22.08.2013 Aufrufe

MANUSKRIPTE THESEN INFORMATIONEN - bei Bombastus-Ges.de

MANUSKRIPTE THESEN INFORMATIONEN - bei Bombastus-Ges.de

MANUSKRIPTE THESEN INFORMATIONEN - bei Bombastus-Ges.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>MANUSKRIPTE</strong><br />

<strong>THESEN</strong><br />

<strong>INFORMATIONEN</strong><br />

HERAUSGEGEBEN VON DER<br />

DEUTSCHEN<br />

BOMBASTUS-GESELLSCHAFT<br />

Nr. 15 – 1 · 2000


Vorstand und Verwaltungsrat<br />

<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

Prof. Dr. theol. Ute Gause<br />

Dietrich Mühlberg<br />

Dr.Michael Liebscher<br />

Dipl.-Biol. Günter Ickert<br />

INHALT<br />

Editorial<br />

Paracelsus und Jesus Christus<br />

Paracelsus zum Einfluss <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>tirne<br />

auf <strong>de</strong>n Menschen und <strong>de</strong>ssen <strong>Ges</strong>undheit<br />

Rezension – Empfehlung<br />

(V.Weigel – Dr. Pfefferl)<br />

Information über Prof. Okabes Buch<br />

2<br />

4<br />

18<br />

24<br />

27<br />

1


2<br />

EDITORIAL<br />

In <strong>Ges</strong>prächen über Weltanschauung und Ethik begegnet man nicht selten <strong>de</strong>r Ansicht,<br />

dass das Christentum zwar schon zweitausend Jahre existiere, aber die Welt seit<strong>de</strong>m<br />

nicht besser gewor<strong>de</strong>n sei. Obwohl <strong>bei</strong><strong>de</strong> Teilaussagen für sich offenbar richtig sind, ist<br />

ihre so gehandhabte Verknüpfung eine höchst oberflächliche. Wenn die Welt im Verlauf<br />

<strong>de</strong>r zurückliegen<strong>de</strong>n zweitausend Jahre nicht ›besser‹ gewor<strong>de</strong>n ist – wir unterstellen:<br />

›besser‹ im Sinne ethischen Verhaltens <strong>de</strong>r Menschen – dann liegt das gewiss nicht am<br />

Christentum, son<strong>de</strong>rn mit hoher Wahrscheinlichkeit an <strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>n Umsetzung seiner<br />

Lehren in <strong>de</strong>n Alltag. Am Lebenswan<strong>de</strong>l sollte ein Christ erkennbar sein, sollte sich<br />

seine Nähe zu Gott wi<strong>de</strong>rspiegeln. Und wenn christlicher Glaube nicht in <strong>de</strong>n Alltag mit<br />

seinen Aufgaben, Problemen, Belastungen und Versuchungen integriert wird, bleibt <strong>de</strong>r<br />

Christ »Hörer allein, wodurch« er sich »selbst betrügt« (Jak.l, 22). Wer JA zu Gott und<br />

Christus sagt, muss und will zu vielem um sich und in sich NEIN sagen, konsequent<br />

und <strong>de</strong>utlich.<br />

Paracelsus lebte in einer Epoche, in <strong>de</strong>r die christliche Religion »noch eine dominante<br />

gesellschaftliche Rolle gespielt hat« (Ute Gause, siehe dieses Heft) und »in <strong>de</strong>r die Existenz<br />

einer Person meist in irgen<strong>de</strong>iner Form noch vom Christentum geprägt war«. Das<br />

Wort ›noch‹ verweist auf die gegenwärtige Situation, in <strong>de</strong>r das Christentum, obwohl in<br />

weiten Teilen <strong>de</strong>r Welt keiner Verfolgung ausgesetzt, keine dominante gesellschaftliche<br />

Rolle spielt und die Zahl <strong>de</strong>r Menschen drastisch abnimmt, die vom Christentum geprägt<br />

ist. Geprägt heißt, ein Leben nach <strong>de</strong>n christlichen Geboten zu führen und nicht<br />

»<strong>de</strong>n lieben Gott einen guten Mann sein lassen«. Es wer<strong>de</strong>n offensichtlich in immer stärkerem<br />

Maße Hemmschwellen überschritten, was zur Frage veranlasst, welchen Stellenwert<br />

Christus und die christliche Weltanschauung in unserem – persönlichen wie gesellschaftlichen<br />

– Leben haben.<br />

Für Paracelsus war Christus die werte- und lebensbestimmen<strong>de</strong> Mitte seines Denkens<br />

und Han<strong>de</strong>lns. Nicht befangen durch konfessionelle Abgrenzungen fand er Standpunkte,<br />

die wir als ein individuelles Herzenschristentum empfin<strong>de</strong>n. Paracelsus gelangte<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Kommentierung <strong>de</strong>r Psalmen, <strong>de</strong>r Zehn Gebote o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Abendmahls stets zu<br />

ethischen Schlussfolgerungen, die zugleich in kategorischen Aufgabenstellungen mün<strong>de</strong>ten<br />

wie z.B. »henk die tugent <strong>de</strong>s seligen lebens an dich« 1 ! Bei aller Akzeptanz menschlichen<br />

Suchens und Forschens weiß <strong>de</strong>r Hohenheimer, dass nur Christus <strong>de</strong>m Menschen<br />

rechte Orientierung ermöglicht: »dan wer wil leben seliglich uf er<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r muß sein ler,<br />

regiment und ordnung auf <strong>de</strong>n eckstein Christum sezen ...dan kein ler ist nuz, sie kum<br />

dan vom himel, kein gebot nuz, es kem dan vom himel, kein kunst nuz, es kum dan<br />

vom himel. und also mit an<strong>de</strong>rn allen« 2 . Angesichts <strong>de</strong>r zweifellos bestürzen<strong>de</strong>n Tatsache,<br />

dass Christus aus <strong>de</strong>m individuellen wie gesellschaftlichen Leben immer mehr verdrängt<br />

wird, sei festgehalten, dass die Kraft von Persönlichkeiten, wie auch immer, Ziel<br />

und Weg einer <strong>Ges</strong>ellschaft in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beeinflusst. Erfor<strong>de</strong>rlich<br />

ist nicht das ängstliche Schielen nach Quantitäten Gleichgesinnter, son<strong>de</strong>rn das<br />

energische Mühen um Qualität <strong>de</strong>r Persönlichkeitsentwicklung.<br />

In seinem bemerkenswerten Buch »Paracelsus – Arzt unserer Zeit« (Benziger Verlag<br />

AG Zürich, 1992) schreibt Frank Geerk: »Muss die Naturwissenschaft, wie wir das häufig<br />

beobachten, wirklich abgleiten in bezugloses Spezialistentum und überheblichen Materialismus?<br />

Muss Religion tatsächlich immer wie<strong>de</strong>r in Institutionen pervertiert wer<strong>de</strong>n<br />

und zu sektiererischem Machtmissbrauch <strong>de</strong>s Klerus führen? Die Verflechtung von<br />

natürlichem und himmlischem Licht, wie sie Paracelsus vorgedacht hat, stellt sich <strong>bei</strong><strong>de</strong>n


obengenannten fatalen Entwicklungen entgegen. Wen<strong>de</strong>n wir seinen Gedankenansatz<br />

an, hieße das einerseits, Naturwissenschaft mit Qualitäten aus <strong>de</strong>m religiösen Bereich zu<br />

betreiben, nämlich mit Demut und Hochachtung vor <strong>de</strong>r Schöpfung; an<strong>de</strong>rerseits aber<br />

hieße es, religiöse Institutionen und Rituale mit skeptischem Realismus zu verfolgen, die<br />

Religion von <strong>de</strong>n pervertieren<strong>de</strong>n Machtansprüchen dogmatischer Amtsinhaber zu ›reinigen‹,<br />

um so wie<strong>de</strong>r frei zu wer<strong>de</strong>n für ursprüngliche religiöse Erfahrung und spirituelle<br />

Erkenntnis. Mehr Wissenschaft in <strong>de</strong>r Religion, mehr Religion in <strong>de</strong>r Wissenschaft, Paracelsus<br />

hat es uns vorgemacht« (S.115). Geerk sieht mit ›Arzt‹ in seinem Buchtitel ebenso<br />

wenig ausschließlich <strong>de</strong>n Mediziner Paracelsus wie z.B. Prof.Biser, <strong>de</strong>r paracelsische Gedanken<br />

in <strong>de</strong>m Sinne reflektiert, dass das Christentum eine Religion sei, die <strong>de</strong>n »todverfallenen<br />

Menschen auf einen <strong>de</strong>m göttlichen Leben angenäherten Stand und Rang erhebt«<br />

3 . Im Sinne <strong>de</strong>s paracelsischen Credos von <strong>de</strong>r Liebe als <strong>de</strong>m Grund aller Arznei<br />

äußerte sich <strong>de</strong>r Baseler Professor für physikalische Chemie Dr.phil.MaxThürkauf zum<br />

»nuz <strong>de</strong>r ler«: »In <strong>de</strong>r Liebe sollen wir Gott gleich sein wollen. Deshalb sind nur Liebestaten<br />

sinnvoll; eine Tat, die keine Liebestat ist, ist sinnlos, und wenn sie noch so zweckvoll<br />

ist. Aus diesem Grun<strong>de</strong> wird die mo<strong>de</strong>rne Naturwissenschaft täglich zweckvoller und<br />

täglich sinnloser; sie ist – wenn Sie mir diesen Ausdruck gestatten – ebenso großkopfig<br />

wie herzlos« 4 .<br />

Der Christ Paracelsus mag seine Überzeugung nicht immer diplomatisch vorgetragen<br />

haben, aber er hat sich konsequent bemüht, sie zu leben. Sein Dasein war ein Gottesdienst<br />

nicht im Sinne von Ritualen o<strong>de</strong>r Askese, son<strong>de</strong>rn im Sinne <strong>de</strong>s Dienens an seinen<br />

Nächsten und damit für Gott. In seinem Leben wi<strong>de</strong>rspiegelte Paracelsus seine Nähe<br />

zu Gott. Der Hohenheimer hatte seinen Glauben in sein Dasein integriert.<br />

Dass wir nach 500 Jahren Paracelsus als Orientierungshilfe in einer Zeit zitieren, da die<br />

christliche Religion mehr und mehr an gesellschaftlicher wie individueller Relevanz verliert,<br />

spricht für die Qualität <strong>de</strong>r Persönlichkeit <strong>de</strong>s Hohenheimers, <strong>de</strong>n es nicht anfocht,<br />

mit seiner Überzeugung ein unbequemer Mahner zu sein. Die Welt kann nur besser wer<strong>de</strong>n,<br />

wenn Christen ihre Überzeugung leben, »Lehre, Regiment und Ordnung auf <strong>de</strong>n<br />

Eckstein Christus setzen« und sich ausschließlich um sinnvolle, also um Liebestaten<br />

bemühen. Mag das Streben nach einem ›gesicherten‹ Leben – was auch immer <strong>de</strong>r Einzelne<br />

darunter verstehen mag – eine unbestreitbare Selbstverständlichkeit im menschlichen<br />

Alltag sein, so ist jedoch ein wahrhaft gesichertes Leben nur das »selige Leben«, von<br />

<strong>de</strong>m Paracelsus spricht.<br />

Vorstand und Verwaltungsrat<br />

<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

1 Paracelsus, Sämtliche Werke, II.Abt., II/97<br />

2 Matthießen, Wilhelm: Theophrast von Hohenheim, gen.Paracelsus<br />

Theologische und religionsphilosophische Schriften, I.Band, S.84/85<br />

Otto Wilhelm Barth/ München 1923<br />

3 Der Deutsche Apotheker, Heft 11/12 1993, S.334f.<br />

4 Christus und die mo<strong>de</strong>rne Naturwissenschaft, Johannes-Verlag Leutesdorf 1985 S.15<br />

3


Wenn Paracelsus für Menschen <strong>de</strong>r heutigen<br />

Zeit überhaupt ein Begriff ist, dann ist<br />

er zumeist aus naturwissenschaftlichen und<br />

medizinischen Kontexten bekannt. Viel<br />

weniger bekannt ist sicherlich nach wie vor,<br />

dass Paracelsus sich auch als Laientheologe<br />

zu Wort gemel<strong>de</strong>t hat. Er hat ein beträchtliches<br />

laientheologisches Werk hinterlassen,<br />

das umfangreiche Bibelkommentare zu altund<br />

neutestamentlichen Schriften enthält,<br />

er verfasste sozialethische Schriften und hat<br />

sich zu dogmatischen Themen, wie zur Trinität,<br />

zur Mariologie und zur Abendmahlslehre<br />

geäußert.<br />

Diese Schriften sind zu seinen Lebzeiten<br />

nie im Druck erschienen und lei<strong>de</strong>r ist auch<br />

die in diesem Jahrhun<strong>de</strong>rt begonnene kritische<br />

Edition <strong>de</strong>r Theologica, initiiert durch<br />

<strong>de</strong>n kürzlich verstorbenen Nestor <strong>de</strong>r Paracelsusforschung<br />

Kurt Goldammer in Marburg,<br />

zum Erliegen gekommen. Damit wird<br />

die Erschließung <strong>de</strong>r theologischen Werke<br />

<strong>de</strong>s Laientheologen Paracelsus wohl frühestens<br />

im nächsten Jahrtausend möglich sein,<br />

wenn es dann ein Interesse für diese Form<br />

von Literatur überhaupt noch gibt. Die kirchenhistorische<br />

Forschung widmete ihm allerdings<br />

in <strong>de</strong>n letzten Jahren erfreulich viel<br />

Interesse: Hartmut Rudolph hat in <strong>de</strong>m einschlägigen<br />

protestantischen Nachschlagewerk,<br />

<strong>de</strong>r Theologischen Realenzyklopädie 2 ,<br />

eine ausführliche Darstellung auch <strong>de</strong>r<br />

Theologie <strong>de</strong>s Paracelsus gegeben. Umfangreiche<br />

Sammelbän<strong>de</strong> als Resultate von<br />

Tagungen in Glasgow und Stuttgart befassen<br />

sich mit <strong>de</strong>r Theologie <strong>de</strong>s Paracelsus. 3<br />

Andrew Weeks veröffentlichte 1997 eine<br />

Studie zum Verhältnis von Paracelsus’ spekulativer<br />

Theorie und <strong>de</strong>r Krise <strong>de</strong>r frühen<br />

Reformation 4 und das Archiv für Reformationsgeschichte<br />

befasste sich in diesem Jahr<br />

in einem Aufsatz von Mitchell Hammond<br />

mit <strong>de</strong>n religiösen Wurzeln <strong>de</strong>r paracelsischen<br />

medizinischen Theorie. 5<br />

4<br />

Ute Gause<br />

PARACELSUS UND JESUS CHRISTUS<br />

– Paracelsus als theologischer Denker zwischen<br />

Reformation und radikalem Individualismus 1 –<br />

1. Einleitung<br />

Da<strong>bei</strong> fin<strong>de</strong>t auch <strong>de</strong>r Psalmenkommentar<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus, <strong>de</strong>r auch im heutigen<br />

Vortrag Grundlage sein wird, Interesse.<br />

Martin Brecht nahm seine Einordnung in<br />

<strong>de</strong>n Kontext <strong>de</strong>r Reformation vor. 6 Bei<br />

<strong>de</strong>m mittlerweile emeritierten Mainzer<br />

Kirchenhistoriker Gustav Adolf Benrath<br />

steht eine Dissertation über <strong>de</strong>n Psalmenkommentar<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus kurz vor <strong>de</strong>r<br />

Fertigstellung.<br />

Aber zunächst möchte ich Ihnen mein<br />

etwas eigentümlich klingen<strong>de</strong>s Thema<br />

etwas näher erläutern: Paracelsus und Jesus<br />

Christus – das ist ein Titel, <strong>de</strong>r eigentlich<br />

aus einem früheren Jahrhun<strong>de</strong>rt zu stammen<br />

scheint, aus einer Zeit, in <strong>de</strong>r die Existenz<br />

einer Person meist in irgen<strong>de</strong>iner<br />

Form noch vom Christentum geprägt war.<br />

Ich habe diesen Titel mit Bedacht gewählt,<br />

um zu zeigen, dass Paracelsus ein Mensch<br />

einer Epoche ist, in <strong>de</strong>r die christliche Religion<br />

noch eine dominante gesellschaftliche<br />

Rolle gespielt hat und dass er hier durchaus<br />

ein Vertreter seiner Zeit ist.<br />

Um nachempfin<strong>de</strong>n zu können, was<br />

Paracelsus mit Jesus Christus verbin<strong>de</strong>t,was<br />

für einen Stellenwert er in seinem Leben<br />

einnimmt, müssen wir neben seinen<br />

Schriften – und hier habe ich mich auf <strong>de</strong>n<br />

umfangreichen, nicht vollständig erhaltenen<br />

Psalmenkommentar aus <strong>de</strong>m Jahr 1530<br />

konzentriert – auch auf das Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

zugehen, in <strong>de</strong>m er gelebt hat und das auf<br />

eine Art und Weise vom Verhältnis zu<br />

Jesus Christus dominiert war, wie vielleicht<br />

kein Jahrhun<strong>de</strong>rt zuvor und danach. Die<br />

Frage nach Jesus Christus, nach seinem<br />

Stellenwert innerhalb <strong>de</strong>r Kirche, nach<br />

seiner Be<strong>de</strong>utung für das eigene Leben berührte<br />

auf die eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Weise fast<br />

alle Menschen <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts in ganz<br />

Europa. Ähnliches Interesse fin<strong>de</strong>n heute<br />

gera<strong>de</strong> einmal die Fußballweltmeisterschaft<br />

o<strong>de</strong>r die Tour <strong>de</strong> France.


