. <strong>Die</strong> postulierte Konditi-<br />
onierung ist entweder durch generell akzeptierte grammatische Kon-<br />
struktionen innerhalb <strong>des</strong> allgemeinen Sprachko<strong>des</strong> gewährleistet (Mik-<br />
rokontext Typ-1) oder sie wird durch die Abweichung innerhalb eines<br />
vom Text selbst etablierten Modells geleistet (Mikrokontext Typ-2).<br />
Bezüglich der Kontrastwahrnehmung ist zu betonen, dass es beim Kon-<br />
zept <strong>des</strong> Mikrokontextes nicht um den Kontrast zu einer durch den um-<br />
gebenden Gesamttext konstruierten Norm geht, sondern er taucht punk-<br />
tuell in relativ kurzen Sequenzen auf.<br />
Wie bei seinem Konzept <strong>des</strong> Makrokontextes unterscheidet Riffaterre<br />
auch beim Mikrokontext zwei Varianten, die wie folgt konkretisiert wer-<br />
den können.<br />
<strong>Die</strong> erste Spielart <strong>des</strong> Mikrokontextes (Typ-1), die als theoretisches Mo-<br />
dell für die späteren empirischen Analysen richtungweisend ist, erläutert<br />
Riffaterre an dem französischen Sprachbeispiel cette obscure clarté<br />
(deutsch: diese dunkle Helligkeit), das aus Corneilles Le Cid stammt (vgl.<br />
Riffaterre 1973: 64 ff.).<br />
Bei der syntaktischen Strukturbeschreibung von Nominalgruppen folge<br />
ich Eisenberg (2000). Er stellt bezüglich der internen hierarchischen<br />
Struktur von NGr fest, dass „die Verwendung <strong>des</strong> Substantivs innerhalb<br />
der NGr (...) durch seine Funktion als Kern (nuk) [bestimmt ist]. In dieser<br />
Funktion steht es dem Artikel gegenüber, der den Kopf (hd) der NGr bil-<br />
det (...). Außer den Artikeln können in der Kopfposition bestimmte Pro-<br />
nomina stehen, z.B. dieser, jener Baum (...). Als Kern kann das Substan-<br />
tiv (...) Attribute haben, die es modifizieren, beispielsweise ein adjektivi-<br />
sches (...) Attribut (...)“ (Eisenberg 2000: 329; vgl. auch Olsen 1991: 65<br />
ff. sowie Bhatt 1990: 79 ff. und 89 ff.).<br />
Als Kern der NGr cette obscure clarté – diese Strukturbeschreibung trifft<br />
gleichermaßen für das französische Original wie für die deutsche Über-<br />
setzung zu – tritt das Substantiv clarté (deutsch: Helligkeit) auf, den Kopf<br />
bildet das Demonstrativpronomen cette (deutsch: diese). <strong>Die</strong> NGr enthält<br />
126
überdies als adnominales Adjunkt das attributiv gebrauchte Adjektiv obs-<br />
cure (deutsch: dunkel).<br />
<strong>Die</strong> Kombination attributives Adjektiv + Substantiv ist im Sprachsystem<br />
<strong>des</strong> Französischen (wie <strong>des</strong> Deutschen) ein hochgradig konventionali-<br />
siertes Syntagma und kann als grammatisches Stereotyp bezeichnet<br />
werden. Auf der linguistischen Ebene der Morphosyntaktik ist das Bei-<br />
spiel obscure clarté entsprechend dem allgemeinen Kode, der Langue<br />
der französischen (beziehungsweise der deutschen) <strong>Sprache</strong> gebildet.<br />
Aber die lexikalische Füllung der formal vorgesehenen Kategorien Adjek-<br />
tiv und Substantiv weisen eine semantische Kongruenzverletzung auf.<br />
Zu erwarten ist lexikalische Solidarität zwischen Adjektiv und Substantiv.<br />
Formuliert in der Terminologie der Prädikatenlogik kann man eine Kont-<br />
radiktion zwischen dem Argument clarté und dem einstelligen Prädikat<br />
obscure konstatieren, also eine klassische contradictio in adiecto (vgl.<br />
Hügli/Lübcke 1997: 125 f.).<br />
Unabhängig von der Wortart werden mit clarté und obscure Lexeme ak-<br />
tualisiert, die ihrerseits kognitive Konzepte repräsentieren und demsel-<br />
ben lexikalischen Feld zuzurechnen sind, nämlich dem Wortfeld Licht<br />
(vgl. zum Begriff <strong>des</strong> Wortfel<strong>des</strong> Lutzeier 1981 und 1983). Aber innerhalb<br />
dieser paradigmatischen Ordnung markieren die beiden Lexeme Ex-<br />
trempositionen und stehen als graduierbare Antonyme in kontradiktori-<br />
schem Verhältnis zueinander. Merkmalssemantisch kann die Relation so<br />
notiert werden:<br />
clarté [+hell] vs. obscure [-hell].<br />
Riffaterre modifiziert diesen logischen Widerspruch für seine Definition<br />
<strong>des</strong> Mikrokontextes und identifiziert den Kontrast zweier formal kon-<br />
gruenter, semantisch aber inkongruenter Lexeme als stilistisches Fak-<br />
tum. Er geht davon aus, dass die formale Kohäsion einer Adjektivphrase<br />
so stark ist, dass deren Bestandteile bei der Lektüre wie ein Lexem<br />
wahrgenommen wird. Er schreibt dazu:<br />
„<strong>Die</strong> Komponenten <strong>des</strong> Stilfaktums werden simultan wahrgenommen (...). <strong>Die</strong><br />
Kombination [der semantisch unverträglichen Lexeme] ist hier unvorhersehbar<br />
(und wird durch einen wirksamen Kontrast ausgedrückt)“ (Riffaterre 1973: 67).<br />
127
<strong>Die</strong> Auffassung, ein solches morphosyntaktisches Stereotyp wie cette<br />
obscure clarté analog zu lexikalischen Wortbildungsprozessen als eine<br />
Einheit zu sehen, kann als holistisch bezeichnet werden. Sie wird ge-<br />
stützt und noch enger an die linguistische Analyseebene der Lexik ge-<br />
rückt durch Eisenbergs (Eisenberg 2000) weitergehende Erläuterungen<br />
zur semantischen Struktur von NGr. Er schreibt:<br />
„An der Rolle von Kopf und Kern innerhalb der NGr ändert sich durch die Attri-<br />
bute nichts. <strong>Die</strong> Modifizierbarkeit <strong>des</strong> Kerns durch Attribute zeigt, daß er das<br />
semantische Zentrum der Gesamtkonstruktion darstellt, ganz so, wie wir es<br />
vom Kern komplexer Wörter her kennen“ (Eisenberg 2000: 329).<br />
Riffaterre beleuchtet den gleichen Sachverhalt mit anderen Beschrei-<br />
bungsbegriffen und stellt gleichzeitig einen Bezug zum funktional-<br />
kommunikativen Aspekt von <strong>Sprache</strong> her, wenn er schreibt:<br />
„<strong>Die</strong>se Struktur Substantiv + Adjektiv ist eine Norm, deren Regel (durch unzäh-<br />
lige Varianten, die eine Art von geistigem Makrokontext sind, bewiesen) wie<br />
folgt formuliert wird: im Mikrokontext eines Epithetons muß das Substantiv<br />
semantisch mit dem Epitheton vereinbar sein. <strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit, daß das<br />
Substantiv eine mit der Bedeutung <strong>des</strong> Adjektivs unvereinbare Bedeutung hat,<br />
ist sehr gering. Aber wenn diese schwache Wahrscheinlichkeit realisiert wird,<br />
(...), hört die referentielle Funktion auf“ (Riffaterre 1973: 67).<br />
Mit dem lakonisch formulierten Aufhören der Referenz ist gemeint, dass<br />
der erwartungsgemäß propositionale Charakter einer – wiederum prädi-<br />
katenlogisch gesprochen – Argument-Prädikat-Relation im Falle der<br />
sprachlichen Kontradiktion obsolet wird. <strong>Die</strong> referentielle Funktion gibt<br />
bei dem skizzierten stilistischen Verfahren ihre dominante Rolle im Kom-<br />
munikationsprozess auf. Eine propositionale Paraphrase wie:<br />
*Es ist der Fall, dass diese Helligkeit (clarté) dunkel (obscure) ist<br />
leuchtet unmittelbar als absurd ein. <strong>Die</strong> Funktion oder der Sinn von cette<br />
obscure clarté kann offensichtlich nicht in der sprachlichen Erhellung ei-<br />
nes nichtsprachlichen Sachverhaltes bestehen. Vielmehr kann man da-<br />
von sprechen, dass an dieser Stelle die poetische (beziehungsweise sti-<br />
listische) Funktion der <strong>Sprache</strong> die kommunikative Dominanz übernimmt.<br />
128
<strong>Die</strong> sprachlich kodierte Information, also das Relevante innerhalb der<br />
Nachricht, zielt nicht länger auf Bedeutungskonstitution in referenzse-<br />
mantischer Manier ab. Der Fokus <strong>des</strong> Leserinteresses, die Suche nach<br />
dem Neuen, der Information innerhalb der Nachricht, verlagert sich auf<br />
die sprachliche Form und stellt primär keine Beziehung zur nichtsprachli-<br />
chen Wirklichkeit her, denn diese ist durch die Kontradiktion verbaut.<br />
Das von Riffaterre behauptete Zurücktreten der referentiellen Funktion<br />
der <strong>Sprache</strong> im Fall von cette obscure clarté und die Identifikation dieser<br />
kontrastträchtigen Textstelle als stilistischer Stimulus ist überdies kohä-<br />
rent mit dem ersten Hauptsatz der linguistischen Poetik, der bereits im<br />
Theorieteil dieser Arbeit diskutiert wurde. Gemeint ist hiermit der erste<br />
Wirkungsimpuls der poetischen Funktion, nämlich die von Seiten <strong>des</strong><br />
Textes kontrollierte Einstellung der Leseraufmerksamkeit „toward the<br />
MESSAGE as such, focus on the message for its own sake” (Jakobson<br />
1981: 25). <strong>Die</strong>se Fokussierung wird bei cette obscure clarté durch die<br />
überraschende semantische Kontaminierung erzeugt. Und als zweiter<br />
Schritt ergibt sich daraus die erschwerte leserseitige Dekodierung der<br />
transportierten Information (oder sogar deren Totalblockade) und somit<br />
in jedem Fall die Deautomatisierung <strong>des</strong> Leseprozesses. Riffaterre fasst<br />
diese Phänomene terminologisch etwas anders, obwohl es um das Glei-<br />
che geht. Er spricht davon, dass das beim Leser erzeugte „Gefühl der<br />
Anomalie (...) zu vergrößerter Aufmerksamkeitsanstrengung, d.h., zur<br />
maximalen Entschlüsselung führt“ (Riffaterre 1973: 72). Eine erneute<br />
Lektüre der blockierenden Textstelle, also gewissermaßen eine kognitive<br />
Rückkopplungsschleife, zu der der Leser an dieser Stelle gezwungen ist,<br />
kann zwar helfen, die semantische Zweifelhaftigkeit zu klären. Allerdings<br />
bleibt die formale Konfiguration der <strong>Sprache</strong>lemente unverändert. Beim<br />
zweiten und bei jedem folgenden Leseansatz würde man sie erneut<br />
wahrnehmen. Zwar bleibt bei dieser wiederholten Wahrnehmung der an-<br />
fängliche Überraschungseffekt aus, aber durch das rekursive Lesen<br />
prägt sie sich dem Gedächtnis besser ein. <strong>Die</strong> Deautomatisierung hat<br />
ihre Schuldigkeit getan und das formal Besondere, den Kontrast inner-<br />
halb <strong>des</strong> Mikrokontextes, ins Zentrum der Wahrnehmung gerückt.<br />
129
2.4.1.4. Varianten <strong>des</strong> Mikrokontextes: Typ-2<br />
Während beim Mikrokontext Typ-1 ein konventionalisiertes grammati-<br />
sches Stereotyp als textlicher Hintergrund fungiert, von dem sich ein Stil-<br />
faktum kontrastiv absetzen kann, basiert Typ-2 <strong>des</strong> Mikrokontextes auf<br />
einer modellhaften Struktur, die vom Text selbst etabliert wird. Beim<br />
zweiten Typ <strong>des</strong> Mikrokontextes besteht „das Stilfaktum in der Variante,<br />
die von einem durch den Text selbst gegebenen Modell abweicht“ (Riffa-<br />
terre 1973: 67). Riffaterre führt als Illustration dieser Bestimmung den<br />
folgenden Textauszug aus Voltaires Candide an:<br />
„La mitre [Kopfbedeckung hoher katholischer Geistlicher] et le san-benito de<br />
Candide étaient peints de flammes renversées et de diables qui n’avaient ni<br />
queues ni griffes; mais les diables de Pangloss portaient griffes et queues, et<br />
les flames etaient droites…<br />
(<strong>Die</strong> Mitra und der San-Benito von Candide waren mit umgekehrten Flammen<br />
bemalt und mit Teufeln, die weder Schwänze noch Krallen hatten, die Teufel<br />
von Pangloss aber hatten Krallen und Schwänze und die Flammen waren ge-<br />
rade...)“ (zitiert in Riffaterre 1973: 67; Hervorhebungen in der deutschen Ver-<br />
sion von mir).<br />
Der stilistische Effekt in dieser Sequenz kommt, so Riffaterre, durch eine<br />
charakteristische Wiederholungsfigur zustande, deren Konstituenten in<br />
der folgenden tabellarischen Gegenüberstellung isoliert aufgeführt und<br />
merkmalssemantisch indiziert sind:<br />
Wiederholungsfiguren<br />
Candide-Satz (A) gerade Flammen [-] Schwänze [-] Krallen [-]<br />
Pangloss-Satz (B) gerade Flammen [+] Schwänze [+] Krallen [+]<br />
Tabelle 10: Wiederholungsfiguren (Textauszug aus Voltaires Candide)<br />
Riffaterre argumentiert, dass die stilistische Wirkung durch die variierte<br />
Wiederaufnahme der Substantive Flammen, Schwänze, Krallen erreicht<br />
wird. Satz (A) wird im Leseprozess zunächst nicht als auffällig wahrge-<br />
130
nommen. Das Fortschreiten der Lektüre zu Satz (B) und das dortige<br />
Wiedererkennen der genannten Wörter führt jedoch rekursiv zu einer le-<br />
serseitigen Umbewertung <strong>des</strong> zuvor in Satz (A) Gelesenen. Satz (B) hat<br />
gewissermaßen „durch Rückkopplung die Eigenschaft <strong>des</strong> Satzes (A)<br />
verändert (...). Von nun an erscheint A dem Leser als das von B nachge-<br />
ahmte und veränderte Modell. Zu seiner syntaktischen Struktur und zu<br />
seinen semantischen Funktionen kommt eine neue Charakteristik hinzu:<br />
der Isomorphismus, der es mit B verbindet“ (Riffaterre 1973: 67). Der<br />
durch die variierte Wiederaufnahme der Elemente konstruierte Paralle-<br />
lismus ist unerwartet, überrascht den Leser und veranlasst ihn unwillkür-<br />
lich zu der kognitiven Rückkopplungsschleife.<br />
„Nichts in A bewirkt, daß der Leser B ‚erwartet’, und A an sich bringt keine<br />
größere Wahrscheinlichkeit von B hervor“ (Riffaterre1973: 69).<br />
<strong>Die</strong>s hat eine Unterbrechung der linearen Kontinuität <strong>des</strong> Leseprozesses<br />
zur Folge. <strong>Die</strong> Leseraufmerksamkeit wird durch das Looping vermehrt<br />
beansprucht und man kann hierbei erneut von einer Deautomatisierung<br />
<strong>des</strong> Rezeptionsprozesses sprechen, die das Wirken der poetischen<br />
Funktion anzeigt. <strong>Die</strong> Relevanz <strong>des</strong> referentiellen Gehalts der beiden<br />
Sätze tritt zurück; wie die Kopfbedeckungen von Candide oder Pangloss<br />
genau verziert sind, steht nicht länger allein im Vordergrund <strong>des</strong> In-<br />
teresses. <strong>Die</strong> Relevanz verlagert sich auf das formale, parallele Arran-<br />
gement der <strong>Sprache</strong>lemente, das ungewöhnlich ist. Es ist also einerseits<br />
die Wahrnehmung einer Symmetrie, die vermehrte Aufmerksamkeit be-<br />
ansprucht, aber ebenso die Feststellung, dass die Symmetrie nicht rein<br />
ist: Satz (B) ist keine exakte Spiegelung von Satz (A). Es wird zwar<br />
durch das wiederholte Auftauchen von Flammen, Schwänzen und Kral-<br />
len eine generelle Gleichförmigkeit zwischen (A) und (B) wahrgenom-<br />
men, gleichzeitig aber ein semantischer Kontrast etabliert zwischen der<br />
Negation (keine Schwänze/keine Krallen) in Satz (A) und dem behaupte-<br />
ten Vorhandensein beider in Satz (B) sowie durch die unterschiedliche<br />
Form der Flammen.<br />
Man kann in diesem Fall von einer dynamischen Fluktuation zwischen<br />
Symmetrie und Symmetriebruch sprechen, die der Leser wahrnimmt.<br />
131
Und genau in diesem Spannungsfeld lokalisiert Riffaterre den zweiten<br />
Typus <strong>des</strong> Mikrokontextes und das als Kontrastwahrnehmung erschei-<br />
nende stilistische Verfahren. Er schreibt:<br />
„Nichts würde B auszeichnen, wenn es diesen Parallelismus nicht gäbe (...);<br />
keines seiner Elemente besäße eine stilistische Wirkung, wenn es nicht zwi-<br />
schen ihnen und ihren Entsprechungen einen Kontrast gäbe. A ist folglich der<br />
Mikrokontext von B“ (Riffaterre 1973: 69).<br />
Erst die Lektüre von Satz (B) macht es überhaupt möglich, in Satz (A)<br />
rückwirkend ein Modell zu erkennen, das von Satz (B) syntaktisch als<br />
Parallelismus wieder aufgenommen, aber semantisch modifiziert wird<br />
durch die Negation und Variation.<br />
Verallgemeinernd und zusammenfassend heißt es dann:<br />
„Wenn man sagt, daß ein bestimmtes Wort oder eine Wortgruppe im Kontrast<br />
zu anderen auffällig sind [sic!], bedeutet das, daß dieses Wort aus den ande-<br />
ren die Regel macht, die es selbst durchbricht. Der Kontrast bestimmt nicht<br />
nur die Elemente <strong>des</strong> Satzes, bezüglich derer er wahrgenommen wird, er ver-<br />
ändert sie durch Rückkopplung (wenn der Kontrast auf einer ausgedehnten<br />
verbalen Sequenz oder über ihr nicht zugehörige Elemente hinweg entsteht)<br />
oder simultan“ (Riffaterre 1973: 69).<br />
Zusammenfassend heißt es bei Riffaterre zur Differenzierung von Makro-<br />
und Mikrokontext:<br />
„Der Unterschied zwischen Makrokontext und Mikrokontext besteht darin, daß<br />
der erste eine Folge von Varianten aufweist, die alle im Text verwirklicht wer-<br />
den und deren Isomorphismus sich dem Leser unwiderstehlich aufdrängt. Im<br />
zweiten Fall hingegen wird der Isomorphismus durch einen einzigen Vergleich,<br />
lediglich zwischen zwei Varianten, wahrgenommen” (Riffaterre 1973: 66).<br />
132
3. EMPIRIE: AUSWERTUNG DER DATEN DES ARCHILE-<br />
SERS<br />
3.1. Operationalisierung <strong>des</strong> Archilesers<br />
Das im Methodenteil ausführlich rekonstruierte Prinzip AL, wurde folgen-<br />
dermaßen für die empirische Analyse der Parfumtexte modifiziert und<br />
operationalisiert. Zunächst wurden per Zufallsstichprobe drei Texte aus<br />
dem Gesamtkorpus der 48 Texte ausgewählt. <strong>Die</strong>se Texte werden im<br />
weiteren Verlauf als Stichprobenkorpus, Stichprobentexte, Testkorpus<br />
oder einfach Stichprobe bezeichnet. Es handelt sich um die Texte:<br />
Boss-Elements Aqua<br />
<strong>Die</strong> Frische und Lebendigkeit <strong>des</strong> Wasser für einen klaren Duft - Boss Ele-<br />
ments Aqua heißt der Herrenduft, der so erfrischend und belebend wie das<br />
pure, klare Element Wasser ist. Sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht die-<br />
ser Duft vor maskuliner Vitalität und Energie - wie der Mann, der ihn trägt.<br />
Im Auftakt gibt sich der Duft spritzig und meeresfrisch durch Bergamott und<br />
einen elegant-ozonigen Akkord. <strong>Die</strong> Herznote ist würzig und floral bestimmt<br />
durch Piment und Jasmin, während der Fond mit der maskulinen Präsenz <strong>des</strong><br />
Zedern- und Sandelholzes strahlt.<br />
Der praktische Zerstäuber sorgt für eine gute Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes<br />
und zeigt sich ebenso aquatisch-frisch in der Form, auf der in Glas gefangene<br />
Wassertropfen perlen.<br />
Bogner-Snow<br />
Maskulin-dynamisch, kühl und klar - pur und leicht wie Neuschnee und den-<br />
noch natürlich-warm mit Anklängen an tief verschneite Gräser und Hölzer:<br />
Bogner Snow. Das Eau de Toilette mit einzigartigem Cooling Effekt.<br />
133
Seine Kopfnote strahlt durch alpinen Wacholder, Galbanum-Harz und geeiste<br />
Mandarine transparent-frostige Frische aus, die Herznote besticht durch die<br />
Kombination von Vetiver-Gräsern, Zedernholz und schwarzem Pfeffer. Aroma-<br />
tische Moose, Amber und exotische Feigenblätter verleihen Bogner Snow ein<br />
geheimnisvolles, männlich-sinnliches Finish.<br />
Pur und maskulin wie der Duft ist auch der dynamische Flakon aus klarem,<br />
kühl-blauem Glas, <strong>des</strong>sen Form an eine Schneewehe erinnert und <strong>des</strong>sen<br />
silbrig-frostige Umverpackung die eisig-moderne Aussage <strong>des</strong> Duftes perfekt<br />
unterstreicht.<br />
Joop-Homme<br />
Ein aufregender Duft für den geradlinigen und leidenschaftlichen Mann. Ein<br />
Duft von blumigen, holzigen und exotischen Nuancen in Harmonie mit herb-<br />
warmen Akzenten.<br />
<strong>Die</strong> kühle Frische von Bergamotte vereinigt sich mit dem Feuer der Herz-Kopf-<br />
Note aus Zimt, Orangenblüten und Jasmin. Der exotische Fond von Sandel-<br />
holz, Vetyver und Patchouli und ein dezenter Hauch von Ambra, Tabak, Mo-<br />
schus und Honig verschmelzen harmonisch ineinander.<br />
Der schmal geschnittene und klar gestaltete Flakon unterstreicht die Geradli-<br />
nigkeit; seine warme und ungewöhnliche Farbgestaltung die Leidenschaftlich-<br />
keit und aufregende Wirkung <strong>des</strong> Duftes.<br />
<strong>Die</strong>se Texte wurden 33 Studierenden (23 weiblich, 10 männlich, im Alter<br />
von 20-25 Jahren) aus der Lehrveranstaltung Einführung in die Sprach-<br />
wissenschaft 1 (Wintersemester 2002/03, Universität Bremen) vorgelegt.<br />
<strong>Die</strong> Studierenden sollten in zwei aufeinander folgenden Lesungen der<br />
Texte diejenigen Textstellen mit Textmarker markieren, die ihnen ir-<br />
gendwie besonders auffallen, die sie am Lesefluss hindern, die irgend-<br />
wie merkwürdig sind. Am rechten Rand sollten sie dann ihre eigenen<br />
Markierungen kommentieren. Es wird bei der <strong>des</strong>kriptiven Analyse expli-<br />
zit unterschieden zwischen Lesermarkierung und Leserkommentar.<br />
Ein Original <strong>des</strong> Umfragebogens (Faksimile) findet sich im Anhang. <strong>Die</strong><br />
tabellarische Auflistung sämtlicher Markierungen und Kommentare der<br />
134
Studierenden kann auf meiner Website www.semiotics.uni-bremen.de<br />
eingesehen werden.<br />
3.1.1. Quantitative Aufbereitung der Archileser-Markierungen<br />
<strong>Die</strong> Flut der AL-Daten wurde folgendermaßen aufbereitet, um sie in ü-<br />
berschaubarer Weise zu präsentieren und für die linguistische Analyse<br />
handhabbar zu machen.<br />
In einem ersten quantitativen Durchgang habe ich die markierten Text-<br />
stellen nach der Häufigkeit zusammengefasst, mit der sie von den ver-<br />
schiedenen Probanden markiert wurden. <strong>Die</strong>se quantitative Zusammen-<br />
fassung der Lesermarkierungen ist in den Tabellen 11, 12 und 13 darge-<br />
stellt. <strong>Die</strong> Zahlen in Klammern bezeichnen die Zeile in dem jeweiligen<br />
Text. Eingeklammerte Wörter wurden nicht von allen AL markiert.<br />
Zu Boss-Elements Aqua<br />
Markierte Textstellen Häufigkeit<br />
(elegant-)ozonigen Akkord (8) 29<br />
Fond (10) 16<br />
Form, auf der in Glas gefangene Wassertropfen perlen (14 f.) 16<br />
aquatisch(-frisch) (14) 14<br />
sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht (dieser Duft) (5) 13<br />
maskulinen Präsenz (10) 12<br />
(Im) Auftakt (7) 12<br />
der so erfrischend und belebend wie das pure, klare Element Wasser ist<br />
(3 f.)<br />
floral (bestimmt) (9) 9<br />
strahlt (11) 7<br />
vor maskuliner Vitalität und Energie (6) 9<br />
135<br />
11
Herznote (8) 8<br />
Lebendigkeit <strong>des</strong> Wassers (2) 6<br />
Zedern-, Sandelholz (10 f.) 5<br />
praktische Zerstäuber-gute Verteilung (13) 5<br />
Piment (10) 4<br />
Wasser(s) (1) 4<br />
Bergamott (8) 3<br />
ebenso (13) 3<br />
pure, klare (4) 3<br />
Jasmin (9) 2<br />
würzig (9) 2<br />
meeresfrisch (7) 2<br />
einen klaren (Duft) (2) 2<br />
Element Wasser (3) 2<br />
für (1) 1<br />
mit (10) 1<br />
Form (13) 1<br />
spritzig (7) 1<br />
wie der Mann, der ihn trägt (6) 1<br />
gibt sich (6) 1<br />
Tabelle 11: Boss-Elements Aqua: Auflistung der Lesermarkierungen<br />
Zu Bogner-Snow<br />
Markierte Textstellen Häufigkeit<br />
geheimnisvolles (männlich-sinnliches) Finish (11) 17<br />
silbrig-frostige Umverpackung (14) 17<br />
Anklängen (an tief verschneite Gräser und Hölzer) (2 f.) 16<br />
136
geeiste (Mandarine) (7) 14<br />
transparent-frostige Frische (7) 12<br />
kühl (und klar) vs. natürlich warm (1 f.) 12<br />
eisig-moderne (Aussage <strong>des</strong> Duftes) (14 f.) 11<br />
Cooling Effekt (5) 11<br />
Kombination aus Vetiver-Gräsern, Zedernholz und schwarzem Pfeffer<br />
(8 f.)<br />
alpinen Wacholder (6) 9<br />
Kopfnote (6) 9<br />
Galbanum(-harz) (6 f.) 7<br />
dynamische Flakon (12) 7<br />
aromatische Moose, Amber und exotische Feigenblätter (9 f.) 6<br />
(Form an eine) Schneewehe (erinnert) (13 f.) 6<br />
Herznote (8) 6<br />
(pur und leicht wie) Neuschnee (2) und dennoch natürlich warm (2) 5<br />
maskulin-dynamisch ((1) 4<br />
kühl-blauem (Glas) (13) 3<br />
strahlt (Frische aus) (6) 3<br />
besticht (8) 3<br />
perfekt unterstreicht (15) 1<br />
dennoch (2) 1<br />
der Flakon, <strong>des</strong>sen Form (...) erinnert (12 ff.) 1<br />
pur und maskulin (12) 1<br />
Snow (3) 1<br />
Tabelle 12: Bogner-Snow: Auflistung der Lesermarkierungen<br />
137<br />
11
Zu Joop-Homme<br />
Markierte Textstellen Häufigkeit<br />
Geradlinigkeit – Leidenschaftlichkeit – aufregende (Wirkung) (11 f.) 12<br />
Herz-Kopf-Note (6) 12<br />
herb-warm vs. kühle Frische vs. Feuer (5 f.) 12<br />
aufregender vs. Geradlinigen vs. leidenschaftlichen (1 f.) 10<br />
(exotische) Fond (7) 10<br />
Vetyver (7) 9<br />
verschmelzen harmonisch ineinander (9) 6<br />
blumigen vs. holzigen (3) 5<br />
Patchouli (7) 4<br />
schmal geschnittene (und klar gestaltete Flakon) (10) 3<br />
(holzigen) und (exotischen Nuancen) (3 f.) 1<br />
Sandelholz (7) 1<br />
der (...) Flakon unterstreicht (10) 1<br />
(Duft) von (3) 1<br />
(Nuancen in) Harmonie (4) 1<br />
dezenter (Hauch) (8) 1<br />
ungewöhnliche Farbgestaltung (11) 1<br />
Ambra (8) 1<br />
Tabelle 13: Joop-Homme: Auflistung der Lesermarkierungen<br />
Ich räume ein, halte es aber für unausweichlich, dass es bereits bei einer<br />
solch groben Erstklassifizierung der von den Lesern segmentierten lingu-<br />
istischen Einheiten zu Reibungsverlusten kommt. Es ist nämlich nicht<br />
immer eindeutig zu entscheiden, auf welcher linguistischen Analyseebe-<br />
ne die Markierungen stattfinden. Um dieses Verfahrensproblem exem-<br />
plarisch zu beleuchten, soll ein häufig markierter Teil aus dem Boss-Text<br />
problematisiert werden.<br />
138
Im Boss-Text wurde beispielsweise innerhalb <strong>des</strong> Syntagmas der Fond<br />
mit der maskulinen Präsenz (NGr + attributiver Präpositionalgruppe) 16-<br />
mal Fond und zwölfmal maskuline Präsenz markiert. In sechs Fällen<br />
wurden jedoch beide Segmente gemeinsam markiert, so dass es zu<br />
Markierungsüberschneidungen kam. Hierbei ist bereits die erste Katego-<br />
risierungsentscheidung schwierig. Wertet man Fond und maskuline Prä-<br />
senz als zwei voneinander unabhängige Markierungen, muss man an-<br />
nehmen, dass Fond als lexikalische Einheit und maskuline Präsenz als<br />
morphosyntaktische Einheit aufgefallen ist.<br />
Es ist aber aus Gründen der Kohäsion auch möglich, die Markierung auf<br />
die gesamte NGr zu beziehen und damit die gegenseitige Abhängigkeit<br />
von Fond und maskuline Präsenz zu fokussieren, die das Syntagma so-<br />
wohl formal als auch auch semantisch verbindet, denn die Präpositional-<br />
phrase mit der maskulinen Präsenz fungiert als Attribut zu Fond. Ich ha-<br />
be mich bei der Entscheidung nach der Mehrheit der Lesermarkierungen<br />
gerichtet und die beiden Segmente als Einzelmarkierungen betrachtet.<br />
So bin ich auch bei analogen Textpassagen verfahren, an denen Markie-<br />
rungen konvergieren. Zwar hat dies den Nachteil, dass theoriegeleitete<br />
grammatische Aspekte <strong>des</strong> Deutschen vernachlässigt werden. Aber der<br />
Vorteil ist, dass dadurch eine möglichst hohe Authentizität der Leserda-<br />
ten gewährleistet werden kann, die von der theoretischen Vorbelastung<br />
möglichst unabhängig sein sollte.<br />
Im Fall der Sequenz sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht dieser Duft<br />
– ebenfalls aus dem Boss-Text – wurden sehr viele verschiedene<br />
Teilstücke markiert, nämlich:<br />
das Adjektivkompositum sprudelnd-frisch (morphologische Ebe-<br />
ne/Wortbildung),<br />
das Verb sprüht (lexikalisch-semantische Ebene),<br />
die Tatsache der Häufung der stimmlosen, post-alveolaren Frikativ-<br />
laute (phonische Ebene).<br />
In allen Fällen, in denen innerhalb einer syntaktisch zusammengehörigen<br />
Textsequenz viele verschiedene Segmente markiert wurden, habe ich<br />
aus pragmatischen Gründen die Teilmarkierungen zunächst zusammen-<br />
139
gefasst, die Werte addiert und sie in einer Tabellenzelle aufgeführt, um<br />
die kritischen Textstellen einzugrenzen und eine Überschaubarkeit zu<br />
erreichen. Bei der späteren detaillierten strukturellen Beschreibung die-<br />
ser Textstellen wird diese Klassifizierung aber wieder teilweise aufge-<br />
weicht und in Bezug auf die Leserkommentierungen erneut problemati-<br />
siert. Denn gerade die Sequenzen mit Mehrfachmarkierungen hinsicht-<br />
lich verschiedener linguistischer Ebenen scheinen auf stilistische Kon-<br />
vergenzpunkte der Texte hinzuweisen, denen besondere Aufmerksam-<br />
keit zukommen sollte.<br />
3.1.2. Qualitative Aufbereitung der Archileser-Markierungen<br />
Obwohl die erste zusammenfassende Darstellung <strong>des</strong> AL-Materials auch<br />
für einen nicht eingearbeiteten Blick hoffentlich einen globalen Eindruck<br />
der Daten vermittelt, sollen in einem zweiten Schritt die Daten weiter<br />
klassifizierend zusammengefasst werden. Denn jede derzeitige Markie-<br />
rungskategorie einzeln zu beschreiben würde die Arbeit ungemein auf-<br />
blähen und wahrscheinlich nicht zur Lesefreundlichkeit beitragen. Bei<br />
diesem zweiten qualitativen Schritt werde ich induktiv aus den bisherigen<br />
Einzelmarkierungen allgemeinere Kategorien entwickeln, unter die jene<br />
sinnvoll zusammenzufassen sind. Segmente, die nur von einem Leser<br />
markiert wurden und die sich nicht sinnvoll einer allgemeineren Katego-<br />
rie zuordnen lassen, fallen dabei aus der Erfassung wieder heraus, da<br />
sie als vernachlässigbar betrachtet werden. <strong>Die</strong> Tabellen 14, 15 und 16<br />
zeigen die zusammengefassten, qualitativ aufbereiteten Lesermarkie-<br />
rungen der drei Stichprobentexte. <strong>Die</strong> Kategorien, denen die markierten<br />
Elemente zugeordnet sind, werden im Anschluss an die Tabelle erklärt.<br />
<strong>Die</strong> Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Zeilenangaben in den<br />
Texten.<br />
140
Zu Boss- Elements Aqua<br />
Markierte Textstellen Häufigkeit<br />
Prädikationen<br />
maskulinen Präsenz (10), (elegant-)ozonigen Akkord (8), aquatisch<br />
(-frisch) (14), sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht (dieser Duft)<br />
(5), floral (bestimmt) (9), vor maskuliner Vitalität und Energie (6),<br />
würzig (9), einen klaren (Duft) (2), der so erfrischend und belebend<br />
wie das pure, klare Element Wasser ist (3 f.)<br />
Fachvokabular Parfum<br />
Fond (10), (Im) Auftakt (7), Herznote (8), praktische Zerstäuber/gute<br />
Verteilung (13), Zedern-, Sandelholz (10 f.), Piment (10), Bergamott<br />
(8), Jasmin (9)<br />
Lexikalisches Feld Wasser<br />
Wasser(s), (1) Lebendigkeit <strong>des</strong> Wassers (2), Element Wasser (3),<br />
meeresfrisch (7), pure, klare (Element Wasser) (4)<br />
Verben<br />
strahlt (11)<br />
Tabelle 14: Boss-Elements Aqua: Qualitative Aufbereitung der Lesermarkie-<br />
rungen<br />
Zu Bogner-Snow<br />
Markierte Textstellen Häufigkeit<br />
Prädikationen<br />
geheimnisvolles (männlich-sinnliches) Finish (11), geeiste (Mandari-<br />
ne) (7), transparent-frostige Frische (7), kühl (und klar) vs. natürlich<br />
warm (1 f.), eisig-moderne (Aussage <strong>des</strong> Duftes) (14 f.), pur und<br />
maskulin (12), kühl-blauem (Glas), (13) dynamische Flakon (12),<br />
Flakon, (<strong>des</strong>sen Form an eine) Schneewehe (erinnert) (13 f.), silbrig-<br />
frostige Umverpackung (14), (pur und leicht wie) Neuschnee und<br />
dennoch natürlich warm (2), maskulin-dynamisch (1), Anklängen (an<br />
tief verschneite Gräser und Hölzer), (2 f.), Cooling Effekt (5)<br />
141<br />
102<br />
55<br />
17<br />
9<br />
137
Fachvokabular Parfum<br />
Kopfnote (6), Herznote (8), Kombination aus Vetiver-Gräsern, Ze-<br />
dernholz und schwarzem Pfeffer (8 f.), aromatische Moose, Amber<br />
und exotische Feigenblätter (9 f.), alpinen Wacholder (6), Galba-<br />
num(-harz) (6 f.)<br />
Verben<br />
strahlt (Frische aus) (6), besticht (8), perfekt unterstreicht (15)<br />
Tabelle 15: Bogner-Snow: Qualitative Aufbereitung der Lesermarkierungen<br />
Zu Joop-Homme<br />
Markierte Textstellen Häufigkeit<br />
Prädikationen<br />
aufregender vs. geradlinigen vs. leidenschaftlichen (1 f.), (holzigen)<br />
und (exotischen Nuancen) (3 f.), herb-warm vs. kühle Frische vs.<br />
Feuer (5 f.), schmal geschnittene (und klar gestaltete Flakon) (10),<br />
blumigen vs. holzigen (3), dezenter (Hauch) (8), ungewöhnliche<br />
Farbgestaltung (11), (exotische) Fond (7), Geradlinigkeit vs. Leiden-<br />
schaftlichkeit vs. aufregende (Wirkung) (11 f.)<br />
Fachvokabular Parfum<br />
Herz-Kopf-Note (6), Vetyver (7), Patchouli (7), Sandelholz (7), Amb-<br />
ra (8)<br />
Verben<br />
der (...) Flakon unterstreicht (10), verschmelzen harmonisch inein-<br />
ander (9)<br />
Tabelle 16: Joop-Homme: Qualitative Aufbereitung der Lesermarkierungen<br />
<strong>Die</strong> Kategorien, die sich beim zweiten Klassifizierungsschritt induktiv aus<br />
dem Datenmaterial ergeben haben, sind sehr allgemein und untereinan-<br />
der sehr heterogen. Auffallend ist aber, dass es drei Kategorien gibt, de-<br />
nen die überwiegende Zahl der markierten Segmente aus allen drei<br />
Stichprobentexten zuzuordnen sind, nämlich den Kategorien<br />
142<br />
48<br />
6<br />
55<br />
27<br />
7
Prädikationen (morpho-syntaktische Analyseebene),<br />
Fachvokabular Parfum (lexikalische Analyseebene),<br />
Verben (lexikalische Analyseebene).<br />
Auf dem Weg zu einer Beschreibung konstitutiver sprachlicher Merkmale<br />
von Produktbeschreibungen für <strong>Parfums</strong> ist dies ein interessantes Zwi-<br />
schenergebnis und ein geeignetes Sprungbrett für die nun folgende de-<br />
skriptive Feinanalyse der markierten Textstellen. Hierbei soll geprüft wer-<br />
den, inwieweit sich das im Theorieteil ausgeführte Konzept der sprachli-<br />
chen Synästhesie als poetisches Mittel (Synästhesie-Hypothese) auf ei-<br />
ne systematische Beschreibung struktureller Eigentümlichkeiten der<br />
durch die AL-Erhebung gewonnenen Sprachdaten anwenden lässt.<br />
Danach gilt es unter Zuhilfenahme der Leserkommentare plausible Ver-<br />
mutungen anzustellen über die leserseitige Motivation für die Markie-<br />
rung. Plausibel heißt dabei wiederum zu prüfen sich die Synästhesie-<br />
Hypothese als Erklärungsmodell für das Wirken der poetischen Sprach-<br />
funktion in den Texten eignet.<br />
3.2. Fokussierungen<br />
Der im ersten Teil dieser Arbeit ausgeführten Hypothese der Notwendig-<br />
keit synästhetischer Sprachkonstruktionen beim Spechen über Gerüche<br />
kommt bei der Analyse der drei hauptsächlich markierten Einheiten Prä-<br />
dikationen, Fachvokabular Parfum, Verben die zentrale Rolle zu.<br />
Für die synästhetische Analyseperspektive ist das Konzept <strong>des</strong> perzep-<br />
torische Potenzials eines Lexems zentral, dem der Valenzgedanke zu<br />
Grunde liegt. Danach haben Lexeme die Eigenschaft, ihre syntaktische<br />
Umgebung vorzustrukturieren (vgl. Tésniere 1959; Helbig/Schenkel<br />
1991: 12 ff.; Eisenberg 2000: 22 ff.). <strong>Die</strong> Valenzeigenschaft eines Le-<br />
xems kann für die speziellen Zwecke dieser Untersuchung nutzbar ge-<br />
macht werden, und zwar im Bezug auf semantische Eigenschaften, die<br />
sich auf die sinnliche Wahrnehmung beziehen.<br />
143
Falls ein Lexem semantische Eigenschaften aufweist, die sich auf die<br />
sinnliche Wahrnehmung beziehen, kann man davon sprechen, dass es<br />
perzeptorische Valenzeigenschaften oder, anders formuliert, ein perzep-<br />
torisches Potenzial aufweist. Das perzeptorische Potenzial eines Lexems<br />
wird für diese Untersuchung folgendermaßen definiert:<br />
<strong>Die</strong> semantische Struktur eines Lexems in Bezug auf seine potenzielle<br />
Verwendungsweise innerhalb eines perzeptorischen Kontextes wird als<br />
perzeptorisches Potenzial <strong>des</strong> jeweiligen Lexems bezeichnet. Weist ein<br />
Lexem semantische Merkmale auf, die perzeptorische Qualitäten betref-<br />
fen, so kann in der Regel ein primärer perzeptorischer Referenzbereich<br />
(= eine primäre Sinnesmodalität) identifiziert werden, der durch die kon-<br />
ventionelle (denotative) Verwendungsweise determiniert ist.<br />
Als Illustrationsbeispiel sollen das Substantiv Duft und das Adjektiv frisch<br />
gelten. <strong>Die</strong> Verwendung von Duft ist konventionell standardisiert und<br />
kann sich nur auf den Perzeptionsbereich <strong>des</strong> Geruchs beziehen. Duft ist<br />
in diesem Sinne monovalent, sein perzeptorisches Potenzial ist eindeu-<br />
tig, Verwendungsweisen in anderen Sinnesbereichen sind blockiert. Wird<br />
Duft dennoch in einem nicht-olfaktorischen Kontext verwendet, kommt es<br />
zu einer perzeptorischen Kongruenzverletzung, einem Phänomen, das<br />
bereits im Theorieteil ausgeführt wurde und im Laufe <strong>des</strong> Empirieteils<br />
ausführlich diskutiert wird.<br />
Für das Substantiv Frische hingegen kann man ein vierwertiges perzep-<br />
torisches Potenzial annehmen. Frische kann sich auf die visuelle, die ol-<br />
faktorische, auf die taktile oder auf die gustatorische Sinnesmodalität be-<br />
ziehen, je nach dem, in welchem Kontext das Lexem verwendet wird.<br />
<strong>Die</strong>s zeigen die folgenden drei Beispielsätze:<br />
<strong>Die</strong>se Zitronenmelisse sieht frisch aus.<br />
<strong>Die</strong>se Zitronenmelisse riecht frisch.<br />
<strong>Die</strong>se Zitronenmelisse fühlt sich frisch an.<br />
<strong>Die</strong>se Zitronenmelisse schmeckt frisch.<br />
<strong>Die</strong> behauptete Frische der Zitronenmelisse ist entweder an der glatten<br />
Oberfläche der Blätter zu sehen (= visuelle Sinnesmodalität) oder der<br />
144
Geruch ist frisch (= olfaktorische Modalität) oder ihre Frische kann mit<br />
den Fingern gefühlt werden (= taktile Modalität) oder im Mund ge-<br />
schmeckt werden (= gustatorische Modalität). Das perzeptorische Po-<br />
tenzial von Frische ist somit vierwertig. Abbildung 7 zeigt die Modellie-<br />
rung <strong>des</strong> perzeptorischen Potenzials von Frische.<br />
Abbildung 7: Modellierung <strong>des</strong> perzeptorischen Potenzials von Frische<br />
<strong>Die</strong> drei Kategorien Fachvokabular Parfum, Prädikationen, Verben wer-<br />
den im Einzelnen folgendermaßen in den Fokus genommen.<br />
3.2.1. Fokus: Fachvokabular Parfum<br />
<strong>Die</strong> Ausführungen zum Fachvokabular Parfum spielen sich auf der lexi-<br />
kalischen Analyseebene ab. Es stehen dabei lexikalische Besonderhei-<br />
ten im Vordergrund, die vor allem das semantische Spannungsfeld zwi-<br />
schen den etablierten Fachbegriffen der Parfumbranche und dem rezep-<br />
tiven Verständnis eines normalen, das heißt standardsprachlich kompe-<br />
tenten Lesers betreffen. Ein Vergleich zwischen dem professionellen<br />
Gebrauch typischer Vokabeln <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> und den einzelnen Kommen-<br />
taren der Leser sollte zeigen, in welcher Weise oder ob überhaupt die<br />
Fachbegriffe in kommunikativer Hinsicht schnittmengenfähig sind oder<br />
ob sie vielleicht eher esoterischen Charakter haben. Denn wie alle Wer-<br />
betexte, nehmen auch die Werbetexte für Parfum naturgemäß eine<br />
145
kommunikative Vermittlerrolle ein, die zum Dilemma werden kann. Ei-<br />
nerseits bedienen sich die Parfumtexte einer Terminologie, die großen-<br />
teils aus dem Expertendiskurs der Parfumhersteller stammt. Anderer-<br />
seits sind die potenziellen Rezipienten der Texte keine Experten, son-<br />
dern standardsprachlich-kompetente Leser, denen die fachspezifische<br />
Information auch auf eine standardsprachliche Weise nahe gebracht<br />
werden muss. Wie die Parfumtexte die Diskrepanz Experten vs. Laien<br />
sprachstrategisch lösen, sollte ein skeptischer Blick auf die verwendeten<br />
Parfumvokabeln zu Tage fördern.<br />
Das konkrete Arbeitsverfahren hierbei wird sein, die von den Lesern<br />
markierten Spezialbegriffe unter Zuhilfenahme der Leserkommentare zu<br />
evaluieren und ihnen die konventionellen Lesarten entgegenzustellen,<br />
die ein herkömmliches Wörterbuch <strong>des</strong> Deutschen bereitstellt. <strong>Die</strong>ses<br />
Vorgehen soll sich dazu eignen, ein fundiertes, wenngleich vorsichtiges<br />
Urteil darüber abzugeben, ob es den Texten gelingt, die kommunikative<br />
Lücke zwischen Experten und Laien zu schließen. Andererseits kann die<br />
Analyse ein Nichtgelingen der Kommunikation aufzeigen und gegebe-<br />
nenfalls die ursächlichen sprachlichen Mängel benennen.<br />
3.2.2. Fokus: Prädikationen/Attribuierungen<br />
<strong>Die</strong> Analysekategorie Prädikationen ist noch zu allgemein und muss im<br />
Hinblick auf die Lesermarkierungen präzisiert werden. Ganz allgemein<br />
versteht man unter dem Begriff Prädikation „den Vorgang und [das] Er-<br />
gebnis der Zuordnung von Eigenschaften zu Objekten bzw. Sachverhal-<br />
ten. Durch P. werden Gegenstände spezifiziert hinsichtlich Qualität,<br />
Quantität, Raum und Zeit u.a.“ (Bußmann 3 2002: 528). Gemeint ist hier<br />
aber explizit nicht die Beziehung zwischen Subjekt und grammatischem<br />
Prädikat oder ein Prädikativ das zusammen mit Kopulaverben das Prädi-<br />
kat eines Satzes bildet (vgl. Caluwe et al., Hg., 1992 und Lang et al. Hg.,<br />
2003). Eine Prädikation kann die grammatische Form einer NGr mit Ad-<br />
jektivadjunkt als Attribut annehmen. Das Attribut wird „in neueren Gram-<br />
146
matiken als Bezeichnung für Beifügungen zu jeder syntaktischen Kate-<br />
gorie im Satz (mit Ausnahme <strong>des</strong> Verbs) verwendet“ (Bußmann 3 2002:<br />
103).<br />
„Der Terminus ‚Attribut’ wird in der Regel nur für Ausdrücke verwendet, die<br />
Bestandteil von Nominalphrasen sind, also für Adjektive, Relativsätze, Genitiv-<br />
NPs (...), adverbiale und Präpositionalphrasen, die sich auf ein Nomen oder<br />
auf einen Komplex mit nominalem ‚Kopf’ beziehen“ (Clément 1996: 1; vgl. zu<br />
Präpositionalattibuten v.a. Schierholz 2001).<br />
Als Grundregel der semantischen Funktion von Adjektivattributen stellt<br />
Rahmstorf (1983) fest:<br />
„Durch die semantische Repräsentation <strong>des</strong> Adjektivattributes sollen die be-<br />
grifflichen Beziehungen zwischen der Bedeutung <strong>des</strong> Gesamtausdrucks (...)<br />
und der Bedeutung der einzelnen Komponenten (...) beschrieben werden“<br />
(Rahmstorf 1983: 173;<br />
vgl. auch Van Valin/LaPolla 1997: 184 ff.; Olsen 1991: 65 ff.; Bhatt 1990: 79 ff.<br />
und 89 ff. sowie den historischen Abriss über die Aufspaltung von Nominal-<br />
phrasen in Kniffka 1996: 7 ff.).<br />
Da es sich bei der Haupmasse der vom AL markierten Prädikationen um<br />
NGr mit einem Adjektiv als Attribut handelt, beispielsweise (ein) klarer<br />
