Heft 1.10 (PDF) - WISSENSCHAFT in progress
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Es wäre ohne alle Vernunft, hier die mir zugefügten Schmerzen be-<br />
schreiben zu wollen. War es „wie glühendes Eisen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Schul-<br />
tern“, und war dieses „wie e<strong>in</strong> mit <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>terkopf gestoßener<br />
stumpfer Holzpfahl?“ – e<strong>in</strong> Vergleichbild würde nur für das andere<br />
stehen, und am Ende wären wir reihum genasführt im hoffnungslosen<br />
Karussell der Gleichnisrede. Der Schmerz war, der er war. Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus ist nichts zu sagen<br />
Aber er sagt eben sehr viel dazu, vergegenwärtigt das Ereig-<br />
nis, <strong>in</strong>dem er die Kette fehlschlagender Formeln zitiert, die ver-<br />
sagenden Register der Sprache vorführt, um das Ereignis als e<strong>in</strong><br />
Widerfahrnis jenseits des Archivs vorzustellen. Das Ereignis des<br />
Schmerzes ist e<strong>in</strong>e Falltür <strong>in</strong> der Bibliothek. Im imag<strong>in</strong>ierten<br />
Sturz fand Améry die Tierbildkarte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er der Karteien der<br />
gespeicherten Affektkataloge. Die braucht er, um – mitten im<br />
Archiv – auf das nicht archivierbare Erlebnis zu zeigen.<br />
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Für dieses Schmerzerleben trifft zu, was schon Valéry carte-<br />
sianisch begriff: Es illum<strong>in</strong>iert nur Körperzonen, reduziert das<br />
Bewusstse<strong>in</strong>, erhellt ke<strong>in</strong>e Vergangenheit, raubt den Horizont<br />
und dampft den Menschen auf die re<strong>in</strong>e Gegenwart des Kör-<br />
pers e<strong>in</strong>. Améry denkt dies radikal zu Ende. Obwohl er auf<br />
Heidegger, Bataille und Sartre anspielt, versagt er sich jede exis-<br />
tenzialistische Aufladung des Ereignisses. Es eignet sich e<strong>in</strong>fach<br />
nicht dazu, sich als e<strong>in</strong> Beispiel für das Gewahrwerden des „ei-<br />
gentlichen Se<strong>in</strong>s“ des Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er existenzialistischen Er-<br />
zählung aufzulösen. Wenn Max Scheler konstatiert „E<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong><br />
ohne Schmerz verführt zu metaphysischem Leichts<strong>in</strong>n“, so<br />
zeigt die Geschichte, dass e<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong>, das den Schmerz als<br />
Grenzsituation begrüßt, zum Existenzialismus verführt – e<strong>in</strong>er<br />
besonderen Spielart metaphysischen Leichts<strong>in</strong>ns.