Wir leben – und Sie in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn<br />

noch in viel stärkerem Maße –<br />

in einer säkularisierten Welt, in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Glaube an Jesus Christus nur noch für wenige<br />

Menschen eine Be<strong>de</strong>utung hat, und<br />

diese Be<strong>de</strong>utung wird gesellschaftlich kaum<br />

mehr sichtbar. Ein Indiz dafür ist die Tatsache,<br />

dass Religionsunterricht nicht mehr<br />

als konstitutives Schulfach empfun<strong>de</strong>n wird<br />

und wir wohl früher o<strong>de</strong>r später keinen<br />

konfessionell gebun<strong>de</strong>nen Religionsunterricht<br />

mehr an <strong>de</strong>n Schulen haben wer<strong>de</strong>n.<br />

Gera<strong>de</strong> einmal an Heiligabend hört vielleicht<br />

<strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, <strong>de</strong>r, weil es <strong>de</strong>r<br />

eigenen Stimmung so gut tut, eine Kirche<br />

aufsucht, von <strong>de</strong>r Geburt dieses Kin<strong>de</strong>s, das<br />

für Paracelsus so be<strong>de</strong>utungsvoll war.<br />

Ostern dagegen hat mittlerweile nur noch<br />

<strong>de</strong>n Osterhasen zu bieten. Dass Ostersonntag<br />

als Tag <strong>de</strong>r Auferstehung Jesu Christi<br />

gefeiert wird, ist, glaube ich, immer weniger<br />

bekannt.<br />

Trotz<strong>de</strong>m spiegeln sich in vielen Bewegungen<br />

unserer <strong>Ges</strong>ellschaft Gefühle, die<br />

zeigen, dass auch heute die Menschen<br />

Sehnsucht nach Erlösung empfin<strong>de</strong>n und<br />

eine Erlösung suchen, die im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

durch die Reformation untrennbar mit<br />

Jesus Christus verknüpft wor<strong>de</strong>n ist. Viele<br />

Menschen interessieren sich für an<strong>de</strong>re<br />

Weltreligionen. Der Buddhismus als friedfertige<br />

und undogmatische Religion interessiert<br />

da<strong>bei</strong> beson<strong>de</strong>rs. Die Anthroposophie<br />

gewinnt immer mehr Anhänger, weil sie ein<br />

ganzheitliches Weltbild, das alle Lebensbereiche<br />

<strong>de</strong>s Menschen umfasst, anbietet;<br />

an<strong>de</strong>re Menschen suchen ihr Heil im Engagement<br />

für <strong>de</strong>n Umweltschutz o<strong>de</strong>r im <strong>Ges</strong>talten<br />

eines harmonischen Familienlebens.<br />

Jugendliche bin<strong>de</strong>n ihr Heil an Popgruppen,<br />

die sie so verehren, dass man wohl von mo<strong>de</strong>rner<br />

Heiligenverehrung sprechen kann.<br />

Und <strong>de</strong>r Film <strong>de</strong>s Jahres 1998, Titanic, spiegelt<br />

eigentlich <strong>de</strong>n genuin christlichen Erlösungsgedanken:<br />

Ein lieben<strong>de</strong>r Mensch gibt<br />

sein Leben für einen an<strong>de</strong>ren. Vielleicht<br />

stehen wir also <strong>de</strong>m, was ich Ihnen vorstellen<br />

will, zwar in <strong>de</strong>r Ausdrucksweise nicht<br />

mehr nahe, aber unseren mo<strong>de</strong>rnen Heilssehnsüchten<br />

nach eventuell doch noch.<br />

Im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt ist die Religion Konstitutivum,<br />

gehört untrennbar zum Leben<br />

je<strong>de</strong>s Menschen, ist <strong>de</strong>r Alltag durchdrungen<br />

von Ritualen und Manifestationen <strong>de</strong>r<br />

Religion: Die spätmittelalterlichen Städte<br />

und Dörfer wer<strong>de</strong>n beherrscht durch<br />

die Kirchengebäu<strong>de</strong>, die die höchsten Gebäu<strong>de</strong><br />

sind, das sonn- und feiertägliche<br />

Läuten <strong>de</strong>r Kirchenglocken dominiert <strong>de</strong>n<br />

Sonntag, geht noch nicht im großstädtischen<br />

Lärm unserer Tage unter. Der gera<strong>de</strong><br />

geborene Mensch wird getauft und damit<br />

in die Kirche und in die Gemeinschaft mit<br />

Jesus Christus aufgenommen. Das Hören<br />

<strong>de</strong>s Wortes Gottes in <strong>de</strong>r sonntäglichen<br />

Predigt bil<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n Mittelpunkt <strong>de</strong>s Gottesdienstes.<br />

Das Sakrament <strong>de</strong>s Abendmahls<br />

begleitet <strong>de</strong>n Menschen sein Leben lang<br />

als geistliche Nahrung und Stärkung.<br />

Nach seinem Tod erwartet er das Bei-Gott-<br />

Sein und nach <strong>de</strong>m Jüngsten Gericht am<br />

Welten<strong>de</strong> die Auferstehung von <strong>de</strong>n Toten.<br />

Der Glaube an Jesus Christus bil<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n<br />

Mittelpunkt dieser i<strong>de</strong>altypischen Beschreibung<br />

vor allem protestantischen Glaubens.<br />

Jesus Christus ist darum Zentrum, weil<br />

er <strong>de</strong>rjenige ist, <strong>de</strong>r durch seine Gna<strong>de</strong> <strong>de</strong>n<br />

Menschen aus seiner Sün<strong>de</strong>nverfallenheit<br />

erlöst und ihn ohne eigene Verdienste, d.h.<br />

ohne eigene gute Taten annimmt. Sün<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Menschen be<strong>de</strong>utet da<strong>bei</strong> nicht so<br />

etwas Banales wie eine Kaloriensün<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r<br />

eine Parksün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn sie meint die<br />

Grundunfähigkeit <strong>de</strong>s Menschen zum<br />

Guten, ist die Erkenntnis, dass <strong>de</strong>r Mensch,<br />

wenn er sich an <strong>de</strong>m misst, was er eigentlich<br />

erfüllen können müsste, immer hinter<br />

seinen Erwartungen zurückbleibt. Die einzige<br />

Hoffnung, von Gott angenommen zu<br />

wer<strong>de</strong>n, liegt in Jesus Christus selbst, <strong>de</strong>r<br />

dadurch, dass er Mensch gewor<strong>de</strong>n ist und<br />

sein Leben für die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Menschen<br />

geopfert hat, diese überwun<strong>de</strong>n hat und<br />

auch <strong>de</strong>n Tod. Durch die Auferstehung<br />

Christi wissen die Gläubigen, dass auch für<br />

sie nach <strong>de</strong>m Tod ein neues Leben <strong>bei</strong><br />

Gott beginnen wird. Soviel kurz und umrisshaft<br />

zu <strong>de</strong>n dogmatischen Grundlagen<br />

<strong>de</strong>r Reformation.<br />

Es wür<strong>de</strong> zu weit führen, in allen Einzelheiten<br />

die Verän<strong>de</strong>rungen zu beschreiben,<br />

die sich für das religiöse Leben <strong>de</strong>r Menschen<br />

durch die Reformation ergaben,<br />

aber ich möchte Ihnen zumin<strong>de</strong>st kurz<br />

5


anhand eines Bil<strong>de</strong>s veranschaulichen,<br />

welche Verän<strong>de</strong>rungen sich aus <strong>de</strong>r Reformation<br />

ergaben, die auch für Paracelsus<br />

wichtig gewor<strong>de</strong>n sind. Was unterschei<strong>de</strong>t<br />

also das Luthertum vom alten Glauben?<br />

Betrachten wir zunächst die evangelische<br />

Seite (linke Abb.): Sie sehen Luther auf <strong>de</strong>r<br />

Kanzel und darunter <strong>de</strong>n Bibelspruch: Alle<br />

Propheten zeugen von diesem, das kein<br />

an<strong>de</strong>rer Name unter <strong>de</strong>m Himmel sei (acta<br />

4, 10). Luther hat seine linke Hand auf <strong>de</strong>r<br />

aufgeschlagenen Bibel liegen, die rechte<br />

weist in <strong>de</strong>n Himmel auf das Lamm Gottes<br />

bzw. Christus. Auf <strong>de</strong>n verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Spruchbän<strong>de</strong>rn ist zu lesen: Es ist nur ein<br />

Mittler. Ich bin <strong>de</strong>r Weg. Siehe, das ist das<br />

Lamm Gottes. Christus tritt für die Menschen<br />

ein. Er spricht zu Gottvater oben<br />

links im Bild: Vater, heilige sie. Ich heilige<br />

und opfere mich für sie, und unter <strong>de</strong>m<br />

Spruchband steht: So wir sündigen, haben<br />

wir einen Fürsprecher <strong>bei</strong>m Vater. Hier wird<br />

also das »solus Christus« ( = allein Christus)<br />

zum Zentrum <strong>de</strong>r Gottesbeziehung.<br />

Der sündige Mensch hat nur in ihm einen<br />

6<br />

Fürsprecher, we<strong>de</strong>r die Heiligen noch die<br />

Mutter Jesu können dies tun. Auf all dies<br />

verweist <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Kanzel aus <strong>de</strong>r Bibel<br />

predigen<strong>de</strong> Luther, <strong>de</strong>m eine lauschen<strong>de</strong><br />

Menge zu Füßen steht, die andächtig und<br />

konzentriert zuhört. Außer<strong>de</strong>m wird auf<br />

die zwei Sakramente <strong>de</strong>s Luthertums hingewiesen:<br />

Vorne am Altar erhalten Menschen<br />

das Abendmahl und zwar unter <strong>bei</strong><strong>de</strong>rlei<br />

<strong>Ges</strong>talt, d.h. sie bekommen Brot<br />

und Wein, dies wird mit <strong>de</strong>m Bibelspruch<br />

aus Matth 25 untermauert. Dort heißt es<br />

nämlich: Trinket alle daraus. Hinten im<br />

Bild befin<strong>de</strong>t sich ein Taufstein, an <strong>de</strong>m<br />

gera<strong>de</strong> ein Kind getauft wird. Auch hier<br />

wird die biblische Begründung, das »sola<br />

scriptura« betont: Die Bibel wird hochgehalten<br />

zur Belehrung <strong>de</strong>r Paten.<br />

Auf <strong>de</strong>r katholischen Seite (rechte Abb.)<br />

sieht es ganz an<strong>de</strong>r aus: Auch hier steht<br />

jemand auf <strong>de</strong>r Kanzel. Es ist ein Mönch,<br />

<strong>de</strong>r ohne die Bibel predigt. Ihm wer<strong>de</strong>n<br />

seine Worte durch ein kleines Teufelchen<br />

mittels eines Blasebalgs eingeblasen.<br />

Darunter steht: Sehet, da habt ihr viel rö-


mische, katholische und nichtketzerische<br />

Wege zur Seligkeit, ICH meine ja, ihr könnt<br />

leichtlich selig wer<strong>de</strong>n. Das ICH ist groß<br />

geschrieben, d.h. hier wird nicht von Gott<br />

gere<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn ein Mensch formuliert<br />

seine Meinung. Das ketzerisch ist ironisch<br />

gemeint: natürlich ist <strong>de</strong>r Mönch selbst<br />

<strong>de</strong>r Ketzer, weil er etwas verkün<strong>de</strong>t, was<br />

keine biblische Grundlage hat. Vor ihm<br />

steht dann auch eine Gruppe teuer geklei<strong>de</strong>ter<br />

Menschen. Beachten Sie <strong>de</strong>n Pelzmantel<br />

<strong>de</strong>s Mannes unten links in <strong>de</strong>r<br />

Ecke. Aus <strong>de</strong>m Gewand <strong>de</strong>s Mönches daneben<br />

fallen gera<strong>de</strong> Spielkarten und Würfel<br />

– ein Indiz für die laxe Moral seines<br />

Stan<strong>de</strong>s. Die vielen Wege zur Seligkeit in<br />

<strong>de</strong>r römischen Kirche wer<strong>de</strong>n gezeigt:<br />

Vorne rechts im Bild verkauft ein hoher<br />

Wür<strong>de</strong>nträger, wohl ein Bischof, Ablassbriefe.<br />

Auf <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>n er hochhält, ist zu<br />

lesen: Dieweil <strong>de</strong>r Groschen noch klingt,<br />

fährt die Seele in <strong>de</strong>n Himmel. Die Geldstücke<br />

und –säcke vor ihm zeigen, dass er<br />

ein gutes <strong>Ges</strong>chäft macht. Unten auf <strong>de</strong>m<br />

liegen<strong>de</strong>n Geldsack ist <strong>de</strong>zent etwas Kritik<br />

formuliert. Dort steht: Sie sind Schan<strong>de</strong><br />

und Laster, prangen von euern Almosen.<br />

Ein Zitat aus <strong>de</strong>m 2. Petrusbrief, also<br />

wie<strong>de</strong>rum aus <strong>de</strong>r Bibel, aus <strong>de</strong>m zweiten<br />

Kapitel, das von <strong>de</strong>r Verdorbenheit <strong>de</strong>r<br />

Irrlehrer han<strong>de</strong>lt. Nicht die Protestanten,<br />

son<strong>de</strong>rn die Katholiken sind <strong>de</strong>mnach die<br />

Ketzer. Rechts in <strong>de</strong>r Mitte sieht man<br />

einen Mönch eine Stillmesse vollziehen,<br />

d.h. er hält eine Messe ohne Gemein<strong>de</strong>,<br />

etwas, was Luther scharf kritisiert hat. Dahinter<br />

sieht man einen Bischof eine Glocke<br />

mit Weihwasser segnen. Auf <strong>de</strong>m Totenbett<br />

erhält ein Mensch die letzte Ölung,<br />

d.h. hier wird ein Sakrament verabreicht,<br />

das die Lutheraner nicht mehr anerkennen,<br />

weil es keine zureichen<strong>de</strong> biblische<br />

Grundlage hat. Dahinter ziehen Pilger zu<br />

einem Wallfahrtsort. Vor <strong>de</strong>r kleinen Kapelle<br />

im Hintergrund sieht man eine Prozession.<br />

Kurzum, die von <strong>de</strong>n Lutheranern<br />

abgelehnten Bräuche <strong>de</strong>r Katholiken wer<strong>de</strong>n<br />

dargestellt. Oben im Himmel thront<br />

auf gleicher Höhe wie Gottvater wohl ein<br />

Heiliger, <strong>de</strong>r Wundmale an <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n<br />

hat. Er ist also Fürsprecher für die Katholiken,<br />

nicht Christus, <strong>de</strong>r überhaupt nicht<br />

im Bild erscheint. Eine scharfe Kritik am<br />

Zeremonienwesen <strong>de</strong>r Kirche ist hier dargestellt.<br />

Diese Bil<strong>de</strong>r, die wohl aus <strong>de</strong>r<br />

Schule Lucas Cranachs <strong>de</strong>s Jüngeren stammen<br />

und gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

entstan<strong>de</strong>n sind, ar<strong>bei</strong>ten also die Unterschie<strong>de</strong><br />

zwischen Katholizismus und<br />

Protestantismus polemisch heraus. Eine<br />

Polemik, die übrigens auch Paracelsus<br />

nicht ganz fremd war, wie Sie nachher<br />

noch hören wer<strong>de</strong>n.<br />

Damit haben Sie einen ungefähren Eindruck<br />

davon, wie die religiösen Konstellationen<br />

zur Zeit <strong>de</strong>s Paracelsus begannen,<br />

sich in ihren Unterschie<strong>de</strong>n herauszubil<strong>de</strong>n.<br />

Einiges von <strong>de</strong>m, was ich Ihnen<br />

gleich aus Paracelsus’ Psalmenkommentar<br />

darstellen möchte, können Sie nun vor<br />

diesem Hintergrund sicher besser verstehen.<br />

Allerdings muss man berücksichtigen,<br />

dass es neben <strong>de</strong>n Lutheranern und <strong>de</strong>n<br />

Katholiken auch eine große Zahl religiöser<br />

Gruppierungen o<strong>de</strong>r Einzelgänger gab, die<br />

sich nicht <strong>de</strong>n <strong>bei</strong><strong>de</strong>n großen Konfessionen<br />

zuordnen lassen. Zu diesen eher radikalen<br />

Außenseitern o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>m linken<br />

Flügel <strong>de</strong>r Reformation wird Paracelsus –<br />

neben <strong>bei</strong>spielsweise Thomas Müntzer,<br />

Sebastian Franck, Caspar von Schwenckfeld,<br />

zu <strong>de</strong>nen er wahrscheinlich auch<br />

persönliche Kontakte hatte – gemeinhin<br />

gezählt. 7 Was ihn jedoch aus <strong>de</strong>r Gruppe<br />

<strong>de</strong>r Genannten heraushebt ist, dass Paracelsus<br />

nie in seinem Leben Theologie studiert<br />

hat und so religiöser Autodidakt ist.<br />

Wie er innerhalb von Katholizismus und<br />

Protestantismus genau eingeordnet wer<strong>de</strong>n<br />

muss, ist überhaupt noch nicht abzusehen,<br />

weil seine theologischen Schriften erst unzureichend<br />

erforscht sind. Ich habe ihn in<br />

meiner Dissertation 1993 als einen »Reformator<br />

<strong>de</strong>r vierten Reihe« charakterisiert,<br />

<strong>de</strong>r die Anliegen <strong>de</strong>r Reformation zwar<br />

zum Teil aufnimmt, aber modifiziert. Dieser<br />

Befund bezieht sich allerdings nur auf<br />

die frühe Theologie <strong>de</strong>r zwanziger Jahre.<br />

Seine ersten theologischen Schriften verfasst<br />

<strong>de</strong>r wohl 1493 in Einsie<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r<br />

Schweiz geborene Paracelsus, als er sich<br />

1524/25 in Salzburg nie<strong>de</strong>rlässt. Für diese<br />

ersten theologischen Schriften, die ich<br />

untersucht habe, gilt: Es liegt keine ein-<br />

7


heitliche theologische Konzeption vor.<br />

Paracelsus präsentiert sich vielmehr als ein<br />

sowohl humanistisch wie auch spiritualistisch<br />

orientierter Reformator, <strong>de</strong>r jedoch<br />

nicht vollständig <strong>de</strong>r Reformation zuzuordnen<br />

ist, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r seine Verehrung<br />

für Maria als Mutter Gottes <strong>bei</strong>behält,<br />

während er die Heiligenverehrung genau<br />

wie die Reformatoren ablehnt. 8 Hierin zeigt<br />

sich die Eigenständigkeit <strong>de</strong>s Paracelsus,<br />

<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Tradition<br />

und Reformation jeweils selbst abwägt,welche<br />

Konzepte er übernehmen will.<br />

Schon in dieser Frühzeit zeigt sich zu<strong>de</strong>m<br />

das Abrücken von je<strong>de</strong>r Form verfasster<br />

Kirche, wenn Paracelsus für eine<br />

Abschaffung <strong>de</strong>s Klerus plädiert. Genau<br />

wie an<strong>de</strong>re radikale Spiritualisten strebt er<br />

eine Verinnerlichung <strong>de</strong>s Glaubens und<br />

ein individualistisches Christentum an.<br />

In<strong>de</strong>m er hier eine weltzugewandte, an <strong>de</strong>n<br />

Früchten <strong>de</strong>s Glaubens orientierte Frömmigkeit<br />

als I<strong>de</strong>al formuliert, zeigen sich <strong>bei</strong><br />

ihm bereits Züge neuzeitlicher Subjektivität.<br />

In seinen frühen Bibelauslegungen<br />

präsentiert sich Paracelsus zum einen als<br />

vom Humanismus, nämlich von Erasmus<br />

von Rotterdam, zum an<strong>de</strong>rn als von <strong>de</strong>r<br />

Reformation (hier beson<strong>de</strong>rs auch von <strong>de</strong>r<br />

Reformation in <strong>de</strong>r Schweiz, nämlich von<br />

Ulrich Zwingli in Zürich) geprägt.<br />

Aus <strong>de</strong>m eben gezeigten Bild geht ja<br />

schon hervor, was für eine zentrale Rolle<br />

die Bibel in <strong>de</strong>r Reformation spielt. Dieses<br />

sog. Schriftprinzip macht sich auch Paracelsus<br />

zu eigen, und er bin<strong>de</strong>t seinen<br />

Glauben an das biblische Wort. Dies bleibt<br />

8<br />

auch in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahren, in <strong>de</strong>nen<br />

zahlreiche biblische Kommentare von ihm<br />

verfasst wer<strong>de</strong>n, so. Paracelsus ist damit<br />

einer <strong>de</strong>r Multiplikatoren <strong>de</strong>s reformatorischen<br />

Aufbruchs, <strong>de</strong>r sich die Betonung<br />

<strong>de</strong>s Wortes Gottes als Grundlage <strong>de</strong>s religiösen<br />

Lebens zu eigen macht, um daraus<br />

eine eigenständige Glaubenslehre und<br />

Theologie zu entwickeln. Bereits in <strong>de</strong>n<br />

30er Jahren wan<strong>de</strong>ln sich jedoch die Interessenschwerpunkte.<br />