Duft (Boss-Elements Aqua), liegt es nahe, als sprachliche Realisierung<br />
der Prädikationen nur diese in den Blick zu nehmen (vgl. zur semanti-<br />
schen Adjektivklassifikation die Übersicht in Rachidi 1989: 114 ff.).<br />
Daher wird im Folgenden statt <strong>des</strong> zu allgemeinen Begriffs Prädikation<br />
der Begriff Attribuierung verwendet, der sich auf NGr mit Adjektivattribu-<br />
ten bezieht. Dabei folge ich der Terminologie von Eisenberg (2000), der<br />
das Substantiv als Kern und das Adjektiv als Attribut einer NGr bezeich-<br />
net (vgl. Eisenberg 2000: 329).<br />
<strong>Die</strong> zentrale Frage lautet demnach, welche sind die Entitäten, die durch<br />
die Attribute näher bestimmt werden. Hierbei kommt der Synästhesie-<br />
Hypothese insofern eine methodische Rolle zu, als ein erster grober<br />
Klassifizierungsschritt die Unterscheidung zwischen olfaktorisch relevan-<br />
ten und nicht-olfaktorischen Entitäten und deren Attribuierungen ist. Es<br />
wird unter referenzsemantischer Optik differenziert zu untersuchen sein,<br />
147
wie sich die herausgearbeiteten Attribut-Relationen zur nichtsprachlichen<br />
Wirklichkeit im Allgemeinen und zum Bereich der Olfaktorik im Besonde-<br />
ren verhalten. Denn bei der vom AL intuitiv erspürten und auch analy-<br />
tisch-<strong>des</strong>kriptiv nachweislichen Omnipräsenz von Eigenschaftszuschrei-<br />
bungen ist es letztlich entscheidend, möglichst präzise herauszufiltern,<br />
welche davon das Ziel haben, den Geruch eines <strong>Parfums</strong> zu beschrei-<br />
ben und welche auf nicht-olfaktorische Entitäten referieren. Letztere ha-<br />
ben dann vermutlich die Funktion, lediglich Assoziationen zu dem Par-<br />
fum(geruch) und <strong>des</strong>sen Image zu evozieren. Damit bedienen sie dann<br />
anscheinend eine andere Sprachfunktion als die referentielle. Ob ein<br />
Nachweis der poetischen Relevanz gelingt, muss im Einzelfall überprüft<br />
werden.<br />
3.2.3. Fokus: Verben<br />
<strong>Die</strong> zu diskutierenden Verben sind von den AL als einzige der näher zu<br />
beleuchtenden Hauptphänomene als lexikalische Kategorie markiert<br />
worden und müssen demgemäß auch wortartspezifisch unter die Lupe<br />
genommen werden. Gemeint sind hier allerdings nur Vollverben und<br />
nicht Kopula-Konstruktionen. <strong>Die</strong> Verben werden in erster Linie einer<br />
semantisch-pragmatische Analyse unterzogen, da sie morphologisch<br />
kaum Auffälligkeiten zeigen. Es wird eher das Problem <strong>des</strong> eigentlichen<br />
vs. uneigentlichen Sprachgebrauchs anzugehen sein um das Span-<br />
nungsfeld Denotation vs. Konnotation auszupendeln.<br />
Spannend dürfte hierbei sein, die Annahme zu prüfen, ob sich die ver-<br />
wendeten Verben unter eine parfumspezifische Kategorie subsumieren<br />
lassen, ob sie einem bestimmten semantischen Erzeugungsmuster fol-<br />
gen, das sich sichtbar machen lässt und konsistent mit der Synästhesie-<br />
Hypothese erklärt werden kann.<br />
148
3.3. Extrapolationen gegen das Gesamtkorpus<br />
<strong>Die</strong> Ergebnisse der Analysen <strong>des</strong> Stichprobenkorpus dienen als operati-<br />
onales Sprungbrett, um das Gesamtkorpus (48 Texte) systematisch<br />
nach den herausgearbeiteten charakteristischen sprachlichen Konstruk-<br />
tionen zu durchsuchen. <strong>Die</strong>ses Vorgehen wird als Extrapolation bezeich-<br />
net. Beim Extrapolieren, einer Arbeitsweise, die ursprünglich aus der Ma-<br />
thematik bekannt ist, geht es darum „aus dem Verhalten einer Funktion<br />
innerhalb eines mathematischen Bereichs auf ihr Verhalten außerhalb<br />
dieses Bereichs zu schließen“ (Duden 4 1982: 240; vgl. mathematisch<br />
umfassender Knerr 1977: 146). Bezogen auf diese Arbeit ist gemeint,<br />
dass man ausgehend von den Beschreibungen der Ergebnisse der AL-<br />
Stichprobe auf textliche Eigenschaften <strong>des</strong> Gesamtkorpus schließen<br />
kann. <strong>Die</strong> sprachlichen Besonderheiten der Parfumtexte, deren Diagno-<br />
se zunächst auf den Markierungen neutraler Leser fußte, werden somit<br />
auf eine breitere empirische Basis gestellt. Das konkrete Ziel dieses Ar-<br />
beitsschrittes ist die quantitative Erfassung, Isolierung und Klassifizie-<br />
rung derjenigen Lexeme, die in den explizit duftbeschreibenden Teilen<br />
der Texte als Varianten der drei Kategorien Fachvokabeln, Attribuierun-<br />
gen, Verben identifiziert werden können. <strong>Die</strong> extrapolierten Daten kön-<br />
nen als stützende Indizien gelten für die im Theorieteil entwickelte Syn-<br />
ästhesie-Hypothese, die ausgeht von einer elementaren Notwendigkeit<br />
sprachlicher Synästhesien beim Kommunizieren über Gerüche. <strong>Die</strong><br />
komprimierten Darstellungen dieser Daten in tabellarischer Form sind zu<br />
verstehen als großflächiger Nachweis für die strukturelle und nicht nur<br />
punktuelle Verwendung sprachlicher Synästhesie innerhalb <strong>des</strong> Ge-<br />
samtkorpus.<br />
Das konkrete Arbeitsverfahren läuft folgendermaßen: Ausgehend von<br />
der jeweiligen Stichprobenanalyse wird das Gesamtkorpus nach den als<br />
äquivalent zu betrachtenden Fachvokabeln, Attribuierungen und Verben<br />
durchsucht. <strong>Die</strong>se werden dann extrahiert und in Tabellen aufgelistet.<br />
Am Schluss steht dann eine auswertende Evaluation der durch die Ext-<br />
rapolation erweiterten Datensätze. <strong>Die</strong> Konsistenz der extrapolierten Da-<br />
149
ten mit den theoretischen Vorgaben muss dabei geprüft werden, vor al-<br />
lem vor dem Hintergrund der theoretischen Grundannahmen der Synäs-<br />
thesie-Hypothese.<br />
Es muss an dieser Stelle allerdings selbstbeschränkend darauf hinge-<br />
wiesen werden, dass die von mir durchgeführten Extrapolationen der AL-<br />
Daten gegen das Gesamtkorpus keinen Anspruch auf Vollständigkeit er-<br />
heben. Sie weisen bestenfalls Trends auf, die meine Hypothesen verifi-<br />
zieren oder gegebenenfalls falsifizieren. <strong>Die</strong>s entspricht einer grundsätz-<br />
lich empirischen Wissenschaftsauffassung, die eine Wissensvermehrung<br />
über Erfahrung gewinnt. Aus dieser ergibt sich allerdings ebenfalls, dass<br />
sämtliche Schlussfolgerungen, die aus den theoretisch fundierten Hypo-<br />
thesen sowie einer theoriekonsistenten Interpretation der Datenlage ge-<br />
zogen werden, immer ein gewisses Restrisiko <strong>des</strong> Subjektivismus ein-<br />
gehen. Natürlich sind sie jederzeit subject to discourse and falsification.<br />
Ich folge diesbezüglich der Popperschen Wissenschaftsauffassung eines<br />
kritischen Rationalismus, die davon ausgeht, dass Erfahrung die Elimi-<br />
nierung falscher Hypothesen ist und dass wir uns durch deren Falsifika-<br />
tion empor irren. <strong>Die</strong> eventuelle Falsifikation von Hypothesen sowie de-<br />
ren Modifikation im abgleichenden Hinblick auf Konsistenz mit einer<br />
neuen Faktenlage sind der eigentliche Fortschritt der Wissenschaft (vgl.<br />
Popper 3 1969: 14 ff.; Hügli/Lübcke 1997: 508 ff.; Calvin 1993: 44).<br />
3.4. Stichprobenanalyse 1: Fachvokabular Parfum<br />
In der Branche der Parfumentwickler und -hersteller existiert, wie in je-<br />
dem spezialisierten Berufszweig, ein spezielles konventionalisiertes Vo-<br />
kabular, mit dem eine diskursinterne Kommunikation gewährleistet und<br />
erleichtert werden soll. Häufig wiederkehrende Prozesse und Substan-<br />
zen im Herstellungsprozess <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>, spezifische Bezeichnungen für<br />
Geruchskategorien und deren Charakteristik sind mit Fachbegriffen be-<br />
legt, die sogar in Parfumlexika nachzuschlagen sind. Sowohl das Par-<br />
fumbuch <strong>des</strong> Parfumherstellers Haarmann & Reimer (Müller 1991) als<br />
150
auch Barillé/Laroze (1996) enthalten ein Glossar der gängigsten Fach-<br />
vokabeln <strong>des</strong> Parfumdiskurses.<br />
<strong>Die</strong> Werbebranche, die dann die Vermarktung der <strong>Parfums</strong> betreibt, ü-<br />
bernimmt teilweise die von professionellen Parfumeuren etablierten<br />
Termini und arbeitet sie in die Werbetexte ein. <strong>Die</strong>s kann allerdings zu<br />
Verständniskonflikten führen. Denn bei den Fachvokabeln, die man in<br />
Texten über <strong>Parfums</strong> sehr häufig findet, handelt es sich in der Regel um<br />
Bezeichnungen, die einerseits aus der Alltagssprache bekannt sind, in<br />
der Parfumeur-Szene jedoch spezifisch definierte Bedeutungen haben<br />
und darum beim Alltagsleser gelegentlich Unverständnis hervorrufen.<br />
<strong>Die</strong>sem Konflikt gilt es im folgenden Abschnitt nachzugehen. Dabei wer-<br />
den die häufigsten im Stichprobenkorpus markierten Fachbegriffe zu-<br />
nächst mit Hilfe von Müller (1991) sowie Barillé/Laroze (1996) als solche<br />
ausgewiesen und definitorisch umrissen. Um ihre spezifische Verwen-<br />
dungsweise von der standardsprachlich konventionalisierten abzugren-<br />
zen, ziehe ich dann in einem zweiten Schritt mit Wahrig (1994) ein etab-<br />
liertes konventionelles Nachschlagewerk zur deutschen <strong>Sprache</strong> heran<br />
und stelle <strong>des</strong>sen Einträge denen der Parfumlexika gegenüber.<br />
<strong>Die</strong> hier exemplarisch zu diskutierenden Fachbegriffe nach Maßgabe<br />
<strong>des</strong> AL und unter Zuhilfenahme der Leserkommentare sind: Akkord,<br />
Fond, Herznote.<br />
Zu Akkord<br />
Akkord taucht innerhalb <strong>des</strong> Stichprobenkorpus explizit nur in dem Text<br />
zu Boss-Elements Aqua auf. In der <strong>Sprache</strong> der Parfumeure versteht<br />
man unter Akkord Folgen<strong>des</strong>:<br />
„Akkorde entstehen durch das Zusammenfügen verschiedener Einzelgerüche,<br />
die zu neuen Geruchsbildern verschmelzen. <strong>Die</strong> Anzahl der eingesetzten In-<br />
gredienzien kann von zwei bis zu mehreren hunderten reichen. Einfache und<br />
komplexe Akkorde werden als Bausteine für Parfumkompositionen verwendet“<br />
(Müller 1991: 66).<br />
151
„Terminus, der sowohl eine harmonische Kombination mehrerer Riechstoffe<br />
als auch die damit erzielte Geruchswirkung bezeichnet“ (Barillé/Laroze 1996:<br />
217).<br />
Bei Wahrig (1994) liest man unter dem Lemma Akkord:<br />
„a) Übereinstimmung;<br />
b) Vergleich, Vereinbarung (mit Gläubigern);<br />
c) Zusammenklang von drei od. mehr Tönen verschiedener Höhe;<br />
d) Leistungslohn, Stücklohn, Bezahlung nach der Stückzahl (...)“ (Wahrig<br />
1994: 169).<br />
Es fällt auf, dass die spezifisch olfaktorische Lesart von Akkord unter den<br />
standardsprachlichen Paraphrasen nicht erscheint. Man kann daraus<br />
vorsichtig schließen, dass sie (noch) nicht soweit lexikalisiert ist, um in<br />
ein standardsprachliches Wörterbuch aufgenommen zu werden. Natür-<br />
lich ist ein Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache nicht die ulti-<br />
mative Instanz um den Nachweis der Lexikalisierung eines Ausdrucks zu<br />
erbringen. <strong>Die</strong>s könnte im Grunde nur eine flächendeckende empirische<br />
Umfrage unter den Sprechern <strong>des</strong> Deutschen leisten, die aber praktisch<br />
nicht durchführbar ist. Allerdings stützen die Kommentare meiner AL-<br />
Umfrage die Tendenz, Akkord als nicht-lexikalisiert zu betrachten.<br />
Obwohl das generelle Schicksal so genannter Neologismen, die hier<br />
vorsichtiger als potenzielle oder Quasi-Neologismen bezeichnet werden,<br />
nicht vorraussagbar ist, stellt Loskant (1998) fest:<br />
„Blättert man in Neologismen-Wörterbüchern, die erst wenige Jahre als sind,<br />
stellt man fest, dass viele Begriffe, die damals noch ausführlicher Erläuterung<br />
bedurften, heute zum festen Wortschatz gehören“ (Loskant 1998: 5).<br />
Andere potenzielle Neologismen können sich hingegen nicht etablieren,<br />
ihr Status als Ad-hoc-Bildungen, die nur für eine spezielle Situation ge-<br />
schaffen wurden, lässt sich also erst ex post konstatieren.<br />
Der Tenor der Leserkommentare geht jedenfalls eindeutig in Richtung<br />
Unverständnis. Allgemein gehaltene, aber sehr prägnante Notizen der<br />
Leser wie: „Was bitte soll das sein??“ (AL-3); „Was ist mit Akkord ge-<br />
meint?“ (AL-6); „Darunter kann ich mir nichts vorstellen“ (AL-8) sprechen<br />
152
für sich: der Ausdruck Akkord wird als semantisch unpassend für die Be-<br />
schreibung eines Parfumduftes empfunden.<br />
<strong>Die</strong> Motivation der ablehnenden Haltung der Rezipienten erschließt sich<br />
möglicherweise aus folgendem Kommentar. AL-28 schreibt:<br />
„Akkord aus dem Bereich der Musik passt nicht, wie Auftakt auch.“<br />
Das ungute semantische Gefühl der Leser kann kohärent mit der Synäs-<br />
thesie-Hypothese erklärt werden. Es resultiert aus der Tatsache, dass<br />
hier intuitiv und manchmal sogar explizit benannt (vgl. AL-28) ein perzep-<br />
torischer Kategorienfehler wahrgenommen wird. <strong>Die</strong> auditive Lesart von<br />
Akkord, die bei Wahrig aufgeführt wird und wahrscheinlich die gängigste<br />
ist, kann als denotativ bezeichnet werden. Der metaphorische Transfer in<br />
den Bereich der Olfaktorik, bei dem Akkord als konnotatives semanti-<br />
sches Merkmal eine olfaktorische Qualität zugeschrieben wird, ist für den<br />
Leser nicht ohne Weiteres akzeptabel.<br />
Zu Fond<br />
Weder bei Müller (1991) noch bei Barillé/Laroze (1996) findet sich ein<br />
direkter Eintrag zu Fond. Beschäftigt man sich jedoch intensiv mit Par-<br />
fumbeschreibungen, wird klar dass Fond in der <strong>Parfums</strong>prache ein Syn-<br />
onym für die Basisnote (auch: Grundnote oder Basis) eines <strong>Parfums</strong> ist.<br />
Nur für Eingeweihte liegt also auf der Hand, dass Fond = Basisnote in-<br />
nerhalb <strong>des</strong> Parfumjargons durchaus eine olfaktorische Kategorie be-<br />
zeichnet. Unter dem Eintrag Basisnote allerdings findet man bei Müller<br />
(1991):<br />
„Basisnote ist der dritte und letzte Teil <strong>des</strong> Duftablaufs eines <strong>Parfums</strong>. Sie ent-<br />
hält die langhaftenden Bestandteile, wie z.B. Hölzer, Resine, animalische und<br />
kristalline Substanzen. In schwereren Parfüms (Chypre und orientalische No-<br />
ten) ist die Basisnote so stark betont, dass sie bereits im Angeruch typprägend<br />
wirkt“ (Müller 1991: 67).<br />
Fond ist bei Wahrig (1994) mit zwei Einträgen vertreten, allerdings taucht<br />
die parfumspezifische Lesart nicht auf, vielmehr heißt es dort:<br />
153
a) „(...) Grund(lage), Hintergrund, Rücksitz (im Wagen);<br />
(als Soßengrundlage verwendeter) beim Braten an der Pfanne sich ansetzen-<br />
der<br />
b) Fleischsaft“ (Wahrig 1994: 596).<br />
<strong>Die</strong> Parfumlesart von Fond hat also ebenfalls noch keinen Eingang in<br />
das konventionelle Lexikon der Deutschen gefunden. Es ist also keines-<br />
wegs erstaunlich, dass Fond von dem standardsprachlichen Rezipienten<br />
als auffällig markiert wird. Aber ein wenig wundert es, dass in Parfumle-<br />
xika eine Erklärung dieses Begriffes fehlt. Ein vorweggenommener Blick<br />
auf das Gesamtkorpus zeigt nämlich, dass Fond in der <strong>Parfums</strong>zene<br />
durchaus kein Außenseiterbegriff ist. Er taucht immerhin in 16 der 48<br />
Produktbeschreibungen (= 33%) als Synonym der Begriffe Basisnote<br />
oder Grundnote auf.<br />
In konventioneller Lesart ist Fond polysem; die allgemeinsten und abs-<br />
traktesten Synonyme „Grund(lage), Hintergrund” können als denotative<br />
Merkmale angenommen werden. Sie haben eine Bedeutungserweite-<br />
rung in den KFZ- wie in den Küchen-Kontext erfahren. Das Moment<br />
„Grund(lage)” trifft auch bei der Parfumlesart insofern zu, als der Duft<br />
<strong>des</strong> Fonds eines <strong>Parfums</strong> (= die Grund- oder Basisnote) am längsten auf<br />
der Haut haftet und somit am längsten als Geruchsquelle erhalten- be-<br />
ziehungsweise zurückbleibt. <strong>Die</strong> metaphorische Motivation für die Wahl<br />
von Fond kann mit einem geringen Rechercheaufwand also sehr leicht<br />
transparent gemacht werden. Jedoch ist ein Leser einer Parfumwerbung<br />
wohl kaum bereit, überhaupt irgend einen intellektuellen Aufwand zu<br />
betreiben – sei er auch noch so gering – um sich ein Fachwort wie Fond<br />
zu erschließen. <strong>Die</strong> Leserkommentare sprechen eine intuitiv klare Spra-<br />
che, wobei zwischen zwei Leserreaktionen zu unterscheiden ist:<br />
<strong>Die</strong> konventionelle Lesart <strong>des</strong> Begriffes ist bekannt, er wird aber für eine<br />
Parfumbeschreibung als unangemessen bewertet:<br />
„Kenn ich eher aus dem Gastrobereich“ (AL-3);<br />
„Unpassender Ausdruck; verbinde ich eher mit Essen“ (AL-6);<br />
„Fond wie im Auto“ (AL-28);<br />
„Fond hat für mich was mit Geld oder Kochen zu tun“ (AL-25)<br />
154
Das Wort ist gänzlich unbekannt (nur ein Leser-Kommentar):<br />
„Was ist das?“ (AL-26).<br />
<strong>Die</strong>se markanten Äußerungen der AL legt die vorläufigen Schlussfolge-<br />
rung nahe, dass die Werbesprache in ihrer Mittlerrolle zwischen Parfum-<br />
hersteller und Parfumkonsument nicht angemessen gerecht wird. Mit der<br />
Wahl von Fond wird die Lektüre durch Unverständnis negativ beeinflusst.<br />
<strong>Die</strong>s führt offensichtlich zu einer Ablehnung <strong>des</strong> Begriffes. Gleichzeitig<br />
gibt es aber eine Mehrheitstendenz zum Referenzbereich Kü-<br />
che/Kochkunst. <strong>Die</strong>se Tatsache legt einen synästhetische Rezeption na-<br />
he. Der Geruch <strong>des</strong> Bratens hängt mit dem Fond zusammen und bleibt<br />
nach dem Verdunsten zurück.<br />
Zu Herznote<br />
Als drittes soll aus der Kategorie Fachvokabular die sogenannte Herzno-<br />
te diskutiert werden, die in allen drei Texten <strong>des</strong> Testkorpus auftaucht.<br />
Im Joop-Text haben wir es sogar mit einer „Herz-Kopf-Note“ (Zeile 7) zu<br />
tun.<br />
In der Parfumbranche versteht man darunter Folgen<strong>des</strong>:<br />
„Herznote ist die zweite, mittlere Phase <strong>des</strong> Duftablaufs eines <strong>Parfums</strong> nach<br />
dem Abklingen der Kopfnote. Sie wird vorwiegend von blumigen, würzigen o-<br />
der holzigen Komponenten geprägt und bildet wie der Name sagt, das Herz-<br />
stück <strong>des</strong> Parfüms“ (Müller 1991: 70).<br />
„Nach zehn bis dreißig Minuten kommen die weniger flüchtigen, verführeri-<br />
schen Mittelnoten zum Tragen, also beispielsweise die Blütenessenzen aus<br />
Rose, Jasmin und Tuberose, dazu viele ‚grüne’ und holzige Noten (...)“ Baril-<br />
lé/Laroze (1996: 219).<br />
Das Nominalkompositum Herznote existiert bei Wahrig (1994) als eigen-<br />
ständiges Lemma nicht, das heißt, es muss als nicht-lexikalisiert gewer-<br />
tet werden. Hinsichtlich der semantischen Analyse ist Herznote insofern<br />
interessanter als Akkord und Fond, als durch den morphologische Wort-<br />
bildungsprozess der Komposition zwei kognitive Konzepte in einem Le-<br />
155
xem vereinigt werden. Es bietet sich an, das komplexe Wort in seine Be-<br />
standteile zu zerlegen und die Wortbildungskomponenten einzeln unter<br />
die Lupe zu nehmen. Das Determinativkompositum Herznote besteht<br />
aus dem Bestimmungswort (= Determinans) Herz und dem Grundwort (=<br />
Determinantum) Note.<br />
Zu Herz liest man bei Wahrig (1994):<br />
a) „(...) beim Menschen und bei verschiedenen Tiergruppen das zentrale An-<br />
triebsorgan <strong>des</strong> Blutkreislaufes (...);<br />
b) Sitz der Seele, Gefühle;<br />
c) Innerstes, Mittelpunkt;<br />
d) Farbe <strong>des</strong> dt. und frz. Kartenspiels; Sy [=Synonym] Coeur; Rot”<br />
(Wahrig 1994: 776).<br />
Analog zu Akkord und Fond ist auch Herz in den standardsprachlichen<br />
Erklärungen polysem. Es fällt auf, dass für sämtliche der bei Wahrig<br />
(1994) aufgeführten Lesarten assoziative Bezüge zum parfumspezifi-<br />
schen Kompositum Herznote nachgezeichnet werden können, über die<br />
die Motivation dieses Begriffes plausibel erklärt werden kann. Das Kon-<br />
zept <strong>des</strong> Herzens als „Sitz der Seele“ sowie der „Gefühle“, also als kör-<br />
perliches Korrelat eines mental-emotionalen Zustan<strong>des</strong>, bildet theore-<br />
tisch eine optimale Ausgangsbasis für eine assoziative Verknüpfung zwi-<br />
schen verschiedenen sinnlichen Erfahrungen, die mit Liebe gemeinhin<br />
assoziiert werden und sprichwörtlich das Herz höher schlagen lassen.<br />
<strong>Die</strong>s sind beispielweise der Anblick (visuell), die Bewegungen (kinästhe-<br />
tisch), die Stimme und andere Geräusche (auditiv), der Kuss (gustato-<br />
risch + olfaktorisch) und nicht zuletzt der allgemeine Körpergeruch<br />
der/<strong>des</strong> Geliebten, allesamt sinnlichen Spielarten von Intimität, die<br />
schließlich bei der Sexualität zusammenfließen können.<br />
Zu Note findet man bei Wahrig (1994) folgende Einträge:<br />
156
a) „Bemerkung, Anmerkung, (Fuß-);<br />
b) in Wort od. Zahl ausgedrückte Beurteilung, Zensur (Schul-);<br />
c) förml. schriftl. Mitteilung einer Regierung an eine andere;<br />
d) kurz für Banknote, Papiergeld;<br />
e) Schriftzeichen für einen Ton;<br />
f) Prägung, Eigenart“ (Wahrig 1994: 1152 f.).<br />
Während das Kompositum offensichtlich als nicht standardmäßig lexika-<br />
lisiert betrachtet werden kann, sind dies seine beiden Konstituenten sehr<br />
wohl. Man kann hier von einer diskursspezifischen Komposition spre-<br />
chen, bei dem sich der Werbetext einer Kombination konventioneller Le-<br />
xeme bedient, um ein diskursspezifisches kognitives Konzept sprachlich<br />
zu kodieren. <strong>Die</strong> Verwendung ‚normaler’ Wörter ist prinzipiell eine gute<br />
Voraussetzung, um eine analytische Dekodierung zu ermöglichen; eine<br />
bessere jedenfalls, als wenn beide Einzelkomponenten bereits unbe-<br />
kannt wären. Analytische Schritte scheinen jedenfalls nötig zu sein, denn<br />
intuitiv wird die Bedeutung von Herznote offensichtlich nicht erfasst, was<br />
folgende charakteristische AL-Kommentare belegen: „Mir unbekanntes<br />
Wort“ (AL-3/Boss); „?“ (AL-13/Boss); „Was ist eine Herznote? Wie unter-<br />
scheidet sie sich von der Kopfnote?“ (AL-15/Bogner).<br />
Es gibt noch diverse weitere Markierungen, die aber meist unkommen-<br />
tiert bleiben, was durch das wiederholte Auftauchen von Herznote in al-<br />
len drei Stichprobentexten verständlich ist.<br />
Kommentiert wird von allen AL jeweils das Kompositum als Ganzes. Es<br />
geht leider nicht aus den Kommentaren hervor, ob vielleicht auch die<br />
einzelnen Komponenten zu einer Kommentierung Anlass gegeben ha-<br />
ben. Innerhalb eines Determinativkompositums kommt dem Determina-<br />
tum typischerweise die semantisch dominante Rolle zu. Es wird, ähnlich<br />
dem Kern einer NGr, durch das Determinans lediglich semantisch modi-<br />
fiziert. Lapidar formuliert: eine Herznote ist in erster Linie eine Note, die<br />
etwas mit Herz im Sinne von Zentrum zu tun hat.<br />
Es könnte in Analogie zu der negativen Beurteilung von Akkord und in<br />
Kombination mit dem methodischen Aspekt der Synästhesie-Hypothese<br />
Folgen<strong>des</strong> zutreffen:<br />
157
Innerhalb der polysemen semantischen Struktur von Note gibt es keine<br />
Lesart, die originär für den Geruchsbereich reklamiert werden kann. <strong>Die</strong><br />
Paraphrasen bei Wahrig (1994) lassen sich gemäß ihres perzeptori-<br />
schen Potenzials vielmehr so fassen, wie es in Tabelle 17 dargestellt ist:<br />
Sememe zum Lemma Note Sinnesmodalität<br />
„Bemerkung, Anmerkung, (Fuß-);<br />
in Wort od. Zahl ausgedrückte Beurteilung, Zensur (Schul-);<br />
förml. schriftl. Mitteilung einer Regierung an eine andere;<br />
158<br />
visuell<br />
kurz für Banknote, Papiergeld; visuell/taktil<br />
Schriftzeichen für einen Ton; visuell/auditiv<br />
Prägung, Eigenart unspezifisch<br />
Tabelle 17: Das perzeptorische Potenzial von Note<br />
Aus der tabellarischen Strukturierung geht hervor, dass sich die musika-<br />
lische Lesart „Schriftzeichen für einen Ton” unmittelbar mit der sinnlichen<br />
Wahrnehmung in Zusammenhang bringen lässt, nämlich der auditiven<br />
Sinnesmodalität. Damit ist es legitim, die auditive Lesart als metaphori-<br />
schen Quellbereich für die synästhetische Übertragung in den Geruchs-<br />
bereich anzunehmen. Zwar zeigen die anderen Lesarten auch sensori-<br />
sche Qualitäten, können aber nicht plausibel mit der Olfaktorik in Verbin-<br />
dung gebracht werden. Weitere Indizien die auditive Lesart zu Grunde zu<br />
legen liefert der bereits diskutierte Fall Akkord als auditive Vokabel in ei-<br />
nem Parfumwerbetext. Im Falle der Fachvokabel Akkord ist der auditive<br />
Bezug für die Leser anscheinend offensichtlicher als bei Note, denn hier<br />
wird dieser nicht explizit als solcher thematisiert. Im Rückbezug auf die<br />
Ablehnung der AL beim synästhetischen Transfer von Akkord (Audition<br />
Olfaktorik) kann auch für Note angenommen werden, dass die stan-<br />
dardsprachlich konventionalisierte auditive Lesart Schriftzeichen für ei-<br />
nen Ton als erstes assoziiert wird, der referentielle Bezug zum Geruchs-<br />
bereich hingegen jedoch keinen Anklang beim Leser findet. <strong>Die</strong> Analyse<br />
<strong>des</strong> Determinatums liefert zumin<strong>des</strong>t eine plausible Erklärung, warum
Herznote von vielen AL als unangemessen wahrgenommen und kom-<br />
mentiert wird.<br />
<strong>Die</strong> Herz-Assoziation durch den Fachbegriff Herznote im Bereich <strong>des</strong><br />
<strong>Parfums</strong> zu etablieren, hat vermutlich den Hintergrund, den Parfumduft<br />
mit Sinnlichkeit und/oder Sexualität zu verbinden. Und dieser Zusam-<br />
menhang ist zudem noch physiologisch nachweisbar, denn der enge<br />
neurale Bezug zwischen Geruchsreizen und emotionalen Prozessen<br />
wurde bereits im Theorieteil ausführlich thematisiert (vgl. die Ausführun-<br />
gen in 1.3.1.1. ff. zur Funktion <strong>des</strong> limbischen Systems).<br />
Das Problem, das allerdings bei der Analyse <strong>des</strong> AL auftaucht, ist, dass<br />
viele Leser die synästhetische Verknüpfung von Herz und Olfaktorik in<br />
der verbalen Konstruktion eines Kompositums nicht akzeptieren. Denn<br />
aus den Kommentaren geht – wiederum analog zu Akkord und Fond –<br />
hervor, dass der Quasi-Neologismus Unverständnis erzeugt und eher als<br />
negativ (= unangemessen), denn als positiv (= angemessen) empfunden<br />
wird. Denkbare Kommentare wie ‚originelle Kombination’, ‚weckt ange-<br />
nehme Assoziationen’ oder ‚cooles Wort’ fehlen.<br />
Zum Problem der Akzeptanz im Neologismusprozess weist Helfrich<br />
(1993) auf Folgen<strong>des</strong> hin:<br />
„Von grundlegender und weitreichender Relevanz für den Neologismusprozeß<br />
ist die Tatsache, daß sprachliche Phänomene der Bewertung der Sprecher<br />
unterliegen, die damit aktiv (in der Rolle als Sprachbenutzer) oder passiv (in<br />
der Rolle als Sprachrezipienten) in Berührung kommen. Solche Bewertungen<br />
kommen zustande durch die Einstellungen, die das Sprachbewußtsein der<br />
Sprecher prägen. Somit stellt sich <strong>Sprache</strong> als Einstellungsobjekt heraus“<br />
(Helfrich 1993: 32 f.).<br />
Das parfumistische Konzept Herznote ist innerhalb <strong>des</strong> Parfumdiskurs<br />
weder neu noch originell und kann <strong>des</strong>halb nicht als Ad-Hoc-<br />
Kompositum betrachtet werden. Motsch (1999) macht auf eine interes-<br />
sante Aufspaltung <strong>des</strong> Begriffes Neologismus aufmerksam. Er bezeich-<br />
net zunächst „wiederholt in unterschiedlichen Texten vorkommende Bil-<br />
dungen, die in weiter zurückliegenden Texten und Wörterbüchern nicht<br />
zu finden sind, [als] (...) Neubildungen. Eine Beantwortung der Frage, ob<br />
159
Neubildungen Neologismen sind, d.h. neue Lexikoneinheiten oder nur<br />
Textwörter, d.h. ad hoc für die Zwecke eines Textes gebildet sind“<br />
(Motsch 1999: 19) ist wahrscheinlich selten eindeutig zu klären (vgl.<br />
auch Motsch 1983: 106 ff. und Angele 1992: 41 ff.).<br />
Obwohl auf kognitiver Ebene sowohl mit Herz als auch mit Note allerlei<br />
assoziiert werden kann, ist die konzeptionelle Amalgamierung beider En-<br />
titäten (noch) blockiert. Sie hat offenbar (noch) keinen Zugang in ein all-<br />
tägliches Verständnis gefunden, geschweige denn auf der Ebene der<br />
Versprachlichung in das etablierte Lexikon. Anders formuliert: Dem theo-<br />
retisch denkbaren Konzept Herznote entspricht in der Alltagskommunika-<br />
tion weder ein Signifiant noch ein Signifié. Es hat nicht den Status eines<br />
sprachlichen Zeichens, obwohl das Zeichenpotenzial deutlich herausge-<br />
arbeitet wurde.<br />
Und die Frage, ob die ablehnende Aufmerksamkeit, die Herznote hier bei<br />
vielen AL erzeugt, den Textproduzenten gleichgültig ist oder sogar beab-<br />
sichtigt war, kann hier nicht beantwortet werden. <strong>Die</strong> AL-Erhebung stellt<br />
jedenfalls als beobachtbare Tatsache heraus, dass Herznote häufig mo-<br />
niert wird und die anschließende analytische Deskription kann als hypo-<br />
thetische Erklärung anbieten, dass der (synästhetische) Transfer von der<br />
Fachsprache der Parfumeure zur Standardsprache <strong>des</strong> potenziellen<br />
Konsumenten bezogen auf das Moment <strong>des</strong> Informierens über das Pro-<br />
dukt nicht gelungen ist.<br />
Folgende Ergebnisse der exemplarischen Feinanalyse <strong>des</strong> Fachvokabu-<br />
lars Parfum sind thesenhaft formuliert festzuhalten:<br />
<strong>Die</strong> Fachbegriffe sind auffallend oft markiert worden.<br />
Sie sind entweder unbekannt oder werden als unpassend für einen<br />
Parfumwerbetext empfunden (beim Kommentar von AL-25 liegt<br />
sogar eine interessante, aber als marginal zu wertende Verwechs-<br />
lung mit dem Wort Fonds = Finanztopf vor).<br />
<strong>Die</strong> Texte gehen bei der Verwendung parfumspezifischer Fachter-<br />
mini ein kommunikatives Risiko ein. Entweder ist den Textprodu-<br />
zenten das Risiko der Abneigung durch Unverständnis nicht be-<br />
wusst – dann ist die Rezipientenseite <strong>des</strong> Kommunikationsprozes-<br />
160
ses nicht ausreichend berücksichtigt worden und die Texte können<br />
als unreflektiert geschrieben gelten. Oder der Text zielt mit den<br />
markanten Fachbegriffen gar nicht auf das verständliche Kommu-<br />
nizieren einer Information, dann muss eine andere Motivation an-<br />
genommen werden, die nicht mit der referentiellen Sprachfunktion<br />
korreliert.<br />
3.5. Extrapolation <strong>des</strong> Fachvokabulars Parfum<br />
<strong>Die</strong> Extrapolation gegen das Gesamtkorpus verfolgt den Zweck zu über-<br />
prüfen, ob der synästhetische Charakter dieser Fachvokabeln, den die<br />
Stichprobenanalyse herausgestellt hat, durch einen Blick auf das Ge-<br />
samtkorpus quantitativ zu erhärten und damit zu verifizieren ist oder ob<br />
der Stichprobeneindruck revidiert werden muss. Es wird dabei folgen-<br />
dermaßen verfahren, wobei die drei bereits diskutierten Fachvokabeln<br />
Akkord, Fond, Herznote als Ausgangsbasis dienen:<br />
Es werden aus den duftbeschreibenden Sequenzen <strong>des</strong> Gesamtkorpus<br />
zunächst alle Synonyme der Stichproben-Fachbegriffe extrahiert. <strong>Die</strong><br />
Synonyme werden zunächst in einer tabellarischen Übersicht in der Rei-<br />
henfolge ihres Auftretens im Korpus dargestellt. Dann wird versucht mit-<br />
tels einer <strong>des</strong>kriptiven Analyse zwei Fragen zu klären, die einerseits die<br />
Kommentare der AL-Befragung, andererseits die theoretischen Prämis-<br />
sen dieser Arbeit nahe legen:<br />
Sind die durch die Extrapolation gewonnen Synonyme in ähnlicher<br />
Weise unkonventionell oder sogar als (Quasi-)Neologismen zu<br />
werten, so dass sie als äquivalent zu den in der Stichprobe mar-<br />
kierten Fachvokabeln gelten können?<br />
Können die Synonyme (zumin<strong>des</strong>t tendenziell) als synästhetisch<br />
motivierte Lexeme betrachtet werden, das heißt ist ihnen eine<br />
nicht-olfaktorische Sinnesmodalität zuzuordnen, die als metaphori-<br />
scher Quellbereich gelten kann?<br />
161
Beide Fragen zusammen werden dann vor dem theoretisch-<br />
poetologischen Hintergrund auf ihre poetische Relevanz hin überprüft<br />
und dabei mit dem Riffaterreschen Kontext-Begriff sowie dem sich daran<br />
anschließenden Riffaterreschen Begriff <strong>des</strong> stilistischen Verfahrens und<br />
in Zusammenhang gebracht.<br />
3.5.1. Synonyme der Fachbegriffe Akkord, Fond, Herznote im Ge-<br />
samtkorpus<br />
Damit die Klassifizierung der extrahierten Lexeme aus dem Gesamtkor-<br />
pus als Synonyme für den Leser überprüfbar bleibt, seien hier nochmals<br />
die einschlägigen Definitionen zu Akkord, Fond und Herznote aus dem<br />
Parfumbuch der Edition Haarman & Reimer (Müller 1991) aufgeführt.<br />
„Akkorde entstehen durch das Zusammenfügen verschiedener Einzelgerüche,<br />
die zu neuen Duftbildern verschmelzen. <strong>Die</strong> Anzahl der eingesetzten Ingre-<br />
dienzien kann von zwei bis zu mehreren hunderten reichen. Einfache und<br />
komplexe Akkorde werden als Bausteine für Parfümkompositionen verwendet“<br />
(Müller 1991: 66).<br />
„Basisnote [= Fond] ist der dritte und letzte Teil <strong>des</strong> Duftablaufs eines Parfüms.<br />
Sie enthält die langhaftenden Bestandteile, wie z.B. Hölzer, Resine, animali-<br />
sche und kristalline Substanzen. In schweren Parfüms (Chypre und orientali-<br />
sche Noten) ist die Basisnote so stark betont, daß sie bereits im Angeruch<br />
typprägend wirkt“ (Müller 1991: 67).<br />
„Herznote ist die zweite, mittlere Phase <strong>des</strong> Duftablaufs eines Parfüms nach<br />
dem Abklingen der Kopfnote. Sie wird vorwiegend von blumigen, würzigen o-<br />
der holzigen Komponenten geprägt und bildet, wie der Name sagt, das Herz-<br />
stück <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>“ (Müller 1991: 70).<br />
<strong>Die</strong> folgende Tabelle zeigt diejenigen Substantive aus dem Gesamtkor-<br />
pus, die synonym sind mit den drei Fachbegriffen aus dem Stichproben-<br />
korpus Es werden gemäß den Vorgaben <strong>des</strong> AL nur Substantive einbe-<br />
zogen, obwohl die abstrakten Konzepte sprachlich auch mittels anderer<br />
Wortarten repräsentiert werden könnten. <strong>Die</strong> Zahlen in Klammern geben<br />
162
die Häufigkeit der Substantive im Gesamtkorpus an; keine Zahl bedeutet<br />
einmaliges Vorkommen.<br />
Akkord/e (6) Fond (17) Herznote (24)<br />
Verbindung (6) Basis (3) Herz/Herzen (15)<br />
Kombination (6) Schlussakkord Herz-Kopf-Note<br />
Bouquet (5) Finish Zwischentöne<br />
Komposition (11) Grundnote (2)<br />
Harmonie (9) Basisnote (9)<br />
Provence-Akkord Ausklang (3)<br />
Klänge Vollendung<br />
Tonalitäten Abschluß<br />
Zusammenspiel (2)<br />
Gewürzakkord<br />
Mischung<br />
Apfelakkord<br />
Duftbouquet<br />
Spannungsbogen<br />
Zedernholz-Akkord<br />
Duftakkord<br />
Einklang (3)<br />
Zitrusmischung<br />
Holzkomplexe<br />
Tabelle 18: Synonyme zu Akkord, Fond und Herznote aus dem Gesamtkorpus<br />
163
3.5.2. Fachvokabeln als synästhetisch motivierte Neologismen<br />
Ein genereller Trend in den Kommentaren der Probanden bezüglich <strong>des</strong><br />
Stichprobenkorpus war die Unbekanntheit, Unangemessenheit oder Un-<br />
verständlichkeit der verwendeten Fachbegriffe. <strong>Die</strong>s ist möglicherweise<br />
dadurch zu erklären, dass es sich bei den Fachbegriffen um speziell für<br />
den Parfumbereich kreierte Neuwörter handelt, die dem AL nicht oder<br />
nicht ausreichend bekannt sind. Explizit wird der Fachterminus Neolo-<br />
gismus sogar von AL-1 im Text zu Bogner-Snow genannt, und zwar be-<br />
züglich der NGr geeiste Mandarine: „Geeist (Neologismus?)”. Es soll da-<br />
her geprüft, ob sich der Neologismus-Verdacht durch den extrapolierten<br />
Datensatz erhärten lässt.<br />
Der Begriff Neologismus als wissenschaftliche Größe ist allerdings nicht<br />
unproblematisch. Mit ihm wird ein „neu gebildeter sprachlicher Ausdruck<br />
(Wort oder Wendung)“ bezeichnet, „der zumin<strong>des</strong>t von einem Teil der<br />
Sprachgemeinschaft, wenn nicht im allgemeinen, als bekannt empfun-<br />
den wird“ (Bußmann 3 2002: 463). Ein Neologismus dient demnach „zur<br />
Bezeichnung neuer Sachverhalte, sei es in Technik oder Industrie, oder<br />
neuer Konzepte etwa in Politik, Kultur oder Wissenschaft“ (ibidem).<br />
Im Grammatik-Duden (Duden 6 1998) werden Neologismen paraphrasiert<br />
als „Neuwörter (...), die zu einem bestimmten Zeitpunkt in Gebrauch ge-<br />
nommen und von der Sprachgemeinschaft als ‚neu’ empfunden werden“<br />
(Duden 6 1998: 604).<br />
Der Blick der beiden zitierten Standardnachschlagewerke kommt offen-<br />
sichtlich aus verschiedenen Richtungen. Während ein Neologismus laut<br />
Bußmann ( 3 2002) zumin<strong>des</strong>t von einem Teil der Sprachgemeinschaft als<br />
„bekannt“ empfunden wird, betont der Grammati-Duden, dass neu in<br />
Gebrauch kommende Wörter auch als „neu“ im Sinne von relativ unbe-<br />
kannt wahrgenommen werden (Duden 6 1998: 604). Es ist allerdings un-<br />
nötig spitzfindig zu diskutieren, ob als Neologismen zu wertende lexikali-<br />
sche Einheiten als relativ bekannt oder relativ unbekannt bezeichnet<br />
werden. Eines gilt in jedem Fall für das Phänomen <strong>des</strong> Neologismus,<br />
gleichgültig von welcher Seite – relative Bekanntheit oder Unbekanntheit<br />
164
– man es betrachtet: Neologismen sind keine mehr oder weniger signifi-<br />
kantenseitig willkürlich neu zusammengepuzzelten Phonemsequenzen.<br />
Es ist vielmehr als generelles Kriterium festzuhalten, dass im Falle eines<br />
Neologismus ein „neuer Sachverhalt“ (Bußmann 3 2002: 463) durch einen<br />
nicht-konventionalisierten sprachlichen Ausdruck bezeichnet wird. An-<br />
ders formuliert:<br />
„Aus lexikologischer Sicht wird unter einem Neologismus ein Neuzugang im<br />
Lexikon verstanden“ (Helfrich 1993: 9).<br />
Etwas ausführlicher formuliert, kann man sagen, dass ein – wodurch<br />
auch immer – neu entstandenes kognitives Konzept oder Signifié vor-<br />
sätzlich mit einer neu konstruierten oder umgewidmeten Ausdrucksseite<br />
versehen wird. <strong>Die</strong>ses neu konzipierte sprachliche Zeichen erweitert das<br />
Sprachsystem um ein Element, wobei eine durch ein neu zu benennen-<br />
<strong>des</strong> Signifié entstandene Lücke im mentalen individuellen und kollektiven<br />
Lexikon durch ein halbvertrautes Signifiant geschlossen wird. Bei dem<br />
Phänomen <strong>des</strong> Neologismus treffen also notwendig Bekannte (Altes)<br />
und Unbekanntes (Neues) zusammen. Unbekannt oder unvertraut ist<br />
das neue mentale Konzept, (teilweise) bekannt hingegen die sprachliche<br />
Form, beziehungsweise im Falle komplexer Sprachformen deren Konsti-<br />
tuenten. Im Französischen gibt es eine schöne lexikalische Unterschei-<br />
dung zwischen absoluter und relativer Neuheit. <strong>Die</strong>se Differenz wird mar-<br />
kiert durch die Adjektive nouveau (ungebraucht, noch nicht da gewesen)<br />
vs. neuf (neuzeitlich, modern) (vgl. (Lange-Kowal 1982: 936). In diesem<br />
Sinne ist formal betrachtet ein Neologismus neuf, aber nicht nouveau.<br />
<strong>Die</strong> Verwendung <strong>des</strong> Verbs empfinden in den beiden obigen Definitionen<br />
macht überdies deutlich, dass es offenkundig keine objektive Instanz<br />
gibt, die festlegt, ob ein Wort oder eine Wendung als Neologismus zu<br />
betrachten ist oder aber als etablierte und damit lexikalisierte Einheit <strong>des</strong><br />
Wortschatzes einer <strong>Sprache</strong>.<br />
Wenn eine Fachsprache, wie hier die Fachsprache der Parfumeure,<br />
neue Lexeme für neue oder scheinbar neue Inhalte einführt, besteht im-<br />
mer die Gefahr, dass die Fachvokabeln sich als Barriere <strong>des</strong> allgemei-<br />
nen Verstehens entpuppen (vgl. Fluck 5 1996: 34). <strong>Die</strong>ses Problem tritt<br />
165
offensichtlich hier auf, da die Werbesprache Fachtermini benutzt, die<br />
zwar für Fachleute stabile Einheiten <strong>des</strong> Fachwortschatzes bilden, für<br />
den Laien, der die Werbung rezipiert, allerdings als Neologismen er-<br />
scheinen. Morgenroth (2000) attestiert der Werbung sogar einen pau-<br />
schalen Missbrauch fachsprachlichen Vokabulars, wenn er behauptet,<br />
dass „Fachvokabular vielfach zur Manipulation der Adressaten einge-<br />
setzt [wird], was auf die von wissenschaftlich bzw. pseudowissenschaft-<br />
lich fundierten Aussagen ausgehende ‚Persuasionskraft’ zurückzuführen<br />
sei. Werbung missbraucht also Fachsprache für ihre Zwecke. Fachspra-<br />
che wird als ‚Dekorum’ eingesetzt“ (Morgenroth 2000: 38).<br />
Link (1996) stellt eine Verbindung zwischen Neologismus und Fremdwort<br />
her, der als typisch gelten kann für die <strong>Sprache</strong> der Werbung. Fach-<br />
sprachliche Fremdwörter sind der Autorin zufolge „(...) offensichlich we-<br />
der fest eingebürgert noch sind sie (...) einfach irgendwelche Neologis-<br />
men, sondern (...) Augenblicksbildungen (...) für den speziellen Textzu-<br />
sammenhang“ (Link 1996: 34).<br />
Bei Fleischer/Barz ( 2 1995) liest man zur Wortschatzerweiterung bezie-<br />
hungsweise zur Wortbildung mit fremdelementen Folgen<strong>des</strong>:<br />
„Der Fremdwortschatz <strong>des</strong> Deutschen entsteht auf zweierlei Weise: durch Ent-<br />
lehnung ‚fertiger’ Wörter und durch die Bildung mit Fremdelementen innerhalb<br />
<strong>des</strong> Deutschen“ (Fleischer/Barz 2 1995: 61).<br />
Zudem weisen sie auf die Schwierigkeit hin, dass „beide Verfahren (...)<br />
im Einzelfall nicht immer auseinanderzuhalten“ sind (ibidem; vgl. zur<br />
Lehnwortbildung auch Kirkness 1987: 9 ff. sowie Hoppe 1987: 103 ff.).<br />
Es liegen jedenfalls für diese Untersuchung authentische Sprachdaten<br />
vor, die die Leserempfindungen zu potenziell als Neologismen zu be-<br />
trachtenden Lexemen widerspiegeln. <strong>Die</strong>se Leserdaten sind als Bottom-<br />
up-Phänomen eine hinreichende Legitimation für eine Bewertung der zur<br />
Verhandlung stehenden Fachbegriffe <strong>des</strong> Parfumdiskurses als Neolo-<br />
gismen.<br />
