Heft 1.10 (PDF) - WISSENSCHAFT in progress
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zeichnet waren, sich gegen den Schmerz zu immunisieren. Die<br />
Fasz<strong>in</strong>ation des Phänomens „Wundstupor“ verknüpfen die Au-<br />
toren e<strong>in</strong>erseits mit dem „altpreußischen Ideal soldatischer Er-<br />
ziehung“, andererseits mit Nietzsches These vom Schmerz als<br />
„arterhaltendem Wert“. Vor allem aber sche<strong>in</strong>en sie im Bann<br />
von Ernst Jüngers Schrift „Über den Schmerz“ zu stehen, die<br />
drei Jahre zuvor erschienen war. Der Schmerz ersche<strong>in</strong>e bei<br />
Jünger als der „eigentliche Urgrund des Lebens“. 26 „Diszipl<strong>in</strong>“<br />
bezeichne Jünger als „die Form, durch die der Mensch die Be-<br />
rührung mit dem Schmerz“ und damit se<strong>in</strong>en Kontakt mit dem<br />
Elementarreich des Lebens aufrecht erhalte. 27<br />
19<br />
Ernst Jünger hatte die Wahrnehmung des Schmerzes von je-<br />
der Empathie re<strong>in</strong>igen wollen. Er hatte empfohlen, die Frontli-<br />
nie des Schmerzes aufzusuchen, um an ihr die Haltung der A-<br />
pathie und die Kälte des Blicks zu stählen. Man mag Jüngers<br />
Essay als e<strong>in</strong> Symptom für soldatische Apathie abschätzig beur-<br />
teilen. Mich <strong>in</strong>teressiert eher se<strong>in</strong>e hellsichtige Diagnose, die er<br />
dem Liberalismus der Weimarer Republik stellt. Der Liberalis-<br />
mus ist für ihn e<strong>in</strong>e Gesellschaftsform, die den Schmerz aus den<br />
B<strong>in</strong>nenräumen der Gesellschaft an die Ränder vertreibt, wo <strong>in</strong><br />
Kl<strong>in</strong>iken, Gefängnissen und Kasernen Spezialisten des Schmer-<br />
zes ihre Arbeit verrichten, während die Massenmedien Bilder<br />
des Schmerzes <strong>in</strong> den Innenraum der Gesellschaft e<strong>in</strong>speisen, wo<br />
sie wie Drogen <strong>in</strong>haliert werden. Die Arbeit des stoischen Be-<br />
wusstse<strong>in</strong>s ist dabei kaum mehr erforderlich. Die Abspaltung<br />
des Schmerzes ist der Flucht technischer Bilder <strong>in</strong> populären<br />
Zeitschriften und Magaz<strong>in</strong>en überantwortet. Ataraxia stellt sich<br />
im massenmedialen Raum automatisch her. Die neuen Medien<br />
s<strong>in</strong>d Empathieentsorgungsgeräte.<br />
26 Ebd., S. 110.<br />
27 Ebd.<br />
Schmerz als<br />
„Urgrund des<br />
Lebens“