Hatten ihn am Anfang<br />

seines Nach<strong>de</strong>nkens über theologische<br />

Fragen die Trinitätslehre, die Mariologie,<br />

das Matthäusevangelium und das kirchliche<br />

Zeremonienwesen interessiert, so wen<strong>de</strong>t er<br />

sich nun in <strong>de</strong>n 30er Jahren <strong>de</strong>n Psalmen,<br />

<strong>de</strong>n Zehn Geboten und <strong>de</strong>m Sakrament<br />

<strong>de</strong>s Abendmahls zu. Inhaltlich liegt nach<br />

wie vor ein Schwerpunkt auf <strong>de</strong>r Kirchenkritik<br />

und auf <strong>de</strong>r Ethik.<br />

Ich wer<strong>de</strong> Ihnen nun Paracelsus als Ausleger<br />

<strong>de</strong>r alttestamentlichen Psalmen vorstellen.<br />

Dieser nur noch unvollständig<br />

erhaltene Kommentar umfasst in <strong>de</strong>r kritischen<br />

Ausgabe 4 umfangreiche Bän<strong>de</strong>. Er<br />

ist wohl 1530 entstan<strong>de</strong>n, damit in einer<br />

Zeit, als auf <strong>de</strong>m Augsburger Reichstag<br />

1530 durch die Bekenntnisschrift <strong>de</strong>r<br />

Lutheraner, das Augsburgische Bekenntnis<br />

o<strong>de</strong>r die Confessio Augustana, und die<br />

Anerkennung zweier Konfessionen im<br />

Reich die Spaltung zwischen Katholizismus<br />

und Protestantismus endgültig war.<br />

Paracelsus jedoch sucht und fin<strong>de</strong>t nun<br />

einen Standpunkt jenseits <strong>de</strong>r Konfessionen,<br />

bil<strong>de</strong>t in dieser Zeit ein individuelles,<br />

spiritualistisches Herzenschristentum aus.<br />

2. Der Psalmenkommentar <strong>de</strong>s Paracelsus von 1530<br />

Der Psalter ist eine 150 Psalmen umfassen<strong>de</strong><br />

Liedsammlung im Alten Testament,<br />

die als Sammlung sehr unterschiedliche<br />

Texte in sich vereint. Schon im Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

nach Christi Geburt, im sog. apostolischen<br />

Zeitalter, waren die Psalmen im liturgischen<br />

Gebrauch <strong>de</strong>r Kirche, d.h. man benützte sie<br />

in Gebetstun<strong>de</strong>n, als <strong>Ges</strong>änge etc. Sie wur<strong>de</strong>n<br />

da<strong>bei</strong> stets auf Christus bezogen und<br />

entsprechend ihrem alttestamentlichen Verständnis<br />

als Gebete und <strong>Ges</strong>änge <strong>de</strong>r Kirche<br />

verstan<strong>de</strong>n. Paracelsus steht in dieser<br />

Tradition, wenn er ebenfalls die von ihm<br />

ausgelegten Psalmen als Gebete und Aussagen<br />

Christi versteht.<br />

Die bereits erwähnte Untersuchung von<br />

Martin Brecht hat ergeben, dass Paracelsus<br />

von <strong>de</strong>n damals gängigen patristischen<br />

und mittelalterlichen Psalmenkommentaren<br />

keinen als Vorlage benützt hat. 9 Dies<br />

scheint zunächst das »Einzelgängertum«<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus einmal mehr zu bestätigen.<br />

Allerdings polemisiert Paracelsus im Nachwort<br />

<strong>de</strong>s Psalmenkommentars gegen die


eformatorische Bibelübersetzung, hat sich<br />

mit ihr auseinan<strong>de</strong>rgesetzt, auch wenn er<br />

sich von ihr abgrenzt und drauf beharrt,<br />

dass die lateinische Fassung <strong>de</strong>r Psalmen<br />

die zu bevorzugen<strong>de</strong> ist. 10 Brecht konnte<br />

die Psalmenübersetzung Martin Luthers,<br />

die Paracelsus benutzt haben muss, i<strong>de</strong>ntifizieren.<br />

Er konnte zweifelsfrei nachweisen,<br />

dass Paracelsus die Psalmenübersetzung<br />

Luthers von 1524 benützt hat. 11 Dies ist ein<br />

gewichtiger Beleg dafür, dass Paracelsus die<br />

Reformation zur Kenntnis genommen hat,<br />

auch wenn er sich immer stärker von ihr<br />

abgrenzt.<br />

Auf zwei Hauptkomplexe seiner Auslegungen<br />

wer<strong>de</strong> ich nun näher eingehen, um<br />

Ihnen so <strong>de</strong>n Glauben <strong>de</strong>s Paracelsus und<br />

seine Vorstellungen christlichen Lebens zu<br />

erläutern. Sie wer<strong>de</strong>n da<strong>bei</strong> sehen, wie sehr<br />

seine Vorstellungen durch die religiöse <strong>Ges</strong>amtsituation<br />

geprägt sind, wo er sich abgrenzt<br />

und welche Einflüsse er aufnimmt.<br />

a) Paracelsus und seine<br />

Christusvorstellung<br />

Wie für Luther und die Reformatoren sind<br />

für Paracelsus Jesus Christus und das biblische<br />

Wort die Grundlage <strong>de</strong>s Christentums.<br />

Die Ausrichtung auf Gottes Wort wird von<br />

ihm vehement gefor<strong>de</strong>rt. Selbst David,<br />

von <strong>de</strong>m Paracelsus annimmt, dass er <strong>de</strong>r<br />

Verfasser <strong>de</strong>r Psalmen ist, hat schon von<br />

Christus gewusst und seine Worte sind auf<br />

Christus zu beziehen:<br />

»David setzt fur sich die urtl gottes, das<br />

ist: er weist, wie eim geschicht und was eim<br />

begegnet, <strong>de</strong>r gottes befelch nit hält, sein<br />

wort, sein lehr. darumb so hofft er auf das<br />

wort gottes und weicht nit von <strong>de</strong>m, das<br />

ist: er weist, daß gottes wort Christus ist,<br />

von <strong>de</strong>m weicht er nit; dann er weist, solt<br />

er von Christo fallen, daß all sein Heil und<br />

seligkeit aus wer und verlorn. darumb seinst<br />

David und die urteil Christi im sinn, darumb<br />

weicht er nit von Christo, dann von<br />

anbeginn <strong>de</strong>r welt seindt sie beschlossen,<br />

und niemandts mag sie brechen, sun<strong>de</strong>r<br />

wir mussen alle dohin durch Christum und<br />

sunst durch nichten.« 12<br />

Genauso wie <strong>de</strong>r eben betrachtete Holzschnitt<br />

zeigt dieser Text, wie zentral Christus<br />

im Denken <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts ist. Von<br />

Christus hängt alles Heil <strong>de</strong>r Menschen<br />

ab. An ihn muss man sich halten. Damit<br />

verbun<strong>de</strong>n ist für Paracelsus dann aber<br />

auch das Halten von Gottes Befehl und<br />

Lehre. D.h. aus <strong>de</strong>m Glauben an Christus<br />

wer<strong>de</strong>n ethische Konsequenzen abgeleitet.<br />

Nur mit Hilfe <strong>de</strong>s Glaubens an Christus<br />

ist überhaupt richtiges Han<strong>de</strong>ln möglich;<br />

Christus befähigt die Menschen dazu:<br />

»Also weiter, so ich nun Christum hab, so<br />

habe ich die barmherzigkeit und das heil,<br />

in <strong>de</strong>m alle ding lebendig wer<strong>de</strong>n.« (2, VI,<br />

44). Allein Christus ist <strong>de</strong>r Weg und <strong>de</strong>r<br />

Herr (vgl ebd., 4), er allein vermittelt <strong>de</strong>m<br />

Menschen Orientierung.<br />

Christus ist aber nicht nur das Vorbild,<br />

<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Mensch folgen soll, er ist auch<br />

<strong>de</strong>r einzige Trost, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Mensch auf<br />

Er<strong>de</strong>n hat, <strong>de</strong>n die Menschen und Kreaturen<br />

auf Er<strong>de</strong>n nicht geben können, weil<br />

sie vergänglich sind. An<strong>de</strong>re Menschen<br />

können einem we<strong>de</strong>r Vergebung gewähren,<br />

noch dazu befähigen, Frucht zu bringen<br />

und sinnvoll tätig zu sein, all dies kann<br />

allein Christus, mit <strong>de</strong>ssen Hilfe das Verhalten<br />

erkannt wird, das er for<strong>de</strong>rt. (vgl.<br />

ebd., 50).<br />

Es klingen Motive mittelalterlicher Passionsfrömmigkeit<br />

an, wenn Paracelsus dazu<br />

auffor<strong>de</strong>rt, »daß wir sein armut betrachten<br />

uf er<strong>de</strong>n, so er gelitten hat, verschmaehung,<br />

verspottung etc.« (2, V, 237) Daraus wird<br />

abgeleitet, dass dies eben auch das angemessene<br />

Verhalten <strong>de</strong>r Christen sein muss,<br />

also nicht <strong>de</strong>n Reichtum zu suchen, son<strong>de</strong>rn<br />

Christus eben genau darin betrachten<br />

und erkennen, dass er in Armut, Lei<strong>de</strong>n<br />

und Wi<strong>de</strong>rwärtigkeit war. D.h. »Christus<br />

nit in hoffart suchen, im pomp, in bil<strong>de</strong>rn,<br />

in menschen, in klei<strong>de</strong>rn, sun<strong>de</strong>r im kreuz<br />

seins blutvergießens.« (2, V, 238). Auch hier<br />

klingt wie<strong>de</strong>r ein Motiv reformatorischer<br />

Kritik an, die sich je ebenfalls gegen <strong>de</strong>n<br />

zu aufwendigen Lebensstil <strong>de</strong>r Geistlichen,<br />

vor allem <strong>de</strong>s Papstes, <strong>de</strong>r Bischöfe und<br />

Kardinäle richtete und gegen die Verehrung<br />

und Anbetung von Heiligenbil<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r<br />

Reliquien. Vergebung kann <strong>de</strong>r gläubige<br />

Mensch zu<strong>de</strong>m nicht durch die Zeremonien<br />

<strong>de</strong>r Kirche erlangen, son<strong>de</strong>rn nur durch<br />

Reue und Leid über die eigenen Sün<strong>de</strong>n,<br />

die dadurch an Christus übereignet wer<strong>de</strong>n.<br />

9


Erneuerung erfährt <strong>de</strong>r Mensch im Abendmahl,<br />

durch das er am sühnen<strong>de</strong>n Blutvergießen<br />

Christi teil hat (vgl. 2, V, 251).<br />

Christus ist das Haupt <strong>de</strong>r Kirche; er<br />

allein ist ihr Priester und ihr Prediger (vgl.2,<br />

V, 70). Das be<strong>de</strong>utet jedoch stets, dass dies<br />

nicht nur erkannt, son<strong>de</strong>rn dass es auch<br />

gelebt wer<strong>de</strong>n muss: »dann die barmherzigkeit<br />

gottes ist nit <strong>de</strong>nen bereit, die gotlos<br />

seinst, das ist die kalter liebe seindt, die ir<br />

leiblich lust mehr ansehen dann christlichen<br />

glauben. darumb seindt sie gotlos, das ist<br />

christlos! sie tunt nit gnug <strong>de</strong>r berufung, sie<br />

dunt nit mehr dann sovil, als ihn woll zu<br />

erlei<strong>de</strong>n ist. das ist leiblos, kraftlos, gotlos,<br />

glaublos, werklos; dunt, was ihn schmeckt,<br />

nit was sie sollen.« (2, V, 115) Sie merken<br />

an dieser Stelle, wie rigoros Paracelsus ein<br />

an Christus orientiertes Leben for<strong>de</strong>rt. Was<br />

es be<strong>de</strong>utet, nach <strong>de</strong>n Maßgaben Christi<br />

zu leben, lässt sich vor allem auf eine For<strong>de</strong>rung<br />

beschränken, die Ihnen wahrscheinlich<br />

auch schon in <strong>de</strong>n medizinischen Schriften<br />

begegnet ist, wenn es dort heißt: Der höchste<br />

Grund <strong>de</strong>r Arznei ist die Liebe. – Diese<br />

Liebe ist ein Zeichen dafür, dass die Menschen<br />

»in Christo leben«, genau wie dies<br />

die Apostel getan haben. »also im leib hat<br />

uns Christus erlöst, im leib will er auch die<br />

liebe von uns haben.« (2, IV, 173).<br />

Die Dringlichkeit, diesem einmal Erkannten<br />

nachzuleben, ergibt sich daraus,<br />

dass alles Tun ohne Christus vergänglich<br />

und sinnlos ist; vor Gott sind die Menschen<br />

vergänglich wie Blumen und auch die Vernunft<br />

nützt ihnen nichts (vgl. 2, IV, 218):<br />

»darumb ist es alles nix. was nix? was wir in<br />

die zeit bauen, vergangen o<strong>de</strong>r in zukunftigs;<br />

es dorret alles us und hat kein bestand.<br />

was ausdorret, ist nix vor got. er will ewige<br />

werk haben, nichts zergenglichs.« (2, IV, 217).<br />

Paracelsus <strong>de</strong>finiert als Ziel <strong>de</strong>s Menschen,<br />

dass er durch Christus zu Weisheit und<br />

Erfahrenheit gelangt, durch die dann wie<strong>de</strong>rum<br />

das Herz in das Reich <strong>de</strong>s Himmels<br />

eingehen kann (vgl. 2, IV, 221). Nur dies<br />

hat Bestand, fällt nicht <strong>de</strong>r Vergänglichkeit<br />

anheim und es ist Barmherzigkeit Gottes,<br />

dass er durch Christus diese Möglichkeit<br />

geschaffen hat.<br />

In<strong>de</strong>m sich Paracelsus so die Aussagen<br />

<strong>de</strong>r Heiligen Schrift zu eigen macht, hat er<br />

10<br />

ein Mittel, die kirchliche Tradition und<br />

Autorität zu kritisieren, die von <strong>de</strong>m Weg,<br />

<strong>de</strong>n Christus und in seiner Nachfolge die<br />

Apostel vorgegeben haben, abgewichen<br />

sind. Er for<strong>de</strong>rt im Anschluss daran, eine<br />

religiöse Unmittelbarkeit zu erlangen, die<br />

die Gläubigen strenggenommen von kirchlicher<br />

Vermittlung unabhängig macht. In<br />

diesem Bestreben wirkt er sehr mo<strong>de</strong>rn<br />

und individualistisch. Gläubige Christen<br />

sind seiner Meinung nach auf Verkündigung<br />

und Predigt durch ausgebil<strong>de</strong>te Geistliche<br />

nicht angewiesen. Damit kritisiert<br />

Paracelsus natürlich auch die Predigttätigkeit<br />

<strong>de</strong>r evangelischen Geistlichen. Er<br />

glaubt, dass die Aufgabe von Geistlichen<br />

nur die <strong>de</strong>r Mission sein kann, d.h. Menschen<br />

die Botschaft von Christus bringen,<br />

die noch keine Gelegenheit hatten, sie zu<br />

hören. Geistliche stehen damit in <strong>de</strong>r Nachfolge<br />

<strong>de</strong>r Apostel und so kann es nicht angehen,<br />

dass sie irgenwo sesshaft wer<strong>de</strong>n:<br />

»darumb so ›suchen sein angesicht‹ – das<br />

ist die, so sein angesicht haben, und das<br />

allwegen, allemal, fur und fur. wie kann<br />

dann <strong>de</strong>r suchen, <strong>de</strong>r pfaff ist o<strong>de</strong>r nurembergisch,<br />

augspurgisch, straßburgisch etc.<br />

prediger, pfarrer ist und stilsten<strong>de</strong> meschtseu<br />

und futterseu? also auch die klosterleut<br />

in iren zellen, die das angesicht nit suchen,<br />

seindt treulos und meineidig« (2,V, 25).<br />

Allerdings soll <strong>de</strong>n Notdürftigen und Unwissen<strong>de</strong>n<br />

das Wort Gottes verkündigt<br />

wer<strong>de</strong>n, aber das darf nicht durch sesshafte<br />

Pfarrer geschehen, son<strong>de</strong>rn die Pfarrer<br />

müssen wie die Apostel als arme Wan<strong>de</strong>rprediger<br />

umherziehen und predigen (vgl.<br />

2,V, 27).<br />

Damit gibt Paracelsus einerseits, genau<br />

wie die Reformatoren, die Vorstellungen<br />

von einem beson<strong>de</strong>ren von <strong>de</strong>n religiösen<br />

Laien unterschie<strong>de</strong>nen geistlichen Stand<br />

(wie es ihn im Katholizismus bis heute<br />

gibt) auf und interpretiert auf seine Art<br />

und Weise das auch von Luther gefor<strong>de</strong>rte<br />

Priestertum aller Gläubigen. Der Protestantismus<br />

lehnt die Lehre vom beson<strong>de</strong>ren<br />

Charakter <strong>de</strong>s Amtsträgers ab, behält aber<br />

die Lehre vom geistlichen Stand als Berufsstand<br />

<strong>bei</strong>. Paracelsus akzeptiert als einzigen<br />

Berufsstand die schon erwähnten an<br />

<strong>de</strong>n Aposteln orientierten Wan<strong>de</strong>rprediger.


An<strong>de</strong>rerseits geht er nun noch darüber hinaus,<br />

in<strong>de</strong>m er anscheinend als einzige Autorität<br />

für Gottes Wort je<strong>de</strong>n Gläubigen selbst<br />

sieht. Es heißt dazu nämlich <strong>bei</strong> ihm: »darumb<br />

so bitten wir <strong>de</strong>n heiligen geist, daß er<br />

uns lern und das Wort erkler, und nit <strong>de</strong>n<br />

pfaffen, predigern; <strong>de</strong>n heiligen geist, <strong>de</strong>r<br />

wird uns lernen, <strong>de</strong>r ist uns von Christo zugeben,<br />

nit <strong>de</strong>r Pfaff, nit <strong>de</strong>r munch, wölche<br />

nit mit feuren zungen re<strong>de</strong>n, sun<strong>de</strong>r mit<br />

kuchin zungen, phariserischen und schreiber-,<br />

rethorischen und klefferischen.« (2,V,<br />

65) Auf dieses spiritualistische Konzept,<br />

das auf Vermittlung ohne an<strong>de</strong>re Menschen<br />

allein durch <strong>de</strong>n Heiligen Geist vertraut,<br />

wer<strong>de</strong> ich später noch näher eingehen.<br />

Sie sehen bis hierher jedoch schon, welchen<br />

Platz Christus im Denken <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

einnimmt, und wenn Sie sich jetzt noch<br />

einmal das Bild vor Augen führen, das ich<br />

Ihnen eben gezeigt habe, dann wer<strong>de</strong>n Sie<br />

mir zustimmen, dass bisher die Übereinstimmungen<br />

mit <strong>de</strong>r evangelischen Seite<br />

überwogen haben. Es ist <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n,<br />

dass auch für Paracelsus Christus <strong>de</strong>r einzige<br />

Mittler ist, dass es keinen an<strong>de</strong>ren Weg<br />

zur Seligkeit gibt. Seine Opposition gegen<br />

die Altgläubigen wird auch daran <strong>de</strong>utlich,<br />

dass er <strong>de</strong>n Gedanken, <strong>de</strong>r Priester wie<strong>de</strong>rhole<br />

<strong>bei</strong>m Abendmahl das Opfer Christi,<br />

ablehnt – ein Gedanke, <strong>de</strong>r von Luther<br />

ebenfalls scharf kritisiert wur<strong>de</strong>:<br />

»darauf wissen: das opfer hat uns erlost.<br />

nun was ist das Opfer? <strong>de</strong>r tempel Christi,<br />

sein fleisch, sein Blut und nichts an<strong>de</strong>rst.<br />

nun auf solchs wissen, daß <strong>de</strong>r das opfer ist<br />

(das ist <strong>de</strong>r sun gottes), ist auch <strong>de</strong>r priester,<br />

<strong>de</strong>r das opfer. das ist: er opfert sich selbs,<br />

und ist <strong>de</strong>r priester allein, das opfer allein<br />

und bleibt das in ewigkeit und sunst keiner<br />

nit.« (2,V, 133)<br />

Die Erlösung ist allein an Christus geknüpft<br />

und die Menschen haben teil an ihr<br />

durch das Abendmahl. Durch Christus ist<br />

die Sün<strong>de</strong> überwun<strong>de</strong>n und in<strong>de</strong>m die<br />

Menschen im Abendmahl an seinem Leib<br />

und Blut partizipieren, wer<strong>de</strong>n sie erneuert<br />

(vgl. 2,V, 251). Gleichzeitig kritisiert Paracelsus<br />

bisherige Fastenbräuche und häufige<br />

Kirchgänge – all dies ist in seinen Augen<br />

nicht nötig. Man muss sich natürlich fragen,<br />

wo dieses Abendmahl vollzogen wird, wenn<br />

Paracelsus <strong>de</strong>n Gedanken an eine verfasste<br />

Kirche aufgibt. Vermutlich schwebt ihm<br />

ein Gemeinschaftsmahl in einem kleinen<br />

Kreis von Gläubigen vor.<br />

Kritik an <strong>de</strong>r bisherigen Praxis <strong>de</strong>r Kirche<br />

wird auch noch an an<strong>de</strong>ren Stellen <strong>de</strong>utlich.<br />