Man kann zunächst in formaler Hinsicht drei Arten von Neologismus-<br />
Typen unterscheiden, wobei ich der Klassifikation von Bußmann ( 3 2002)<br />
folge, weil sie Subkategorien aufführt, die für diese Arbeit plausibel und<br />
166
pragmatisch sind. Außerdem erscheinen sie auf angenehme Weise klar<br />
und transparent.<br />
Sprachprozesse zur Erzeugung von Neologismen<br />
A Neue Ausdrücke auf der Basis vorhandener morphologischer Wortbildungsre-<br />
geln<br />
B Bedeutungsübertragungen<br />
C Entlehnungen aus anderen <strong>Sprache</strong>n<br />
Tabelle 19: Verschiedene Sprachprozesse zur Erzeugung von Neologismen<br />
(nach Bußmann 3 2000: 463)<br />
Gemäß dieser verfeinerten Subklassifizierung kann man die drei Fach-<br />
begriffe der AL-Stichprobe den drei Neologismus-Typen zuordnen, wie<br />
es in Tabelle 20 geschieht. Sie gibt das Muster ab für die darauf folgen-<br />
de Zuordnung der extrapolierten Daten.<br />
Lexem Neologismus-Typ<br />
Akkord C<br />
Fond C<br />
Herznote A/B<br />
Tabelle 20: Zuordnung der Fachbegriffe der AL-Stichprobe zu den drei Neolo-<br />
gismus-Typen<br />
Bei Akkord und Fond handelt es sich um Lexeme, die aus dem Franzö-<br />
sischen entlehnt sind. Bei Herznote muss man zwei Mechanismen an-<br />
nehmen, zum Einen ist es als Kompositum morphologisch neu kon-<br />
struiert (Typ A), zum Anderen handelt es sich um eine synästhetische<br />
Übertragung aus dem auditiven in den olfaktorischen Bereich (Typ B).<br />
<strong>Die</strong> folgende Tabelle ist eine Erweiterung der vorigen. Sie zeigt die Zu-<br />
ordnung der Synonyme der Muster-Fachbegriffe zu den Subklassen A, B<br />
und C <strong>des</strong> Begriffs Neologismus. <strong>Die</strong> Zahlen in Klammern geben die Auf-<br />
tretenshäufigkeit innerhalb <strong>des</strong> Gesamtkorpus an.<br />
167
Akkord/e (6) Typ Fond (17) Typ Herznote (24) Typ<br />
Verbindung (6) B Basis (3) B Herz (15) B<br />
Kombination (6) B Schlussakkord (1) A/B/C Herz-Kopf-<br />
168<br />
Note (1)<br />
Bouquet (5) C Finish (1) C Zwischentöne<br />
Komposition (11) B Grundnote (2) A/B<br />
Harmonie (9) B Basisnote (9) A/B<br />
Provence-Akkord (1) A/B/C Ausklang (3) B<br />
Klänge (1) B Vollendung (1) B<br />
Tonalitäten (1) B Abschluß (1) B<br />
Zusammenspiel (2) B<br />
Gewürzakkord (1) A/B/C<br />
Mischung (1) B<br />
Apfelakkord (1) A/B/C<br />
Duftbouquet (1) A/B/C<br />
Spannungsbogen (1) B<br />
Zedernholz-Akkord (1) A/B/C<br />
Duftakkord (1) A/B/C<br />
Einklang (3) B<br />
Zitrusmischung (1) A<br />
Holzkomplexe (1) A<br />
Tabelle 21: Zuordnung der Fachbegriffe <strong>des</strong> Gesamtkorpus zu den drei Neolo-<br />
gismus-Typen<br />
(1)<br />
A/B<br />
A/B
Folgende Ergebnisse können aus dieser Tabelle entnommen werden.<br />
Insgesamt lassen sich im Gesamtkorpus 30 Lexeme finden, die als syn-<br />
onym zu den drei Muster-Fachbegriffen zu betrachten sind und damit als<br />
potenzielle Neologismen in Frage kommen. Bei der Zuordnung fällt auf,<br />
dass sich viele der 30 Lexeme nicht eindeutig einem Neologismus-Typ<br />
zuordnen lassen, sondern semantische und morphologische Merkmale<br />
aufweisen, die eine Mehrfachzuordnung notwendig machen. <strong>Die</strong> quanti-<br />
tative Verteilung der Zuordnungen ist in Tabelle 22 dargestellt.<br />
Neologismus-Typ Zahl der Lexeme<br />
Typ A 2<br />
Typ B 15<br />
Typ C 2<br />
Typ A/B 4<br />
Typ A/B/C 7<br />
Tabelle 22: Quantitative Verteilung der Neologismus-Typen<br />
Es können aus Platzgründen nicht alle Synonyme einzeln diskutiert wer-<br />
den, sondern es werden nacheinander die fünf Klassen besprochen, die<br />
sich bei der Zuordnung ergeben haben.<br />
Typ A<br />
Als Typ A wurden klassifiziert Zitrusmischung und Holzkomplexe.<br />
<strong>Die</strong> Konstituenten der beiden Komposita sind normalsprachlich bekannt.<br />
Das Determinatum –komplexe ist ein Fremdwort. Beide Komposita sind<br />
nicht in anderen Kontexten gebräuchlich, das heißt sie sind speziell für<br />
den Gebrauch in einem Parfumwerbetext kreiert worden. Daher können<br />
sie als Ad-hoc-Bildungen verstanden werden.<br />
169
Typ B<br />
Der Neologismus-Typ B wird bei Bußmann ( 3 2002) als „Übertragung“<br />
(Bußmann 3 2002: 463) bezeichnet. Man kann genauso gut von einem<br />
metaphorisch verwendeten Ausdruck sprechen. Bei der analytischen<br />
Rekonstruktion eines metaphorischen Ausdrucks sind immer die Fragen<br />
zu klären, was wohin übertragen wurde und wie es kommt, dass der me-<br />
taphorische Ausdruck verstanden wird (oder vielleicht auch nicht). An-<br />
knüpfend an die im Theorieteil ausgeführte Metaphorik-Konzeption von<br />
Lakoff/Johnson (1980) kann gefragt werden, was im Falle eines meta-<br />
phorischen Ausdrucks als Quellbereich und was als Zielbereich identifi-<br />
ziert werden kann? Was ist, anders formuliert, als tertium comparationis<br />
herauszuarbeiten, das die Übertragung vom Quell- zum Zielbereich legi-<br />
timiert und damit dem metaphorischen Ausdruck zur rezipientenseitigen<br />
Akzeptanz verhilft.<br />
<strong>Die</strong> folgende Auflistung zeigt, dass es sich bei der Neologismus-<br />
Kategorie Übertragungen zu einem überwiegenden Teil um Lexeme<br />
handelt, deren metaphorischer Quellbereich keiner konkreten Sinnes-<br />
modalität zugeordnet werden kann:<br />
Herz, Basis, Verbindung, Kombination, Mischung, Spannungsbogen,<br />
Vollendung, Abschluß, Zusammenspiel.<br />
Es handelt sich um abstrakte Substantive, die aus anderen Kontexten<br />
bekannt sind und ohne perzeptorische Motivation in den Geruchsbe-<br />
reich übertragen wurden. Daher können sie nicht als sprachlich-<br />
synästhetisch gelten.<br />
Bei den anderen Lexemen <strong>des</strong> Typs B jedoch handelt es sich um Über-<br />
tragungen aus dem Bereich der Musik. Bezogen auf die menschliche<br />
Sinneswahrnehmung heißt dies naturgemäß, dass nur die auditive Mo-<br />
dalität als originärer Perzeptionsbereich in Frage kommt. <strong>Die</strong>s trifft für<br />
folgende sechs Lexeme zu:<br />
Komposition, Klänge, Tonalitäten, Einklang, Ausklang, Harmonie.<br />
Wie sich bereits in der Stichprobenanalyse abzeichnete, kann auch in-<br />
nerhalb der Übertragungs-Neologismen <strong>des</strong> extrapolierten Datensatzes<br />
170
zumin<strong>des</strong>t tendenziell das sprachliche Phänomen der Synästhesie<br />
nachgewiesen werden. Dabei zeigt sich deutlich, dass der auditiven Sin-<br />
nesmodalität als metaphorischem Quellbereich die Hauptrolle zukommt.<br />
Es kann trotz der Einschränkung, dass es sich bei der Extrapolation um<br />
ein induktives Verfahren handelt, schlussgefolgert werden, dass der Im-<br />
port originär auditiver Lexeme in den Geruchsbereich nicht nur punktuell<br />
auftaucht, sondern als sprachlich-synästhetisches Strukturmotiv gewertet<br />
werden muss, das für Beschreibungen von <strong>Parfums</strong> als konstitutiv gelten<br />
kann.<br />
Typ C<br />
Bei Finish und Bouquet handelt es sich um Entlehnungen aus dem Eng-<br />
lischen beziehungsweise dem Französischen.<br />
Typ A/Typ B<br />
<strong>Die</strong> Komposita Grundnote, Basisnote, Herz-Kopf-Note, Zwischentöne<br />
wurden zusätzlich zu Typ A noch als Typ B klassifiziert, weil ihre Grund-<br />
wörter originär auditiv sind und daher als synästhetische Übertragungen<br />
gelten müssen.<br />
Typ A/B/C<br />
<strong>Die</strong> Kombination TypA/B/C ist komplizierter zu beschreiben und die Zu-<br />
ordnungen sind durchaus problematisch und uneindeutig. Während die<br />
metaphorischen Ausdrücke <strong>des</strong> Typs B morphologisch als Simplizia er-<br />
scheinen, haben wir es hier bei sämtlichen Lexemen mit Substantivkom-<br />
posita zu tun (vgl. zur Typologie der Substantivkomposita Ortner et al.:<br />
1991: 146 ff.).<br />
171
Bei den Lexemen Provence-Akkord, Duftbouquet, Zedernholz-Akkord,<br />
Duftakkord, Gewürzakkord, Apfelakkord und Schlussakkord können alle<br />
drei Entstehungsmechanismen beobachtet werden. <strong>Die</strong> komplexen Wör-<br />
ter enthalten als Grundwörter entlehnte Lexeme (Akkord, Bouquet), die<br />
im Falle von Akkord zudem noch originär auditiver Natur sind.<br />
Obwohl den Lexemen, denen zur Gänze oder anteilig der Neologismus-<br />
Typs B attestiert wurde, synästhetische Motivation nachgewiesen wer-<br />
den konnte, ist deren Plausibilität für den Leser keineswegs eindeutig<br />
geklärt. <strong>Die</strong> strukturelle Übertragung auditiver Lexeme in den Geruchs-<br />
bereich scheint intuitiv keineswegs immer eingängig. Man kann jederzeit<br />
lapidar einwenden: Wie kann man ein Parfum hören? Was hat ein so<br />
genannter Schlussakkord oder Ausklang, den man von einem Musik-<br />
stück kennt, mit dem Schlussakkord eines eines <strong>Parfums</strong> zu tun? Mögli-<br />
cherweise kann ein mikroskopischer Blick auf das Substantiv Klang Auf-<br />
schluss über Analogien zwischen Audition und Olfaktorik geben.<br />
Klang (oder die Pluralform Klänge) wird in Parfumwerbetexten häufiger<br />
verwendet, vor allem als Basismorphem der Derivation Ausklang.<br />
Klang/Ausklang ist dem metaphorischen Neologismus-Typ B zuzurech-<br />
nen und steht in einer Synonymierelation zu Akkord(e).<br />
Ein Klang ist in Meyers dreibändigem Lexikon (Meyer 1995) definiert als<br />
„ein Gemisch aus Tönen, bei dem die Frequenzen der einzelnen Töne<br />
ganzzahlige Vielfache (Obertöne) der Frequenzen <strong>des</strong> tiefsten im K.<br />
vorhandenen Tones (Grundton) sind. Anzahl und Stärke der Obertöne<br />
gibt jedem K. eine charakterist. Klangfarbe“ (Meyer 1995: 488).<br />
Tabelle 23 isoliert die zentralen Paraphrasen aus der Lexikondefinition<br />
von Klang (= Wahrnehmungsmodalität Audition) und stellt sie unter<br />
Verwendung parfumspezifischer Ausdrücke dem Geruchsbereich (=<br />
Wahrnehmungsmodalität Olfaktorik) gegenüber:<br />
172
Audition Olfaktorik<br />
Gemisch aus Tönen Gemisch aus Duftnoten<br />
Frequenzen der Töne Geruchsqualitäten der einzelnen Duft-<br />
173<br />
komponenten/-substanzen (Zitrone, Zimt<br />
etc.)<br />
Grundton Grund-/Basisnote, Fond<br />
Anzahl und Stärke der Obertöne Intensität der einzelnen Duftkomponen-<br />
ten/-Substanzen<br />
Klangfarbe Duftkomposition/Duftbild<br />
Tabelle 23: Paraphrasen zu Klang und <strong>des</strong>sen Transfer in den Bereich der Ol-<br />
faktorik<br />
<strong>Die</strong> Darstellung eignet sich dazu, abstrahiert von einem bestimmten Par-<br />
fum mit bestimmten Geruchsqualitäten, durchschaubar zu machen, dass<br />
und wie der Transfer Audition Olfaktorik verbal organisiert werden<br />
kann. <strong>Die</strong> Frage der legitimen Motivation dieses Manövers ist <strong>des</strong>kriptiv<br />
jedoch nicht eindeutig zu beantworten. Sie kann nur hypothetisch beant-<br />
wortet werden und dies meiner Meinung nach auf zwei Arten.<br />
Entweder man nimmt dann an, dass gar keine legitime Verbindung zwi-<br />
schen Audition und Olfaktorik besteht. Dann wäre die Schlussfolgerung,<br />
dass es sich bei dem synästhetischen Transfer um eine bloße Setzung,<br />
eine arbiträre Zusammenstellung gewisser, möglicherweise gut klingen-<br />
der, Wörter handelt, denen jeder referentielle Charakter abgeht, die also<br />
mit olfaktorischen Qualitäten gar nichts zu tun haben. Eine weitere Dis-<br />
kussion würde sich an diesem Punkt erübrigen.<br />
Oder man nimmt wohlwollend an, dass es sehr wohl eine legitime Ver-<br />
bindung, gewissermaßen eine Verwandschaft, zwischen Audition und<br />
Olfaktorik gibt, die den synästhetischen Transfer ermöglicht. <strong>Die</strong>se Ver-<br />
bindung wäre dann im weiteren Sinne als ikonisch zu bezeichnen, da sie<br />
eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen auditiven und olfaktorischen Wahr-<br />
nehmungsprozessen sowie deren Versprachlichung postuliert, wie dies<br />
durch die Paraphrasen in Tabelle 23 aufgezeigt wurde. Da sich die Ähn-
lichkeit zwischen Audition und Olfaktorik allerdings auf einem hohen<br />
Abstraktionsniveau bewegt, sind für die Entschlüsselung ein hoher intel-<br />
lektueller Energieaufwand und viel kreative Intelligenz auf Seiten <strong>des</strong><br />
Rezipienten nötig. Dann wäre die Schlussfolgerung, dass sprachliche<br />
Synästhesie als ikonischer Zeichenprozess im Allgemeinen und der<br />
Transfer Audition Olfaktorik im Besonderen durchaus adäquate<br />
sprachliche Strategeme sind, um der Beschreibung von Geruchseigen-<br />
schaften in origineller, wenngleich unpräziser Weise näher zu kommen.<br />
3.5.3. Fachvokabeln und ihre kommunikative Funktion<br />
Dass ungewöhnliche Wortkreationen in Werbetexten häufig vorkommen,<br />
ist sicherlich eine triviale Behauptung, die Jeder, der auf Werbungen<br />
achtet, bestätigen kann. <strong>Die</strong>se sprachtaktischen Manöver sollen im Ide-<br />
alfall informieren und Aufmerksamkeit erregen. Aufmerksamkeit erregen<br />
sie auch, wie die zahlreichen Markierungen der Leser tendenziell signali-<br />
sieren. Allerdings ist die durchweg negative Reaktion auf die Fachvoka-<br />
beln sehr auffällig.<br />
<strong>Die</strong> Extrapolation hat das tendenzielle Unverständnis gegenüber synäs-<br />
thetischen Fachbegriffen, das sich bei der Stichprobenanalyse bereits<br />
abzeichnete, bestätigt. Daraus kann geschlossen werden, dass der refe-<br />
rentiellen Sprachfunktion im Bezug auf die Fachvokabeln nicht die domi-<br />
nante Rolle im Kommunikationsprozess zukommen kann. <strong>Die</strong> Texte in-<br />
formieren nicht. Der der referentiellen Funktion korrelierende Kommuni-<br />
kationsfaktor Kontext entpuppt sich im Falle der Olfaktorik als Makulatur.<br />
Auch sämtliche synästhetisch inszenierten Ersatzschauplätze, inklusive<br />
dem der hochgradig frequenten und für die Parfumwerbung offensichtlich<br />
typischen Bereich der Audition, eignen sich nach Meinung der AL nicht,<br />
um alternative Referenzdomänen abzugeben.<br />
<strong>Die</strong> konative Funktion, deren suggestive Sub-Botschaft ‚Kauf mich, denn<br />
ich bin gut!’ jedem Werbetext zwar implizit ist, kann als Erklärung für die<br />
Fachvokabeln ebenfalls nicht herhalten. Ein offensichtlich appellhafter<br />
174
Charakter kann nicht festgestellt werden und die Diagnose der impliziten<br />
Kaufaufforderung ist banal. Man muss vielmehr eher befürchten, dass<br />
das Blindgehen der Referenz der parfumistischen Fachtermini einen<br />
kontraproduktiven Effekt auf den naturgemäß intendierten Kaufappell<br />
hat. Es könnte nämlich sein, dass der Leser aus Genervtheit über dau-<br />
ernd auftretende unverständliche Vokabeln die Lektüre abbricht und ab-<br />
lehnende Assoziationen zu dem beschriebenen Parfum aufbaut.<br />
Der wesentliche kommunikative Effekt der Fachvokabeln kann jedoch<br />
am plausibelsten mit der poetischen Funktion erklärt werden, da sich<br />
zumin<strong>des</strong>t die deautomatisierende Wirkung der Fachvokabeln nachwei-<br />
sen lässt.<br />
Allerdings muss man einräumen, dass die rasche, also gleichzeitig ober-<br />
flächliche Rezeption <strong>des</strong> AL als Argument dienen kann, dass lediglich<br />
Anfang und Ende der Textsequenzen eine Wirkung entfalten. Im Gegen-<br />
satz zum AL hat ein normaler Konsument in der Leserrolle schätzungs-<br />
weise zehn- bis zwanzigmal mehr Zeit, einen Werbetext zu rezipieren<br />
und damit den primären Deautomatisierungsprozess zu neutralisieren.<br />
3.5.4. Fachvokabeln und ihre poetische Relevanz<br />
Es wurde schon mehrmals betont, dass Werbetexte naturgemäß eine<br />
sprachliche Mittlerfunktion zwischen Produzent und Konsument eines<br />
Produktes einnehmen. Sie erscheinen als Gebrauchstexte generell im<br />
öffentlichen Raum. Man könnte daher nun vermuten, dass sie sich eines<br />
möglichst transparenten, öffentlich zugänglichen Vokabulars bedienen<br />
sollten um optimal werben zu können. Denn ein Konsument erwartet bei<br />
der Lektüre einer werbenden Produktbeschreibung, dass er über ein<br />
Produkt informiert wird und auch versteht, was er über dieses Produkt<br />
liest. Allerdings ist es für den analysierenden Sprachwissenschaftler<br />
schwierig, diejenigen linguistischen Einheiten zu bestimmen, die zur<br />
standardisierten Alltagssprache zu zählen sind und von einem normalen<br />
175
Leser verstanden werden und diese von fachspezifischen Vokabeln ab-<br />
zugrenzen.<br />
Man kann aber dabei mittels <strong>des</strong> AL-Prinzips einen argumentativ unter-<br />
mauerten negativen Nachweis führen, der im Falle <strong>des</strong> Parfumjargons<br />
folgendermaßen aussieht:<br />
<strong>Die</strong> Fachvokabeln Parfum werden daraufhin überprüft, ob sie mittels der<br />
feineren methodischen Begrifflichkeit Riffaterres legitimerweise als „stilis-<br />
tische Stimuli” (vgl. Riffaterre 1973: 99 f.) bezeichnet werden können.<br />
Dazu ziehe ich Riffaterres Konzept <strong>des</strong> sprachlichen Makrokontextes<br />
heran, innerhalb <strong>des</strong>sen, wie oben ausgeführt, ein linguistisches Element<br />
dadurch zu einer deautomatisierten Rezeption führt, dass es mit einer<br />
textimpliziten Norm konfligiert (vgl. zum Begriff der Norm aus linguisti-<br />
scher Sicht auch Hartung 1977: 9 ff.). Man nimmt hierfür die von den AL<br />
als auffällig markierten Fachvokabeln und deren extrapolierte Äquivalen-<br />
te aus dem Gesamtkorpus als strukturelle Besonderheit an. Sie stehen<br />
im Kontrast zu all den Textteilen, die entweder nicht markiert wurden o-<br />
der die zwar markiert wurden, jedoch nicht als Fachvokabeln nachge-<br />
wiesen werden konnten. <strong>Die</strong> Fachbegriffe stellen somit Kontrastpunkte<br />
innerhalb der restlichen Textumgebung der Nicht-Fachvokabeln, also der<br />
standardsprachlichen Lexeme, dar. Alle ‚Nicht-Fachvokabeln’ bilden als<br />
normalsprachliche Elemente in diesem Zusammenhang den Makrokon-<br />
text.<br />
Innerhalb <strong>des</strong> Makrokontextes der informativen standardsprachlichen<br />
Lexeme können nun in der Tat die Fachvokabeln als stilistische Stimuli<br />
bezeichnet werden, die dem Leser beim Rezeptionsprozess mehr Auf-<br />
merksamkeit abverlangen als bei der Lektüre konventioneller Textteile.<br />
Der Leseprozess wird dadurch deautomatisiert, dass die Aufmerksam-<br />
keit auf die Tatsache <strong>des</strong> Unkonventionellen der Fachvokabeln gelenkt<br />
wird. Damit kann hinsichtlich der Fachvokabeln das Wirken der poeti-<br />
schen Sprachfunktion festgestellt werden.<br />
Der Werbetext hätte ja auch ein Konzept wie Fond genauso gut mit all-<br />
tagssprachlichen, allgemein bekannten konventionellen Lexemen pa-<br />
raphrasieren können, wie beispielsweise die länger haftenden Bestand-<br />
176
teile <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>. <strong>Die</strong>s findet aber nicht statt, sondern aus der Menge<br />
der semantische äquivalenten Lexeme oder denkbaren Paraphrasen<br />
wurden Spezialbegriffe gewählt, die die Aufmerksamkeit von der infor-<br />
mativen Referenz auf die Tatsache ihres Auftauchens lenken. <strong>Die</strong><br />
schlichte Tatsache, dass die Fachvokabeln für den Leser großenteils<br />
keine im konventionellen Sinne akzeptable Bedeutung haben, hat den<br />
Effekt, dass sie gerade darum als besonders auffällig wahrgenommen<br />
werden. Das temporäre Unverständnis stört die fließende Aufnahme von<br />
Information aus dem Text. In diesem Zusammenhang sind vor allem die<br />
synästhetischen Komposita unter den Fachvokabeln interessant, weil<br />
gerade dort die Kontrastwahrnehmung zwischen formaler Korrektheit<br />
und semantischer Unsinnigkeit dazu führt, sie verstärkt als formale Ein-<br />
heiten <strong>des</strong> Sprachsystems wahrzunehmen und nicht mehr als Einheiten,<br />
die Information über die externe Welt liefern.<br />
Man kennt zwar beispielsweise Lexeme wie Zitrone und Akkord, aber<br />
eine Kombination beider in Form <strong>des</strong> Kompositums Zitronenakkord ist<br />
standardsprachlich nicht lexikalisiert und daher auf Grund seines neolo-<br />
gistischen Charakters auch nicht erwartbar. Das Auftauchen eines aus<br />
dem Textzusammenhang nicht erwartbaren Lexems aber führt – gemäß<br />
der Definition aus dem Theorieteil dieser Arbeit – zur Deautomatisierung<br />
der Bedeutungskonstitution im sonst kontinuierlich verlaufenden Lese-<br />
prozess. Durch einen derartigen rezipientenseitigen Nachweis <strong>des</strong> deau-<br />
tomatisierenden Effekts der Fachvokabeln kann der dominierende Effekt<br />
der poetischen Funktion also hinreichend begründet werden.<br />
Der Zusammenhang mit den methodischen Verfahrensvorgaben, unter<br />
denen die empirische Analyse angetreten ist, sollte jetzt transparent ge-<br />
worden sein. Im Falle der Fachvokabeln ist der Riffaterresche Makrokon-<br />
text der adäquate Beschreibungsbegriff, um sie als stilistische Stimuli<br />
auszuweisen, die durch eine Kontrastwahrnehmung seitens <strong>des</strong> Lesers<br />
einen stilistischen Effekt erzielen.<br />
Darüber allerdings, ob die Wahl von Fond oder anderer Fachbegriffe bei<br />
der Textproduktion bewusst oder unbewusst abgelaufen ist, um einen<br />
poetischen Effekt zu erzielen, kann allerdings keine objektiv nachweisba-<br />
177
e Aussage gemacht werden. Der befriedigende Erkenntnisgewinn aus<br />
der Analyse der Fachbegriffe liegt vielmehr – wie bei allen sprachlichen<br />
Besonderheiten der Parfumtexte – im gelungenen oder nicht gelungenen<br />
Nachweis der theoriekonsistenten Beschreibung innerhalb <strong>des</strong> begriffli-<br />
chen Rahmens der linguistischen Poetizitätforschung.<br />
3.6. Stichprobenanalyse 2: Attribuierungen<br />
<strong>Die</strong> meisten Lesermarkierungen innerhalb <strong>des</strong> Stichprobenkorpus lassen<br />
sich, wie gesagt, als Attribuierungen, also Eigenschaftszuschreibungen<br />
klassifizieren. Allerdings handelt es sich bei vielen dieser Attribuierung<br />
offensichtlich nicht um geruchsbeschreibende Syntagmen. Da jedoch<br />
das Hauptinteresse dieser Arbeit darin besteht herauszufinden, wie die<br />
Parfumwerbung Parfumgerüche sprachlich zu beschreiben versucht,<br />
wird die ursprüngliche Liste der gesamten vom AL markierten Attribuie-<br />
rungen in diesem Abschnitt aus pragmatischen Gründen differenziert. Es<br />
werden daher diejenigen von den Lesern als auffällig markierten Attribu-<br />
ierungen herausgestellt und einer detaillierten Analyse unterzogen, die<br />
sinnvollermaßen als geruchsbeschreibend verstanden werden können.<br />
Hierbei muss allerdings bei den Geruchsbeschreibungen unterschieden<br />
werden zwischen geruchsbeschreibend im engeren und im weiteren<br />
Sinne.<br />
Als geruchsbeschreibend im engeren Sinne werden diejenigen Attribuie-<br />
rungen verstanden, bei denen die beschriebenen Entitäten als olfaktori-<br />
sche Entitäten nachgewiesen werden können.<br />
Als geruchsbeschreibend im weiteren Sinne gelten nicht-olfaktorische<br />
Größen, die gewissermaßen indirekt verwendet werden um etwas über<br />
den Duft <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> auszusagen ohne direkt seine olfaktorischen Qua-<br />
litäten zu beschreiben.<br />
Sowohl bei den Attribuierungen im engeren Sinne wie denjenigen im<br />
weiteren Sinne wird zunächst <strong>des</strong>kriptiv versucht, ihr Zustandekommen<br />
mittels der Synästhesie-Hypothese zu erklären.<br />
178
In einem weiteren Schritt werden die Kommentare der AL zu den mar-<br />
kierten Attribuierungen herangezogen um einen tiefgehenderen Einblick<br />
zu gewinnen, wie die Geruchsbeschreibungen tendenziell auf die Leser<br />
wirken.<br />
Zu Boss-Elements Aqua (AL-Lesermarkierungen)<br />
Tabelle 24 zeigt die im Boss-Text als Attribuierungen identifizierten AL-<br />
Markierungen.<br />
<strong>Die</strong>jenigen Entitäten, die als olfaktorisch relevant gelten können, sind<br />
durch Kursivdruck hervorgehoben, ebenso in den Tabellen 26 (Bogner)<br />
und 28 (Joop).<br />
Adjektivattribute Substantive<br />
maskulin Präsenz<br />
elegant-ozonig Akkord<br />
aquatisch-frisch Zerstäuber (+ Form)<br />
sprudelnd-frisch und stimulierend Duft<br />
floral Herznote<br />
maskuline Vitalität und Energie Duft ( Mann)<br />
würzig Herznote<br />
erfrischend und belebend Wasser<br />
Tabelle 24: Boss-Elements Aqua – Vom AL markierte Attribuierungen<br />
Im Boss-Text sind es die Substantive Akkord, Duft und Herznote, die als<br />
olfaktorisch relevante Entitäten bezeichnet werden können. <strong>Die</strong> Eigen-<br />
schaften sprudelnd-frisch und stimulierend, die dem Duft zugeschrieben<br />
werden, sind jedoch hinsichtlich ihres perzeptorischen Potenzials derart<br />
vage, dass sie nicht als olfaktorische Attribute gewertet werden können.<br />
Sprudelnd-frisch bezieht sich eher auf eine Flüssigkeit als auf einen gas-<br />
179
förmigen Duft. Hier wird durch das Adjektiv offensichtlich eine Verbin-<br />
dung zum Namen <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> Elements Aqua (= Wasser) hergestellt<br />
und keine Geruchsqualität beschrieben. Synonyme von stimulierend sind<br />
anregend, reizend, aufmunternd (vgl. Duden 4 1982: 728).<br />
Maskuline Vitalität und Energie beziehen sich, suggeriert durch das Ad-<br />
jektiv maskulin, auf den Mann als potenziellen Träger <strong>des</strong> Duftes, nicht<br />
aber auf den Duft selbst. Insofern kann man bereits anhand dieser weni-<br />
gen Beispiele feststellen, dass olfaktorische Entitäten mit nicht-<br />
olfaktorischen verknüpft werden. Hierin können weitere Belege gesehen<br />
werden für den Gebrauch synästhetischer Sprachkonstruktionen.<br />
<strong>Die</strong> als Attribute zu Herznote fungierenden Adjektive floral und würzig<br />
finden in der Parfumbranche häufig Verwendung und können als dis-<br />
kursüblich verstanden werden. Trotzdem werden sie vom AL markiert.<br />
Floral (von lat. flos/floris = Blüte, Blume) hat zwar sicherlich olfaktori-<br />
sches Potenzial, ist aber zu allgemein, um einen spezifischen Geruch zu<br />
beschreiben. Jasmin taucht zwar als Präzisierungen <strong>des</strong> Blumenhaften<br />
auf, scheinen aber dem AL das Lexem floral nicht hinreichend zu erläu-<br />
tern und damit akzeptabel zu machen.<br />
Für das Adjektiv würzig kann in jedem Fall ein synästhetischer Charakter<br />
reklamiert werden. Es wird eine Beziehung zwischen Gustatorik und Ol-<br />
faktorik hergestellt, da der primäre Referenzbereich von würzig der Ge-<br />
schmack ist, also die gustatorische Wahrnehmung. Es ist im Alltags-<br />
sprachgebrauch wahrscheinlicher, dass ein Chili con carne in einem me-<br />
xikanischen Restaurant als würzig bezeichnet wird und nicht ein Män-<br />
nerparfum.<br />
Eine globale Auffälligkeit vieler Parfumtexte <strong>des</strong> Gesamtkorpus ist die<br />
Verknüpfung der vermeintlichen Dufteigenschaften <strong>des</strong> jeweiligen Par-<br />
fums mit <strong>des</strong>sen Namen und mit dem jeweilig suggerierten Konzept von<br />
Männlichkeit, das durch den Duft angeblich unterstützt wird. <strong>Die</strong>s trifft<br />
auch auf den Boss-Text zu.<br />
<strong>Die</strong> suggestive Verknüpfung eines Parfumdufts mit nicht-olfaktorischen<br />
aber gleichwohl durchweg angenehmen Sinneswahrnehmungen ist in<br />
der Parfumwerbung ein übliches Mittel, um beim Rezipienten angeneh-<br />
180
me Assoziationen aufzurufen, die mit dem Duft verbunden werden sol-<br />
len. <strong>Die</strong> verbale Inszenierung <strong>des</strong> Assoziationskomplexes Parfumduft –<br />
Parfumname – Männlichkeitskonzept soll exemplarisch am Stichproben-<br />
text zu Boss-Elements Aqua demonstriert werden. Dort finden zahlreiche<br />
textliche Verknüpfungen geruchsbeschreibender Lexeme mit solchen<br />
statt, die nicht-olfaktorischen Ursprungs sind. Der Boss-Text führt dies im<br />
Bezug auf das Element Wasser auf ebenso raffinierte wie systematische<br />
Weise vor.<br />
In unserem Kulturkreis kann das Trinkwasser aus der Leitung im Haus-<br />
halt oder das Mineralwasser aus der Flasche als prototypisch gelten. Es<br />
hat keinen spezifischen Geruch. Denkbare Äußerungen über den Ge-<br />
ruch von Wasser wie dieses Wasser riecht aber gut sind in Bezug auf die<br />
Alltagswahrnehmung unüblich bis unsinnig. Wenn es überhaupt in einem<br />
Gespräch um Geruchseigenschaften von Wasser geht, so ist es wahr-<br />
scheinlicher, dass ein unangenehmer Geruch von Wasser, nämlich der<br />
eventuelle Gestank eines Sees, Flusses oder Abwasserkanals, themati-<br />
siert wird. Obwohl Wasser selbst geruchsneutral ist, werden im Text über<br />
das riechende Wasser von Boss Lexeme aus anderen Sinnesmodalitä-<br />
ten mit der vermeintlich beschriebenen Geruchsqualität von Elements<br />
Aqua sprachlich über Satzgrenzen hinaus verknüpft. <strong>Die</strong> angenehmen<br />
Erfahrungen, die der Körper im Normalfall mit Wasser machen kann,<br />
betreffen alle nicht-olfaktorischen Sinnesmodalitäten: Man kann Wasser<br />
sehen (= visuell), man kann sein Plätschern und Rauschen hören (= au-<br />
ditiv), es kann je nach Bedarf erfrischen und kühlen oder in der Bade-<br />
wanne wärmen (= taktil), man kann die Bewegung <strong>des</strong> Wassers und die<br />
<strong>des</strong> eigenen Körpers im Wasser spüren (= kinästhetisch) und man kann<br />
es schmecken (= gustatorisch).<br />
Man hat es hierbei mit einer subtileren Ausprägung sprachlicher Synäs-<br />
thesie zu tun, die sich oberhalb der Wort- und Satzebene abspielt und<br />
somit als textuelles synästhetisches Muster bezeichnet werden kann.<br />
Um anschaulich deutlich zu machen, wie der Boss-Text mit verbalen Mit-<br />
teln ein assoziatives Wasser-Duft-Netzwerk entfaltet, sind in der nach-<br />
181
stehenden Version <strong>des</strong> Boss-Textes diejenigen Lexeme durch Fettdruck<br />
hervorgehoben, die dem lexikalischen Feld Wasser zuzurechnen sind.<br />
Sie verteilen sich, wie man sieht, über den gesamten Text und inszenie-<br />
ren damit ein regelrechtes Wasseruniversum um den Duft.<br />
<strong>Die</strong> Frische und Lebendigkeit <strong>des</strong> Wasser für einen klaren Duft - Boss Ele-<br />
ments Aqua heißt der Herrenduft, der so erfrischend und belebend wie das<br />
pure, klare Element Wasser ist. Sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht<br />
dieser Duft vor maskuliner Vitalität und Energie - wie der Mann, der ihn trägt.<br />
Im Auftakt gibt sich der Duft spritzig und meeresfrisch durch Bergamott und<br />
einen elegant-ozonigen Akkord. <strong>Die</strong> Herznote ist würzig und floral bestimmt<br />
durch Piment und Jasmin, während der Fond mit der maskulinen Präsenz <strong>des</strong><br />
Zedern- und Sandelholzes strahlt.<br />
Der praktische Zerstäuber sorgt für eine gute Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes<br />
und zeigt sich ebenso aquatisch-frisch in der Form, auf der in Glas gefange-<br />
ne Wassertropfen perlen.<br />
Tabelle 25 zeigt die nach Wortarten geordneten Lexeme <strong>des</strong> Boss-<br />
Textes, die sich auf Wasser beziehen und damit dem lexikalischen Feld<br />
Wasser zuzuordnen sind. <strong>Die</strong> kursiv gedruckten Lexeme sind der Wort-<br />
familie Wasser zuzurechnen:<br />
182
Substantive (5) Verben (2) Adjektive (10)<br />
Boss Elements Aqua perlen aquatisch-frisch<br />
Frische sprüht belebend<br />
Wasser (2x) erfrischend<br />
Wassertropfen klar (2x)<br />
meeresfrisch<br />
pur<br />
spritzig<br />
stimulierend<br />
sprudelnd-frisch<br />
Tabelle 25: Boss-Elements Aqua – Lexeme mit Bezug zum Wasser<br />
Was die Beschreibung der offensichtlich nicht originär olfaktorischen<br />
Begriffe angeht, kann die Synästhesie-Hypothese weiter erhärtet wer-<br />
den. Als Beispiel sei das bereits bekannte Substantiv Akkord genannt,<br />
das primär dem auditiven Bereich entstammt und nur mittels eines intel-<br />
lektuellen Umwegs als Geruchsbezeichnung <strong>des</strong> Parfumjargons identifi-<br />
ziert werden kann. Ferner wird der Zerstäuber (= Flasche) mit dem Duft<br />
in Zusammenhang gebracht. <strong>Die</strong>ser ist aber primär der visuellen und tak-<br />
tilen Wahrnehmung zuzuordnen, da er zu sehen und anfassbar ist.<br />
Akkord, <strong>des</strong>sen synästhetischer Charakter oben bereits ausführlich dis-<br />
kutiert wurde, bezeichnet ja zumin<strong>des</strong>t im Parfumjargon eine olfaktori-<br />
sche Größe. Als Attribut erscheint das Ad-hoc-Adjektivkompositum ele-<br />
gant-ozonig <strong>des</strong>sen Determinatum ebenfalls nur mit Mühe als olfakto-<br />
risch verstanden werden kann. Das Sauerstoffisotop Ozon (O3), das in<br />
hoher Konzentration toxisch ist, weist nämlich in der Tat in sehr geringer<br />
Konzentration eine Geruchsqualität auf, die üblicherweise als frisch be-<br />
zeichnet wird (vgl. Vroon 1996: 83).<br />
In der morphologischen Verflechtung mit dem nicht-olfaktorischen De-<br />
terminans elegant zeigt sich einmal mehr ein synästhetischer Charakter.<br />
183
Falls elegant überhaupt als sensorisch qualifizieren<strong>des</strong> Adjektiv bezeich-<br />
net werden kann, dann wäre es am ehesten der visuellen, möglicherwei-<br />
se auch noch der auditiven, kinästhetischen und gustatorischen Modali-<br />
tät zuzuordnen, wie die Einträge im Fremdwörter-Duden (Duden 4 1982)<br />
deutlich machen:<br />
„ele|gant [lat.-fr.]:<br />
a) (von der äußeren Erscheinung) durch Vornehmheit, erlesenen Geschmack,<br />
bes. der Kleidung od. ihrer Machart, auffallend;<br />
b) in gewandt u. harmonisch wirkender Weise ausgeführt, z.B. eine -e Lösung;<br />
c) so, daß es hohe Ansprüche in vollendeter Weise erfüllt, z.B. ein -er Salat,<br />
Wein; sie sprach ein -es Französisch“ (Duden 4 1982: 209).<br />
Lesart-a bezieht sich auf das Aussehen, insbesondere die Kleidung, und<br />
damit auf die visuelle Modalität, während die abstraktere Lesart-b sich<br />
auf Bewegung im weitesten Sinne bezieht, nämlich entweder auf die E-<br />
leganz konkret körperlicher Bewegung oder auf die Eleganz kognitiver<br />
Strategien beim Lösen abstrakter Probleme, etwa der modellhaften<br />
Schematisierung eines komplizierten Sachverhalts.<br />
Für Lesart-c wird zwar ein Bezug hergestellt zur Gustatorik (Salat, Wein)<br />
und Audition (Französisch), allerdings ist das Moment der hohen An-<br />
sprüche, die etwas Elegantes erfüllt, im Prinzip von konkret-sinnlicher<br />
Erfahrung losgelöst. Lesart-c kann vielmehr als Variante aus dem qualifi-<br />
zierenden Paradigma positive Bewertung einer Entität/eines Sachver-<br />
halts gelten und mit vereinfachend mit elegant = gut paraphrasiert wer-<br />
den. <strong>Die</strong>se Lesart ist derart vage im Bezug auf sensorische Eigenschaf-<br />
ten, dass sie sich für eine Verwendung in jedem beliebigen Werbetext<br />
eignet. Allerdings in einem Parfumwerbetext als Determinans einer so<br />
unüblichen und offensichtlich großteils unbekannten <strong>des</strong>ubstantivischen<br />
Ableitung wie ozonig zur Beschreibung eines Duftes wirkt elegant in der<br />
Tat unangemessen.<br />
Noch deutlicher tritt die syntagmatische Verquickung olfaktorischer und<br />
nicht-olfaktorischer Lexeme in der Kombination der markierten Elemente<br />
Zerstäuber und aquatisch-frisch hervor. Hier ist es sinnvoll, den Ko-Text<br />
184
etwas umfangreicher zu zitieren. <strong>Die</strong> relevante Passage im Boss-Text<br />
lautet:<br />
„Der (...) Zerstäuber zeigt sich ebenso [wie das Eau de Toilette] aquatisch-<br />
frisch in der Form (...)“ [Hervorhebungen von mir].<br />
Das markierte Ad-hoc-Adjektivkompositum aquatisch-frisch kann relativ<br />
leicht dekodiert und angemessen mit frisch wie Wasser paraphrasiert<br />
werden. <strong>Die</strong> Eigenschaftszuschreibung, frisch wie Wasser zu sein, kann<br />
man für den Duft <strong>des</strong> Eau de Toilettes nur dann als akzeptabel bewer-<br />
ten, wenn man das Adjektivs frisch als Quasi-Synonym von kühl(end)<br />
versteht und damit <strong>des</strong>sen synästhetischen Transfer von der taktilen<br />
Modalität zur Olfaktorik akzeptiert. Dass sich diese Eigenschaft aber<br />
auch auf den Zerstäuber, also den Flakon, eine Flasche aus Glas, be-<br />
ziehen soll, in dem sich die duftende Flüssigkeit befindet, klingt im all-<br />
tagssprachlichen Verständnis wenig glaubwürdig. Zudem wird als gram-<br />
matisches Prädikat explizit das Verb sich zeigen gewählt, das eindeutig<br />
auf den visuellen Sinn referiert. Man kann den synästhetischen Charak-<br />
ter dieser Textpassage prägnanter durch folgende Paraphrase transpa-<br />
rent machen:<br />
Der Zerstäuber sieht so aquatisch-frisch aus, wie das Eau de Toilet-<br />
te riecht.<br />
<strong>Die</strong>ser synästhetische Prozess, der sich das perzeptorische Potenzial<br />
<strong>des</strong> polysemen Adjektivs frisch zu Nutze macht, lässt sich durch Abbil-<br />
dung 8 veranschaulichen:<br />
Abbildung 8: Synästhetischer Transfer durch das Adjektiv frisch<br />
185
Durch diese analytische Explikation sollte hinreichend deutlich geworden<br />
sein, wie in dieser synästhetischen Sprachkonstruktion auf der Makro-<br />
ebene <strong>des</strong> Textes die olfaktorische mit anderen Wahrnehmungsmodali-<br />
täten verbunden wird.<br />
Zusammenfassend zum Boss-Text kann Folgen<strong>des</strong> festgehalten wer-<br />
den:<br />
<strong>Die</strong> nicht-olfaktorischen Lexeme werden derart in die duftbeschreiben-<br />
den Textteile integriert, dass der Eindruck entsteht, als würde mit ihnen<br />
ebenfalls der Duft beschrieben. Es ist zwar durchaus der Fall, dass sie<br />
allgemein sensorisch beschrieben werden, nur eben nicht mit olfakto-<br />
risch relevanten Attributen. <strong>Die</strong> Beschreibung wird erreicht mit verbalen<br />
Anleihen aus geruchsfremden Sinnesmodalitäten, also synästhetisch.<br />
Und es ist plausibel anzunehmen, dass die Motivation für die zahlreichen<br />
AL-Markierungen diese synästhetischen Übertragungen sind, die als un-<br />
gewöhnlich und damit lesehemmend wahrgenommen werden. Des Wei-<br />
teren eröffnet das Einschmuggeln nicht-olfaktorischer Lexeme eine as-<br />
soziative Beziehung zu anderen sinnlichen Erlebnissen, die mit dem<br />
Gebrauch <strong>des</strong> Eau de Toilettes verbunden sind oder vom Konsumenten<br />
in Verbindung gebracht werden sollen.<br />
186
Zu Bogner-Snow (AL-Markierungen)<br />
Im Bogner-Text gibt es wesentlich mehr von den Lesern markierte Attri-<br />
buierungen als bei den anderen Texten <strong>des</strong> Stichprobenkorpus.<br />
Adjektivattribute Substantive<br />
geheimnisvoll, männlich, sinnlich Finish<br />
geeiste Mandarine<br />
transparent-frostige Frische Kopfnote<br />
pur, leicht, natürlich-warm Eau de Toilette<br />
eisig-modern Aussage (<strong>des</strong> Duftes)<br />
pur, maskulin Duft (+ Flakon)<br />
kühl-blau Glas<br />
dynamisch Flakon<br />
silbrig-frostig Umverpackung<br />
maskulin-dynamisch Eau de Toilette<br />
Anklänge an tief verschneite Gräser Eau de Toilette<br />
Cooling Effekt Eau de Toilette<br />
Tabelle 26: Bogner-Snow – Vom AL markierte Attribuierungen<br />
Das olfaktorisch relevante Eau de Toilette wird explizit beschrieben von<br />
den Adjektiven pur, leicht, natürlich-warm, maskulin-dynamisch.<br />
Der Duft als weitere olfaktorische Kategorie wird charakterisiert mit pur<br />
und maskulin.<br />
Das Ad-hoc-Adjektivkompositum eisig-modern wird mit der Aussage <strong>des</strong><br />
Duftes in Verbindung gebracht. Und transparent-frostig bezieht sich auf<br />
die Frische der Kopfnote.<br />
Keines der attributiven Adjektive ist originär im Referenzbereich der Ol-<br />
faktorik verankert. Vielmehr können die Adjektive, sofern sie sinnlich<br />
wahrnehmbare Qualitäten beschreiben, folgenden Modalitäten zugeord-<br />
net werden, wie in Tabelle 27 zu sehen ist:<br />
187
Adjektiv Sinnesmodalität<br />
pur (nichtsensorisch)<br />
leicht taktil oder kinästhetisch<br />
natürlich-warm (nichtsensorisch +taktil)<br />
maskulin-dynamisch multimodal+ kinästhetisch<br />
maskulin multimodal<br />
eisig-modern taktil + nichtsensorisch<br />
transparent-frostig visuell + taktil<br />
Tabelle 27: Bogner-Snow – Adjektive und zugeordnete Sinnesmodalitäten<br />
Der Blick auf die tabellarisch strukturierte Darstellung macht sehr schnell<br />
deutlich, wie hoch die Dichte synästhetischer Konstruktionen auch in<br />
diesem Text ist. Zwei Arten sprachlicher Synästhesie sind dabei zu beo-<br />
bachten. Auf syntaktischer Ebene ist es die synästhetische Verwendung<br />
eines nicht-olfaktorischen Adjektivs als Attribut zu einem olfaktorisch re-<br />
levanten Lexem (z.B. leicht Eau de Toilette). Auf lexikalischer Ebene<br />
(Wortbildung) die Verwendung von Adjektiven aus nicht-kongruenten<br />
Sinnesbereichen bei Adjektivkomposita (z.B. transparent-frostig).<br />
Außerdem wird eine synästhetische Verbindung hergestellt zwischen<br />
dem Eau de Toilette und einem Cooling-Effekt (taktil) sowie Anklängen<br />
(auditiv) an tief verschneite Gräser. Auch hier begegnen uns also synäs-<br />
thetische Sprachkonstruktionen, die eingesetzt werden, um dem Leser<br />
einen Eindruck von der Duftqualität <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> zu vermittelt.<br />
Ähnlich wie im Boss-Text findet auch bei Bogner-Snow eine offensive<br />
verbale Verknüpfung zwischen vermeintlichen Geruchseigenschaften<br />
und dem Namen <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> statt. Wurde im Boss-Text das Konzept<br />
Wasser als Quelle angenehmer Sinneswahrnehmungen thematisiert, so<br />
ist es im Bogner-Text das bereits durch den Namen Snow aktualisierte<br />
perzeptorische Konzept Kälte/Kühlheit. <strong>Die</strong>se quasi-synästhetische As-<br />
soziation wird ebenfalls erreicht durch zahlreiche über den Text verteilte<br />
188
Lexeme, die dem Paradigma Kälte/Kühlheit zuzuordnen sind. <strong>Die</strong> fol-<br />
genden Hervorhebungen im Bogner-Text veranschaulichen dies:<br />
Maskulin-dynamisch, kühl und klar - Pur und leicht wie Neuschnee und den-<br />
noch natürlich-warm mit Anklängen an tief verschneite Gräser und Hölzer:<br />
Bogner Snow. Das Eau de Toilette mit einzigartigem Cooling Effekt.<br />
Seine Kopfnote strahlt durch alpinen Wacholder, Galbanum-Harz und geeiste<br />
Mandarine transparent-frostige Frische aus, die Herznote besticht durch die<br />
Kombination von Vetiver-Gräsern, Zedernholz und schwarzem Pfeffer. Aroma-<br />
tische Moose, Amber und exotische Feigenblätter verleihen Bogner Snow ein<br />
geheimnisvolles, männlich-sinnliches Finish.<br />
Pur und maskulin wie der Duft ist auch der dynamische Flakon aus klarem,<br />
kühl-blauem Glas, <strong>des</strong>sen Form an eine Schneewehe erinnert und <strong>des</strong>sen<br />
silbrig-frostige Umverpackung die eisig-moderne Aussage <strong>des</strong> Duftes per-<br />
fekt unterstreicht.<br />
Während es also im Boss-Text dem Parfumnamen gemäß Wasser-<br />
Erfahrungen sind, die zu einer Etablierung eines sinnlichen Assoziati-<br />
onsmikrokosmos herangezogen werden, erreicht der Bogner-Text dies<br />
durch zahlreiche verbale Konkretisierungen <strong>des</strong> abstrakten Konzeptes<br />
Kälte/Kühlheit, das dem Parfum als Charakter zugesprochen wird. Es ist<br />
dann nur ein kleiner Schritt, dieses Konzept vom angeblich olfaktori-<br />
schen Charakter <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> mit dem Charakter <strong>des</strong> potenziellen Trä-<br />
gers, <strong>des</strong> Mannes, in Verbindung zu bringen. Eine suggestive Assoziati-<br />
on zum Konzept Männlichkeit wird ja bereits in der Eingangssequenz<br />
<strong>des</strong> Textes mit dem Adjektivkompositum maskulin-dynamisch geboten.<br />
<strong>Die</strong>se synästhetische Verknüpfung der Kühle <strong>des</strong> Duftes mit dem kühlen<br />
Charakter eines Mannes wird zudem unterstützt durch einem dem Duft<br />
zugesprochenen Cooling-Effekt. Alltagssprachlich paraphrasiert kann<br />
man diese aufwendige Kodierung so entschlüsseln: Der Mann Bogner-<br />
Snow benutzt, duftet nicht nur cool, er ist dadurch auch ein cooler Typ.<br />
189
Zu Joop-Homme (AL-Markierungen)<br />
Relativ abstrakte, aber gleichwohl olfaktorisch relevante Entitäten wer-<br />
den im Joop-Text durch die Substantive Duft und Fond repräsentiert und<br />
vom AL markiert. Des Weiteren tauchen etliche konkrete Bezeichnungen<br />
von Natursubstanzen auf, die ebenfalls Geruchsqualitäten aufweisen<br />
und von den Lesern markiert wurden.<br />
Adjektivattribute Substantive<br />
aufregend Duft<br />
geradlinig, leidenschaftlich Mann<br />
blumige, holzige, exotische Nuancen<br />
herb-warm Akzente<br />
kühle Frische Bergamotte<br />
Feuer Herz-Kopf-Note aus Zimt, Orangenblüten,<br />
Jasmin<br />
schmal geschnitten, klar gestaltet Flakon<br />
dezenter Hauch Ambra, Tabak, Moschus, Honig<br />
ungewöhnliche Farbgestaltung Flakon<br />
exotischer Fond<br />
Geradlinigkeit, Leidenschaftlichkeit,<br />
aufregende Wirkung<br />
Duft<br />
Tabelle 28: Joop-Homme – Vom AL markierte Attribuierungen<br />
Es gibt in diesem Text wiederum ein komplexes verbales Manöver, das<br />
auf geschickte Weise ein Assoziationsnetz von Eigenschaftszuschrei-<br />
bungen zwischen olfaktorischen und nicht-olfaktorischen Entitäten kon-<br />
struiert und ebenfalls den Namen <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>, in diesem Fall Homme =<br />
Mann mit dem Parfumduft vernetzt. <strong>Die</strong>ses Network ist allerdings nicht<br />
intuitiv einsichtig, sondern bedarf einer detaillierten analytischen Betrach-<br />
190
tung. <strong>Die</strong> relevanten Lexeme sind in der folgenden Version <strong>des</strong> Joop-<br />
Textes hervorgehoben; Variationen im Textumbruch von mir):<br />
(Satz 1) Ein aufregender Duft für den geradlinigen und leidenschaftlichen<br />
Mann.<br />
(Satz 2) Ein Duft von blumigen, holzigen und exotischen Nuancen in Harmonie<br />
mit herb-warmen Akzenten.<br />
(Satz 3) <strong>Die</strong> kühle Frische von Bergamotte vereinigt sich mit dem Feuer der<br />
Herz-Kopf-Note aus Zimt, Orangenblüten und Jasmin.<br />
(Satz 4) Der exotische Fond von Sandelholz, Vetyver und Patchouli und ein<br />
dezenter Hauch von Ambra, Tabak, Moschus und Honig verschmelzen har-<br />
monisch ineinander.<br />
(Satz 5) Der schmal geschnittene und klar gestaltete Flakon unterstreicht die<br />
Geradlinigkeit; seine warme und ungewöhnliche Farbgestaltung die Lei-<br />
denschaftlichkeit und aufregende Wirkung <strong>des</strong> Duftes.<br />
In Satz 1 <strong>des</strong> Joop-Textes tauchen die Adjektive aufregend, leiden-<br />
schaftlich, geradlinig als Attribute zu Substantiven auf, womit den Sub-<br />
stantiven die entsprechenden Eigenschaften zugeschrieben werden:<br />
aufregend Duft<br />
geradlinig, leidenschaftlich Mann<br />
Im semantischen Zentrum stehen in Satz 1 nicht spezifische olfaktori-<br />
sche Eigenschaften <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> selbst, sondern der Duft wird ganz all-<br />
gemein als aufregend beschrieben. Durch die kausale (respektive finale)<br />
Präposition für wird von Seiten <strong>des</strong> Duftes eine Beziehung zu dem Mann<br />
als potenziellem Benutzer aufgebaut; dieser wird als geradlinig und lei-<br />
denschaftlich charakterisiert (vgl. zu Präpositionalattributen Schierholz<br />
2001).<br />
In Satz 5 tauchen die Lexeme semantisch und teilweise morphologisch<br />
variiert auf. Dort werden folgende Attribuierungsrelationen etabliert:<br />
191
Flakon Geradlinigkeit<br />
Farbe Leidenschaftlichkeit/aufregende Wirkung <strong>des</strong> Duftes<br />
Abbildung 9 zeigt die interlexematischen Beziehungen zwischen Satz 1<br />
und Satz 5. <strong>Die</strong> Linien verbinden die sich wiederholende Lexeme und<br />
veranschaulichen, dass durch diese Wiederholungsmanöver sowohl der<br />
Duft als auch der Mann (beide Satz 1) mit der Farbe der Flüssigkeit und<br />
dem Flakon (beide Satz 5) verbunden werden. (<strong>Die</strong> Farbe von Joop-<br />
Homme ist Purpurrot. Interessanterweise ist der Flakon selbst nur ganz<br />
leicht rötlich getönt.)<br />
Abbildung 9: Joop-Homme – Erzeugung semantischer Assoziationen durch<br />
lexikalische Rekurrenz<br />
Innerhalb dieser kurzen Textsequenz wird durch variierende Attribuie-<br />
rungsmechanismen auf sehr ökonomische Weise ein Assoziationsnetz<br />
erzeugt, das die zentralen semiotischen Entitäten dieses Parfumtextes<br />
miteinander verwebt. Und über das texttopografische Prinzip der (partiel-<br />
len) Rekurrenz wird eine auf semantischer Ebene kohärente Darstellung<br />
manifestiert oder zumin<strong>des</strong>t suggeriert.<br />
Bricht man die Linearität <strong>des</strong> Textes auf zugunsten einer Strukturdarstel-<br />
lung der beteiligten semiotisch relevanten Elemente Duft, Mann, Flakon,<br />
192
Parfum (= Farbe), wie es die obige Darstellung tut, kann man folgende<br />
Relationen paraphrasierend beschreiben:<br />
Der aufregende Duft und der leidenschaftliche Mann aus Satz 1 werden<br />
über die Wiederholung <strong>des</strong> Adjektivs aufregend und die Variante Leiden-<br />
schaftlichkeit mit der Farbe <strong>des</strong> (gefüllten) Flakons verbunden. In Satz 5<br />
ist es nämlich die „Farbgestaltung [die die] Leidenschaftlichkeit und auf-<br />
regende Wirkung <strong>des</strong> Duftes“ unterstützt. Abstrakt notiert ergibt sich fol-<br />
gende relationale Darstellung:<br />
Farbe Leidenschaftlichkeit (<strong>des</strong> Duftes) leidenschaftlicher Mann.<br />
Das Adjektiv geradlinig aus Satz 1 erscheint in Satz 5 variiert als Sub-<br />
stantiv Geradlinigkeit als Beschreibung der äußeren Form <strong>des</strong> Flakons.<br />
„Der schmal geschnittene und klar gestaltete Flakon unterstreicht die<br />
Geradlinigkeit (...) <strong>des</strong> Duftes“. Damit wird das Netzwerk zurückgeführt<br />
auf den Träger <strong>des</strong> Duftes, der ja in Satz 1 ebenfalls als geradlinig cha-<br />
rakterisiert wird. Wiederum abstrakt notiert:<br />
Mann geradlinig/Geradlinigkeit Flakon.<br />
In Abbildung 10 sind die zentralen semiotischen Entitäten modellhaft<br />
dargestellt, die in der Inszenierung der olfaktorischen Semiose mitwir-<br />
ken. <strong>Die</strong>ses abstrakte Modell kann als Universalschema für die semioti-<br />
schen Prozesse gelten, die sich in Parfumwerbungen abspielen.<br />
Abbildung 10: Modellierung der olfaktorischen Semiose<br />
193
Durch diese exemplarische mikroskopische Analyse <strong>des</strong> Joop-Textes<br />
und die abstrahierte Schematisierung sollte noch klarer geworden sein,<br />
dass sich synästhetische Sprachphänomene auch oberhalb der lexikali-<br />
schen Analyseebene, nämlich als diskontinuierliche Textkonstituenten<br />
jenseits der Linearität <strong>des</strong> Textes, beobachten lassen und diese die se-<br />
mantische Struktur <strong>des</strong> Textes wesentlich organisieren. Allerdings bedarf<br />
es einiger analytischer Anstrengungen, diese komplexen Relationen<br />
herauszuarbeiten und sichtbar zu machen. Ähnlich wie in den anderen<br />
beiden Stichprobentexten kann auch hier eine synästhetische Inszenie-<br />
rung auf textlinguistischer Ebene nachgewiesen werden. Der Name <strong>des</strong><br />
<strong>Parfums</strong> suggeriert ein zu Grunde liegen<strong>des</strong> Konzept von Männlichkeit<br />
und wird verflochten mit den vermeintlichen Geruchseigenschaften <strong>des</strong><br />
<strong>Parfums</strong>.<br />
Methodische Zwischenbemerkung zu den Archileser-Kommentaren<br />
Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, wenn man sämtliche<br />
Kommentare der Leser heranziehen würde um die Analyse zu verfei-<br />
nern; dazu sind sie viel zu umfangreich. Es werden daher aus pragmati-<br />
schen Gründen nur Kommentare zu denjenigen markierten Textteilen<br />
detailliert beleuchtet, die sich möglichst konkret auf die Beschreibungs-<br />
versuche der jeweiligen Geruchsqualität beziehen. Hierfür ist es wichtig,<br />
auf eine globale textorganisatorische Eigentümlichkeit der Produktbe-<br />
schreibungen aufmerksam zu machen. In allen drei Texten <strong>des</strong> Stich-<br />
probenkorpus und in 39 der 48 Texte <strong>des</strong> Gesamtkorpus kann man be-<br />
züglich der Entfaltung <strong>des</strong> Textthemas drei Inhaltsabschnitte unterschei-<br />
den. <strong>Die</strong>se Dreiteilung lässt sich zusammenfassend folgendermaßen<br />
charakterisieren:<br />
Im Einleitungsteil werden stets Aussagen über den allgemeinen, abstrak-<br />
ten, globalen Charakter <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> gemacht, wobei häufig die Bezie-<br />
hungen <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> zu <strong>des</strong>sen Namen sowie zum Mann als dem po-<br />
tenziellen Träger <strong>des</strong> Duftes hergestellt werden. Das Image <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong><br />
194
und das durch die Werbung angepeilte Männlichkeitsstereotyp werden<br />
skizziert.<br />
Im Mittelteil wird typischerweise versucht, die Geruchseigenschaften <strong>des</strong><br />
<strong>Parfums</strong> konkret zu beschreiben. <strong>Die</strong>s geschieht häufig unter Verwen-<br />
dung von Bezeichnungen exotischer Pflanzen und Kräuter, die als<br />
Grundsubstanzen bei der Herstellung <strong>des</strong> jeweiligen <strong>Parfums</strong> verwendet<br />
wurden. Ebenfalls findet man in diesem Mittelteil gehäuft parfumistische<br />
Fachvokabeln sowie den Großteil der markierten und kommentierten<br />
Attribuierungen.<br />
Der Schlussteil wird dann wieder allgemeiner und thematisiert üblicher-<br />
weise nicht-olfaktorische Entitäten rund um das Parfum wie etwa das<br />
Design <strong>des</strong> Flakons oder Besonderheiten der Verpackung. Außerdem<br />
wird hier stets ein Bogen geschlagen zum eingangs erwähnten Image<br />
<strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> sowie <strong>des</strong>sen angeblicher Wirkung auf andere Menschen.<br />
Um möglichst dezidierte Kommentare hinsichtlich der faktischen oder<br />
vermeintlichen Geruchsattribuierungen in den markierten Texteilen für<br />
die weitere Analyse nutzbar zu machen, wird folgendermaßen verfahren.<br />
Es werden nur die mutmaßlich geruchsbeschreibenden Mittelteile der<br />
Texte berücksichtigt. Darin wird exemplarisch nur die am häufigsten<br />
kommentierte Textstelle ausführlich diskutiert. Obgleich durch diesen<br />
quantitativen Reduktionsschritt leider viele wertvolle Leserkommentare<br />
zu den Duftbeschreibungen ungenutzt bleiben, hat dieses Verfahren den<br />
Vorteil eine möglichst breite Argumentationsbasis zu schaffen und trotz<br />
der Reduktion auf nur ein Beispiel einen allgemeinen Tenor der Leser-<br />
Bewertungen abzuleiten. Durch dieses Manöver können zwar keine er-<br />
schöpfenden Aussagen getroffenen, aber es lässt sich ein Trend in den<br />
Kommentaren sichtbar machen.<br />
Zu Boss-Elements Aqua (AL-Kommentare)<br />
<strong>Die</strong> im Boss-Text am häufigsten markierte und kommentierte Textpassa-<br />
ge aus dem Mittelteil, die als Geruchsattribuierung zu bezeichnen ist, ist<br />
195
die NGr elegant-ozonigen Akkord. <strong>Die</strong> gesamte Passage oder Teile dar-<br />
aus wurden von 29 der 33 Probanden markiert; AL-18 hat auf einen<br />
Kommentar verzichtet. Sie erscheint in folgendem Satzzusammenhang:<br />
„Im Auftakt gibt sich der Duft spritzig und meeresfrisch durch Bergamott<br />
und einen elegant-ozonigen Akkord“ [Hervorhebungen von mir].<br />
Kommentare zu elegant-ozoniger Akkord<br />
1 Negative Semantik (Ozon) AL-1<br />
2 Was bitte soll das sein? AL-3<br />
3 Für Werbung zu geschwollen AL-5<br />
4 Was ist ozonig? Was ist mit Akkord gemeint? AL-6<br />
5 Unklare Beschreibung; komische Mischung AL-7<br />
6 Darunter kann man sich nichts vorstellen AL-8<br />
7 Meer+frisch = kalt. Aber gleichzeitig ‚ozonig’ (sonnig)? AL-9<br />
8 Schwer vorstellbar AL-10<br />
9 Ozon ist schlecht AL-12<br />
10 Oh Gott! Ozonalarm. Das Wort ‚ozonig’ weglassen AL-13<br />
11 Nicht schnell genug greifbar AL-14<br />
12 Führen zu seltsamen Assoziationen AL-15<br />
13 Seltsames Wort (markiert: ozonigen) AL-16<br />
14 Elegant-ozonig?? AL-17<br />
15 [nur markiert, nicht kommentiert] AL-18<br />
16 Ozon Assoziation: schlecht, ungesund AL-19<br />
17 Kann ich mir als Geruch nicht vorstellen AL-20<br />
18 Was heißt das? [markiert: ozonigen] AL-21<br />
19 Was ist damit gemeint? AL-22<br />
20 Ungewöhnliche Wortzusammensetzung AL-24<br />
21 Akkord hat etwas mit Zeit zu tun AL-25<br />
196
22 Durch „durch Bergamott“-Einführung etwas aus dem Zusammen-<br />
hang gerissen<br />
197<br />
AL-26<br />
23 Was verbinde ich mit einem elegant-ozonigen Akkord? AL-27<br />
24 Ozonig? Ozeanig! Wenn schon... AL-28<br />
25 Interessante Komposition AL-29<br />
26 Ozonig ist für mich total negativ besetzt (Ozonloch) AL-30<br />
27 Was bitte ist ozonig? AL-31<br />
28 Störende Wortkombination AL-32<br />
29 Seltsame Wortkombination AL-33<br />
Tabelle 29: Boss-Elements Aqua: Kommentare elegant-ozoniger Akkord<br />
Auffällig in dieser komprimierten Übersicht ist, dass nur einer von den 29<br />
AL, die diese Textstelle kommentiert haben, sich positiv über die Wen-<br />
dung elegant-ozoniger Akkord äußert (siehe AL-29: „Interessante Kom-<br />
position“). <strong>Die</strong> anderen 28 Urteile fallen eindeutig pejorativ aus. Dabei<br />
zeichnen sich drei unterschiedliche Gruppen der Negativbewertung ab.<br />
<strong>Die</strong> gesamte Kombination wird als unverständlich oder unpassend abge-<br />
lehnt (siehe exemplarisch AL-3: „Was bitte soll das sein“ und AL-32:<br />
„Störende Wortkombination“).<br />
Das aus dem Substantiv Ozon abgleitete Determinativum <strong>des</strong> Adjektiv-<br />
kompositums ozonig wird abgelehnt (AL-31: „Was bitte ist ozonig?“).<br />
Ozonig ruft negativ besetzte Assoziationen zum Ozonloch in der Atmo-<br />
sphäre auf (AL-30: „Ozonig ist für mich total negativ besetzt / Ozonloch“).<br />
Zu Bogner-Snow (AL-Kommentare)<br />
Im Bogner-Text wurde innerhalb <strong>des</strong> Mittelteils die Passage geheimnis-<br />
volles männlich-sinnliches Finish am häufigsten, nämlich 17-mal, mar-<br />
kiert und (bis auf eine Ausnahme) auch kommentiert. Bei der <strong>des</strong>kripti-<br />
ven Analyse wurde bereits herausgearbeitet, dass es sich bei dieser an-<br />
geblichen Duftbeschreibung um eine nicht-olfaktorische Wendung han-<br />
delt. Der Ko-Text, in dem diese Phrase auftaucht, lautet:
„Aromatische Moose, Amber und exotische Feigenblätter verleihen Bogner<br />
Snow ein geheimnisvolles, männlich-sinnliches Finish“ [Hervorhebungen von<br />
mir].<br />
Das so genannte geheimnisvolle männlich-sinnliche Finish, das dem<br />
Duft zugesprochen wird, resultiert dem beschreibenden Text nach aus<br />
der Verwendung der genannten Duftsubstanzen („aromatische Moose,<br />
Amber und exotische Feigenblätter“).<br />
<strong>Die</strong> Kommentare zu dieser Textpassage sind in Tabelle 30 dargestellt.<br />
Kommentare zu männlich-sinnliches Finish<br />
1 Klingt nach Haarspray [markiert: Finish] AL-1<br />
2 [Kein Kommentar] AL-3<br />
3 Finish unpassend AL-6<br />
4 ?Was? soll wohl auf die Internationalität verweisen, ein Mix aus<br />
Deutsch/Englisch<br />
198<br />
AL-7<br />
5 Eher eine Beschreibung <strong>des</strong> Weiblichen AL-9<br />
6 Was ist ein Finish bei einem Parfum? AL-12<br />
7 Pseudo-Anglizismus. Klingt nach Möchtegern AL-13<br />
8 Wieder –nnlich + -nnlich ein Wort weglassen oder modifizieren AL-13<br />
9 Unpassend [markiert: Finish] AL-20<br />
10 Evtl. Weglassen AL-23<br />
11 Männlich und sinnlich oft gegensätzlich gebraucht AL-24<br />
12 Finish ist Ende; Ziel AL-25<br />
13 Was ist das? [markiert: Finish] AL-26<br />
14 Interessante Komposition AL-29<br />
15 Seltsame Verbindung; Anglizismus nicht überzeugend AL-31<br />
16 Störende Wortkombinationen [markiert: männlich-sinnliches] AL-32<br />
17 Englisch AL-33<br />
Tabelle 30: Bogner-Snow: Kommentare zu männlich-sinnliches Finish
Wie bei dem Boss-Text ist nur ein expliziter Positiv-Kommentar dabei,<br />
wiederum von AL-29 („Interessante Komposition“).<br />
<strong>Die</strong> anderen Kommentare lassen sich in folgende Kategorien zusam-<br />
menfassen:<br />
Das englische Wort Finish wird entweder nicht verstanden oder der Ang-<br />
lizismus wird als unangemessen und gekünstelt bewertet (AL-26: „Was<br />
ist das?“ und AL-6: „Finish unpassend“).<br />
Das Adjektivkompositum männlich-sinnlich wird nicht akzeptiert (z.B. AL-<br />
32: „Störende Wortkombination“).<br />
Das englische Finish kann in der Tat übersetzt werden mit „Ende; Ziel“<br />
(AL-25), aber auch mit Vollendung. Es fällt den AL schwer, die Bedeu-<br />
tung von Finish in einem Parfumtext zu entschlüsseln. <strong>Die</strong>s liegt aber si-<br />
cherlich nicht daran, dass es ein englisches Wort ist. Wenn man sich je-<br />
doch eingehend mit Parfumtexten beschäftigt, kann man schnell ablei-<br />
ten, dass es sich bei Finish um ein parfumistischen Fachbegriff handelt.<br />
Es ist ein weiteres Synonym für Basisnote (siehe die Ausführungen zu<br />
den Fachvokabeln in Abschnitt 3.5.1.). Im Zusammenhang der Attribuie-<br />
rungsproblematik ist diese Vokabel insofern hochinteressant, als das<br />
formal kongruierenden Adjektivkompositum männlich-sinnlich eine den<br />
AL unbekannte Größe charakterisiert und die Attribuierung damit faktisch<br />
keine Information liefert.<br />
Das ungute Gefühle vieler AL bezüglich <strong>des</strong> Adjektivs männlich-sinnlich<br />
kann möglicherweise durch eine semantische Inkongruenz erklärt wer-<br />
den, die Anstoß erregt und von AL-24 auf den Punkt gebracht wird:<br />
„Männlich und sinnlich oft gegensätzlich gebraucht“. Ein ähnliches Gen-<br />
der-Problem kommentiert AL-9: „Eher eine Beschreibung <strong>des</strong> Weibli-<br />
chen“. Eine genderspezifische Lesart von sinnlich, die sich eher auf<br />
Frauen bezieht, kann allerdings ein konventionelles Wörterbuch nicht<br />
bestätigen (vgl. Wahrig 1994: 3432). <strong>Die</strong>s scheint eher eine intuitive Auf-<br />
fassung einiger AL zu sein, die aber gleichwohl ernst zu nehmen ist.<br />
199
Zu Joop-Homme (AL-Kommentare)<br />
<strong>Die</strong> Identifizierung der im Joop-Text am häufigsten markierten und (leider<br />
selten) kommentierten Attribuierungen stellt sich als schwieriger heraus<br />
als bei den anderen Probetexten. Sie wird dadurch erschwert, dass man<br />
nach Maßgabe der Leser genau genommen einen Komplex von drei<br />
verschiedenen Eigenschaftszuschreibungen zusammenhängend be-<br />
trachten müsste, die oft überlappend markiert und kommentiert wurden.<br />
<strong>Die</strong> in diesem Zusammenhang kritischen Textstellen sind:<br />
herb-warme Akzente,<br />
kühle Frische von Bergamotte,<br />
Feuer der Herz-Kopf-Note.<br />
Da allerdings die NGr herb-warme Akzente aus dem Einleitungsteil <strong>des</strong><br />
Joop-Textes stammen, muss sie hier ausgelassen werden, da laut der<br />
oben legitimierten Beschränkung nur Attribuierungen aus dem explizit<br />
duftbeschreibenden Mittelteil der Texte diskutiert werden sollen.<br />
<strong>Die</strong> Attribuierungspassagen, die demnach jetzt analysiert werden, stehen<br />
in folgendem Satzzusammenhang:<br />
„<strong>Die</strong> kühle Frische von Bergamotte vereinigt sich mit dem Feuer der Herz-<br />
Kopf-Note aus Zimt, Orangenblüten und Jasmin [Hervorhebungen von mir]“<br />
Kommentare zu kühle Frische von Bergamotte und Feuer der Herz-Kopf-Note<br />
1 Mir unbekannt [Herz-Kopf-Note] AL-3<br />
2 Begriff unpassend – Was ist Herz? Was ist Kopf? AL-6<br />
3 Kein Kommentar [markiert: Feuer der ] AL-6<br />
4 Kein Kommentar [markiert: Herz-Kopf-Note] AL-7<br />
5 Warm oder kalt? Feuer & Frische? AL-10<br />
6 Ich dachte, Herz- und Kopfnote wären was unterschiedliches AL-12<br />
7 Klingt schon fast medizinisch wie ‚Herz-Kreislauf’ oder Hals-Nasen-<br />
Ohren-Arzt’<br />
200<br />
AL-13<br />
8 Mischung aus Kopf- und Herznote??? AL-15
9 Kein Kommentar [markiert: Herz-Kopf-Note] AL-17<br />
10 Kein Kommentar [markiert: Herz-Kopf-Note] AL-18<br />
11 Zu viele Infos; verwirrend AL-21<br />
12 Gegensatz AL-24<br />
13 Keinerlei Vorstellung zu dem Begriff [markiert: Herz-Kopf-Note] AL-25<br />
14 Deswegen geradlinig + leidenschaftlich? AL-28<br />
15 Kein Kommentar [markiert: Herz-Kopf-Note.] AL-29<br />
16 Herz + Kopf + Musik + Element sehr viele Assoziationen [markiert:<br />
Feuer – Herz-Kopf-Note]<br />
201<br />
AL-31<br />
17 Was denn nun? [markiert: Herz-Kopf-Note] AL-32<br />
18 Widerspruch AL-33<br />
Tabelle 31: Joop-Homme: Kommentare zu kühle Frische von Bergamotte und<br />
Feuer der Herz-Kopf-Note<br />
Betrachtet man die in Tabelle 31 zusammengefassten Kommentierungen<br />
unter dem Aspekt der Eigenschaftszuschreibungen, sind für sie zwei<br />
mögliche Motivationen anzugeben.<br />
Vor allem stören sich die AL daran, dass dem Parfum zwei sich aus-<br />
schließende Eigenschaften zugesprochen werden, nämlich Kühle und<br />
Wärme (vgl. AL-10, AL-24, AL-33). Man kann diese Kontradiktion als po-<br />
lar-konträren Gegensatz bezeichnen, bei dem die Antonyme zwei Enden<br />
einer Skala markieren und nicht gleichzeitig zutreffen können (vgl.<br />
Kürschner 3 1997: 28). Überdies sind sowohl kühl als auch warm relativ<br />
schnell als synästhetisch verwendete Attribute zu erkennen. <strong>Die</strong> gradu-<br />
ierbaren Temperaturbezeichnungen beziehen sich ursprünglich auf die<br />
sensorische Kategorie der taktilen Wahrnehmung und werden lediglich in<br />
die Olfaktorik importiert. Es ist also weiterhin denkbar, dass auch die<br />
Synästhesie hier zu erhöhter Markierung und Kommentierung Anlass<br />
gegeben hat.
<strong>Die</strong> synästhetische und kontradiktorische Komplexität dieser semantisch<br />
sehr dichten Passage wird ausdrücklich von AL-31 thematisiert: „Herz +<br />
Kopf + Musik + Element sehr viele Assoziationen“.<br />
Der Kommentarteil Herz + Kopf betrifft die Widersprüchlichkeit, wobei sie<br />
als scheinbar sich ausschließende Zusammenführung von Gefühl (=<br />
Herz) und Verstand (= Kopf) gelesen werden können.<br />
Der Kommentar „Musik“ (AL-31) hingegen bezieht sich auf den auditiven<br />
Ursprung von Akkord, <strong>des</strong>sen synästhetischer Gebrauch in Parfumwer-<br />
bungen bereits intensiv diskutiert wurde.<br />
Das Substantiv Feuer wird mit Element kommentiert, was einen weiteren<br />
Ansatzpunkt für eine synästhetische Interpretation bietet. Feuer ist zwar<br />
hinsichtlich seines perzeptorischen Potenzials multimodal – man kann<br />
seine Flammen sehen, sein Knistern hören, seine Wärme mit der Haut<br />
spüren und seinen Rauch riechen –, aber die textliche Umgebung <strong>des</strong><br />
semantischen Spannungsfel<strong>des</strong> kühl vs. warm macht die taktile (tempe-<br />
raturbezogene) Lesart (Feuer = Wärmespender) am wahrscheinlichsten.<br />
Der synästhetische Charakter dieser Passage lässt sich auch über einen<br />
Bezug zu den bereits weiter oben diskutierten Eigenschaftszuschreibun-<br />
gen leidenschaftlich/Leidenschaftlichkeit und geradlinig/Geradlinigkeit<br />
herausarbeiten. <strong>Die</strong>se Attribute werden im Joop-Text sowohl dem Duft<br />
<strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> als auch dem Mann als Träger <strong>des</strong> Duftes zugesprochen.<br />
<strong>Die</strong> Kommentare zu diesen Passagen sind aufschlussreich für die Inter-<br />
pretation der Attribuierung kühl vs. warm. In den Kommentaren wird so-<br />
wohl der synästhetische Charakter als auch die Widersprüchlichkeit der<br />
Attribuierungen thematisiert. <strong>Die</strong> Attribuierungskomplexe leidenschaft-<br />
lich/Leidenschaftlichkeit und geradlinig/Geradlinigkeit stammen zwar<br />
nicht aus dem Mittelteil <strong>des</strong> Joop-Textes, sie machen dafür aber <strong>des</strong>sen<br />
komplexe synästhetische Grundstruktur deutlich. Es handelt sich um fol-<br />
gende Leserkommentare:<br />
Kommentare zum Attribuierungskomplex geradlinig – leidenschaftlich<br />
AL-1 Aufregend und geradlinig widerspricht sich<br />
202
AL-9 Adjektive passen nicht zusammen. Geradlinigkeit = eher kalter Duft. Kopf!<br />
Leidenschaft = warmer Duft. Herz!<br />
AL-19 Passt nicht zusammen.<br />
AL-20 Geradlinig und leidenschaftlich stehen sich nach meinem Verständnis als Op-<br />
positionen gegenüber<br />
AL-28 Entweder geradlinig oder leidenschaftlich! Wiederholung. <strong>Die</strong> Beschreibung<br />
stützt sich nur auf diese beiden Werte, die sich gegenseitig ausschließen<br />
AL-31 Kombi = gegensätzliche Assoziation<br />
Tabelle 32: Joop-Homme: Kommentare zum Attribuierungskomplex geradlinig<br />
– leidenschaftlich<br />
Vor allem der Kommentar von AL-9 bringt die interessante strukturelle<br />
Besonderheit auf den Punkt: „Adjektive passen nicht zusammen. Gerad-<br />
linigkeit = eher kalter Duft. Kopf! Leidenschaft = warmer Duft. Herz!“ <strong>Die</strong><br />
textliche Zusammenführung widersprüchlicher Eigenschaften, die dieser<br />
Text inszeniert, wird von AL-9 explizit benannt. Schematisch kann die<br />
aufgezeigte Korrespondenz sich widersprechender Attribuierungen so<br />
veranschaulicht werden:<br />
Wärme vs. Kälte<br />
<br />
Leidenschaftlichkeit vs. Geradlinigkeit<br />
3.7. Extrapolation der Attribuierungen<br />
Es hat sich bei der Analyse der markierten Attribuierungen im Stichpro-<br />
benkorpus gezeigt, dass viele dieser Attribuierungen als synästhetische<br />
Sprachkonstruktionen betrachtet werden müssen. <strong>Die</strong> Synästhesie-<br />
Hypothese hat sich also als brauchbares Erklärungsmodell erwiesen.<br />
Nun soll durch weitere analoge Belege aus dem Gesamtkorpus geprüft<br />
werden, ob synästhetische Attribuierungen als konstitutives Konstrukti-<br />
onsmerkmal der Parfumbeschreibungen gelten können. Im Zentrum der<br />
203
Extrapolation der Attribuierungen gegen das Gesamtkorpus stehen er-<br />
neut die explizit duftbeschreibenden Mittelteile der Parfumtexte.<br />
<strong>Die</strong> Form der zu suchenden Attribuierungen wird jedoch aus Gründen<br />
der Überschaubarkeit und Transparenz standardisiert. Formalgramma-<br />
tisch gesprochen wird nach NGr mit Adjektivadjunkt gesucht, weil dieses<br />
morphosyntaktische Stereotyp in der Stichprobe am häufigsten markiert<br />
wurde. NGr mit Adjektivadjunkt sind auf Grund ihrer grammatischen<br />
Form als sprachliche Realisierung einer Attribuierungsrelation unumstrit-<br />
ten und müssen daher nicht noch aufwändig als solche herausgearbeitet<br />
werden. Außerdem lässt sich dieses grammatische Stereotyp als relativ<br />
geschlossenes Syntagma gut aus dem Textzusammenhang isolieren,<br />
was bei komplexeren Attribuierungsrelationen, die unter Umständen so-<br />
gar die Satzgrenze überschreiten, nicht gewährleistet ist. <strong>Die</strong> zu suchen-<br />
den NGr werden hinsichtlich der wortbildungsmäßigen Komplexität ihrer<br />
Adjektivadjunkte (Simplex oder Kompositum) unterschieden, denn bei<br />
den adjektivischen Attributen fielen die häufigen Markierungen mutmaß-<br />
licher Ad-hoc-Komposita auf, denen daher besondere Aufmerksamkeit<br />
geschenkt werden muss. Deshalb sollen bei den NGr insbesondere die-<br />
jenigen Adjektivadjunkte herausgestellt werden, die bereits durch ihre<br />
Schreibung als so genannte ‚Bin<strong>des</strong>trich-Adjektive’ auffallen (z.B. mas-<br />
kulin-dynamisch) und damit wahrscheinlich als Ad-hoc-Bildungen zu ver-<br />
stehen sind.<br />
Es wird also bei den NGr mit Adjektivadjunkt unterschieden zwischen<br />
Typ-1: Adjektivattribut = Simplex (z.B. maskuliner Akkord, würzige<br />
Herznote) und<br />
Typ-2: Adjektivattribut = Kompositum (z.B. herb-warme Akzente,<br />
elegant-ozoniger Akkkord).<br />
Um sie als synästhetische Konstruktion auszuweisen ist das primäre<br />
Auswahlkriterium für die nachstehende Auflistung bei beiden Typen der<br />
NGr, dass sie zumin<strong>des</strong>t eine nicht-olfaktorische Konstituente enthalten.<br />
Sobald eine der beteiligten Konstituenten nicht originär dem Geruchsbe-<br />
reich zuzurechnen ist, kann man legitimerweise der gesamten NGr den<br />
Charakter einer sprachlichen Synästhesie attestieren.<br />
204
Als Musterbeispiel für die anschließende tabellarische Darstellung <strong>des</strong><br />
Typs-1 (Adjektiv = Simplex) kann die NGr maskuliner Akkord gelten. An-<br />
hand ihrer wird exemplarisch vorgeführt, wie die synästhetische Analyse<br />
funktioniert:<br />
<strong>Die</strong> Bezeichnung Akkord ist ursprünglich der auditiven Sinneswahrneh-<br />
mung zuzurechnen und wird demzufolge als auditiv klassifiziert. Aller-<br />
dings ist ja, wie diskutiert, Akkord innerhalb <strong>des</strong> Parfumjargons als olfak-<br />
torisch relevante Fachvokabel etabliert und wird aus diesem Grund zu-<br />
sätzlich als quasi-olfaktorisch klassifiziert. Analog wird mit allen olfaktori-<br />
sche relevanten Fachvokabeln verfahren.<br />
<strong>Die</strong>jenigen Konstituenten der NGr, die nicht eindeutig einer Sinnesmoda-<br />
lität zugeordnet werden können, werden als multi-modal klassifiziert.<br />
<strong>Die</strong>s trifft auf das in der <strong>Parfums</strong>prache klassische Adjektiv maskulin zu,<br />
das sich natürlich auf den Mann bezieht. Und ein Mann kann zumin<strong>des</strong>t<br />
potenziell mittels sämtlicher Sinnesmodalitäten wahrgenommen werden.<br />
Des Weiteren gelten auf abstrakterer Ebene diejenigen NGr als synäs-<br />
thetisch relevant, deren Konstituenten sich auf Größen beziehen, die ü-<br />
berhaupt nicht oder nur mit viel Mühe mit sinnlich wahrnehmbaren Quali-<br />
täten in Zusammenhang zu bringen sind. <strong>Die</strong>se NGr kommen als Be-<br />
schreibungen von Geruchseigenschaften eigentlich gar nicht in Frage<br />
und werden daher als nicht-perzeptorisch klassifiziert.<br />
<strong>Die</strong> folgenden Tabellen 34 und 36 komprimieren sehr viel Information.<br />
Daher soll zunächst am Musterbeispiel maskuliner Akkord (Tabelle 33)<br />
expliziert werden, wie jene Tabellen zu lesen sind.<br />
Adjektiv (Simplex) Perzeptorisches<br />
Potenzial<br />
205<br />
Substantiv Perzeptorisches<br />
Potenzial<br />
maskuliner multi-modal Akkord auditiv (quasi-olfaktorisch)<br />
Tabelle 33: Perzeptorisches Potenzial bei Nominalgruppen (Musterbeispiel<br />
maskuliner Akkord)
Spalte 1 zeigt das Adjektiv als Attribut der NGr. <strong>Die</strong> attributiv gebrauch-<br />
ten Adjektive, werden jeweils im Nominativ der starken Deklination an-<br />
gegeben und kongruieren mit dem entsprechenden Bezugssubstantiv.<br />
In Spalte 2 ist das so genannte perzeptorische Potenzial <strong>des</strong> Adjektivs<br />
angegeben, also sein referentieller Bezug zu einer bestimmten Sinnes-<br />
modalität oder zu mehreren. Im einfachstebn Fall taucht hier nur eine<br />
Modalitätsangabe auf (z.B. taktil für das Adjektiv warm). Ist ein Adjektiv<br />
auf zwei Sinnesmodalitäten beziehbar, sind beide genannt, was ange-<br />
zeigt wird durch einen Schrägstrich zwischen ihnen (z.B. gustatorisch /<br />
olfaktorisch im Fall <strong>des</strong> Adjektivs würzig). Sind drei oder mehr Modalitä-<br />
ten im Spiel, auf die sich das jeweilige Lexem beziehen kann, lautet die<br />
Klassifikation immer multi-modal. Handelt es sich um ein Adjektiv, das<br />
keine sensorische Qualität beschreibt, wird es mit nicht-perzeptorisch<br />
klassifiziert, wobei es für den Nachweis synästhetischer Konstruktionen,<br />
mit dem sich diese Untersuchung beschäftigt, gleichgültig ist, welcher<br />
semantischen Kategorie das entsprechenden Adjektiv sonst zuzuordnen<br />
ist. Als Beispiel für diese Kategorie kann das Adjektiv geheimnisvoll gel-<br />
ten in der NGr geheimnisvolle Wärme.<br />
Spalte 3 zeigt das Substantiv als Kern der NGr.<br />
In Spalte 4 ist dann – analog zu Spalte 2 – das perzeptorische Potenzial<br />
<strong>des</strong> Substantivs angegeben. Handelt es sich bei den Substantiven um<br />
Komposita, sind sowohl <strong>des</strong>sen Konstituenten als auch die einzelnen<br />
zugeordneten Sinnesmodalitäten durch ein Pluszeichen (Determinans +<br />
Determinatum) für die Konkatenation verbunden.<br />
<strong>Die</strong> dem Musterbeispiel maskuliner Akkord äquivalenten synästhetisch<br />
relevanten NGr aus dem Gesamtkorpus (Typ-1) sind in Tabelle 34 auf-<br />
geführt.<br />
206
Adjektiv<br />
(Simplex)<br />
Perzeptorisches<br />
Potenzial<br />
aromatische gustatorisch /<br />
olfaktorisch<br />
aromatische gustatorisch /<br />
olfaktorisch<br />
Substantiv Perzeptorisches<br />
207<br />
Potenzial<br />
Klänge auditiv<br />
Energie kinästhetisch<br />
florale multi-modal Noten auditiv<br />
fruchtige gustatorisch /<br />
olfaktorisch<br />
Noten auditiv<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
geeiste taktil Mandarine gustatorisch /<br />
geheimnisvolle nicht-perzeptorisch Wärme taktil<br />
olfaktorisch<br />
grüne visuell Noten (2x) auditiv<br />
grüne visuell Frische taktil<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
herbes gustatorisch Moos multi-modal<br />
holzige multi-modal<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
junge nicht-perzeptorisch Kopf +<br />
Ingredienzien nicht-perzeptorisch<br />
Note<br />
nicht-perzeptorisch<br />
+ auditiv<br />
(quasi-olfaktorisch)
kräftiges kinästhetisch Gerani-<br />
umblatt<br />
kraftvolle kinästhetisch Wärme taktil<br />
208<br />
multi-modal<br />
lebendige kinästhetisch Frische visuell + taktil<br />
maskuline multi-modal Note auditiv<br />
maskuliner multi-modal Akkord auditiv<br />
maskuliner multi-modal Einklang auditiv<br />
prickelnde taktil Zitrus +<br />
Noten<br />
pulsierender kinästhetisch Duft +<br />
Akkord<br />
spritzige taktil Noten auditiv<br />
strahlende visuell Frische taktil<br />
strahlender visuell Duft +<br />
süße gustatorisch /<br />
olfaktorisch<br />
Akkord<br />
Basis +<br />
Note<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
gustatorisch / olfaktorisch +<br />
auditiv (quasi-olfaktorisch)<br />
olfaktorisch + auditiv<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
olfaktorisch + auditiv<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
nicht-perzeptorisch<br />
+ auditiv<br />
transparente visuell Noten auditiv<br />
tropische nicht-perzeptorisch Edel +<br />
Hölzer<br />
verspielte nicht-perzeptorisch Frische taktil<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
nicht-perzeptorisch<br />
+ multi-modal
warme taktil Holz +<br />
Komplexe<br />
warme taktil Edelholz<br />
+ Noten<br />
209<br />
multi-modal +<br />
nicht-perzeptorisch<br />
multi-modal + auditiv<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
warme taktil Fülle nicht-perzeptorisch<br />
warme taktil Basis +<br />
Note (2x)<br />
nicht-perzeptorisch<br />
+ auditiv<br />
warme taktil Melodie auditiv<br />
warme taktil Holz +<br />
Nuancen<br />
warme taktil Edel +<br />
Hölzer<br />
wilde kinästhetisch Noten auditiv<br />
würzige gustatorisch /<br />
olfaktorisch<br />
Noten auditiv<br />
Tabelle 34: Perzeptorisches Potenzial bei Nominalgruppen<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
multi-modal +<br />
nicht-perzeptorisch<br />
nicht-perzeptorisch<br />
+ multi-modal<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
Zur Veranschaulichung <strong>des</strong> Typs-2 (Adjektiv = Kompositum) kann als<br />
Musterbeispiel die NGr herb-warme Akzente herangezogen werden.<br />
Adjektiv (Kompositum) Perzeptorisches<br />
Potenzial<br />
herb + warm gustatorisch + taktil Akzent<br />
Substantiv Perzeptorisches<br />
Potenzial<br />
auditiv<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
Tabelle 35: Perzeptorisches Potenzial bei NGr mit Adjektivkompositum als Att-<br />
ribut (Musterbeispiel herb-warm)
Im Wesentlichen gleichen sich Tabelle 32 und Tabelle 34. Der einzige<br />
Unterschied liegt in der Tatsache, dass sämtliche Attribute in der Form<br />
von Adjektivkomposita erscheinen und demzufolge die Konkatenations-<br />
notation in Spalte 1 und 2 angebracht ist.<br />
Tabelle 36 zeigt die dem Musterbeispiel herb-warme Akzente äquivalen-<br />
ten NGr (Typ-2) <strong>des</strong> Gesamtkorpus.<br />
Adjektiv<br />
(Kompositum)<br />
Perzeptorisches<br />
Potenzial<br />
210<br />
Substantiv Perzeptorisches<br />
Potenzial<br />
(warme + maskuline) taktil + multi-modal Herz + Note taktil / kinästhetisch +<br />
aromatisch + frische gustatorisch / olfakto-<br />
risch + taktil<br />
aromatisch + würzige gustatorisch / olfakto-<br />
balsamisch + animali-<br />
sche <br />
risch + gustatorisch /<br />
olfaktorisch<br />
blumig + würzige multi-modal + gusta-<br />
auditiv (quasi-<br />
olfaktorisch)<br />
Pflanzen multi-modal<br />
Herz +<br />
Note<br />
taktil / kinästhetisch +<br />
auditiv (quasi-<br />
olfaktorisch)<br />
taktil + multi-modal Elemente nicht-perzeptorisch<br />
torisch / olfaktorisch<br />
delikat + rindige gustatorisch + nicht-<br />
perzeptorisch<br />
elegant + ozoniger visuell / kinästhetisch<br />
+ olfaktorisch<br />
exotisch + würzig nicht-perzeptorisch +<br />
gustatorisch / olfakto-<br />
risch<br />
fruchtig + florales gustatorisch / olfakto-<br />
risch + multi-modal<br />
Geranie multi-modal<br />
Note auditiv<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
Akkord auditiv (quasi-<br />
olfaktorisch)<br />
Duft olfaktorisch<br />
Herz taktil / kinästhetisch<br />
(quasi-olfaktorisch)
fruchtig + frische gustatorisch / olfakto-<br />
risch + taktil<br />
fruchtig + grüne gustatorisch / olfakto-<br />
risch + visuell<br />
fruchtig + spritzige gustatorisch / olfakto-<br />
risch + taktil<br />
fruchtig + würziges gustatorisch / olfakto-<br />
risch + gustatorisch /<br />
olfaktorisch<br />
211<br />
Kopf +<br />
Note<br />
Kopf +<br />
Note<br />
Kopf +<br />
Note<br />
Duft +<br />
Erlebnis<br />
nicht-perzeptorisch<br />
+ auditiv (quasi-<br />
olfaktorisch)<br />
nicht-perzeptorisch<br />
+ auditiv (quasi-<br />
olfaktorisch)<br />
nicht-perzeptorisch +<br />
auditiv (quasi-<br />
olfaktorisch)<br />
olfaktorisch + multi-<br />
modal<br />
herb + warm gustatorisch + taktil Akzent auditiv (quasi-<br />
holzig + ledrige multi-modal + multi-<br />
modal<br />
holzig + orientalisch multi-modal + nicht-<br />
perzeptorisch<br />
holzig + würzige multi-modal + gusta-<br />
torisch / olfaktorisch<br />
männlich + herbe multi-modal + gusta-<br />
torisch<br />
männlich + herbe multi-modal + gusta-<br />
torisch<br />
männlich + sinnliches multi-modal + multi-<br />
modal<br />
Grund<br />
+ Note<br />
Basis +<br />
Note<br />
Brise taktil<br />
Herz +<br />
Note<br />
Frische taktil<br />
olfaktorisch)<br />
nicht-perzeptorisch +<br />
auditiv (quasi-<br />
olfaktorisch)<br />
nicht-perzeptorisch +<br />
auditiv (quasi-<br />
olfaktorisch)<br />
taktil / kinästhetisch +<br />
auditiv (quasi-<br />
olfaktorisch)<br />
Finish nicht-perzeptorisch<br />
(quasi-olfaktorisch)
männlich + würziger multi-modal + gusta-<br />
torisch / olfaktorisch<br />
maskulin + blumiger multi-modal + multi-<br />
modal<br />
mild + pudriger nicht-perzeptorisch +<br />
taktil<br />
natürlich + frische nicht-perzeptorisch +<br />
taktil<br />
sinnlich + markante multimodal + visuell /<br />
taktil<br />
212<br />
Fond gustatorisch (quasi-<br />
olfaktorisch)<br />
Akkord auditiv (quasi-<br />
olfaktorisch)<br />
Ausklang auditiv (quasi-<br />
Kopf +<br />
Note<br />
olfaktorisch)<br />
nicht-perzeptorisch +<br />
auditiv (quasi-<br />
olfaktorisch)<br />
Komposition auditiv<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
transparent + frostige visuell + taktil Frische visuell + taktil<br />
vibrierend + sinnliche taktil / kinästhetisch +<br />
multi-modal<br />
Harmonie auditiv<br />
würzig + kühle gustatorisch + taktil Akzente auditiv<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
(quasi-olfaktorisch)<br />
Tabelle 36: Perzeptorisches Potenzial bei Nominalgruppen mit Adjektivkompo-<br />
situm als Attribut<br />
<strong>Die</strong> in den Tabellen 34 und 36 aufgelisteten NGr erfassen sicherlich nicht<br />
alle Attribuierungsrelationen, die die Produktbeschreibungen <strong>des</strong> Ge-<br />
samtkorpus semantisch prägen. Es wurden bewusst nur die explizit duft-<br />
beschreibenden Mittelteile der Texte ins Auge gefasst, weil eine zentrale<br />
Fragestellung dieser Arbeit ist, ob und wenn ja wie man Parfumgerüche<br />
sprachlich beschreiben kann. Abstraktere Attribuierungen oder Pseudo-<br />
Attribuierungen, die offensichtlich lediglich den Zweck verfolgen, ver-<br />
schiedene Konzepte von Männlichkeit mit faktischen oder vermeintlichen<br />
Dufteigenschaften assoziativ zu verknüpfen, wurden absichtlich ausge-<br />
spart.