So lehnt er das Papsttum genau wie<br />

<strong>de</strong>n geistlichen Stand wegen seines Reichtums<br />

und seiner Prachtentfaltung ab.<br />

Ironisch heißt es <strong>bei</strong> ihm: »nun secht <strong>de</strong>r<br />

reichen got und <strong>de</strong>r armen got, wie gleich<br />

sie einan<strong>de</strong>r sehent: <strong>de</strong>r pabst als <strong>de</strong>r reich,<br />

Christum als <strong>de</strong>n armen. wer ist blint, <strong>de</strong>r<br />

do nit die weg sicht.« (2,VI, 228) Christus<br />

ist Vorbild und Maßstab auch im Lebenswan<strong>de</strong>l.<br />

Die falschen Geistlichen erkennt<br />

man unschwer am falschen Lebenswan<strong>de</strong>l.<br />

Genauso abzulehnen sind die Klöster; Paracelsus<br />

ist hier <strong>de</strong>r Meinung, dass Kin<strong>de</strong>r,<br />

die in ein Kloster gegeben wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m<br />

Teufel geopfert wer<strong>de</strong>n. Ebenfalls von <strong>de</strong>r<br />

Reformation übernommen ist die Position,<br />

dass es keine Möglichkeit gibt, für Verstorbene<br />

Ablass zu erlangen und sie damit aus<br />

<strong>de</strong>m Fegfeuer zu erlösen (vgl. 2,V, 41).<br />

Neben <strong>de</strong>n zahlreichen Übereinstimmungen<br />

gibt es allerdings auch gravieren<strong>de</strong><br />

Unterschie<strong>de</strong> zur Reformation. Dies kommt<br />

vor allem in <strong>de</strong>m spezifisch paracelsischen<br />

Spiritualismus wie auch in einer radikalen<br />

Ethik zum Ausdruck.<br />

b) Spiritualismus und rigorose Ethik<br />

<strong>bei</strong> Paracelsus<br />

Durch Christus wird <strong>de</strong>n Gläubigen Erkenntnis<br />

möglich. Diese Erkenntnis ist<br />

von kirchlicher Vermittlung unabhängig;<br />

sie geschieht im Herzen und in <strong>de</strong>r Stille.<br />

Was Paracelsus hier beschreibt, klingt nach<br />

mystischer Erkenntnis durch Versenkung<br />

o<strong>de</strong>r Meditation und ist insofern wie<strong>de</strong>rum<br />

erstaunlich mo<strong>de</strong>rn: »So wir nun so aus <strong>de</strong>r<br />

diefe, die in uns ist, schreien und grun<strong>de</strong>n<br />

aus ir, so reicht diese tiefe so weit, daß wir<br />

ergrun<strong>de</strong>n die Barmherzigkeit <strong>de</strong>s suns.<br />

[...] allein unser herz verstets. darumb so<br />

wir Christum in uns bil<strong>de</strong>n und verstant,<br />

so seindt wir tief im grund; dann diefer<br />

mugen wir nit kommen, allein daß wir<br />

Christi barmherzigkeit, erlosung, lei<strong>de</strong>n<br />

und sterben, lehr und evangelium betrachten.<br />

[...] aus solcher diefe soll all unser<br />

11


itt, beten und schreien zu got gon.« (2,VI,<br />

198f.)<br />

Wenn Christus <strong>de</strong>r einzige Trost <strong>de</strong>r<br />

Gläubigen ist, dann impliziert das, dass niemals<br />

an<strong>de</strong>re Menschen o<strong>de</strong>r Dinge genauso<br />

wichtig sein können. Je<strong>de</strong> Form <strong>de</strong>r Kreaturvergötterung<br />

wird rigoros abgelehnt.<br />

Denn an<strong>de</strong>re Menschen können nicht wie<br />

Christus die Sün<strong>de</strong> vergeben und dazu befähigen,<br />

auf Er<strong>de</strong>n Frucht zu bringen. Die<br />

Menschen müssen durch das Wort Gottes<br />

lebendig wer<strong>de</strong>n, das ohne je<strong>de</strong> frem<strong>de</strong><br />

Vermittlung zu <strong>de</strong>n Menschen spricht (vgl.<br />

2,VI, 50). Zwar können Menschen an<strong>de</strong>re<br />

bekehren und taufen und das Wort verkün<strong>de</strong>n;<br />

die Verantwortung für die eigene<br />

Seligkeit liegt jedoch <strong>bei</strong> je<strong>de</strong>m Menschen<br />

selbst: »aus <strong>de</strong>m folgt, daß ein Christ mag<br />

ein ju<strong>de</strong>n, ein hei<strong>de</strong>n, ein Turken taufen<br />

und glaubig machen; dann darzu haben<br />

wir <strong>de</strong>n schlüssel, das ist Christum, daß wir<br />

mügen auftun <strong>de</strong>n Tauf; das Wort Gottes<br />

verkün<strong>de</strong>n. aber niemandts in himmel<br />

heben; sun<strong>de</strong>r do ist <strong>de</strong>r schlussel, heb sich<br />

ein jeglicher selbs in himel! <strong>de</strong>r schlussel<br />

dient zum glauben zu fueren, und aber nit<br />

von <strong>de</strong>r hell in <strong>de</strong>n himmel o<strong>de</strong>r von himmel<br />

in die hell. sun<strong>de</strong>r allein uf er<strong>de</strong>n<br />

haben wir einan<strong>de</strong>r zu bekennen für sich<br />

selbs; darnach ein jeglicher in seim herzen<br />

durch Christum, nach <strong>de</strong>m und er am<br />

jüngsten tag bestohn wöll.« (2,VI, 52f.)<br />

In dieser Betonung <strong>de</strong>r Eigenverantwortlichkeit<br />

und <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung nach einer existentiellen<br />

Aneignung <strong>de</strong>s Glaubens besteht<br />

wie<strong>de</strong>rum gedankliche Nähe zur Reformation.<br />

Die Gläubigen wer<strong>de</strong>n aufgefor<strong>de</strong>rt,<br />

selbstverantwortlich für ihr Heil zu sorgen.<br />

Wie<strong>de</strong>rum wird die Unabhängigkeit von<br />

kirchlicher Vermittlung so stark betont,<br />

dass man sich fragt, wo die Taufe, von <strong>de</strong>r<br />

Paracelsus hier ja spricht, wohl stattfin<strong>de</strong>n<br />

soll, wenn Paracelsus keine Kirche vorsieht.<br />

Aus <strong>de</strong>m Umgang mit <strong>de</strong>m Wort Gottes<br />

ergeben sich ethische Konsequenzen: Auch<br />

<strong>de</strong>r Lebenswan<strong>de</strong>l muss Nähe zu Gott spiegeln.<br />

Da<strong>bei</strong> soll sich <strong>de</strong>r Mensch nach <strong>de</strong>m<br />

<strong>Ges</strong>etz richten, d.h. vor allem nach <strong>de</strong>n<br />

Zehn Geboten. Er soll sein Herz unbefleckt<br />

halten und auf keinen Fall falscher Lehre<br />

und falschem <strong>Ges</strong>etz folgen. Zur Bibellektüre<br />

gehört das Umsetzen <strong>de</strong>r Gebote<br />

12<br />

Gottes, sonst bleibt die Lektüre nutz- und<br />

fruchtlos: »do hört, von wem wir lernen,<br />

wo sie sueße liegt unser lehr, die über<br />

hunig in unserm mund ist. auf das merken:<br />

wir lesen Christum, wir lesen propheten,<br />

wir lesen alle gottliche und heilige geschrift,<br />

so ist dasselbige lesen allein mentschlich<br />

und ist uns gleich sueß als ein liepliche,<br />

geschickt historien o<strong>de</strong>r gesang. wollen wir,<br />

daß uns [die Bibellektüre] frucht macht,<br />

so mussen wir dise eigenschaft stohn lassen<br />

und in die liebe gent und bitten das reich<br />

gottes zu uns. als dann wer<strong>de</strong>n uns suß die<br />

red gottes; sunst ist es nur ein buchstaben,<br />

<strong>de</strong>r uns nur nach angeborner (also: natürlicher)<br />

art ein süße gibt, vil o<strong>de</strong>r wenig.«<br />

(2,VI,83) Je<strong>de</strong>m Christen ist <strong>de</strong>r unmittelbare<br />

Umgang mit <strong>de</strong>m Wort Gottes geboten,<br />

aber ihre göttliche Wirkkraft zeigt die<br />

Schrift erst, wenn <strong>de</strong>r Leser durch sie zur<br />

Liebe bewegt wird.<br />

Aus diesem Prinzip <strong>de</strong>r Bibelauslegung,<br />

<strong>de</strong>r es immer um angemessene Umsetzung<br />

geht, erklärt sich unschwer, warum Paracelsus<br />

mittlerweile auf Distanz zur Reformation<br />

gegangen ist. Ihm scheinen keine Fortschritte<br />

im Lebenswan<strong>de</strong>l erkennbar. Dies<br />

ist übrigens eine Kritik an <strong>de</strong>r Reformation,<br />

die unter an<strong>de</strong>ren Thomas Müntzer und<br />

Caspar von Schwenckfeld geteilt haben.<br />

Das Anliegen, <strong>de</strong>n Glauben ins Leben zu<br />

integrieren und nicht zu einem lebensfernen<br />

Ritual wer<strong>de</strong>n zu lassen, ist von<br />

Paracelsus also aufgegriffen, aber radikalisiert<br />

wor<strong>de</strong>n. Während im Luthertum <strong>de</strong>r<br />

Mensch trotz seines Angenommenseins als<br />

fehlbar gilt und <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> unterworfen<br />

bleibt, hat für Paracelsus dieser Gedanke<br />

keinen Raum. Rigoros ist er <strong>de</strong>r Meinung,<br />

dass je<strong>de</strong>r Mensch an <strong>de</strong>m einmal Erkannten<br />

festhalten kann, soll und muss. Als<br />

Vorbild nennt er Petrus:<br />

»dann also ist Petrus ein fels gewor<strong>de</strong>n,<br />

daß ihm got nix hat mugen abschlahen,<br />

sun<strong>de</strong>r hat mussen uf ihn bauen sein kirchen.<br />

was ist sein kirchen? die bestendigkeit<br />

bis in tod von anfang! darumben sollen<br />

wir felsen sein ein jeglicher mensch in<br />

ihm selbs, daß ein jeglicher mensch trag<br />

sein eigen kirchen, und keiner hat <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn<br />

kirchen noch gemeinschaft mit <strong>de</strong>r<br />

seinen [...] also ist <strong>de</strong>r fels die liebe, <strong>de</strong>r


glaub, die hoffnung, darauf gott sein kirchen<br />

bauet, das ist sein willen, <strong>de</strong>n er im menschen<br />

vollbringen will.« (2,VII, 8).<br />

Mit <strong>de</strong>m Christsein ist für Paracelsus<br />

untrennbar dieser hohe ethische Anspruch<br />

verbun<strong>de</strong>n. Menschliche Weisheit kann<br />

dieses <strong>Ges</strong>chehen <strong>de</strong>r Christuswirklichkeit,<br />

die sich <strong>de</strong>m Menschen erschließt, nicht<br />

erfassen. Dieser Haltung entgegen stehen<br />

alle diejenigen, <strong>de</strong>nen ihr Christentum nur<br />

ein Lippenbekenntnis ist. Damit spricht<br />

Paracelsus nicht nur ein Urteil über <strong>de</strong>n<br />

geistlichen Stand, son<strong>de</strong>rn er bezieht auch<br />

diejenigen Christen ein, die <strong>de</strong>m Maßstab<br />

<strong>de</strong>r Liebe, wie er ihn versteht, nicht folgen.<br />

Als Unterschie<strong>de</strong> zwischen wahren und<br />

falschen Christen nennt er ihre Verhaltensweise.<br />

Für die wahren Christen gilt: »Sie<br />

wer<strong>de</strong>n nichts re<strong>de</strong>n noch schwetzen, das<br />

do wer<strong>de</strong> wi<strong>de</strong>r got sein, das ist nit wucherei<br />

treiben, nit falsch wandlen im weg<br />

gottes, nit lestern; son<strong>de</strong>r die warheit wird<br />

aus irem hals gohn. domit wer<strong>de</strong>n sie gott<br />

loben.« Dagegen steht das Verhalten <strong>de</strong>r<br />

falschen Christen: »nit als die reichen, die<br />

do bescheißen <strong>de</strong>n armen, daß sie reich und<br />

voll wer<strong>de</strong>n; und darnach gents in kirchen<br />

und singen got ein liedli darauf und psallieren<br />

in iren heusern und dischen, hoffiern<br />

got. nicht also: es ist <strong>de</strong>m teufel gehoffiert,<br />

nit got!« (2,VII, 108)<br />

Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Reichtum ist für Paracelsus<br />

ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal<br />

zwischen wahren und falschen Christen,<br />

<strong>de</strong>nn wer <strong>de</strong>m Vorbild Christi folgt, muss<br />

ihn sich auch in seiner Armut und seinem<br />

Lei<strong>de</strong>n zum Vorbild nehmen. Hier stehen<br />

also ein spiritualistisches und ein ethisches<br />

Prinzip nebeneinan<strong>de</strong>r: Zum einen soll <strong>de</strong>r<br />

Mensch sich gera<strong>de</strong>zu in Christus versenken,<br />

lebt er in ihrem Herzen, so dass sie keine<br />

äußerliche Stätte <strong>de</strong>r Anbetung brauchen;<br />

zum an<strong>de</strong>rn resultiert aus dieser Christusbeziehung<br />

eine Lebenshaltung, die sich<br />

an ihm als Vorbild orientiert. Der Christ<br />

braucht keine Kirche; sein Tabernakel ist<br />

sein eigenes Herz, in <strong>de</strong>m soll Christus<br />

sein. (2,VI, 216). Daraus folgt: »so wil ich<br />

ihm kein statt mehr machen von gestein<br />

und von mauren, sun<strong>de</strong>r ich will ihn in<br />

mein herz fassen, <strong>de</strong>m ich sonst ein tabernacul<br />

macht über golt und silber.« (2,VI,<br />

215) Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen,<br />

bedarf <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>s göttlichen<br />

Worts. Wenn er sich daran hält, wird Gott<br />

ihn nicht verschmähen, auch wenn er <strong>bei</strong><br />

<strong>de</strong>n Menschen nicht unbedingt geachtet<br />

sein wird.<br />

c) Biographie und Theologie<br />

Aufschlussreich für <strong>de</strong>n eigenen Standpunkt<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus in <strong>de</strong>n dreißiger Jahren ist<br />

eine Auslegung von Psalm 119, Vers 141.<br />

Hier klingen vielleicht persönliche Erfahrungen<br />

an, wenn er zu <strong>de</strong>r Aussage: »Ich<br />

bin ein Jüngling und verachtet, aber <strong>de</strong>ine<br />

Befehle mißachte ich nicht.« ausführt:<br />

»Das ist sovil: wiewol ich ein verachter<br />

und verschmechter bin, daß ist auf <strong>de</strong>n<br />

hohen schulen, <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n sophisten, <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n<br />

synagogen, <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n pfaffen, munchen, <strong>bei</strong><br />

<strong>de</strong>n kirchen, <strong>de</strong>n gelerten, <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n schreibern,<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>n fursten (dann er redt do von<br />

aller verachteten christen wegen), ›und bin<br />

ein jungling‹, das ist wie ein jungling, <strong>de</strong>r<br />

nichts kann, nichts soll, sun<strong>de</strong>r fur und fur<br />

zu schul <strong>de</strong>r ketzerei getrieben soll wer<strong>de</strong>n,<br />

und <strong>de</strong>n man darein treibt, daß er do lern,<br />

›noch vergiß ich <strong>de</strong>iner gerechtigkeit nit‹.<br />

das laut dohin, daß die verachten auf er<strong>de</strong>n<br />

sich nit sollen bekumern lassen, sun<strong>de</strong>r<br />

allzeit ge<strong>de</strong>nken an die gesatz gottes; <strong>bei</strong>m<br />

selbigen seindt sie nit verschmecht.« (2,VI,<br />

114).<br />

Mir scheint es, als ob Paracelsus hier<br />

auch von sich selber spricht, von seinen<br />

Erfahrungen mit Theologie und Kirche<br />

und dass er mittlerweile je<strong>de</strong> Hoffnung auf<br />

Verständigung aufgegeben hat. Dazu muss<br />

man wissen, dass er in Salzburg 1524/25<br />

zwei Schriften Theologen widmete, nämlich<br />

zwei italienischen Professoren <strong>de</strong>r<br />

Theologie, Valentin und Remigius, die<br />

man bisher lei<strong>de</strong>r nicht hat näher i<strong>de</strong>ntifizieren<br />

können. Ihnen widmete er seine<br />

sehr kirchenkritische Schrift ›De septem<br />

punctis idolatriae christianae‹ (Von <strong>de</strong>n<br />

sieben Punkten christlicher Abgötterei) –<br />

<strong>de</strong>mnach glaubte er hier noch, dass die<br />

christliche Kirche reformierbar sein müsste. 13<br />

Und die zweite Schrift, seine Auslegungen<br />

zu <strong>de</strong>n ersten fünf Kapiteln <strong>de</strong>s Matthäusevangeliums,<br />

schickte er 1525 mit einem<br />

Begleitbrief an Luther, Bugenhagen und<br />

13


Melanchthon nach Wittenberg, wollte sich<br />

anscheinend also <strong>de</strong>r theologischen Erneuerungsbewegung<br />

annähern. 14 Seine Berufung<br />

als Stadtarzt nach Basel 1527 wur<strong>de</strong><br />

von einem Freund <strong>de</strong>s Erasmus von Rotterdam,<br />

<strong>de</strong>m Buchhändler Froben geför<strong>de</strong>rt,<br />

woraus man schließen kann, dass Paracelsus<br />

als ein Mann empfun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m<br />

christlichen Humanismus <strong>de</strong>s Erasmus nahestand.<br />

15 Auch setzte sich <strong>de</strong>r evangelische<br />

Reformator Oekolampad für seine Berufung<br />

ein, <strong>de</strong>r Paracelsus als <strong>de</strong>r evangelischen<br />

Sache nahestehend einschätzte. In Basel<br />

konnte Paracelsus nun erstmals die Umsetzung<br />

<strong>de</strong>r Reformation ins Leben beobachten.<br />

Offenbar hat ihn dies eher skeptischer<br />

gemacht, als vollends für sie gewonnen.<br />

Nicht zuletzt bot die Stadt ein lebendiges<br />

Beispiel für die damals beginnen<strong>de</strong> Vielfalt<br />

christlicher Strömungen: In Basel gab es<br />

neben <strong>de</strong>n Altgläubigen nicht nur Humanisten<br />

und <strong>de</strong>m sich konstituieren<strong>de</strong>n<br />

Luthertum gewogene Parteiungen, son<strong>de</strong>rn<br />

auch Humanisten, die eher <strong>de</strong>m Züricher<br />

Reformator Zwingli zugeneigt waren, genauso<br />

wie radikalisieren<strong>de</strong> Separatisten und<br />

Täufer.<br />

Nach <strong>de</strong>r Flucht aus Basel im Januar 1528<br />

wegen einer Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit einem<br />

Patrizier, <strong>de</strong>m er angeblich eine zu hohe<br />

Rechnung ausgestellt hatte, war die letzte<br />

Möglichkeit gescheitert, in etablierter Position<br />

etwas bewirken zu können. Wan<strong>de</strong>rjahre<br />

in bitterer Armut schließen sich an.<br />

Immer wie<strong>de</strong>r wird Paracelsus da<strong>bei</strong> Zeuge<br />

<strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung um <strong>de</strong>n rechten<br />

Glauben. 1530 nun gibt er die Hoffnung<br />

auf, einer <strong>de</strong>r sich ausbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Konfessionen<br />

zugehören zu können, zählt sich zu<br />

<strong>de</strong>n verachteten Christen, die von <strong>de</strong>n Gelehrten,<br />