Zwei Ergebnisse der Extrapolation der Attribuierungen (NGr) können<br />
konstatiert werden:<br />
<strong>Die</strong> Extrapolation der NGr stellt auf transparente Weise und äußerst<br />
konzentriert heraus, dass die Kombination Adjektiv + Substantiv ein<br />
morphosyntaktisches Stereotyp ist, das zur Beschreibung der Parfum-<br />
düfte auffallend oft verwendet wird: Typ-1 erscheint 35-mal; Typ-2 er-<br />
scheint 28-mal.<br />
Insgesamt sind in den Mittelteilen der Texte also 63 verschiedene NGr<br />
zu finden, die als geruchsbeschreibende Syntagmen identifiziert werden<br />
können.<br />
Das von mir im Theorieteil legitimierte und am Stichprobenkorpus der<br />
AL-Umfrage erprobte Kategorienraster von sechs Sinnesmodalitäten eig-<br />
net sich sehr gut als Detektionswerkzeug zum Aufspüren synästheti-<br />
scher Sprachkonstruktionen. Es ist durch die isolierende Kategorisierung<br />
der Komponenten der NGr deutlich geworden, dass originär olfaktorische<br />
Kombinationen so gut wie gar nicht auftauchen, sondern dass das Phä-<br />
nomen der sprachlichen Synästhesie in fast allen NGr beobachtet wer-<br />
den kann. Schließlich kann man innerhalb <strong>des</strong> Paradigmas der synäs-<br />
thetischen NGr zwei verschiedene Großgruppen von synästhetischer<br />
Konstruktionen unterscheiden, die folgendermaßen charakterisiert wer-<br />
den können:<br />
Ein Element ist originär olfaktorisch oder quasi-olfaktorisch und wird mit<br />
nicht-olfaktorischen und/oder multi-modalen und/oder nicht-<br />
perzeptorischen Elementen verknüpft (Beispiele: strahlender Duftakkord<br />
oder exotisch-würziger Duft).<br />
Keins der Elemente der NGr ist dem Bereich der Olfaktorik zuzuordnen,<br />
sondern es werden nicht-olfaktorische Sinnesbereiche untereinander<br />
kombiniert oder die NGr beinhaltet min<strong>des</strong>tens ein Element, das eine<br />
nicht-perzeptorische Größe charakterisiert (z.B. grüne Frische oder bal-<br />
samisch-animalische Elemente).<br />
<strong>Die</strong> Attribuierungen in Form von NGr machen im Hinblick auf die Be-<br />
schreibung von Geruchsqualitäten bei weitem den fruchtbarsten und in-<br />
teressantesten Datensatz aus. Bevor sie mit dem Riffaterreschen Begriff<br />
213
<strong>des</strong> stilistischen Verfahrens in Zusammenhang gebracht werden, soll<br />
daher zunächst etwas ausführlicher ihre kommunikative Funktion mit Hil-<br />
fe der Jakobsonschen Sprachfunktionen erörtert werden.<br />
3.7.1. Attribuierungen und ihre kommunikative Funktion<br />
Es trat bereits bei der Analyse <strong>des</strong> Stichprobenkorpus durch die AL-<br />
Kommentare eindeutig zu Tage, dass diverse Geruchsbeschreibungen<br />
von den Lesern großenteils als unverständlich oder gar explizit unsinnig<br />
wahrgenommen wurden. <strong>Die</strong> aus dem Gesamtkorpus extrahierten Daten<br />
geben dieser Einschätzung weitere Nahrung. Man fragt sich in der Tat<br />
häufig: Was soll das alles bedeuten? Wie riechen balsamisch-<br />
animalische Elemente die im Fond von Hugo Boss-Number One domi-<br />
nieren? Was soll das sein und wie soll das riechen, ein pulsierender,<br />
strahlender Duftakkord, der die Kopfnote von Rochas-Aquaman domi-<br />
niert und aus spritziger Pampelmuse besteht? Solche Konstruktionen<br />
wirken auf jeden Leser zunächst einmal skurril. Skurril bedeutet „sonder-<br />
bar, auf lächerliche oder befremdende Weise eigenwillig“ (Duden 4 1982:<br />
709). Es ist aber ein Unterschied, ob etwas auf lächerliche oder befrem-<br />
dende Weise eigenwillig wirkt. Beim Adjektiv lächerlich schwingt zwei-<br />
felsohne ein abwertender Unterton mit. Lächerlich zu wirken kann dem-<br />
nach wohl kaum das Anliegen eines Werbetextes sein, der ja naturge-<br />
mäß positiv für ein Produkt einnehmen will; immerhin soll sich das Pro-<br />
dukt verkaufen. Ein Adjektiv wie befremdend ist jedoch nicht notwendig<br />
als pejorativ zu verstehen. <strong>Die</strong> Eigenwilligkeit befremdender Dinge kann<br />
auch interessant sein und neugierig machen, also in positivem Sinne mit<br />
originell paraphrasiert werden, so dass skurril beide Assoziationsoptio-<br />
nen, positive wie negative, in sich vereint. <strong>Die</strong> Einschätzungen der Leser<br />
attestieren allerdings, wie gezeigt, den skurrilen Attribuierungen fast aus-<br />
schließlich einen negativen Beigeschmack. Sollte dies in der Tat die In-<br />
tention der Parfumtexte sein, müssten sie allesamt pauschal als schlecht<br />
geschrieben und an jeglicher Konsumentenzielgruppe vorbei konzipiert<br />
214
etrachtet werden. <strong>Die</strong>se Annahme ist allerdings absurd. <strong>Die</strong> entschei-<br />
dende Frage aus einer den Texten wohlwollend gegenüberstehenden<br />
Position lautet vielmehr: Was könnte in einem Gebrauchstext wie einer<br />
Produktbeschreibung (als per se intentionalem Werbetext) die positive<br />
Motivation solch skurriler Syntagmen sein?<br />
Eine theoretisch plausible Antwort auf diese Frage kann unter der Per-<br />
spektive der sechs Jakobsonschen Sprachfunktionen angeboten wer-<br />
den. Da die Konstruktionen im konventionellen Sinne tendenziell nicht<br />
verstanden werden, das heißt, ihrem Signifiant offensichtlich kein akzep-<br />
tables und verbindliches Signifié zugeordnet werden kann, geht die refe-<br />
rentielle Sprachfunktion hier eindeutig ins Leere. <strong>Die</strong> komplexen Pseudo-<br />
Lexeme verweisen im Großen und Ganzen nicht auf eine externe Entität,<br />
die als Referenzobjekt dem Leser zugänglich wäre. Nach einer konventi-<br />
onellen Auffassung von Bedeutung im Sinne der referentiellen Sprach-<br />
funktion bedeuten die NGr nichts. Es handelt sich bei ihnen um Pseudo-<br />
Zeichen, die formalgrammatisch auf Grund konventioneller Wortbil-<br />
dungsmechanismen lediglich den Eindruck erwecken, als hätten sie Zei-<br />
chencharakter.<br />
Was die konventionell akzeptable Grammatizität der NGr angeht, ist zu-<br />
min<strong>des</strong>t die metasprachliche Funktion hier insofern aktiv, als sie Aus-<br />
kunft darüber gibt, dass es sich um regelkonform gebildete Signifikanten<br />
<strong>des</strong> Sprachsystems <strong>des</strong> Deutschen handelt.<br />
<strong>Die</strong> Dominanz der konativen Sprachfunktion, deren Fokus auf dem Ap-<br />
pellcharakter der Nachricht liegt und die der Werbung im Allgemeinen<br />
sicherlich zurecht unterstellt wird, greift hier allerdings nicht. Im Gegen-<br />
teil. Durch die Tatsache der tendenziell ablehnenden Reaktion der AL,<br />
quantitativ bestätigt durch die Extrapolation, wird genau der gegenteilige<br />
Effekt erreicht. Den Beschreibungen hängt der Makel <strong>des</strong> Unsinnigen<br />
und damit <strong>des</strong> Negativen an und dieser eignet sich in keiner Weise als<br />
Kaufappell.<br />
Nimmt man die mit der konativen Funktion am engsten korrelierende<br />
emotive Sprachfunktion als Motivation an, die die Einstellung <strong>des</strong> Spre-<br />
chers (hier: <strong>des</strong> Textes) zum Geäußerten anzeigt, kommt man auch<br />
215
nicht weiter. <strong>Die</strong> Texte folgen bezüglich der Attribuierungen offensichtlich<br />
einem esoterischen Kode, der vielleicht Eingeweihten zugänglich ist und<br />
den diese möglicherweise attraktiv finden. Aber für einen standard-<br />
sprachlich kompetenten Leser sind sie erwiesenermaßen weder das Ei-<br />
ne noch das Andere. Man fragt sich als Leser eher, wer eigentlich so ei-<br />
nen Unsinn produziert haben kann – der Sender wird zumin<strong>des</strong>t als<br />
Sender einer informativen Nachricht nicht ernst genommen.<br />
In einem positiven Sinne erklärbar ist die Motivation der skurrilen Eigen-<br />
schaftszuschreibungen aber oberflächlich mit der phatischen und tiefer<br />
gehend mit der poetischen Sprachfunktion. Beide können in Zusammen-<br />
hang gebracht werden mit dem Wahrnehmungsphänomen der Deauto-<br />
matisierung <strong>des</strong> Leseprozesses, wozu auch die Charakterisierung be-<br />
fremdend und skurril passen. Der phatische Effekt kann darin gesehen<br />
werden, dass durch das ständige Auftauchen befremdender NGr der Le-<br />
ser immer wieder auf die Tatsache <strong>des</strong> Kommunikationsvorganges auf-<br />
merksam gemacht wird, wenngleich er diesem kaum referentielle Infor-<br />
mation entnehmen kann. Es ist eine ähnliche Situation, wie wenn man in<br />
einer fremden <strong>Sprache</strong> angesprochen würde. Man weiß, dass der Ge-<br />
genüber einem etwas mitteilen will, aber man versteht nichts.<br />
Der Annahme <strong>des</strong> Wirkens der poetischen Funktion kommt jedoch bei<br />
der Analyse dieses eigenwilligen Kommunikationsprozesses die zentrale<br />
Erklärungskraft zu.<br />
3.7.2. Attribuierungen und ihre poetische Relevanz<br />
Im Rückbezug auf den im Theorieteil erörterten Konflikt zwischen refe-<br />
rentieller und poetischer Sprachfunktion sowie Riffaterres Konzept <strong>des</strong><br />
stilistischen Verfahrens aus dem Methodenteil, können die Attribuierun-<br />
gen folgendermaßen interpretiert werden.<br />
<strong>Die</strong> Attribuierungen in Form von NGr fallen dem Leser auf, das ist offen-<br />
sichtlich. Sie ziehen auf Grund ihrer semantischen Skurrilität mehr Auf-<br />
merksamkeit auf sich, denn die Kombination semantisch inkongruenter<br />
216
Elemente in einem formal kongruenten Syntagma kann nicht automa-<br />
tisch dekodiert werden. Der Leser kann bei der Bedeutungskonstitution<br />
nicht auf einen etablierten Kode zurückgreifen, der konventionell ver-<br />
bürgt wäre. Der kontinuierliche, lineare Entschlüsselungsprozess wird<br />
durch die NGr gestört, der Leser wird zu einer deautomatisierten Rezep-<br />
tion veranlasst, die ihm der Text aufzwingt. In diesem Sinne kann man<br />
theoretisch begründet davon sprechen, dass an den Textstellen, an de-<br />
nen inkongruente NGr auftauchen, der Fokus der Leseraufmerksamkeit<br />
textseitig auf den Kontrast zwischen formaler Kongruenz und semanti-<br />
scher Inkongruenz gelenkt wird und damit auf die „message for its own<br />
sake“ (Jakobson 1981: 25). Es kann also über das Phänomen der Deau-<br />
tomatisierung nachgewiesen werden, dass die NGr poetisch relevante<br />
Stimuli in der Linearität <strong>des</strong> Textes darstellen – und dies ist ein Indiz für<br />
das Wirken der poetischen Funktion der <strong>Sprache</strong>.<br />
Des Weiteren kann man die skurrilen NGr, wie durch die Extrapolation<br />
gezeigt wurde, hinsichtlich <strong>des</strong> Kriteriums der semantischen Inkongruenz<br />
im Allgemeinen und ihrer synästhetischen Kombination im Besonderen<br />
als paradigmatische Ordnung auffassen. Alle aktualisierten skurrilen NGr<br />
sind unter dieser Perspektive als äquivalente Varianten zu verstehen, die<br />
demselben Paradigma angehören. Sie weisen durch ihren Wiederho-<br />
lungscharakter einen gewissen Grad an Redundanz auf, was als Indiz<br />
gewertet werden muss für das Projektionsprinzip der poetischen Sprach-<br />
funktion: Äquivalente Elemente aus dem vertikal gedachten Paradigma<br />
skurrile NGr werden auf die horizontale Ebene <strong>des</strong> Textes projiziert.<br />
Im Text zu Boss-Elements Aqua beispielweise lassen sich fünf NGr<br />
nachweisen, deren semantische Kongruenz zumin<strong>des</strong>t zweifelhaft ist<br />
und die daher als skurril betrachtet werden müssen. Da ihr referentieller<br />
Informationsgrad wegen ihrer Pseudo-Referenz extrem gering ist, kann<br />
ihr Auftauchen nur mit einem bewusst oder unbewusst – die Frage ist<br />
psychologischer Natur und soll hier nicht interessieren – intendierten po-<br />
etischen Effekt erklärt werden. Sie haben in jedem Falle den Effekt, die<br />
Leseraufmerksamkeit auf den Text selbst zu richten. Und das tun sie<br />
auch, wie empirisch nachgewiesen werden konnte.<br />
217
Das Riffaterresche Postulat <strong>des</strong> Kontextes als einer textinternen Norm,<br />
von dem sich ein stilistischer Stimulus durch eine strukturell beschreib-<br />
bare Kontrastfigur abhebt, kann im Bezug auf die Attribuierungen in<br />
zweierlei Hinsicht nutzbar gemacht werden. <strong>Die</strong> Konzepte Mikrokontext<br />
und Makrokontext seien hier zur Erinnerung nochmal zitiert:<br />
„Der Unterschied zwischen Makrokontext und Mikrokontext besteht darin, daß<br />
der erste eine Folge von Varianten aufweist, die alle im Text verwirklicht wer-<br />
den und deren Isomorphismus sich dem Leser unwiderstehlich aufdrängt. Im<br />
zweiten Fall hingegen wird der Isomorphismus durch einen einzigen Vergleich,<br />
lediglich zwischen zwei Varianten, wahrgenommen.” (Riffaterre 1973: 66).<br />
<strong>Die</strong> im Rahmen der Stichprobenanalyse der Attribuierungen exempla-<br />
risch am Text zu Boss-Elements Aqua ausgeführte Funktion <strong>des</strong> Makro-<br />
kontextes kann verallgemeinernd auf das Gesamtkorpus angewendet<br />
werden, wenn man die komplexen NGr als Einheiten betrachtet und ih-<br />
ren pseudo-lexikalischen Charakter ins Auge fasst. In den Produktbe-<br />
schreibungen <strong>des</strong> Gesamtkorpus gibt es ununterbrochen <strong>des</strong>kriptive Se-<br />
quenzen, die durchaus referentielle Information vermitteln und sinnvolle<br />
Aussagen über das Parfum machen. Semantisch inkongruente NGr, wie<br />
sie aus dem Korpus extrahiert wurden, sind nicht der Standard. Aber sie<br />
sind interessant für diese Untersuchung, weil die AL sie so auffällig oft<br />
markiert haben und dadurch nahe gelegt wird, dass ihnen eine besonde-<br />
re stilistische Rolle zukommt. Außerdem wurde schon <strong>des</strong> öfteren darauf<br />
hingewiesen, dass man unterscheiden muss zwischen allgemein-<br />
abstrakten Aussagen über das Parfum als Gegenstand der Vermarktung<br />
und Aussagen über spezifische Geruchsqualitäten.<br />
Man kann dem generell beschreibenden Charakter der Texte die Funkti-<br />
on zuweisen, eine textinterne Norm <strong>des</strong> Informierens zu etablieren. Al-<br />
lein die Tatsache, dass die Texte auf der Internetwerbeseite eines Par-<br />
fumvertreibers erscheinen, erzeugt bei einem Leser eine kontextspezifi-<br />
sche Erwartungshaltung; der Leser erwartet, über das angebotene Pro-<br />
dukt informiert zu werden. Dass die Beschreibung der angebotenen Pro-<br />
dukte in der Werbeindustrie üblicherweise mit stereotypen Idealisierun-<br />
gen und euphemistischen Sprachkonstruktionen geschieht um ein mög-<br />
218
lichst angenehmes und attraktives Bild <strong>des</strong> Produktes zu zeichnen, ist<br />
ein bekannter Allgemeinplatz. <strong>Die</strong>ser Umstand schmälert aber nicht die<br />
Tatsache, dass man trotzdem Information über das Produkt erwartet –<br />
sei sie auch noch so geschönt. Wenn es allerdings um Information zu<br />
spezifischen Geruchsqualitäten geht, wird diese Erwartungshaltung beim<br />
Leser notwendig enttäuscht. Aber genau diese enttäuschte Erwartungs-<br />
haltung manifestiert sich durch die Pseudo-Attribuierungen der geruchs-<br />
beschreibenden Textteile in markanter Weise. Sie sind die stilistischen<br />
Stimuli, die innerhalb der Erwartungshaltung, die der Makrokontext text-<br />
intern inszeniert, als Kontrastwirkung die Leseraufmerksamkeit über Ge-<br />
bühr beanspruchen und damit als Wirken der poetischen Funktion der<br />
<strong>Sprache</strong> zu identifizieren sind.<br />
Aber auch Riffaterres Konzept <strong>des</strong> Mikrokontextes kann herangezogen<br />
werden, um die strukturelle und nicht nur punktuelle Funktion der Pseu-<br />
do-Attribuierungen als stilistische Verfahren mit linguistischen Mitteln zu<br />
erklären. Was bereits bei der Einzelfallanalyse der im Stichprobenkorpus<br />
auffallend häufig markierten NGr elegant-ozoniger Akkord zu zeigen war,<br />
wird nach der Erweiterung <strong>des</strong> Datensatzes durch die Extrapolation und<br />
die klassifizierende Aufarbeitung unter synästhetischer Perspektive noch<br />
plastischer. Eigenschaftszuschreibungen in Form von NGr können mit<br />
dem Riffaterreschen Begriff <strong>des</strong> Mikrokontextes adäquat und kohärent<br />
beschrieben werden. Bei Riffaterres Modellbeispiel „cette obscure clarté“<br />
(Riffaterre 1973: 64) wird ein für den Leser unerwartbarer Kontrast zwei-<br />
er Lexeme innerhalb <strong>des</strong> Paradigmas der visuellen Wahrnehmung (obs-<br />
cure vs. clarté) konstatiert, der als Inkongruenzphänomen deautomati-<br />
siertes Lesen bedingt. Übertragen auf den in dieser Arbeit zur Verhand-<br />
lung stehenden Bereich der Olfaktorik konnte großflächig über das ge-<br />
samte Korpus nachgewiesen werden, dass analoge, dem Riffaterre-<br />
schen Muster vergleichbare Kontrastfiguren zu beobachten sind. Aller-<br />
dings nicht innerhalb einer bestimmten Wahrnehmungsmodalität, son-<br />
dern – und das ist gerade der synästhetischer Spezialfall für den Ge-<br />
ruchsdiskurs – modalitätsübergreifend.<br />
219
Der stilistische Effekt der NGr speist sich also aus dem intermodalen<br />
Kontrast innerhalb <strong>des</strong> bipolaren Subsystems Mikrokontext. Dabei kann<br />
der stilistische Kontrast in zweierlei Weise als Inkongruenzphänomen<br />
auftauchen.<br />
Entweder zwischen Adjektiv und Substantiv im Fall der NGr Typ-1 (Ad-<br />
jektiv = Simplex; Beispiel: aromatische vs. Klänge). In diesem Fall wäre<br />
die gesamte NGr als Mikrokontext anzusehen.<br />
Oder zwischen Determinans und Determinatum im Fall der NGr Typ-2<br />
(Adjektiv = Kompositum; Beispiel: herb-warme Akzente). In diesem Fall<br />
würde nur das Adjektivkompositum den Mikrokontext bilden.<br />
Eine Extremform dieses stilistischen Kontrastes findet sich allerdings,<br />
wenn alle drei Konstituenten einer komplexen NGr – Determinans und<br />
Determinatum <strong>des</strong> Adjektivkompositums sowie das Substantiv – durch<br />
Lexeme aus unterschiedlichen Sinnesmodalitäten gefüllt werden, wie im<br />
Beispiel transparent frostige Frische. In diesem sehr seltenen Fall treffen<br />
zwei Mikrokontexte unmittelbar aufeinander, in denen der Kontrast<br />
wahrnehmbar ist, nämlich einerseits die Inkongruenz innerhalb <strong>des</strong> Sub-<br />
systems Kompositum und andererseits die Inkongruenz innerhalb <strong>des</strong><br />
Subsystems NGr.<br />
Zusammenfassend sei noch einmal betont, dass den stilistischen Verfah-<br />
ren, die mit dem Konzept <strong>des</strong> Mikrokontextes beschrieben wurden, das<br />
Rezeptionsverhalten der enttäuschten Lesererwartung zu Grunde liegt.<br />
Ihnen allen ist gemeinsam, dass Lexeme aus einer bestimmten Wahr-<br />
nehmungsmodalität das Auftauchen eines Folgelexems (oder mehrerer)<br />
aus derselben Modalität wahrscheinlich machen. Wird diese Wahr-<br />
scheinlichkeit konterkariert, tritt ein Kontrast auf, der als stilistisch (poe-<br />
tisch) relevanter Stimulus bezeichnet werden kann.<br />
220
3.8. Stichprobenanalyse 3: Verben<br />
Folgende Verben wurden in den drei Texten <strong>des</strong> Stichprobenkorpus<br />
markiert und werden nun einer exemplarischen Analyse unterzogen:<br />
bestechen (Bogner-Snow)<br />
sprühen (Boss-Elements Aqua)<br />
strahlen (Boss-Elements Aqua)<br />
unterstreichen (Bogner-Snow)<br />
verschmelzen (Joop-Homme)<br />
<strong>Die</strong> Verben strahlen und unterstreichen tauchen zudem auch noch im<br />
Bogner- beziehungsweise Joop-Text auf, wurden dort jedoch von den AL<br />
nicht markiert.<br />
Um eine Ausgangsposition zu schaffen, von der aus ich die Verben auf<br />
ihren potenzielle Status als stilistische Stimuli prüfen werde, notiere ich<br />
zunächst die jeweiligen Bedeutungsparaphrasen, die sich bei Wahrig<br />
(1994) finden. Hierdurch wird die konventionelle Bedeutung der Verben<br />
herausgestellt um ihnen dann die je spezifische Verwendungsweise im<br />
Parfum-Kontext kontrastiv gegenüberzustellen. Dann werden die Leser-<br />
kommentare herangezogen, um die kontextspezifische Bedeutung der<br />
Stichprobenverben in den Parfumtexten zu bestimmen.<br />
Zentral für die spätere Interpretation der Verben <strong>des</strong> Parfumdiskurses ist<br />
der auf Fillmore (1968) zurückgehende Begriff <strong>des</strong> Tiefenkasus (vgl.<br />
Fillmore 1968: 21 ff.).<br />
„Tiefenkasus benennen die semantischen Rollen, die verschiedene ‚Mit-<br />
spieler’ [= semantische Rollen] in der durch das Verb bezeichneten Situ-<br />
ation übernehmen“ (Bußmann 2002: 333).<br />
<strong>Die</strong> hier relevanten semantischen Rollen betreffen das Prinzip der Agen-<br />
tivität, also die Rolle <strong>des</strong> Urhebers einer Handlung und die damit einher-<br />
gehende Unterscheidung zwischen den vom Verb aufgerufenen seman-<br />
tischen Rollen Agens (englisch: agentive) und Instrumental (vgl. Fillmore<br />
1968: 21 ff. und 1987: 28 ff.). Van Valin/Wilkins (1996) stellen die beiden<br />
wesentlichen Kategorien der Agentivität folgendermaßen gegeneinander:<br />
221
„Agentive (A), the case of the typically animate perceived instigator of the ac-<br />
tion identified by the verb.<br />
Instrumental (I), the case of the inanimate force or object causally involved in<br />
the action or state identified by the verb“ (Van Valin/Wilkins 1996: 293).<br />
Für die Zwecke dieser Untersuchung reicht diese grobe Unterteilung der<br />
Kategorie Agentivität, wie sich im Folgenden zeigen wird. (Für tiefer ge-<br />
hende Diskussionen zu semantischen Rollen und Agentivität vgl. Jacob<br />
2004: 104 ff.; Van Valin 2004: 62; Engelberg 2000: 162 ff.; Van Va-<br />
lin/LaPolla 1997: 118; Starosta 1988: 114 ff.; Tarvainen 1987: 75 ff.; Hal-<br />
liday 1994: 164 ff., 1981: 238 ff. sowie 1973: 298 ff.).<br />
Das Verb bestechen<br />
„bestechen (...)<br />
1. durch unerlaubte Geschenke für sich gewinnen, beeinflussen (...)<br />
2. für sich einnehmen, einen gewinnenden, günstigen Eindruck machen<br />
(...)“<br />
(Wahrig 1994: 310).<br />
Das Verb bestechen taucht im Bogner-Text in folgendem Satz auf:<br />
„(...) die Herznote besticht durch die Kombination von Vetiver-Gräsern, Ze-<br />
dernholz und schwarzem Pfeffer.“<br />
<strong>Die</strong> entsprechenden drei AL-Markierungen und Kommentare sind wie<br />
folgt.<br />
Markierung Kommentar<br />
AL-13: Herz(-note) besticht Besticht? Assoziiert ‚Messer’ oder ‚Herzstiche’<br />
AL-25: besticht Wie kann etwas Duften<strong>des</strong> bestechen?<br />
AL-26: besticht Wen oder was?<br />
Tabelle 37: Lesermarkierungen und -kommentare zu dem Verb bestechen<br />
222
Das Verb bestechen ist bereits im standardsprachlichen Deutsch in un-<br />
eigentlicher Bedeutung lexikalisiert, wobei der Abstraktionsgrad bei Les-<br />
art-2 höher ist als bei Lesart-1. <strong>Die</strong> konkrete sinnliche Erfahrung <strong>des</strong><br />
Stechens, also <strong>des</strong> Verletzens der Haut, die der abstrakt-<br />
metaphorischen Lesart zu Grunde liegt, wird bei Wahrig (1994) nicht<br />
thematisiert. Sie ist allerdings leicht rekonstruierbar durch die Paraphra-<br />
sen in Tabelle 38.<br />
Lesart Lexikalisiertes Abstraktum Konkrete Paraphrase<br />
bestechen (1) Geld/Geschenke geben<br />
bestechen (2) Aufmerksamkeit erregen<br />
Tabelle 38: Paraphrasen <strong>des</strong> Verbs bestechen<br />
223<br />
Jemanden stechen und dadurch<br />
Aufmerksamkeit erregen<br />
Beide Einträge bei Wahrig (1994) legen nahe, dass es sich beim Verb<br />
bestechen um eine so genannte verblasste oder tote Metapher handelt,<br />
bei der die ursprünglich konkrete Bedeutung <strong>des</strong> Stechens (einen Stich<br />
geben) nicht mehr wahrgenommen wird (vgl. Nöth 2 2000: 346). Demge-<br />
genüber steht jedoch die authentische Leserbemerkung, die empirisch<br />
belegt, dass das Verb sehr wohl noch in der eigentlichen, konkreten Be-<br />
deutung verstanden werden kann; immerhin wird die Assoziation zu ei-<br />
nem „Messer” (AL-13) notiert. <strong>Die</strong> Annahme einer toten Metapher ist<br />
damit genau genommen für diesen Fall falsifiziert und dieser Tatbestand<br />
gibt nicht nur weitere Berechtigung, sondern macht es zur Pflicht, die<br />
uneigentliche Verwendung dieses Verbs genau zu betrachten.<br />
Einen weiteren interessanten Aspekt liefert der Kommentar von AL-25:<br />
“Wie kann etwas Duften<strong>des</strong> bestechen?” Angezweifelt wird hier die Herz-<br />
note als duftenden Komponente <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> in der syntaktischen Funk-<br />
tion <strong>des</strong> Subjekts. Auch wenn AL-25 nicht so weit geht, den konkret-<br />
sinnlichen konzeptuellen Hintergrund <strong>des</strong> Stechens zu assoziieren, so<br />
wird doch deutlich, dass bezüglich <strong>des</strong> Verbs bestechen die syntaktische<br />
Rolle <strong>des</strong> Subjekts semantisch eigentlich nur von einem Menschen, zu-<br />
min<strong>des</strong>t aber von einer belebten Entität, nicht aber von einem Parfum-
duft gefüllt werden kann. Der Text tut aber genau dies, der Duft der<br />
Herznote besticht durch eine Kombination verschiedener duftender Na-<br />
tursubstanzen. Und legitimerweise schließt sich die Frage von AL-26 an,<br />
„wen oder was” die Herznote denn besticht, da die Valenz von beste-<br />
chen eine fakultative Ergänzung im Kasus Akkusativ möglich macht, die<br />
im Text allerdings nicht realisiert ist.<br />
<strong>Die</strong> kritischen Bemerkungen der AL bezüglich <strong>des</strong> Verbs stechen bezie-<br />
hen sich allesamt auf eine semantische Inkongruenz. Präziser kann man<br />
dieses Phänomen als perzeptorische Inkongruenz beschreiben. Es<br />
scheint offenbar ein Problem zu geben, die Verwendung von bestechen<br />
im Bereich der Olfaktorik zu akzeptieren und dies aus zweierlei Gründen.<br />
Einerseits ist die Abneigung durch die zweifelhafte Besetzung der Sub-<br />
jektposition durch ein Instrumental erklärbar, in diesen Fällen durch et-<br />
was Duften<strong>des</strong> = Unbelebtes. Andererseits kann einmal mehr die Synäs-<br />
thesie-Hypothese herangezogen werden, um die ablehnende Reaktion<br />
der AL hinreichend zu erklären. Will man dem Verb bestechen einen ori-<br />
ginären perzeptorischen Ursprungsbereich zuweisen, so muss man die<br />
taktile Sinnesmodalität annehmen, da (be-)stechen in ursprünglicher<br />
Weise die Wahrnehmung durch die Haut, sinnesphysiologisch gespro-<br />
chen durch die Mechano- und Schmerzrezeptoren in der Haut, betrifft.<br />
<strong>Die</strong>se Assoziationsmöglichkeit wird von AL-13 explizit bestätigt. Der ori-<br />
ginäre semantische Referenzbereich von bestechen ist also innerhalb<br />
der taktilen Wahrnehmung zu verorten und nicht in der Olfaktorik. Es<br />
kann als Erklärung somit erneut die mutmaßliche leserseitige Nichtak-<br />
zeptanz der synästhetischen Verwendungsweise von bestechen ange-<br />
nommen werden. <strong>Die</strong>se verhält sich auch kohärent mit der im Theorieteil<br />
formulierten Hypothese <strong>des</strong> notwendigen indirekten sprachlichen Zugriffs<br />
auf den Bereich der Olfaktorik, wobei indirekt heißt, durch eine metapho-<br />
rische Anleihe aus einem anderen Sinnesbereich. Leider wird dieses<br />
kreative Manöver, wenn es als auffällig wahrgenommen und markiert<br />
wird, negativ bewertet wie die drei oben zitierten Leserkommentare be-<br />
legen.<br />
224
Das Verb sprühen<br />
„sprühen (...)<br />
1. in kleinen Teilchen (Funken,<br />
Flüssigkeit) spritzen, davon-, auseinanderfliegen:<br />
leicht, fein regnen (...)<br />
sehr lebhaft, ausgelassen sein (...)<br />
2. (...) kleinste Teilchen (bes. von Flüssigkeit) aussenden (...)“<br />
(Wahrig 1994: 1481).<br />
Das Verb sprühen taucht im Boss-Text in folgendem Satz auf:<br />
„Sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht dieser Duft vor maskuliner Vi-<br />
talität und Energie – wie der Mann, der ihn trägt.“<br />
<strong>Die</strong>se Sequenz hat es offenbar in sich, denn aus ihr wurden von 13 Le-<br />
sern Segmente markiert. Allerdings beziehen sich nur drei der Markie-<br />
rungen direkt auf die lexikalische Bedeutung von sprühen, die hier the-<br />
matisiert werden soll. Andere strukturelle Auffälligkeiten dieser markan-<br />
ten Textstelle wurden bereits bei der Analyse der Attribuierungen disku-<br />
tiert. Demzufolge werden an dieser Stelle auch nur diejenigen Markie-<br />
rungen und Kommentare diskutiert, die das Verb im Blick haben:<br />
Markierungen Kommentare<br />
AL-25: sprüht Ein[en] Duft kann man versprühen, aber er selbst kann<br />
nicht sprühen<br />
AL-31: sprüht dieser Duft Zuerst dachte ich an Personifikation<br />
AL-32: sprüht – Duft Kann ein Duft sprühen?<br />
Tabelle 39: Lesermarkierungen und -kommentare im Boss-Text zum Verb sprü-<br />
hen<br />
Es wird von den Lesern offenbar erneut als störend empfunden, dass –<br />
analog zur Verwendung von bestechen bei Boss – der Text dem Duft (=<br />
Instrumental) die syntaktische Rolle <strong>des</strong> mit sprühen kongruierenden<br />
225
Subjekts zuschreibt anstatt diese Position mit einem Agens (Mensch) zu<br />
besetzen.<br />
<strong>Die</strong>se Leserreaktion ist insofern besonders interessant, als die standar-<br />
disierte Definition bei Wahrig (1994) damit kein Problem hat. Es sind in<br />
Lesart-1 die „kleinen Teilchen“, die „spritzen, davon-, auseinanderflie-<br />
gen“ (Wahrig 1994: 1481), worunter ohne Weiteres auch Duftmoleküle<br />
eines <strong>Parfums</strong> verstanden werden können.<br />
<strong>Die</strong> abstrakt-metaphorische Lesart-2 „sehr lebhaft sein“ birgt erneut das<br />
Problem, dass eine originär menschliche Eigenschaft (oder bestenfalls<br />
tierische, denkt man etwa an Kanarienvögel) dem Duft zugeschrieben<br />
wird, wobei das Subjekt zu sprühen laut Lesereinschätzung nicht von ei-<br />
nem Duft gefüllt werden kann (siehe z.B. AL-25: „Ein[en] Duft kann man<br />
versprühen, aber er selbst kann nicht sprühen”).<br />
Das Verb strahlen<br />
„strahlen (...)<br />
Strahlen aussenden (Licht, Sonne);<br />
glänzen, funkeln (Edelsteine);<br />
glücklich aussehen;<br />
(...)“<br />
(Wahrig 1994: 1512).<br />
Das Verb strahlen wird im Boss-Text siebenmal markiert, bei Bogner in<br />
präfigierter Variante als trennbares Verb ausstrahlen dreimal. Es wird<br />
von AL-23 nur in dem Kommentar erwähnt; markiert ist interessanterwei-<br />
se der Ko-Text, in den das Verb eingebettet ist. Der relevante Teil <strong>des</strong><br />
Boss-Satzes lautet:<br />
„(...) während der Fond mit der maskulinen Präsenz <strong>des</strong> Zedern- und Sandel-<br />
holzes strahlt.“<br />
226
Markierung Kommentar<br />
AL-1: strahlt Strahlt nicht, duftet<br />
AL-6: strahlt Ebenfalls unpassend<br />
AL-25: strahlt Hat was mit Licht zu tun<br />
AL-29: strahlt (u.a.) Interessante Komposition<br />
AL-31: Fond – maskulinen Präsenz – <strong>des</strong><br />
Zedern(-holzes)-strahlt<br />
227<br />
Suppe = Fond = strahlen?<br />
AL-32: strahlt Kann ein Fond strahlen?<br />
AL-33: strahlt Duft ‚strahlt’ mit Präsenz von Holz = Non-<br />
sense!<br />
Tabelle 40: Lesermarkierungen und -kommentare im Boss-Text zum Verb strah-<br />
len<br />
Nur auf AL-29 hat das Verb strahlen in diesem Parfumtext eine positive<br />
Ausstrahlung. Es wird neben anderen unkonventionellen Wortkombinati-<br />
onen (z.B. elegant-ozonigen Akkord) als „interessante Komposition“ be-<br />
zeichnet.<br />
Bei allen anderen AL suggerieren die Kommentare eine unangemessene<br />
Verwendung. Sie beziehen sich allesamt auf den perzeptorischen Refe-<br />
renzbereich von strahlen. Am pointiertesten formuliert dies AL-25, der<br />
explizit die semantische Bindung von strahlen an das lexikalische Feld<br />
Licht herausstellt (AL-25: „Hat was mit Licht zu tun”). <strong>Die</strong> eigentliche<br />
konkrete Lesart, die sich auf die Aussendung von Licht bezieht, wird<br />
auch von Wahrig (1994) bestätigt. Allerdings wird die dort aufgeführte<br />
abstrahierte und auf den emotionalen Bereich <strong>des</strong> Glücklichseins über-<br />
tragene Bedeutungsvariante von den AL gar nicht thematisiert.<br />
Aber sowohl die abstrakte Lesart („glücklich aussehen“) als auch die<br />
beiden konkreten Lesarten („Strahlen aussenden” und „glänzen, fun-<br />
keln”) sind zweifelsfrei der visuellen Sinneswahrnehmung zuzuordnen.<br />
Beim synästhetischen Transfer in die Olfaktorik gelingt es dem Text wie-<br />
derum nicht, die kritischen Leser von der Angemessenheit dieses Verbs
zu überzeugen. <strong>Die</strong> Textstellen fallen zwar auf und ziehen überdurch-<br />
schnittliche Aufmerksamkeit, aber die synästhetische Sprachkonstruktion<br />
wird als solche nicht gewürdigt, sondern sogar abfällig als „Nonsense”<br />
(AL-33) bezeichnet, da ein Duft nach AL-Meinung nicht strahlen kann,<br />
die Subjektposition also erneut unangemessen durch ein Agens besetzt<br />
ist.<br />
Überdies wird die vom Text suggerierte lexikalische Solidarität zu dem<br />
Substantiv Fond, <strong>des</strong>sen zweifelhafte Semantik bereits bei der Diskussi-<br />
on der Fachvokabeln Parfum ausgiebig analysiert wurde, nicht akzep-<br />
tiert. Der Text weist dem Substantiv Fond ebenfalls eine unangemesse-<br />
ne Agensrolle zu (analog zu Herznote bei dem Verb bestechen); wieder<br />
ein riskantes Manöver, das beim Leser auf Missbilligung stößt, da Fond<br />
als Instrumental klassifiziert werden muss. Man kann in diesem Zusam-<br />
menhang davon sprechen, dass der von strahlen regierte (textinterne)<br />
Ko-Text nicht mit dem (textexternen) Kontext konsistent ist. <strong>Die</strong> Kolloka-<br />
tion von strahlen, Fond und Präsenz <strong>des</strong> Zedern- und Sandelholzes sind<br />
nur formalgrammatisch, nicht aber referenzsemantisch akzeptabel. <strong>Die</strong><br />
Passagen widersprechen offensichtlich den sprachlichen und situativen<br />
Wahrnehmungsgewohnheiten <strong>des</strong> Lesers. Sie vermitteln offensichtlich<br />
keine Informationen, die dem Leser ein sinnvolles Verständnis der Text-<br />
passage, geschweige denn einen Eindruck von den Geruchsqualitäten<br />
<strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> ermöglichen.<br />
Ähnliches kann für die präfigierte Variante ausstrahlen festgestellt wer-<br />
den, die im Bogner-Text in folgendem Satz auftaucht:<br />
„Seine Kopfnote strahlt durch alpinen Wacholder, Galbanum-Harz und geeiste<br />