<strong>de</strong>n Kirchen und <strong>de</strong>n Pfarrern nicht<br />

anerkannt wer<strong>de</strong>n. An eine Reformierbarkeit<br />

<strong>de</strong>r Institution Kirche scheint er nicht<br />

mehr zu glauben, um so mehr liegt ihm<br />

daran, ein individualistisches Herzenschristentum<br />

als <strong>de</strong>n wahren Weg zu Gott aufzuzeigen.<br />

Ein Indiz für sein Selbst- und<br />

Sendungsbewußtsein ist es, dass er sich ab<br />

<strong>de</strong>n 30er Jahren als Doktor <strong>de</strong>r Heiligen<br />

Schrift versteht und sich damit in die Reihe<br />

<strong>de</strong>r kompetenten Ausleger <strong>de</strong>r Bibel einreiht,<br />

die das Jahrhun<strong>de</strong>rt beherrschen.<br />

14<br />

Paracelsus’ eigener Glaube macht sich<br />

unabhängig von kirchlicher Vermittlung.<br />

Das biblische Wort in spiritueller Auslegung<br />

ist für ihn verbindlich und gelegentlich<br />

kann er sogar davon sprechen, dass<br />

die Gläubigen unmittelbar aus Gott bzw.<br />

vom Himmel Erkenntnisse erlangen: »do<br />

beschleust David <strong>de</strong>n vorbemelten psalmen,<br />

daß wir nit sollen in <strong>de</strong>n geistlichen<br />

stand [...] verhoffen o<strong>de</strong>r glauben, sun<strong>de</strong>r<br />

von <strong>de</strong>r er<strong>de</strong>n unser augen wen<strong>de</strong>n gen<br />

himel; do kompt unser heil her. zu gleicherweis<br />

wie Christus vom himel herab ist<br />

komen und ist unser heil uf er<strong>de</strong>n gewesen,<br />

also kompt es ohn all an<strong>de</strong>r mittel von<br />

himel auch herab. und weiter haben wir<br />

nichts anzusehen.« (2,VI, 146)<br />

Damit einher geht ein großes Vertrauen<br />

auf Gottes Barmherzigkeit: Diejenigen, die<br />

sich auf Gott ausrichten, wer<strong>de</strong>n von ihm<br />

angenommen aus göttlicher Gna<strong>de</strong> und<br />

wenn sie vor <strong>de</strong>r Welt verachtet sind, heißt<br />

dies eben nicht, dass sie <strong>bei</strong> Gott verachtet<br />

sind, son<strong>de</strong>rn im Gegenteil: gera<strong>de</strong> sie, die<br />

Armen und Verachteten, sind Gott nahe.<br />

Da<strong>bei</strong> darf es kein Vertrauen auf die eigene<br />

Leistung geben, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Christ soll<br />

Gott als seine Mutter sehen, die ihm Nahrung<br />

gibt (vgl.2, VI, 207f.).<br />

3. Schluss<br />

Ich habe Ihnen hiermit einen Ausschnitt<br />

aus <strong>de</strong>m theologischen Denken <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

vorgestellt, wo<strong>bei</strong> nach wie vor umstritten<br />

ist, inwieweit Paracelsus da<strong>bei</strong> von<br />

Einflüssen aus <strong>de</strong>r Renaissancephilosophie,<br />

vor allem <strong>de</strong>s Neuplatonismus, geprägt ist<br />

und die Interpretation seines theologischen<br />

Schrifttums, wenn sie allein vor <strong>de</strong>m Hintergrund<br />

<strong>de</strong>r Theologien <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

und damit vor allem <strong>de</strong>r Reformation<br />

dargestellt wird, zu kurz greift. Forscher wie<br />

Walter Pagel 16 , Arlene Miller-Guinsburg 17 ,<br />

Siegfried Wollgast 18 und vor allem Hartmut<br />

Rudolph 19 sind <strong>de</strong>r Ansicht, dass dieser<br />

Einfluss nach wie vor unterschätzt wird<br />

und dass Interpretationen, die <strong>de</strong>n bibeltheologischen<br />

Hintergrund <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

betonen, <strong>de</strong>n Kontext seines naturphilosophischen<br />

Werkes verzeichnen und auch<br />

eine angemessene Interpretation <strong>de</strong>s theologischen<br />

Werkes zumin<strong>de</strong>st erschweren.


Nun fällt tatsächlich auf, dass Paracelsus<br />

auch im Psalmenkommentar häufig die<br />

Einzigartigkeit Jesu Christi und <strong>de</strong>r durch<br />

ihn geschehenen Erlösung betont, dass eine<br />

Verbindung zur Anthropologie <strong>de</strong>s einzelnen<br />

Menschen – das lutherische pro me<br />

(für mich), das die lebendige Gottesbeziehung<br />

erst herstellt – sich so <strong>bei</strong> Paracelsus<br />

nicht fin<strong>de</strong>t. Die Aussagen über Christus<br />

und die Aussagen über das Verhalten <strong>de</strong>s<br />

Christen stehen eher nebeneinan<strong>de</strong>r, wie<br />

sie einan<strong>de</strong>r bedingen wird hier nirgends<br />

<strong>de</strong>utlich. Der Kirchenhistoriker Heinrich<br />

Bornkamm hat diesen Befund bereits 1926<br />

aus sehr viel geringerer Quellenkenntnis<br />

folgen<strong>de</strong>rmaßen dargestellt: »Aber es ist<br />

schon eigentümlich, welch geringe Be<strong>de</strong>utung<br />

er [Paracelsus] da<strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Person Christi<br />

zumißt. Bei einem am biblischen Evangelium<br />

genährten Manne wie Paracelsus ist<br />

es selbstverständlich, daß er oft genug in<br />

<strong>de</strong>n kirchlichen Formeln von <strong>de</strong>r Erlösung<br />

durch Christus zu re<strong>de</strong>n weiß. Aber es ist<br />

doch <strong>de</strong>utlich spürbar, daß sein ganzes inneres<br />

Erleben ihn unvermittelt vor Gott<br />

stellt, ohne daß es sich auf die Versöhnungstat<br />

Christi grün<strong>de</strong>te.« 20 In Verschärfung dieser<br />

Position meint nun Hartmut Rudolph,<br />

<strong>de</strong>r dies 1996 <strong>bei</strong>m I. Dresdner Symposium<br />

vorgetragen hat, dass Christus <strong>bei</strong> Paracelsus<br />

»seine soteriologische Einzigartigkeit als<br />

Heilsvermittler« verliere. 21 Tatsächlich ist jedoch<br />

eine klare Einordnung <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

in die Reformation und in die Renaissancephilosophie<br />

immer noch nicht möglich,<br />

weil dazu das gesamte Werk zunächst einmal<br />

erschlossen und traditionsgeschichtlich<br />

untersucht wer<strong>de</strong>n müsste. Von daher gelten<br />

solche Einschätzungen nur unter Vorbehalt.<br />

Bei aller Vorsicht bin ich jedoch <strong>de</strong>r<br />

Meinung, dass davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n<br />

muss, dass Paracelsus seine Haltung zu<br />

Theologie, Kirche, Christentum und auch<br />

Jesus Christus im Laufe seines Lebens,Wirkens<br />

und Schreibens erst herausgebil<strong>de</strong>t hat,<br />

dass er nicht schon von Anfang an eine fertig<br />

ausgebil<strong>de</strong>te Position besaß, son<strong>de</strong>rn sie<br />

im eigenständigen Umgang mit theologischen<br />

Diskussionen seiner Zeit entwickelte.<br />

Da<strong>bei</strong> ist zwar neuplatonischer Hintergrund<br />

bis in die Terminologie hinein spür-<br />

bar, jedoch überwiegt die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

mit aktuellen christlichen Positionen.<br />

Hier kann ich durch eigene Quellenuntersuchungen<br />

erhärten, dass 1524/25 eine<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit reformatorischen<br />

Positionen stattfin<strong>de</strong>t und dass das Bekenntnis<br />

zu Christus noch weitgehend im<br />

reformatorischen Sinne vorgebracht wird.<br />

Tatsächlich habe ich <strong>de</strong>n Eindruck, dass<br />

diese Einstellung bereits im Psalmenkommentar<br />

eine Wandlung erfahren hat.<br />

Der bereits am Anfang erwähnte Aufsatz<br />

von Mitchell Hammond geht in seiner<br />

Argumentation – im genauen Gegensatz zu<br />

Rudolph – davon aus, dass die Verbindung<br />

zwischen medizinischem und theologischem<br />

Denken <strong>bei</strong> Paracelsus auf einer<br />

christlichen Kosmologie beruht, die biblisch<br />

fundiert ist. 22 Auch die neue Studie<br />

von Andrew Weeks wichtet die biblischen<br />

Fundamente <strong>de</strong>s Paracelsus stärker als seinen<br />

neuplatonischen Hintergrund und<br />

verschränkt Paracelsus’ Denkweise mit <strong>de</strong>n<br />

reformatorischen Aufbrüchen <strong>de</strong>r Zeit. 23<br />

Weeks sieht in Paracelsus’ Ablehnung von<br />

Autoritäten und Kapazitäten innerhalb <strong>de</strong>r<br />

Medizin einen <strong>de</strong>utlichen Kontrast zu<br />

Marsilio Ficino o<strong>de</strong>r Pico <strong>de</strong>lla Mirandola<br />

und in <strong>de</strong>r Betonung dieser Abhängigkeit<br />

eine Schieflage, die an<strong>de</strong>re Quellen <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus zugunsten einer Überbetonung<br />

von neuplatonischem Einfluss übersieht. 24<br />

Er kommt zu einer Einschätzung, die ich<br />

teile und <strong>de</strong>shalb zitieren will: »Significantly,<br />

Paracelsus brings to nature and medicine<br />

the terminologies of contemporaneous<br />

religious <strong>de</strong>bate, the contrasts of<br />

faith and works, of the outer and the inner,<br />

of flesh and spirit. This usage is very much<br />

more in evi<strong>de</strong>nce than is any counterposing<br />

of Hermetic and Neoplatonic i<strong>de</strong>as<br />

against the authority of church tradition<br />

and the Bible [...] During this <strong>de</strong>cisive<br />

period of his career, Paracelsus does not<br />

choose the si<strong>de</strong> of Renaissance philosophy<br />

against a Reformation fi<strong>de</strong>ism. Quite to<br />

the contrary, he attempts to extend faith<br />

to the domain of nature and medicine.« 25<br />

Dies soll nur ein Beispiel dafür sein, dass<br />

die Forschungsmeinungen hier divergieren.<br />

Ich habe Ihnen diese Forschungskontroverse<br />

kurz darstellen wollen, um zu zeigen,<br />

15


dass letztlich die Erforschung <strong>de</strong>s Laientheologen<br />

Paracelsus noch vor vielen Aporien<br />

und erst in ihren Anfängen steht.<br />

Abschließend möchte ich jedoch noch<br />

einmal zusammenfassend die Haltung zum<br />

christlichen Glauben skizzieren, wie Paracelsus<br />

sie hier im Psalmenkommentar entwickelt,<br />

und dies im Vergleich mit <strong>de</strong>m vorhin<br />

interpretierten Holzschnitt:<br />

– Gemeinsam mit <strong>de</strong>n Reformatoren betont<br />

Paracelsus die einzige Mittlerfunktion<br />

Christi. Genau wie sie gibt er Heiligen-<br />

und Marienverehrung auf. Durch<br />

Christus wird das Heil an die Menschen<br />

vermittelt. Er ist <strong>de</strong>r barmherzige Tröster.<br />

– Angemessenes Christentum zeigt sich an<br />

<strong>de</strong>r Nachfolge in Armut. Paracelsus teilt<br />

die kleruskritische Haltung <strong>de</strong>r Reformatoren,<br />

geht aber radikalisierend über sie<br />

hinaus: während <strong>de</strong>r Protestantismus das<br />

Pfarramt als Beruf bestehen lässt, lässt<br />

Paracelsus nur noch ein an <strong>de</strong>n Aposteln<br />

orientiertes Wan<strong>de</strong>rpredigeramt zu.<br />

– Für das Luthertum wird <strong>de</strong>r Glaube durch<br />

die Verkündigung <strong>de</strong>s Evangeliums und<br />

die Verabreichung <strong>de</strong>r Sakramente weitergegeben<br />

und erhalten. Paracelsus dagegen<br />

besitzt kein positives Kirchenverständnis.<br />

Glaube vermittelt sich durch<br />

<strong>de</strong>n lebendigen Umgang mit <strong>de</strong>r Heiligen<br />

Schrift, d.h. es geht um ein Verstehen,<br />

das zugleich immer auf Umsetzung<br />

dringt. Christentum ist wesentlich Geistchristentum.<br />

Durch <strong>de</strong>n Heiligen Geist<br />

wer<strong>de</strong>n die Christen zur Tat <strong>de</strong>r Liebe<br />

gedrängt.<br />

– Außer Abendmahl und Taufe erwähnt<br />

Paracelsus kein an<strong>de</strong>res Sakrament.<br />

1 Vortrag am 7.10.98 im Deutschen Hygiene-<br />

Museum Dres<strong>de</strong>n. Der Vortrag wur<strong>de</strong> für die<br />

Druckfassung geringfügig überar<strong>bei</strong>tet.<br />

2 Hartmut Rudolph, Paracelsus, in: Theologische<br />

Realenzyklopädie 25 (1995), 699-705.<br />

3 Die Ergebnisse <strong>de</strong>r Glasgower Tagung fin<strong>de</strong>n sich<br />

in: Ole Peter Grell (Hg.), Paracelsus. The Man and<br />

his Reputation, his I<strong>de</strong>as and their Transformation,<br />

Lei<strong>de</strong>n u.a. 1998 [Studies in the History of<br />

Christian Thought, hg. von Heiko Augustinus<br />

Oberman, Bd. 85]. Die Beiträge <strong>de</strong>r Stuttgarter<br />

Tagung sind erschienen in: Peter Dilg, Hartmut<br />

16<br />

ANMERKUNGEN<br />

Auch hier hat er <strong>de</strong>mnach Anregungen<br />

aus <strong>de</strong>r reformatorischen Diskussion aufgegriffen.<br />

Was für Rückschlüsse lassen sich aus diesem<br />

Befund nun auf seinen Glauben ziehen? Es<br />

ist ein sehr individualistisches Christentum,<br />

das Paracelsus hier vorstellt. Je<strong>de</strong>r Mensch<br />

ist für sein Gottesverhältnis selbst verantwortlich.<br />

Keine Institution ist mehr für die<br />

Vermittlung <strong>de</strong>s Heils zuständig. Individualismus<br />

heißt <strong>bei</strong> ihm jedoch nicht Beliebigkeit<br />

<strong>de</strong>s Lebens und Han<strong>de</strong>lns, son<strong>de</strong>rn<br />

be<strong>de</strong>utet ein individuelles Streben nach<br />

verinnerlichter Frömmigkeit, die an biblischen<br />

Maßgaben orientiert ist. Pirmin Meier<br />

hat diese Religiosität <strong>de</strong>s Paracelsus in seiner<br />

1993 bereits in dritter Auflage erschienenen<br />

Biographie folgen<strong>de</strong>rmaßen beschrieben:<br />

Bei <strong>de</strong>r paracelsischen Religiosität han<strong>de</strong>le<br />

es sich um ein »Phänomen, das unserer<br />

Zeit zugleich sehr nahe und fern steht: <strong>de</strong>r<br />

Mensch, <strong>de</strong>n man nie beten sieht, <strong>de</strong>r aber<br />

unablässig betet; <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r keine<br />

Kirche, keinen Gottesdienst besucht, <strong>de</strong>ssen<br />

ganzes Leben aber ein einziger Gottesdienst<br />

ist [...] <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r nie <strong>bei</strong>chtet,<br />

aber alle seine Worte und Taten sind in<br />

einem noch an<strong>de</strong>ren Sinne als <strong>bei</strong> Goethe,<br />

in einer durchaus christlichen Meinung,<br />

Bruchstücke einer großen Konfession. Der<br />

Mensch, <strong>de</strong>r an Fastenbräuchen nicht teilnimmt,<br />

in gewissen Phasen seines Lebens<br />

ein fröhlicher Zecher ist, <strong>de</strong>r aber letztlich<br />

von <strong>de</strong>n Tischen seiner Mitmenschen abberufen<br />

wird zu einer permanenten Askese<br />

<strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>innung, <strong>de</strong>s Wortes, <strong>de</strong>r Tat.« 26<br />

Rudolph (Hgg.), Neue Beiträge zur Paracelsusforschung,<br />

Stuttgart 1995 [Hohenheimer Protokolle,<br />

Bd. 47].<br />

4 Andrew Weeks, Paracelsus. Speculative Theory<br />

and the Crisis of the Early Reformation,<br />

New York 1997.<br />

5 Mitchell Hammond, The Religious Roots of<br />

Paracelsus’s Medical Theory, in: Archiv für<br />

Reformationsgeschichte 89 (1998), 7-21.<br />

6 Martin Brecht, Der Psalmenkommentar <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus und die Reformation, in:<br />

Neue Beiträge (wie Anm. 3), 71-110.


7 Die Bezeichnung »radikale Reformation« geht auf<br />

George H.Williams 1962 erschienenes Buch<br />

(<strong>de</strong>rs., Radical Reformation, Phila<strong>de</strong>lphia 1962)<br />

zurück. Vom »linken Flügel <strong>de</strong>r Reformation«<br />

spricht ertmals Heinold Fast in seiner gleichlauten<strong>de</strong>n<br />

Textsammlung, die dann noch einmal<br />

unterteilt in Täufer, Spiritualisten, Schwärmer und<br />

Antitrinitarier (<strong>de</strong>rs., Der linke Flügel <strong>de</strong>r Reformation.<br />

Glaubenszeugnisse <strong>de</strong>r Täufer, Spiritualisten,<br />

Schwärmer und Antitrinitarier, Bremen 1962<br />

[Matthias Schrö<strong>de</strong>r (Hg.), Klassiker <strong>de</strong>s Protestantismus<br />

Bd. 4]). Vgl. zur weiteren Information<br />

auch: Hans-Jürgen Goertz, Radikale Reformation.<br />

21 biographische Skizzen von Thomas Müntzer<br />

bis Paracelsus, München 1978.<br />

8 Ute Gause, Paracelsus (1493-1541). Genese und<br />

Entfaltung seiner frühen Theologie, Tübingen<br />

1993 [Spätmittelalter und Reformation NR 4],<br />

hier 285. Vgl. als Kurzzusammenfassung auch:<br />

Alois M. Haas, Paracelsus <strong>de</strong>r Theologe: Die Salzburger<br />

Anfänge 1524/25, in:<br />

Heinz Dopsch, Peter F. Kramml, Paracelsus und<br />

Salzburg, Salzburg 1994, 369-382 – Im Gegensatz<br />

zu Haas halte ich Paracelsus in seinem theologischen<br />

Denken jedoch für weniger eigenständig.<br />

Haas ist <strong>bei</strong>spielsweise die Zwingli-Rezeption <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus entgangen.<br />

9 Vgl. Brecht (wie Anm. 6), 73.<br />

10 Vgl. ebd., 74f.<br />

11 Vgl. ebd., 76f.<br />

12 Theophrast von Hohenheim, gen. Paracelsus,<br />

Sämtliche Werke. 2.Abteilung: Theologische und<br />

religionsphilosophische Schriften, hrsg. von Kurt<br />

Goldammer, B<strong>de</strong>. IV-VII, Wiesba<strong>de</strong>n 1955-1961;<br />

im folgen<strong>de</strong>n zitiert als: 2 [Abteilung]/römische<br />

Ziffer [Band], Seite, wo<strong>bei</strong> die jeweilige Belegstelle<br />

unmittelbar hinter <strong>de</strong>m betreffen<strong>de</strong>n Zitat im Text<br />

angegeben ist. Hier also: 2, VI, 51.<br />

13 Vgl. ausführlich dazu Gause (wie Anm. 8), 118-144.<br />

14 Ebd., 162f.<br />

15 Vgl. ausführlicher dazu Hammond (wie Anm.5),11f.<br />

16 Walter Pagel, Paracelsus. An Introduction to<br />

Philosophical Medicine in the Era of the Renaissance,<br />

2.verbesserte Auflage Basel u.a. 1982.<br />

17 Arlene Miller-Guinsburg, Die I<strong>de</strong>enwelt <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus und seiner Anhänger in Hinsicht auf<br />

das Thema <strong>de</strong>s christlichen Magus und <strong>de</strong>ssen<br />

Wirken, in: Sepp Domandl (Hg.), Von Paracelsus<br />

zu Goethe und Wilhelm von Humboldt [Salzburger<br />

Beiträge zur Paracelsusforschung 22],<br />

Wien 1981, 27-54. Dies., Paracelsian Magic and<br />

Theology. A Case Study of the Matthew Commentaries,<br />

in: Rosemarie Dilg-Frank (Hg.),<br />

Kreatur und Kosmos, Stuttgart u.a. 1981, 125-139.<br />

18 Siegfried Wollgast, Philosophie in Deutschland<br />

zwischen Reformation und Aufklärung 1550-1650,<br />

2.Auflage Berlin 1993.<br />

19 Zuletzt: <strong>de</strong>rs., Hohenheim’s Anthropology<br />

in the Light of his Writings on the Eucharist, in:<br />

Paracelsus. The Man and his Reputation<br />

(wie Anm.3), 187-206; hier: vgl. 192 und bes. 197:<br />

»This neoplatonic background is no more<br />

questionable in the early writings of Paracelsus<br />

than it is in his later works.« u.ö. – Der komplette<br />

Aufsatz zielt darauf, <strong>de</strong>n neuplatonischen<br />

Hintergrund <strong>de</strong>s Paracelsus auch in seinen<br />

Schriften zum Abendmahls zu exemplifizieren.<br />

Vgl. dagegen Ute Gause, On Paracelsus’ Epistemology<br />

in his Early Theological Writings and in<br />

his Astronomia Magna, in: Paracelsus. The Man<br />

and his Reputation (wie Anm.3), 207-221.<br />

20 Heinrich Bornkamm, Paracelsus, in: <strong>de</strong>rs.,<br />

Das Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Reformation. <strong>Ges</strong>talten und<br />

Kräfte, Frankfurt 1983, 210-230, hier 224.<br />

21 Ders., Menschenbild und Ethik <strong>bei</strong> Paracelsus,<br />

In: Manuskripte - Thesen - Informationen,<br />

hrsg. von <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft,<br />

10/2 (1996), 56-63, hier 59.<br />

22 Hammond (wie Anm. 5), 20: ”These examples of<br />

Paracelsus’s impact indicate the variety of ways<br />

that Paracelsus’ images wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>veloped and the<br />

wi<strong>de</strong> range of his influence. Their divergent<br />

ten<strong>de</strong>ncies should not, however, distract us from<br />

the essential nature of his achievement: the unification<br />

of the theology and philosophy available<br />

to him into a coherent cosmology rooted in<br />

Genesis and Matthew. Paracelsus envisioned<br />

a cosmos in which all things un<strong>de</strong>rstood by the<br />

light of nature were groun<strong>de</strong>d in the Book of<br />

Scipture.« [Hervorhebung U.G.]<br />

23 Vgl. Weeks (wie Anm. 4), 32, 55, 57, 110 u.ö.<br />

24 Vgl. ebd., 57 und Anm. 134 (S. 212) in direktem<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch zu Rudolph: »As to which authority<br />

Paracelsus names more often, there can be absolutely<br />

no doubt that the Bible outweighs any<br />

authority accor<strong>de</strong>d to Plato or Neoplatonism.«<br />

25 Ebd., 110 – innerhalb <strong>de</strong>r obigen Auslassung<br />

führt Weeks an, dass Rudolph nachgewiesen hat,<br />

dass sich Paracelsus platonischer Terminologie<br />

bediente. Das halte ich ebenfalls für völlig unstrittig.<br />

Vgl. zum untrennbaren Verhältnis von<br />

Philosophie und Theologie <strong>bei</strong> Paracelsus auch:<br />

Ute Gause, Aspekte <strong>de</strong>r theologischen Anthropologie<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus, in: Peter Dilg, Hartmut<br />

Rudolph (Hgg.), Neue Beiträge zur Paracelsus-<br />

Forschung, Stuttgart 1995, [Hohenheimer<br />

Protokolle, Bd. 47], 59-70.<br />

26 Pirmin Meier, Paracelsus, Zürich 3.<br />

Aufl.1993, 348.<br />

Prof. Dr. theol. Ute Gause<br />

Universität – <strong>Ges</strong>amthochschule Siegen,<br />

Fachbereich 1, Evangelische Theologie<br />

Adolf-Reichwein-Straße 2, D-57068 Siegen<br />

17


Paracelsus verwen<strong>de</strong>t die Begriffe Astronomie<br />

und Astrologie oft als einan<strong>de</strong>r entsprechend.<br />

Wir fin<strong>de</strong>n <strong>bei</strong> ihm keine feststehen<strong>de</strong><br />

Definition, die <strong>bei</strong><strong>de</strong> Begriffe<br />

<strong>de</strong>utlich voneinan<strong>de</strong>r abgrenzt. Im Laufe<br />

<strong>de</strong>r Zeit haben Inhalte von Worten Wandlungen<br />

erfahren. So verbin<strong>de</strong>t man heute<br />

»Astronomie« mit »wissenschaftlich« wogegen<br />

»Astrologie« eher negativ im Sinne von<br />

»pseudowissenschaftlich« und »Stern<strong>de</strong>uterei«<br />

belegt ist. Von diesem heutigen Wortverständnis,<br />

welches seit <strong>de</strong>m 16.Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

eine Wandlung erfahren hat, müssen<br />

wir uns jedoch trennen, wollen wir Paracelsus<br />

richtig verstehen.<br />

In <strong>de</strong>r »Philosophia sagax« schreibt er über<br />

Astrologie folgen<strong>de</strong>s:<br />

»Diese Kunst lehrt und han<strong>de</strong>lt vom ganzen<br />

Firmament und darüber, wie es sich zur Er<strong>de</strong><br />

und zum Menschen verhält... und wie <strong>de</strong>r<br />

Mensch und die Er<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m <strong>Ges</strong>tirn verwandt<br />

sind.« 1<br />

Die Astronomie <strong>de</strong>s Paracelsus setzt sich<br />

aus verschie<strong>de</strong>nen Teilen zusammen :<br />

– Magia (»Diese Kunst zwingt <strong>de</strong>s Himmels<br />

Kräfte herab in die Steine, Kräuter... u.<strong>de</strong>rgl....<br />

Sie lehrt auch die übernatürlichen <strong>Ges</strong>tirne<br />

erkennen, die Kometen...«) 1<br />

– Nigromantia (übernatürliche Fähigkeiten)<br />

– Nectromantia (ähnlich wie Nigrom.)<br />

– Astrologia<br />

– Signatum (Signaturenlehre, Antlitzdiagnostik,<br />

Handlesekunst)<br />

– Artes incertae (ungewisse Künste)<br />

– Medicina a<strong>de</strong>pta (geheime Medizin)<br />

18<br />

Dietrich Mühlberg<br />

PARACELSUS ZUM EINFLUSS DER GESTIRNE<br />

AUF DEN MENSCHEN UND DESSEN GESUNDHEIT<br />

1. Was verstand Paracelsus unter »Astronomie und Astrologie«?<br />

– Philosophia a<strong>de</strong>pta (geh. Philosophie)<br />

– Mathematica a<strong>de</strong>pta (geh.Mathematik) 2<br />

Er will <strong>de</strong>mzufolge die Astrologie als<br />

Bestandteil <strong>de</strong>r Astronomie wissen:<br />

«Also ist Astrologia ein Glied <strong>de</strong>r Astronomia« 3<br />

Nach seinem Verständnis ist »Astrologia«<br />

ähnlich fassettenreich, sie fragt z.B. nach<br />

<strong>de</strong>m: »summus motor« (<strong>de</strong>m obersten Lenker),<br />

»stellarum cursus« (<strong>de</strong>r Sterne Lauf),<br />

»Concordantia cum elementis« (<strong>de</strong>r Übereinstimmung<br />

mit <strong>de</strong>n Elementen) o<strong>de</strong>r nach<br />

»Prognosticationes medicae« (medizinischen<br />

Voraussagen). 4<br />

Deutlich wird aus dieser Aufzählung die<br />

Vielschichtigkeit paracelsischer Betrachtungsweise.<br />

Wie oberflächlich wür<strong>de</strong>n wir<br />

urteilen, wollten wir sein Verständnis von<br />

Astronomie einfach mit »Stern<strong>de</strong>uterei«<br />

übersetzen! Triviale Stern<strong>de</strong>uterei verwirft<br />

Paracelsus als »Astrologia judicaria«:<br />

»Und sollt euch <strong>de</strong>r Meinung entschlahen,<br />

daß ihr solang geacht habet und Juditia gesetzt<br />

<strong>de</strong>m Menschen auf die Natur <strong>de</strong>r Sterne, welches<br />

wir wohl belachen mögen« 5<br />

Belacht hätte Paracelsus auch jene Art<br />

von »Astrologie«, wie sie uns täglich als<br />

»Einfluss unseres Tierkreiszeichens«, reduziert<br />

auf berufliche Erfolge, Geldgeschäfte<br />

o<strong>de</strong>r Partnerschaft dargestellt wird.<br />

»Es ist aber ein großer Irrtum, wenn man die<br />

Spezies <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>tirne nicht verstehen will, son<strong>de</strong>rn<br />

allein das Horoskop stellt, <strong>de</strong>n Aszen<strong>de</strong>nten<br />

und die Figur <strong>de</strong>s Himmels behan<strong>de</strong>lt und<br />

von <strong>de</strong>n sechs an<strong>de</strong>ren nichts weiß. Das ist eine<br />

Torheit.« 6<br />

2. Zum Stellenwert <strong>de</strong>r Astrologie <strong>bei</strong> Paracelsus<br />

Zu fragen ist nach <strong>de</strong>m Stellenwert <strong>de</strong>r<br />

Astrologie im paracelsischen Denkgebäu<strong>de</strong>.<br />

Neben <strong>de</strong>r Philosophie, <strong>de</strong>r Alchemie und<br />

<strong>de</strong>r Tugend ist für ihn die Astronomie eine<br />

<strong>de</strong>r tragen<strong>de</strong>n Säulen <strong>de</strong>r Heilkunst.<br />

Nach Hans Kayser ist die Astrologie gar<br />

die wichtigste Säule im medizinischen Gebäu<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Paracelsus:


»Praktisch die wichtigste Stellung nimmt die<br />

Astrologie im medizinischen System Hohenheims<br />

ein. ... Im 16.Jahrhun<strong>de</strong>rt und in <strong>de</strong>n früheren<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rten gehörte die Astrologie zum notwendigen<br />

Wissen eines je<strong>de</strong>n gelehrten Arztes.« 7<br />

So stellte Paracelsus die For<strong>de</strong>rung auf:<br />

»...das <strong>de</strong>r arzt das wissen sol, das im menschen<br />

sind sonn, mon, saturnus, mars, mercurius,<br />

venus und all zeichen, <strong>de</strong>r polus arcticus und<br />

antarcticus, <strong>de</strong>r wagen und alle quart in zodiaco<br />

(alle Teile <strong>de</strong>s Tierkreises – D.M.). das muß <strong>de</strong>r<br />

arzt wissen, wil er vom grund <strong>de</strong>r arznei re<strong>de</strong>n,<br />

wo nit, so ist er nix dan ein lauter bescheißer<br />

und arzneiet als ein baur, <strong>de</strong>r coloquint in wein<br />

henkt und heilt alle menschen darvon.« 8<br />

Zum ersten Teil <strong>de</strong>r Frage: Einem Einfluss<br />

unterliegen wir nur dann, wenn wir über<br />

eine körpereigene Fähigkeit verfügen, die<br />

diesen Einfluss registriert und in eine körperliche<br />

o<strong>de</strong>r seelische Reaktion umsetzt.<br />

Beispiel »Temperatur-Einfluss«:<br />

Treten Temperaturschwankungen auf,<br />

registrieren das die Sinnesrezeptoren im<br />

Epithelgewebe unserer Haut. Das wird über<br />

Nervenbahnen <strong>de</strong>m zentralen Nervensystem<br />

weitergeleitet, welches nun eine bestimmte<br />

Reaktion auf <strong>de</strong>r Haut auslöst<br />

(z.B. Schweißbildung o<strong>de</strong>r die sog. »Gänsehaut«),<br />

mit <strong>de</strong>m Ziel, <strong>de</strong>n Temperatureinfluss<br />

zu kompensieren.<br />

Ist dieses Prinzip auch auf <strong>de</strong>n »<strong>Ges</strong>tirn-<br />

Einfluss« übertragbar, welche »Rezeptoren«<br />

registrieren diesen Einfluss? Hören wir<br />

dazu <strong>de</strong>n Hohenheimer:<br />

»nemlich im menschen seind sonn und mon<br />

und all planeten, <strong>de</strong>rgleichen seind auch in im<br />

alle stern und <strong>de</strong>r ganz chaos... zu gleicherweis<br />

wie durch ein glas die sonn scheint in ein palast<br />

und in ein saal und verlezt dasselbige nicht,<br />

also get es durch <strong>de</strong>n leib hinein. und aber wie<br />

das glas bricht <strong>de</strong>n sonnenschein, das er nicht<br />

volkomen ist als außerthalb <strong>de</strong>m glas, also ist<br />

auch ein solch mittels zwischen <strong>de</strong>m gestirn und<br />

<strong>de</strong>m menschen, das do bricht dasselbige in ir<br />

wirkung. und wie ein fürhang fürgehengt wird,<br />

also ist <strong>de</strong>r mensch in seim willen auch gesipt,<br />

solchen werken hinzu tun und zu verhenken.<br />

Paracelsus klagt hier jene einseitig ausgerichtete<br />

Medizin (»Medizin nach Schablone«)<br />

an, die lediglich ein Krankheitsbild,<br />

nicht aber <strong>de</strong>n kranken Menschen als<br />

ein Individuum betrachtet, <strong>de</strong>ssen Krankheitsverlauf<br />

bestimmt wird von einer Vielzahl<br />

von Einflüssen, eben auch vom Einfluss,<br />

<strong>de</strong>n das <strong>Ges</strong>tirn auf ihn ausübt.<br />

Es wird problematisch, wollten wir alle<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen Paracelsi an einen Arzt<br />

wortgetreu auf das 20. Jhd. übertragen.<br />

Es ist jedoch überlegenswert, inwieweit<br />

auch heute die Dialektik von Makro- und<br />

Mikrokosmos ärztliche Kunst bereichern<br />

könnte...<br />

3. Welchen Einfluss übt das <strong>Ges</strong>tirn auf <strong>de</strong>n Menschen aus? Und:<br />

Ist er zwingend, – sind wir <strong>de</strong>terminiert?<br />

nun aber weiter, es muß etwas im leib sein, das<br />

die gestirn annimbt, so sie in leib wirken. dan<br />

wo nichts im leib wer, das dasselbig annemme,<br />

so möcht das gestirn nicht hinein. als die er<strong>de</strong>n<br />

nimbt die sonn an, dan ursach es ist ein anziehen<strong>de</strong><br />

kraft in <strong>de</strong>rselbigen, das die sonn anzeucht;<br />

dan wie ir sehent, die er<strong>de</strong>n nimpt <strong>de</strong>n<br />

regen an, die felsen nicht, <strong>de</strong>r er<strong>de</strong>n ist er nuz,<br />

<strong>de</strong>n felsen nicht. nun also so im leib <strong>de</strong>r leib ein<br />

fels wer gegem gestirn, so wer <strong>de</strong>r himel umbsonst<br />

<strong>de</strong>m leib wie <strong>de</strong>r regen <strong>de</strong>m felsen. nun<br />

aber so ist es nicht also, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r leib zeucht<br />

<strong>de</strong>n himel an sich. was nun aber das sei, das in<br />

an sich zeucht, das ist groß götlich ordnung.« 9<br />

(Unterstreichg. D.M.)<br />

Um uns Paracelsus zu nähern, muss es<br />

erlaubt sein, aus diesen Worten zu folgern:<br />

1. Alle Planeten und Sterne haben eine<br />

körperliche und/o<strong>de</strong>r seelische Entsprechung<br />

im Menschen »...es muß etwas im<br />

leib sein, das die gestirn annimbt«<br />

(Zusammenhang von Mikro-und Makrokosmos)<br />

2. Der <strong>Ges</strong>tirneinfluss wird, in<strong>de</strong>m er auf<br />

<strong>de</strong>n Menschen einwirkt, verän<strong>de</strong>rt:<br />

»...das do bricht dasselbige in ir wirkung...«<br />

3. Wir selbst können diesen Vorgang offensichtlich<br />

mit unserem Willen beeinflussen:<br />

»...also ist <strong>de</strong>r mensch in seim willen<br />

auch gesipt, solchen werken hinzu tun und zu<br />

verhenken.«<br />

19


4. »...was nun aber das sei das in an sich zeucht,<br />

das ist groß götlich ordnung.«<br />

Paracelsus sieht darin offensichtlich ein<br />

Naturgesetz höherer Ordnung!<br />

Was ist das für ein Naturgesetz und wie<br />

wirkt es?<br />

Aufschluss darüber könnte uns die aus<br />

<strong>de</strong>m Hinduismus stammen<strong>de</strong> Lehre von<br />

<strong>de</strong>n Chakren geben.<br />

Chakren sind <strong>de</strong>m »Astralkörper«, Paracelsus<br />

wür<strong>de</strong> sagen: »unsichtbaren Leib«, zuzuordnen.<br />

Es sind gewissermaßen Sen<strong>de</strong>- und<br />

Empfangsstationen, über die wir Informationen<br />

austauschen können. Chakren<br />

wer<strong>de</strong>n als »Kraftzentren«, »Rä<strong>de</strong>r« o<strong>de</strong>r<br />

»Blumen« beschrieben, die bestimmten<br />

Körperregionen zugeordnet sind. So gibt<br />

es ein Kronen- (o<strong>de</strong>r Scheitel-), Stirn-, Kehl-,<br />

Herz-, Bauch-(o<strong>de</strong>r Solarplexus), Unterleibs-<br />

(o<strong>de</strong>r Sakral-) und ein Wurzel-Chakra.<br />

Diese sieben Chakren haben eine Entsprechung<br />

zu sieben Planeten bzw. Sternen.<br />

Siehe Abbildung 1:<br />

20<br />

10<br />

Zum zweiten Teil <strong>de</strong>r Frage: Nach Paracelsus<br />

können wir die Wirkung <strong>de</strong>s <strong>Ges</strong>tirns<br />

also beeinflussen. Offensichtlich zwingt<br />

uns das <strong>Ges</strong>tirn <strong>de</strong>mnach nicht. Gibt es<br />

nun aber eine Teilwirkung o<strong>de</strong>r können wir<br />

uns <strong>de</strong>r Wirkung gar vollständig entziehen?<br />

Dazu Paracelsus:<br />

»Also ist <strong>de</strong>r Himmel allein <strong>de</strong>s Viehes Herr<br />

und <strong>de</strong>sselbigen gewaltig, und nichts <strong>de</strong>s Menschen....<br />

Also ist <strong>de</strong>r Himmel Herr <strong>de</strong>r Menschen, welche<br />

Menschen Viehe sind und viehisch leben<br />

und wohnen. Aus <strong>de</strong>m folgt ihm das Lob, das<br />

man spricht, <strong>de</strong>r ist wie ein Löw, <strong>de</strong>r ist wie<br />

ein Wolf, <strong>de</strong>r ist wie ein Fuchs: Das sind viehische<br />

Lob, und sterben im Viech ab, und ist<br />

nichts <strong>de</strong>nn wie das Vieh, ärger <strong>de</strong>nn das Vieh<br />

in <strong>de</strong>n Wäl<strong>de</strong>rn: Denn <strong>de</strong>r Mensch soll ein<br />