Mandarine transparent-frostige Frische aus.“<br />
228
Markierung Kommentar<br />
AL-8: Kopfnote strahlt durch alpi-<br />
nen Wacholder, Galbanum<br />
Seltsames Bild<br />
AL-20: strahlt Warum strahlt etwas durch Harz und Mandarine<br />
AL-23: (Seine Kopfnote (...) Fri-<br />
sche aus)<br />
Frische aus<br />
Kopfnote aus geeister Mandarine und alpinem<br />
Wacholder strahlt<br />
Tabelle 41: Lesermarkierungen und -kommentare im Bogner-Text zum Verb<br />
strahlen<br />
Analog den zuvor kritisch diskutierten Subjekten Fond und Herznote<br />
kommt hier dem Substantiv Kopfnote die syntaktische Rolle <strong>des</strong> Subjekts<br />
zu, deren Agensfähigkeit (= Ausstrahlungsfähigkeit) allerdings angezwei-<br />
felt wird. Kopfnote ist in der Terminologie der thematischen Rollen als<br />
Instrumental zu sehen, wird aber als Agens ausgegeben. <strong>Die</strong> attributiv<br />
hinzutretende Präpositionalphrase „durch alpinen Wacholder, Galbanum-<br />
Harz und geeiste Mandarine“ verstärkt zusätzlich den Eindruck der se-<br />
mantischen Unverträglichkeit. Im Prinzip gilt also auch hier, was schon<br />
bei den vorher diskutierten Verben festgestellt werden konnte: Der unei-<br />
gentliche (metaphorische) Sprachgebrauch im Allgemeinen und der syn-<br />
ästhetische im Besonderen wird von den AL nicht nachvollzogen.<br />
Das Verb unterstreichen<br />
„unterstreichen (...)<br />
einen Strich unter etwas ziehen (um es hervorzuheben)<br />
betonen (durch Worte, Gesten) (...)“<br />
(Wahrig 1994: 1638).<br />
Das Verb unterstreichen kommt im Bogner-Text und im Joop-Text vor.<br />
Es wird bei Bogner von einem, bei Joop von zwei AL markiert.<br />
229
Der Satz, in dem es bei Bogner erscheint ist auffallend lang:<br />
„Pur und maskulin wie der Duft ist auch der dynamische Flakon aus klarem,<br />
kühl-blauen Glas, <strong>des</strong>sen Form an eine Schneewehe erinnert und <strong>des</strong>sen silb-<br />
rig-frostige Umverpackung die eisig moderne Aussage <strong>des</strong> Duftes perfekt un-<br />
terstreicht.”<br />
<strong>Die</strong> AL-Markierung bezieht sich auf die folgende Passage.<br />
Markierung Kommentar<br />
AL-17: silbrig-frostige Umverpackung die eisig-<br />
moderne Aussage <strong>des</strong> Duftes perfekt unterstreicht<br />
230<br />
[Kein Kommentar]<br />
Tabelle 42: Lesermarkierungen und -kommentare im Bogner-Text zum Verb<br />
unterstreichen<br />
Um die semantischen Bezüge in diesem überfrachteten Satz transparent<br />
zu machen ist es hilfreich, ausgehend vom Verb unterstreichen durch<br />
abgespeckte Paraphrasen sein semantisches Grundgerüst herauszustel-<br />
len. <strong>Die</strong> Kernaussage <strong>des</strong> Satzes ohne Attribute und sonstige Modifikati-<br />
onen ist:<br />
<strong>Die</strong> Umverpackung <strong>des</strong> Flakons unterstreicht die Aussage <strong>des</strong> Duf-<br />
tes.<br />
<strong>Die</strong> relevanten Satzglieder, die von unterstreichen aufgerufen werden,<br />
sind Umverpackung als Nominativergänzung und die Aussage in der<br />
syntaktischen Funktion einer Akkusativergänzung (Objekt). Das Genitiv-<br />
attribut <strong>des</strong> Duftes ist hier das eigentlich interessante Syntagma, da mit<br />
ihm eine olfaktorische Größe innerhalb dieser Textsequenz bezeichnet<br />
wird. Ihre Eliminierung wäre nicht angebracht, da hierdurch die olfaktori-<br />
sche Relevanz der Ergänzung zerstören würde. Ich habe sie daher in<br />
das semantisch äquivalente Nominalkompositum Duftaussage umge-<br />
formt.<br />
Da AL-17 diese Markierung leider nicht kommentiert hat, fehlt die unvor-<br />
eingenommene Grundlage einer Interpretation, weshalb Behutsamkeit<br />
angesagt ist. Aus den bisherigen Analysen der Kommentierungen der
Verben lässt sich allerdings ein Analogieschluss riskieren. Man muss<br />
annehmen, dass die uneigentliche Lesart „betonen” (Wahrig 1994: 1638)<br />
bei der Rezeption <strong>des</strong> Parfumtextes zu Grunde gelegt wurde, da die<br />
konkrete Lesart „einen Strich unter etwas ziehen” in diesem Zusammen-<br />
hang völlig absurd ist. Es kann aus den vorherigen Erfahrungswerten<br />
ebenfalls vermutet werden, dass es sich um eine Negativmarkierung<br />
handelt. Weiterhin kann man aus dem bisher Aufgezeigten schließen,<br />
dass die Fähigkeit der Umverpackung, die Aussage <strong>des</strong> Duftes zu un-<br />
terstreichen (= betonen), angezweifelt wird. Eine Umverpackung – das<br />
Wort für sich ist schon skurril genug und wird an anderer Stelle auch von<br />
vielen AL derart bewertet – kann erstens eigentlich die Aktivität <strong>des</strong> Un-<br />
terstreichens nicht ausführen, taugt also nicht in der Agensrolle, sondern<br />
ist als Instrumental zu werten. Zweitens ist eine Verpackung nur visuell<br />
und taktil wahrnehmbar und damit auch perzeptorisch unpassend für ei-<br />
ne Betonung (= Verstärkung) <strong>des</strong> Geruchseindrucks. Also wiederum:<br />
Das Verb unterstreichen fällt auf, leider aber erneut unangenehm.<br />
<strong>Die</strong>se Sichtweise wird von den beiden AL-Kommentaren zu unterstrei-<br />
chen unterstützt, die im Joop-Text zu finden sind:<br />
Markierung Kommentar<br />
AL-10: unterstreicht die Geradlinigkeit Merkwürdige Kombination zu Leidenschaft-<br />
AL-23: Der Flakon – unterstreicht die<br />
Geradlinigkeit<br />
lichkeit<br />
Klingt etwas gewollt<br />
Tabelle 43: Lesermarkierungen und -kommentare im Joop-Text zum Verb un-<br />
terstreichen<br />
Der Satz, in dem das Verb unterstreichen im Joop-Text auftaucht, war<br />
schon öfter Gegenstand kontroverser Markierungen und Kommentare<br />
(siehe die Ausführungen zu Attribuierungen). Er lautet:<br />
„Der schmal geschnittene und klar gestaltete Flakon unterstreicht die Geradli-<br />
nigkeit; seine warme und ungewöhnliche Farbgestaltung die Leidenschaftlich-<br />
keit und aufregende Wirkung <strong>des</strong> Duftes” [Hervorhebungen von mir].<br />
231
Vor allem der Kommentar von AL-23 ist aufschlussreich. Indem dort so-<br />
wohl die von unterstreichen regierte Nominativ- als auch Akkusativer-<br />
gänzung markiert ist, werden wieder die vom Verb aufgerufenen seman-<br />
tischen Rollen als „gewollt“ empfunden, als zwinge die <strong>Sprache</strong> dort et-<br />
was zusammen, was in der Welt nicht zusammengehört. <strong>Die</strong>s ist ein wei-<br />
teres Indiz zur Bestätigung der Annahme, dass auch bei den AL-<br />
Markierungen dieses Verbs (wie bei den anderen) zum wiederholten Ma-<br />
le mit Sicherheit die Ablehnung der als Agens getarnten Instrumentalrolle<br />
und möglicherweise auch die Ablehnung <strong>des</strong> synästhetischen Charak-<br />
ters der Konstruktion im Spiel waren, die sich hier in der Füllung der Pa-<br />
tiensrolle durch eine olfaktorische Größe zeigt, die mit der visuell und<br />
taktilen Qualitäten der Umverpackung semantisch/perzeptorisch nicht<br />
kongruiert.<br />
Das Verb verschmelzen<br />
„verschmelzen (...)<br />
ineinander übergehen, in einer Verbindung aufgehen<br />
zusammenfließen lassen, eng miteinander verbinden (...)“<br />
(Wahrig 1994: 1678).<br />
Das Verb verschmelzen kommt im Joop-Text in einer Sequenz vor, aus<br />
der es sich schlecht isolieren lässt. Da sich auch die Lesermarkierungen<br />
zum großen Teil auf die textliche Umgebung <strong>des</strong> Verbs beziehen, muss<br />
es vorwiegend in seinem syntaktisches Zusammenhang diskutiert wer-<br />
den. <strong>Die</strong> für die Analyse relevanten Teile <strong>des</strong> Satzes lauten:<br />
„Der exotische Fond (...) und ein dezenter Hauch (...) verschmelzen harmo-<br />
nisch ineinander.“<br />
Das Prädikat dieses Satzes ist komplex. Verschmelzen bindet in diesem<br />
Fall fakultativ das Adverb ineinander an sich und wird zudem noch modal<br />
aufgeladen durch das adverbial verwendete Adjektiv harmonisch. <strong>Die</strong> in<br />
Tabelle 44 aufgelisteten sechs AL-Markierungen beziehen sich auf ver-<br />
232
schiedene Markierungen innerhalb <strong>des</strong> Prädikats. Das Syntagma ver-<br />
schmelzen harmonisch ineinander erscheint als semantische Einheit zu<br />
dicht, als dass eine isolierende Betrachtung der drei Komponenten <strong>des</strong><br />
grammatischen Prädikats hier angebracht wäre. Isoliert markiert wurde<br />
das Verb verschmelzen überdies nur von einem AL.<br />
Markierungen Kommentare<br />
AL-14: ineinander ‚miteinander’ statt ‚ineinander’ wird erwartet<br />
AL-24: harmonisch Bestimmte Wörter werden zweimal gebraucht [Bezug zum<br />
Subtantiv Harmonie]<br />
AL-25: verschmelzen Legierungen werden verschmolzen – hat was mit Hitze zu tun<br />
AL-26: harmonisch Wurde schon gesagt, dass die Düfte harmonieren<br />
AL-28: ineinander Besser miteinander! Wg. harmonisch ineinander ist weniger<br />
harmonisch<br />
AL-30: ineinander Miteinander<br />
Tabelle 44: Lesermarkierungen und –kommentare im Joop-Text zum Verb ver-<br />
schmelzen<br />
Bemerkenswert ist, dass drei der sechs Leser (AL-14, AL-28, AL-30) sich<br />
an dem Adverb ineinander stören und teilweise statt<strong>des</strong>sen miteinander<br />
vorschlagen, obwohl beide Varianten im Deutschen legitim sind. Mögli-<br />
cherweise wird durch ineinander ein höherer Grad an Verbundenheit<br />
zweier oder mehrerer Elemente beziehungsweise deren Verschmelzung<br />
zu einem Element suggeriert als durch miteinander. Das AL-Unbehagen<br />
könnte beruhen auf einer Nichtakzeptanz der vom Text behaupteten Ver-<br />
schmelzung zweier Entitäten zu einer neuen. Es sind der exotische Fond<br />
und ein dezenter Hauch, deren Ineinander-Verschmelzen offenbar das<br />
semantische Empfinden der AL stört. Wahrscheinlich sind die beiden zu<br />
verschmelzenden Komponenten einander zu fremd, als dass den AL ein<br />
Ineinander möglich erscheint; das Miteinander, bei dem beide Kompo-<br />
nenten als solche erhalten bleiben, scheint gerade noch akzeptabel. Ü-<br />
berdies ist der Bezug von miteinander zur behaupteten Eigenschaft der<br />
233
Harmonie, den AL-28 aufzeigt, in der Tat plausibler. Denn Harmonie ist<br />
ein relationaler Begriff, der ein ausgewogenes Verhältnis zwischen min-<br />
<strong>des</strong>tens zwei Komponenten bezeichnet und im eigentlichen Sinne nicht<br />
als Bezeichnung für eine Entität verwendet werden kann. Im Fremdwör-<br />
ter-Duden heißt es nämlich zum Eintrag Harmonie unter anderem:<br />
„(...) ausgewogenes, ausgeglichenes, gesetzmäßiges Verhältnis der Teile zu-<br />
einander; Ebenmaß“ (Duden 4 1982: 297).<br />
<strong>Die</strong> Indizien weisen erneut auf eine allgemeine Inkongruenzwahrneh-<br />
mung der AL bezüglich der semantischen Rollen hin, die von verschmel-<br />
zen aufgerufen werden.<br />
Aber als spezielle Ausprägung semantischer Inkongruenz kann auch hier<br />
ein synästhetisches Phänomen beobachtet werden. <strong>Die</strong>se Betrachtung<br />
wird gestützt durch den Kommentar von AL-25, der explizit “ (...) hat was<br />
mit Hitze zu tun” als Assoziation zu verschmelzen notiert und damit als<br />
semantisches Merkmal von verschmelzen eine Temperaturbezogenheit<br />
aufzeigt und das Verb damit eindeutig dem taktilen (thermalen) Wahr-<br />
nehmungsbereich zuordnet. <strong>Die</strong> Synästhesie-Hypothese kann somit<br />
einmal mehr als Erklärungsmodell für die potenzielle Motivierung der AL-<br />
Markierungen herangezogen werden.<br />
3.9. Extrapolation der Verben<br />
Mit Ausnahme <strong>des</strong> Verbs unterstreichen stammen alle im Stichproben-<br />
korpus markierten Verben aus den Mittelteilen, die sich explizit um eine<br />
Beschreibung <strong>des</strong> Duftes bemühen. <strong>Die</strong>se Tatsache legt wiederum es<br />
nahe, beim Extrapolieren der markierten Verben gegen das Gesamtkor-<br />
pus auch nur diejenigen Verben ins Auge zu fassen, die in diesen Se-<br />
quenzen zu finden sind. Aus diesem Grund wird folgender Arbeitsschritt<br />
ausgeführt, wobei die Ergebnisse der Stichprobenanalyse als Aus-<br />
gangsbasis dienen.<br />
234
Sämtliche Verben aus den Mittelteilen der Produktbeschreibungen wer-<br />
den daraufhin überprüft, ob sie semantischen Eigenschaften aufweisen,<br />
die denjenigen der Stichprobenverben äquivalent sind. Geprüft wird im<br />
zweierlei:<br />
die perzeptorische Unangemessenheit der Verben im Bereich der<br />
Geruchsbeschreibung für <strong>Parfums</strong>, also ihr synästhetischer Cha-<br />
rakter und<br />
die Unangemessenheit der Subjekt-Prädikat-Relation in den Sät-<br />
zen beziehungsweise die von den Verben aufgerufenen semanti-<br />
schen Rollen (Agens vs. Instrumental), die diese Subjektposition<br />
besetzen.<br />
Zwei Fragenkomplexe, die sich aus den sprachfunktionalen Prämissen<br />
<strong>des</strong> Theorieteile dieser Untersuchung ergeben, sind dann innerhalb der<br />
sich anschließenden Diskussion an den extrapolierten Datensatz zu stel-<br />
len und zu klären.<br />
Der erste Fragenkomplex betrifft eine Evaluation aus der Perspektive<br />
<strong>des</strong> Textes. <strong>Die</strong> zentrale Frage hierbei lautet, ob die textseitige Motivati-<br />
on der Verben im Hinblick auf die Intention der Parfumtexte hinreichend<br />
aus den theoretischen Vorgaben erklärt werden kann. Anders formuliert:<br />
Warum werden gerade diese Verben für die Parfumtexte gewählt? Wel-<br />
chen positiven (konativen) Effekt versprechen sich die Texte durch die<br />
Verwendung der Verben? <strong>Die</strong> Theoriekonsistenz der aus dem Datensatz<br />
abzuleitenden Erklärungsvorschläge ist bei diesem Teilstück besonders<br />
wichtig, da ein bloßes Spekulieren über die Intention der Texte oder gar<br />
über die psychischen Motivationen der (anonymen) Verfasser unbedingt<br />
vermieden werden soll.<br />
Der zweite Fragenkomplex betrifft den Aspekt der Textrezeption, also die<br />
Rolle <strong>des</strong> Empfängers und damit Dekodierers der Textbotschaft. Es<br />
muss begründet dargestellt werden, inwiefern das Leserverständnis be-<br />
züglich der Verben fehlgeht und warum genau die extrapolierten Verben<br />
in Analogie zu den Stichprobenverben als auffallend gelten können. Des<br />
Weiteren muss <strong>des</strong>kriptiv nachgewiesen werden, inwieweit sich die ext-<br />
rapolierten Verben plausibel in das Paradigma der synästhetischen Aus-<br />
235
drücke integrieren lassen, also ob sich die Synästhesie-Hypothese auch<br />
bezüglich der extrapolierten Verben erhärten lässt.<br />
Beide Fragenkomplexe werden vor dem theoretischen Hintergrund <strong>des</strong><br />
Verhältnisses zwischen referentieller und poetischer Sprachfunktion dis-<br />
kutiert. Bezüglich der mutmaßlichen textseitigen Wirkung muss dabei<br />
noch die kommunikativen Gewichtung der konativen Sprachfunktion ein-<br />
bezogen werden.<br />
In Tabelle 45 sind zur Veranschaulichung die fünf von den AL markierten<br />
Verben der Mittelteile <strong>des</strong> Stichprobenkorpus in ein verfeinertes Katego-<br />
rienraster eingeordnet.<br />
<strong>Die</strong>ses Raster, das als Modell für die nachfolgende Einordnung aller ext-<br />
rapolierten Verben gelten soll, liefert zwei Arten von Information:<br />
Spalte zwei versucht die Zuweisung <strong>des</strong> entsprechenden Verbs zu der-<br />
jenigen Sinnesmodalität, die der konkret perzeptorischen Lesart <strong>des</strong><br />
Verbs am nächsten liegt. Hierbei geht es nicht darum, ein Verb apodik-<br />
tisch für einen perzeptorischen Referenzbereich festzuschreiben und<br />
damit sein perzeptorisches Potenzial normativ zu beschränken. Es sollen<br />
vielmehr innerhalb der polysemen Struktur <strong>des</strong> Verben diejenigen Lesar-<br />
ten herausgestellt werden, denen eine Sinnesmodalität als mutmaßlich<br />
originärer (denotativer) Referenzbereich zugeordnet werden kann. <strong>Die</strong>se<br />
Zuordnung sollte im Idealfall intuitiv eingängig sein, was aber wahr-<br />
scheinlich nicht immer der Fall ist und daher Stoff für Kontroversen bie-<br />
ten könnte. <strong>Die</strong> Zuordnungen in Spalte zwei sind keineswegs unproble-<br />
matisch. Sie wurden von mir ausgeführt und gehen das bewusst kalku-<br />
lierte Risiko ein, sich dem Vorwurf der Subjektivität auszusetzen. Ver-<br />
ben, bei denen eine Zuordnung zu einer Sinnesmodalität nach meiner<br />
Einschätzung nicht nachvollziehbar oder sogar unsinnig ist, wurden vor-<br />
sichtshalber mit unspezifisch etikettiert.<br />
Spalte drei weist das Subjekt <strong>des</strong> Satzes aus.<br />
236
Verb Sinnesmodalität Subjekt<br />
bestechen taktil Herznote<br />
sprühen unspezifisch Duft<br />
strahlen visuell Fond<br />
unterstreichen visuell Umverpackung<br />
verschmelzen taktil (thermal) (Fond Hauch)<br />
Tabelle 45: Verfeinerte Klassifizierung der vom AL markierten Verben <strong>des</strong><br />
Stichprobenkorpus<br />
Tabelle 46 bezieht sich auf das Gesamtkorpus. Es sind in alphabetischer<br />
Reihenfolge aufgeführt die 63 Verben der duftbeschreibenden Mittelteile<br />
sowie die entsprechenden Klassifizierungen aus der vorigen Beispiel-<br />
Tabelle.<br />
<strong>Die</strong> extrapolierten Daten mussten homogenisiert werden um eine mög-<br />
lichst transparente und damit nachvollziehbare Darstellung zu gewähr-<br />
leisten. Folgende Operationen wurden dabei vor der tabellarischen Auf-<br />
listung ausgeführt:<br />
Bei der Bestimmung der Subjekte war es manchmal nötig, ein Pronomen<br />
durch das entsprechende Substantiv zu ersetzten um die anaphorische<br />
Relation aufzuklären.<br />
Da Attribute als fakultative Elemente die elementare Semantik der Ver-<br />
ben nicht tangieren, wurden sie grundsätzlich eliminiert. (Beispiel: Aus<br />
dem Satz „Im Fond glüht die Wärme <strong>des</strong> Ambra und rauchiges Zedern-<br />
holz“ (Hugo Boss-Boss Elements) wurde nur extrahiert: Prädikat glü-<br />
hen; Subjekt Wärme.)<br />
Verben, die im Originaltext im Passiv stehen, wurden generell in Aktiv-<br />
Konstruktionen umgewandelt, da das genus verbi keinen nennenswerten<br />
Einfluss auf den semantischen Gehalt <strong>des</strong> grammatischen Prädikats hat.<br />
(Beispiel: Der Satz „Den belebenden Auftakt bildet ein erlesenes Kräu-<br />
ter-Bouquet, das im Herzen von blumigen Essenzen abgelöst wird“ (Hu-<br />
go Boss-Number One) enthält das passivisch verwendete Verb abgelöst<br />
237
werden. Nach der Eliminierungs- und Transformationsoperation, die mit<br />
der Verbklassifikation einhergehen, bleibt als syntaktische Grundkonfigu-<br />
ration:<br />
‚<strong>Die</strong> Essenzen lösen das Kräuter-Bouquet ab’ (Prädikat ablösen; Sub-<br />
jekt Essenzen).<br />
Es wurden nur Vollverben berücksichtigt, die „über eine selbständige le-<br />
xikalische Bedeutung verfügen und (...) syntaktisch das Zentrum <strong>des</strong><br />
Prädikats [bilden]“ (Bußmann 3 2002: 742). Grammatische Prädikate, die<br />
mit Kopulativverben oder Funktionsverbgefügen arbeiten fallen durch<br />
das Raster. Daher wurden Sätze wie „Das Eau de Toilette ist im Auftakt<br />
frisch und spontan durch Bergamott und Lavendel“ (Davidoff-Zino; Her-<br />
vorhebungen von mir) und ähnliche nicht berücksichtigt. <strong>Die</strong> Zahlen in<br />
Klammern geben die Häufigkeit der Verben im Gesamtkorpus an.<br />
238
Verb Sinnesmodalität Subjekte<br />
ablösen (3) unspezifisch Akkord; Essenzen; Hauch<br />
abrunden (8) taktil Akkorde; Aromen; Basisnote;<br />
239<br />
Geranie und Jasmin; Holzno-<br />
te; Noten; Sandelholz und Pat-<br />
chouli; Vetiver etc.<br />
auffangen (2) kinästhetisch + taktil Komposition; Vetiver etc.;<br />
ausstrahlen (2) taktil (thermal) + visuell<br />
+ kinästhetisch<br />
Herz; Kopfnote<br />
basieren auf (1) unspezifisch Herznote<br />
bestechen (5) taktil Basisnote (2); Komposition;<br />
Kopfnote; Herznote<br />
bestimmen (2) unspezifisch Essenzen<br />
betonen (1) auditiv Note<br />
bieten (1) unspezifisch Zimt<br />
bilden (7) visuell + taktil +<br />
kinästhetisch<br />
Edelholznoten; Frische; Holz-<br />
nuancen; Kopfnote; Kräuter<br />
und Gewürze; Kräuterbou-<br />
quet; Noten<br />
dominieren (6) unspezifisch Duftakkord; Elemente; Fri-<br />
sche; Geranien (...) und (...)<br />
Zimt; Kontrast; Zedernholz-<br />
Akkord<br />
entfalten (3) unspezifisch Duftkreation; Estragon und<br />
Wacholder; Parfum<br />
erinnern an (2) unspezifisch Akkord; Frische<br />
erklingen (1) auditiv Klänge
erstrahlen (3) visuell Akkord; Herznote; Kaliforni-<br />
240<br />
sche Zitrone etc.<br />
erwärmen (1) taktil Tonalitäten<br />
faszinieren (1) unspezifisch Einklang<br />
geben (3) unspezifisch Essenzen; Afrikanische Apfel-<br />
glühen (1) taktil (themal) + visuell Wärme<br />
sine etc.; Zitronenmischung<br />
harmonieren (1) unspezifisch Gourmetnoten Sandelholz<br />
heben (1) kinästhetisch + taktil Kopfnote<br />
hervorrufen (2) auditiv Zitrusfrüchte und Bergamotte;<br />
Ingredienzien<br />
kommen (1) kinästhetisch Wärme und Sinnlichkeit<br />
kontrastieren (1) unspezifisch Bergamotte etc.<br />
locken (2) unspezifisch Bouquet; Kopfnote<br />
münden in (3) unspezifisch Ausklang; Frische; Kompositi-<br />
prägen (4) unspezifisch Florale Noten etc.; Frische;<br />
pulsieren (1) taktil + kinästhetisch Fond<br />
on<br />
Fülle; Hölzer etc.; Männlichkeit<br />
schenken (1) unspezifisch Hauch; Zeder und Sandelhöl-<br />
schlagen (1) taktil + kinästhetisch Herznote<br />
sich entfalten (3) unspezifisch Duft; Note; Noten<br />
sich entwickeln (1) unspezifisch Aromen und Kräuter<br />
sich geben (3) unspezifisch Duft (2); Herznote<br />
zer
sich hinzugesellen (1) unspezifisch Noten<br />
sich offenbaren (1) visuell Bouquet<br />
sich öffnen (1) unspezifisch Duft<br />
sich präsentieren (5) visuell Basisnote; Duft; Fond; Herz-<br />
241<br />
note; Kopfnote<br />
sich verbinden (4) unspezifisch Klänge Bouquet; Karda-<br />
mom Pfeffer; Frische <br />
Sinnlichkeit; Zitrusnoten <br />
Gewürzakkord<br />
sich vereinen (2) unspezifisch Kraft Frische Transpa-<br />
renz Tiefe; Sandelholz <br />
Moschus peruvianisches<br />
Balsam<br />
sich vereinigen (1) unspezifisch Frische Feuer<br />
sich vermischen (2) unspezifisch Harze Töne; Hölzer<br />
sich zeigen (1) visuell Basis<br />
sich ziehen (durch) (1) unspezifisch Hauch<br />
sich zusammensetzen<br />
aus (1)<br />
unspezifisch Duft Hauch<br />
sorgen für (1) unspezifisch Basisnoten<br />
spielen (Hauptrolle) (1) unspezifisch Jasmin und Geranium<br />
sprühen (1) unspezifisch Duft<br />
stecken in (1) unspezifisch Geranien und Scharlachsalbei<br />
strahlen (1) visuell Fond<br />
treffen auf (1) unspezifisch Tiefe
überraschen (1) unspezifisch Kopfnote<br />
überzeugen (1) unspezifisch Kopfnote<br />
unterstreichen (2) visuell Noten; Pfefferminze<br />
verführen (1) unspezifisch Akkorde<br />
verleihen (6) unspezifisch Aromatische Moose; Basisno-<br />
verlocken (1) unspezifisch Pflanzen<br />
242<br />
te; Grapefruit etc.; Grundnote;<br />
Herznote; Sandelholz etc.<br />
vermitteln (4) unspezifisch Herznote; Komposition; Kopf-<br />
note; Noten<br />
verschmelzen (3) taktil (thermal) Ambra Tabak Moschus<br />
Honig; Elemente Zeder<br />
und Tabak; Zeder- und San-<br />
delhölzer Hauch<br />
versprühen (1) unspezifisch Orangenblüten<br />
verströmen (2) (olfaktorisch) Fond; Kopfnote<br />
vollenden (1) unspezifisch Ambra<br />
wecken (Erinnerungen) (1) unspezifisch Noten<br />
wirken (1) unspezifisch Eindruck; Harze<br />
Tabelle 46: Verben aus den geruchsbeschreibenden Textteilen <strong>des</strong> Gesamtkor-<br />
pus
3.9.1. Synästhetischer Gebrauch der Verben<br />
Nun werden die extrapolierten Verben mit der Synästhesie-Hypothese in<br />
Zusammenhang gebracht. Tabelle 47 zeigt zunächst die quantitative<br />
Verteilung der Verben auf die verschiedenen Sinnesmodalitäten.<br />
Sinnesmodalität Anzahl der Verben<br />
visuell 9<br />
auditiv 3<br />
kinästhetisch 7<br />
taktil 11<br />
gustatorisch -<br />
olfaktorisch 1<br />
unspezifisch 42<br />
Tabelle 47: Quantitative Verteilung der Verben auf die Sinnesmodalitäten<br />
Es fällt auf, dass unter den 63 zur Diskussion stehenden Verben nur ei-<br />
nes (verströmen) sinnvollerweise direkt mit der olfaktorischen Sinnes-<br />
modalität in Verbindung gebracht werden kann.<br />
Es lässt sich unter den 63 evaluierten Verben zwar eine Tendenz zur<br />
synästhetischen Metaphorik feststellen, allerdings gelang dies im Ge-<br />
samtkorpus nur für 30 der 63 Verben (ca. 48%): taktil (11), visuell (9),<br />
kinästhetisch (7) und auditiv (3). <strong>Die</strong> Kategorie gustatorisch ist gar nicht<br />
belegt. Bei den Verben <strong>des</strong> Stichprobenkorpus konnte immerhin für vier<br />
der fünf Verben (80%) der synästhetische Charakter nachgewiesen wer-<br />
den.<br />
Interessant ist vor allem die Beobachtung, dass die heraus stechende<br />
Dominanz der auditiven Sinneswahrnehmung als metaphorischer Quell-<br />
bereich, die sich für die Fachvokabeln nachweisen ließ, bezüglich der<br />
Verben nicht beobachtet werden kann.<br />
Als ein Ergebnis der Extrapolation kann also festgehalten werden, dass<br />
die Synästhesie-Hypothese in ihrer stringenten Form bezüglich der Ver-<br />
243
en als falsifiziert betrachtet werden muss. Es ist nun weitergehend zu<br />
prüfen, ob sie derart modifiziert werden kann, dass sie in modifizierter<br />
Form trotzdem als Erklärungsmodell für die Verben der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Ge-<br />
ruchs im Spiel bleiben kann.<br />
3.9.2. Prozessual-dynamische Verben<br />
Relativ unerwartet ist die Beobachtung, dass 42 der 63 Verben (ca. 67%)<br />
als unspezifisch klassifiziert wurden. Es ist nicht möglich, ihnen plausibel<br />
und ohne verkrampfte Legitimation einen primären oder überhaupt einen<br />
perzeptorischen Referenzbereich zuzuordnen, der durch entsprechende<br />
semantische Merkmale hinreichend gedeckt wäre. Allerdings weisen<br />
diese Verben eine andere semantische Regelhaftigkeit auf, die man<br />
nicht als punktuell oder zufällig abtun kann, sondern als strukturelles<br />
Phänomen ansehen sollte. Obwohl die meisten der unspezifischen Ver-<br />
ben etwas mit Bewegung zu tun haben, bezieht sich diese nicht notwen-<br />
dig auf Wahrnehmungen, die die Bewegung <strong>des</strong> menschlichen Körpers<br />
betreffen. Es würde daher zu weit gehen, diese Verben ohne Weiteres in<br />
die Klasse kinästhetisch einzuordnen. Es fällt aber auf, dass bei 23 der<br />
42 perzeptorisch unspezifischen Verben (ca. 55%) semantische Merk-<br />
male beobachtbar sind, die man im weiteren Sinne als prozessual-<br />
dynamisch bezeichnen kann. Sie beschreiben einen Bewegungs-, Trans-<br />
formations- oder Übergangsprozess und damit die Bewegung physikali-<br />
scher Körper.<br />
<strong>Die</strong> Tabellen 48 (a) und 48 (b) isolieren aus den Verben der Klasse un-<br />
spezifisch diejenigen, für die das prozessual-dynamische Kriterium gel-<br />
tend gemacht werden kann und bieten Beispielsätze an, die dieses Phä-<br />
nomen verdeutlichen. <strong>Die</strong> Verben sind in Simplizia und komplexe Verben<br />
unterteilt. Sämtliche Beispielsätze entstammen dem Wortschatzlexikon<br />
der Universität Leipzig (www.wortschatz.informatik.uni-leipzig.de, Zugriff<br />
am 24.03.04), auf der ein umfassen<strong>des</strong> Korpus authentischer Sätze der<br />
deutschen Gegenwartssprache digitalisiert ist. <strong>Die</strong> Explikation der Ver-<br />
244
en mittels korpusbasierter Beispielsätze eignet sich, um die prozessual-<br />
dynamischen Semantik der Verben nachzuweisen und intuitiv eingängig<br />
darzustellen.<br />
Verb (Simplex) Beispielsatz<br />
geben Breuer hatte dem Sender gesagt, dem Vernehmen nach wollten<br />
die deutschen Banken Kirch auf unveränderter Basis kein weite-<br />
res Geld mehr geben.<br />
kommen Das heißt, Fremd- oder Giftstoffe - als solche erkennt der Körper<br />
auch viele hochwirksame Arzneistoffe - werden unter Johannis-<br />
krauteinfluss schneller wieder ausgeschieden oder kommen gar<br />
nicht erst in den Körper hinein.<br />
locken Musikfestivals im Land Brandenburg locken zu Landpartien.<br />
münden (in) Der Börsenmakler und Bilderbuch-Yuppie Patrick Bateman ent-<br />
puppte sich als bestialischer Serienkiller, sein beruflicher Erfolg<br />
schien fast zwangsläufig in die Mordlust zu münden.<br />
schenken <strong>Die</strong> meisten Männer waren damit beschäftigt zu demonstrieren,<br />
dass sie jede Stunde, die Gott ihnen schenkte, mit Arbeit ver-<br />
brachten.<br />
(sich) geben (siehe geben)<br />
(sich) öffnen Direkt am Eingang locken die Berge als gleißende Gipssilhouette<br />
über einer weißen Wand, in die Miniatur-Türen eingelassen sind -<br />
doch nur eine lässt sich öffnen.<br />
(sich) ziehen durch Je<strong>des</strong> Jahr werden so genannte Mai-Feiern angemeldet, je<strong>des</strong><br />
Jahr wird die Deeskalation ausgelobt und je<strong>des</strong> Jahr kommen die<br />
Gleichen, um brandschatzend und plündernd durch die Straßen<br />
zu ziehen.<br />
sprühen Da faucht, sprüht, dampft und blubbert, spritzt und brodelt es tau-<br />
sendfach aus dem Boden.<br />
treffen (auf) Dort traf er ausgerechnet auf den Primatenpfleger.<br />
wirken Schließlich wirken Gefühle länger und gründlicher als Werbe-<br />
Jingles.<br />
Tabelle 48 (a): Prozessual-dynamische Verben (Simplizia) und Beispielsätze<br />
245
Komplexes Verb Beispielsatz<br />
ablösen Deshalb schlage ich den Genossen vor, sich zu überlegen, wie<br />
man Stalin ablösen und einen anderen an diese Stelle setzen<br />
kann.<br />
entfalten Geheimnisse umschweben Liebende, sie hüllen sie in ihre Zau-<br />
berschleier, aus denen sich schöne Träume entfalten.<br />
(sich) entfalten <strong>Die</strong> Knospe weiß nicht, daß sie zur Blume sich entfalten wird, und<br />
wenn es ein Zauberer ihr verriete, wer weiß, ob die Rosenblätter<br />
dann so rot aufgingen!<br />
(sich) entwickeln Wie Bäume ließ er die Architektur sich entwickeln, wachsen, und<br />
sagte: „Alles fließt."<br />
(sich) hinzugesellen Nein, bevor nicht irgendwelche Außerirdischen entdeckt werden,<br />
die sich zu den 1614 Ausstellern hinzugesellen, bleibt wenig Hoff-<br />
nung auf Besserung.<br />
(sich) verbinden Wie alle diese Kräfte zusammengekommen sind, sich verbinden<br />
und scheiden und allerlei Erscheinungen hervorbringen, hat noch<br />
kein menschlicher Kopf für Sinn und Verstand erklärt.<br />
(sich) vereinen An der Stelle, wo die gewaltigen Fluten <strong>des</strong> Lechs und der Donau<br />
sich vereinen, erhob sich auf steiler Felsenhöhe die Burg der<br />
mächtigen Grafen von Lechsgemünd, später von Graisbach ge-<br />
nannt.<br />
(sich) vereinigen Wie der gefesselte Höhlenbewohner den Schatten der Platoni-<br />
schen Idee, sieht er den Schatten <strong>des</strong> Kutschers mit dem Schat-<br />
ten der Haushälterin auf dem Küchentisch sich vereinigen.<br />
(sich) vermischen Sie kamen einander ja mit ihren Lippen so nah, daß ihr Athem<br />
sich vermischen und zusammenfliessen mußte.<br />
verführen Er könnte einen dazu verführen, mehr zu sagen als man will, nur<br />
damit man diese Leere mit Verstand erfülle.<br />
246
verlocken Vielleicht ließen sich die Wachen durch den Braten verlocken,<br />
ihre Posten zu verlassen.<br />
versprühen Pocken- und Milzbranderreger lassen sich in großen Mengen<br />
züchten, lagern und als so genannte Aerosole (feine Schwebe-<br />
tröpfchen) über weite Areale versprühen.<br />
Tabelle 48 (b): Prozessual-dynamische Verben (Präfigierungen) und Beispiel-<br />
sätze<br />
Im Falle derjenigen Verben, die als präfigierte Derivationen erscheinen,<br />
kann hierüber hinaus deren prozessual-dynamische Semantik mittels ei-<br />
ner Analyse ihrer komplexen morphologischen Strukturen nachgewiesen<br />
werden. <strong>Die</strong> verwendeten Präfixe transportieren als gebundene Mor-<br />
pheme ebenfalls Bedeutungsmodifikationen, die entweder den Verb-<br />
stämmen semantische Bewegungsmerkmale hinzufügen oder ihnen ü-<br />
berhaupt erst eine dynamische Komponente verleihen. Neben „der Ab-<br />
stufung und Differenzierung <strong>des</strong> Aspekts und der Aktionsart, betrifft näm-<br />
lich der zweite Effekt, der bei den Verben durch die Präfigierung ent-<br />
steht, (...) räumliche, besonders richtungsbezogene Bedingungen der<br />
bezeichneten Vorgänge und Handlungen. In erster Linie sind es die aus<br />
Präpositionen hervorgegangenen Halbpräfixe, die dazu vor allem in Ver-<br />
bindung mit Bewegungsverben herangezogen werden“ (Duden 6 1998: §<br />
806 f.).<br />
Tabelle 49 zeigt die unterschiedlichen Wortbildungsmorpheme, die bei<br />
den prozessual-dynamischen Verben an die Stämme herantreten sowie<br />
deren spezifische semantische Funktion, wie sie jeweils im Grammatik-<br />
Duden (Duden 6 1998) formuliert ist.<br />
247
Wortbildungs-<br />
element<br />
Art <strong>des</strong> Elements Semantische Funktion<br />
ab- (1) trennbares Halbpräfix „Als Halbpräfix hat ab- meist räumliche<br />
248<br />
Bedeutung, gibt die Bewegung ‚von<br />
etwas weg, fort’ an (...). Ferner drückt<br />
ab- die Löslösung, Trennung, Entfer-<br />
nung (...) aus“ (Duden 6 1998: § 819).<br />
ent- (3) nicht trennbares Präfix „In über 90% der Fälle gibt ent- ein<br />
Entfernen (‚weg’) an (...). Wo ent- sei-<br />
ner Hauptbedeutung entsprechend mit<br />
Verben verbunden wird, die selbst<br />
schon eine Bewegung <strong>des</strong> Entfernens<br />
ausdrücken, hebt das Präfix diese<br />
noch stärker ins Bewußtsein“ (Duden<br />
6 1998: § 813).<br />
hinzu- (1) trennbares Halbpräfix „’heran’“ (Duden 6 1998: § 807).<br />
ver- (7) nicht trennbares Präfix „Bei aller Unterschiedlichkeit haben im<br />
heutigen deutsch die meisten Präfix-<br />
verben mit ver- das Merkmal gemein-<br />
sam, das Ende eines zeitlichen Ab-<br />
laufs anzugeben, und zwar in der Wei-<br />
se, dass etwas in einen bestimmten<br />
Zustand gelangt (...) oder gebracht<br />
wird (...) Duden 6 1998: § 811).<br />
Tabelle 49: Prozessual-dynamische Verben – semantische Funktion der Präfixe<br />
und Halbpräfixe<br />
<strong>Die</strong>se komprimierte Übersicht weist morphologisch nach, dass für sämt-<br />
liche Präfixe der in Frage stehenden komplexen Verben bewegungsbe-<br />
zogene Bedeutungsmodifikationen nachzuweisen sind, die sich entwe-<br />
der auf räumliche oder zeitliche Entwicklungen beziehen lässt oder für<br />
beide Dimensionen zutreffen.
3.9.3. Ikonizität als Motivation der prozessual-dynamischen Verben<br />
Nachdem der prozessual-dynamische Charakter der Verben analytisch<br />
nachgewiesen wurde – sowohl semantisch über die Beispielsätze als<br />
auch morphologisch über die Offenlegung charakteristischer Wortbil-<br />
dungsmechanismen – stellt sich nun die Frage nach der Motivation der<br />
Verben in den Texten. Immerhin darf man nicht aus den Augen verlieren,<br />
dass man es hier mit Verben zu tun hat, die eigentlich in Kontexten Ver-<br />
wendung finden, in denen es um Beschreibungen von Geruchsqualitäten<br />
geht. Man könnte sich diesbezüglich generell die schon häufiger ange-<br />
klungene Auffassung der Leser aneignen und auch bei den prozessual-<br />
dynamischen Verben von einer generellen semantisch-perzeptorischen<br />
Unangemessenheit im Parfumdiskurs sprechen. Ihre überdurchschnitt-<br />
lich hohe Frequenz in den duftbeschreibenden Textsequenzen geben zu<br />
der Vermutung Anlass, dass die Verben nicht zufällig derart gehäuft auf-<br />
tauchen. Sondern vielmehr ist anzunehmen, dass sie ein strukturelles<br />
Muster bilden, welches argumentativ herauszuarbeiten ist. <strong>Die</strong> folgenden<br />
Interpretationen legitimieren sich durch den semiotische Elementarbegriff<br />
der Ikonizität, der im Theorieteil ausführlich rekonstruiert wurde (siehe<br />
Abschnitt 1.4.3.).<br />
Im Abschnitt über die Analyse der Fachvokabeln <strong>des</strong> Stichprobenkorpus<br />
wurde bereits die olfaktorische Eigentümlichkeit der Duftentwicklung von<br />
<strong>Parfums</strong> thematisiert, die innerhalb <strong>des</strong> professionellen Jargons als<br />
Duftablauf bezeichnet wird. Der Duftablauf unterteilt sich wie gesagt in<br />
Kopf-, Herz- und Basisnote (vgl. Müller 1991: 67). <strong>Die</strong>se Veränderung<br />
der Duftqualität eines <strong>Parfums</strong> kann man leicht im Selbstexperiment ü-<br />
berprüfen; ein Parfum riecht in der Tat direkt nach dem Auftragen (=<br />
Kopfnote) anders als nach einer Stunde (= Herznote) und noch anders<br />
nach mehreren Stunden oder am Morgen danach (= Basisnote).<br />
Es können nun zwei verallgemeinernde Schlussfolgerungen aus dem<br />
olfaktorischen Sachverhalt <strong>des</strong> Duftablaufs gezogen werden, die die pro-<br />
zessual-dynamischen Verben der Parfumtexte mit dem ikonischen Rep-<br />
räsentationsmodus in Zusammenhang bringen. <strong>Die</strong> globale Tatsache,<br />
249
dass in den Texten die Kopf-, Herz- und Basisnoten in genau dieser Rei-<br />
henfolge beschrieben wird, kann als textchoreografisches Indiz für eine<br />
ikonische Repräsentation <strong>des</strong> Duftablaufs gewertet werden. <strong>Die</strong> zeitliche<br />
Reihenfolge der drei Wahrnehmungsphasen <strong>des</strong> Duftablaufs korrespon-<br />
diert mit der räumlichen (= texttopografischen) Lesewahrnehmung. <strong>Die</strong><br />
horizontalen Lokalisierungen oben, Mitte, unten werden projiziert auf die<br />
vertikalen Ebene der Linearität der Textes. Denn in den Texten wird im-<br />
mer zuerst die Kopfnote (= oben), dann die Herznote (= Mitte) und<br />
schließlich die Basisnote (= unten) thematisiert, wodurch auf sprachlicher<br />
Ebene die Prozesshaftigkeit <strong>des</strong> Duftablaufs simuliert wird.<br />
Auf lexikalischer Ebene wird die sprachlich-ikonische Repräsentation <strong>des</strong><br />
Duftablaufs realisiert durch die strukturelle Verwendung der prozessual-<br />
dynamischen Verben. Sie bieten dem Rezipienten über die textimma-<br />
nente Lesebewegung hinaus textexterne Assoziationsmöglichkeiten, in-<br />
dem sie seine referentielle Aufmerksamkeit auf die Tatsache der Dyna-<br />
mik lenken, die den Verben immanent ist.<br />
Das Ikonizitäts-Argument soll abgeschlossen werden mit einer exempla-<br />
rischen Beschreibung eines Textauszugs aus der Produktbeschreibung<br />
zu Calvin Klein-Escape Men, an Hand <strong>des</strong>sen dieser Effekt sehr plas-<br />
tisch veranschaulicht werden kann:<br />
„Kennzeichnend ist der Duft frischer grüner Birkenblätter auf allen Ebenen: In<br />
der Kopfnote gesellen sich fruchtige und grüne Noten hinzu, die Frische und<br />
Natürlichkeit vermitteln. In der Herznote entwickeln sich würzige Aromen und<br />
frische Kräuter, die schließlich durch Vetiver, Sandelholz und Eichenmoos im<br />
Fond warm und sinnlich aufgefangen werden“ [Hervorhebungen von mir].<br />
Der einleitende Satz dieser duftbeschreibenden Sequenz nennt bereits<br />
die verschiedenen Ebenen, auf denen sich die olfaktorische Entwicklung<br />
<strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> abspielt, wobei der Begriff Ebene sowohl zeitlich (Duftab-<br />
lauf) als auch räumlich (Leseverlauf) verstanden werden kann. Während<br />
der Duftablauf sich in Ebenen gliedert, die zeitlich nacheinander zum<br />
Tragen kommen, ist analog hierzu der Leseverlauf in ein Nacheinander<br />
räumlicher Ebenen gegliedert. Standardgemäß werden dann die drei<br />
250
Duftphasen in Anlehnung an den zu beschreibenden Duftablauf nach-<br />
einander verbalisiert:<br />
Kopfnote Herznote Fond.<br />
<strong>Die</strong> Verben, die den Text hierüber hinaus dynamisieren sind<br />
sich hinzugesellen,<br />
entwickeln,<br />
auffangen.<br />
Folgende abstrakt formulierte Paraphrase macht die suggerierte Dyna-<br />
mik noch transparenter:<br />
Zunächst kommt zu dem allgemeinen Duftcharakter etwas hinzu,<br />
dann kommt etwas Neues zu Stande und schließlich fängt Etwas<br />
etwas Anderes auf.<br />
Man kann dabei fast den Eindruck gewinnen, als träfen sich einige Kin-<br />
der zu einem Ballspiel oder – mit etwas mehr erwachsener Phantasie –<br />
als träfen sich Erwachsene zu einem erotischen Stelldichein. Abschlie-<br />
ßend kann zusammenfassend festgehalten werden: <strong>Die</strong> Ähnlichkeitsrela-<br />
tion, die dem ikonischen Repräsentationsmodus hier zu Grunde liegt und<br />
ihn legitimiert, besteht in dem Moment <strong>des</strong> prozessualen Dynamik, die<br />
sich entweder auf den zeitlichen Duftablauf (Duftperzeption), den räumli-<br />
chen Leseablauf (Textrezeption) oder jede Leserassoziation beziehen<br />
kann, die etwas mit Bewegung zu tun hat.<br />
3.9.4. Verben und ihre kommunikative Funktion<br />
<strong>Die</strong> Auswertung der Extrapolation konnte den Anfangsverdacht der AL<br />
bestätigen, dass es mit der Referentialität der Verben ein Problem gibt.<br />
Man findet zwar unter den Verben im Gegensatz zu den zuvor fokussier-<br />
ten Fachvokabeln und Attribuierungen weder neologistische Wortkreati-<br />
onen noch skurrile Ad-hoc-Konstruktionen, die als Lexeme oder Phrasen<br />
an sich schon Unverständnis erzeugen. An sich zeigen die Verben we-<br />
251
der semantisch noch morphologisch besonders ungewöhnliche Merkma-<br />
le.<br />
Außerdem haben im Gegensatz zu den Fachvokabeln und Attribuierun-<br />
gen die Verben eine prinzipiell andere Funktion. Bei Ersteren darf der<br />
Leser zurecht erwarten, über das Produkt informiert zu werden. Bei den<br />
Verben jedoch fällt die <strong>des</strong>kriptiv-informative Funktion von vornherein<br />
heraus. Es werden durch sie ja offensichtlich nicht wirklich olfaktorische<br />
Handlungen, Abläufe oder Zustände beschrieben, dann müsste es sich<br />
bei den Verben um (Quasi-)Synonyme der prototypischen Geruchsver-<br />
ben duften oder riechen handeln und dies ist nicht der Fall. Vielmehr ist<br />
es der Kontext der Parfumwerbung, in dem sie prinzipiell als unpassend<br />
erscheinen.<br />
Das vom AL bereits erspürte Hauptproblem liegt einerseits, wie sich<br />
durch die Extrapolation großflächig gezeigt hat, in der Tat in der struktu-<br />
rell und nicht nur punktuell unangemessenen semantischen Besetzung<br />
der Subjektposition. <strong>Die</strong>ser Umstand ist aus der Sicht der referentiellen<br />
Funktion der <strong>Sprache</strong> insofern problematisch, als die semantischen Rol-<br />
len konstitutiven Anteil an der semantischen Struktur <strong>des</strong> gesamten Sat-<br />
zes haben. Ganz allgemein kann man nämlich behaupten, dass die ge-<br />
samte Satzsemantik kollabiert, wenn innerhalb der entscheidenden Rela-<br />
tion Prädikat-Subjekt ein Kategorienfehler in Form einer semantischen<br />
Inkongruenz auftritt. Ein solcher Satz wird in eigentlicher, konventionell<br />
informativer Lesart unsinnig. Beispielsweise kann der Satz „Der Fond<br />
strahlt mit der sinnlichen Wärme von Ambra und Vanille“ (Lagerfeld-<br />
Lagerfeld; Hervorhebungen von mir) nicht im eigentlichen Sinn verstan-<br />
den werden; ein Fond kann nicht strahlen. Er ist unter der Prämisse der<br />
in der üblichen Kommunikation dominierenden referentiellen Sprachfunk-<br />
tion unsinnig und kann nicht adäquat in eine propositionale Aussage ü-<br />
berführt werden. <strong>Die</strong>se würde lauten:<br />
*Es ist der Fall, dass der Fond strahlt<br />
und kommt einem Standard-Leser, der erwartet über einen Parfumge-<br />
ruch informiert zu werden, zurecht absurd vor. Den impliziten konativen<br />
252
Effekt der Produktbeschreibung vorausgesetzt, taucht also die Frage<br />
nach der funktional-kommunikativen Motivation der Verben auf.<br />
Da die Worte in einem Werbetext naturgemäß auf einen positiven Ap-<br />
pelleffekt zielen und niemals zufällig gewählt werden, kann wie im Falle<br />
der Fachvokabeln und der Attribuierungen eine poetische gestützte ko-<br />
native Motivation angenommen werden. Zwar hat sich die strenge Auf-<br />
fassung der Synästhesie-Hypothese, die das Inkongruenzphänomen der<br />
sprachlichen Synästhesie als poetisch relevantes Merkmal ausweist, be-<br />
züglich der Verben als lexikalische Einheiten nicht bestätigt. Allerdings<br />
kann die ikonische Motivation der Verben als sprachliche Synästhesie im<br />
weiteren Sinne verstanden werden. Denn durch die ikonische Repräsen-<br />
tation <strong>des</strong> Duftablaufs, den die prozessual-dynamischen Verben insze-<br />
nieren, wird ein olfaktorischer Prozess durch den dynamischen Ablauf<br />
der Zeit dargestellt. Man kann daher sowohl die systematische Inkon-<br />
gruenz der Subjekt-Prädikat-Relation als auch die ikonische Qualität der<br />
prozessual-dynamischen Verben als Ausprägung der poetischen<br />
Sprachfunktion betrachten, die die referentielle Funktion überlagert oder<br />
sogar außer Kraft setzt.<br />
3.9.5. Verben und ihre poetische Relevanz<br />
Das Moment der rezipientenseitigen Deautomatisierung <strong>des</strong> Lesepro-<br />
zesses als indikatorischer Ansatzpunkt für das Wirken der poetischen<br />
Sprachfunktion kann für die Verben in jedem Fall reklamiert werden.<br />
Durch den Umstand <strong>des</strong> ‚Störens beim Lesen’ sind sie ja neben den<br />
Fachvokabeln und den Attribuierungen überhaupt erst in das analytische<br />
Interesse gerückt.<br />
Für den <strong>des</strong>kriptiven Nachweis ihrer poetischen Relevanz, also ihres<br />
Status als „stilistischer Stimulus“ (Riffaterre 1973: 53), kann sowohl Riffa-<br />
terres Konzept <strong>des</strong> Mikrokontextes als auch das <strong>des</strong> Makrokontextes he-<br />
rangezogen werden.<br />
253
Betrachtet man die Verben aus syntaktischer Perspektive als konstituti-<br />
ven Teil <strong>des</strong> Prädikats, eignet sich das Konzept Mikrokontext für die Ex-<br />
plikation der problematischen Subjekt-Prädikat-Relationen. Wenn man<br />
vom (finiten) Verb als semantischem und syntaktischem Kern <strong>des</strong> Satzes<br />
ausgeht, determiniert es die weiteren Konstituenten <strong>des</strong> Satzes und<br />
weist ihnen die entsprechenden syntaktischen Funktionen sowie die se-<br />
mantischen Rollen zu.<br />
Bei der obligatorischen Kongruenzbeziehung zwischen Prädikat und<br />
Subjekt eines Satzes kann man behaupten, dass es sich um ein syntak-<br />
tisches Stereotyp handelt, das nach einer funktionalen Grammatikauf-<br />
fassung semantisch motiviert ist. Das charakteristische bipolare Span-<br />
nungsfeld der Beziehung Prädikat-Subjekt kann in diesem Zusammen-<br />
hang als Mikrokontext Riffaterrescher Prägung angesehen werden. In-<br />
nerhalb dieser Beziehung ist ein potenzieller struktureller Kontrast zu lo-<br />
kalisieren, der den poetischen (stilistischen) Impuls ausmacht, wobei<br />
man die Analyseebenen Syntax und Semantik nicht trennen kann. Denn<br />
je<strong>des</strong> Verb etabliert zunächst auf Grund seiner Valenzstruktur im stan-<br />
dardsprachlich kompetenten Rezipienten eine wenngleich als latent an-<br />
zunehmende Erwartungshaltung darauf hin, welche anderen Elemente in<br />
der syntaktischen Umgebung <strong>des</strong> jeweiligen Verbs auftauchen können,<br />
welche Lexeme also als Kollokationen <strong>des</strong> Verbs wahrscheinlicher sind<br />
als andere. <strong>Die</strong>se Erwartungshaltung bezieht sich auf die syntaktische<br />
Kategorien (Prädikat-Subjekt) wie auf semantische Kategorien (semanti-<br />
sche Rollen; hier: Agens vs. Instrumental). <strong>Die</strong> konventionelle Regelhaf-<br />
tigkeit dieser stereotypen Relationen wird im Falle der Parfumtexte je-<br />
doch, wie durch vielfache empirische Belege gezeigt werden konnte,<br />
konsequent und systematisch unterminiert.<br />
Der poetische Effekt besteht darin, dass die berechtigte Erwartung einer<br />
dem Verb angemessenen semantischen Rolle enttäuscht wird. <strong>Die</strong> se-<br />
mantische Inkongruenz der Beziehung wird bewusst wahrgenommen bei<br />
gleichzeitiger Wahrnehmung der syntaktisch kongruenten Relation Prä-<br />
dikat-Subjekt. Anders formuliert: Der textseitig inszenierte Bruch mit der<br />
semantischen Konvention und die damit einhergehende Kontrastwahr-<br />
254
nehmung <strong>des</strong> Lesers machen das stilistische Verfahren aus. Während<br />
eine dem Verb adäquate semantische Rolle automatisch dekodiert wird<br />
und damit nicht weiter auffällt, fällt deren Unangemessenheit sehr wohl<br />
auf, zieht die Leseraufmerksamkeit über Gebühr auf sich und muss da-<br />
her deautomatisiert dekodiert werden. Man kann also konsistenterweise<br />
vermuten, dass diese Kontrastwahrnehmung, die von den AL erspürt,<br />
teilweise sogar benannt und mit <strong>des</strong>kriptiven Mitteln an Hand <strong>des</strong> Ge-<br />
samtkorpus abgesichert wurde, verantwortlich ist für die Deautomatisie-<br />
rung <strong>des</strong> Leseprozesses. Damit kann sie legitimerweise als methodisch<br />
fundiert herausgearbeiteter, poetisch relevanter sprachlicher Stimulus<br />
gewertet werden, der die Dominanz der poetischen Funktion anzeigt.<br />
Nimmt man bei der Explikation der Verben diese jedoch als lexikalische<br />
Einheiten in den Blick, bietet sich das Konzept <strong>des</strong> Makrokontextes an<br />
um ihre poetische Relevanz nachzuweisen. Das situative Setting, in das<br />
die Texte eingebettet sind, also die Tatsache, dass die als Produktbe-<br />
schreibungen für ein Parfum werben, determiniert auch bezüglich der<br />
gebrauchten Verben die Erwartung, dass sie etwas über den Duft aus-<br />
sagen. Da aber die prozessual-dynamischen Verben zur Beschreibung<br />
<strong>des</strong> Duftes nichts beitragen, sondern lediglich auf ikonische Weise den<br />
Duftablauf simulieren, brechen sie von vornherein mit dem zu erwarten-<br />
den Makrokontext, noch bevor er sich textlich manifestiert hat. Der zu<br />
erwartende Makrokontext bleibt damit virtuell oder latent. Man würde als<br />
Kontext-Pattern Verben wie duften oder riechen erwarten. Es handelt<br />
sich bei dem inflationären Gebrauch prozessual-dynamischer Verben<br />
gewissermaßen um die synästhetische Inszenierung einer Synonymiere-<br />
lation zu duften und riechen. Weil diese Erwartung aber enttäuscht wird<br />
und die Inszenierung nicht akzeptiert wird, ziehen die semantisch unan-<br />
gemessenen Bewegungsverben sofort die Aufmerksamkeit auf sich. Sie<br />
determinieren eine Kontrastwahrnehmung zu den erwarteten Verben <strong>des</strong><br />
virtuellen Makrokontextes und können somit ebenfalls als poetisch rele-<br />
vant betrachtet werden.<br />
<strong>Die</strong>se Verben sind insofern als synästhetisch im weiteren Sinne zu be-<br />
trachten, als sie vorgeben, bei der Beschreibung der Düfte eine informie-<br />
255
ende Rolle zu spielen, de facto aber dynamische Bewegungsabläufe<br />
beschreiben.<br />
256
4. SCHLUSSBETRACHTUNG<br />
4.1. Was <strong>Sprache</strong> kann und was nicht<br />
„Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht<br />
reden kann, darüber muss man schweigen“<br />
(Wittgenstein 1963: 7).<br />
Wenn Wittgenstein dieses viel zitierte Diktum aus dem Vorwort seines<br />
Tractatus logico-philosophicus von 1918 (Wittgenstein 1963) wirklich<br />
ernst genommen hätte, dann hätte er sich wahrscheinlich die letzten<br />
9/10 seiner unkonventionellen philosophischen Karriere und deren Out-<br />
come sparen können. Aber zum Glück hat er das nicht getan. Immerhin<br />
räumt er im gleichen Atemzug ein, dass die Probleme zwischen dem,<br />
was <strong>Sprache</strong> leisten kann und dem, wovon sie besser ihre Finger lassen<br />
sollte, mit dem Tractatus zwar „im Wesentlichen endgültig gelöst“ sind,<br />
dass sich „der Wert dieser Arbeit“ aber genauso darin „zeigt, wie wenig<br />
damit getan ist, daß die Probleme gelöst sind“ (Wittgenstein 1963: 8).<br />
Vielmehr hat er sich nach dem Tractatus im Grunde nur mit Dingen be-<br />
schäftigt, über die man angeblich nicht reden kann. Vor allem in den<br />
1952 posthum veröffentlichten Philosophischen Untersuchungen (Witt-<br />
genstein 2 1980) wimmelt es von Aphorismen, die es sprachlich mit dem<br />
angeblich Unsagbaren aufnehmen sowie verschiedene Wirkungsweisen<br />
von <strong>Sprache</strong> thematisieren – und das in der für Wittgenstein typischen<br />
skurril-aphoristischen Art:<br />
„Wenn ich sage, der Befehl ‚Bring mir Zucker!’ und ‚Bring mir Milch!’ hat Sinn,<br />
aber nicht die Kombination ‚Milch mir Zucker’, so heißt das nicht, daß das<br />
Aussprechen dieser Wortverbindung keine Wirkung hat. Und wenn sie nun die<br />
Wirkung hat, daß der Andre mich anstarrt und den Mund aufsperrt, so nenne<br />
ich sie <strong>des</strong>wegen nicht den Befehl, mich anzustarren etc., auch wenn ich ge-<br />
rade diese Wirkung hätte hervorrufen wollen“ (Wittgenstein 2 1980: 218).<br />
Bezogen auf die logischen Voraussetzungen, auf denen die einzigen<br />
beiden ‚offiziellen’ Bücher Wittgensteins fußen, kann man zwei unter-<br />
257
schiedliche Denkgesten ausmachen. Dem Tractatus logico-<br />
philosophicus liegt eine harte, zweiwertige ‚Logik <strong>des</strong> Entweder-Oder’ zu<br />
Grunde, die von eindeutig zuzuordnenden Wahrheitswerten zu Sätzen<br />
oder Äußerungen über Gegenstände und Sachverhalte ausgeht und kei-<br />
ne semantischen Schattierungen zulässt. <strong>Die</strong> Grenze zwischen dem<br />
‚Entweder’ und dem ‚Oder’, zwischen Reden oder Schweigen, versucht<br />
Wittgenstein sprachlich sichtbar zu machen.<br />
Das unermüdliche Ringen um die Versprachlichung <strong>des</strong> gewissermaßen<br />
jenseits dieser Grenze liegenden angeblich Unsagbaren in den Philoso-<br />
phischen Untersuchungen dagegen basiert auf einer weicheren ‚Sowohl-<br />
als-auch-Logik’. Bei dieser Auffassung haben als Mengen gedachte Beg-<br />
riffe nicht klar gezogene, starr definierte Grenzen. Nicht zuletzt gilt daher<br />
auch letzteres Werk als eine Startmarkierung <strong>des</strong>sen, was später als<br />
Prototypentheorie oder Prototypensemantik Karriere gemacht hat und<br />
noch immer macht (siehe Abschnitt 1.1.5. ff. im Theorieteil).<br />
Dem scheinbaren Widerspruch ‚Klar-Sagen-Können vs. Schweigen-<br />
Müssen’ liegt ein gängiges Missverständnis zu Grunde. Der Irrtum be-<br />
steht in der einigermaßen naiven Annahme, dass alle Dinge, denen man<br />
mit <strong>Sprache</strong> beizukommen versucht, sich prinzipiell auch dafür eignen,<br />
sprachlich klar dargestellt zu werden. Dass man sich nur lange und flei-<br />
ßig und gründlich genug bemühen muss, um einen Sachverhalt klar dar-<br />
zustellen.<br />
<strong>Die</strong>se landläufige Sprachauffassung geht von einer unzulässigen Verein-<br />
fachung der Realität aus. Sie basiert auf der Annahme, es gäbe in der<br />
Welt einfach Dinge und Sachverhalte, die man nur richtig zu benennen<br />
braucht – und dann ist alles klar. Aber:<br />
„Wenn wir sagen: ‚je<strong>des</strong> Wort der <strong>Sprache</strong> bezeichnet etwas’ so ist damit vor-<br />
erst noch gar nichts gesagt; es sei denn, daß wir genau erklärten, welche Un-<br />
terscheidung wir zu machen wünschen. (Es könnte ja sein, daß wir die Wörter<br />
der <strong>Sprache</strong> (…) von Wörtern ‚ohne Bedeutung’ unterscheiden wollten, wie sie<br />
in Gedichten Lewis Caroll’s vorkommen oder von Worten wie ‚juwiwallera’ in<br />
einem Lied)“ (Wittgenstein 2 1980: 22).<br />
258
Es wäre sicherlich einfacher und wahrscheinlich auch befriedigender,<br />
wenn man immer das Gefühl hätte, sich klar ausgedrückt zu haben und<br />
als kommunikativen Effekt das Gefühl, klar verstanden worden zu sein.<br />
Alltagsfaktum ist aber, dass dem häufig nicht so ist. Um viele Sachen<br />
wird endlos geredet und gerungen. Es lässt sich nicht bestreiten, dass es<br />
über alle möglichen Themen zahllose Meinungen und Ansichten darüber<br />
gibt, was denn nun der Fall ist und was nicht. Oft wird dieses Nicht-Zu-<br />
Rande-Kommen mit einem Thema der <strong>Sprache</strong> an sich in die Schuhe<br />
geschoben und kommentiert mit pessimistischen Aussagen wie: ‚Wir<br />
sprechen einfach nicht dieselbe <strong>Sprache</strong>’ oder ‚du verstehst nicht, was<br />
ich sagen will’.<br />
Aber das Problem ist nicht die <strong>Sprache</strong> an sich. Sondern es ist einerseits<br />
eine unangemessene Erwartung an das, was <strong>Sprache</strong> in welchen Kom-<br />
munikationssituationen leisten kann. Andererseits liegt das Grundprob-<br />
lem in einer eingeschränkten Auffassung <strong>des</strong>sen, wie man <strong>Sprache</strong> ein-<br />
setzen kann (oder muss) um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Eine prä-<br />
zise, klare Bezeichnung für etwas zu finden klappt nur in denjenigen Fäl-<br />
len, in denen es eindeutige konkrete Dinge und Sachverhalte sowie eine<br />
eindeutige Konvention über die dafür vorgesehenen Wörter gibt. Aber<br />
streng genommen ist diese so genannte referentielle Form <strong>des</strong> Sprach-<br />
gebrauchs sogar redundant; sie bringt nichts Neues zu Stande. <strong>Sprache</strong><br />
in der konventionellen Auffassung als bloße Bezeichnungsfunktion zu<br />
verstehen, bei der sprachliche Ausdrücke auf Entitäten der Welt referie-<br />
ren, bedeutet in jedem Fall eine Selbstbeschränkung der kreativen Mög-<br />
lichkeiten <strong>des</strong> Gehirns. Wenn ich mit dem Finger in eine bestimmte Rich-<br />
tung zeige, in der ein Baum steht und sage:<br />
Dort steht ein Baum<br />
ist das keine besonders aufregende Art, <strong>Sprache</strong> zu gebrauchen. Aber<br />
wahrscheinlich sind derartige referentielle Äußerungen, die sich auf mut-<br />
maßliche propositionale Äußerungen <strong>des</strong> Typs<br />
Es ist der Fall, dass x<br />
259
zurückführen lassen, die vermeintlich häufigsten. Vielleicht sind sie aber<br />
de facto gar nicht so häufig. Vielleicht hält man viele davon nur aus Be-<br />
quemlichkeit für referentielle Äußerungen oder hätte gerne, dass sie sich<br />
wie referentielle Äußerungen verhalten. Und daher wird der Einfluss die-<br />
ser referentiellen Art <strong>Sprache</strong> zu gebrauchen chronisch überschätzt.<br />
4.2. <strong>Die</strong> Überschätzung der referentiellen Sprachfunktion<br />
„Das Paradox verschwindet nur dann, wenn wir radikal mit der Idee brechen,<br />
die <strong>Sprache</strong> funktioniere immer nur auf eine Weise, diene immer dem gleichen<br />
Zweck: Gedanken zu übertragen – seien diese nun Gedanken über Häuser,<br />
Schmerzen, Gut und Böse, oder was immer“ (Wittgenstein 2 1980: 161).<br />
Im Theorieteil dieses Buches wurde die funktionale Sprachkonzeption<br />
Roman Jakobsons ausführlich referiert (vgl. Jakobson 1981). Jakobson<br />
unterscheidet bei der verbalen Kommunikation sechs zielgerichtete<br />
Funktionen der <strong>Sprache</strong>, je nachdem auf welchem der sechs von ihm<br />
unterschiedenen Aspekte (oder Faktoren) der Kommunikationssituation<br />
der Fokus liegt. Anders formuliert: Er unterstellt der <strong>Sprache</strong>, dass sie im<br />
Grunde sechs unterschiedliche Aufgaben erledigen kann, je nachdem,<br />
wie das Kommunikationsziel definiert ist. Zur Erinnerung hier noch ein-<br />
mal das funktionale Sprachmodell Roman Jakobsons aus dem Theorie-<br />
teil in der tabellarischen Übersicht.<br />
260
Faktor Korrelierende Sprachfunktion<br />
Context (Kontext) Referential function (referentielle Funktion)<br />
Addresser (Sender) Emotive Function (emotive Funktion)<br />
Addressee (Empfänger) Conative Function (konative Funktion)<br />
Contact (Kontakt) Phatic Function (phatische Funktion)<br />
Code (Kode) Metalingual Function (metasprachliche Funktion)<br />
Message (Nachricht) Poetic function (poetische Funktion)<br />
Tabelle 50: <strong>Die</strong> sechs konstitutiven Faktoren der sprachlichen Kommunikation<br />
und die sechs ihnen zugeordneten Sprachfunktionen (vgl. Jakobson 1981: 22<br />
und 27)<br />
Jakobson räumt zwar ein, dass in den meisten Kommunikationssituatio-<br />
nen die referentielle Sprachfunktion dominant ist und andere Funktionen<br />
hinzukommen können (vgl. Jakobson 1981: 22). Aber es bleibt immer<br />
fraglich, ob der referentiellen Sprachfunktion auch immer zurecht die<br />
dominierende Rolle zugesprochen wird. <strong>Die</strong>se Frage scheint mir viel zu<br />
selten gestellt zu werden. Man kann bei dieser Kritik sogar noch weiter<br />
gehen und hinterfragen, ob sie der jeweiligen Kommunikationssituation<br />
überhaupt angemessen ist.<br />
Ich habe in dieser Arbeit nachgewiesen, dass dies für den Gegens-<br />
tandsbereich der Geruchswahrnehmung nicht der Fall ist, sondern dass<br />
dort primär andere, kreative Sprachstrategeme gefordert sind, die sich<br />
angemessen mit dem Jakobsonschen Konzept der poetischen Sprach-<br />
funktion beschreiben lassen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>, die als Sonderfall der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> Geruchs in<br />
diesem Buch behandelt wurde, ist sicherlich ein sehr begrenztes Spezi-<br />
algebiet. Nichts<strong>des</strong>totrotz gibt es noch viele weitere Bereiche <strong>des</strong><br />
menschlichen Lebens, in denen die übertriebene Fokussierung auf den<br />
referentiellen Aspekt von <strong>Sprache</strong> ebenfalls wenig hilfreich oder häufig<br />
sogar sinnlos ist und die mit dem Thema dieses Buches in Zusammen-<br />
hang gebracht werden können. Dazu gehört der für die conditio humana<br />
261
elementare Bereich, den man gemeinhin mit Psyche umschreibt, also<br />
das emotionale Erleben <strong>des</strong> Menschen. Mit diesem einher geht ein ent-<br />
sprechen<strong>des</strong> mentales Vokabular, das auf Grund <strong>des</strong> einzigartigen indi-<br />
viduellen Erlebens naturgemäß hochgradig subjektiver Natur ist. Und<br />
nicht zufällig ist dieser Gegenstandsbereich der <strong>Sprache</strong> ähnlich schwer<br />
zugänglich wie die Geruchswahrnehmung. Nicht nur, weil die externen<br />
physikalischen Objekte fehlen, auf die man sich referentiell beziehen und<br />
die man als kommunikative Schnittmenge vereinbaren könnte. Überdies<br />
ist die maßgebliche neurophysiologische Beteiligung <strong>des</strong> limbischen<br />
Systems an der kognitiven Verarbeitung sowohl von Gerüchen als auch<br />
von Emotionen für den Konflikt verantwortlich (siehe Abschnitt 1.3.1.2.).<br />
Es sollte daher überhaupt nicht wundern, wenn beispielsweise auch kul-<br />
turellen Produkten wie Musik, Literatur/Lyrik oder anderen Ausprägun-<br />
gen von Kunst, denen emotionale Motive zu Grunde liegen, ebenfalls mit<br />
Mitteln eines referentiellen Sprachgebrauchs nicht angemessen beizu-<br />
kommen ist.<br />
In der neunten Klasse kommentierte mein damaliger Deutschlehrer eine<br />
meiner Formulierungen in einem Aufsatz mit ‚blumiger Stil’. Ich weiß<br />
nicht mehr, was ich geschrieben hatte, worauf sich dieser Kommentar<br />
bezog. Ich erinnere mich aber noch genau, dass ich die Formulierung<br />
gelungen und vor allem passend für das fand, was ich ausdrücken woll-<br />
te. Der Lehrerkommentar war allerdings als negative Kritik gemeint.<br />
Wahrscheinlich hat der Lehrer das zweifelsohne vorhandene kreative<br />
Potenzial dieser gewissen Formulierung nicht wertschätzen können, weil<br />
ihm möglicherweise Jakobsons Sprachmodell nicht bekannt war.<br />
<strong>Die</strong>se Anekdote berührt ebenfalls das skizzierte Problem der chroni-<br />
schen Überschätzung der referentiellen Sprachfunktion und damit vice<br />
versa die chronische Unterschätzung der anderen Funktionen. Im Um-<br />
gang mit Literatur, insbesondere mit Lyrik tauchen nach wie vor stan-<br />
dardgemäß Fragen auf wie: ‚Was will uns der Dichter damit sagen?’ oder<br />
diejenige nach der ‚Intention <strong>des</strong> Autors’. Erstere zielt dabei auf die refe-<br />
rentielle, letztere auf die konative (appellhafte) Sprachfunktion ab. <strong>Die</strong><br />
Frage <strong>des</strong> Stils oder der formalen Qualitäten scheint nach wie vor bei der<br />
262
Literatur-/Lyrikbetrachtung jenseits <strong>des</strong> wissenschaftlichen Expertendis-<br />
kurses von geringerer Priorität zu sein. <strong>Die</strong> primär referentielle Herange-<br />
hensweise an die Betrachtung literarischer/lyrischer Texte im Besonde-<br />
ren, mag zwar bei vielen dieser Texte sinnvoll sein, vielleicht bei realisti-<br />
schen Romanen oder generell bei erzählender Literatur. Aber sie ist im-<br />
mer nur ein Aspekt, der zudem nach meiner Auffassung unangemessen<br />
hoch eingeschätzt wird und in der Regel das Interpretationspotenzial der<br />
Rezipienten eher blockiert als stimuliert. Bei Romanen wie William S.<br />
Burroughs’ Naked Lunch, der Prosa von Virginia Woolf und Thomas<br />
Bernhard oder beispielsweise Hölderlins, Schwitters’ oder Mallarmés Ly-<br />
rik ist die Frage nach der referentiellen Information <strong>des</strong> Textes zweitran-<br />
gig bis unangemessen. <strong>Die</strong> (im Idealfall lautliche) Form <strong>des</strong> Textes ist<br />
dabei bereits die Information und damit das Kommunikationsziel <strong>des</strong><br />
Textes. Eine szientistische Vermetasprachlichung, die nach dem referen-<br />
tiellen Sinn fragt, geht notwendig ins Leere. Ähnlich verhält es sich bei<br />
der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>.<br />
4.3. <strong>Die</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong><br />
„Nach der Benennung fragt nur der sinnvoll, der schon etwas mit ihr anzufan-<br />
gen weiß.<br />
Wir können uns ja auch denken, daß der Gefragte antwortet: ‚Bestimm die<br />
Bedeutung selber’ – und nun müßte, der gefragt hat, für alles selber aufkom-<br />
men“<br />
(Wittgenstein 2 1980: 34).<br />
Das, was im vorigen Abschnitt behauptet wurde, kann auch für den Be-<br />
reich der Gebrauchstexte <strong>des</strong> Alltags reklamiert werden, insbesondere<br />
für den Bereich der Werbung. Auch hier gibt es Gegenstandsbereiche,<br />
die für eine referentielle Beschreibung günstiger sind als andere. <strong>Die</strong><br />
Werbung für ein Auto gehört in diese Kategorie. Man kann es abbilden<br />
und dazu noch seine Eigenschaften beschreiben (ABS serienmäßig,<br />
263
GPS, Allradantrieb usw.). Es können nachvollziehbare Informationen ge-<br />
liefert werden, unter denen man sich etwas vorstellen kann, auch wenn<br />
sie sprachlich noch so sehr geschönt sind oder ästhetisch aufgepeppt<br />
werden durch einen eingängigen Jingle, zu dem gesungen und getanzt<br />
wird oder durch eine ‚scharfe Blondine’, die sich auf dem Beifahrersitz<br />
räkelt.<br />
Den Duft eines <strong>Parfums</strong> hingegen kann man weder abbilden noch be-<br />
schreiben. Man kann bestenfalls die Flüssigkeit und den Flakon bezie-<br />
hungsweise deren Farbe und Form abbilden; nicht aber den Geruch.<br />
Und mal Hand aufs Herz: Wer kann sich schon den Geruch vorstellen,<br />
wenn man von einem komplexen Duftgemisch liest, „Jasmin, Ylang-<br />
Ylang und Gewürznelken verleihen ihm in der Herznote ungeheure Dy-<br />
namik“ (Bogner-Man Classic) oder „der Fond pulsiert mit der geheimnis-<br />
vollen Wärme <strong>des</strong> Ambra und Sandelholzes“ (Calvin Klein-Obsession for<br />
Men)? Wer weiß schon wie „Vetiver“ (Calvin Klein-Escape Men), „peru-<br />
vianisches Balsam“ (Lagerfeld-KL Homme) oder „ein Duftbouquet“ aus<br />
so verschiedenartigen Duftsubstanzen wie „Minze, Rosmarin, Lavendel<br />
und Muskat“ (Marc O’Polo-Marc O’Polo Man) riecht? Wer kann schon<br />
ernsthaft etwas anfangen mit Beschreibungen wie „würzig-kühle Akzente<br />
von Wasserlilien“ (MEXX-Man Perspektive) oder „wilde und grüne No-<br />
ten“ (Annayaké-pour lui)? Und woher weiß man, was sich jemand Ande-<br />
res darunter vorstellt?<br />
Ein vorgelagertes Problem, das die sprachliche Form der behandelten<br />
Parfumtexte so skurril und unverständlich erscheinen lässt, ist der situa-<br />
tive Kontext, in dem sie präsentiert werden. Man kann ihnen zwei unter-<br />
schiedliche Textfunktionen attestieren, die gleichzeitig zum Tragen<br />
kommen. <strong>Die</strong> Texte erscheinen zugleich als Produktbeschreibungen und<br />
als Werbetexte.<br />
In ihrer Funktion als Produktbeschreibungen wecken sie naturgemäß die<br />
Erwartung, dass ein Produkt beschrieben wird. Man erwartet, dass sie<br />
über das Parfum und damit vor allem über <strong>des</strong>sen Duftqualitäten infor-<br />
mieren. <strong>Die</strong>s impliziert die kommunikative Dominanz der referentiellen<br />
Sprachfunktion. Dass die Texte ihren kommunikativen Zweck diesbezüg-<br />
264
lich verfehlen, wurde von mir einschlägig nachgewiesen. In ihrer Funkti-<br />
on als Werbetexte versuchen sie naturgemäß den Leser als potenziellen<br />
Kunden positiv für das Produkt einzunehmen. Daher ist ein weiterer<br />
kommunikativer Akzent auf der konativen Sprachfunktion zu erwarten.<br />
Beide der genannten Funktionen, die referentielle wie die konative, wer-<br />
den aus unterschiedlichen Gründen indirekt durch die poetische bedient.<br />
<strong>Die</strong> referentielle, weil es anders nicht angemessen möglich ist und die<br />
konative, weil man sich von den zahlreichen exotisch bis skurril klingen-<br />
den Wörtern und Sätzen eine werbewirksame Aufmerksamkeitssteige-<br />
rung verspricht.<br />
Das poetisch relevante Phänomen der sprachlichen Synästhesie, also<br />
der Kombination von Wörtern, die aus verschiedenen Sinnesbereichen<br />
stammen, ist im Fall der <strong>Parfums</strong>prache das vorherrschende Strategem,<br />
um dem Geruch sprachlich beizukommen. Phrasen wie „herb-warme<br />
Akzente“ (Joop-Homme) oder „grüne Noten“ (Annayaké-pour lui) können<br />
hierfür als prototypisch gelten. Es konnte großflächig nachgewiesen<br />
werden, dass derartige synästhetische Sprachkonstruktionen für die Par-<br />
fumtexte konstitutiv sind. <strong>Die</strong>s gilt vorrangig sowohl für die untersuchten<br />
Fachvokabeln und die Eigenschaftszuschreibungen als auch – wenn-<br />
gleich mit Einschränkungen – für die analysierten Verben.<br />
Zum Leidwesen der Texte stellte sich jedoch durch die Leserbefragung<br />
zweifelsfrei heraus, dass die synästhetischen Manöver kommunikativ<br />
fehlschlagen. <strong>Die</strong> Leser können die teils durchaus originellen, amüsan-<br />
ten und äußerst kreativen Wortschöpfungen nicht wertschätzen. Aber<br />
nicht, weil sie an sich schlecht, sondern weil sie einfach in Produktbe-<br />
schreibungen, die gleichzeitig Werbetexte darstellen, kommunikativ de-<br />
platziert sind.<br />
Sprachkonstruktionen, die als poetisch relevant beschrieben werden<br />
können, sind für die Funktion eines Werbetextes noch angemessen, so-<br />
fern sie die referentielle Funktion unterstützen. Es wird in Werbungen<br />
häufig zu poetischen Mitteln gegriffen. Beispielsweise hat die Firma Fer-<br />
rero den Brotaufstrich Nutella jahrelang mit folgendem, sich reimenden<br />
und von Kinderstimmen gesungenen Zweizeiler beworben:<br />
265
Nutella, hat das große Plus.<br />
Gesun<strong>des</strong> Frühstück mit viel Genuss.<br />
Es ist dabei völlig gleichgültig, ob Nutella in der Tat gesund ist oder nicht.<br />
Aber es ist zumin<strong>des</strong>t möglich, dass Nutella gesund ist und zu einem<br />
genussvollen Frühstück beiträgt. Der gereimte Slogan hat poetische<br />
Qualitäten und unterstützt die (potenzielle) referentielle Information, in-<br />
dem diese eingängig präsentiert wird und sich dem Rezipienten dadurch<br />
leichter einprägt.<br />
Bei dem Produkt Parfum liegt die Sache anders. <strong>Die</strong> poetische Relevanz<br />
konnte zwar sowohl für die zahlreichen, teilweise pittoresk klingenden<br />
Fachvokabeln als auch für die noch zahlreicheren und teilweise noch pit-<br />
toresker klingenden Eigenschaftszuschreibungen erfolgreich nachgewie-<br />
sen werden. Aber gewürdigt wurden sie von den Probelesern nicht. In<br />
einer Produktbeschreibung für ein Parfum erwartet man eben keine ‚poe-<br />
tische <strong>Sprache</strong>’ oder das, was ein durchschnittlicher Leser darunter ver-<br />
steht. Und der Leser einer werbenden Produktbeschreibung ist in der<br />
Regel ein Durchschnittsleser und kein Sprachwissenschaftler. Ihr refe-<br />
rentieller Gehalt hingegen ist oft wie gesagt gleich null, weshalb die an-<br />
geblich vermittelte Information beim Rezipienten nicht ankommt.<br />
<strong>Die</strong>s bestätigt auch ein von mir aus heuristischen Gründen mit 15 Studie-<br />
renden der Germanistik durchgeführtes Experiment, das ich im Winter-<br />
semester 2002/2003 an der Universität Bremen im Rahmen eines Semi-<br />
nars zum Verhältnis von Linguistik, Grammatik und Poetik durchgeführt<br />
habe. Dabei sollte überprüft werden, ob es möglich ist, Parfumtexte und<br />
Parfumdüfte einander korrekt zuzuordnen. Es wurden den Studierenden<br />
zwei Parfumproben ausgehändigt (Davidoff-Cool Water und Jil Sander-<br />
For Men). Parallel wurden sechs Parfumtexte aus dem Korpus vorgege-<br />
ben, in denen der Name <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> eingeschwärzt war. Zwei der<br />
sechs Texte gehörten zu den gereichten Duftproben. Nach einer Beduf-<br />
tungsphase von 20 Minuten sollten die Proben den Texten zugeordnet<br />
werden. Das Ergebnis war, dass Duftproben und Texte nicht annähernd<br />
266
korrekt zugeordnet werden konnten. <strong>Die</strong> folgende Tabelle zeigt die Er-<br />
gebnisse <strong>des</strong> Duft-Text-Experiments.<br />
Präsentierte<br />
Texte<br />
Duftprobe 1:<br />
Davidoff-Cool Water<br />
267<br />
Duftprobe 2:<br />
Jil Sander-For Men<br />
Text 1 (Aigner-pour homme) - 3<br />
Text 2 (Annayaké-pour lui) - 2<br />
Text 3 (Bogner-Men Classic) 12 -<br />
Text 4 (Chopard-Cašran) 1 -<br />
Text 5 (Davidoff-Cool Water) 1 5<br />
Text 6 (Jil Sander-For Men) 1 5<br />
Tabelle 51: Duft-Text-Experiment: Zuordnungen der Probanden<br />
<strong>Die</strong>ses Experiment hat insofern seinen Zweck erfüllt, als offensichtlich<br />
geworden ist, dass eine zuverlässige Zuordnung von Duft und Text nicht<br />
gelingt. Während bei Duftprobe 2 die Trefferquote immerhin bei 5 von 15<br />
lag, tippte bei Duftprobe 1 nur eine Person richtig. Das Duft-Text-<br />
Experiment hat nur heuristischen Charakter und liefert keine methodisch<br />
fundierten Ergebnisse. Dennoch deutet es darauf hin, dass Text und Duft<br />
nicht in einer verlässlichen referentiellen Beziehung zueinander stehen.<br />
Obwohl sämtliche Fachvokabeln, Duftsubstanzen und Eigenschaftszu-<br />
schreibungen oberflächlich den Eindruck erwecken, den jeweiligen Duft<br />
zu beschreiben, ist ihr primärer Zweck ein anderer. Peruvianisches Bal-<br />
sam usw. bedeuten im herkömmlichen Sinne nichts, weil es keinen all-<br />
gemein zugänglichen Kode gibt, durch den ein Alltagsleser diese Voka-<br />
bel entschlüsseln könnte. Aber es klingt eben schön – oder zumin<strong>des</strong>t<br />
originell, exotisch und damit auffällig.<br />
Nach der referentiellen Bedeutung dieser skurrilen Wortkreationen zu<br />
fragen ist so ähnlich, als würde man nach der Bedeutung eines abstrak-<br />
ten Ölbil<strong>des</strong> fragen, das aus zinnoberroten Flecken, kobaltblauen Stri-<br />
chen und einer elfenbeinfarbenen Linie im oberen linken Bereich der<br />
Leinwand besteht. ‚Was bedeutet dieses Bild nur…?’ <strong>Die</strong>s ist eine unsin-
nige Art der Fragestellung. <strong>Die</strong> Farb- und Formkonstellation <strong>des</strong> Bil<strong>des</strong><br />
ist bereits seine Bedeutung. Das Bild sieht halt so aus; man muss es ja<br />
nicht verstehen.<br />
„’Das Bild sagt mir sich selbst’ – möchte ich sagen. D.h., daß es mir etwas<br />
sagt, besteht in seiner eigenen Struktur, in seinen Formen und Farben. (Was<br />
hieße es, wenn man sagte ‚Das musikalische Thema sagt mir sich selbst’?“<br />
(Wittgenstein 2 1980: 225).<br />
Oder man stelle sich den Fall vor, dass jemand ein umgedrehtes Pinkel-<br />
becken an die Wand montiert und es für ein Kunstwerk erklärt. ‚Wo ist<br />
die Bedeutung dieses Kunstwerks?’ ‚Was will uns der Künstler damit sa-<br />
gen?’ ‚Was will er ausdrücken?’ ‚Was ist daran schön?’ <strong>Die</strong>se Fragen<br />
sind wenig hilfreich. Dass das Pinkelbecken an der Wand hängt und als<br />
Kunst bezeichnet wird, ist bereits der Ausdruck <strong>des</strong> Künstlers. Was gibt<br />
es da noch zu fragen? Aber eine derartige Auffassung von Ästhetik<br />
scheint in der Alltagswahrnehmung leider schwer bis gar nicht wert-<br />
schätzbar zu sein, weil wahrscheinlich die illusorische Sehnsucht nach<br />
der ‚wahren’ tieferen Bedeutung eines Kunstwerks oder überhaupt eines<br />
Zeichens noch allzu verbreitet ist.<br />
Und die untersuchten Verben in den Parfumtexten? Wenn man durch die<br />
referentielle Brille irgendwelche Gebrauchstexte <strong>des</strong> Alltags betrachtet,<br />
geht man wie selbstverständlich davon aus, dass Verben eine Tätigkeit<br />
oder Handlung bezeichnen. Das ist normal. Selbst wenn es um Werbe-<br />
texte geht, von denen allgemein bekannt ist, dass sie immer auch sug-<br />
gestiven Charakter haben, kommt man nicht auf die Idee, die Verben<br />
hätten eine andere Funktion. Das ist genauso normal. Es erfordert schon<br />
einige kreative Anstrengung und Abstraktionsfähigkeit, von dieser kon-<br />
ventionell zementierten Rezeptionsgewohnheit abzurücken und in den<br />
Verben der Parfumtexte etwas Anderes zu sehen, in ihnen eine andere<br />
Funktion wahrzunehmen als diejenige der ‚Tuwörter’. Aber wer ist schon<br />
bereit diese Anstrengung aufzubringen, mit Ausnahme <strong>des</strong> Wissen-<br />
schaftlers, der ein Buch über die <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> schreibt? Und<br />
nebenbei: Was kann ein Parfum streng genommen eigentlich schon an-<br />
deres tun als riechen, duften oder gegebenenfalls stinken? Den Texten<br />
268
zufolge können Düfte aber auch bestechen (vgl. Aigner-pour homme),<br />
verschmelzen (vgl. Hugo Boss-Number One), abgerundet werden (vgl.<br />
Chopard-Cašran) und vieles mehr.<br />
Es konnte jedoch argumentativ dargelegt werden, dass die überwiegen-<br />
de Zahl der Verben in den Texten keineswegs die Funktion hat, die Ver-<br />
ben normalerweise in ihrer syntaktischen Funktion als Prädikat haben.<br />
<strong>Die</strong> Primärfunktion dieser von mir prozessual-dynamisch genannten<br />
Verben konnte ebenfalls als poetisch relevant herausgearbeitet werden.<br />
Indem diese Bewegungsverben die Veränderung der Geruchswirkung<br />
eines <strong>Parfums</strong> auf der Haut im Laufe der Zeit abbilden, den so genann-<br />
ten Duftablauf, zeigen sie ikonische Qualitäten. Ihre primäre Bedeutung<br />
ist daher nicht referentiell in dem Sinne, dass sie eine Tätigkeit oder ei-<br />
nen Vorgang bezeichnen, sondern sie simulieren die viel beschworene<br />
Dynamik eines <strong>Parfums</strong>, indem sie <strong>des</strong>sen Duftablauf abbilden. Und<br />
durch die schlichte Tatsache, dass sie Bewegungsverben sind und in<br />
charakteristischer Häufung auftauchen, erfüllen sie bereits ihren Zweck.<br />
Ihre referentielle Bedeutung ist dabei relativ zweitrangig. Von ihrem kon-<br />
ventionellen Informationsgehalt her sind die Verben daher auch einiger-<br />
maßen beliebig und austauschbar; Hauptsache ist, dass sie im Stande<br />
sind, einen Bewegungsablauf zu simulieren und dabei einigermaßen<br />
schmeichelhaft klingen.<br />
4.4. Jenseits <strong>des</strong> Duftes – Kreativität statt Informativität<br />
„Sieh es nicht als selbstverständlich an, sondern als ein merkwürdiges Fak-<br />
tum, daß uns Bilder und erdichtete Erzählungen Vergnügen bereiten; unsern<br />
Geist beschäftigen.<br />
(‚Sieh es nicht als selbstverständlich an’ – das heißt: Wundere dich darüber<br />
so, wie über anderes, was dich beunruhigt. Dann wird das Problematische<br />
verschwinden, indem du die eine Tatsache so wie die andere hinnimmst)“<br />
(Wittgenstein 2 1980: 225).<br />
269
Aber es gibt natürlich in den Parfumtexten neben den Pseudo-<br />
Beschreibungen ebenso Passagen, die gar nicht erst den Eindruck er-<br />
wecken, die Duftqualität <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> charakterisieren zu wollen. Wenn<br />
es etwa heißt ein „lockerer, optimistischer Duft voll sympathischer Ener-<br />
gie“ (Bruno Banani-Bruno Banani Men) oder „ein Duft voller emotionaler<br />
Klarheit - Extrem klar und maskulin, dabei von subtiler Anziehungskraft“<br />
(Calvin Klein-Obsession for Men) liegt auf der Hand, dass nicht der Duft<br />
beschrieben wird. Vielmehr wird ein spezifisches männliches Stereotyp<br />
lanciert oder ein (vermeintlich) werbewirksamer Gender-Trend aufgegrif-<br />
fen und mit dem Parfumduft – gleichgültig wie dieser riecht – verbal as-<br />
soziiert. Bei derartigen Aussagen, die im untersuchten Korpus etwa die<br />
Hälfte der Textmasse ausmachen, handelt es sich natürlich um rein psy-<br />
chosoziale Suggestionen, die mit der Duftqualität <strong>des</strong> jeweiligen <strong>Parfums</strong><br />
letztlich nichts zu tun haben.<br />
Es gibt aber auch im Korpus einige wenige Texte, in denen gar keine<br />
Sequenzen zu finden sind, die vorgeben, den Parfumgeruch zu be-<br />
schreiben. Der Text zu Davidoff-Good Life beispielsweise verzichtet völ-<br />
lig auf die pseudo-olfaktorische Charakterisierung und beschränkt sich<br />
gänzlich auf die Suggestion eines Männlichkeitstyps, den der Duft an-<br />
geblich unterstützt:<br />
„Ein unverwechselbarer Duft von ehrlichem, ursprünglichem Charakter. Ein<br />
Spiegel der Sehnsüchte und Wünsche <strong>des</strong> modernen, selbstbewussten Man-<br />
nes. Er sucht das Gleichgewicht zwischen materiellem Erfolg und tiefgehender<br />
Emotionalität und findet seine Harmonie durch innere Zufriedenheit. Davidoff<br />
Good Life verkörpert das, was für ihn am wichtigsten ist: Freude und Glück“<br />
(Davidoff-Good Life).<br />
Der suggestive Stil dieses Textes kann sicherlich als aufdringlich, kli-<br />
scheehaft, albern und platt empfunden werden. Gemessen an den Er-<br />
gebnissen der vorliegenden Arbeit ist er jedoch authentischer, gerade<br />
weil er sich spart vorzugeben den Geruch zu beschreiben. Allerdings<br />
geht ihm ebenfalls kreative Originalität ab, da sich Vokabeln wie modern,<br />
selbstbewusst, Harmonie, Freude und Glück durch inflationäre Verwen-<br />
270
dung bereits derart abgenutzt haben, dass man sie sich getrost sparen<br />
kann.<br />
Dass Werbung im Allgemeinen und Parfumwerbung im Besonderen na-<br />
turgemäß stark suggestive Anteile hat, ob in sprachlicher, bildlicher oder<br />
musikalischer Form, ist ein oft genug erwähnter Allgemeinplatz, der hier<br />
nicht weiter diskutiert werden soll. <strong>Die</strong> abschließende Frage ist vielmehr,<br />
was neben den ausführlich dokumentierten wissenschaftlichen Erkennt-<br />
nissen als praktischer Output der Analysen der Parfumtexte festgehalten<br />
werden kann.<br />
<strong>Die</strong> meisten Werbungen für <strong>Parfums</strong>, vor allem im Fernsehen und in Li-<br />