Mensch sein, kein Viech.« 11<br />

Hier reduziert Paracelsus die Wirkung<br />

<strong>de</strong>s <strong>Ges</strong>tirns ein<strong>de</strong>utig auf das »Viehische«<br />

im Menschen, nicht auf das »Englische«.<br />

Das heißt: auf alle sinnlichen Wahrnehmungen,<br />

alle animalischen Triebe, also auf<br />

das seelische Prinzip wirkt das <strong>Ges</strong>tirn.<br />

Keine Wirkung hingegen sieht er auf das<br />

»Englische«, »Himmlische« o<strong>de</strong>r »Göttliche« –<br />

also geistige Prinzip im Menschen. Para-<br />

celsus unterschei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>mzufolge durchaus<br />

seelische und geistige Prinzipien im Menschen<br />

und verwen<strong>de</strong>t sie nicht als austauschbare<br />

Begriffe.<br />

»Denn das sollet ihr wissen, daß Gott die<br />

Planeten und alle an<strong>de</strong>re <strong>Ges</strong>tirn <strong>de</strong>s Himmels<br />

nit darum hat erschaffen, in <strong>de</strong>r Meinung, daß<br />

sie <strong>de</strong>n Menschen regieren und <strong>de</strong>rselbigen Herr<br />

sein sollen: Son<strong>de</strong>rn zum Dienste <strong>de</strong>s Menschen,<br />

daß sie ihm als an<strong>de</strong>re Kreaturen dienen sollen.<br />

So groß ist menschliche Weisheit, daß sie unter<br />

ihr hat alle <strong>Ges</strong>tirne, Firmament und <strong>de</strong>n<br />

ganzen Himmel. ... So sag ich euch in Wahrheit,<br />

daß die Gedanken tun, was <strong>Ges</strong>tirn und<br />

Elemente nicht vermögen, son<strong>de</strong>rn die Gedanken<br />

herrschen und regieren wi<strong>de</strong>r diese alle. ...<br />

Dieselben übertreffen das natürliche Licht und<br />

aus <strong>de</strong>n Gedanken gebiert sich ein Motor, <strong>de</strong>r<br />

nicht elementarisch, noch astrologisch ist. So<br />

nun die Gedanken <strong>de</strong>rmaßen gewaltig sind und<br />

regieren das <strong>Ges</strong>tirn und Elemente durch <strong>de</strong>n<br />

neugeborenen Geist, sollten sie dann nicht auch<br />

ein an<strong>de</strong>res Werk tun, als <strong>Ges</strong>tirn und Elemente<br />

vermögen zu tun? Das ist natürlich, die Gedanken<br />

machen einen neuen Himmel, ein neues<br />

Firmament, dazu auch eine neue Kraft, aus<br />

welcher neue Künste fließen. ...« 12<br />

So vermag nach Paracelsus mittels seines<br />

Willens <strong>de</strong>r Mensch sich über die Wirkung<br />

<strong>de</strong>s <strong>Ges</strong>tirns hinwegzusetzen, das »<strong>Ges</strong>tirn<br />

zu beherrschen«, ohne da<strong>bei</strong> die Wirkung<br />

auf alle körperlichen und seelischen Belange<br />

zu leugnen.<br />

Einer Spruchweisheit zufolge, »zwingen«<br />

die Sterne nicht, »sie machen nur geneigt«.<br />

Wenn wir das Beispiel vom Temperatureinfluss<br />

noch einmal anführen, hieße es<br />

dann entsprechend: – Wir müssen uns<br />

einer Temperatur von -10°C nicht ungeschützt<br />

ausliefern, son<strong>de</strong>rn können ihr mit<br />

entsprechen<strong>de</strong>r Kleidung begegnen. Wir<br />

schalten <strong>de</strong>n Einfluss »Kälte« damit keineswegs<br />

aus, müssen ihn auch nicht leugnen.<br />

In<strong>de</strong>m wir uns aber entsprechend klei<strong>de</strong>n,<br />

zeigt dieser Einfluss für <strong>de</strong>n so <strong>Ges</strong>chützten<br />

keinerlei nachteilige Wirkung.<br />

Analog dazu verhält es sich mit <strong>de</strong>m<br />

Einfluss »<strong>Ges</strong>tirn«: Wenn charakterliche<br />

Schwächen und Veranlagungen mit diesem<br />

Einfluss zu rechtfertigen wären, könnte von<br />

Freiheit zu individueller Entfaltung nicht<br />

mehr gesprochen wer<strong>de</strong>n.


Abb.1<br />

21


Wenn wir über <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>s <strong>Ges</strong>tirns<br />

auf die <strong>Ges</strong>undheit sprechen, dürfen wir<br />

diesen Begriff nicht zu eng fassen. <strong>Ges</strong>undheit<br />

ist keinesfalls mit <strong>de</strong>m Fehlen pathologischer<br />

Symptome gleichzusetzen. Sie umfasst<br />

neben <strong>de</strong>m körperlichen auch das<br />

seelische Wohlbefin<strong>de</strong>n unter Berücksichtigung<br />

aller sozialen (Familie, Beruf, <strong>Ges</strong>ellschaft...),<br />

ethisch-moralischen bzw. religiösen<br />

Aspekte.<br />

22<br />

Planet/Stern<br />

Sonne<br />

Venus<br />

Merkur<br />

Mond<br />

Saturn<br />

Jupiter<br />

Mars<br />

Metall<br />

Gold<br />

(Au)<br />

Kupfer<br />

(Cu)<br />

Quecksilber<br />

(Hg)<br />

Silber<br />

(Ag)<br />

Blei<br />

(Pb)<br />

Zinn<br />

(Sn)<br />

Eisen<br />

(Fe)<br />

Organ<br />

Herz<br />

Nieren<br />

Lunge<br />

Gehirn<br />

Milz<br />

Leber<br />

Galle<br />

Da hier nur Prinzipien paracelsischer<br />

Lehre in Bezug auf die <strong>Ges</strong>undheit unter<br />

<strong>de</strong>n Aspekten seines Verständnisses von<br />

Astrologie und Astronomie dargestellt<br />

wer<strong>de</strong>n sollen, kann auf Details nicht eingegangen<br />

wer<strong>de</strong>n. Abb.2 zeigt die Beziehungslinien<br />

zwischen <strong>de</strong>n <strong>Ges</strong>tirnen, <strong>de</strong>m<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Metall, und <strong>de</strong>m Organ,<br />

wie sie Paracelsus gesehen hat, in Zuordnung<br />

zu <strong>de</strong>n bereits erwähnten Chakren: 13<br />

Chakra<br />

Herz-<br />

Solarplexus<br />

Sakral-<br />

Wurzel-<br />

Kronen-<br />

Stirn-<br />

Kehl-<br />

Was <strong>de</strong>m<br />

Planet/Stern<br />

unterworfen ist<br />

»Kron, Scepter, Stuhl und<br />

alle Herrlichkeit, Reichtum,<br />

Schätz, alle Zier und Hoffart<br />

dieser Welt«<br />

»alles was zu <strong>de</strong>r Musica<br />

gehört, musicalische Instrument,...<br />

venerische Übung,<br />

Buhlerei, Hurerei, und <strong>de</strong>rgl.«<br />

»alle gelehrte Leut, alle<br />

künstliche Instrument und<br />

Werkzeug, so <strong>de</strong>n Künsten<br />

zugehören«<br />

»aller Feldbau, Schiffahrt,<br />

alle Reis- und Wan<strong>de</strong>rsleut<br />

und was solchen zugehört«<br />

»alle die, so in und unter <strong>de</strong>m<br />

Erdreich ihrAr<strong>bei</strong>t haben,alle<br />

Bergsleut,Schatzgräber,Totengräber,<br />

Brunnengraber...«<br />

»alle Gericht und Recht,<br />

<strong>de</strong>r ganz levitisch Stand,<br />

alle Kirchenzier...«<br />

»allerlei Munition, Harnisch,<br />

Panzer, <strong>Ges</strong>chütz, Spieß,...<br />

Waffen und was zum Krieg<br />

und Streit gehört, etc...«<br />

Abb.2


4. Ist das Astrologieverständnis <strong>de</strong>s Paracelsus in solchem Kontext<br />

ein »unzeitgemäßer Irrglaube« ?<br />

Die generalisieren<strong>de</strong> Behauptung, Astrologie<br />

sei ein unzeitgemäßer Denkirrtum, 14 ist<br />

im Blick auf Paracelsi Umgang und Verständnis,<br />

die Astrologie betreffend, nicht<br />

berechtigt.<br />

Er beschreibt das <strong>Ges</strong>tirn als einen Wirkfaktor<br />

innerhalb <strong>de</strong>s Makrokosmos, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n Mikrokosmos Mensch und damit seine<br />

<strong>Ges</strong>undheit beeinflusst, ihn jedoch nicht<br />

<strong>de</strong>terminiert.<br />

In solcher Sichtweise »Sternenkult« zu<br />

sehen, ist unzutreffend. Paracelsus distanziert<br />

sich von <strong>de</strong>rartigem Umgang mit<br />

Astrologie. Seine Handhabung ist differenzierter.<br />

Er bezieht in seinem Wirken für die<br />

Kranken noch an<strong>de</strong>re <strong>Ges</strong>ichtspunkte ein:<br />

»aber weiter ist mir noch zu re<strong>de</strong>n auch befolen:<br />

die kranken dörfen eines arztes, nicht alle <strong>de</strong>r<br />

1 B.Aschner, PSW Bd. IV, G.Fischer-Verlag Jena<br />

1930, S.812<br />

2 Sudhoff, I/12 , S.79<br />

3 aus »Philosophia sagax«<br />

4 Aschner, PSW, G.Fischer-Verlag Jena 1930,<br />

Band IV, S.464 u. 465 (Phil.sagax)<br />

Astrologie<br />

1. Summus motor. (Der oberste Lenker.)<br />

2. Stellarum cursus. (Der Sterne Lauf.)<br />

3. Firmamenti natura (Die Natur <strong>de</strong>s<br />

Firmaments.)<br />

4. Astrorum operatio. (Die Wirkung <strong>de</strong>r Sterne.)<br />

5. Conceptionem <strong>de</strong>clarare. (Die Erklärung <strong>de</strong>r<br />

Empfängnis.)<br />

6. Concordantia cum Elementis. (Die Uebereinstimmung<br />

mit <strong>de</strong>n Elementen.)<br />

7. Coelorum proprietates. (Die Eigentümlichkeiten<br />

<strong>de</strong>r Himmel.)<br />

8. Prognosticationes tempestatum. (Die Voraussage<br />

<strong>de</strong>r Gewitter.)<br />

9. Prognosticationes temporales. (Die Voraussage<br />

<strong>de</strong>r Zeiten.)<br />

10. Prognosticationes judiciales. (Gerichtliche<br />

Prophezeiungen.)<br />

11. Prognosticationes acci<strong>de</strong>ntales. (Voraussage<br />

von zufälligen Ereignissen.)<br />

12. Prognosticationes medicae. (Medizinische<br />

Voraussagungen.)<br />

13. Novae Generationis Ventura. (Die Zukunft<br />

<strong>de</strong>r neuen Generation.)<br />

QUELLENVERZEICHNIS<br />

aposteln; also auch die prognosticationes (Weissagungen)<br />

dörfen eines astronomi,nit alle eins<br />

propheten. es ist ausgeteilt, ein teil <strong>de</strong>n propheten,<br />

ein teil <strong>de</strong>n astronomis, weiter ein teil <strong>de</strong>n<br />

aposteln, ein teil <strong>de</strong>n arzten. also hat ein ietlicher<br />

sein grunt. drumb ist die astronomei uns<br />

christen nit aufgehebt noch verboten, son<strong>de</strong>r<br />

christenlich zu gebrauchen. dan ursach, vom<br />

vater sind wir in das liecht <strong>de</strong>r natur beschaffen,<br />

bilich das wirs können und wissen, vom son in<br />

das ewig leben, bilich auch das wirs wissen. also<br />

erbt an uns das liecht von got <strong>de</strong>m vater und<br />

das liecht von got <strong>de</strong>m son, hie uf er<strong>de</strong>n, auch in<br />

das ewig leben. und kein teil hin<strong>de</strong>rt das an<strong>de</strong>r,<br />

<strong>de</strong>r vater sein son nit, noch <strong>de</strong>r son <strong>de</strong>n vater<br />

nit. also mag <strong>de</strong>r mensch zu <strong>bei</strong><strong>de</strong>n seiten wol<br />

hantlen, erfaren und ergrünt sein. ...« 15<br />

(Untersstr. u. Anmerkg. D.M.)<br />

5 Surya, »Paracelsus-richtig gesehen«, ROHM 1980,<br />

S.113, Paramirum<br />

6 Aschner, PSW Bd. IV, S.829 (aus Phil.sagax)<br />

7 Surya,«Paracelsus-richtig gesehen«, S.111<br />

8 Sudhoff, I/8, S.164, Paragranum, 2.Tractat<br />

9 Sudhoff, I/8, S.163, Paragr. bzw.: »Vom gesun<strong>de</strong>n<br />

und seligen Leben«, Reclam 534, S.209<br />

10 aus: E.Issberner-Haldane, »Die med. Hand- und<br />

Nageldiagnostik«, Falken-Verl. E.S., Berlin<br />

11 H.Kayser »Der Dom«, Insel-Verlag Leipzig 1924,<br />

S.316/317<br />

12 Surya, »Paracelsus richtig gesehen«, S.114<br />

13 H.Kayser »Der Dom«, Insel-Verlag Leipzig 1924,<br />

S.305 bzw. S.317 u. 318<br />

14 »Die Astrologie ist ein uraltes Handwerk und wur<strong>de</strong><br />

von Gott verboten (5.Mose 4/19)<br />

Denn auch die Israeliten waren zeitweise <strong>de</strong>m Sternenkult<br />

verfallen. König Manasse verehrte die Sterne als<br />

Götter im Jerusalemer Tempel (2. Kön.21/ 4,5 u.11,<br />

Chron.33/3)<br />

...Wo aus Sternen ein Lebensschicksal abgelesen wer<strong>de</strong>n<br />

soll und Lebenshilfe erwartet wird, da beginnen die<br />

Astrolügen.« (aus Zeitschrift »faktum« ,VI/94)<br />

15 Sudhoff, I/12, S.496, bzw. Aschner, PSW Bd. IV,<br />

S.830ff. (Phil.sagax)<br />

Anschrift <strong>de</strong>s Verfassers: Dietrich Mühlberg<br />

Bautzner Landstraße 130 · 01324 Dres<strong>de</strong>n<br />

Dres<strong>de</strong>n, am 18.11.1998<br />

Vortrag im Deutschen Hygiene-Museum<br />

Dres<strong>de</strong>n, am 18.11.1998<br />

23


VALENTIN WEIGEL: Vom <strong>Ges</strong>etz o<strong>de</strong>r<br />

Willen Gottes. Gnothi seauton. Hrsg. und<br />

eingeleitet von Horst Pfefferl, Stuttgart-Bad<br />

Cannstatt 1996.<br />

VALENTIN WEIGEL: Der gül<strong>de</strong>ne Griff.<br />

Kontroverse um <strong>de</strong>n ‚Gül<strong>de</strong>nen Griff‘.<br />

Vom judicio im Menschen. Hrsg. und eingeleitet<br />

von Horst Pfefferl, Stuttgart-Bad<br />

Cannstatt 1997.<br />

(= Valentin Weigel – Sämtliche Schriften.<br />

Begrün<strong>de</strong>t von Will-Erich Peuckert und<br />

Winfried Zeller, Neue Edition, Hrsg. von<br />

Horst Pfefferl, Bän<strong>de</strong> 3 und 8.)<br />

Im Alltag <strong>de</strong>s zu En<strong>de</strong> gehen<strong>de</strong>n 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

dürfte <strong>de</strong>r Name Valentin Weigel<br />

(1533-1588) kaum eine Rolle spielen. Fachkreise<br />

dagegen widmen diesem Theologen<br />

und Philosophen <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts, <strong>de</strong>r<br />

in Zschopau tätig war, bis heute ihr Interesse,<br />

hatte er doch großen Erfolg und Wirkung<br />

bis weit ins 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt hinein<br />

und gilt als wichtiges Bin<strong>de</strong>glied zwischen<br />

so be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Persönlichkeiten wie Theophrastus<br />

Bombast von Hohenheim und<br />

Jakob Böhme.<br />

Die vorliegen<strong>de</strong>n Bän<strong>de</strong> enthalten die<br />

<strong>bei</strong><strong>de</strong>n erkenntnistheoretischen Hauptwerke<br />

Weigels »Gnothi seauton« (Erkenne<br />

dich selbst) und »Der gül<strong>de</strong>ne Griff« erstmals<br />

in kritischer Ausgabe. Mit ihnen liegen<br />

die ersten zwei von 15 veranschlagten<br />

Bän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Neuen Edition <strong>de</strong>r Sämtlichen<br />

Schriften vor.<br />

Zwar wur<strong>de</strong> von Will-Erich Peuckert und<br />

Winfried Zeller eine kritische Ausgabe <strong>de</strong>r<br />

Sämtlichen Schriften Valentin Weigels begrün<strong>de</strong>t,<br />

von <strong>de</strong>r zwischen 1962 und 1978<br />

sieben Lieferungen erschienen sind, jedoch<br />

konnten diese aufgrund <strong>de</strong>s damaligen<br />

Stan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Forschung nicht ohne Mängel<br />

bleiben.<br />

24<br />

Michael Liebscher<br />

EMPFEHLUNG<br />

Das Hauptproblem <strong>de</strong>r Weigelschen<br />

Schriften war und ist die Unsicherheit <strong>de</strong>r<br />

Authentizität aufgrund <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren<br />

Überlieferungsgeschichte: Zu Lebzeiten<br />

<strong>de</strong>s sächsischen Pfarrers erschien von seinen<br />

philosophischen, theologischen und<br />

homiletischen (predigtbezogenen) Schriften<br />

lediglich 1576 eine Leichenpredigt.<br />

Alle an<strong>de</strong>ren Texte wur<strong>de</strong>n zunächst handschriftlich<br />

überliefert und da<strong>bei</strong> mit Bear<strong>bei</strong>tungen,<br />

Kompilationen (Zusammenstellungen)<br />

und Schriften an<strong>de</strong>rer Autoren<br />

durchsetzt, die <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s populären<br />

Kritikers teilweise für eigene oppositionelle<br />

Gedanken nutzten bzw. sich damit<br />

schützten. Der heutige Forschungsstand,<br />

aber auch die an eine mo<strong>de</strong>rne kritische<br />

Textedition geknüpften Erwartungen<br />

machten einen Neuanfang für die Ausgabe<br />

erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Horst Pfefferl, <strong>de</strong>r seit 1982 schon an<br />

<strong>de</strong>r alten Ausgabe beteiligt war, stützt sich<br />

als Herausgeber insbeson<strong>de</strong>re auf seine<br />

Dissertation 1 , in <strong>de</strong>r er eine »grundlegend<br />

neue Bestandsaufnahme, Beschreibung und<br />

Bewertung <strong>de</strong>r Texte und ihrer Überlieferung« 2<br />

vornimmt. So konnte er gera<strong>de</strong> die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n<br />

erkenntnistheoretischen Hauptwerke Weigels<br />

als unechte Kompilationen entlarven.<br />

Das schmälert jedoch keinesfalls ihren<br />

Wert, war Weigel doch offensichtlich nicht<br />

primär schriftstellern<strong>de</strong>r Philosoph, son<strong>de</strong>rn<br />

eher philosophisch orientierter Seelsorger,<br />

<strong>de</strong>r je<strong>de</strong> Möglichkeit nutzte, seine<br />

zentralen Gedanken zu popularisieren.<br />

Dass seine Rezipienten diese Gedanken<br />

recht frei behan<strong>de</strong>lten und nach Bedarf<br />

zusammenstellten, ist daher nicht verwun<strong>de</strong>rlich.<br />

Seelsorge ist in Weigels Sinne die Sorge<br />

um die Seele, um eben jenen inneren<br />

Menschen, <strong>de</strong>n er als <strong>de</strong>n wahren, wesentlichen<br />

erkannt hatte: Der Mensch ist nicht


körperlich Ohr, Auge, Hand, »son<strong>de</strong>rn<br />

das Innere..., <strong>de</strong>r da weis zu gebrauchen <strong>de</strong>s<br />

eussern auges o<strong>de</strong>r leibes, dasselbe sey <strong>de</strong>r rechte<br />

mensche.« 3<br />

In <strong>de</strong>n Einleitungen zu <strong>de</strong>n Bän<strong>de</strong>n wird<br />

jeweils auf die Quellenlage genau eingegangen.<br />

Die Handschriften sowie Drucke<br />

wer<strong>de</strong>n akribisch beschrieben, wo<strong>bei</strong> die<br />

Anschaulichkeit durch Faksimiles <strong>de</strong>r Titelseiten<br />

erfreulich erhöht wird. Horst Pfefferl<br />

erörtert seine Auffassungen bezüglich <strong>de</strong>r<br />

Zuordnung <strong>de</strong>r Schriften zu Weigel bzw.<br />

<strong>de</strong>ssen Diakon Bie<strong>de</strong>rmann o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

möglichen Kopisten o<strong>de</strong>r Kompilatoren,<br />

wo<strong>bei</strong> Vergleiche <strong>de</strong>r Inhalte, <strong>de</strong>r Schriftgrafik,<br />