festyle-Magazinen arbeiten mit wenig oder keinen sprachlichen Mitteln.<br />
Sie setzen primär auf die Suggestivkraft schöner, verführerischer Bilder<br />
oder Szenarien, die dem jeweiligen Parfum ein in der Regel sexuell kon-<br />
notiertes Image zuschreiben. <strong>Die</strong> visuelle Suggestion ist sicherlich nicht<br />
nur generell ein legitimes und effizientes Werbemittel. Vor allem für die<br />
<strong>Parfums</strong>zene scheint diese Form der Werbung adäquater zu sein als<br />
Worte. Eine Schlussfolgerung könnte sein, dass man bei Parfumwer-<br />
bungen auf <strong>Sprache</strong> prinzipiell verzichten sollte. Also: Kein oder mög-<br />
lichst wenig Text.<br />
Soll aber in Parfumwerbungen doch <strong>Sprache</strong> zum Einsatz kommen, so<br />
muss folgen<strong>des</strong> bedacht werden. Nach meiner Auffassung sollten in Par-<br />
fumwerbungen die Textteile, die sich um eine Beschreibung (oder Pseu-<br />
do-Beschreibung) <strong>des</strong> Geruchs bemühen, prinzipiell vermieden werden.<br />
Sie werden offensichtlich vom Rezipienten nicht positiv wahrgenommen<br />
und laufen eher Gefahr lächerlich zu wirken. Zwar steigern sie die Auf-<br />
merksamkeit, die der Leser für das Produkt aufbringt, allerdings ist dies<br />
eine negativ motivierte Aufmerksamkeit die im Wesentlichen auf Ge-<br />
nervtheit beruht.<br />
Optimal wäre es, wenn es gelänge eine <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> ins Spiel<br />
zu bringen, die positiv motivierte Aufmerksamkeit erzeugt. <strong>Die</strong>s kann<br />
nach meinen Erkenntnissen nur gelingen, indem die haarsträubende In-<br />
formativität in Parfumwerbungen gänzlich eliminiert und ihnen dadurch<br />
der Charakter einer Produktbeschreibung genommen wird. Es wäre<br />
271
günstiger, auch bei eventuellen sprachlichen Mitteln voll auf die kreative<br />
Suggestion sprachlich evozierter Bilder und Szenarien zu setzen, bei<br />
denen der faktische Duft im Grunde zweitrangig ist. <strong>Die</strong>se Verbalsugges-<br />
tionen dürfen sich aber keinesfalls als <strong>des</strong>kriptiv tarnen, sondern müssen<br />
offen und selbstbewusst auftreten, denn durchschaut werden sie vom<br />
Leser ohnehin. Damit einher geht jedoch die Notwendigkeit einer hohen<br />
Sensibilität für poetische Sprachmittel, also eine hohe poetisch-<br />
kommunikative Kompetenz. Und die scheint mir auf Seiten der Verant-<br />
wortlichen für Parfumwerbetexte nicht immer gegeben zu sein.<br />
Einen kreativen und unbedingt begrüßenswerten poetisch-verbalen Vor-<br />
stoß in die Domäne der <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> riskiert der Münchner Lyri-<br />
ker Albert Ostermaier. Für ein Parfum-Special der Zeitschrift InStyle (Au-<br />
gust 2002) schrieb Ostermaier als Promotionsaktion Prosagedichte zu<br />
19 Frauenparfums renommierter Marken, darunter etwa Jean Paul Gaul-<br />
tier, Calvin Klein oder Bulgari. In diesen Texten versucht der Autor nicht<br />
krampfhaft, mit ‚schönen’ Worten einen Duft zu beschreiben, sondern die<br />
Texte sind strukturell poetisch angelegt. So heißt es beispielsweise über<br />
das Eau de Toilette Mania von Giorgio Armani:<br />
„Ich bin süchtig nach dir, wie ein Fieber strahlst du durch meine Nerven. Ich<br />
lege meine Hände in ein Eisfach und warte, dass sie auf deinen Wangen zer-<br />
springen in einen unendlichen Regen aus Fingerspitzentropfen. Ich will das<br />
Meer sein, die Summe der Flüsse, die auf den Wellen deines Körpers in dei-<br />
nen Bauchnabel fließen“ (Ostermaier 2002: 149).<br />
Und zu dem Duft L’eau der Firma Strenesse schreibt Ostermaier unter<br />
anderem:<br />
„<strong>Die</strong> Wolken, wie sie deine Haut erahnen und sich vom Wind den Schwung<br />
deiner Schultern erzählen lassen, bevor sie weiterziehen in einen warmen<br />
Gewitterregen“ (Ostermaier 2002: 150).<br />
Hier wird gar nicht erst der unsinnige Versuch unternommen, sich dem<br />
Parfumgeruch beschreibend zu nähern, sondern Ostermaier lässt seine<br />
verbale Kreativität buchstäblich von dem jeweiligen Duft sowie dem Na-<br />
men <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> inspirieren. Selbstverständlich ist der Output hochgra-<br />
dig subjektiv, aber genau das darf und muss er sogar sein. Ob ein syn-<br />
272
ästhetisches Konglomerat bestehend aus Fieber, das durch Nerven<br />
strahlt, Händen im Eisfach und Fingerspitzentropfen etwas über den Ge-<br />
ruch <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> aussagt, ist völlig uninteressant.<br />
Es zählt allein die kommunikative Tatsache, dass der Duft eines <strong>Parfums</strong><br />
anscheinend in der Lage ist, derartige oder auch ganz andere, nämlich<br />
beliebige Assoziationen auszulösen. Ostermaier ist offenbar für eine po-<br />
etische Sicht der Dinge sensibel und besitzt die Fähigkeit, diese Assozia-<br />
tionen in Worte zu fassen. Ob jemand Anderes diesen Worten eine sinn-<br />
volle Bedeutung entnehmen kann, ist nicht nur völlig unerheblich, son-<br />
dern bereits als Anspruch verfehlt.<br />
So originell und innovativ Ostermaiers sprachliche Herangehensweise<br />
an die Parfumgerüche ist, so herkömmlich ist beispielsweise ein Artikel<br />
von Knut Cordsen aus der Süddeutschen Zeitung über dieses Manöver<br />
(Cordsen 2002). Dort diskreditiert der Verfasser Ostermaiers lyrische<br />
Parfumtexte in recht polemischer Weise. <strong>Die</strong>s ist aber (zumin<strong>des</strong>t für<br />
mich) nicht besonders überraschend. Der Artikel ist aus der kommunika-<br />
tionstheoretisch eindimensionalen Perspektive geschrieben, die ich be-<br />
reits zu Beginn dieser Schlussbetrachtung thematisiert habe. Es ist die<br />
Perspektive der unreflektierten Überschätzung der referentiellen Sprach-<br />
funktion, die, wie ich gezeigt habe, für die <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> völlig<br />
unbrauchbar ist. Cordsen scheint davon auszugehen, dass man über<br />
Gerüche ‚normal’ sprechen kann und dass der Lyriker Ostermaier zu<br />
Promotionszwecken lediglich die „Wirklichkeit mit metaphorischer Meer-<br />
rettichsoße“ (Cordsen 2002) überzogen hat. Dass der Wahrnehmungs-<br />
bereich <strong>des</strong> Geruchs im Allgemeinen und <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> im Besonderen<br />
eben keine normale Wirklichkeit und das Metaphorische legitimes Mittel<br />
ist, um sich dieser sprachlich zu nähern, habe ich mit diesem Buch ge-<br />
zeigt.<br />
Statt also diskreditierend von „Meerrettichsoße“ sollte man lieber von ei-<br />
ner crème synesthétique sprechen, und zwar nicht als notwendiges Ü-<br />
bel, sondern als notwendige Bedingung für die <strong>Sprache</strong> <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong>.<br />
273
274
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284
Abbildungen 1 bis 4 aus dem Theorieteil (Farbtafel)<br />
Abbildung 1: Anatomische Gliederung <strong>des</strong> Neocortex (vier Hirnlappen)<br />
Abbildung 2: Komponenten <strong>des</strong> limbischen Systems<br />
285
Abbildung 3: Zerebrale Anatomie und Physiologie <strong>des</strong> menschlichen Riechsys-<br />
tems<br />
Abbildung 4: Neocortex – Areale der Sprachverarbeitung<br />
286
Muster <strong>des</strong> Aufgabenblattes zur Erhebung der Leserdaten (Archileserumfrage)<br />
Nehmen Sie bitte einen Textmarker, einen schwarzen und einen blauen Stift zur<br />
Hand.<br />
Es sind zwei Lesedurchgänge zu absolvieren.<br />
Markieren Sie beim ersten Lesedurchgang bitte mit dem Textmarker in allen drei<br />
Texten die Stellen, die Ihnen ‚irgendwie’ besonders auffallen, die Sie am Lesefluss<br />
hindern, die ‚irgendwie merkwürdig’ sind. Kommentieren Sie dann (mit schwarzem<br />
Stift) kurz am Rand, was aufgefallen ist.<br />
Beim zweiten Lesedurchgang (einige Minuten später) markieren Sie weitere für Sie<br />
auffällige Stellen, falls welche dazugekommen sind; falls nicht, auch okay. (Bitte mit<br />
blauem Stift.)<br />
Hier die Texte:<br />
Hugo Boss-Elements Aqua<br />
<strong>Die</strong> Frische und Lebendigkeit <strong>des</strong> Wasser für einen klaren Duft - Boss Elements A-<br />
qua heißt der Herrenduft, der so erfrischend und belebend wie das pure, klare Ele-<br />
ment Wasser ist. Sprudelnd-frisch und stimulierend sprüht dieser Duft vor maskuli-<br />
ner Vitalität und Energie - wie der Mann, der ihn trägt.<br />
Im Auftakt gibt sich der Duft spritzig und meeresfrisch durch Bergamott und einen<br />
elegant-ozonigen Akkord. <strong>Die</strong> Herznote ist würzig und floral bestimmt durch Piment<br />
und Jasmin, während der Fond mit der maskulinen Präsenz <strong>des</strong> Zedern- und San-<br />
delholzes strahlt.<br />
Der praktische Zerstäuber sorgt für eine gute Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes und<br />
zeigt sich ebenso aquatisch-frisch in der Form, auf der in Glas gefangene Wasser-<br />
tropfen perlen.<br />
287
Bogner-Snow<br />
Maskulin-dynamisch, kühl und klar - Pur und leicht wie Neuschnee und dennoch<br />
natürlich-warm mit Anklängen an tief verschneite Gräser und Hölzer: Bogner Snow.<br />
Das Eau de Toilette mit einzigartigem Cooling Effekt.<br />
Seine Kopfnote strahlt durch alpinen Wacholder, Galbanum-Harz und geeiste Man-<br />
darine transparent-frostige Frische aus, die Herznote besticht durch die Kombination<br />
von Vetiver-Gräsern, Zedernholz und schwarzem Pfeffer. Aromatische Moose, Am-<br />
ber und exotische Feigenblätter verleihen Bogner Snow ein geheimnisvolles, männ-<br />
lich-sinnliches Finish.<br />
Pur und maskulin wie der Duft ist auch der dynamische Flakon aus klarem, kühl-<br />
blauem Glas, <strong>des</strong>sen Form an eine Schneewehe erinnert und <strong>des</strong>sen silbrig-frostige<br />
Umverpackung die eisig-moderne Aussage <strong>des</strong> Duftes perfekt unterstreicht.<br />
Joop-Homme<br />
Ein aufregender Duft für den geradlinigen und leidenschaftlichen Mann. Ein Duft von<br />
blumigen, holzigen und exotischen Nuancen in Harmonie mit herb-warmen Akzen-<br />
ten.<br />
<strong>Die</strong> kühle Frische von Bergamotte vereinigt sich mit dem Feuer der Herz-Kopf-Note<br />
aus Zimt, Orangenblüten und Jasmin. Der exotische Fond von Sandelholz, Vetyver<br />
und Patchouli und ein dezenter Hauch von Ambra, Tabak, Moschus und Honig ver-<br />
schmelzen harmonisch ineinander.<br />
Der schmal geschnittene und klar gestaltete Flakon unterstreicht die Geradlinigkeit;<br />
seine warme und ungewöhnliche Farbgestaltung die Leidenschaftlichkeit und aufre-<br />
gende Wirkung <strong>des</strong> Duftes.<br />
288
Musterexemplar eines bearbeiteten Aufgabenblattes (Faksimile)<br />
289
Das Korpus: 48 Produktbeschreibungen zu Männerparfums<br />
(Quelle: www.douglasbeauty.com, Zugriff am 29.03.2003<br />
Aigner-pour homme<br />
Ein Duft mit Charakter für den modernen Mann - Aigner pour homme wurde 1999 kreiert und verbin-<br />
det zeitlose Eleganz mit dem Zeitgeist <strong>des</strong> neuen Jahrtausends.<br />
<strong>Die</strong> Komposition besticht durch die Verbindung von frischen, mediterranen Zitrusfrüchten, exotischen<br />
Gewürzen und warmen Holzkomplexen aus Sandel- und Zedernholz, Leder und Moschus setzen aus-<br />
gefallene Akzente.<br />
Aigner pour homme verleiht dem modernen Mann Überlegenheit und Gelassenheit. Der Flakon ist ein<br />
Kunstwerk aus brillantem Glas und architektonischen Elementen, im Sprühkopf befindet sich ein Le-<br />
der-Inlay.<br />
Annayaké-pour lui<br />
Ein Duft von einzigartiger Vollkommenheit - Annayaké pour lui - ein Duft für den Mann auf dem Weg<br />
zu innerer Ruhe.<br />
Spritzige Noten wie Mandarine und Apfel bilden den Auftakt dieses Duftes, exotisch abgerundet mit<br />
Aromen reinen Tees. Wilde und grüne Noten unterstreichen im Herzen die Transparenz und Reinheit<br />
der Lotusblüte.<br />
Warme Edelholznoten bilden die sinnliche Basis.<br />
Ein Duft wie eine Hymne auf die japanische Lebenskultur, präsentiert in einem reich verzierten Flakon<br />
aus schiefergrauem Glas - einem Monolithen gleich.<br />
Bogner-Man Classic<br />
Dynamisch, frisch und maskulin - Bogner Man Classic, der Duft für Männer, die ihren Weg gehen und<br />
sich mit der Natur in Einklang wissen.<br />
Seine fruchtig-grüne Kopfnote besticht durch Zitrone, Grapefruit und Bergamotte. Jasmin, Ylang-Ylang<br />
und Gewürznelken verleihen ihm in der Herznote ungeheure Dynamik. Klassische Männlichkeit, her-<br />
vorgerufen durch holzige Ingredienzien wie Vetiver und Baummoos, prägt im Schlussakkord den un-<br />
gewöhnlichen Charakter der Komposition.<br />
Maskulin und souverän wie der Duft präsentiert sich auch der tintenblaue Glasflakon mit seinen gera-<br />
den Linien und der puristischen Gestaltung.<br />
290
Bogner-Snow<br />
Maskulin-dynamisch, kühl und klar - Pur und leicht wie Neuschnee und dennoch natürlich-warm mit<br />
Anklängen an tief verschneite Gräser und Hölzer: Bogner Snow. Das Eau de Toilette mit einzigartigem<br />
Cooling Effekt.<br />
Seine Kopfnote strahlt durch alpinen Wacholder, Galbanum-Harz und geeiste Mandarine transparent-<br />
frostige Frische aus, die Herznote besticht durch die Kombination von Vetiver-Gräsern, Zedernholz<br />
und schwarzem Pfeffer. Aromatische Moose, Amber und exotische Feigenblätter verleihen Bogner<br />
Snow ein geheimnisvolles, männlich-sinnliches Finish.<br />
Pur und maskulin wie der Duft ist auch der dynamische Flakon aus klarem, kühl-blauem Glas, <strong>des</strong>sen<br />
Form an eine Schneewehe erinnert und <strong>des</strong>sen silbrig-frostige Umverpackung die eisig-moderne Aus-<br />
sage <strong>des</strong> Duftes perfekt unterstreicht.<br />
Hugo Boss-Boss Elements<br />
Ein Duft voller Vitalität und Natürlichkeit - Boss Elements ist ein junger Herrenduft, der starke Kontras-<br />
te harmonisch in sich vereint. Inspiriert von den vier Elementen der Natur, präsentiert er sich kraftvoll<br />
und maskulin mit unverkennbar sensiblen Untertönen. Wie der Mann, der diesen Duft trägt.<br />
<strong>Die</strong> Kopfnote überrascht mit spritziger Frische der Bergamott und Mandarine. Im Herzen entfalten<br />
feinwürziger Estragon und herber Wacholder ihr reiches Aroma. Im Fond glüht die Wärme <strong>des</strong> Ambra<br />
und rauchiges Zedernholz.<br />
Der praktische Zerstäuber sorgt für eine optimale Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes und präsentiert sich<br />
ebenso prägnant wie ausgewogen in der Form: Geschwungene Linien verbinden sich mit einem kon-<br />
turreichem Relief zu einem markanten Design.<br />
Hugo Boss-Number One<br />
Der Konkurrenz einen Schritt voraus - Boss Number One von Hugo Boss – ein anspruchsvoller Duft<br />
für den trendorientierten Mann. <strong>Die</strong> raffinierter Duftkreation entfaltet einen wirkungsvollen Kontrast von<br />
lebhafter Frische und warmer Sinnlichkeit.<br />
Den belebenden Auftakt bildet ein erlesenes Kräuter-Bouquet, das im Herzen von blumigen Essenzen<br />
abgelöst wird. Im Fond dominieren balsamisch-animalische Elemente und verschmelzen mit Zeder<br />
und Tabak zu einer einzigartigen Duftschöpfung.<br />
Der markante Flakon aus schwerem Glas spiegelt den maskulinen Charakter <strong>des</strong> Duftes wider.<br />
291
Hugo Boss-Hugo<br />
Ein facettenreicher Herrenduft als Eau de Toilette Spray - Innovativ und jugendlich frisch - so definiert<br />
sich Hugo von Hugo Boss. Am unkonventionellen, dynamischen Lebensstil der jungen Generation<br />
teilzuhaben ist die Inspiration, die Hugo verfolgt.<br />
<strong>Die</strong> natürlich-frische, vitalisierende Kopfnote bildet den Auftakt mit einem Bouquet aus Grapefruit,<br />
grünem Apfel, Pinienadeln untermalt von erlesenen Kräutern. <strong>Die</strong> aromatisch-würzige Herznote ba-<br />
siert auf einer Komposition aus Jasmin, Salbei, Nelken, Lavendel und Geraniumblättern. <strong>Die</strong> holzig-<br />
ledrige Grundnote wird durch Vetiver, Douglasfichtenharz und Moos abgerundet und verleiht Hugo<br />
seine einmalige Ausstrahlung.<br />
Hugo Boss-Elements Aqua<br />
<strong>Die</strong> Frische und Lebendigkeit <strong>des</strong> Wasser für einen klaren Duft - Boss Elements Aqua heißt der Her-<br />
renduft, der so erfrischend und belebend wie das pure, klare Element Wasser ist. Sprudelnd-frisch<br />
und stimulierend sprüht dieser Duft vor maskuliner Vitalität und Energie - wie der Mann, der ihn trägt.<br />
Im Auftakt gibt sich der Duft spritzig und meeresfrisch durch Bergamott und einen elegant-ozonigen<br />
Akkord. <strong>Die</strong> Herznote ist würzig und floral bestimmt durch Piment und Jasmin, während der Fond mit<br />
der maskulinen Präsenz <strong>des</strong> Zedern- und Sandelholzes strahlt.<br />
Der praktische Zerstäuber sorgt für eine gute Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes und zeigt sich ebenso<br />
aquatisch-frisch in der Form, auf der in Glas gefangene Wassertropfen perlen.<br />
Hugo Boss-Boss Bottled<br />
Für Gewinnertypen mit dem Blick nach vorn - Boss - der markant-maskuline Duft für selbstbewußte<br />
Männer, die Erfolg neu definieren.<br />
Der Duft startet in einer fruchtig-spritzigen Kopfnote aus Zitrusfrüchten und Apfel. <strong>Die</strong> blumig-würzigen<br />
Geranien - auch "männliche Rosen" genannt - und die Süße von Zimt dominieren mit einem Hauch<br />
Gewürznelke in der Herznote. <strong>Die</strong> Basisnote präsentiert sich durch eine vibrierend-sinnliche Harmonie<br />
aus Sandelholz, Zedernholz und Vetiver. <strong>Die</strong> delikat-rindige Note von Olivenholz betont den Charakter<br />
dieses Duftes und seines Trägers.<br />
<strong>Die</strong> schlichte Form <strong>des</strong> Glasflakons folgt dem Credo <strong>des</strong> Hauses "weniger ist mehr". Edel, elegant.<br />
292
Hugo Boss-Hugo Dark Blue<br />
Ungezähmte Lebenslust für jeden Moment - Hugo Dark Blue - ein Duft, der die pure Lust am Leben<br />
widerspiegelt. Der das aufregende Leben der Szenegänger ausdrucksstark betont.<br />
<strong>Die</strong> frische, junge Kopfnote lockt mit Akzenten aus Indischer Limette und Malabar-Ingwer, spritzig<br />
frisch kombiniert mit der Kraft von Pink Grapefruit. Im Herzen pure Männlichkeit: Peralgonium und<br />
Zypresse, vereint mit einer floralen Ozonnote, fein abgestimmt mit kräftigen aromatischen Gewürzno-<br />
ten. Balsamische Harze vermischen sich im Fond mit den tiefen Tönen dunkler Holznoten und wirken<br />
wie ein Aphrodisiakum: unbeschreiblich maskulin, sexy, verführerisch. Akkorde aus Wildleder und<br />
Tabak runden die Komposition ab und verführen mit sinnlicher Wärme.<br />
Wie ein Cocktailshaker präsentiert sich der Flakon - in Form und Farbe abgestimmt auf seinen aufre-<br />
genden<br />
Inhalt.<br />
Bruno Banani-Bruno Banani Men<br />
Bruno Banani Men, ein lockerer, optimistischer Duft voll sympatischer Energie. Eine lebendige Hom-<br />
mage an den selbstbewußten und humorvollen Lebenskünstler. Der sein extrovertiertes Ich diskret<br />
unterstreichen und ganz souverän seinen eigenen, unkonventionellen Stil und seine kreative Weltof-<br />
fenheit zum Ausdruck bringen will. Dessen Lebenseinstellung ihm Zeit lässt für ein Augenzwinkern, für<br />
ein Lächeln über sich selbst.<br />
Calvin Klein-Obsession for men<br />
Ein Duft voller emotionaler Klarheit - Extrem klar und maskulin, dabei von subtiler Anziehungskraft - so<br />
gibt sich der Herrenduft Obsession von Calvin Klein. Temperamentvoll und faszinierend mit seiner<br />
emotionalen Deutlichkeit, wie der Mann, der diesen Duft trägt.<br />
Der Auftakt ist von der spritzigen Frische der Mandarine und Zitronenminze geprägt. Im Herzen entfal-<br />
ten sich feinwürzige Noten <strong>des</strong> Lavendels und kostbarer Myrrhe. Der Fond pulsiert mit der geheimnis-<br />
vollen Wärme <strong>des</strong> Ambra und Sandelholzes.<br />
Der praktische Zerstäuber sorgt für eine gute Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes und ist ebenso klar in<br />
seiner Aussage: das Oval <strong>des</strong> Flakons aus schwerem, kristallklarem Glas verbindet Unergründliches<br />
mit moderner Transparenz.<br />
293
Calvin Klein-Eternity for men<br />
Ein Mann, im Einklang mit sich, seinen persönlichen Beziehungen und seiner Umwelt. Eternity for<br />
men ist der einzigartige Ausdruck von Vitalität und Selbstbewusstsein - zwei Eigenschaften, die für<br />
das neue männliche Lebensgefühl stehen. Der Duft entspricht der Wesensart <strong>des</strong> modernen Mannes -<br />
empfindsam und temperamentvoll, zurückhaltend und souverän zugleich. <strong>Die</strong> Verschmelzung von<br />
Zeit, die Versöhnung ihrer Gegensätze, die Synthese alter und neuer Ideen bilden das Motiv der ge-<br />
samten Kollektion.<br />
Calvin Klein-Escape Men<br />
Ein Duft voller Emotionalität und Besinnlichkeit - Escape - ein Duft, der die Sehnsucht der jungen Ge-<br />
neration widerspiegelt: die Sehnsucht nach Besinnlichkeit, nach Beständigkeit und Emotionalität.<br />
Kennzeichnend ist der Duft frischer grüner Birkenblätter auf allen Ebenen: In der Kopfnote gesellen<br />
sich fruchtige und grüne Noten hinzu, die Frische und Natürlichkeit vermitteln. In der Herznote entwi-<br />
ckeln sich würzige Aromen und frische Kräuter, die schließlich durch Vetiver, Sandelholz und Eichen-<br />
moos im Fond warm und sinnlich aufgefangen werden.<br />
Der Flakon präsentiert sich puristisch-schlicht und lässt so Spielraum für de ganz eigene Interpretation<br />
von Freiheit und Musse.<br />
Calvin Klein-Contradiction Men<br />
Er besitzt die Einstellung und das Selbstvertrauen, scheinbar gegensätzliche Elemente zu einem mo-<br />
dernen, unkomplizierten und ausgefüllten Leben zu verbinden. <strong>Die</strong> Widersprüchlichkeit liegt in der<br />
unerwarteten Art und Weise, in der sich der moderne Mann offenbart: er arbeitet hart, treibt intensiv<br />
Sport und engagiert sich dafür, seine Familie aufzubauen. Er ist stark und doch sehr sensibel. Sehr<br />
ernst, aber auch sehr sexy.<br />
294
Cerruti-1881 pour homme<br />
Ein Duft klassisch-herber Eleganz - Cerruti 1881 pour Homme - die würzige Frische maskuliner Natür-<br />
lichkeit. Der holzige Duft für den Mann, der sich seiner Attraktivität bewusst ist.<br />
In seinem Auftakt lockt ein Bouquet aus würzigen Kräutern, leicht und frisch abgerundet durch frische<br />
Noten üppigster Blüten. Der Herz setzt sich aus dem markanten Duft von herbem Moos und einem<br />
Hauch feinster Rose zusammen und wird von einer Komposition aus Edelhölzern, Moschus und Veti-<br />
ver warm aufgefangen.<br />
Der Flakon ist ein Symbol purer Männlichkeit: eine markante Form, schweres geriffeltes Glas und ein<br />
edler, klassisch-schlichter Verschluss machen ihn zu einem Kunstwerk von unvergänglicher Schön-<br />
heit.<br />
Cerruti-Image<br />
Eine Inspiration aus der Natur - Der energiegeladene Herrenduft als leichtes Eau de Toilette für den<br />
Tag. Für Ihn - für den Mann, der das Natürliche liebt und das Original schätzt. Ein Duft der ermutigt,<br />
Grenzen zu überschreiten, der Kreativität freien Lauf zu lassen. Optimismus, Kreativität, Inspiration,<br />
Vision und Zukunft - fünf gravierte Schlüsselworte auf der Mattglas-Banderole geben dem Flakon eine<br />
persönliche Note und charakterisieren den Duft. <strong>Die</strong> Spraykappe, ein modernes Kunstwerk, unter-<br />
streicht die futuristische Form der Flasche.<br />
Chopard-Heaven<br />
Frei wie ein schwebender Adler - Sich frei fühlen, die unendlichen Weiten <strong>des</strong> Himmels erfahren - das<br />
Eau de Toilette Spray Heaven Chopard verführt mit dem Gedanken an dieses Lebensgefühl.<br />
<strong>Die</strong> fruchtig-frische Kopfnote aus Mandarine und Grapefruit erfährt im Herzen kraftvolle Wärme durch<br />
die Tonka-Bohne. In der Basis wird die Zitrusnote vertieft.<br />
Der Himmel als tragen<strong>des</strong> Element <strong>des</strong> Duftes wurde bei der Gestaltung von Flakon und Verpackung<br />
aufgegriffen. Ein tiefes, changieren<strong>des</strong> Azurblau visualisiert seine unendliche Weite. Gekrönt wird der<br />
Flakon von einem schwebenden Adler.<br />
295
Chopard-Cašran<br />
Duft für den sinnlichen Mann - Orientalisch und frisch zugleich, das ist Casran von Chopard.<br />
<strong>Die</strong> exotische Kopfnote hebt die Stimmung durch Bergamotte und Kardamom. Marokkanische Gera-<br />
nien und Scharlachsalbei stecken in der männlich-herben Herznote. Abgerundet wird dieser unge-<br />
wöhnliche Duft durch die ambrahafte Holznote, die sinnlich auf der Haut haftet.<br />
Der komplexe, asymmetrische Flakon spielt mit faszinierenden Lichtreflexen. Ein Hauch Violett<br />
schimmert luxuriös und orientalisch.<br />
Davidoff-Davidoff Classic<br />
Eine lebendige Duftkomposition von klassischer Harmonie - Davidoff Classic ist ein klarer und ausge-<br />
wogener Herrenduft, der sich durch seine Harmonie von Moderne und zeitübergreifender Klassik aus-<br />
zeichnet. Von frischer Eleganz und mit betont maskuliner Note, unterstreicht er dezent die Noblesse<br />
und lebensfrohe Ausstrahlung <strong>des</strong> Mannes, der diesen Duft für sich wählt.<br />
Belebend und mit diskreter Frische im Auftakt durch die feinen Kräuter-Aromen <strong>des</strong> Salbei und Beifuß.<br />
<strong>Die</strong> Herznote präsentiert sich mit der Tiefe würziger Noten <strong>des</strong> Muskat und Koriander. Im Ausklang<br />
betont markant und von der warmen Fülle <strong>des</strong> Sandelholz und Ambra geprägt.<br />
Der handliche Zerstäuber sorgt für eine optimale Verteilung <strong>des</strong> klassischen Duftes und präsentiert<br />
sich unverwechselbar im typischen Davidoff-Design: klar konturiert, markant und präzise - eine har-<br />
monische Verbindung von Stilbewusstsein und Modernität.<br />
Davidoff-Zino<br />
Ein ganz besonderer Duft, elegant und nobel - Der Name Zino Davidoff steht weltweit als Synonym für<br />
vollendeten Genuss, Individualität und kompromisslose Qualität. Mit seinem unaufdringlichen Charme<br />
ist der Duft Zino geschaffen für den Mann, der mit seinem unverwechselbaren Stil das Leben zu ge-<br />
nießen versteht.<br />
Das Eau de Toilette ist im Auftakt frisch und spontan durch Bergamott und Lavendel. <strong>Die</strong> Herznote<br />
erstrahlt im sanften Feuer <strong>des</strong> Geraniums und bleibt doch stets diskret. In markantem Kontrast dazu<br />
steht die Basisnote. Holzig-orientalisch und mit der Wärme von Ambra und Moschus verleiht sie Zino<br />
seine Kraft und Originalität.<br />
Der schwere Glasflacon mit Reliefschliff ist in tiefem, leicht transparentem Violett gehalten. Zusammen<br />
mit dem weichen Farbton alten Elfenbeins für den Verschluss spiegelt er perfekt den noblen Charakter<br />
<strong>des</strong> Duftes wider.<br />
296
Davidoff-Cool Water<br />
Maskulinität als Duft - Cool Water von Davidoff ist ein Duft, der den Charakter einer starken Persön-<br />
lichkeit dezent unterstreicht.<br />
<strong>Die</strong> aromatische Kopfnote <strong>des</strong> Eau de Toilette mit Provence-Akkord von Lavendel, Rosmarin und<br />
Minze macht diesen Duft einzigartig. Der Kontrast zwischen blumigen und holzigen Noten aus Jasmin,<br />
Geranium und Sandelholz dominiert in der Herznote. <strong>Die</strong> typisch warme, süße Basisnote mit den Es-<br />
senzen aus Moschus und Ambra geben dem Duft seine sinnliche Ausstrahlung.<br />
Der schlichte Flakon in Cool-Water-Blau ist mit einem glänzenden Verschluss kombiniert.<br />
Davidoff-Relax<br />
Ein Duft, der auf eine Reise in eine andere Welt einlädt - Relax von Davidoff, eine Duftsymphonie, die<br />
in das Reich der unendlichen Verwandlung entführt. Wo Körper und Geist hingebungsvolle Entspan-<br />
nung finden. Für den selbstbewussten Mann, der weiß: Ich bin der, der ich bin.<br />
Zum Auftakt erstrahlt ein sanfter Akkord von Bergamotte und ausgesuchten waldig-blumigen Essen-<br />
zen. In der Herznote erklingen aromatische Klänge von Geranium und Jasmin, die sich mit einem<br />
feinwürzigen Bouquet verbinden. <strong>Die</strong> Basisnote besticht durch einen balsamischen Fond aus Vetiver<br />
und Patchouli, vollendet durch warmes Ambra.<br />
Der klare Flacon in kühlem Smaragdgrün ist im typischen Davidoff-Design gehalten. Markant und<br />
dennoch ruhig in der Form, zeugt er von Harmonie und Gelassenheit.<br />
Davidoff-Good Life<br />
Ein unverwechselbarer Duft von ehrlichem, ursprünglichem Charakter. Ein Spiegel der Sehnsüchte<br />
und Wünsche <strong>des</strong> modernen, selbstbewussten Mannes. Er sucht das Gleichgewicht zwischen mate-<br />
riellem Erfolg und tiefgehender Emotionalität und findet seine Harmonie durch innere Zufriedenheit.<br />
Davidoff Good Life verkörpert das, was für ihn am wichtigsten ist: Freude und Glück.<br />
297
Dolce & Gabbana-D & G Homme<br />
Der Duft herber Männlichkeit - Dolce & Gabbana Homme ist ein Duft für den Mann mit starker Persön-<br />
lichkeit und einer attraktiv-dynamischen Ausstrahlung.<br />
Belebende Frische vermittelt bereits die Kopfnote durch Zitrusnoten wie Mandarine und Limonen. In<br />
der Herznote erinnert die beruhigende Frische <strong>des</strong> Lavendels an das Flair <strong>des</strong> französischen Südens.<br />
Herzhaft männlich und doch exotisch präsentiert sich der Fond durch Edelholznoten und einen Hauch<br />
Tabak.<br />
Der klassisch gestaltete Flakon in Blau und Silber hat genau die Form, um sich der Faust eines Man-<br />
nes anzupassen. Als Ausdruck von Kraft und Stärke.<br />
Dolce & Gabbana-By Homme<br />
Der Duft ungezähmter Wildheit - By von Dolce & Gabbana ist ein einzigartiger Herrenduft von unge-<br />
zähmtem Charakter, freiheitsliebend, dem Abenteuer auf der Spur.<br />
In seinem Auftakt präsentiert sich der Duft exotisch-würzig und gleichermassen sinnlich. Ein Herz aus<br />
klaren, transparenten Noten strahlt Frische und Leichtigkeit aus, während sich die Basis durch Leder<br />
und Jacaranda markant-maskulin zeigt.<br />
<strong>Die</strong> grafischen Motive <strong>des</strong> Flakons erinnern an das Fell eines Zebras - als Symbol für Freiheit und<br />
Unbändigkeit.<br />
Dolce & Gabbana-D & G Masculine<br />
Der Duft faszinierender Frische - Dolce & Gabbana Masculine ist ein junger Herrenduft von spritzig-<br />
frischem Charakter. Unkompliziert und natürlich, wie der Mann, der ihn trägt.<br />
Schon die Kopfnote verströmt verspielte Frische durch Zitrusessenzen und Kräuter. In Herznote un-<br />
terstreicht Pfefferminze die natürliche Energie. <strong>Die</strong> Basisnote wird erwärmt durch die weichen und<br />
samtigen Tonalitäten <strong>des</strong> zarten Feigenholzes und moschushaltige Nuancen.<br />
Der transparente Flakon überzeugt durch seiner puristische Form: ein sanft gerundeter Zylinder mit<br />
einem futuristischen Stahlverschluss.<br />
298
Helmut Lang-Helmut Lang Male<br />
I smell you on my skin - Helmut Lang hat einen Herrenduft kreiert, der den kostbarsten Duft der Welt<br />
verkörpert: den Geruch von Haut. <strong>Die</strong>ser einmalige Skin Akkord ist es, der in Verbindung mit Wärme<br />
und der Struktur der menschlichen Haut die vollkommene Entfaltung <strong>des</strong> <strong>Parfums</strong> ermöglicht. Er erin-<br />
nert an den Geruch einer Berührung, an eine intime Aura, an eine zweite Haut. Aromatische Noten<br />
aus Lavendel und Rosmarin wecken Erinnerungen an den Geruch von frischer, sauberer Baumwolle.<br />
Männlich-aromatische Frische überwiegt im Herrenduft. Heliotrop-Noten geben der Komposition eine<br />
transparente Leichtigkeit, die sich aber bald schon in tiefe Sinnlichkeit verwandelt, basierend auf rei-<br />
chen Blumennoten und der Wärme von exklusiven Hölzern.<br />
Jil Sander-Background<br />
Ein Duft wie eine Passion - background - der Duft, der den starken Charakter und den dynamischen<br />
Lebensinstinkt eines Mannes von Welt unterstreicht.<br />
In seinem Auftakt gibt er sich fruchtig-frisch durch italienische Lemone und Bergamott. Raffinierte<br />
Exotik vermittelt die Herznote durch ein gewagtes Bouquet aus Jasmin und Gourmetaromen.<br />
Zimt bietet dabei die Überleitung zu der warmen Basisnote, in der weitere Gourmetnoten mit sinnli-<br />
chem Sandelholz harmonieren.<br />
Der Flacon besticht durch Kontraste: Kreis und Vierecke korrelieren und harmonieren auf eigenstän-<br />
dige Weise. Der transparenten Farbigkeit steht das Tiefschwarz <strong>des</strong> Verschlusses gegenüber - als<br />
Symbol facettenreicher Maskulinität.<br />
Jil Sander-Sander For Man<br />
Der Duft der neuen Individualität - Gelassen und kosmopolitisch, frei und unabhängig. <strong>Die</strong>ses Le-<br />
bensgefühl lässt sich weder über einen gesellschaftlichen Status definieren noch einschränken. San-<br />
der for men Eau de Toilette bringt es mit seiner ungewöhnlichen Kombination aus Frische, Energie<br />
und Sinnlichkeit perfekt zum Ausdruck.<br />
Vitalität, Natur, das Leben pur ist die Kopfnote - kühl mit kristallinen Noten von Efeublättern und Min-<br />
ze. Der Eindruck reiner Frische wirkt nachhaltig bis ins Herz <strong>des</strong> Duftes. Koriander, Kardamom und<br />
Pfeffer verbinden sich hier im präzisen Zusammenspiel. In der üppigen Basisnote vermischen sich<br />
ursprüngliche Hölzer wie Zypresse und Kaschmirholz.<br />
Außergewöhnlich auch der Flakon: Seine asymmetrische Form visualisiert volle Energie und dynami-<br />
sche Bewegung. Der opake, mattschwarze Verschluss steht im Kontrast zum kristallinen, klaren Glanz<br />
<strong>des</strong> Glases.<br />
299
Joop-Homme<br />
Ein aufregender Duft für den geradlinigen und leidenschaftlichen Mann. Ein Duft von blumigen, holzi-<br />
gen und exotischen Nuancen in Harmonie mit herb-warmen Akzenten.<br />
<strong>Die</strong> kühle Frische von Bergamotte vereinigt sich mit dem Feuer der Herz-Kopf-Note aus Zimt, Oran-<br />
genblüten und Jasmin. Der exotische Fond von Sandelholz, Vetyver und Patchouli und ein dezenter<br />
Hauch von Ambra, Tabak, Moschus und Honig verschmelzen harmonisch ineinander.<br />
Der schmal geschnittene und klar gestaltete Flakon unterstreicht die Geradlinigkeit; seine warme und<br />
ungewöhnliche Farbgestaltung die Leidenschaftlichkeit und aufregende Wirkung <strong>des</strong> Duftes.<br />
Joop-Nightflight<br />
Ein Duft, erfüllt vom Zauber der Nacht - Wolfgang Joop kreierte mit Nightflight einen modernen Her-<br />
renduft für Männer, die sich zum eigenen Ich bekennen. Denn dieser charmante Duft verströmt den<br />
Zauber der Nacht und lässt ihre Sinnlichkeit und ihren faszinierenden Glanz erleben.<br />
Verlockend lebendig entfaltet sich der Duft mit fruchtig-feinwürzigen Noten, abgelöst von einen mas-<br />
kulin-blumigen Akkord in der Herznote. Der Ausklang ist mild-pudrig und mündet in einer ausgepräg-<br />
ten Ambranote.<br />
Das dunkle Blau <strong>des</strong> Abendhimmels, auf dem ein Sternenmeer funkelt, prägt den edlen Glasflacon.<br />
Joop-What About Adam<br />
Der Ungewöhnliche - Männlich, sinnlich und doch frisch. What About Adam ist eine außergewöhnliche<br />
Verbindung von fünf Schlüsselakkorden, die gleichzeitig erfrischend und belebend, warm und behag-<br />
lich sind.<br />
Eine würzige Zitrusmischung aus Pampelmuse und Zitronenschale geben zusammen mit grüner Min-<br />
ze eine sprudelnde Erfrischung. <strong>Die</strong> Herznote verleiht mit kräftigem Geraniumblatt einen maskulinen<br />
Akkord. Wärme und Sinnlichkeit kommt durch Eichenmoos und Vetiver im Fond.<br />
Mit seinem starken ergonomischen Design passt der Flakon ausgezeichnet in eine Männerhand.<br />
300
Lagerfeld-Lagerfeld Photo<br />
Selbstbewusstsein und Stärke für den Mann mit Charakter - Lagerfeld Photo - ein Duft, der wie ein<br />
Spiegel die Facetten der Persönlichkeit reflektiert. Einer starken Persönlichkeit, die sich durch Klar-<br />
heit, Stolz und Selbstbewusstsein auszeichnet.<br />
<strong>Die</strong> Kopfnote präsentiert dieses Selbstverständnis durch eine belebende Kombination von Grapefruit<br />
und Mandarine. In der Herznote offenbart sich ein einzigartiges Bouquet würziger Maskulinität, in dem<br />
Noten von Jasmin und Geranium die Hauptrollen spielen. <strong>Die</strong> Basisnote besticht durch Vetiver, Pat-<br />
chouli und Leder und rundet den Duft warm und sinnlich ab.<br />
Das klare Design <strong>des</strong> Flakons, der sich in undurchsichtigem Schwarz präsentiert, symbolisiert die<br />
Maskulinität, die von diesem Duft ausgeht.<br />
Lagerfeld-Lagerfeld<br />
Legendär und innovativ - Lagerfeld - das ist der unverwechselbare Herrenduft, der nicht umsonst den<br />
Namen seines Schöpfers trägt. Reich an markanter Originalität und ausgeprägtem Stil, betont Lager-<br />
feld perfekt das Selbstbewusstsein <strong>des</strong> Mannes, der diesen eleganten Duft für sich wählt.<br />
Im Auftakt frisch und lebendig durch Bergamott und Basilikum, gibt sich die Herznote feurig und ge-<br />
heimnisvoll durch Sandelholz und Patchouli. Der Fond strahlt mit der sinnlichen Wärme von Ambra<br />
und Vanille.<br />
Der Zerstäuber sorgt für eine ideale Verteilung <strong>des</strong> Eau de Toilettes und präsentiert sich ebenso ele-<br />
gant in der Aufmachung: eine Harmonie geometrischer Formen von klassischer Schönheit.<br />
Lagerfeld-Lagerfeld Jako<br />
Starke Präsenz - Jako ist der charismatische Duft für den modernen Individualisten.<br />
Männlich-herbe Frische verbindet sich mit geheimnisvoller Sinnlichkeit zu einem fruchtig-würzigem<br />
Dufterlebnis voll brillanter Kontraste: Prickelnde Zitrusnoten bereichert durch einen einem Schuß Da-<br />
vana-Essenz in der Kopfnote, verbinden sich in diesem leichten Eau de Toilette mit einem komplexen<br />
Gewürzakkord im Herzen. Sinnliche markante Basisnoten sorgen für einen bleibenden Eindruck.<br />
<strong>Die</strong> strenge, architektonische Form <strong>des</strong> schlichten Glasflakons erhält durch den metallenen, zylinder-<br />
förmigen Verschluss eine avangardistische Prägung.<br />
301
Lagerfeld-KL Homme<br />
Grenzen durchbrechen, Herausforderungen nachgehen - Das leicht orientalische Parfum KL Homme<br />
ist ebenso frisch wie tiefgründig, ebenso maskulin wie elegant.<br />
Afrikanische Apfelsine, Zitrone und Bergamotte geben dem Duft in der Kopfnote frischen Charakter,<br />
florale Noten, Patchouli und Neroliöl prägen die ungewöhnlich reichen Zwischentöne. Seine Vollen-<br />
dung findet KL Homme in einer feinen Mischung von Sandelholz, Moschus und peruvianischem Bal-<br />
sam, die sich zu exotischer Sinnlichkeit vereinen und dem Duft seine tiefgründige, maskuline Note<br />
verleihen. Ein Hauch Vanille zieht sich wie eine warme Melodie durch die Komposition und schenkt ihr<br />
eine unnachahmliche Eleganz.<br />
Exklusiv präsentiert sich KL Homme als 60 ml Eau de Toilette Spray in einem edlen Flakon aus kla-<br />
rem Glas mit einer orientalisch anmutenden, raffinierten Verschlußkappe.<br />
Laura Biagiotti-Roma Uomo<br />
Der einzigartige Herrenduft mit italienischem Flair - Roma Uomo - ein maskuliner Duft mit romanti-<br />
schen-sinnlicher Ausstrahlung. Faszinierend und geheimnisvoll mit einem Hauch von Erotik.<br />
<strong>Die</strong> fruchtige Frische von Tangerine und rosa Grapefruit, gemischt mit edlen Kräutern bilden den Auf-<br />
takt, der von einer blumigen Herznote abgelöst wird. Edle Zeder- und Sandelhölzer schenken ge-<br />
heimnisvolle Tiefe und verschmelzen im Fond mit einem Hauch von Vanille und Ambra.<br />
Der Glasflacon erinnert an antike römische Säulen und schärft die Erwartung auf einen aufregenden<br />
Duft.<br />
Marc O’Polo-Marc O’Polo Man<br />
Der Wohlfühlduft mit Natürlichkeit und würziger Frische - Marc O´Polo Man ist voller Dynamik. Eine<br />
Einladung in eine neue Dimension <strong>des</strong> bewussten Fühlens und Erlebens.<br />
Eine anregende Brise, frisch, natürlich und holzig-würzig. Intensiv öffnet sich der Duft mit einem Ap-<br />
felakkord. Pikant kontrastieren Bergamotte, Kardamom und roter Pfeffer die frisch-würzige Note. Im<br />
Herzen bilden wilde Kräuter und erlesene Gewürze wie Minze, Rosmarin, Lavendel und Muskat ein<br />
Duftbouquet aus aromatischer Energie. Im Ausklang werden warme tropische Edelhölzer wie Teak<br />
und Guajak mit der kraftvoll-herben Holznote <strong>des</strong> Grapefruitbaums in einen raffinierten Spannungsbo-<br />
gen gesetzt.<br />
Der Flakon präsentiert sich puristisch-elegant und zieht den Blick auf eine strahlend-klare Lupe. Marc<br />
O´Polo Man ist ein Duft, so temperamentvoll, facettenreich und inspirierend lebendig wie sein Träger.<br />
302
MEXX-Man<br />
Mexx Man: markant, spontan, lebendig - Ein Duft für zielstrebige, optimistische Männer.<br />
Seine würzig-frische Kopfnote überzeugt durch die Kombination von Ananas und Mandarine mit Basi-<br />
likum und Salbei. In der Herznote dominieren die lebendige, grüne Frische von Tanne und Farn, abge-<br />
rundet durch Geranie und Jasmin. <strong>Die</strong> ungewöhnlich maskuline Note entfaltet sich durch eine kon-<br />
trastreiche Verbindung von Sandelholz, Zeder, Eichenmoos und Leder.<br />
Präsentiert wird der Duft in einem Accessoire, daß perfekt zur Lebensart von Mexx-Menschen passt:<br />
Impulsive, gradlinige, männlich-kantige Formen prägen den glasklaren Zerstäuber, <strong>des</strong>sen raffinierte<br />
Seite sich nur ertasten läßt: <strong>Die</strong> vier markanten Buchstaben Mexx.<br />
MEXX-Man Perspective<br />
Sprühend-lebendig und auffallend maskulin - Look twice! Mexx Perspective Man. Ein dynamischer<br />
Duft für Männer, die Spaß an neuen Perspektiven haben.<br />
Seine aromatische Frische, hervorgerufen durch Zitrusfrüchte und Bergamotte, mündet in der Herzno-<br />
te in die würzig-kühlen Akzente von Wasserlilien, Pfeffer und Salbei. Der maskuline Fond wird geprägt<br />
von wertvollen Hölzern sowie sinnlichen Amber- und Moschusnoten.<br />
Duft, Flakon und Verpackung spiegeln das junge, unkonventionelle Lebensgefühl der Komposition<br />
wider: Metallisch schimmern<strong>des</strong> Blau in Kombination mit leuchtendem Grün und ein Flakon aus ge-<br />
frostetem Glas, der nur durch einen klaren Halbkreis den Blick in das Innere preisgibt. Look twice -<br />
denn wer zweimal hinsieht, entdeckt Neues!<br />
Nikos <strong>Parfums</strong>-Sculpture Homme<br />
Eine Vision mit antiken Wurzeln als kostbares Eau de Toilette - Nikos Sculpture Homme ist eine mo-<br />
derne Duftformel für den klassischen Mann. Sein ausdrucksvoll männlicher Charakter macht ihn un-<br />
verwechselbar und vermittelt die perfekte Harmonie von Körper und Seele.<br />
In der Kopfnote versprühen Orangenblüten strahlende Frische. <strong>Die</strong> warme-maskuline Herznote, in der<br />
ein voller Zedernholz-Akkord dominiert, verschmilzt im Fond durch kulinarische Vanille und Tonka zu<br />
einer sinnlich- markanten Komposition.<br />
Der kristallklare Flacon erinnert an vom Meer geschliffene Steine, wie man sie an den Küsten Grie-<br />
chenlands findet.<br />
303
Rochas-Eau De Rochas Homme<br />
<strong>Die</strong> männlich- frische Duftkomposition als Eau de Toilette Spray - Der Duft für den Mann, der Ur-<br />
sprünglichkeit und Zeitgeist in sich vereint. Der die Natur liebt und das Original schätzt.<br />
Das leichte Eau de Toilette Spray fängt die Frische der Natur in unverwechselbarer Art und Weise ein<br />
- ehrlich, ungekünstelt, echt. Eine Komposition hochwertiger, südländischer Früchte und Kräuter ver-<br />
mittelt die Frische, nach der er sich sehnt - inspiriert von dem, was die Natur bietet.<br />
<strong>Die</strong> Struktur <strong>des</strong> hochwertigen Flacons aus Glas erinnert an natürlich-harmonische Formen und unter-<br />
streicht den Charakter <strong>des</strong> Dufts.<br />
Rochas-Rochas Man<br />
Der Herrenduft mit dem erotischen Flair - Rochas Man ist ein Ausdruck von Lebens- und Liebeskunst.<br />
Kraftvoll und maskulin in seinem Stil inspiriert er Männer, die ihren Instinkten folgen.<br />
Seine männliche Ausstrahlung ist wie Feuer und Eis zugleich, eine Mixtur mit kühnem Rezept: Laven-<br />
del und reife Früchte der Kopfnote werden im Herzen von einem Hauch von Zeder und Jasmin abge-<br />
löst. Schließlich mündet die Komposition im Fond in einer tiefgründigen Ambranote, Mokka- Akzenten<br />
und einem Hauch pudriger Vanille. Sinnliches Sandelholz und Patchouli runden das Dufterlebnis ab.<br />
Das Design <strong>des</strong> Flacons erinnert an ein zeitgenössisches Kunstwerk und beflügelt die Erwartung auf<br />
einen aufregenden Duft.<br />
Rochas-Aquaman<br />
Ein Duft mit der Kraft <strong>des</strong> Wassers - Aquaman von Rochas weckt einzigartige Emotionen und setzt<br />
ungeahnte Empfindungen frei. Wasser, das Element der Perfektion und Ursprung allen Lebens, eröff-<br />
net neue Horizonte der Freiheit.<br />
<strong>Die</strong> Kraft und Frische, Transparenz und Tiefe <strong>des</strong> Wassers vereinen sich in diesem Parfum, verfeinert<br />
durch einen Hauch edler Hölzer und Gewürze. In der Kopfnote dominiert ein pulsierender, strahlender<br />
Duftakkord aus spritziger Pampelmuse, energiegeladenen Korianderkörnern, prägnantem Kardamom<br />
und frischen Harzen. <strong>Die</strong> Herznote entwickelt ihren kontrastreichen Charakter aus dem Zusammen-<br />
spiel von zart nach Anis duftendem Muskatellersalbei und intensiven Geraniumblättern. Wie eine Lieb-<br />
kosung entfaltet das Parfum schließlich seine Grundnoten, in denen die alles umhüllende Tiefe von<br />
Sandelholz auf die Exotik von Amberholz trifft.<br />
Das klare, schlanke Design <strong>des</strong> Flakons, seine Kombination aus Glas, Chrom und tiefblauer Flüssig-<br />
keit schaffen einen Eindruck von Eleganz, Modernität und High-Tech-Luxus.<br />
304
Valentino-Very Valentino Homme<br />
Eleganz ohne Grenzen - Zuversichtlich provokativ, zeitlos sinnlich - so unterstreicht Valentinos jüngs-<br />
ter Herrenduft die verführerischen Kräfte eines Mannes, der mit sich im Einklang ist.<br />
Der erste Eindruck ist frisch und vibrierend. Er wird bestimmt durch betont würzige Essenzen. <strong>Die</strong><br />
Herznote schlägt stark und kräftig durch Tabak aus Virginia und Kräuter aus südlichen Gefilden. Den<br />
Abschluß bilden warme Holznuancen, Ambra und Moschus. Der Flakon <strong>des</strong> Eau de Toilettes kenn-<br />
zeichnet den eleganten Auftritt kultivierter Männlichkeit.<br />
Eine solide, starke, rechteckige Form als zeitgemäßes Design für Balance und Harmonie. Feinste<br />
Arbeit in rauchgrauem Glas mit gebürsteten Silberdetails und einer auffälligen silbernen Manschette.<br />
Versace-Versace L'homme<br />
Der Duft für starke Männerpersönlichkeiten - <strong>Die</strong>sen Duft hat Versace für den weltoffenen, selbstsi-<br />
cheren Mann geschaffen, der seinen Stil gefunden hat. <strong>Die</strong> männlich markante Duftbotschaft signali-<br />
siert einen luxuriösen Lebensstil, der beruflichen Erfolg mit den kultivierten Seiten <strong>des</strong> Lebens harmo-<br />
nisch und charaktervoll verknüpft.<br />
In der frischen Kopfnote erstrahlen Kalifornische Zitrone, Bergamotte und Pampelmuse. Das Herz ist<br />
fruchtig-floral mit Jasmin, Lavendel und Ylang-Ylang. Männlich-würzig ist der Fond mit Eichenmo-<br />
schus, Patchouly und Amber.<br />
Versace-Versace The Dreamer<br />
Ein Duft <strong>des</strong> Himmels und der Luft - Der Versace Duft The Dreamer ruft vielfältige Assoziationen<br />
wach: von einem sternenklaren Nachthimmel oder einer flimmernden Wüste. Träume wandeln sich<br />
und so wandelt sich auch der Duft. The Dreamer ist ein männlicher Duft, aber auch Frauen werden ihn<br />
lieben.<br />
<strong>Die</strong> Duftnote ist eine glückliche Verbindung von anfänglich frischer Leichtigkeit und bleibender warmer<br />
Sinnlichkeit. In der Kopfnote verlocken wilde, aromatisch-frische Pflanzen wie Hollunder und Estragon.<br />
Im Herzen fasziniert ein maskuliner Einklang von Flachsbüten, Bernsteinlilie und Iriswurzel. Der Fond<br />
verströmt eine gefühlvolle Wärme durch Tabakblüten und Ambra.<br />
Auch die Verpackung ist himmlisch: Der Sternenhimmel auf der Packung öffnet sich für einen wertvol-<br />
len Glasflakon, die man beim ersten Anblick sofort berühren möchte.<br />
305
Danksagung<br />
Mein Dank gilt<br />
Thomas Schultke, Corinna Wallschlag, Katrin Kurz, Christian Warrlich, Wolfgang<br />
Wildgen, Hans Peter Krings, Nick Enfield (MPI Nijmegen);<br />
den Studierenden, die an der Archileser-Umfrage teilgenommen haben, darunter:<br />
Cordula Frische, Evelyn Laue, Deike Spies, Dorothea Steinmetz, Philip Schoßau,<br />
Lars Schäfer, Johannes Strate, Svenja Nierentz, Salah Zakhama, Celia Enders, An-<br />
ne Siekmeyer, Yvo Warmers;<br />
Werner Hariegel (Fragrance Foundation Deutschland);<br />
dem Eiscafé Cercena sowie<br />
Magpie, The Raven and The Heron.<br />
306