<strong>de</strong>r Stilistik sowie Jahreszahlbezüge und<br />

mögliche Quellen umfangreich und scharfsinnig<br />

ausgewertet wer<strong>de</strong>n. Der Herausgeber<br />

zieht da<strong>bei</strong> mehrfach die nicht vollständig<br />

überzeugen<strong>de</strong> Schlussfolgerung, solange<br />

kein an<strong>de</strong>rer Autor bzw. Kopist nachgewiesen<br />

wer<strong>de</strong>n könne, dürfe die Schrift Weigel<br />

zugeordnet wer<strong>de</strong>n, begrün<strong>de</strong>t dies jedoch<br />

mit <strong>de</strong>r gebotenen Vorsicht aus <strong>de</strong>r schwierigen<br />

Quellenlage.<br />

Gera<strong>de</strong> für die Echtheit <strong>de</strong>s »Gül<strong>de</strong>nen<br />

Griff« erwies sich das Auffin<strong>de</strong>n einer bislang<br />

unbekannten Handschrift in Lei<strong>de</strong>n als wertvoll,<br />

die teilweise (vermutlich) von Weigel<br />

selbst stammt und die mit <strong>de</strong>r »Kontroverse<br />

um <strong>de</strong>n ›Gül<strong>de</strong>nen Griff‹ « neue Einsichten<br />

in die erkenntnistheoretische Diskussion in<br />

Weigels und Bie<strong>de</strong>rmanns Freun<strong>de</strong>s- und<br />

Bekanntenkreis ermöglicht.<br />

Weiterhin enthalten die Einleitungen<br />

Angaben zu editorischen Entscheidungen<br />

wie <strong>bei</strong>spielsweise <strong>de</strong>n Verzicht auf eventuell<br />

nicht originale emphatische Ausrufe<br />

(Ach Herr, O Herr) in <strong>de</strong>n Gebeten und<br />

verschie<strong>de</strong>ne Randbemerkungen, aber auch<br />

die Rangfolge <strong>de</strong>r Überlieferungen <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />

Textauswahl, das Siglen-, Abkürzungs- und<br />

Literaturverzeichnis.<br />

In <strong>de</strong>n Ausführungen <strong>de</strong>r Einleitungen<br />

wird häufig auf bestimmte Kapitel <strong>de</strong>s<br />

Textes verwiesen. Lei<strong>de</strong>r ist das Inhaltsverzeichnis<br />

mit Seitenangaben so großzügig<br />

angelegt, dass die Suche nach bestimmten<br />

Stellen zum unangenehmen Blättern wird.<br />

Die Differenziertheit <strong>de</strong>r Handschriften<br />

stellt hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n kritischen<br />

Apparat, <strong>de</strong>r zwangsläufig sehr umfangreich<br />

ausfällt. In graphisch bemerkenswert<br />

hoher, die Orientierung beför<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r<br />

Qualität wer<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>m Text unterschiedliche<br />

Schreibungen bzw. Textvarianten<br />

aufgeführt, <strong>de</strong>ren Reflexion zur Vertiefung<br />

<strong>de</strong>s Textverständnisses <strong>bei</strong>trägt.<br />

Eine separate Fußzeile enthält Kommentare,<br />

die sich z.T. über mehrere Seiten erstrecken<br />

und insgesamt Zeugnis von <strong>de</strong>r<br />

beeindrucken<strong>de</strong>n Sachkenntnis und präzisen<br />

Ar<strong>bei</strong>t Horst Pfefferls ablegen. Allerdings<br />

entsteht <strong>de</strong>r Eindruck, dass diese<br />

Kommentare in ihrer Konzentration selbst<br />

Verweischarakter besitzen und nach größerer<br />

Ausführlichkeit verlangen, was in Form<br />

von bislang nicht konzipierten Kommentarbän<strong>de</strong>n<br />

sehr zu begrüßen wäre.<br />

Markant für die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Handschriftenedition<br />

ist die Tatsache, dass die<br />

Druckfassungen gegenüber <strong>de</strong>n originalen<br />

Handschriften abgeschwächt sind, in bestimmten<br />

Formulierungen eine gewisse Konformität<br />

mit <strong>de</strong>n vorherrschen<strong>de</strong>n kirchlichen<br />

Anschauungen hergestellt wur<strong>de</strong>, aber<br />

auch durch Druckversehen teilweise erhebliche<br />

Entstellungen aufgetreten sind, die<br />

manche Stellen bis zur Unverständlichkeit<br />

verstümmelten. Nun wur<strong>de</strong> Weigel aber<br />

über 300 Jahre lang nach <strong>de</strong>n Drucken beurteilt!<br />

Mit <strong>de</strong>r Neuen Edition kann die<br />

Weigelforschung nunmehr weitestgehend<br />

authentisch ar<strong>bei</strong>ten.<br />

»Der Gül<strong>de</strong>ne Griff« stellt die zusammenhängen<strong>de</strong><br />

Darlegung <strong>de</strong>r Erkenntnistheorie<br />

Weigels dar und enthält teilweise<br />

in wörtlicher Übereinstimmung Gedanken<br />

<strong>de</strong>r <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Werke in Band 3, weshalb im<br />

Weiteren vorwiegend auf diesesWerk Bezug<br />

genommen wird. Selbst hier wer<strong>de</strong>n Hauptgedanken<br />

vielfach wie<strong>de</strong>rholt, variiert, veranschaulicht<br />

und vertieft. Weigel ist neben<br />

an<strong>de</strong>ren wie Franck, Tauler o<strong>de</strong>r Cusanus<br />

auch an Paracelsus geschult. Bei<strong>de</strong> haben<br />

das gleiche Verständnis von <strong>de</strong>n 4 Elementen<br />

Feuer, Wasser, Luft und Er<strong>de</strong> sowie von<br />

<strong>de</strong>n 3 Substanzen Mercurius, Sulphur und<br />

25


Sal. Für <strong>bei</strong><strong>de</strong> steht <strong>de</strong>r Mensch im Mittelpunkt<br />

gleichsam als Mikrokosmos im<br />

Makrokosmos, als Dualismus von äußerem<br />

und innerem, von vergänglichem und ewigem<br />

Menschen. Bei<strong>de</strong> verstehen <strong>de</strong>n Menschen<br />

als Abbild Gottes, <strong>de</strong>r damit zugleich<br />

alle Erkenntnis in sich trägt, diese also<br />

nicht aus <strong>de</strong>n Büchern erhalten kann. Mit<br />

dieser Position war die Kontroverse mit <strong>de</strong>r<br />

Kirche vorprogrammiert. Weigel schreibt<br />

<strong>de</strong>n »Gül<strong>de</strong>nen Griff«, damit »auch die einfeltigen<br />

so weytt im Verstan<strong>de</strong> gebracht mogen<br />

wer<strong>de</strong>n, das sie vberwin<strong>de</strong>n, vnd ein treiben<br />

konnen, alle hohe doctores vnnd Welt gelerten.« 4<br />

und argumentiert: »Solte nun die [heylige]<br />

schrifft <strong>de</strong>n Verstandt in menschen tragen, o<strong>de</strong>r<br />

wircken, so musten alle leser nur eynen eynigen<br />

Verstand daraus bekommen, vnd nicht also gespalten<br />

o<strong>de</strong>r zwitrechtig in <strong>de</strong>m Verstan<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n.«<br />

»Were <strong>de</strong>r Verstandt nicht in mir, so konte<br />

ich das buch nit verstehen.« 5<br />

Weigel gesteht eine auf Beobachtung gegrün<strong>de</strong>te,<br />

wir wür<strong>de</strong>n heute sagen wissenschaftliche<br />

Erkennbarkeit <strong>de</strong>r äußeren, das<br />

heißt materiellen Welt zu, »Aber die vbernaturliche<br />

erkentnis, die mag wol heissen die Jnnere<br />

gottliche erkentnis,...ist schon darinne, im<br />

Jnwendigen grun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r seelen, Nemlich gottes<br />

Wort,Wille, gesetz, geist etc.« 6 Hier beruft sich<br />

Weigel auf Lukas 17, 21: »Das reich gottes ist<br />

Jnwendig in euch.« 7 Erkenntnisorgan ist symbolisch<br />

das Auge, welches in verschie<strong>de</strong>nen<br />

Abstufungen <strong>de</strong>r Verinnerlichung <strong>de</strong>finiert<br />

wird.<br />

Er unterschei<strong>de</strong>t also zwischen <strong>de</strong>r qualitativ<br />

geringer einzuschätzen<strong>de</strong>n Sinneserkenntnis<br />

und <strong>de</strong>r hochwertigeren Verstan<strong>de</strong>serkenntnis,<br />

die auch helfe, Fehlurteile<br />

und Irrtümer, <strong>de</strong>ren Quelle in <strong>de</strong>r Begrenztheit<br />

<strong>de</strong>s Menschen liege, zu erkennen.Weigel<br />

entwickelt ein höheres Erkennen,<br />

das aus <strong>de</strong>m Irrtum herausführen soll<br />

und <strong>de</strong>ssen inneres Organ <strong>de</strong>r »Gül<strong>de</strong>ne<br />

Griff« ist.Voraussetzung ist, dass <strong>de</strong>r<br />

Mensch »in ein stille schweigen komet...do <strong>de</strong>r<br />

mensche nur wartet vnnd empfehet, vnnd got<br />

gibet vnd wircket«. 8<br />

26<br />

Auch hier steht er Paracelsus nahe, <strong>de</strong>r<br />

schreibt: »die Erkantnis geht durch <strong>bei</strong><strong>de</strong> Art,<br />

offensichtlich und magisch, sichtig und unsichtig«.<br />

9 Magie be<strong>de</strong>utet hier Macht und Weisheit,<br />

aber ohne weltliche <strong>Ges</strong>innung.<br />

»Der Magus entzieht sich <strong>de</strong>r Welt, nicht um sie<br />

zu verlassen, im Gegenteil: in <strong>de</strong>r Anschauung<br />

<strong>de</strong>r Natur versunken, mit offenen Ohren, hört<br />

er nichts mehr«. 10<br />

Neben <strong>de</strong>r Wendung in sich selbst bedarf<br />

es <strong>bei</strong> Weigel noch <strong>de</strong>r Verleugnung<br />

seiner selbst bzw. muss man seinem »naturlichen<br />

wircklichen menschen...vrlaub geben«,<br />

um zur »vbernaturliche[n] leidtliche[n] erkentnis«<br />

zu gelangen. 11 Wer zu dieser Erkenntnis<br />

gelangt, ist am Ziel: er wird eins mit<br />

Gott. Selbsterkenntnis ist damit nicht Ziel,<br />

son<strong>de</strong>rn eher Ausgangspunkt <strong>de</strong>r eigenen<br />

Entwicklung hin zu Gott bzw. zurück zu<br />

Gott, wo »wir alles haben vnd besitzen sollen<br />

von gna<strong>de</strong>n, was Gott selber hat vndt besitzet«. 12<br />

Dieser Zielrichtung entspricht auch die<br />

Ethik Weigels. Hochmut und Egoismus<br />

sind Sün<strong>de</strong>. Nach ihm ist die »Creatur<br />

...eine bildnis <strong>de</strong>s Ewigen Gottes...Darumb soll<br />

[sie] nicht nach eigenen willen leben, son<strong>de</strong>rn in<br />

gelaßenheit vnd gehorsam, sie soll...in <strong>de</strong>r mitten<br />

bleiben, Sie soll nicht sich selbst suchen, noch<br />

lieben...es ist nur ein Gott, darumb kanstu dich<br />

nicht für dich selber einen Gott achten, <strong>de</strong>n du<br />

solt bewahren die eigenschaft <strong>de</strong>r bildnis.« 13<br />

So wichtig war ihm dies, dass er an <strong>de</strong>n<br />

Leser direkt appellierte – auch an <strong>de</strong>n heutigen.<br />

Denn was könnte für unsere Welt<br />

dominieren<strong>de</strong>r Ellenbogen schädlicher<br />

sein, als die Erkenntnis, dass allein durch<br />

Beugen unter <strong>de</strong>n Willen Gottes, das heißt<br />

durch die Beachtung vor allem seines<br />

Gebotes <strong>de</strong>r Nächstenliebe wahrer Fortschritt<br />

für je<strong>de</strong>n einzelnen zu erzielen ist.<br />

Dass die be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Gedanken Weigels<br />

neben ähnlichen vieler an<strong>de</strong>rer Geistesschaffen<strong>de</strong>n<br />

zunehmend wirksam wer<strong>de</strong>n<br />

können, ist zu wünschen.<br />

Horst Pfefferl und allen Mitar<strong>bei</strong>tern<br />

<strong>de</strong>r Neuen Edition gebührt Hochachtung<br />

für die Schaffung <strong>de</strong>r notwendigen wissenschaftlichen<br />

Grundlagen.


ANMERKUNGEN UND QUELLENVERZEICHNIS<br />

1 Horst Pfefferl: Die Überlieferung <strong>de</strong>r Schriften<br />

Valentin Weigels. Phil. Dissertation, Marburg/Lahn,<br />

Teildruck, Marburg/Lahn 1991.<br />

2 ebenda, S.78.<br />

3 VALENTIN WEIGEL: Der gül<strong>de</strong>ne Griff. Kontroverse<br />

um <strong>de</strong>n ›Gül<strong>de</strong>nen Griff‹. Vom judicio im<br />

Menschen.<br />

Hrsg. und eingeleitet von Horst Pfefferl, Stuttgart-<br />

Bad Cannstatt 1997, S.44.<br />

4 ebenda, S.7.<br />

5 ebenda, S.14.<br />

6 ebenda, S.53.<br />

7 ebenda.<br />

8 ebenda, S.48.<br />

9 Paracelsus I, 147, zit. in: Lucien Braun: Vom magi-<br />

Herr Prof. Dr.Yuzo Okabe, Universität<br />

Tokio, übersandte uns eine Übersetzung<br />

paracelsischer Schriften ins Japanische,<br />

und zwar<br />

– Von <strong>de</strong>m sanct Johanns kraut (aus:<br />

»Von <strong>de</strong>n natürlichen Dingen«, 1525?)<br />

– Von <strong>de</strong>n kreften <strong>de</strong>s magneten (aus:<br />

»Herbarius«, 1525?)<br />

– In probationem artis magicae (aus:<br />

»Astronomia magna«, 1537/38, XII/122)<br />

– Wie sich got gegen <strong>de</strong>m menschen vereinigt,<br />

und wie er sich gegen in halt, annimbt<br />

und mit im und durch in hantlet,<br />

als nemlich in <strong>de</strong>r zukünftigen welt (aus:<br />

»Astronomia magna«, 1537/38, XII/320)<br />

Es han<strong>de</strong>lt sich um Band 16 – »Die<br />

mo<strong>de</strong>rne Naturmystik« – aus <strong>de</strong>r Schriftenreihe<br />

»Ausgewählte Schriften <strong>de</strong>r Christlichen<br />

Mystik« (Kyobunkan-Verlag Tokyo,<br />

1993, ISBN 4-7642-3216-2).<br />

Die Übersetzung <strong>de</strong>r Paracelsus-Schriften<br />

in Band 16 besorgten neben<br />

Professor Okabe Frau Ayako Nakai und<br />

Herr Kunio Homma.<br />

Günter Ickert<br />

INFORMATION<br />

schen Wissen und Wirken. in: Manuskripte –<br />

Thesen – Informationen. hg. von <strong>de</strong>r Deutschen<br />

<strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft e.V. Dres<strong>de</strong>n,<br />

Nr. 11 – 1/1997, S. 4.<br />

10 Ebenda, S.9.<br />

11 VALENTIN WEIGEL: Der gül<strong>de</strong>ne Griff.<br />

Kontroverse um <strong>de</strong>n ‚Gül<strong>de</strong>nen Griff‘. Vom<br />

judicio im Menschen.<br />

Hrsg. und eingeleitet von Horst Pfefferl,<br />

Stuttgart-Bad Cannstatt 1997, S. 51.<br />

12 Valentin Weigel: Vom <strong>Ges</strong>etz o<strong>de</strong>r Willen<br />

Gottes. Gnothi seauton. Hrsg. und eingeleitet<br />

von Horst Pfefferl, Stuttgart-Bad Cannstatt<br />

1996, S.5.<br />

13 Ebenda, S.16.<br />

27


Band 16 enthält ein umfangreiches<br />

Personenregister, ein mehrseitiges Wörterverzeichnis<br />

mit Erklärungen sowie eine<br />

interessante Literaturzusammenstellung.<br />

Professor Okabe, Mitglied <strong>de</strong>r<br />

Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft, teilte<br />

uns <strong>bei</strong> dieser Gelegenheit mit, dass er im<br />

Sommersemester 1999 an <strong>de</strong>r Universität<br />

Tokio mit sieben Stu<strong>de</strong>ntinnen/Stu<strong>de</strong>nten<br />

ein Seminar über Paracelsus abgehalten<br />

hat, <strong>de</strong>m er auch unser Periodikum<br />

»Manuskripte-Thesen-Informationen«<br />

zugrun<strong>de</strong> legte.<br />

Erläuterungen zu <strong>de</strong>n Abbildungen vom<br />

oben benannten Band 16:<br />

Titel s.S.27/Stich <strong>de</strong>s Monogrammisten<br />

AH von 1538/Vorwort/eine Seite aus<br />

Paracelsi Ar<strong>bei</strong>t über das Johanniskraut<br />

(Hypericum perforatum L.).<br />

28


IMPRESSUM<br />

Herausgegeben von <strong>de</strong>r<br />

DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT e.V. DRESDEN<br />

GESCHÄFTSSTELLE<br />

Kaitzer Straße 134 · D-01187 Dres<strong>de</strong>n<br />

Telefon (03 51) 4 71 59 45<br />

www.bombastus-ges.<strong>de</strong><br />

e-mail: bombastus-ges@imagic.<strong>de</strong><br />

Martina Lippmann<br />

VORSITZENDER<br />

Prof. Dr.-Ing. Bernd Meyer<br />

Elisabethstraße 4 · D-09599 Freiberg<br />

Telefon (0 37 31) 2 26 08<br />

STELLV. VORSITZENDER<br />

Dipl.-Ing. Hans Vogt<br />

Fürstenweg 6 · D-01744 Reinholdshain<br />

Telefon (0 35 04) 61 45 16<br />

SCHATZMEISTER<br />

Martina Lippmann<br />

Kaitzer Straße 134 · D-01187 Dres<strong>de</strong>n<br />

Telefon (03 51) 4 71 59 45<br />

REDAKTION<br />

Dipl.-Biol. Günter Ickert<br />

Zum Schmie<strong>de</strong>berg 13 · D-01462 Gompitz<br />

Telefon (03 51) 4 16 31 20<br />

Die Autor(inn)en sind für <strong>de</strong>n Inhalt ihrer Beiträge<br />

selbst verantwortlich.<br />

<strong>Ges</strong>taltung/Satz CCP Kummer & Co. GmbH<br />

Druck Stoba-Druck · Lampertswal<strong>de</strong><br />

Alle Rechte vorbehalten

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!